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10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
AVG §52Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick und die Hofräte Dr. Grünstäudl und Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision der Mag. R M in W, vertreten durch Dr. Johannes Schuster und Mag. Florian Plöckinger, Rechtsanwälte in 1020 Wien, Praterstern 2/1.DG, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Jänner 2019, Zl. W132 2142262-2/14E, betreffend Ausstellung eines Behindertenpasses (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid vom 11. September 2017 wies die belangte Behörde den Antrag der Revisionswerberin auf Ausstellung eines Behindertenpasses ab, da der Grad der Behinderung lediglich 30 % betrage.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - die dagegen erhobene Beschwerde der Revisionswerberin als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
3 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vom Verwaltungsgericht mit den Akten des Verfahrens vorgelegte (außerordentliche) Revision.
4 Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.
5 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
6 Die Revision ist zulässig, weil sie zutreffend vorbringt, das Verwaltungsgericht habe entgegen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes von einer mündlichen Verhandlung abgesehen. Die Revision ist auch begründet.
7 Das Verwaltungsgericht begründet sein Erkenntnis im Wesentlichen damit, die Feststellung des Grades der Behinderung folge der Einschätzung der vom Verwaltungsgericht eingeholten Gutachten einer Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie (Dr. C-K) und eines Arztes für Allgemeinmedizin (Dr. K) in Verbindung mit den von der belangten Behörde eingeholten Gutachten einer Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie (Dr. C-K) und einer Fachärztin für Augenheilkunde (Dr. S).
8 In derartigen Fällen fehlt es regelmäßig schon an der ersten Voraussetzung für den Entfall einer mündlichen Verhandlung nach § 24 Abs. 4 VwGVG, dass nämlich die „mündliche Verhandlung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt“, ermöglicht doch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung, ergänzende Fragen an den Antragsteller und den (die) beigezogenen Sachverständigen zu stellen und auch den für die Entscheidungsfindung wesentlichen persönlichen Eindruck vom Betroffenen zu gewinnen (vgl. VwGH 15.7.2019, Ra 2017/11/0254, mwN). Die im Beschwerdeverfahren eingeräumte Möglichkeit, zu den Sachverständigengutachten schriftlich Stellung zu nehmen, kann die Durchführung eine Verhandlung in einem Fall wie dem vorliegenden nicht ersetzen (vgl. VwGH 7.4.2020, Ra 2018/11/0166, mwN).
9 Schon alleine der Umstand, dass das Verwaltungsgericht selbst eine Ergänzung des Ermittlungsverfahrens als geboten ansah und die Einholung weiterer Gutachten veranlasste, zeigt, dass der entscheidungserhebliche Sachverhalt nicht geklärt war und keineswegs feststand, dass eine mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ. Die Voraussetzungen für das Absehen von der Durchführung der beantragten Verhandlung nach § 24 Abs. 4 VwGVG lagen somit nicht vor (vgl. etwa VwGH 19.9.2018, Ra 2018/11/0145).
10 Das angefochtene Erkenntnis, mit dem das Verwaltungsgericht die Rechtslage in Bezug auf die Erfordernisse der Durchführung einer mündlichen Verhandlung verkannt hat, war daher schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
11 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil ein weiterer Aufwandersatz unter dem Titel eines ERV-Zuschlags und der Umsatzsteuer nicht vorgesehen ist (vgl. VwGH 26.5.2020, Ra 2018/11/0230).
12 Von der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 11. September 2020
Schlagworte
Gutachten Beweiswürdigung der Behörde widersprechende Privatgutachten Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung Besonderes FachgebietEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019110043.L00Im RIS seit
12.10.2020Zuletzt aktualisiert am
12.10.2020