Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §58 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des Ing. K in K, vertreten durch Dr. Ernst Maiditsch, Rechtsanwalt in Klagenfurt, Priesterhausgasse 8, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Kärnten vom 27. Mai 1997, Zl. 8B-KFE-66/1/1997, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen A, B und F gemäß § 74 Abs. 1 in Verbindung mit § 73 Abs. 3 KFG 1967 vorübergehend für die Dauer von zwei Wochen (ab Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides der Bundespolizeidirektion Klagenfurt vom 5. März 1997, d.i. ab 7. März 1997) entzogen.
In seiner an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend und beantragt dessen kostenpflichtige Aufhebung. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Grund für die bekämpfte Entziehungsmaßnahme war, daß die Behörden des Entziehungsverfahrens als erwiesen annahmen, daß der Beschwerdeführer am 30. September 1996 auf einer näher bezeichneten Straßenstelle im Freiland als Lenker eines Pkws die mit 70 km/h beschränkte Höchstgeschwindigkeit um 53 km/h überschritten habe. Mit rechtskräftigem Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Klagenfurt vom 24. Februar 1997 wurde er deswegen einer Übertretung nach § 52a Z. 10a StVO 1960 für schuldig erkannt. Er sei daher im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. i KFG 1967 als verkehrsunzuverlässig unzusehen. Ihm sei die Lenkerberechtigung gemäß § 73 Abs. 3 dritter Satz KFG 1967 für die Dauer von zwei Wochen vorübergehend zu entziehen.
Gemäß § 66 Abs. 2 lit. i KFG 1967 gilt als bestimmte, die Verkehrsunzuverlässigkeit der betreffenden Person nach sich ziehende Tatsache, wenn jemand außerhalb des Ortsgebiets die jeweils zulässige Höchstgeschwindigkeit um mehr als 50 km/h überschritten hat und die Überschreitung mit einem technischen Hilfsmittel festgestellt wurde. Gemäß § 73 Abs. 3 zweiter Satz ist bei der erstmaligen Begehung einer Übertretung im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. i, sofern die Übertretung nicht unter besonders gefährlichen Verhältnissen oder mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern begangen worden ist, die Zeit, für welche keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden darf (§ 73 Abs. 2), mit zwei Wochen festzusetzen; eine Entziehung der Lenkerberechtigung auf Grund des § 66 Abs. 2 lit. i darf erst ausgesprochen werden, wenn das Strafverfahren wegen der Geschwindigkeitsübertretung in der ersten Instanz durch Strafbescheid abgeschlossen ist.
Der Beschwerdeführer rügt, die belangte Behörde habe ihm zur Frage des Ausmaßes der Geschwindigkeitsüberschreitung kein Parteiengehör gewährt und keine eigenen Feststellungen getroffen. Sie habe sich lediglich auf das rechtskräftige Straferkenntnis vom 24. Februar 1997 gestützt, welches ohne vorangegangenes Ermittlungsverfahren ergangen sei. An das - in dessen Spruch mit 53 km/h angegebene - Ausmaß der Geschwindigkeitsüberschreitung seien die Entziehungsbehörden nicht gebunden.
In dem Spruch des in Rede stehenden Straferkenntnisses heißt es, der Beschwerdeführer habe die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h "unter Berücksichtigung der Verkehrsfehlergrenze um 53 km/h überschritten (Radarmessung)". Der erstinstanzliche Entziehungsbescheid erging ohne weiteres Ermittlungsverfahren, da die Erstbehörde auf Grund des - infolge Rechtsmittelverzichts - rechtskräftigen Straferkenntnisses davon ausging, daß "der maßgebende Sachverhalt von vornherein klar gegeben ist"; es habe daher "in Anwendung des § 56 Abs. 1 AVG ein förmliches Ermittlungsverfahren, insbesondere das Parteiengehör entfallen" können. (Bemerkt sei, daß dieser Bescheid die Rechtsmittelbelehrung enthält, es sei gegen ihn das Rechtsmittel der Vorstellung zulässig. Diese Rechtsmittelbelehrung ist jedoch unzutreffend, weil es sich bei dem Bescheid vom 5. März 1997 nicht um einen Mandatsbescheid handelt: Er weist weder eine Zitierung des § 57 AVG auf, noch ließe sich mit dieser Qualifikation der Spruchteil, einer Berufung werde gemäß § 64 Abs. 2 AVG die aufschiebende Wirkung aberkannt, vereinbaren. Der Beschwerdeführer hat sein dagegen erhobenes Rechtsmittel auch zutreffend als Berufung bezeichnet und die Berufungsanträge an die belangte Behörde gerichtet).
In der zuletzt erwähnten Berufung bestreitet der Beschwerdeführer ausdrücklich die Annahme der belangten Behörde, seine Fahrgeschwindigkeit habe 123 km/h betragen. Er führte in diesem Zusammenhang u.a. aus, mit seinem Rechtsmittelverzicht in Ansehung des Straferkenntnisses vom 24. Februar 1997 habe er lediglich eine Geschwindigkeitsüberschreitung, nicht aber deren Ausmaß zugegeben. Wäre er über die Konsequenzen aufgeklärt worden, die die belangte Behörde an das rechtskräftige Straferkenntnis knüpft, hätte er bereits im Verwaltungsstrafverfahren alle Rechtsmittel ausgeschöpft, um das von der Behörde angenommene Ausmaß der Überschreitung zu bekämpfen.
Die belangte Behörde vertritt im angefochtenen Bescheid den Standpunkt, auch bei Zutreffen der Einwände des Beschwerdeführers hätte sie keine Veranlassung gefunden, bezüglich des Ausmaßes der Geschwindigkeitsüberschreitung weitere Ermittlungen anzustellen. Die Tatsache, daß die Geschwindigkeitsüberschreitung mit einem Radargerät gemessen wurde, erweise sich als Beweismittel von einem derartigen objektiven Gewicht, daß sie auch durch subjektive Aussagen des Lenkers nicht widerlegt werden könnte. Insbesondere die vom Beschwerdeführer geltend gemachte Meßtoleranz könne hier nicht mit Erfolg eingewendet werden. Das Straferkenntnis vom 24. Februar 1997 enthalte ausdrücklich die Wendung "unter Berücksichtigung der Verkehrsfehlergrenze". Dies bedeute, daß bei der Fällung des Straferkenntnisses bereits die etwa 3 %-ige Verkehrsfehlergrenze (bei Meßwerten über 100 km/h +/- 3 % des Meßwertes) abgezogen wurde, deshalb müsse insgesamt davon ausgegangen werden, daß der Beschwerdeführer nicht mit der angegebenen Geschwindigkeit von insgesamt 123 km/h, sondern mit einer um etwa 3,6 km/h höheren Geschwindigkeit gefahren sei. Die Verkehrsfehlergrenze werde im behördlichen Verfahren von vornherein durch entsprechenden Abzug berücksichtigt und könne daher nicht mehr zugunsten des betreffenden Lenkers eingewendet werden.
Auszugehen ist davon, daß - was bei den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens im übrigen ohnehin unbestritten ist - eine Bindung der Entziehungsbehörde an das im Spruch des Strafbescheides wiedergegebene Ausmaß der Geschwindigkeitsüberschreitung nicht besteht. Es kann nun dahinstehen, ob die Berücksichtigung einer "Verkehrsfehlergrenze" in der Höhe von +/- 3 % bei der gemessenen Geschwindigkeit ausreicht, wie dies erstmals in der Begründung des angefochtenen Bescheides ausgeführt wird (wozu kommt, daß nicht ohne weiteres nachvollziehbar ist, wieso der Beschwerdeführer deswegen "mit einer um etwa 3,6 km/h höheren Geschwindigkeit gefahren sei"). Die Verwertbarkeit einer Geschwindigkeitsmessung mit einem Radargerät hängt auch von anderen Faktoren ab, wie etwa vom Standort des Gerätes, der allgemeinen Verkehrssituation und der Beschaffenheit des Gerätes. Dazu fehlt es an jeglichen Feststellungen. Im konkreten Fall gibt es nicht einmal Feststellungen darüber, welche Fahrgeschwindigkeit des Beschwerdeführers vom Gerät tatsächlich angezeigt wurde; aus dem vorgelegten Verwaltungsakt ergibt sich der Inhalt der Anzeige der Straßenaufsichtsorgane, die das Radargerät bedient haben, nicht. Die Annahme, der Beschwerdeführer sei in Wahrheit 126,6 km/h gefahren, stellt sich für den Verwaltungsgerichtshof als bloße Mutmaßung dar.
Wenn auch Geschwindigkeitsmessungen mit Radargeräten oder "Laserpistolen" erheblich genauere Ergebnisse versprechen als Schätzungen der Geschwindigkeit von einem anderen in Bewegung befindlichen Fahrzeug aus unter Ablesen dessen Tachometers, so muß jedenfalls in Grenzbereichen, in denen es sich um ganz geringfügige Überschreitungen der im § 66 Abs. 2 lit. i KFG 1967 genannten Fahrgeschwindigkeiten handelt, ausführlich und nachvollziehbar begründet werden, daß es sich um eine derartige Überschreitung handelt.
Die belangte Behörde hat diese Sorgfalt bei Erlassung des angefochtenen Bescheides zum Nachteil des Beschwerdeführers vermissen lassen. Dies hat zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften zu führen.
Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
Feststellen der GeschwindigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1997110170.X00Im RIS seit
12.06.2001