TE Lvwg Erkenntnis 2020/7/27 LVwG-AV-701/001-2020

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Veröffentlicht am 27.07.2020
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Entscheidungsdatum

27.07.2020

Norm

KanalG NÖ 1977 §2
KanalG NÖ 1977 §9
KanalG NÖ 1977 §12 Abs1
KanalG NÖ 1977 §17
BauO NÖ 2014 §45
BAO §207

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erkennt durch den Richter Hofrat Mag. Hubmayr über die Beschwerde des Herrn A, ***, ***, vertreten durch B, Rechtsanwalt in ***, vom 28. November 2019 gegen den Bescheid des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde *** vom 5. November 2019, Zl: ***, mit welchem einer Berufung gegen einen Abgabenbescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde *** vom 29. Oktober 2018, Zl.: ***, betreffend die Vorschreibung einer Kanaleinmündungsabgabe für den Anschluss der Liegenschaft *** an den öffentlichen Schmutzwasserkanal, keine Folge gegeben wurde, zu Recht:

1.   Der angefochtene Bescheid des Gemeindevorstandes wird dahingehend abgeändert, dass der Abgabenbescheid des Bürgermeisters vom 29. Oktober 2018, Zl.: ***, aufgehoben wird.

2.   Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision nicht zulässig.

Rechtsgrundlagen:

§ 279 Bundesabgabenordnung – BAO

§ 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 – VwGG

Entscheidungsgründe:

1.   Sachverhalt und Verfahrensgang:

Die verfahrensgegenständliche Liegenschaft in ***, ***, bestehend aus dem Grundstück Nr. ***, EZ. ***, KG ***, befindet sich im alleinigen bücherlichen Eigentum von Herrn A (in der Folge: Beschwerdeführer).

Mit Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde *** vom 10. November 1977, AZ. ***, wurde dem damaligen Liegenschaftseigentümer die baubehördliche Bewilligung zur Errichtung eines Wohnhauses erteilt. Entsprechend der bewilligten Baubeschreibung des Bauvorhabens wurde die Einleitung der Fäkalien in eine neu zu errichtende Senkgrube aufgetragen.

Auf der Liegenschaft wurde aufgrund dieser Baubewilligung ein Rohbau errichtet und – zu einem unbekannten Zeitpunkt – an den öffentlichen Schmutzwasserkanal der Marktgemeinde *** angeschlossen. Die Bauausführungsfrist wurde von der Baubehörde mehrmals verlängert. Nach dem Eigentümerwechsel legte der Beschwerdeführer der Baubehörde am 17. Juni 2015 eine Fertigstellungsmeldung über die Bauvollendung des Wohnhauses vor.

Mit Abgabenbescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde *** vom 29. Oktober 2018, Zl.: ***, wurde für den Anschluss dieser Liegenschaft an den öffentlichen Schmutzwasserkanal dem Beschwerdeführer eine Kanaleinmündungsabgabe im Betrag von € 3.105,00 (zuzüglich USt.) vorgeschrieben. Der Vorschreibung wurden ein Einheitssatz von € 15,00 sowie eine Berechnungsfläche von 207 m² (Wohngebäude mit 132 m² bebauter Fläche, ein angeschlossenes Geschoß, 75 m² Anteil der unbebauten Fläche) zu Grunde gelegt.

Mit Schreiben vom 28. November 2018 erhob Herr A dagegen fristgerecht das ordentliche Rechtsmittel der Berufung. In der Berufung wurde vorgebracht, dass zum Zeitpunkt der Baubewilligung 1977 ein Kanal in der Neubaugasse nicht vorhanden gewesen sei, was sich auch aus der Baubeschreibung ergebe, wonach Fäkalien in eine neu zu errichtende Senkgrube einzuleiten wären. Der Kanal der Gemeinde sei erst nach Erteilung der Baubewilligung hergestellt worden. Dokumentiert sei, dass im Jahr 2010 im nahezu fertiggestellten Rohbau Installationen im Gebäude und Anschlüsse an den Kanal längst vorhanden gewesen seien. Spätestens 2015 sei die 5-jährige Verjährungsfrist zur Festsetzung der Kanaleinmündungsabgabe daher abgelaufen. Die Aufhebung des Abgabenbescheides vom 29. Oktober 2018, Zl.: ***, wurde beantragt.

Mit dem nunmehr angefochtenen Berufungsbescheid des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde *** vom 5. November 2019, Zl: ***, wurde der Berufung keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Abgabenbescheid bestätigt.

Die Liegenschaft sei im Jahr 1974 von der Gemeinde verkauft worden. Infolge einer vertraglichen Bauverpflichtung habe der damalige Eigentümer eine Baubewilligung zur Errichtung eines Wohnhauses beantragt, welche ihm mit Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde *** vom 10. November 1977, AZ. ***, erteilt worden sei. Der bewilligte Neubau des Wohnhauses sei in der Folge nie vollendet worden, unter anderem weil die wesentlichen Installationen insbesondere auch für die Entsorgung von Abwasser nicht vorlagen. 2013 sei das Grundstück an den Beschwerdeführer weiterverkauft worden. Mitte 2015 sei die Fertigstellung erfolgt bzw. der Baubehörde die Fertigstellungsmeldung vorgelegt worden. Wann der Kanalanschluss an das öffentliche Kanalnetz tatsächlich erfolgt sei, könne aus der Aktenlage nicht mehr festgestellt werden. Grundsätzlich bestehe Anschlusspflicht an das öffentliche Kanalnetz. Gemäß § 12 Abs. 1 lit. b NÖ Kanalgesetz 1977 sei mit der Fertigstellung Mitte 2015 die Abgabenschuld entstanden, die Vorschreibung der Kanaleinmündungsabgabe mit Bescheid vom 29. Oktober 2018 sei daher innerhalb der 5-jährigen Verjährungsfrist erfolgt.

Gegen diesen Berufungsbescheid richtet sich die Beschwerde des Herrn A vom 28. November 2019, eingebracht durch seine ausgewiesene Rechtsvertretung. Die Beschwerde wiederholt und konkretisiert das Berufungsvorbringen. Ergänzend wird vorgebracht, dass bereits zum Zeitpunkt der Begutachtung des Hauses im Jahr 2012 durch einen gerichtlich beeideten Sachverständigen ein funktionstüchtiger Kanalanschluss vorhanden gewesen sei. Es sei daher davon auszugehen, dass die Anschlussgebühren bereits dem vorigen Eigentümer verrechnet worden seien.

Die Beschwerde samt dem bezughabenden Akt der Abgabenbehörden sowie dem Bauakt wurde dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich am 10. Juli 2020 zur Entscheidung vorgelegt.

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat Beweis aufgenommen durch Einsichtnahme in die seitens der belangten Behörde vorgelegten Aktenunterlagen und Folgendes festgestellt:

Die gegenständliche Liegenschaft ist an den öffentlichen Schmutzwasserkanal der Marktgemeinde *** tatsächlich angeschlossen. Eine bescheidmäßige Anschlussverpflichtung durch die Baubehörde wurde für diese Liegenschaft jedoch bisher nicht aufgetragen. Die im Jahr 1977 erteilte Baubewilligung enthält keinen Auftrag zur Herstellung eines Kanalanschlusses, sondern den Auftrag zur Ableitung der Schmutzwässer in eine Senkgrube. Zum Zeitpunkt der Erteilung der Baubewilligung bestand für die gegenständliche Liegenschaft noch keine Möglichkeit zum Anschluss an einen öffentlichen Kanal. Ein Anschluss der Liegenschaft an den öffentlichen Schmutzwasserkanal wurde zu einem unbekannten Zeitpunkt vor Fertigstellung des bewilligten Wohngebäudes tatsächlich hergestellt. Dass die Gemeinde vom früheren Eigentümer der Liegenschaft über die Herstellung des Kanalanschlusses in Kenntnis gesetzt worden wäre, ist nicht aktenkundig. Eine Kanaleinmündungsabgabe wurde dem früheren Liegenschaftseigentümer nicht vorgeschrieben.

Seitens der Baubehörde wurde weder dem früheren Liegenschaftseigentümer noch dem Beschwerdeführer ein bescheidmäßiger Auftrag zum Anschluss an den öffentlichen Kanal erteilt.

Der angeführte maßgebliche Sachverhalt bzw. Verfahrensgang ergibt sich aus den seitens der belangten Behörde vorgelegten unbedenklichen und vollständigen Verwaltungsakten der Bau- und Abgabenbehörden sowie aufgrund des Beschwerdevorbringens und ist weitgehend unbestritten.

2.   Anzuwendende Rechtsvorschriften:

2.1. Bundesabgabenordnung (BAO):

§ 1. (1) Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes gelten in Angelegenheiten der öffentlichen Abgaben (mit Ausnahme der Verwaltungsabgaben des Bundes, der Länder und der Gemeinden) sowie der auf Grund unmittelbar wirksamer Rechtsvorschriften der Europäischen Union zu erhebenden öffentlichen Abgaben, in Angelegenheiten der Eingangs- und Ausgangsabgaben jedoch nur insoweit, als in den zollrechtlichen Vorschriften nicht anderes bestimmt ist, soweit diese Abgaben durch Abgabenbehörden des Bundes, der Länder oder der Gemeinden zu erheben sind.

§ 2a. Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes gelten sinngemäß in Verfahren vor den Verwaltungsgerichten, soweit sie im Verfahren vor der belangten Abgabenbehörde gelten. In solchen Verfahren ist das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) nicht anzuwenden. …

§ 279. (1) Außer in den Fällen des § 278 hat das Verwaltungsgericht immer in der Sache selbst mit Erkenntnis zu entscheiden. Es ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen.

2.2. NÖ Kanalgesetz 1977, LGBl. 8230:

§ 2 Kanaleinmündungsabgabe, Ergänzungsabgabe

(1) Für den möglichen Anschluß an die öffentliche Kanalanlage ist eine Kanaleinmündungsabgabe zu entrichten.

(…)

§ 9 Abgabepflichtiger

Die Kanalerrichtungsabgabe und Kanalbenützungsgebühr sind unabhängig von der tatsächlichen Benützung der öffentlichen Kanalanlage von jedem Liegenschaftseigentümer zu entrichten, für dessen Liegenschaft die Verpflichtung zum Anschluß besteht oder der Anschluß bewilligt wurde. …

§ 12 Entstehung der Abgabenschuld, Fälligkeit

(1) Die Abgabenschuld für die Kanaleinmündungsabgabe (Sonderabgabe, Ergänzungsabgabe) entsteht

a)       im Falle der Neuerrichtung eines Kanals in dem Zeitpunkt, in dem der Anschluß der anschlußpflichtigen Liegenschaft an den Kanal möglich ist;

b)       im Falle einer Bauführung mit dem Einlangen der Fertigstellungsanzeige im Sinne der Bauordnung bei der Behörde bzw.

c)       wenn eine solche nicht erforderlich ist, mit der Fertigstellung des Vorhabens oder mit dem Eintritt der Änderung.

§ 17 Hauskanäle, Anschlußleitungen

(1) Die Eigentümer von Liegenschaften oder Bauwerken oder Bauwerber, die zum Anschluß an die öffentliche Kanalanlage verpflichtet sind, haben Gebäude mit Abwasseranfall mit der öffentlichen Kanalanlage in Verbindung zu bringen. …

(…)

(3) Bei Neulegung eines Hauptkanales der Gemeinde hat der Bürgermeister (Magistrat) den Liegenschaftseigentümern, für die dadurch eine Anschlußpflicht eintritt, rechtzeitig durch Bescheid den Anschluß aufzutragen. Die Liegenschaftseigentümer sind nach Rechtskraft der Entscheidung verpflichtet für den rechtzeitigen Anschluß der Hauskanäle Vorsorge zu treffen. …

3.   Rechtliche Erwägungen:

3.1. Zu Spruchpunkt 1.:

Das Beschwerdevorbringen lässt sich im Wesentlichen darauf reduzieren, dass die Vorschreibung schon dem Grunde nach zu Unrecht erfolgt sei bzw. der Anschluss der Liegenschaft an den öffentlichen Kanal bereits vor 2010 hergestellt worden sei und der Abgabenvorschreibung daher die bereits eingetretene Verjährung entgegenstehe.

Die Vorschreibung einer Abgabe setzt ganz allgemein die Verwirklichung eines Abgabentatbestandes und das Bestehen einer Abgabenschuld voraus.

Die Erfüllung des abgabenrechtlichen Tatbestandes ist Voraussetzung für die Vorschreibung einer Abgabe (vgl. VwGH 82/17/0085).

Die bescheidmäßige Vorschreibung einer Abgabe setzt zudem den Bestand einer Abgabenschuld (bzw. eines Abgabenanspruches der Gemeinde) voraus.

Der Zeitpunkt des Entstehens des Abgabenanspruches ist bedeutsam u.a. für die Abgabenfestsetzung, welche vor diesem Zeitpunkt nicht zulässig ist. (vgl. dazu Ritz, BAO3, Tz 2 ff u. Tz 14 zu § 4, sowie VwGH 2007/17/0012).

Mit dem angefochtenen Berufungsbescheid wurde (in zweiter Instanz) dem Beschwerdeführer eine Kanaleinmündungsabgabe „für den möglichen Anschluß“ (vgl. § 2 Abs. 1 NÖ Kanalgesetz 1977) der verfahrensgegenständlichen Liegenschaft an die öffentliche Kanalanlage vorgeschrieben. Die Abgabenbehörden der Marktgemeinde *** sind also offenbar davon ausgegangen, dass der Abgabentatbestand verwirklicht ist und eine Abgabenschuld des Beschwerdeführers zur Entrichtung einer Kanaleinmündungsabgabe entstanden ist.

Der Tatbestand, an den die Entrichtung der Kanaleinmündungsabgabe geknüpft ist, ist in § 2 NÖ Kanalgesetz 1977 geregelt.

Gemäß § 2 Abs. 1 NÖ Kanalgesetz 1977 ist für den möglichen Anschluss an die öffentliche Kanalanlage eine Kanaleinmündungsabgabe zu entrichten.

Bei der Kanaleinmündungsabgabe handelt es sich um eine einmalige Abgabe, die im Zusammenhang mit der Zurverfügungstellung der Anschlussmöglichkeit zu entrichten ist (VwGH 97/17/0461).

Aus dem Charakter der Kanaleinmündungsabgabe als einmaliger Abgabe (vgl. die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Einmaligkeitsgrundsatz in den Erkenntnissen vom 95/17/0452, 99/17/0188, 97/17/0461, 2007/17/0067) folgt auch, dass dieser Tatbestand nur einmal verwirklicht werden kann.

Mit der Herstellung des tatsächlichen Anschlusses erscheint dieser Tatbestand auch im gegenständlichen Fall bereits verwirklicht. Von der Verwirklichung des abgabenrechtlichen Tatbestandes allerdings zu unterscheiden ist der Zeitpunkt der Entstehung der Abgabenschuld.

Aus dem Wesen der bescheidmäßigen Abgabenfestsetzung und aus der rechtlichen Konstruktion der Abgabenschuldverhältnisse, die bereits aus dem Gesetz heraus entstehen, ergibt sich, dass der Abgabenbescheid seinen wesentlichen Merkmalen nach feststellender Natur ist. Er bringt den Abgabenanspruch nicht zum Entstehen, sondern stellt den aus dem Gesetz erwachsenden Anspruch lediglich fest (vgl. Stoll, BAO II, 2073 f). Daraus ergibt sich, dass die Abgabe festzusetzen ist, sobald der Abgabenanspruch entstanden ist. Da sich der Abgabenanspruch der Gemeinde aus der Sicht des Abgabepflichtigen als Abgabenschuld darstellt, folgt, dass die Abgabenfestsetzung zulässig ist, sobald die Abgabenschuld entstanden ist. Dieser Zeitpunkt der Entstehung der Abgabenschuld ist auch für den Beginn der Frist für die Festsetzungsverjährung des § 207 BAO maßgeblich.

Abweichend von der allgemeinen Regel des § 4 BAO, wonach der Abgabenanspruch entsteht, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Abgabepflicht knüpft, normiert § 12 Abs. 1 NÖ Kanalgesetz 1977 als lex specialis besondere Kriterien für das Entstehen der Abgabenschuld.

Entsprechend der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. die Erkenntnisse zu 86/17/0090, 95/17/0452 und 94/17/0419) ist die Kanaleinmündungsabgabe zwar gemäß § 2 Abs. 1 in Verbindung mit § 1 NÖ Kanalgesetz 1977 "für den Anschluß" (nunmehr nach der seit 1. Jänner 1997 geltenden Rechtslage schon „für den möglichen Anschluss“) einer Liegenschaft an eine bestehende öffentliche Kanalanlage zu entrichten. Aus § 12 Abs. 1 NÖ Kanalgesetz 1977 folgt jedoch, dass es auf den tatsächlichen Anschluss alleine nicht ankommt, sondern noch weitere Kriterien entsprechend dieser Bestimmung erfüllt sein müssen.

Es ist daher zunächst zu prüfen, ob und gegebenenfalls wann im gegenständlichen Fall gemäß § 12 Abs. 1 NÖ Kanalgesetz 1977 überhaupt eine Abgabenschuld des Beschwerdeführers hinsichtlich der vorgeschriebenen Kanaleinmündungsabgabe entstanden ist.

§ 12 Abs. 1 NÖ Kanalgesetz 1977, LGBl. 8230, unterscheidet hinsichtlich der Kanaleinmündungsabgabe (Sonderabgabe, Ergänzungsabgabe) zwei Fälle und zwar erstens die Neuerrichtung eines Kanals (lit. a), zweitens eine Bauführung (lit. b), wobei für den zweiten Fall noch unterschieden wird, ob eine Fertigstellungsmeldung erforderlich ist (lit. b) oder nicht (lit. c).

§ 12 Abs. 1 NÖ Kanalgesetz 1977 ist jedoch nicht alleinige Rechtsgrundlage für die Abgabenfestsetzung, sondern in Verbindung mit den §§ 2 und 9 NÖ Kanalgesetz 1977 anzuwenden. Neben der Anschlussmöglichkeit an die öffentliche Kanalanlage (§ 2 Abs. 1 NÖ Kanalgesetz 1977) ist nach § 9 NÖ Kanalgesetz 1977 das Bestehen einer Anschlussverpflichtung Voraussetzung für eine Abgabenfestsetzung.

Die Fertigstellung der erstmaligen Errichtung eines Wohngebäudes, welches damit an einen bestehenden Kanal anzuschließen wäre, könnte die Abgabenschuld zur Entrichtung einer Kanaleinmündungsabgabe begründen. Dieser Fall (der zweite Fall des § 12 Abs. 1 NÖ Kanalgesetz 1977) liegt hier aber – entgegen der Ansicht der belangten Behörde – gerade nicht vor. Die Fertigstellung löst eine Abgabenschuld nämlich nur dann aus, wenn zuvor im Rahmen der Baubewilligung der Auftrag zum Anschluss an den Kanal erteilt wurde, somit ein Anschluss an den öffentlichen Kanal bereits bescheidmäßig aufgetragen wurde. Ein solcher Auftrag wurde im gegenständlichen Fall jedoch unbestritten in der Baubewilligung nicht erteilt. Zum Zeitpunkt der Baubewilligung bestand eine Möglichkeit zum Anschluss an den öffentlichen Kanal für die gegenständliche Liegenschaft noch nicht. Demnach liegt hier der erste Fall des § 12 Abs. 1 NÖ Kanalgesetz 1977 vor.

Gemäß § 12 Abs. 1 lit. a NÖ Kanalgesetz 1977 entsteht die Abgabenschuld für die Kanaleinmündungsabgabe im Falle der Neuerrichtung eines Kanals in dem Zeitpunkt, in dem der Anschluss der anschlusspflichtigen Liegenschaft an den Kanal möglich ist.

Wird ein Kanal neu errichtet, so wird auf das Vorliegen eines rechtskräftigen Verpflichtungsbescheides (erst zu diesem Zeitpunkt steht fest, ob die Liegenschaft anschlusspflichtig ist oder nicht) und die Anschlussmöglichkeit abgestellt.

Nun besteht entsprechend den Feststellungen mittlerweile nicht nur eine Anschlussmöglichkeit, sondern ein tatsächlicher Anschluss der gegenständlichen Liegenschaft an den öffentlichen Kanal. Demzufolge hängt das Entstehen der Abgabenschuld vom Vorliegen einer anschlusspflichtigen Liegenschaft ab.

Wird in einer Gemeinde ein Kanal errichtet, so ist den Liegenschaftseigentümern, für die dadurch – ab Bestehen einer Anschlussmöglichkeit – die Verpflichtung zum Anschluss eintritt, mit Bescheid der Baubehörde gemäß § 17 Abs. 3 NÖ Kanalgesetz 1977 iVm den einschlägigen Bestimmungen der NÖ Bauordnung (nunmehr § 45 NÖ Bauordnung 2014, davor bis 31.1.2015 § 62 NÖ Bauordnung 1996, davor bis 31.12.1996 § 56 NÖ Bauordnung 1976) der Anschluss aufzutragen. Die Liegenschaftseigentümer sind nach Rechtskraft dieses Auftrages verpflichtet, für den Anschluss der Hauskanäle Vorsorge zu treffen. Auch aus § 9 NÖ Kanalgesetz 1977 folgt unmittelbar, dass abgabepflichtig jener Liegenschaftseigentümer ist, für dessen Grundstück nach den Bestimmungen der Bauordnung die Verpflichtung zum Anschluss besteht.

Voraussetzung für die Abgabenfestsetzung ist daher, dass für die Liegenschaft eine durch individuellen Rechtsakt begründete Anschlussverpflichtung besteht (vgl. VwGH 94/17/0419, 95/17/0452). Die sich aus den einschlägigen Bestimmungen der NÖ Bauordnung (§ 45 NÖ Bauordnung 2014, davor bis 31.1.2015 § 62 NÖ Bauordnung 1996, davor bis 31.12.1996 § 56 NÖ Bauordnung 1976) iVm § 17 Abs. 3 NÖ Kanalgesetz 1977 ergebende Anschlussverpflichtung ist mit Bescheid gegenüber dem Liegenschaftseigentümer auszusprechen, zumal diese Bestimmungen keinen Zeitpunkt für das Entstehen der Anschlussverpflichtung vorsehen und daher einer Umsetzung durch einen individuellen Rechtsakt bedürfen (vgl. VwGH 99/05/0224, 2000/05/0246).

Erst nach der Rechtskraft dieses Bescheides ist der Liegenschaftseigentümer verpflichtet, für den Anschluss des Hauskanales Vorsorge zu treffen. Maßgeblich für den Eintritt der Anschlusspflicht der Liegenschaft ist somit der Eintritt der Rechtskraft des Bescheides über den Auftrag zum Anschluss an den öffentlichen Kanal durch die Baubehörde (Verpflichtungsbescheid).

Erst ab diesem Zeitpunkt liegt eine anschlusspflichtige Liegenschaft im Sinne des § 12 Abs. 1 lit. a NÖ Kanalgesetz 1977 vor.

Die Abgabenschuld setzt das Bestehen einer Anschlussmöglichkeit einerseits und der in diesem Zusammenhang ausgesprochenen bescheidmäßigen Verpflichtung zum Anschluss andererseits voraus (vgl. VwGH 95/17/0452, 94/17/0419).

Gemäß § 12 Abs. 1 lit. a hätte daher eine Abgabenschuld erst mit Eintritt der Anschlusspflicht, somit mit der Rechtskraft eines Bescheides über die Verpflichtung zum Anschluss eintreten können.

Entsprechend den getroffenen Feststellungen ist ein derartiger Bescheid der Baubehörde (gemäß § 17 NÖ Kanalgesetz 1977) für die gegenständliche Liegenschaft bisher noch gar nicht ergangen. Mangels eines bescheidmäßigen Auftrages der Baubehörde zum Anschluss an den öffentlichen Kanal besteht im konkreten Fall noch nicht einmal eine Anschlussverpflichtung.

Dementsprechend ist eine Abgabenschuld zur Entrichtung einer Kanaleinmündungsabgabe ungeachtet des bestehenden tatsächlichen Anschlusses für die gegenständliche Liegenschaft mangels bescheidmäßig aufgetragener Anschlussverpflichtung (weder im Rahmen der Baubewilligung noch mit gesondertem Verpflichtungsbescheid) bisher auch noch nicht entstanden.

Die bescheidmäßige Festsetzung dieser Abgabe erweist sich daher schon dem Grunde nach als rechtswidrig.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3.2. Zu Spruchpunkt 2. – Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß

Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist die Revision gegen ein Erkenntnis oder einen Beschluss des Verwaltungsgerichtes zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil die Entscheidung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im Hinblick auf die obigen Ausführungen liegen jedoch keine Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor.

Schlagworte

Finanzrecht; Kanaleinmündungsabgabe; Abgabenanspruch; Abgabenschuld; Entstehung;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGNI:2020:LVwG.AV.701.001.2020

Zuletzt aktualisiert am

25.09.2020
Quelle: Landesverwaltungsgericht Niederösterreich LVwg Niederösterreic, http://www.lvwg.noe.gv.at
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