TE Bvwg Beschluss 2019/10/8 L507 2215390-1

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Veröffentlicht am 08.10.2019
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Entscheidungsdatum

08.10.2019

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §8
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3

Spruch

L507 2215390-1/11E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Habersack über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. staatenlos, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.02.2019, Zl. XXXX , beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 14.08.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 14.08.2018 und bei den niederschriftlichen Einvernahmen vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 25.09.2018 und 04.02.2019 brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, dass er staatenloser Palästinenser sei. Er sei im Westjordanland geboren und habe bis 2003 oder 2005 gemeinsam mit seinen Eltern dort gelebt. Im Alter von 13 oder 15 Jahren sei der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner Mutter nach Libyen übersiedelt, wo er bis zu seiner Ausreise im Jahr 2017 in Bengasi gelebt habe. Der Beschwerdeführer und seine Mutter seien legal in Libyen aufhältig gewesen. Im Jahr 2017 habe der Beschwerdeführer Libyen verlassen und sei über die Türkei nach Österreich gereist.

2. Mit Bescheid des BFA vom 12.02.2019, Zl. XXXX , wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat palästinensische Autonomiegebiete / Westjordanland abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in die palästinensischen Autonomiegebiete / Westjordanland gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

Im angefochtenen Bescheid traf die belangte Behörde wörtlich folgende Feststellungen:

"- Zu Ihrer Person:

Ihre Identität steht nicht fest.

Sie gaben an den Namen XXXX zu führen und am XXXX in Palästina geboren worden zu sein.

Sie sind staatenloser Palästinenser, gehören der Volksgruppe der Araber an und bekennen sich zum muslimischen Glauben sunnitischer Ausrichtung.

Sie sind nicht bei UNRWA registriert und stehen nicht unter dem Schutz von UNRWA.

Sie sind ledig und haben keine Kinder.

Sie haben Ihr Herkunftsland Palästinensische Autonomiegebiete/Westjordanland im Alter von circa 15 Jahren verlassen. Vor Ihrer Ausreise lebten Sie in XXXX .

Es konnte nicht festgestellt werden, ob Sie über familiäre Anknüpfungspunkte in Ihrem Herkunftsland verfügen.

Es konnte nicht festgestellt werden, ob Sie Kontakt zu Ihren Familienangehörigen halten.

Sie können lesen und schreiben. Sie haben eine 7jährige Berufserfahrung als Installateur und Automechaniker und haben im Veterinärbereich gearbeitet.

Sie wurden bereits in Palästina aufgrund von Depressionen und Suizidalität behandelt. Seit November 2018 werden Sie aufgrund Ihrer depressiven Vorgeschichte medikamentös behandelt.

[...]

- Zu den Gründen für das Verlassen Ihres Herkunftsstaats:

Es konnte nicht festgestellt werden, dass Sie Ihren Herkunftsstaat aufgrund wohlbegründeter Furcht vor staatlicher Verfolgung verlassen haben.

Sie haben Ihr Herkunftsland im Alter von 15 Jahren verlassen, nachdem sich Ihre Mutter Sorgen um Sie gemacht hatte. Sie haben Ihr Herkunftsland aufgrund des damals herrschenden Krieges verlassen. Sie haben Ihr Herkunftsland verlassen und sind mit Ihrer Mutter nach Libyen gegangen, weil die Lage damals schlecht gewesen ist. Es konnte nicht festgestellt werden, weshalb Sie Libyen verlassen haben.

Vor Ihrer Einreise nach Österreich haben Sie in der Türkei gelebt und die Türkei verlassen, weil es für Sie leichter war nach Europa zu kommen.

Sie sind persönlich nicht glaubwürdig.

Selbst bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kamen keine weiteren Ausreisegründe hervor.

- Zu Ihrer Situation im Fall Ihrer Rückkehr:

Im Falle einer Rückkehr in die Palästinensischen Autonomiegebiete/Westjordanland droht Ihnen keine Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung.

Bei einer Rückkehr droht Ihnen keine Gefährdung durch die Polizei oder andere staatliche Organe, Behörden oder Private.

Es kann keine wie auch immer geartete, sonstige besondere Gefährdung Ihrer Person bei einer Rückkehr in die Palästinensischen Autonomiegebiete/Westjordanland festgestellt werden.

Es konnte nicht festgestellt werden, ob Sie über familiäre Anknüpfungspunkte in Ihrem Herkunftsstaat verfügen. Sie könnten eine Rückkehrhilfe beantragen. Sie würden nicht in eine ausweglose oder existenzbedrohende Lage geraten.

Festgestellt werden konnte, dass Ihnen Rückkehr in die Palästinensischen Autonomiegebiete/Westjordanland zumutbar ist."

Das BFA traf im angefochtenen Bescheid sodann umfangreiche Feststellungen zur Lage in den palästinensischen Gebieten - Westbank.

Beweiswürdigend wurde zur Person des Beschwerdeführers ausgeführt, dass seine Identität mangels Vorlage von "originalen" unbedenklichen Identitätsdokumenten nicht verstehe.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers seien aufgrund seiner eigenen, im gesamten Verfahren diesbezüglich gleichlautenden Angaben in der Erstbefragung den Einvernahmen zu treffen gewesen.

Die Feststellungen, dass der Beschwerdeführer sein Herkunftsland im Alter von ca. 15 Jahren verlassen habe, sowie die Feststellung zu seinem Wohnort vor seiner Ausreise würden sich auf die diesbezüglich gleichbleibenden Angaben in den Einvernahmen vor dem Bundesamt gründen.

3. Gegen diesen der Vertretung des Beschwerdeführers am 14.02.2019 zugestellten Bescheid wurde am 27.02.2019 Beschwerde erhoben und die Durchführung einer Beschwerdeverhandlung beantragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu Spruchteil A):

2.1. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss. Gemäß Abs. 3 sind auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes § 29 Abs. 1 zweiter Satz, Abs. 4 und § 30 sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z2).

Gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

2.2. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG ist Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung nach dieser Bestimmung das Fehlen relevanter behördlicher Sachverhaltsermittlungen. Hinsichtlich dieser Voraussetzung gleicht die Bestimmung des § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG jener des § 66 Abs. 2 AVG, der als - eine - Voraussetzung der Behebung und Zurückverweisung gleichfalls Mängel der Sachverhaltsfeststellung normiert, sodass insofern - auch wenn § 66 Abs. 2 AVG im Gegensatz zu § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG als weitere Voraussetzung der Behebung und Zurückverweisung auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraussetzt - auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Bestimmung des § 66 Abs. 2 AVG zurückgegriffen werden kann.

§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet:

Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.

Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).

3. Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt aus folgenden Gründen als mangelhaft:

Vom Beschwerdeführer wurde im Verfahren vor dem BFA vorgebracht, dass er staatenloser Palästinenser sei und seit ungefähr 2003 oder 2005 durchgehend in Libyen legal aufhältig gewesen sei. Der Beschwerdeführer sei zwar im Westjordanland geboren und dort bis zu seinem 13. oder 15. Lebensjahr aufhältig gewesen, sei aber danach gemeinsam mit seiner Mutter nach Libyen übersiedelt.

Aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers geht somit eindeutig hervor, dass er in Libyen vor seiner Ausreise und Weiterreise nach Österreich bzw. seiner Asylantragstellung in Österreich zumindest 13 Jahre durchgängig und legal in Libyen aufhältig gewesen sei.

Trotz dieses eindeutigen Vorbringens des Beschwerdeführers hat es die belangte Behörde unterlassen, Feststellungen zum früheren gewöhnlichen Aufenthalt des staatenlosen Beschwerdeführers zutreffen.

Ebenso hat es die belangte Behörde gänzlich unterlassen Ermittlungen betreffend die Situation von in Libyen lebenden staatenlosen Palästinensern zu tätigen und diesbezüglich Feststellungen im angefochtenen Bescheid zutreffen.

Gestützt auf das eindeutige Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend seinen früheren gewöhnlichen Aufenthalt in Libyen ist auch die Annahme des BFA bzw. das Verfahrensergebnis, dass es sich beim "Herkunftsstaat" des Beschwerdeführers um die palästinensischen Autonomiegebiete bzw. das Westjordanland handeln würde, falsch.

Die belangte Behörde hat das Vorbringen des Beschwerdeführers, dass er sich vor seiner Einreise nach Österreich bzw. seiner Asylantragstellung in Österreich zumindest 13 Jahre lang durchgehend legal in den beliebigen aufgehalten hat, im angefochtenen Bescheid schlichtweg ignoriert und ausgeblendet.

Vor diesem Hintergrund kann - nur gestützt auf den Umstand, dass die Beschwerdeführer im Westjordanland geboren wurde und dort bis zu seinem 13. oder 15. Lebensjahr gelebt habe - nicht nachvollziehbar geschlossen werden, dass der frühere gewöhnliche Aufenthalt des staatenlosen Beschwerdeführers die palästinensischen Autonomiegebiete bzw. Westjordanland seien.

Im Verfahren vor dem BFA wurden auch keinerlei Ermittlungen betreffend die Situation von staatenlosen Palästinensern in Libyen getätigt und finden sich im angefochtenen Bescheid auch keine Feststellungen zur allgemeinen Situation in Libyen bzw. zur Situation von staatenlosen Palästinensern in Libyen. Auch zur Frage der Rückkehrmöglichkeit nach Libyen von staatenlosen Palästinensern, die sich über einen längeren Zeitraum bzw. über mehrere Jahre hinweg im Ausland befunden haben, sowie zur Frage betreffend die Erlangung eines libyschen Aufenthaltstitels für solche Personen, hat die belangte Behörde ebenfalls keinerlei Ermittlungen durchgeführt und auch keine diesbezüglichen Feststellungen im angefochtenen Bescheid getroffen.

Infolge der Unterlassung eines entsprechenden Ermittlungsverfahrens und eindeutiger und konkreter Feststellungen zum früheren gewöhnlichen Aufenthalt des staatenlosen Beschwerdeführers ging die belangte Behörde bei der Prüfung und Beurteilung des Antrages auf international Schutz davon aus, dass es sich beim Staat des früheren gewöhnlichen Aufenthaltes des Beschwerdeführers um die palästinensischen Autonomiegebiete bzw. Westjordanland handle, obwohl dieser dort seit dem Jahr 2003 oder 2005 nicht mehr aufhältig gewesen sei.

Nach Ansicht des Bundeswartungsgerichtes sind aber vor dem Hintergrund des

§ 2 Abs. 1 Z 17 AsylG bei der Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz von Personen, die behaupten staatenlos zu sein, eingehende und umfangreiche Ermittlungen und darauf gestützte eindeutige und konkrete Feststellungen zur Staatsangehörigkeit bzw. Staatenlosigkeit der Antragsteller notwendig und unbedingt erforderlich, zumal nach

§ 2 Abs. 1 Z 17 AsylG der Herkunftsstaat der Staat ist, dessen Staatsangehörigkeit Fremde besitzen, oder - im Falle der Staatenlosigkeit - der Staat ihres früheren gewöhnlichen Aufenthaltes. Herkunftsstaat im Sinne dieser Bestimmung ist somit primär jener Staat, zu dem ein formelles Band der Staatsbürgerschaft besteht; nur wenn ein solcher Staat nicht existiert, wird subsidiär auf sonstige feste Bindungen zu einem Staat in Form eines dauernden (gewöhnlichen) Aufenthaltes zurückgegriffen. Auf welchen Staat diese Voraussetzungen im Einzelfall zutreffen, ist von den Asylbehörden zu ermitteln und festzustellen.

Da es sich beim Beschwerdeführer unter Zugrundelegung seines Vorbringens um einen staatenlosen Palästinenser handelt, wären auch umfangreiche Ermittlungen zum letzten dauernden (gewöhnlichen) Aufenthalt der Beschwerdeführer durchzuführen gewesen. Gestützt auf das Ergebnis dieser Ermittlungen wären sodann eindeutige Feststellungen zum früheren dauernden (gewöhnlichen) Aufenthalt der Beschwerdeführer zu treffen gewesen.

Zusammengefasst leidet der angefochtene Bescheid leidet der angefochtene Bescheid unter diesen Gesichtspunkten unter erheblichen Ermittlungsmängeln sowohl in Bezug auf die Frage der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einer konkret und gezielt gegen den Beschwerdeführer gerichteten Verfolgung maßgeblicher Intensität als auch in Bezug auf die Frage des Vorliegens einer realen Gefahr, inwiefern eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Irak für den Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten oder eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Irak für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, und erweist sich für das Bundesverwaltungsgericht der vorliegende Sachverhalt zur Beurteilung einer allfälligen Gefährdung des Beschwerdeführers unter dem Aspekt der Gewährung des Status des Asylberechtigten oder der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten sowie zu einer allfälligen Rückkehrmöglichkeit des Beschwerdeführers nach Libyen als so mangelhaft, dass weitere notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes diesbezüglich unerlässlich erscheinen.

Damit hat die belangte Behörde im Sinne der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes Ermittlungen gänzlich unterlassen, wobei diese Ermittlungen nunmehr durch das Bundesverwaltungsgericht erstmals vorgenommen werden müssten.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen.

Da der maßgebliche Sachverhalt aufgrund der Unterlassung notwendiger Ermittlungen der belangten Behörde nicht feststeht und diese Ermittlungstätigkeit sowie die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes (erstmals) durch das Bundesverwaltungsgericht selbst vorgenommen werden müsste, war gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG mit der Aufhebung der angefochtenen Bescheide und Zurückverweisung der Angelegenheit zur Erlassung neuer Bescheide an die Behörde vorzugehen.

Im fortgesetzten Verfahren wird sich das BFA insbesondere mit der Frage auseinander zu setzen haben, ob es sich beim Aufenthalt des Beschwerdeführers in Libyen um einen dauernden (gewöhnlichen) Aufenthalt gehandelt hat, zumal der Beschwerdeführer - wie von ihm behauptet - dort zumindest die letzten 13 Jahre vor seiner Asylantragstellung in Österreich gelebt habe.

4. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben, zumal aufgrund der Aktenlage in Verbindung mit dem Vorbringen in der Beschwerde feststeht, dass die angefochtenen Bescheide zu beheben und zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen waren.

Zu Spruchteil B):

Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß

Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die gegenständliche Entscheidung weicht nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063) ab. Durch das genannte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes fehlt es auch nicht an einer Rechtsprechung und die zu lösende Rechtsfrage wird in der Rechtsprechung auch nicht uneinheitlich beantwortet.

Schlagworte

Ermittlungsmangel Ermittlungspflicht gewöhnlicher Aufenthalt Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Staatsangehörigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:L507.2215390.1.00

Im RIS seit

25.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

25.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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