Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gleitsmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Angela Taschek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch Dr. Ralph Vetter und Dr. Andreas Fritsch, Rechtsanwälte in Lustenau, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, vertreten durch Thurnher Wittwer Pfefferkorn & Partner Rechtsanwälte GmbH in Dornbirn, wegen Kostenerstattung, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. Februar 2020, GZ 23 Rs 3/20t-31, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom 29. August 2019, GZ 35 Cgs 304/18z-25, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:
Spruch
I. Der Antrag auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art 267 AEUV wird zurückgewiesen.
II. Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende und die beklagte Partei haben die Kosten des Revisionsverfahrens jeweils selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die 1954 geborene Klägerin hat ihre Wohnadresse in Vorarlberg, hält sich aber in O***** in Deutschland auf, wohin ihr Mann von seinem Arbeitgeber entsendet worden war. Gegenstand des Verfahrens ist der auf die Patientenmobilitäts-RL und auf § 7b SV-EG gestützte Anspruch der Klägerin auf Ersatz der (Gesamt-)Kosten einer im Klinikum O***** in O***** an ihr vorgenommenen operativen Implantation einer Knie-Hemiprothese samt stationärem Aufenthalt. Dieses Klinikum steht in keinem Vertragsverhältnis zur beklagten Partei bzw deren Rechtsvorgängerin (Vorarlberger Gebietskrankenkasse). Eine Vorabgenehmigung der Beklagten liegt nicht vor.
Mit Bescheid vom 4. 12. 2018 bestimmte die Vorarlberger Gebietskrankenkasse den Pflegekostenzuschuss für den stationären Aufenthalt der Klägerin von 8. 3. 2019 bis 18. 3. 2019 im Klinikum O***** mit 2.587,31 EUR (235,21 EUR täglich) und wies – bei Gesamtbehandlungskosten von 6.958,35 EUR – das Mehrbegehren (4.371,04 EUR) ab.
Die Klägerin begehrt 4.371,04 EUR an restlicher Kostenerstattung.
Sie bringt im Wesentlichen vor, sie habe ihren Ehemann nach O***** in Deutschland begleitet. Wegen ihrer zunehmend unerträglichen Schmerzen und der langen Wartezeiten auf einen Operationstermin in den Krankenhäusern Bregenz, Dornbirn und Feldkirch habe sie sich zur Operation im Klinikum O***** in O***** entschlossen. Da die Operation nicht in einem vertretbaren Zeitrahmen in Österreich vorgenommen worden wäre, habe sie auf Grundlage der Patientenmobilitäts-RL 2011/24/EU Anspruch auf vollen Kostenersatz, auch wenn keine Vorabgenehmigung durch die beklagte Partei erfolgt sei. Das in § 7b SV-EG vorgesehene Vorabgenehmigungsverfahren für stationäre Aufenthalte verstoße gegen die Patientenmobilitäts-RL. Die dort geforderten Voraussetzungen für eine Vorabgenehmigung bezögen sich auf eine Gesundheitsversorgung mit Planungsbedarf, die zusätzlich eine Übernachtung des Patienten im Krankenhaus für mindestens eine Nacht erfordere. Die österreichische Regelung zur Umsetzung der Patientenmobilitäts-RL (§ 7b SV-EG) knüpfe hingegen nicht an einen Planungsbedarf an, sondern verlange eine Vorabgenehmigung allein schon bei einer Gesundheitsversorgung mit stationärer Behandlung. Jeder Mitgliedstaat bzw die beklagte Partei habe einen Katalog jener Gesundheitsleistungen zu erstellen, für die ein Vorabgenehmigungsverfahren notwendig sei. Ein solcher Leistungskatalog liege nicht vor, weshalb auch aus diesem Grund das Erfordernis eines Vorabgenehmigungsverfahrens rechtswidrig sei und die vollen Behandlungskosten von der beklagten Partei zu begleichen seien.
Die Beklagte wendete im Wesentlichen ein, eine Kostenerstattung für eine grenzüberschreitende Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen könne im Einklang mit der Patientenmobilitäts-RL zulässigerweise von einer Vorabgenehmigung abhängig gemacht werden, wenn einer der dort genannten Gründe vorliege. Unter anderem rechtfertige das Vorliegen von „Planungsbedarf“ das Erfordernis einer Vorabgenehmigung. Planungsbedarf sei etwa bei stationären Behandlungen gegeben. Wegen der Planung der Bettenkapazitäten und des ständig einsatzfähigen Spezialpersonals sei der Planungsbedarf an der Notwendigkeit zumindest einer Übernachtung im Krankenhaus festgemacht. Bei dem an der Klägerin vorgenommenen Eingriff handle es sich um eine geplante Krankenbehandlung mit stationärem Aufenthalt (und um keinen Notfall), sodass gemäß § 7 Abs 5 SV-EG (mit welcher Regelung die Patientenmobilitäts-RL in das innerstaatliche Recht umgesetzt worden sei) eine Vorabgenehmigung einzuholen gewesen wäre. Eine solche sei nicht vorgelegen und sei auch nicht zu erteilen gewesen, weil die Operation sowohl im österreichischen Strukturplan Gesundheit 2017 als auch im Leistungskatalog der leistungsorientierten Krankenanstaltenfinanzierung enthalten sei und innerhalb eines medizinisch vertretbaren Zeitraums in einer mit der Beklagten in Vertragsbeziehung stehenden Krankenanstalt in Bregenz, Dornbirn oder Feldkirch durchgeführt werden hätte können. Der der Klägerin zustehende pauschale Pflegekostenzuschuss gemäß § 150 ASVG iVm Art 41 der Satzung der Beklagten sei gewährt worden.
Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte (in Wiederholung des Bescheids), der Klägerin 2.587,31 EUR zu erstatten. Das Begehren auf eine höhere Kostenerstattung wies es ab.
Es stellte fest, dass nach verschiedenen Behandlungen bei der Klägerin die Indikation für die Implantation einer Knie-Hemiprothese am rechten Kniegelenk feststand. Die Klägerin informierte die Beklagte Ende Februar 2018 davon, dass sie sich im Klinikum O***** in O***** dieser Operation unterziehen werde und ersuchte um Kostenübernahme nach der Patientenmobilitäts-RL. Sie begründete ihr Ersuchen damit, dass ihr vom Klinikum O***** schon am 8. 3. 2018 ein Operationstermin angeboten worden sei. Da sie in ihrem Haus in Vorarlberg keine Möglichkeit sehe, sich nach der Operation allein fortzubewegen, sei es vorteilhafter für sie, die Operation in O***** vornehmen zu lassen. Die Vorarlberger Gebietskrankenkasse wertete dieses Schreiben als Antrag auf Vorabgenehmigung für eine Kostenerstattung für eine grenzüberschreitende Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen nach Art 8 der Patientenmobilitäts-RL bzw § 7 Abs 4 SV-EG. Mit Schreiben vom 6. 3. 2018 teilte sie der Klägerin mit, dass ihr lediglich ein Pflegekostenzuschuss in Höhe von 235,21 EUR pro Tag des stationären Aufenthalts gewährt werden könne und mit diesem Zuschuss alle Kosten abgegolten seien. Am 9. 3. 2018 ließ die Klägerin im Klinikum O***** in O***** in Deutschland die Implantation der Knie-Hemiprothese an sich vornehmen. Sie befand sich von 8. 3. bis 19. 3. 2018 in stationärer Pflege. Insgesamt wurden vom Klinikum O***** 6.958,35 EUR verrechnet, die von der Klägerin bezahlt wurden. Die Operation erfolgte nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft, das Behandlungsziel wurde erreicht.
Die Operation ist auch in Österreich eine gängige Behandlung nach einer international standardisierten Operationsmethode und wird mit dem gleichen Implantat (Typ Oxford) in Vertragseinrichtungen der Beklagten durchgeführt, etwa in den Landeskrankenhäusern Feldkirch und Bregenz und dem Stadtkrankenhaus Dornbirn. Die Wartezeit betrug im Jahr 2018 im Landeskrankenhaus Feldkirch durchschnittlich sechs Monate und im Landeskrankenhaus Bregenz durchschnittlich etwa drei Monate. Im Jahr 2018 mussten Patienten, die ohne Stützkrücken mobil waren, in Österreich maximal 12 Monate auf diese Operation warten. Bei immobilen Patienten (das sind Patienten, die zum Aufstehen und Gehen zwei Stützkrücken benötigen und starke Schmerzen haben) erfolgt die Operation im Landeskrankenhaus Feldkirch auch sofort. Die anderen Patienten werden während der Wartezeit medikamentös oder infiltrativ behandelt. Bei der Klägerin lag aus medizinisch-fachärztlicher Sicht kein Notfall vor. Hätte sie (wie von ihr ursprünglich beabsichtigt) die Operation von ihrem behandelnden (österreichischen) Orthopäden am Landeskrankenhaus Bregenz vornehmen lassen, hätte sie im Sommer 2018 einen Operationstermin erhalten.
Rechtlich schloss sich das Erstgericht dem Standpunkt der Beklagten an. Der österreichische Gesetzgeber habe die von der Patientenmobilitäts-RL für bestimmte Fälle eröffnete Möglichkeit zur Einführung eines Systems der Vorabgenehmigung in § 7b SV-EG ua für stationäre Behandlungen wahrgenommen. Eine Vorabgenehmigung müsse in jenen Fällen nicht erteilt werden, in denen die gleiche oder eine für den Patienten ebenso wirksame Behandlung rechtzeitig in einer Einrichtung erlangt werden kann, die ein Vertragspartner der Krankenkasse des Versicherten ist. Die an der Klägerin vorgenommene Operation samt stationärem Aufenthalt sei Teil jener Leistungen, die auch nach den inländischen Vorschriften vorgesehen seien. Sie hätte diese Leistungen unter Berücksichtigung ihres damaligen Gesundheitszustands und des voraussichtlichen Krankheitsverlaufs rechtzeitig und ohne unvertretbar lange Wartezeiten in Vertragseinrichtungen der Beklagten erhalten können. Ein medizinischer Notfall sei nicht vorgelegen.
Das Berufungsgericht wies den in der Berufung enthaltenen Antrag auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art 267 AEUV zurück und gab der Berufung der Klägerin nicht Folge.
Die umfassende rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts lässt sich – soweit für das Revisionsverfahren noch relevant – dahin zusammenfassen, dass die Patientenmobilitäts-RL eine Vorabgenehmigung bei Planungsbedarf und mindestens einer Übernachtung im Krankenhaus ausdrücklich zulasse. Was unter Planungsbedarf zu verstehen sei, ergebe sich aus der bisher ergangenen Rechtsprechung des EuGH, die in die Patientenmobilitäts-RL Eingang gefunden habe. Im Bereich der Krankenversicherung sei die Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs gerechtfertigt, wenn eine erhebliche Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Gesundheitssystems zu befürchten und die Beschränkungen zur Aufrechterhaltung einer ausgewogenen Versorgungsstruktur und zur Sicherung und Kontrolle der Qualität ärztlicher Leistungen sowie zur Versorgungsplanung nötig sei. Dass die Zahl der Krankenanstalten, ihre geographische Verteilung, ihr Ausbau und die Einrichtungen, über die sie verfügen, oder auch die Art der medizinischen Leistungen, die sie anbieten können, planbar sein müsse, sei allgemein bekannt. Das in § 7b SV-EG vorgesehene (österreichische) System der Vorabgenehmigung entspreche diesen Vorgaben und den vom EuGH bereits als unbedenklich eingestuften Systemen von Vorabgenehmigungen in anderen Mitgliedstaaten (etwa in den Niederlanden, im Vereinigten Königreich und in Frankreich). Der Zeitraum von drei Monaten, in dem eine entsprechende Behandlung im Inland in einer Vertragseinrichtung der Beklagten erbracht werden hätte können, sei nach den gegebenen Umständen medizinisch vertretbar. Ein Notfall iSd Patientenmobilitäts-RL sei aus medizinisch-fachärztlicher Sicht nicht vorgelegen. Eine Richtlinienwidrigkeit lasse sich auch aus dem behaupteten Fehlen eines Leistungskatalogs der vorabgenehmigungspflichtigen Gesundheitsleistungen nicht ableiten. Die Veröffentlichung der von einer Vorabgenehmigung abhängigen Auslandskrankenbehandlungen sei in den §§ 149, 150 ASVG iVm § 41 der Satzung der Beklagten im Zusammenhang mit dem Österreichischen Strukturplan Gesundheit 2017 und dem Leistungskatalog der leistungsorientierten Krankenanstaltenfinanzierung gewährleistet.
Dem Antrag auf Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH zur Frage, ob Art 7b SV-EG der Patientenmobilitäts-RL entspreche, sei nicht nachzukommen. Auch nach § 150 ASVG bestehe kein Anspruch auf vollständigen Kostenersatz, weil die ausländische Anstaltsbehandlung nicht konkret notwendig gewesen sei.
Das Berufungsgericht ließ die Revision unter Hinweis darauf nicht zu, dass es sich an der einheitlichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs und des EuGH habe orientieren können.
Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin, mit der sie die Stattgebung des Klagebegehrens anstrebt.
In der ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte die Zurück-, hilfsweise die Abweisung der Revision.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil bisher noch keine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu § 7b SV-EG ergangen ist. Die Revision ist aber nicht berechtigt.
Die Revisionswerberin hält an ihrem Standpunkt fest, dass das in § 7b SV-EG vorgesehene Erfordernis einer Vorabgenehmigung im gegenständlichen Fall richtlinienwidrig sei, weshalb die Beklagte die Behandlungskosten in voller Höhe zu begleichen habe. Nach dem Wortlaut der Patientenmobilitäts-RL sei die stationäre Aufnahme nur eine von mehreren kumulativ notwendigen Voraussetzungen. Das in § 7b Abs 4 Z 1 SV-EG vorgesehene Kriterium der stationären Behandlung als alleinigem Auslöser des Vorabgenehmigungsverfahrens verstoße daher gegen die Patientenmobilitäts-RL, stelle eine Behinderung der Freizügigkeit dar und führe zu einer willkürlichen Diskriminierung. Zudem bestehe in Österreich kein Katalog jener Gesundheitsleistungen, für die ein Vorabgenehmigungsverfahren notwendig sei und der den Voraussetzungen des Art 8 Abs 7 der Patientenmobilitäts-RL entspreche.
Dazu ist auszuführen:
I. Zum Antrag auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens
Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs hat eine Prozesspartei keinen verfahrensrechtlichen Anspruch, die Einholung einer
Vorabentscheidung des EuGH zu beantragen. Ein solcher
Antrag ist zurückzuweisen (RS0058452). Selbst wenn der Antrag als bloße Anregung gedeutet würde, beim EuGH ein Vorabentscheidungsersuchen zur Auslegung der Patientenmobilitäts-RL bzw zur Frage einzuleiten, ob § 7b SV-EG richtlinienwidrig sei, ist dieser Anregung nicht nachzukommen, weil – wie noch darzulegen ist – keine unionsrechtlichen Bedenken bestehen (siehe unten Pkt II., 4.).
II. Zur Entscheidung in der Sache
1. Die Richtlinie 2011/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. 3. 2011 über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung (im Folgenden „Patientenmobilitäts-RL“) basiert auf der Dienstleistungsfreiheit (Art 56 AEUV) und kodifiziert im Wesentlichen die davor ergangene Rechtsprechung des EuGH zur Finanzierung von geplanten medizinischen Leistungen in anderen Mitgliedstaaten. Der vor Erlassung der Patientenmobilitäts-RL ergangenen Rechtsprechung kommt daher maßgebliche Bedeutung für die Auslegung des Inhalts der Richtlinie zu (Felten, Jahrbuch Europarecht 2012, 279 [281]; Bieback in Fuchs, Europäisches Sozialrecht7 Teil 4: Vorbem RL 2011/24/EU – Patientenrichtlinie, Rz 18; Prinzinger, Grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung in Hinblick auf das primäre und sekundäre Unionsrecht – Umsetzung der Patientenmobilitäts-RL in nationales Recht, DRdA 2016, 19 [21 f]).
2. Die Patientenmobilitäts-RL beschränkt sich nicht nur auf grenzüberschreitende Fälle elektiver Behandlungen, sondern erfasst auch Fälle, in denen sich die Behandlungsnotwendigkeit erst während eines vorübergehenden bzw kurzfristigen Aufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat ergibt (ErläutRV 33 BlgNR 25. GP 6; Brunner/Wieninger, Die Interaktion zwischen den EU-Koordinierungsverordnungen und der nationalen Umsetzung der EU-Patientenmobilitätsrichtlinie im Bereich der Erstattungsverfahren, SozSi 2014, 520 [522]; Bieback in Fuchs, Europäisches Sozialrecht7, Teil 2: Vorbem Art 17 ff Rn 51). Dass die Klägerin in Vorarlberg ansässig ist und sie sich im Hinblick auf die arbeitsrechtliche Entsendung ihres Ehemanns nur vorübergehend in O***** aufhält, wird von der Beklagten nicht in Frage gestellt.
3. Zur Umsetzung der Patientenmobilitäts-RL in Österreich
In Österreich wurde die Patientenmobilitäts-RL innerstaatlich mit dem EU-Patientenmobilitätsgesetz BGBl I 2014/32 (EU-PMG) umgesetzt, das seit 24. 4. 2014 in Kraft ist (Brunner/Wieninger, SozSi 2014, 520). Ein Regelungsschwerpunkt liegt in den Vorabgenehmigungsregelungen und der damit zusammenhängenden Kostenerstattung in § 7b SV-EG.
4. Zur angeblichen Richtlinienwidrigkeit des § 7b SV-EG
Die behauptete Unionsrechtswidrigkeit des § 7b Abs 4, insbesondere die Richtlinienwidrigkeit ist zu verneinen.
4.1 Nach Art 7 Abs 1 der Patientenmobilitäts-RL hat der Versicherungsmitgliedstaat vorbehaltlich des Art 8 sicherzustellen, dass die Kosten, die einem Versicherten im Zusammenhang mit grenzüberschreitender Gesundheitsversorgung entstanden sind, erstattet werden, sofern die betreffende Gesundheitsdienstleistung zu den Leistungen gehört, auf die der Versicherte im Versicherungsmitgliedstaat Anspruch hat.
4.2 Nach Art 8 Abs 1 der Patientenmobilitäts-RL kann der Versicherungsmitgliedstaat ein System der Vorabgenehmigung einführen. Dieses muss aber im Hinblick auf das zu erreichende Ziel auf das notwendige und angemessene Ausmaß beschränkt bleiben und darf kein Mittel willkürlicher Diskriminierung und keine ungerechtfertigte Behinderung der Freizügigkeit eines Patienten darstellen.
4.3 Art 8 Abs 2 der Patientenmobilitäts-RL beschränkt eine Gesundheitsversorgung, die von einer Vorabgenehmigung abhängig gemacht werden kann, ua auf die Fälle von Gesundheitsversorgung:
„a) die vom Planungsbedarf im Zusammenhang mit dem Ziel, einen ausreichenden, ständigen Zugang zu einem ausgewogenen Angebot hochwertiger Versorgung im betreffenden Mitgliedstaat sicherzustellen, oder im Zusammenhang mit dem Wunsch, die Kosten zu begrenzen und nach Möglichkeit jede Verschwendung finanzieller, technischer oder personeller Ressourcen zu vermeiden, abhängig gemacht werden und
i) eine Übernachtung des Patienten im Krankenhaus für mindestens eine Nacht erfordern oder
ii) den Einsatz einer hoch spezialisierten und kostenintensiven medizinischen Infrastruktur oder medizinischen Ausrüstung erfordern; ...“
Eine Genehmigung für geplante Behandlungen in einem anderen Mitgliedstaat stellt im System der RL 2011/24/EU somit eine Ausnahme dar (Pöltl in Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht II Anlage 1 SV-EG [81. Lfg], § 7b Rz 3 und 19).
4.4 Art 8 Abs 2 lit a sublit i der Richtlinie wird in § 7b Abs 4 SV-EG umgesetzt (§ 7b Abs 1 SV-EG; ErläutRV 33 BlgNR 25. GP 6).
Diese Bestimmung eröffnet für die Inanspruchnahme bestimmter, im Folgenden aufgezählter Behandlungen im Ausland „einen Anspruch auf besondere Kostenerstattung im Ausmaß des Abs. 6, sofern der zuständige österreichische Krankenversicherungsträger der anspruchsberechtigten Person eine Vorabgenehmigung erteilt hat:
1. stationäre Behandlungen;
2. ambulante Behandlungen (spitalsambulanter und niedergelassener Bereich), die den Einsatz höchst spezialisierter und kostenintensiver medizinischer Infrastruktur oder medizinischer Ausrüstung erfordern; …“
4.5 Die Klägerin sieht die Richtlinienwidrigkeit des § 7b Abs 4 SV-EG darin, dass der in Art 8 Abs 2 lit a der Patientenmobilitäts-RL enthaltene Hinweis auf den Planungsbedarf nicht wiederholt wird.
Wie bereits das Berufungsgericht dargelegt hat, ist eine aus diesem Grund gegebene Richtlinienwidrigkeit nicht zu erkennen:
Der Umstand, dass in § 7b Abs 4 SV-EG der Hinweis auf den Planungsbedarf nicht wiederholt wird, ist offenkundig darauf zurückzuführen, dass der Gesetzgeber im Hinblick auf die Rechtsprechung des EuGH den Planungsbedarf bei stationären Behandlungen auch für das österreichische Gesundheitssystem als gegeben annimmt und voraussetzt. Wie in den Gesetzesmaterialien ausgeführt wird, ist für eine Kostenerstattung nach der Patientenmobilitäts-RL vor Inanspruchnahme einer grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung dann eine Vorabgenehmigung durch den zuständigen österreichischen Krankenversicherungsträger einzuholen, wenn die Zurverfügungstellung der Leistung einen größeren Planungsbedarf im österreichischen Gesundheitssystem bedingt (Art 4 Abs 1 Z 1 und 2). Hintergrund dieser – aus Sicht des österreichischen Gesetzgebers unionsrechtlich erlaubten – Beschränkung ist, „dass solche mit hohem Planungs- und Kostenaufwand im Zusammenhang stehende Leistungen bei einer unkontrollierten Inanspruchnahme im Ausland im Inland ernstlich gefährdet sein könnten, da eine Einbeziehung der durch die Patientenmobilität in anderen Mitgliedstaaten nachgefragten Leistungen in die nationale Planung wohl kaum möglich ist. In sensiblen Bereichen der nationalen Gesundheitspolitik brächte dieser Umstand unweigerlich die Gefahr einer Unter- oder Überversorgung durch das nationale Gesundheitssystem mit sich“ (ErläutRV 33 BlgNR 25. GP 6).
4.6 Dieser Intention entspricht die bereits vom Berufungsgericht wiedergegebene Rechtsprechung des EuGH aus der Zeit vor Inkrafttreten der Patientenmobilitäts-RL. Nach dieser Rechtsprechung steht das Primärrecht einem System der Vorabgenehmigung bei stationären Behandlungen grundsätzlich nicht entgegen. Ein solches System ist mit der Notwendigkeit zu rechtfertigen, im Inland ein ausreichendes, ausgewogenes und ständiges Angebot an Krankenhausversorgung aufrechtzuerhalten und die finanzielle Stabilität des Systems der Krankenversicherung zu gewährleisten (EuGH C-177/99, Smits und Peerbooms, Rz 76; EuGH C-385/99, Müller-Fauré und van Riet, Rz 76 – 81; EuGH C-372/04, Watts, Rz 103, 107 ff; EuGH C-512/08, Kommission/Frankreich, Rz 33).
4.7 Der österreichische Gesetzgeber hat im Rahmen der Umsetzung der Richtlinie für den Bereich der stationären Behandlung nachvollziehbar auf die Gefahr einer Unter- oder Überversorgung im nationalen Gesundheitssystem und die damit verbundene Gefahr einer unverhältnismäßigen Beeinträchtigung der Gesundheitsversorgung in diesem Bereich im Fall freier grenzüberschreitender Leistungsbeanspruchung hingewiesen. Nach der Rechtsprechung des EuGH reicht schon die Möglichkeit der Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des nationalen Gesundheitssystems und seiner Versorgungssicherheit aus, um die Beschränkung zu rechtfertigen (EuGH C-512/08, Kommission/Frankreich, Rz 41).
4.8 Eine Richtlinienwidrigkeit des § 7b SV-EG aus dem von der Revisionswerberin genannten Grund ist daher zu verneinen.
5. Zum Argument des Fehlens eines Leistungskatalogs für die Genehmigungspflicht
Auch dem weiteren Argument, die Voraussetzungen des Art 8 Abs 7 der Patientenmobilitäts-RL wären nicht erfüllt, weil kein Leistungskatalog vorhanden sei, in dem die Implantation einer Knie-Hemiprothese ausdrücklich als genehmigungspflichtig genannt werde, ist nicht zu folgen:
5.1 Gemäß Art 8 Abs 7 der Patientenmobilitäts-RL macht der Versicherungsstaat öffentlich zugänglich, welche Gesundheitsdienstleistungen einer Vorabgenehmigung unterliegen. § 7b Abs 4 Z 1 bis 4 SV-EG zählt als diese Leistungen neben den stationären Behandlungen (Z 1) ambulante Behandlungen auf, die den Einsatz hoch spezialisierter und kostenintensiver medizinischer Infrastruktur oder medizinischer Ausrüstung erfordern (Z 2). Weiters sind Behandlungen genannt, die mit einem besonderen Risiko für die Patientin oder den Patienten oder die Bevölkerung verbunden sind (Z 3), sowie Behandlungen, die von Gesundheitsdienstleisterinnen oder Gesundheitsdienstleistern erbracht werden, die im Einzelfall zu ernsthaften und spezifischen Bedenken hinsichtlich der Qualität oder Sicherheit der Versorgung Anlass geben könnten (Z 4).
5.2 Die Klägerin hält die Umschreibung dieses Leistungskatalogs offenbar für unzureichend determiniert. Allerdings reicht es aus, dass der Katalog des nationalen Rechts in allgemeiner Form die Kategorien oder Typen der Behandlung oder der Behandlungsmethoden beschreibt (Bieback in Fuchs, Europäisches Sozialrecht7 Teil 4: RL 2011/24/EU – Patientenrichtlinie, Vor Art 1 Rz 27).
5.3 Für die von der Klägerin geplante Gesundheitsdienstleistung ist § 7b Abs 4 Z 1 SV-EG maßgeblich. Daraus ergibt sich in eindeutiger Weise das Erfordernis einer Vorabgenehmigung für stationäre Behandlungen, darunter auch für die unstrittig mit einer stationären Aufnahme verbundene Implantation einer Knie-Hemiprothese.
Auf das Revisionsvorbringen, andere medizinische Behandlungen (als jene, wie sie von der Klägerin in Anspruch genommen wurden) würden von Ärzten teilweise ambulant und teilweise stationär erbracht, muss daher nicht eingegangen werden.
6. Zum behaupteten rechtlichen Feststellungsmangel betreffend den Zeithorizont der Behandlung in Österreich
Die geltend gemachte (sekundäre) Mangelhaftigkeit des Verfahrens im Sinne von rechtlichen Feststellungsmängeln liegt nicht vor. Dass die Klägerin von ihrem behandelnden Facharzt am Landeskrankenhaus Bregenz einen Operationstermin erst für den Sommer 2018 in Aussicht gestellt bekam, steht ohnedies fest. Die gewünschte Feststellung, in den Vorarlberger Krankenhäusern habe ein Zeithorizont von 12 Monaten für die Operation bestanden, steht nicht nur im Widerspruch zu der Feststellung, nach der Patienten, die ohne Stützkrücken mobil waren, in Österreich maximal eine 12-monatige Wartezeit in Kauf nehmen mussten, sondern auch zu dieser Frage weiters getroffenen Feststellungen. Wenn letztlich noch das Fehlen der Feststellung moniert wird, die Operation sei eine „Standardoperation“, für die keine hochspezialisierte kostenintensive Infrastruktur erforderlich sei, werden offensichtlich die in § 7b Abs 4 Z 2 SV-EG geregelten Voraussetzungen angesprochen, die aber nicht für stationäre, sondern für ambulante Behandlungen gelten.
7. Zur Höhe der zu erstattenden Kosten:
7.1 Der „besondere Kostenerstattungsanspruch“ nach § 7b Abs 6 SV-EG gewährt bei der Inanspruchnahme von Leistungen gemäß Abs 4 einen Anspruch auf Erstattung jener Kosten, die der zuständige österreichische Sozialversicherungsträger bei einer entsprechenden Behandlung in Österreich mittels Europäischer Krankenversicherungskarte im Rahmen der Verordnung dem zuständigen ausländischen Träger in Rechnung gestellt hätte. In jenen Fällen, in denen eine Vorabgenehmigung für eine stationäre Behandlung erteilt wurde, besteht daher Anspruch auf Kostenerstattung in Höhe der Sätze der leistungsorientierten Krankenanstaltenfinanzierung (LKF-Sätze) einschließlich einer allfälligen Betriebsabgangskomponente, so wie bei einer entsprechenden Behandlung eines ausländischen Versicherten in Österreich (ErläutRV 33 BlgNR 25. GP 8).
7.2 War aber – wie im vorliegenden Fall – die Genehmigung nicht zu erteilen, besteht – über die Verpflichtungen der Patientenmobilitäts-RL hinausgehend – weiterhin Anspruch auf Erstattung in Höhe des Pflegekostenzuschusses nach § 150 ASVG (Stöger in Mosler/Müller/Pfeil, SV-Komm [218. Lfg] § 150 ASVG Rz 20).
7.3 Wie der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat, besteht grundsätzlich kein Anspruch auf Ersatz der tatsächlichen Kosten einer medizinisch gleichwertigen, allenfalls auch aufwändigeren Krankenbehandlung im Ausland, solange der Krankenversicherungsträger im Inland eine zweckmäßige und ausreichende Krankenbehandlung zur Verfügung stellt und dadurch seiner Verpflichtung zur Sachleistungsvorsorge entsprochen hat. Es ist der Versichertengemeinschaft nicht zumutbar, die wesentlich höheren Kosten einer Behandlung im Ausland zu übernehmen, wenn eine solche Behandlung auch im Inland erfolgen könnte (RS0106772). Die von der Klägerin genannten subjektiven Gründe, aus denen sie trotz des vorhandenen (zweckmäßigen und ausreichenden) Behandlungsangebots im Inland eine Behandlung im Klinikum O***** in Deutschland in Anspruch genommen hat, müssen unberücksichtigt bleiben. Allein maßgeblich ist, ob die zur Behandlung der Krankheit erforderliche Behandlung in zumutbarer Weise in Österreich durchgeführt werden kann.
8. Der Revision der Klägerin ist daher nicht Folge zu geben.
9. Kostenentscheidung
Berücksichtigungswürdige Einkommens- und Vermögensverhältnisse, die trotz vollständigem Unterliegen des Versicherten einen ausnahmsweisen Kostenersatzanspruch nach Billigkeit gemäß § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG rechtfertigen könnten, wurden nicht dargelegt. Der Versicherungsträger hat die Kosten seiner Revisionsbeantwortung selbst zu tragen (§ 77 Abs 1 Z 1 ASGG).
Textnummer
E129185European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:010OBS00043.20A.0728.000Im RIS seit
01.10.2020Zuletzt aktualisiert am
04.08.2021