TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/6 L507 1423314-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.11.2019
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Entscheidungsdatum

06.11.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs2
FPG §55

Spruch

L507 1423314-3/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Habersack über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch RA Raphael Seidler, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.10.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 08.05.2019, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde zu den Spruchpunkten I. bis VI. und VIII. wird gemäß den § 3 Abs. 1,

§ 8 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Z 3 und § 57 AsylG iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9,

§ 46, § 55 und § 53 Abs. 2 FPG mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der erste Satz von Spruchpunkt III. des bekämpften Bescheides zu lauten hat: "Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird Ihnen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt."

II. Spruchpunkt VII. hat zu lauten: Gemäß § 55 Abs. 2 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, stellte am 18.10.2011 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der am selben Tag durchgeführten Erstbefragung brachte der Beschwerdeführer zu seinem Ausreisegrund vor, in der Türkei "gäbe es ständig Probleme". Türkische Nationalisten hätten seinen Friseurladen zerstört, er selbst sei mit dem Umbringen bedroht worden. Deshalb sei er geflüchtet. Im Falle seiner Rückkehr fürchte er um sein Leben.

2. Am 25.11.2011 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesasylamt, Außenstelle Wien, niederschriftlich einvernommen und brachte im Wesentlichen vor, im Oktober 2011 seien fünf Männer in seinen Laden gekommen, die gesagten hätten, sie seien "der Staat", und ihm angeboten hätten, als Spitzel zu arbeiten. Offenbar hätten diese Männer die Lage seines Ladens unterhalb des Parteilokals der BDP ausnutzen wollen. Der Beschwerdeführer habe das Angebot der Männer abgelehnt, weil er sein eigenes Volk nicht verraten wolle. Die Männer hätten dann versucht ihn unter Druck zu setzten und zu ihm gesagt, er habe keine Wahl. Der Beschwerdeführer habe jedoch weiterhin abgelehnt und hätten die Männer dann angefangen, mehrere Gegenstände im Laden zu zerstören. Sie hätten ihm dann eine Woche Zeit zum Überlegen eingeräumt, nach deren Ablauf sie wieder in den Laden gekommen seien. Der Beschwerdeführer habe weiterhin abgelehnt, als Spitzel zu arbeiten, woraufhin sie wiederum mehrere Gegenstände zerstört hätten. Sie hätten ihn auch mit dem Umbringen bedroht und angekündigt seiner Familie etwas anzutun. Daraufhin habe er seine Gattin und seine Kinder zu seiner Schwiegermutter gebracht und sei über Istanbul schlepperunterstützt nach Österreich gelangt.

Der Beschwerdeführer sei in Österreich "Mitglied der BDP", wobei er diesbezüglich aber nur einen Ausweis eines exil-kurdischen Vereins vorlegte. In der Türkei sei er bloßer Sympathisant der BDP gewesen. Er besuche diesen Verein in Österreich jeden Abend.

Im Falle der Rückkehr in die Türkei fürchte der Beschwerdeführer um sein Leben.

3. Mit dem Bescheid des Bundesasylamtes vom 28.11.2011 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei abgewiesen. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Türkei ausgewiesen.

Das Bundesasylamt stellte die im Spruch genannte Identität des Beschwerdeführers fest sowie, dass dieser türkischer Staatsangehöriger sei, der türkischen Volksgruppe angehöre und moslemischen Glaubens sei. Der Beschwerdeführer sei verheiratet und gesund.

Es sei demgegenüber nicht glaubhaft gewesen, dass der Beschwerdeführer die Türkei verlassen habe, weil er als Spitzel für den Staat hätte arbeiten sollen. Es könne daher nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsland einer asylrelevanten Bedrohung ausgesetzt gewesen sei oder dass er im Falle einer Rückkehr dorthin eine solche zu gewärtigen hätte.

Weiters traf das Bundesasylamt umfangreiche länderkundliche Feststellungen zur Türkei.

In seiner Beweiswürdigung führt das Bundesasylamt zusammengefasst aus, dass der Beschwerdeführer selbst angegeben habe, der türkischen Volksgruppe anzugehören und kein Kurdisch zu sprechen. Es sei daher auch nicht glaubhaft, dass er sich in Österreich für kurdische Aktivitäten engagiere, zumal er keinerlei Angaben zur kurdischen Parteienlandschaft habe machen können. Zudem sei der Beschwerdeführer beim Militär als Angehöriger einer speziellen Jagdeinheit im Kurdengebiet eingesetzt worden.

Was die behauptete Aufforderung zu Spitzeldiensten betrifft, so sei dies ebenso nicht glaubhaft gewesen. Zum einen habe der Beschwerdeführer keinen Bezug zum kurdischen Volk glaubhaft machen können, weswegen es nicht nachvollziehbar sei, dass er sich geweigert habe, "gegen sein eigenes Volk" Spitzeldienste zu leisten. Zum anderen habe er nicht einmal die tatsächliche Bezeichnung der BDP nennen und auch nicht plausibel darlegen können, wann diese Männer bei ihm erschienen seien. Zudem betreibe der Bruder des Beschwerdeführers das Friseurgeschäft nun weiter.

Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führt das Bundesasylamt aus, dass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, eine Verfolgungsgefahr glaubhaft zu machen, weshalb ihm kein Asyl gewährt werden könne.

Es bestünden auch keine Abschiebungshindernisse und sei daher kein subsidiärer Schutz zu gewähren.

Hinsichtlich der Ausweisung führt das Bundesasylamt aus, dass der Beschwerdeführer zwar in Österreich mit einem seiner Cousins im gemeinsamen Haushalt lebe, dieser jedoch ebenso nicht zum dauerhaften Aufenthalt berechtigt sei. Mit seinen anderen in Österreich aufhältigen Cousins lebe der Beschwerdeführer nicht zusammen, weshalb die Ausweisung keinen Eingriff in sein Recht auf Familienleben darstelle. Zum Recht auf Privatleben führte das Bundesasylamt im Rahmen einer Abwägung aus, dass dieses nicht verletzt werde.

4. Gegen den Bescheid vom 28.11.2011 erhob der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 03.12.2011 fristgerecht Beschwerde gegen alle Spruchpunkte.

Darin bekämpft der Beschwerdeführer zunächst die Länderfeststellungen zur Türkei. Weiters wiederholt der Beschwerdeführer seine Ausreisegründe und beantragt ein psychiatrisches bzw. psychotherapeutisches Gutachten, inwieweit Angst bei ihm dazu geführt habe, dass er unter anderem wesentliche Ereignisse verdränge.

Der Beschwerdeführer habe auch am 04.04.2011 an einer Veranstaltung anlässlich des Geburtstages von Abdullah Öcalan teilgenommen. Dabei seien die Teilnehmer von der Staatsmacht mit Stöcken, Tränengas und Panzern angegriffen worden. Der Beschwerdeführer selbst sei vier Tage lang festgehalten worden und habe man gegen ihn ein Gerichtsverfahren wegen angeblicher Unterstützung der PKK eingeleitet. Er sei geflüchtet, bevor die Gerichtsverhandlung angesetzt worden sei.

Der Beschwerdeführer wendet sich auch gegen die Beweiswürdigung des Bundesasylamtes, dass er kein Kurde sei.

Weiters führt der Beschwerdeführer unter Zitierung von Passagen aus dem Handbuch des UNHCR über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft aus, er sei aus Furcht vor Verfolgung aus politischen Gründen geflohen und sei deshalb als Flüchtling anzusehen.

5. Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 15.02.2012, Zl. E7 423314-1/2011/5E, wurde die Beschwerde gemäß §§ 3, 8 und 10 AsylG als unbegründet abgewiesen und erwuchs mit Zustellung am 28.02.2012 an den Beschwerdeführer in Rechtskraft.

6. Die gegen dieses Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 15.02.2012, Zl. E7 423314-1/2011/5E, erhobenen Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof wurde gemäß Art. 144a B-VG abgelehnt.

7. Am 25.08.2016 stellte der Beschwerdeführer gegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz.

Diesbezüglich wurde der Beschwerdeführer am 25.08.2016 von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt.

Im Rahmen dieser Befragung führte der Beschwerdeführer aus, dass er Österreich seit dem negativen Ausgang seines ersten Asylverfahrens nicht verlassen habe und nunmehr einen Asylantrag stelle, weil in der Türkei Kurden derzeit unter türkischen Repressalien leiden würden sowie Unterdrückung und Verfolgung stattfinde. Bereits in seiner ersten Einvernahme habe er ausgeführt, dass er als kurdisch stämmiger Bürger in seiner Heimat sehr gefährlich lebe. Die Kurden würden vom Staat verfolgt werden und unter den Folgen des Krieges leiden. Zudem befürchte der Beschwerdeführer die sofortige Verhaftung, zumal er seine Heimat illegal verlassen habe. Die letzten Drohungen und Verfolgungen seien dem Beschwerdeführer seit zwei, drei Monaten bekannt, zumal er mit Freunden in der Türkei Kontakt habe.

7. Am 06.09.2018 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) niederschriftlich einvernommen.

Dabei führte er zu seiner neuerlichen Antragstellung zusammengefasst aus, dass es um die Sicherheit seines Lebens gehe. Unbekannte Menschen hätten bei seinen Eltern und Freunden nach dem Beschwerdeführer gefragt. Das beunruhige ihn und mach ihm Angst. Es könnten Menschen sein, welche mit dem türkischen Staat zusammenarbeiten. Die HDP habe im zweiten Stock über seinem Geschäft ein Büro gehabt und hätten die Polizisten Informationen von ihm gewollt. Vor ca. zwei Jahren seien zwei Brüder, seine Ehegattin sowie ein Fremder aus Frankreich nach Wien gekommen und hätten den Beschwerdeführer bedroht. Wenn er sich von ihrer Schwester scheiden lasse, würden sie ihn umbringen. Die drei Männer seien mit Polizisten zu seiner ehemaligen Arbeitsstelle gekommen und habe der Beschwerdeführer einen Fremdenpass (bulgarischer Reisepass) bei sich gehabt. Es sei zu einer Gerichtsverhandlung gekommen und habe der Beschwerdeführer eine Geldstrafe erhalten. Die Schwager des Beschwerdeführers hätten einen Arbeitskollegen vom Beschwerdeführer auch angerufen und gesagt, dass der Beschwerdeführer keine Chance habe, er erledigt und in die Türkei gebracht werde. Der Beschwerdeführer habe mit einem gefälschten bulgarischen Reisepass ca. drei Jahre lang als angestellter Friseur in Österreich gearbeitet. In der Türkei würde der Tod auf ihn warten.

8. Am 06.09.2018 erfolgte vor dem BFA zudem eine zeugenschaftliche Einvernahme von XXXX . Diese brachte dabei im Wesentlichen vor, dass sie den Beschwerdeführer seit Oktober 2017 kenne, seine Freundin sei und mit dem Beschwerdeführer zusammenwohne. Sie gehe davon aus, dass der Beschwerdeführer wegen seiner Familienprobleme den Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe. Der Beschwerdeführer könne sich nicht scheiden lassen. Die Brüder der Ehegattin würden ihn umbringen wollen. Die Schwager des Beschwerdeführers würden in Deutschland leben und seien einmal hierhergekommen. Sie hätten den Beschwerdeführer bei der Polizei angezeigt, dass er sich rechtswidrig in XXXX aufhalte und einen gefälschten bulgarischen Reisepass besitze.

9. Mit Bescheid vom 17.10.2018, Zl. XXXX , wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.). Gemäß

§ 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 46 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei zulässig sei (Spruchpunkt V.). Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung wurde gemäß

§ 18 Abs. 1 Z 2 und 6 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI.) und gemäß § 55 Abs. 1a FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt (Spruchpunkt VII.). Gemäß § 53 Abs. 2 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von vier Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VIII.).

Beweiswürdigend wurde vom BFA zusammenfassend ausgeführt, dass der Beschwerdeführer keinen Sachverhalt vorgebracht habe, welcher nach rechtskräftigen Abschluss des ersten Asylverfahrens neu entstanden sei. Selbst bei Wahrunterstellung der Angaben des Beschwerdeführers könne davon ausgegangen werden, dass der türkische Staat gewillt sei, seine Bürger vor kriminellen Aktivitäten zu schützen. Die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Übergriffe durch Private würden auch keine Flüchtlingseigenschaft iSd Asylgesetzes begründen und sei es auszuschließen, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner kurdischen Abstammung in der Türkei verfolgt werde.

Zudem sei es nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr in die Türkei in eine ausweglose Lage geraten würde.

Es hätten sich weiters keine Hinweise auf einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG ergeben und stelle die Rückkehrentscheidung auch keinen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 8 EMRK dar.

Bezüglich der Verhängung eines Einreiseverbotes wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer sich von 27.06.2012 bis 25.08.2016 trotz rechtskräftiger Ausweisung im Bundesgebiet aufgehalten und eine ge- bzw. verfälschte ausländische öffentliche Urkunde im Rechtsverkehr gebraucht habe, weshalb er auch strafgerichtlich verurteilt sowie gegen ihn eine Verwaltungsstrafe ich Höhe von ? 500,-- verhängt worden sei. Eine Gefährlichkeitsprognose gehe zu Lasten des Beschwerdeführers. Die Erlassung eines auf vier Jahre befristeten Einreiseverbotes sei daher angemessen.

10. Mit Verfahrensordnungen des BFA vom 18.10.2018 wurde dem Beschwerdeführer gemäß

§ 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt und ihm die Verpflichtung mitgeteilt gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG bis zum 15.11.2018 ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen.

11. Der bekämpfte Bescheid wurde dem Beschwerdeführer ordnungsgemäß am 25.10.2018 zugestellt, wogegen mit Schreiben vom 21.11.2018 fristgerecht Beschwerde erhoben wurde.

Moniert wurde darin, dass seitens des BFA fälschlicherweise angenommen werde, dass die Fluchtgründe des Beschwerdeführers nicht beachtlich seien. Darüber hinaus sei die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung rechtswidrig. Im Weitern wurde ausgeführt, dass das BFA nicht auf die Fluchtgründe des Beschwerdeführers eingegangen sei und lediglich ausgeführt habe, dass sich gegenüber seinem ersten Verfahren nichts geändert habe. Der Beschwerdeführer sei Mitglied in einem kurdischen Verein und würden im bekämpften Bescheid Feststellungen dazu fehlen, ob eine Rückkehr in die Türkei aufgrund seiner politischen Verbindung eine Gefahr für den Beschwerdeführer darstelle. Diesbezüglich würden auch die Drohungen der Familienangehörigen der Ehegattin des Beschwerdeführers eine Rolle spielen, zumal diesen den Beschwerdeführer bei den türkischen Behörden angekreidet hätten. Das BFA gehe auch ohne Verurteilung von einem Verstoß gegen das Ausländerbeschäftigungsgesetz aus. Von einer neuerlichen Tatbegehen sei im Übrigen nicht auszugehen, zumal der Beschwerdeführer nunmehr selbständig erwerbstätig sei. Weshalb der Beschwerdeführer aufgrund seiner Verurteilung zu einer Geldstrafe durch das Landesgericht für Strafsachen Wien eine Gefährdung für die öffentliche Ordnung sei, wurde ebenfalls nicht ausgeführt. Das BFA verkenne auch, dass die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers slowakische Staatsbürgerin sei und aufgrund der unionsrechtlichen Freizügigkeit in Österreich aufhältig sei. Familienangehörigen eines Unionsbürgers stünde jedoch gemäß §§ 51FF NAG quasi ein ex-lege Aufenthaltsrecht in Österreich zu. Das Rückkehrverbot in Höhe von vier Jahren beute, dass sich der Beschwerdeführer von seiner Lebensgefährtin trennen müsse und könne es der Lebensgefährtin nicht zugemutet werden, mit dem Beschwerdeführer die Europäische Union zu verlassen.

12. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27.11.2018, Zl. L507 1423314-3, wurde der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

13. Am 08.05.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht in der Sache des Beschwerdeführers eine öffentlich mündliche Verhandlung durch. In dieser wurde dem Beschwerdeführer einerseits Gelegenheit gegeben, neuerlich seine Ausreisemotivation umfassend darzulegen Zudem wurden dem Beschwerdeführer die aktuellen Länderfeststellungen zur Türkei ausgehändigt und ihm die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme innerhalb von zwei Wochen eingeräumt.

17. Mit Schriftsatz vom 22.05.2019 erstattete die Vertretung des Beschwerdeführers eine Stellungnahme zu den in der mündlichen Verhandlung dem Beschwerdeführer ausgehändigten Länderinformationen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Türkei, sunnitischen Glaubens und Angehöriger der kurdischen Volksgruppe. Er stammt aus der Stadt XXXX in der Provinz XXXX und besuchte dort acht Jahre lang die Schule. Anschließend hat der Beschwerdeführer eine Ausbildung zum Friseur absolviert und eröffnete 1998 seinen eignen Friseursalon, welchen er bis kurz vor seine Ausreise betrieb. In den Jahren 2001 und 2002 absolvierte der Beschwerdeführer seinen Militärdienst.

Im Jahr 2005 hat der Beschwerdeführer geheiratet und entstammen dieser Ehe zwei gemeinsame Kinder. Seit 2015 läuft in der Türkei das Scheidungsverfahren.

In der Türkei halten sich nach wie vor die Eltern, ein Bruder, zwei Schwestern, die zwei Kinder, sowie die (Noch-)Ehegattin des Beschwerdeführers auf.

In Österreich lebte ein Cousin des Beschwerdeführers. Mit diesem besteht kein gemeinsamer Wohnsitz. Seit 2017 führt der Beschwerdeführer eine Lebensgemeinschaft mit einer slowakischen Staatsangehörigen und besteht mit dieser seit 20.02.2018 ein gemeinsamer Wohnsitz.

Der Beschwerdeführer hält sich seit Oktober 2011 durchgehend in Österreich auf. Nach dem rechtskräftigen Abschluss des ersten Asylverfahrens am 28.02.2012 hat der Beschwerdeführer Österreich nicht verlassen und hielt sich von 28.02.2012 bis 24.08.2016 ohne Aufenthaltsberechtigung im Bundesgebiet hier auf. Seit der neuerlichen Asylantragstellung am 25.08.2016 verfügt der Beschwerdeführer wieder über eine vorübergehendes Aufenthaltsrecht nach dem AsylG.

Nachdem der Beschwerdeführer seiner Ausreisverpflichtung nicht nachgekommen ist, wurde gegen ihn mit Strafverfügung der LPD Wien vom 25.08.2016 gemäß § 10 Abs. 7 AsylG und §§ 52, 120 Abs. 1a FPG eine Geldstrafe in Höhe von ? 500,-- verhängt.

Unter Zuhilfenahme eines gefälschten bulgarischen Reisepasses und Personalausweises war der Beschwerdeführer von 2012 bis 2016 ca. drei Jahre lang unselbständig als Friseur tätig.

Das gegen den Beschwerdeführer eingeleitete Strafverfahren wegen §§ 223 (2), 224 StGB [der Beschwerdeführer hat am 31.01.2013 und 10.09.2015 falsche, besonders geschützte Urkunden (totalgefälschter bulgarischer Reisepass und Personalausweis) zum Beweis einer seiner Identität gebraucht] wurde nach der Zahlung eines Geldbetrages in Höhe von ? 750,-- diversionell gemäß § 198 Abs. 2 Z 1 bis 3 StPO erledigt und ist der Beschwerdeführer in Österreich strafrechtlich unbescholten.

Am 20.09.2017 hat der Beschwerdeführer das Gewerbe "Friseur und Perückenmacher (Stylist) (Handwerk), eingeschränkt auf Herrenfriseur ausgenommen Haarfärbung und Permanentwelle" angemeldet und ist seither als Friseur selbständig erwerbstätig.

Der Beschwerdeführer hat Deutschqualifizierungsmaßnahmen besucht und spricht auf einfachem Niveau die deutsche Sprache.

Der Beschwerdeführer war bis 01.11.2012 Mitglied im Verein für Kultur, Information und kurdische Angelegenheiten.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in der Türkei vor seiner Ausreise einer individuellen Verfolgung durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt war oder er im Falle einer Rückkehr in die Türkei einer solchen ausgesetzt wäre.

Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in die Türkei mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr einer Verletzung seiner durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte ausgesetzt ist oder dass sonstige Gründe vorliegen, die einer Rückkehr oder Rückführung (Abschiebung) in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.

1.2. Zur Lage in der Türkei wird festgestellt:

Allgemeine politische Lage

Überblick

Die Türkei ist eine Präsidialrepublik und laut Art. 2 ihrer Verfassung ein demokratischer, laizistischer und sozialer Rechtsstaat auf der Grundlage öffentlichen Friedens, nationaler Solidarität, Gerechtigkeit und der Menschenrechte. Staats- und Regierungschef in einem ist seit Einführung des präsidialen Regierungssystems (09.07.2018) der Staatspräsident, der die politischen Geschäfte führt. Die Amtszeit des direkt vom Volk gewählten Staatsoberhauptes beträgt fünf Jahre, eine einmalige Wiederwahl ist möglich.

Das seit 1950 bestehende Mehrparteiensystem ist in Art. 68 der Verfassung festgeschrieben.

Für die Parlamentswahl gilt eine 10 %-Hürde. Aufgrund einer Änderung des Wahlgesetzes 2018 ist es aber auch sog. "Wahlbündnissen" mehrerer Parteien möglich, ins Parlament einzuziehen, wenn das Bündnis insgesamt die Schwelle von 10 % überwindet. Die letzte Parlamentswahl fand zeitgleich mit der Präsidentschaftswahl am 24.06.2018 statt. Internationale Wahlbeobachter der ODIHR-Beobachtermission konstatieren in ihrem Bericht vielfältige Verstöße gegen den Fairnessgrundsatz (u.a. ungleicher Medienzugang, Wahl unter Ausnahmezustand), stellten die Legitimität des Gesamtergebnisses insgesamt jedoch nicht in Frage. Der Wahlkampf fand unter den rechtlichen Einschränkungen des Notstandes statt. Der Kandidat der HDP, Selahattin Demirtas, befindet sich bis heute im Gefängnis. Nach den amtlichen Ergebnissen erzielte die Regierungspartei AKP 42,5 %, die mit ihr verbündete MHP kam auf 11,2 %. Gemeinsam verfügen beide Parteien damit über eine deutliche Mehrheit im Parlament. Die linkskemalistische CHP erreichte 22,67 %, die rechtsnationalistische IYI Parti auf 10,01 % und die linke, prokurdische HDP schaffte mit 11,62 % ebenfalls den Einzug ins Parlament.

Bei der am 31.03.2019 erfolgten Kommunalwahl gewann die oppositionelle CHP unter anderem die Bürgermeisterwahlen in Ankara und Istanbul. Auf Beschwerde der Regierungspartei AKP entschied der Hohe Wahlrat am 6.5.2019, die Wahl in Istanbul zu annullieren, nachdem StP Erdogan sich persönlich zur Wahl geäußert und von schwerwiegenden Manipulationen gesprochen hatte. Die Neuwahl ist für den 23.06.2019 festgesetzt.

Die Gewaltenteilung ist in der Verfassung in Art. 7 (Legislative), 8 (Exekutive) und 9 (Judikative) festgelegt; realiter besteht allerdings eine starke Machtkonzentration im Amt des Staatspräsidenten. Laut Art. 9 erfolgt die Rechtsprechung durch unabhängige Gerichte. Die in Art. 138 der Verfassung geregelte Unabhängigkeit der Richter ist durch die umfassenden Kompetenzen des in Disziplinar- und Personalangelegenheiten dem Justizminister unterstellten Rates der Richter und Staatsanwälte (HSK) in Frage gestellt. Der Rat ist u. a. für Ernennungen, Versetzungen und Beförderungen zuständig. Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Rates sind seit 2010 nur bei Entlassungen von Richtern und Staatsanwälten vorgesehen. Nach dem Putschversuch von Mitte Juli 2016 wurden fünf der 22 Richter und Staatsanwälte des HSK verhaftet, Tausende von Richtern und Staatsanwälten wurden aus dem Dienst entlassen. Seit Inkrafttreten der im April 2017 verabschiedeten Verfassungsänderungen wird der HSK teils vom Staatspräsidenten, teils vom Parlament ernannt, ohne dass es bei den Ernennungen der Mitwirkung eines anderen Verfassungsorgans bedürfte. Die Zahl der Mitglieder des HSK wurde auf 13 reduziert.

Der am 20.07.2016 eingeführte und siebenmal verlängerte Notstand wurde am 19.07.2018 aufgehoben; wesentliche Regelungen der Dekrete wurden allerdings in reguläre Gesetzgebung überführt. So wurden z.B. Teile der Notstandsvollmachten auf die Provinzgouverneure übertragen, die vom Staatspräsidenten ernannt werden.

Die als Überprüfungsmechanismus für Notstandsentscheidungen (insbes. Entlassungen aus dem öffentlichen Dienst) geschaffene staatliche Untersuchungskommission entspricht nach Einschätzungen von Amnesty International nicht den rechtsstaatlichen Standards. So ist die Kommission personell abhängig von der Regierung, langsam, arbeitet prozessual fraglich (z.B. Beweislastumkehr, keine Vorabmitteilung der Entlassungsgründe an Betroffene). Nur rd. 5.250 (7,5%) der 70.406 bearbeiteten Anträge wurden positiv beschieden (Stand: Mai 2019).

Das Verfassungsgericht prüft die Vereinbarkeit von einfachem Recht mit der Verfassung. Seit September 2012 besteht für alle Staatsbürger die Möglichkeit einer Individualbeschwerde beim Verfassungsgerichtshof. Nach dem Putschversuch wurden zwei Richter des Verfassungsgerichts verhaftet und mit Beschluss des Plenums des Gerichts entlassen.

Oberste Instanz der Verwaltungsgerichte ist der Verwaltungsgerichtshof, die der Straf- und Zivilgerichte der Kassationsgerichtshof. Aufgrund der großen Überlastung der obersten Instanzen wurde unmittelbar vor dem Putschversuch Ende Juni 2016 die seit mehreren Jahren geplante Zwischeninstanz in Form von Regionalgerichten eingeführt und die mittlere Instanz der Verwaltungsgerichtsbarkeit gestärkt. Im Zuge dieser Maßnahmen wurde durch eine Gesetzesänderung vom 01.07.2016 entschieden, die Mitgliederzahl der beiden obersten Gerichtshöfe zu reduzieren. Die Frist zur Umsetzung wurde mit Notstandsdekret 696 vom 20.11.2017 bis 2022 verlängert. Am 25.07.2016 wurden anstelle der entlassenen Richter (mit Ausnahme der jeweiligen Gerichtspräsidenten) 267 neue Mitglieder für den Kassationsgerichtshof und 75 für den Verwaltungsgerichtshof gewählt. Mit Dekret Nr. 696 vom 20.11.2017 wurde jedoch der Kassationsgerichtshof mit 100 neuen Posten aufgestockt und der Verwaltungsgerichtshof mit 16 Posten. Vorwürfe, dass diese personellen Veränderungen zu einer Verschiebung der parteipolitischen Orientierung an den Gerichten genutzt wurden, erscheinen plausibel.

Betätigungsmöglichkeiten von Menschenrechtsorganisationen

Menschenrechtsorganisationen können wie andere Vereinigungen gegründet und betrieben werden, unterliegen jedoch (wie alle Vereine) nach Maßgabe des Vereinsgesetzes der rechtlichen Aufsicht durch das Innenministerium. Ihre Aktivitäten werden von Sicherheitsbehörden und Staatsanwaltschaften beobachtet. Einige Menschenrechtsorganisationen und ihre Mitglieder sind (Ermittlungs-) Verfahren mit zum Teil fragwürdiger rechtlicher Grundlage ausgesetzt, (z. B. sog. Büyükada-Verfahren). Nur wenige der Verfahren gegen Menschenrechtsverteidiger enden mit Freisprüchen. Gelegentlich ziehen sich die Verfahren über mehr als ein Jahr hin, und oft bleiben die Beschuldigten zumindest bis zum ersten Verhandlungstag in Untersuchungshaft.

Hinzu kommt, dass seit der Verhängung des Notstands am 20.07.2016 mehrere Tausend Vereinigungen, darunter zahlreiche Menschenrechtsorganisationen, geschlossen wurden. Im (kurdisch geprägten) Südosten des Landes sind die Betätigungsmöglichkeiten von Menschenrechtsorganisationen noch wesentlich stärker eingeschränkt als im Rest des Landes.

Die am 30.06.2012 gegründete MR-Institution der Türkei (MRI, Insan Haklari Kurumu) wurde am 07.04.2016 durch das Institut für Menschenrechte und Gleichstellung (Insan Haklari ve Esitlik Kurumu) ersetzt. Die neue Institution geht aus einem Antidiskriminierungsgesetz hervor, das die Türkei am 06.04.2016 zur Erfüllung der Kriterien zur Visaliberalisierung erlassen hatte. Die Institution besteht aus elf Mitgliedern, die vom Staatspräsidenten bestimmt werden. Ihr kommt die Rolle des "Nationalen Präventionsmechanismus" gem. OPCAT zu. Menschenrechtsorganisationen werfen der Institution fehlende Unabhängigkeit vor. Seit Juni 2012 verfügt die Türkei auch über das Amt eines Ombudsmanns mit etwa 200 Mitarbeitern. Beschwerden können auf Türkisch, Englisch, Arabisch und Kurdisch eingereicht werden. Ferner verfügt das Parlament über einen ständigen Ausschuss für Menschenrechte sowie einen Petitionsausschuss, die sich allerdings kaum mit Fragen wie Presse-, Meinungs-, Versammlungs- und Religionsfreiheit befassen.

Rolle und Arbeitsweise der Sicherheitsbehörden und des Militärs

Die Polizei untersteht dem Innenministerium und übt ihre Tätigkeit in den Städten aus. Sie hat, wie auch der nationale Geheimdienst MIT (Millî Istihbarat Teskilâti), der sowohl für die Inlands- wie für die Auslandsaufklärung zuständig ist, unter der AKP-Regierung an Einfluss gewonnen. Seit den Auseinandersetzungen mit der Gülen-Bewegung ist die Polizei aber auch selbst zum Objekt umfangreicher Säuberungen geworden (über 33.000 Bedienstete betroffen von massenhaften Versetzungen, Suspendierungen vom Dienst, Entlassungen und Strafverfahren). Die Jandarma ist für die ländlichen Gebiete und Stadtrandgebiete zuständig, rekrutiert sich teils aus Wehrpflichtigen und untersteht dem Innenminister. Polizei und Jandarma sind zuständig für innere Sicherheit, Strafverfolgung und Grenzschutz. Der MIT ist die Institution, die am meisten Einfluss gewinnen konnte. (siehe auch Abschnitt II.1.1.)

Die vor 2002 dominante politische Bedeutung des Militärs ist unter der AKP-Regierung stark zurückgedrängt worden, die Regierung konnte hier das Primat der Politik durchsetzen. Erstmals in der Geschichte der Republik wurde das Militär unter zivile Aufsicht (des Verteidigungsministeriums) gestellt, seine Autonomie in personellen, organisatorischen und wirtschaftlichen Fragen aufgehoben. Unmittelbar mit Annahme des Verfassungsreferendums vom April 2017 wurde die Militärgerichtsbarkeit in die zivile Gerichtsbarkeit überführt. Von den "Säuberungen" seit dem Putschversuch im Juli 2016 ist das Militär besonders stark betroffen (dort wg. der Luftschläge in der Putschnacht insbesondere die Luftwaffe).

Asylrelevante Tatsachen

Staatliche Repressionen

Die systematische Verfolgung mutmaßlicher Anhänger der Gülen-Bewegung dauert an. Die Kriterien für die Feststellung der Anhänger- bzw. Mitgliedschaft sind hierbei recht vage. Türkische Behörden (bzw. Gerichte) ordnen Personen nicht nur dann als Terroristen ein, wenn diese tatsächlich aktives Mitglied der Gülen-Bewegung sind, sondern auch dann, wenn diese z. B. lediglich persönliche Beziehungen zu Mitgliedern der Bewegung unterhalten, eine von der Bewegung betriebene Schule besucht haben oder im Besitz von Schriften Gülens sind. In der Regel reicht das Vorliegen eines der folgenden Kriterien, um eine strafrechtliche Verfolgung als mutmaßlicher "Gülenist" einzuleiten:

- Nutzen der verschlüsselten Kommunikations-App ByLock;

- Geldeinlage bei der Bank Asya nach dem 25.12.2013;

- Abonnement bei der Nachrichtenagentur Cihan oder der Zeitung Zaman;

- Spenden an den Gülen-Strukturen zugeordnete Wohltätigkeitsorganisationen;

- Besuch Gülen zugeordneter Schulen durch Kinder;

- Kontakte zu Gülen zugeordneten Gruppen/Organisationen/Firmen (inkl. abhängige Beschäftigung);

- Teilnahme an religiösen Versammlungen der Gülen-Bewegung.

Eine Verurteilung setzt in der Regel das Zusammentreffen mehrerer dieser Indizien voraus.

Im Zuge der erneuten Eskalation des Konflikts mit der PKK 2015 und unter dem Einfluss des de-facto Koalitionspartners der AKP, der radikalnationalistischen MHP, wurde der Druck auf die - vormals z.T. geduldeten - links-kurdischen regierungskritischen Kreise wieder deutlich erhöht.

Politische Opposition

Ein Teil der Opposition kann sich nicht mehr frei und unbehelligt am politischen Prozess beteiligen. Zehn ehemalige Abgeordnete der links-kurdischen Partei HDP befinden sich in Untersuchungshaft oder sind rechtskräftig zu Haftstrafen verurteilt, darunter die ehemaligen KoVorsitzenden Figen Yüksekdag und Selahattin Demirtas. Den HDP-Abgeordneten wird meistens Unterstützung oder Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation (PKK) vorgeworfen. Damit droht ihnen im Falle von Verurteilungen neben den langen Haftstrafen auch ein fünfjähriges Politikverbot. Auch auf lokaler Ebene versucht die Regierung, den Einfluss der HDP bzw. ihrer Schwesterpartei DBP zu verringern. Die HDP/DBP wurde bei den Kommunalwahlen 2014 die vorherrschende politische Kraft im Südosten der Türkei. Im Zuge der Notstandsdekrete sind bis Ende 2017 insgesamt 93 gewählte Kommunalverwaltungen, überwiegend im kurdisch geprägten Südosten der Türkei, mit der Begründung einer Nähe zu terroristischen Organisationen (PKK, vereinzelt Gülen-Bewegung) abgesetzt und durch sog. staatliche Treuhänder ersetzt worden. Bei den Wahlen am 31.März 2019 sind einige abgesetzte Bürgermeister wiedergewählt worden. Allerdings verweigerten die lokalen Wahlräte einer Reihe von Wahlsiegern der HDP die Ernennung zum Bürgermeister und ernannten stattdessen die zweitplatzierten Kandidaten (meist: AKP) Begründet wurde die Maßnahme damit, dass die betroffenen HDP-Politiker zuvor per Dekret aus dem öffentlichen Dienst entlassen worden waren. Dennoch hatte sie der Wahlrat zur Wahl zugelassen.

Seit 2009 wurden keine Parteien verboten. Für die Regierung war die HDP Verhandlungspartner in den - 2015 abgebrochenen- Friedensverhandlungen mit der PKK.

Der Führung der HDP / DBP wird regierungsseitig vorgeworfen, enge Verbindungen zur PKK sowie zu deren politischer Dachorganisation KCK (Koma Ciwaken Kürdistan, Union der Gemeinschaften Kurdistans) zu pflegen. Strafverfolgung gegen die PKK und die KCK betrifft insofern teilweise auch Mitglieder der HDP/ DBP.

Nach Einschätzung der HDP befinden sich rd. 6 000 Parteifunktionäre und -mitglieder (inkl. DBP) aktuell in Haft. Die KCK hat nach Auffassung der türkischen Behörden zum Ziel, von der PKK dominierte quasi-staatliche Parallelstrukturen (z. B. Sicherheit, Wirtschaft) aufzubauen. Bei diversen Verhaftungswellen im Südosten des Landes sowie in den Ballungszentren Istanbul, Ankara und Izmir wurden seit Mitte 2011 auch Journalisten, Akademiker, Gewerkschafter und Rechtsanwälte inhaftiert. Seit der Eskalation der Kämpfe in Nordsyrien 2014 kam es zu zahlreichen Verhaftungen im Zusammenhang mit öffentlichen Äußerungen gegen diesen Einsatz mit dem Vorwurf der Terrorpropaganda.

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Meinungs- und Pressefreiheit

Die türkische Verfassung garantiert Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Meinungs- und Pressefreiheit, in der Praxis sind diese Rechte aber weitgehend ausgehebelt.

Die Freiheit, auch ohne vorherige Genehmigung unbewaffnet und gewaltfrei Versammlungen abzuhalten, unterliegt Einschränkungen, soweit Interessen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, die Vorbeugung von Straftaten bzw. die allgemeine Gesundheit oder Moral betroffen sind. In der Praxis werden bei regierungskritischen politischen Versammlungen regelmäßig dem Veranstaltungszweck zuwiderlaufende Auflagen bezüglich Ort und Zeit gemacht und zum Teil aus sachlich nicht nachvollziehbaren Gründen Verbote ausgesprochen. Betroffen von Versammlungsverboten und Einschränkungen der Meinungsfreiheit sind auch immer wieder Gewerkschaftsmitglieder. Regierungskritische Demonstrationen nach den Gezi-ParkProtesten im Sommer 2013 wurden vielfach aufgelöst. Seit 2015 wurden Gay-Pride-Paraden in Istanbul und Ankara teils sehr kurzfristig verboten. 2017 verfügte der Gouverneur von Ankara ein grundsätzliches Verbot für öffentliche Veranstaltungen mit LGBTI-Bezug.

Fälle von massiver Gewalt seitens der Sicherheitskräfte, polizeilicher Ingewahrsamnahmen und strafrechtlicher Ermittlungen bei der Teilnahme an nicht genehmigten oder durch Auflösung unrechtmäßig werdenden Demonstrationen kommen nicht selten vor. Nicht genehmigte Versammlungen werden häufig unter Einsatz von Wasserwerfern, Tränengas und Schlagstöcken aufgelöst.

Die extensive Auslegung des unklar formulierten § 220 tStGB (kriminelle Vereinigung) durch den Kassationsgerichtshof führte zur Kriminalisierung von Teilnehmern an Demonstrationen, bei denen auch PKK-Symbole gezeigt wurden bzw. zu denen durch die PKK aufgerufen wurde, unabhängig davon, ob dieser Aufruf bzw. die Nutzung dem Betroffenen bekannt war. Sie müssen - auch bei Teilnahme an einer solchen Demonstration im Ausland - mit einer Verurteilung wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung rechnen.

Das 2004 novellierte Vereinsgesetz erlaubt die Gründung von Vereinen auf der Grundlage der Zugehörigkeit u. a. zu einer Religion oder Volksgruppe innerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens. Türkisch muss nur noch in der offiziellen Korrespondenz des Vereins mit staatlichen Institutionen benutzt werden.

Die türkische Rechtsordnung schränkt die Presse- und Meinungsfreiheit durch zahlreiche Bestimmungen der Straf- und Antiterrorgesetze ein. Kritisch bleiben nach wie vor die unspezifische Terrorismusdefinition und ihre Anwendung durch die Gerichte. Nach den aktuellsten verfügbaren Angaben des türkischen Justizministeriums wurden 2017 24.585 Personen wegen Straftaten nach dem Antiterrorgesetz angeklagt; im gleichen Jahr wurde wegen 6162 solcher Straftaten eine Freiheitsstrafe verhängt, und in 5202 Fällen erging Freispruch. Ermittlungsverfahren laufen in erheblicher Zahl. Weitere Verfahren wurden auf andere Weise (Aussetzung zur Bewährung, Geldstrafe u.a.) erledigt.

Ebenso problematisch ist die sehr weite Auslegung des Terrorismusbegriffs durch die Gerichte. So kann etwa auch öffentliche Kritik am Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte in den Kurdengebieten der Südosttürkei oder das Teilen von Beiträgen mit PKK-Bezug in den sozialen Medien bei entsprechender Auslegung bereits den Tatbestand der Terrorpropaganda erfüllen. Die "Beleidigung des Türkentums" ist gemäß Art. 301 tStGB strafbar und kann von jedem Staatsbürger zur Anzeige gebracht werden, der Meinungs- oder Medienäußerungen für eine Verunglimpfung der nationalen Ehre hält. Offiziellen Zahlen zufolge wurden 2017 insgesamt 6.033 Straftaten wegen Beleidigung des derzeitigen Staatspräsidenten gemäß Art. 299 tStGB eingeleitet und über 4.069 Fälle entschieden (davon 2.099 zu Freiheitsstrafe, 873 Freispruch, 1.660 "Aufschub der Urteilsverkündung" und 518 sonstige Beschlüsse).

Seit Beginn der dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 folgenden "Säuberungen" erhöhte sich der Druck auf die Medien. Aktuell befinden sich über 100 Journalisten in Haft. Den meisten von ihnen wird Unterstützung der Gülen-Bewegung oder der PKK vorgeworfen. Die Anklageschriften enthalten häufig konstruierte Anschuldigungen, die nicht selten lediglich auf öffentlichen Meinungsäußerungen beruhen. Innerhalb von sechs Wochen nach dem Putsch wurden sämtliche von der Regierung als Gülen-nah angesehenen Medien per Dekret geschlossen. Ende Dezember 2016 veranlasste ein Richter in Istanbul die Beschlagnahmung des Privatvermögens von 54 z.T. inhaftierten Journalisten/Publizisten, die in der Vergangenheit bei Gülen-nahen Medienorganen angestellt waren. Insgesamt wurden seit Juli 2016 knapp 200 Medienorgane geschlossen; alle in diesen Medien tätigen Journalisten haben ihre Presseakkreditierung verloren. "Reporter ohne Grenzen" verwies die Türkei 2019 im Länderranking der Pressefreiheit auf Platz 157 von 180 Alle landesweiten Nachrichtenagenturen stehen der Regierungspartei nahe, 90 % der türkischen Medien (Print, Rundfunk, TV) sind personell und/oder finanziell mit der Regierungspartei AKP verbunden. Die restlichen 10% werden finanziell ausgehungert, indem ihnen staatliche Werbeanzeigen entzogen werden (u.a. auch durch direkte Drohungen an Werbung schaltende Unternehmen). Selbstzensur - schon vor dem Putschversuch weit verbreitet - ist inzwischen auch in bislang moderat kritischen Medien angekommen. Es werden mit Verweis auf die "Bedrohung der nationalen Sicherheit" oder "Gefährdung der nationalen Einheit" Publikationsverbote ausgesprochen. Dies trifft - teilweise wiederholt - vor allem kurdische oder linke Zeitungen.

Das Internetgesetz vom März 2018, das Online-Journalismus regulieren soll, ist bislang noch nicht umgesetzt worden. Durch (Teil-) Sperrungen von Webseiten oder einzelner Artikel ohne gesetzliche Regelung wird häufig Zensur von Online-Medien ausgeübt. Im Zeitraum vom 04. bis 07.11.2016 wurden Onlineplattformen und Messengerdienste wie WhatsApp, Twitter, Facebook und Youtube im Zuge der HDP-Festnahmen für Tage gesperrt bzw. lahmgelegt. Die Telekommunikationsbehörde TTK forderte zudem mehrere VPN-Provider dazu auf, VPN-Verbindungen aus der Türkei zu stoppen. Seit April 2017 ist die OnlineEnzyklopädie Wikipedia in der Türkei gesperrt.

Minderheiten

Türkische Staatsbürger nichttürkischer Volkszugehörigkeit sind aufgrund ihrer Abstammung keinen staatlichen Repressionen unterworfen. Die Ausweispapiere enthalten keine Aussage zur ethnischen Zugehörigkeit.

Die Türkei erkennt Minderheiten als Gruppen mit rechtlichem Sonderstatus grundsätzlich unter den Voraussetzungen des Lausanner Vertrags von 1923 an, der "türkischen Staatsangehörigen, die nichtmuslimischen Minderheiten angehören, (...) die gleichen gesellschaftlichen und politischen Rechte wie Muslimen" (Art. 39) garantiert. Weiterhin sichert er den nichtmuslimischen Minderheiten das Recht zur "Gründung, Verwaltung und Kontrolle (...) karitativer, religiöser und sozialer Institutionen und Schulen sowie anderer Einrichtungen zur Unterweisung und Erziehung" zu (Art. 40). Nach offizieller türkischer Lesart beschränkt sich der Schutz allerdings auf drei Religionsgemeinschaften: die griechisch-orthodoxe (ca. 2.000), die armenisch-apostolische Kirche (ca. 60.000) und die jüdische Gemeinschaft (ca. 20.000 Mitglieder). Nicht umfasst sind Gläubige diverser Ostkirchen, Katholiken, Protestanten und weitere nicht-sunnitische Religionsgruppen - einschließlich Aleviten (bis zu 25% der Bevölkerung) und Schiiten. [Zur Lage religiöser Minderheiten vgl. auch die Ausführungen zu 1.4.]

Neben den offiziell anerkannten religiösen Minderheiten gibt es u.a. folgende ethnische Gruppen, wobei die Angaben zu Zahlenstärken recht unzuverlässig sind: Kurden (13 bis 15 Mio.), Roma (zwischen 2 und 5 Mio.), Tscherkessen (geschätzt rd. 2 Mio.), Bosniaken (bis zu 2 Mio.), Krimtataren (geschätzt rd. 1 Mio.), Araber (vor dem Syrienkrieg 800 000 bis 1 Mio.), Lasen (zw. 50 000 und 500 000), Georgier (rd. 100 000), Uighuren (rd. 50 000), Armenier (mind. 40 000), Syriaken (zw. 20 000 und 30 000) und andere Gruppen in kleiner und schwer zu bestimmender Anzahl (div. zentralasiatische und kaukasische Volksgruppen, Turkomanen, Pomaken, Albaner und andere).

Der private Gebrauch der kurdischen Sprache ist in Wort und Schrift seit Anfang der 2000er Jahre keinen Restriktionen ausgesetzt, der amtliche Gebrauch ist allerdings eingeschränkt. Unterricht in kurdischer Sprache ist an öffentlichen Schulen seit 2012 und an privaten seit 2014 möglich (Wahlpflichtfach "Lebendige Sprachen und Mundarten"). Außerdem wurde die Möglichkeit geschaffen, dass Dörfer im Südosten ihre kurdischen Namen zurückerhalten. Die verfassungsrechtliche Festschreibung von Türkisch als einziger Nationalsprache bleibt jedoch erhalten. Seit einigen Jahren existiert im Südosten eine lebendige kurdischsprachige Medienlandschaft (TV, Funk, Print, Online). Viele - regierungskritische - Medien wurden jedoch seit 2015 von der Regierung verboten.

Für eine Rückkehr zum politischen Verhandlungsprozess zwischen der Regierung und der PKK gibt es aktuell keine Anzeichen.

Erhebliche Diskriminierungen der Roma u.a. auf den Gebieten Bildung, Beschäftigung, Gesundheit und Wohnen bestehen fort. Im April 2016 verabschiedete die türkische Regierung einen Strategie- und Aktionsplan zur Inklusion von Roma. Sein Fokus beschränkt sich auf einzelne soziale Dienstleistungen von Behörden. Dem Plan liegt jedoch kein Budget zugrunde. Unklar bleibt auch über 2018 hinaus, in welcher Form der Plan umgesetzt werden wird. Von Seiten der Regierung bleiben die Ansätze zur Umsetzung bis dato kaum erkennbar und bauen in erster Linie auf private Aktivitäten, die von ausländischen Gebern (EU, bilaterale Unterstützung) finanziell unterstützt werden.

Exilpolitische Aktivitäten

Türkische Staatsangehörige, die im Ausland für eine in der Türkei verbotene Organisation tätig sind und sich nach türkischen Gesetzen strafbar gemacht haben, laufen Gefahr polizeilicher oder justizieller Maßnahmen, wenn sie in die Türkei einreisen. Insbesondere Personen, die als Auslöser von als separatistisch oder terroristisch erachteten Aktivitäten und als Aufwiegler angesehen werden, müssen mit strafrechtlicher Verfolgung durch den Staat rechnen. Es kann davon ausgegangen werden, dass türkische Stellen Regierungsgegner, darunter insbesondere PKK- und Gülen-Anhänger, im Ausland ausspähen. Mehrere Unterlagen und Auslieferungsersuchen, die diese Vermutung nahelegen, wurden bereits an die Bundesregierung übermittelt.

Öffentliche Äußerungen, auch in sozialen Netzwerken, Zeitungsannoncen oder -artikeln, sowie Beteiligung an Demonstrationen, Kongressen, Konzerten etc. im Ausland zur Unterstützung kurdischer Belange sind strafbar, wenn sie als Anstiftung zu konkret separatistischen und terroristischen Aktionen in der Türkei oder als Unterstützung illegaler Organisationen nach dem türkischen Strafgesetzbuch gewertet werden können. Aus bekannt gewordenen Fällen ist zu schließen, dass solche Äußerungen zunehmend zu Strafverfolgung und Verurteilung führen und sogar als Indizien zur Feststellung der Mitgliedschaft in einer Terrororganisation herangezogen werden.

Repressionen Dritter

Es existieren mehrere linksradikale, terroristische Gruppierungen. Neben der PKK sind es v.a. die DHKP-C (Devrimci Halk Kurtulus Partisi - Cephesi - "Front der Partei zur Revolutionären Volksbefreiung"), die TKP-ML (Türkiye Komünist Partisi / Marksist Leninist) und die linksterroristische MLKP (Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei).

Trotz der andauernden Bedrohung der nationalen Sicherheit durch Teile dieser Gruppierungen kann davon ausgegangen werden, dass sie keine Repressionen gegenüber einer bestimmten Personengruppe wegen ihrer Rasse, Nationalität oder Religion ausüben. Dies gilt in der Regel auch für die umstrittene Einrichtung der Dorfschützer, vom Staat angestellte, bewaffnete Einheimische, die vor den Übergriffen der PKK im Südosten des Landes schützen sollen (über 80.000 in 22 Provinzen). Die sunnitisch-islamistische kurdische Hizbullah hat seit 2000, die islamistische IBDA-C ("Front der Kämpfer des Großen Ostens") seit 2003 keine Gewaltaktionen mehr verübt.

Ausweichmöglichkeiten

Die unter Ziffer II. genannten Maßnahmen werden landesweit praktiziert, die Justiz sowie die Sicherheitskräfte haben Zugriff auf das gesamte Staatsgebiet.

Menschenrechtslage

Schutz der Menschenrechte in der Verfassung

Der Menschenrechtsschutz wird in der Verfassung in Artikel 2 festgeschrieben und in den folgenden Paragraphen konkretisiert. Parteien werden durch Artikel 68 Abs. 4, Abgeordnete durch ihre Eidesformel (Art. 81) auf ihre Einhaltung verpflichtet.

Die Türkei gehört dem Europarat an und ist Partei der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) von 1950, des 1. Zusatzprotokolls (Grundrecht auf Eigentum) sowie des 6. Zusatzprotokolls zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe in Friedenszeiten, des 11. (obligatorische Gerichtsbarkeit des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte), des 13. (uneingeschränkte Aufhebung der Todesstrafe) und des 14. Zusatzprotokolls.

Die türkische Regierung hat am 22.07.2016 unter Berufung auf den Notstandsfall den Europarat über eine allg. Derogation nach Art. 15 EMRK notifiziert sowie über eine entsprechende Derogation vom Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte. Der Notstand lief am 20.07.2018 aus; die Derogation wurde aufgehoben.

Die Türkei ist Vertragspartei des Europäischen Übereinkommens zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe von 1987. Sie gehört seit 1973 der OSZE an, unterzeichnete 1990 auch die Pariser Charta.

Darüber hinaus gehört die Türkei zu den Erstunterzeichnern des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (11.05.2011), das für die Türkei zum 01.08.2014 in Kraft getreten ist.

Die EMRK ist aufgrund Art. 90 der Verfassung gegenüber nationalem Recht vorrangig und direkt anwendbar. EMRK und Rechtsprechung des EGMR werden jedoch bislang von der innerstaatlichen Justiz nicht ausreichend berücksichtigt. Das türkische Justizministerium bemüht sich gemeinsam mit EU und Europarat auch durch Fortbildungen für Richter und Staatsanwälte um Abhilfe. Wiederholt befasste sich das Ministerkomitee des Europarats mit der Türkei aufgrund nicht umgesetzter Urteile wie Ülke/Türkei (Wehrdienstverweigerung) oder Xenides-Arestis/Türkei (Eigentumsfragen in Nord-Zypern).

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) spielt im Land eine besonders wichtige Rolle. Mit der Einführung der Individualbeschwerde seit September 2012 beruft sich das Verfassungsgericht noch häufiger auf die EMRK. Im Zuge des massenhaften strafrechtlichen Vorgehens gegen mutmaßliche Anhänger der Gülen-Bewegung kam es zu einer deutlichen Zunahme der Individualbeschwerden beim EGMR, die jedoch idR am Erfordernis der innerstaatlichen Rechtswegerschöpfung scheitern.

Des Weiteren ist die Türkei den wichtigsten Übereinkommen der Vereinten Nationen beigetreten.

Im Januar 2020 wird sich die Türkei dem Universellen Staatenüberprüfungsverfahren des VN-Menschenrechtsrats (UPR) unterwerfen.

Die Türkei ist - trotz ihres Beitritts zur Organisation Islamischer Staaten (OIC) 1969 - nicht Partei der Erklärung der Islamischen Staaten zu Menschenrechten.

Folter

Die Regierung hat bis zum Sommer 2015 große Fortschritte dabei erzielt, Folter und Misshandlungen im staatlichen Gewahrsam zu bekämpfen. Sie hat auch gesetzgeberische Mittel eingesetzt, um Folter und Misshandlung im Rahmen einer "Null-Toleranz-Politik" zu unterbinden: Beispielhaft genannt seien die Erhöhung der Strafandrohung (Art. 94ff. des tStGB); direkte Anklagen ohne Einverständnis des Vorgesetzten von Folterverdächtigen; Runderlasse an Staatsanwaltschaften, Folterstraftaten vorrangig und mit besonderem Nachdruck zu verfolgen; Verhinderung der Verschleppung von Strafprozessen und der Möglichkeit, sich dem Prozess zu entziehen; Durchsetzung ärztlicher Untersuchungen bei polizeilicher Ingewahrsamnahme; Stärkung von Verteidigerrechten.

Im Zuge der Ermittlungen gegen Personen, denen eine Beteiligung an dem Putschversuch vom 15.7.2016 vorgeworfen wurde (mutmaßliche Anhänger der Gülen-Bewegung), wurden von einigen NROs (u.a. Amnesty International, Human Rights Watch) sehr detaillierte Foltervorwürfe gegen die türkische Polizei und Justiz erhoben. Demnach sei es insbesondere in den ersten Tagen nach dem Putschversuch zu Übergriffen bei der Festnahme von Verdächtigen und auch gegen solche im Gewahrsam gekommen, gerade bei Personen, denen eine aktive Teilnahme vorgeworfen wurde (Piloten und Offiziere). Amnesty International und türkische NROs zeigen sich überzeugt, dass die heutige Lage wieder besser sei als jene in den Monaten nach dem Putschversuch. Es wird über Misshandlungen im Rahmen der Anti-Terroreinsätze gegen die PKK im Südosten des Landes berichtet. Es gibt aber keine Anhaltspunkte dafür, dass es systematische Folter gibt, auch gibt es keine offizielle Abweichung von der "NullToleranz-Politik". Es sind keine Strafverfahren gegen Angehörige der Sicherheitsbehörden wegen Foltervorwürfen bekannt.

Lt. Human Rights Foundation TIHV seien 2018 insgesamt 298, (2017: 383; 2016: 487) Anschuldigungen wegen Folter und Misshandlungen registriert worden. Hinsichtlich der Folter in Gefängnissen hat sich nach belastbaren Informationen von Menschenrechtsorganisationen die Situation in den letzten Jahren erheblich verbessert; es werden weiterhin allerdings Einzelfälle zur Anzeige gebracht, vor allem in Gestalt von körperlicher Misshandlung und psychischen Drucks.

Ein Problem bei der strafrechtlichen Verfolgung der Täter ist die Nachweisbarkeit von Folter und Misshandlungen. Bei Aufnahme und vor der Entlassung aus dem Gefängnis erfolgen daher medizinische Untersuchungen zur Feststellung des Gesundheitszustands des Häftlings. Die seit Januar 2004 geltende Regelung, dass außer auf Verlangen des Arztes Vollzugsbeamte nicht mehr bei der Untersuchung von Personen in Gewahrsam bzw. Haft anwesend sein dürfen und das Untersuchungsergebnis direkt dem Staatsanwalt versiegelt (ohne Kopie für die Vollzugsbeamten) auszuhändigen ist, wird nicht durchgehend angewandt. Gerade im Rahmen der Notstandsmaßnahmen dürften Abweichungen von diesen Bestimmungen laut TIHV eher die Regel gewesen sein. Zudem sind medizinische Gutachten nur von staatlich kontrollierten Stellen zugelassen; die Ärztekammer berichtet über Druck auf einzelne Ärzte und Einschüchterungsversuche durch Androhung von Disziplinarverfahren durch das zuständige forensische Institut. Grundsätzlich kann gegen alle Sachverständigengutachten - hierzu zählt auch ein medizinisches Gutachten - Einspruch erhoben werden.

Todesstrafe

Die Todesstrafe ist in der Türkei abgeschafft. Die unmittelbar nach dem Putschversuch aufgekommene Debatte um ihre Wiedereinführung ist - mit Ausnahme hitziger Wahlkampfpolemik -mittlerweile wieder verstummt.

Sonstige menschenrechtswidrige Handlungen

Willkürliche kurzfristige Festnahmen im Rahmen von - mitunter erlaubten, aber in einigen Fällen eskalierenden - Demonstrationen oder Trauerzügen kommen vor. Sie werden von offizieller Seite regelmäßig mit dem Hinweis auf die angebliche Unterstützung einer terroristischen Vereinigung bzw. Verbreitung von Propaganda einer kriminellen Organisation gerechtfertigt. Festnahmen von Flüchtlingen, die "temporäres Asyl" beantragen (siehe Ziff. III.5.), ergehen regelmäßig ohne schriftliche Begründung; ein Rechtsschutz ist nicht vorgesehen.

Seit dem Putschversuch gibt es Berichte von Menschenrechtsorganisationen über Fälle von unfreiwilligem Verschwinden im zweistelligen Bereich. Betroffen waren ausschließlich Personen, gegen die wegen einer Mitgliedschaft in der "Gülen-Bewegung" ermittelt wurde.

Ebenso gibt es vermehrt Fälle von unverhältnismäßig langer Untersuchungshaft ohne Anklageschrift, oft über mehrere Monate, z.T. über einem Jahr. So verbrachte der Aktivist und Mäzen Osman Kavala 16 Monate ohne Anklage in Untersuchungshaft.

In der Türkei gibt es zurzeit 389 Gefängnisse, darunter 14 sog. F-TypHochsicherheitsgefängnisse. In den vergangenen 12 Jahren wurden insgesamt 214 Haftanstalten geschlossen. Bis 2019 wurden insgesamt 164 neue Gefängnisse eröffnet.

Die türkischen Gefängnisse waren in den letzten Jahren regelmäßig überfüllt (Nov. 2018: 118 %; Nov. 2016:104 %; 2014: 101,57 %). Diese landesweiten Durchschnittszahlen täuschen darüber hinweg, dass einzelne Gefängnisse deutlich stärker, bis zu 200 %, überbelegt sind. Die Regierung bemüht sich jedoch mit ersten Erfolgen um Entlastung, indem die Kapazität der Haftanstalten auf 213.862 Plätze (2016: 189.269) gesteigert und Häftlinge in weniger belegte Gefängnisse verlegt wurden. Gleichzeitig waren nach einer Aussage des damaligen Justizministers aufgrund des Dekrets Nr. 671 vom 17.08.2016 bis Ende Dezember 2016 insgesamt 44.800 Häftlinge aus der Strafhaft entlassen worden. Die Regelung umfasst zum einen Strafhäftlinge, die sich ununterbrochen seit sechs Monaten in einer offenen Haftanstalt befinden oder in einer Jugendhaftanstalt ein Fünftel der Haftstrafe vollstreckt haben (Haftentlassung noch vor dem bedingten Entlassungstermin unter sog. kontrolliertem Freigang), zum anderen Strafhäftlinge, die zu einer zeitlich begrenzten Haftstrafe verurteilt wurden und die Hälfte (vor der Neuregelung: zwei Drittel) davon verbüßt haben. Die Haftentlassungen gelten für Straftaten, die vor dem Stichtag 01.07.2016 begangen wurden, wobei Terrordelikte und bspw. Straftaten wie vorsätzliche Tötung, schwere Körperverletzung, sexueller Missbrauch hiervon ausgenommen werden.

Nach einer Presseerklärung des türkischen Justizministers vom 20.11.2018 befanden sich 260.144 Personen in Haft. Darunter befanden sich 57.710 Untersuchungshäftlinge (2016: 68.006; 2015:25.981; 2013: 32.457). Die Grundausstattung der türkischen Gefängnisse entspricht nach Angaben des türkischen Justizministeriums den EU-Standards.

Die Haftbedingungen sind aufgrund der Überbelegung der Haftanstalten dennoch schwierig, Selbst wenn die qm-Zahlen pro Häftling nach den Maßstäben des Europarats noch eingehalten werden ist die sonstige Ausstattung der Gefängnisse bei deutlicher Überbelegung nicht auf die Zahl der Insassen ausgelegt. Der Bericht des VN-Ausschusses gegen Folter (CAT) von 2016 konstatiert darüber hinaus einen Mangel an Gefängnispersonal (ca. 8.000) und medizinischem Personal. Berichte über mangelnden Zugang zur medizinischen Versorgung von kranken Häftlingen sind demzufolge besorgniserregend. Häftlinge, die einen Krankentransport benötigen, müssen oftmals warten, bis eine ausreichende Anzahl an anderen Häftlingen ebenfalls transportiert werden muss. Zugang zur zahnmedizinischen Versorgung, sowie zu psychologischer Unterstützung ist nicht garantiert.

Mit Stand 08.01.2019 bestanden in der Türkei weiterhin lediglich sieben geschlossene Haftanstalten für Kinder und Jugendliche (Altersgruppe 12 - 21 Jahre) und fünf sog. Erziehungsanstalten für strafgefangene Kinder, so dass ein großer Teil der insgesamt ca. 3.000 rechtskräftig verurteilten oder in Untersuchungshaft befindlichen minderjährigen Personen in Erwachsenen-Haftanstalten untergebracht ist. Soweit wie möglich werden Kinder und Jugendliche dort getrennt von den erwachsenen Häftlingen untergebracht, zumindest die Gemeinschaftseinrichtungen müssen jedoch gemeinsam genutzt werden. Die Erwachsenenhaftanstalten verfügen in der Regel kaum über auf die junge Zielgruppe abgestimmte Bildungs- oder Beschäftigungsmöglichkeiten, in den Jugendhaftanstalten gibt es zumindest teilweise eine recht umfassende Angebotspalette.

Medienberichten zufolge beklagten sich Insassen über unzureichende Betreuung durch Sozialarbeiter und Psychologen in Gefängnissen. Angaben des Justizministeriums zufolge kämen auf 549 Insassen ein Psychologe und auf 986 Häftlinge nur ein Sozialarbeiter.

Rückkehrfragen

Situation für Rückkehrerinnen und Rückkehrer

Grundversorgung

In der Türkei gibt es keine mit dem deutschen Recht vergleichbare staatliche Sozialhilfe. Sozialleistungen für Bedürftige werden auf der Grundlage der Gesetze Nr. 3294 über den Förderungsfonds für Soziale Hilfe und Solidarität und Nr. 5263, Gesetz über Organisation und Aufgaben der Generaldirektion für Soziale Hilfe und Solidarität gewährt. Die Hilfeleistungen werden von den in 81 Provinzen und 850 Kreisstädten vertretenen 973 Einrichtungen der Stiftungen für Soziale Hilfe und Solidarität (Sosyal Yardimlasma ve Dayanisma Vakfi) ausgeführt, die den Gouverneuren unterstellt sind. Anspruchsberechtigt nach Art. 2 des Gesetzes Nr. 3294 sind bedürftige Staatsangehörige, die sich in Armut und Not befinden, nicht gesetzlich sozialversichert sind und von keiner Einrichtung der sozialen Sicherheit ein Einkommen oder eine Zuwendung beziehen, sowie Personen, die gemeinnützig tätig und produktiv werden kön

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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