TE OGH 2020/7/23 1Ob89/20z

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Veröffentlicht am 23.07.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F*****, vertreten durch die Hochleitner Rechtsanwälte GmbH, Perg, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 11.866,29 EUR sA sowie Feststellung (Streitwert 1.500 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 27. März 2020, GZ 4 R 176/19h-21, mit dem das Urteil des Landesgerichts Steyr vom 30. September 2019, GZ 4 Cg 46/19a-15, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der Kläger nahm die Beklagte in einem Amtshaftungsverfahren („Anlassverfahren“) in Anspruch. Er leitete seine Ersatzansprüche sowie sein dort erhobenes Feststellungsbegehren aus der wasserrechtlichen Bewilligung eines mangelhaft geplanten (aufgrund des zu erschließenden Siedlungsgebiets unterdimensionierten) Kanals ab, wodurch es zu wiederholten Überschwemmungen seiner Grundstücke gekommen sei. Den Organen der Beklagten hätte die Unterdimensionierung des mit Bescheid vom 1. 7. 1996 bewilligten Kanals bewusst sein müssen. Jedenfalls hätte die Bewilligung im Nachhinein – als der Wasserrechtsbehörde die unzureichende Dimensionierung des Kanals bekannt war – gemäß § 21a WRG behoben oder abgeändert werden müssen. Statt dessen sei das nach dieser Bestimmung eingeleitete Verfahren eingestellt worden. Die Behörde habe die vom Kanal ausgehende Überschwemmungsgefahr (hinsichtlich der Grundstücke der Kläger) bewusst ignoriert.

Die Beklagte wandte (im Anlassverfahren) ein, dass das wasserrechtliche Bewilligungsverfahren mängelfrei geführt und dem Bewilligungsbescheid eine vertretbare Rechtsansicht zugrunde gelegt worden sei. Der Kläger habe seine nach § 2 Abs 2 AHG bestehende Rettungspflicht verletzt, weil er im wasserrechtlichen Verfahren keine Einwendungen gegen die Kanalerrichtung erhoben habe, obwohl – in der in diesem Verfahren durchgeführten Verhandlung – ausdrücklich erörtert worden sei, dass es trotz Errichtung des Kanals bei größeren Starkregenereignissen zu Überflutungen kommen könne. Er habe auch kein Rechtsmittel gegen den Bewilligungsbescheid erhoben. Auf eine unterlassene Aufhebung bzw Abänderung dieses Bescheids nach § 21a WRG könne sich der Kläger schon deshalb nicht stützen, weil diese Bestimmung nur im öffentlichen Interesse bestehe und – mangels Schutzzwecks der Norm – keine Grundlage für eine Amtshaftung der Beklagten biete. Der Anspruch des Klägers sei im Übrigen verjährt.

Das Erstgericht im Anlassverfahren wies die Klage ab, wobei es von folgendem Sachverhalt ausging:

Der Kläger ist Eigentümer von zwei an eine Landesstraße angrenzenden Grundstücken, wobei er ein Grundstück 1990 und das zweite Grundstück „zwischen 2000 und 2002“ erworben hatte. Aufgrund ihrer Lage im Bereich des tiefsten Punkts der Straße sei es dort immer wieder zu Überschwemmungen gekommen. Mit Bescheid vom 1. 7. 1996 wurde – zur (weiteren) Erschließung eines Siedlungsgebiets – die Errichtung eines Schmutz- und Regenwasserwasserkanals wasserrechtlich bewilligt. Der Kläger nahm an der im wasserrechtlichen Verfahren durchgeführten Verhandlung teil, in der von Behördenvertretern erörtert wurde, dass das im Zuge der Errichtung des Kanals geplante Rückhaltebecken hauptsächlich die Aufgabe habe, die durch zusätzlich anfallende Oberflächenwässer entstehenden Wassermengen zu „kompensieren“. Ein Hochwasserschutz für unterliegende Objekte (also auch für das Haus des Klägers) sei demnach nicht vorgesehen. Ein Vertreter der antragstellenden Marktgemeinde („Konsenswerberin“) erklärte in der Verhandlung, dass in Kauf genommen werde, dass durch das Vorhaben nur eine „Kompensation“ und kein absoluter Hochwasserschutz für den unterhalb des – durch den Kanal zu erschließenden – Siedlungsgebiets gelegenen Bereich erreicht werde, wozu noch Verhandlungen mit den Grundeigentümern geführt würden. Der von der Wasserrechtsbehörde beigezogene Amtssachverständige führte in der Verhandlung aus, dass das (Kanal-)Projekt nur eine geringfügige Verbesserung des derzeitigen Zustands bzw eine „Kompensation“ für die Abflusssteigerung durch die Neuerschließung von Baugrundstücken bewirke und es auch in Hinkunft bei größeren Starkregenereignissen zu Überflutungen im Bereich der Straße kommen könne, was von der Konsenswerberin aus wirtschaftlichen Gründen – und da es mit den anrainenden Grundeigentümern zu keiner Einigung über eine weitere Verbesserung der „Abfuhrsituation“ gekommen sei – in Kauf genommen werde. Der Kläger erhob im wasserrechtlichen Verfahren keine Einwendungen. Er erhob auch kein Rechtsmittel gegen den Bescheid, mit dem die Errichtung des Kanals bewilligt wurde. Der Kanal wurde im Wesentlichen bewilligungskonform hergestellt. Abweichungen von der Bewilligung wurden mit Bescheid vom 5. 9. 2000 (mit dem im Übrigen die konsensmäßige Herstellung festgestellt wurde) genehmigt. Auch dagegen erhob der Kläger kein Rechtsmittel.

Auch nach 1996 (also nach Errichtung des Kanals) kam es bei größeren Starkregenereignissen zu Überflutungen der Grundstücke des Klägers. Wie häufig und in welchem Ausmaß diese auftraten, konnte nicht festgestellt werden. „Die bereits vor 1996 bestehende Situation wurde durch die mit Bescheid vom 1. 7. 1996 bewilligten Maßnahmen jedenfalls nicht verschlechtert.“ Zuletzt kam es im Bereich der Grundstücke des Klägers in den Jahren 2008, 2010 und 2013 zu Überflutungen, wobei das Wasser 2008 und 2013 vor dem Haus stand. 2010 wurden auch Räume im Haus „unterfeuchtet“, was der Kläger im „Spätherbst“ 2010 bemerkt hat.

Aufgrund von Beschwerden des Klägers, wonach die Wasseranlage (der Kanal) unterdimensioniert sei „und nicht mehr konsensmäßig betrieben werde“, holte die Wasserrechtsbehörde die Stellungnahme eines Amtssachverständigen für Wasserbautechnik ein, der zum Ergebnis gelangte, dass die wasserbauliche Anlage zwar konsensgemäß ausgeführt und betrieben werde, aber nicht dem Stand der Technik entspreche, weil sie zu gering dimensioniert sei. Daraufhin leitete die Wasserrechtsbehörde ein Verfahren nach § 21a WRG ein, in dem festgestellt wurde, dass das Regenwasser oberflächig auf der Straße dem Gefälle folgend zum tiefsten Punkt rinne, wo sich das „Anwesen“ des Klägers befinde. Da es dadurch zu keiner Beeinträchtigung oder Gefährdung des Straßenverkehrs komme, wurde das Verfahren nach § 21a WRG eingestellt. Das dagegen vom Kläger erhobene Rechtsmittel blieb mangels Parteistellung erfolglos.

Rechtlich ging das Erstgericht im Anlassverfahren davon aus, dass die wasserrechtliche Bewilligung, deren Rechtswidrigkeit der Kläger aus einer Unterdimensionierung des bewilligten Kanals abgeleitet hatte, für die Überschwemmungen seiner Grundstücke nicht ursächlich waren, weil es schon vor 1996 bei größeren Starkregenereignissen zu Überflutungen im Bereich der Grundstücke des Klägers gekommen sei und sich die bestehende Situation durch die wasserrechtliche Bewilligung des Kanals (dessen Errichtung) nicht verschlechtert habe. Der Kläger habe außerdem gegen die ihm obliegende Rettungspflicht verstoßen, weil er im wasserrechtlichen Bewilligungsverfahren weder Einwendungen gegen das zu bewilligende Projekt, noch ein Rechtsmittel gegen den Bewilligungsbescheid erhoben habe. Die Einstellung des Verfahrens nach § 21a WRG könne keine Amtshaftung der Beklagten begründen, weil die vom Kläger geltend gemachten Schäden nicht vom Schutzzweck dieser Bestimmung erfasst seien.

Der Berufung des Klägers gab das Berufungsgericht im Anlassverfahren nicht Folge.

Zu seiner Beweisrüge betreffend die Feststellung, „dass die bereits vor 1996 bestehende Situation durch die mit Bescheid vom 1. 7. 1996 bewilligten Maßnahmen nicht verschlechtert worden sei“, führte es aus, „dass es für die gewünschten Ersatzfeststellungen, die teilweise auch dem Neuerungsverbot nach § 482 ZPO widersprächen, keine ausreichende Grundlage im Beweisverfahren gäbe“. Der Kläger habe in erster Instanz nicht behauptet, „dass es aufgrund der vermehrten Siedlungstätigkeit ab 2008 zu vermehrten Oberflächenwässern und daraus resultierend zu den Überschwemmungen der Jahre 2008, 2010 und 2013 gekommen sei, sodass es dazu folgerichtig keine Beweisergebnisse gebe. Schon aufgrund des Neuerungsverbots sei darauf nicht näher einzugehen. Die angestrebte Feststellung, dass die Kanalisationsanlage unterdimensioniert sei, sodass es durch deren Betrieb zu mehrmaligen Hochwässern pro Jahr in Folge eine Überlastung des Kanals komme, stehe nicht im Widerspruch zur bekämpften Feststellung, wonach sich die Situation aufgrund des Bescheids vom 1. 7. 1996 nicht verschlechtert habe“.

Ausgehend von der (übernommenen) Feststellung, „dass die bereits vor 1996 bestehende Situation durch die mit Bescheid vom 1. 7. 1996 bewilligten Maßnahmen nicht verschlechtert worden sei“, bestätigte das Berufungsgericht im Anlassverfahren die Abweisung der (dort erhobenen) Amtshaftungsklage wegen fehlender Kausalität der wasserrechtlichen Bewilligung (und der darauf basierenden Errichtung) des Kanals für die schadensverursachenden Überschwemmungen der Grundstücke des Klägers. Im Übrigen bestätigte das Berufungsgericht im Anlassverfahren die Rechtsansicht des dortigen Erstgerichts, wonach dem Kläger eine Verletzung der Rettungspflicht anzulasten sei, weil er keine Einwendungen gegen das (Kanal-)Projekt und kein Rechtsmittel gegen den Bewilligungsbescheid erhoben habe. Auf eine Einstellung des Verfahrens nach § 21a WRG könnten die Amtshaftungsansprüche nicht gestützt werden, weil die Schäden des Klägers als Anrainer nicht vom Schutzzweck dieser Bestimmung erfasst seien, was dieser in seiner Berufung „offenbar gar nicht in Zweifel ziehe“. Auf die in diesem Zusammenhang erhobene Behauptung einer vorsätzlichen Schädigung, weil das Verfahren nach § 21a WRG eingestellt worden sei, obwohl der Amtssachverständige (in diesem Verfahren) ausdrücklich ausgeführt habe, dass es infolge der Unterdimensionierung des Kanals zu regelmäßigen Überschwemmungen und „Schadenseintritten“ auf den Grundstücken des Klägers komme, müsse daher nicht weiter eingegangen werden.

Das Berufungsgericht sprach im Anlassverfahren aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, „weil das Schwergewicht des Rechtsmittels im Tatsachenbereich lag und die angesprochenen Rechtsfragen in Übereinstimmung mit der höchstgerichtlichen Rechtsprechung beantwortet wurden“. Den Antrag des Klägers auf Abänderung dieses Zulassungsausspruchs wies das Berufungsgericht zurück.

Mit der vorliegenden (zweiten) Amtshaftungsklage begehrt der Kläger den Ersatz jenes Schadens, der ihm durch die wasserrechtliche Bewilligung und Errichtung des Kanals entstanden sei, die Feststellung der Haftung der Beklagten für sämtliche künftig daraus resultierenden Schäden sowie den Ersatz der ihm im Anlassverfahren entstandenen Prozesskosten.

Er begründet sein Klagebegehren unter anderem damit, dass das Erstgericht im Anlassverfahren „entgegen den Grundsätzen der Logik und der allgemeinen Lebenserfahrung“ (willkürlich; „rational nicht erklärbar“) festgestellt habe, dass sich die (Überschwemmungs-)Situation durch den Kanal nicht verschlechtert habe bzw dies zumindest als „nicht nachgewiesen“ angenommen wurde, obwohl dem Kläger – durch Abstandnahme von der Aufnahme beantragter Beweise – gar keine Möglichkeit eingeräumt worden sei, die Ursächlichkeit des unterdimensionierten Kanals für die „Verschlechterung der Überschwemmungssituation“ unter Beweis zu stellen. Das Berufungsgericht habe im Anlassverfahren darin, dass zu diesem Thema keine Beweise aufgenommen worden seien, keinen Verfahrensmangel (Stoffsammlungsmangel) erkannt, dem Kläger aber vorgeworfen, er habe nicht nachgewiesen, dass sich die „Hochwasserproblematik“ durch die Bewilligung und Errichtung des nicht dem Stand der Technik entsprechenden Kanals verschlechtert habe. Es habe die (unvertretbar unrichtige) Beweiswürdigung des Erstgerichts im Anlassverfahren nicht korrigiert und sich mit der Beweisrüge des Klägers nicht inhaltlich auseinandergesetzt, weil es aktenwidrig davon ausging, er habe kein Vorbringen zur „Verschlechterung der Überschwemmungssituation“ erstattet.

Der Kläger wirft den Gerichten des Anlassverfahrens auch vor, dass sie rechtlich unvertretbar eine Verletzung der Rettungspflicht annahmen, obwohl für den Kläger keinerlei Anhaltspunkte dafür bestanden hätten, dass sich durch die Bewilligung der Errichtung des Kanals eine erhöhte Überschwemmungsgefährdung für seine Grundstücke (insbesondere sein Haus) ergeben könnte. Er habe davon ausgehen dürfen, dass bei rechtskonformer Bewilligung des Kanals der bestehende Zustand (hinsichtlich der Überschwemmungsgefahr) zumindest nicht verschlechtert werde, weshalb ihm nicht vorgeworfen werden könne, er habe sich nicht von vornherein gegen das Projekt gewehrt.

Auch die im Anlassverfahren vertretene Rechtsansicht, der Kläger könne aus der Einstellung des Verfahrens nach § 21a WRG („mangels Schutzzwecks“) keine Amtshaftungsansprüche ableiten, sei rechtlich unvertretbar gewesen. Die Gerichte des Anlassverfahrens hätten auch unvertretbar verkannt, dass er durch die Entscheidung(en) der Wasserrechtsbehörde „geradezu bewusst“ geschädigt worden sei.

Das Berufungsgericht hätte – insbesondere zur Frage, ob der Kläger schuldhaft gegen seine Rettungspflicht verstoßen habe – seinen Zulassungsausspruch gemäß § 508 Abs 3 ZPO abändern und die Revision nachträglich zulassen müssen. Indem es dies unterließ, „sei die Rechtswidrigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung endgültig wirksam geworden“

Das Erstgericht wies die vorliegende (zweite) Amtshaftungsklage ab.

Die Ausführungen des Berufungsgerichts im Anlassverfahren zu der vom Kläger erhobenen Beweisrüge seien nachvollziehbar. Es sei detailliert ausgeführt worden, warum ihr nicht stattgegeben worden sei. Das Berufungsgericht habe sich im Anlassverfahren auch eingehend mit der Rechtsprechung zur Rettungspflicht auseinandergesetzt. Da die zu erwartenden Folgen der wasserrechtlichen Bewilligung des Kanals (Überflutungen der Grundstücke der Kläger) im wasserrechtlichen Verfahren thematisiert worden seien und der Kläger aufgrund der Verfahrensergebnisse klar erkennen habe können, dass kein Hochwasserschutz für die unterliegenden Objekte (und daher auch nicht für sein Haus) geschaffen werden sollte und es bei diesen daher zu weiteren Überflutungen kommen werde, sei die unterlassene Erhebung von Einwendungen und Rechtsmitteln durch den Kläger rechtlich vertretbar als Verletzung seiner Rettungspflicht beurteilt worden. Das Berufungsgericht habe im Anlassverfahren auch seine vertretbare Rechtsansicht ausführlich dargelegt, dass § 21a WRG ausschließlich öffentliche Interessen und nicht die „privaten“ Interessen des Klägers schütze. Eine vorsätzliche Schadenszufügung durch die Behörde sei nicht ersichtlich gewesen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Dem Argument des Klägers, die vom Erstgericht im Anlassverfahren getroffene und vom Berufungsgericht im dortigen Verfahren mit einer aktenwidrigen Begründung übernommene Feststellung, wonach es durch die Bewilligung und Errichtung des Kanals zu keiner Verschlechterung der Hochwassersituation (im Bereich der Grundstücke des Klägers) gekommen sei, beruhe auf einer willkürlichen Beweiswürdigung, hielt es entgegen, dass der Kläger im Anlassverfahren gar nicht behauptet habe, dass durch den Betrieb der bewilligten Anlage eine „Verschlechterung seiner Grundstücke bei Hochwasserereignissen“ verursacht worden wäre. Darauf sei auch das Berufungsgericht im Anlassverfahren eingegangen. Dass dieses insoweit einen Verstoß gegen das Neuerungsverbot angenommen habe, „halte sich daher im Rahmen der ständigen Rechtsprechung“. Das die Gerichte im Anlassverfahren nicht davon ausgingen, dass durch die Bewilligung (und Errichtung) des Kanals die „Situation“ verschlechtert worden sei, habe nicht an einer „denkunlogischen“ Beweiswürdigung gelegen, sondern daran, dass der Kläger keine solche Prozessbehauptung erhoben habe.

Im Übrigen bestätigte das Berufungsgericht die Rechtsansicht des Erstgerichts, wonach der von den Gerichten des Anlassverfahrens vertretene Standpunkt, der Kläger habe im wasserrechtlichen Verfahren (schuldhaft) gegen seine Rettungspflicht verstoßen, weil er weder Einwendungen gegen das zu bewilligende Projekt, noch Rechtsmittel gegen die wasserrechtliche Bewilligung erhoben habe, rechtlich vertretbar gewesen sei. Es begründete dies im Wesentlichen damit, dass für den Kläger „völlig klar“ gewesen sei, dass der den Gegenstand des wasserrechtlichen Verfahrens bildende Kanal keinen Hochwasserschutz für die unterliegenden Objekte (insbesondere die Grundstücke des Klägers) bezweckt habe, sondern lediglich eine „Kompensation“ für zusätzlich anfallendes Oberflächenwasser. Der Kläger habe gewusst, dass es auch bei Bewilligung des Kanals bei Starkregenereignissen zu Überflutungen seiner Grundstücke kommen könne.

Zur Frage, ob die Organe der Beklagten den Kläger vorsätzlich geschädigt hätten, verwies das Berufungsgericht auf die Ausführungen des Berufungsgerichts im Anlassverfahren, wonach es darauf (aufgrund des Schutzzwecks des § 21a WRG) gar nicht ankomme. Es seien auch keine Anhaltspunkte für eine vorsätzliche Schadenszufügung ersichtlich. Im Übrigen – also insbesondere zur Frage, ob der Kläger aus der Einstellung des Verfahrens nach § 21a WRG Amtshaftungsansprüche ableiten könne – verwies das Berufungsgericht unter Bezugnahme auf § 500a ZPO auf die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts.

Es sprach aus, dass der Wert des zweitinstanzlichen Streitgegenstands insgesamt 30.000 EUR übersteigt und die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil sich keine Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO gestellt hätten.

Die dagegen erhobene außerordentliche Revision des Klägers ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig und mit ihrem Aufhebungsantrag

berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Ein angeblicher Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens (hier die unterlassene Einvernahme eines vom Kläger beantragten Zeugen), der vom Berufungsgericht verneint wurde, kann in der Revision nicht mehr gerügt werden (RS0042963). Dass die Mängelrüge des Klägers mit einer durch die Aktenlage nicht gedeckten Begründung verworfen worden wäre (vgl RS0042963 [T52]), trifft nicht zu.

2.1. Nach § 2 Abs 2 AHG besteht kein Ersatzanspruch, wenn der Geschädigte den Schaden durch Rechtsmittel abwenden hätte können. Demnach ist nur für ein unkorrigierbares Organverhalten Ersatz zu leisten. Der spätere Amtshaftungswerber muss also bereits im Anlassverfahren alle prozessualen Rechtsbehelfe – in einem weiten Sinn – erheben, die dazu dienen, fehlerhafte Entscheidungen zu beseitigen (vgl RS0050097; RS0050080). Das Gesetz überlässt damit zunächst dem Betroffenen selbst die Wahrung seiner Interessen und gewährt Amtshaftungsansprüche nur dort, wo er innerhalb des betreffenden Verfahrens alle Anfechtungsmittel vergeblich ausgeschöpft hat (RS0026901).

2.2. Die Unterlassung eines Rechtsmittels muss aber – sollen dadurch Amtshaftungsansprüche ausgeschlossen werden – schuldhaft erfolgt sein (vgl RS0027200). Dies setzt eine Sorglosigkeit des Amtshaftungsklägers im Umgang mit seinen eigenen Rechtsgütern voraus (RS0027565; RS0027200 [T3]). Dabei kommt es einerseits auf die konkreten Kenntnisse und Fähigkeiten des Geschädigten und andererseits auf die gesamten Begleitumstände seines Verhaltens an (RS0027565 [T3]). Ein Rechtsunkundiger darf sich grundsätzlich auf die richtige Rechtsanwendung durch eine Verwaltungsbehörde verlassen (RS0087633 [T1]).

2.3. Nach den im Anlassverfahren getroffenen Feststellungen wurde in der Verhandlung vor der Wasserrechtsbehörde zwar darauf hingewiesen, dass der zu bewilligende Kanal nur – aufgrund der Erschließung eines neuen Siedlungsgebiets – zusätzlich anfallende Oberflächenwässer „kompensieren“ sollte und nicht als Hochwasserschutz für unterliegende Grundstücke vorgesehen sei. Daraus, dass „lediglich eine Kompensation und kein absoluter Hochwasserschutz“ bezweckt war, musste der Kläger aber nicht darauf schließen, dass es durch die Errichtung des Kanals zu einer Verschlechterung der Hochwassersituation (im Bereich seiner Grundstücke) kommen könnte, zumal auch der wasserbautechnische Amtssachverständige sogar ausführte, dass das Projekt (nur) „eine geringfügige Verbesserung des derzeitigen Zustands darstelle“. Der Kläger durfte – aufgrund der Darlegungen in der wasserrechtlichen Verhandlung – vielmehr davon ausgehen, dass sich die Hochwassersituation hinsichtlich seiner im Bereich des geplanten Kanals befindlichen Grundstücke durch dessen Bewilligung (und Errichtung) zumindest nicht verschlechtern werde. Die Beauftragung eines Sachverständigen mit der (kostspieligen) Prüfung, ob das (Kanal-)Projekt allenfalls – entgegen der Darstellung in der Verhandlung vor der Wasserrechtsbehörde – negative Auswirkungen auf die Grundstücke des Klägers haben könnte, war von ihm keinesfalls zu verlangen. Mangels für den Kläger erkennbarer konkreter Anhaltspunkte für eine mögliche Verschlechterung der Hochwassersituation im Bereich seiner Grundstücke war es – entgegen der Ansicht der Vorinstanzen – rechtlich nicht mehr vertretbar, dass es die Gerichte im Anlassverfahren dem Kläger als Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten anlasteten, dass er im wasserrechtlichen Verfahren keine (ohne vorherige technische Prüfung des Projekts gar nicht sinnvoll möglichen) Einwendungen erhob und er den in diesem Verfahren ergangenen Bewilligungsbescheid unbekämpft ließ.

3.1. Im Anlassverfahren wurde die Abweisung des (ersten) Amtshaftungsanspruchs des Klägers in erster und zweiter Instanz auch damit begründet, dass es an der erforderlichen Kausalität der wasserrechtlichen Bewilligung des Kanals für Schäden des Klägers aufgrund von Überflutungen seiner Grundstücke fehle. Diese Beurteilung wurde auf die (im Anlassverfahren getroffene und vom Berufungsgericht im dortigen Verfahren übernommene) Feststellung gestützt, dass „die bereits vor 1996 bestehende Situation durch die bewilligten Maßnahmen nicht verschlechtert wurde“.

3.2. Im vorliegenden Verfahren vertritt der Kläger – auch noch in seiner Revision – den Standpunkt, dass diese Feststellung zur fehlenden Kausalität der Bewilligung des Kanals für die seitdem aufgetretenen Überschwemmungen seiner Grundstücke auf einer unvertretbar unrichtigen Beweiswürdigung beruht habe, weil dafür keine Beweisergebnisse vorgelegen wären, was aufgrund seiner gesetzmäßig ausgeführten Beweisrüge vom Berufungsgericht im Anlassprozess aufgegriffen werden hätte müssen. Dem kommt Berechtigung zu.

3.3. Aus dem einvernehmlich verlesenen Akt des Anlassverfahrens ergibt sich (vgl RS0121557 [T5, T9]), dass das (dortige) Erstgericht die Feststellung, wonach die bereits vor 1996 bestehende (Überschwemmungs-)„Situation“ durch die mit Bescheid vom 1. 7. 1996 bewilligten „Maßnahmen“ jedenfalls nicht verschlechtert wurde, in seiner Beweiswürdigung nur damit begründet hat, dass das Beweisverfahren keine Anhaltspunkte dafür ergeben habe, dass es zu einer Verschlechterung der vor 1996 bestehenden „Situation“ gekommen sei. Tatsächlich findet die vom Erstgericht im Anlassverfahren getroffene (positive) Feststellung – worauf dieses Gericht in seiner Beweiswürdigung sogar selbst hinwies („wie häufig und in welchem Ausmaß solche Überflutungen [nach 1996] auftraten, kann nicht festgestellt werden, weil dazu keine entsprechend klaren Beweisergebnisse vorliegen“) – keine Grundlage in den (dortigen) Verfahrensergebnissen. Der Feststellung zur fehlenden Kausalität der wasserrechtlichen Bewilligung für eine „Verschlechterung der Überschwemmungssituation“ liegen keine nachvollziehbaren Erwägungen zugrunde. Das im Anlassverfahren angerufene Berufungsgericht ging darauf aber inhaltlich nicht ein, sondern übernahm die genannte Feststellung mit der Begründung, die vom Beklagten angestrebten Ersatzfeststellungen fänden keine ausreichende Grundlage im Beweisverfahren, diese verstießen gegen das Neuerungsverbot bzw stünden in keinem Widerspruch zur bekämpften Feststellung.

3.4. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts im Anlassverfahren behauptete der Kläger dort in erster Instanz jedoch ausreichend erkennbar, dass sich die Überschwemmungssituation durch die Bewilligung und Errichtung des Kanals verschlechtert habe, berief er sich doch auf eine Schadenszufügung durch Überschwemmungen aufgrund der Errichtung eines unterdimensionierten Kanals. Darauf zielten auch die in diesem Verfahren vom Kläger (in seiner Berufung) begehrten Ersatzfeststellungen, wonach „es durch die Erschließung eines neuen Siedlungsgebiets durch den bewilligten (unterdimensionierten) Kanal ab 2008 zu einem ständigen Anstieg der anfallenden (Oberflächen-)Wässer und daraus resultierend zu den nach 1996 eingetretenen Überschwemmungen gekommen sei“ bzw „dass es durch den Betrieb des unterdimensionierten Kanals zu mehrmaligen Hochwässern pro Jahr infolge einer Überlastung des Kanals gekommen sei“, ab. Dies verkennt das Berufungsgericht (im vorliegenden Verfahren), das daher zu Unrecht davon ausging, der vom Berufungsgericht im Anlassverfahren angenommene Verstoß des Klägers (in seiner Beweisrüge) gegen das Neuerungsverbot „halte sich im Rahmen der ständigen Rechtsprechung zu § 482 Abs 1 ZPO“ (sei also rechtlich vertretbar gewesen). Im Kern begehrte der Kläger – als Berufungswerber im Anlassverfahren – ganz unmissverständlich, die (Ersatz-)Feststellung, dass es durch den neuen Kanal zu Überschwemmungen gekommen sei, die bei ausreichender Dimensionierung unterblieben wären. Dass er die (erstmaligen) Auswirkungen des Kanals durch Hinweise auf dessen Belastung (erst) durch die Bautätigkeit im erschlossenen Siedlungsgebiet zeitlich näher einordnete, machte die begehrte Ersatzfeststellung keineswegs zur Gänze zu einer unzulässigen Neuerung.

3.5. Die – vom Berufungsgericht zu Unrecht verneinte – rechtliche Unvertretbarkeit der Unterlassung der inhaltlichen Behandlung der Beweisrüge des Klägers durch das Berufungsgericht im Anlassverfahren kann aber nur dann einen Amtshaftungsanspruch begründen, wenn der dort geltend gemachte Schaden nicht auch bei rechtlich einwandfreiem Organverhalten eingetreten wäre, eine inhaltliche Beurteilung der Beweisrüge also dazu geführt hätte, dass der Klage stattzugeben gewesen wäre. Da zu der im Anlassverfahren bekämpften Feststellung (zur fehlenden Kausalität der wasserrechtlichen Bewilligung) keine Beweisergebnisse vorlagen, hätte eine Übernahme dieser Feststellung durch das Berufungsgericht im Anlassverfahren (bei gebotener inhaltlicher Behandlung der Beweisrüge des Klägers) nicht erfolgen dürfen; vielmehr hätte das Berufungsgericht dem Erstgericht – da der Sachverhalt zur Frage der Ursächlichkeit der Bewilligung und Errichtung des Kanals – schon mangels entsprechender Beweisaufnahmen – noch nicht abschließend geklärt war – eine Verfahrensergänzung auftragen oder diese selbst vornehmen (vgl RS0107620) müssen. Zu welchem Ergebnis eine solche Verfahrensergänzung geführt hätte, kann auf Basis der vorliegenden (im zweiten Amtshaftungsprozess gewonnenen) Verfahrensergebnisse nicht abschließend beurteilt werden. Die – aufgrund der dargestellten Rechtsansicht zu prüfende – Frage des hypothetischen Ausgangs des Anlassverfahrens wurde mit den Parteien auch noch nicht erörtert. Eine Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen ist daher unumgänglich.

4. Zu den weiteren vom Kläger angezogenen Haftungsgründen ist Folgendes anzumerken:

4.1. Soweit der Kläger seinen Amtshaftungsanspruch im Anlassverfahren auch darauf stützte, dass die wasserrechtliche Bewilligung des Kanals nicht gemäß § 21a WRG abgeändert, sondern das nach dieser Bestimmung eingeleitete Verfahren rechtswidrig eingestellt wurde, ist ihm zu entgegnen, dass das Berufungsgericht die Klageabweisung im Anlassverfahren mit der Begründung bestätigt hatte, der Kläger sei nicht vom Schutzzweck dieser Norm, die bloß eine Möglichkeit zur Abänderung wasserrechtlicher Bewilligungen im öffentlichen Interesse vorsehe, erfasst. Es setzte sich mit der Frage des Schutzzwecks des § 21a WRG ausführlich auseinander und wies darauf hin, dass der Kläger die dazu vom Erstgericht vertretene Rechtsansicht gar nicht in Zweifel gezogen habe. Tatsächlich ergibt sich aus dem Akt des Anlassverfahrens (RS0121557 [T5, T9]), dass der Kläger den Rechtsausführungen des Erstgerichts in seiner Berufung nicht entgegen trat, sodass das Berufungsgericht im Anlassverfahren die Abweisung des auf eine behauptete rechtswidrige Einstellung des Verfahrens nach § 21a WRG gestützten Amtshaftungsanspruchs bereits aus diesem Grund rechtlich vertretbar bestätigte. Im Übrigen hält der Kläger der angefochtenen Entscheidung, in der das Berufungsgericht die von den Gerichten im Anlassverfahren vertretene Rechtsansicht zur Frage des Schutzbereichs des § 21a WRG als vertretbar erachtete, auch in seiner Revision keine überzeugenden Argumente entgegen.

4.2. Die Ausführungen des Revisionswerbers zur vorsätzlichen Schädigung des Klägers durch die (Wasserrechts-)Behörde sind schon deshalb nicht zielführend, weil nicht substanziiert dargelegt wird, inwieweit den Entscheidungen im Anlassverfahren, aus denen der hier zu beurteilende Amtshaftungsanspruch abgeleitet wird, dazu eine unvertretbare Rechtsansicht zugrunde gelegt worden sein sollte. Auch auf die Argumente im angefochtenen Berufungsurteil – vor allem darauf, dass anhand der (im Anlassverfahren getroffenen) Feststellungen nicht auf eine vorsätzliche Schadenszufügung geschlossen werden konnte (musste) – geht der Revisionswerber nicht ein.

5. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

Textnummer

E129154

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0010OB00089.20Z.0723.000

Im RIS seit

29.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

15.04.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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