Entscheidungsdatum
22.11.2019Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
L521 2171910-1/21E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Mathias KOPF, LL.M. über die Beschwerde von XXXX , Staatsangehörigkeit Irak, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH als Mitglieder der ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, 1170 Wien, Wattgasse 48, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.09.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 22.10.2019 zu Recht:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Artikel 133 Absatz 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer stellte im Gefolge seiner schlepperunterstützten unrechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet am 29.08.2015 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz.
Im Rahmen der niederschriftlichen Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 30.08.2015 gab der Beschwerdeführer an, den Namen XXXX zu führen und Staatsangehöriger des Irak zu sein. Er sei XXXX in Bagdad geboren und habe dort acht Jahre die Grundschule besucht. Er habe zuletzt in Falludscha gelebt und sei als Hilfsarbeiter tätig gewesen sowie ledig. Seine Eltern, zwei Brüder und drei Stiefgeschwister seien im Irak oder einem anderen Drittstaat aufhältig.
Im Hinblick auf seinen Reiseweg brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, den Irak vor etwa eineinhalb Jahren legal von Falludscha ausgehend mit einem Personenkraftwagen in die Türkei verlassen zu haben. Vor etwa einem Monat sei er schlepperunterstützt über Griechenland, Nordmazedonien und Serbien - teilweise unter Nutzung verschiedener Transportmittel und teilweise im Fußweg - bis nach Österreich gelangt.
Zu den Gründen seiner Ausreise aus dem Heimatland befragt, führte der Beschwerdeführer aus, den Irak aus Angst vor dem (Milizen-)Krieg und der unsicheren Lage verlassen zu haben. Bei einer Rückkehr habe er Angst um sein Leben, wobei er von staatlicher Seite nichts zu befürchten hätte.
2. Nach Zulassung des Verfahrens wurde der Beschwerdeführer am 23.10.2016 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien Außenstelle Wien, im Beisein eines geeigneten Dolmetschers sowie einer Vertrauensperson in der Sprache Arabisch niederschriftlich vor dem zur Entscheidung berufenen Organwalter einvernommen.
Zunächst bestätigte der Beschwerdeführer, bis dato der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht zu haben, wobei es noch viel gebe, was er noch nicht gesagt habe. Die Niederschrift der Erstbefragung sei ihm nicht rückübersetzt worden und seien Teile seiner Ausführungen nicht ins Protokoll aufgenommen worden.
Zur Person und den Lebensumständen befragt gab der Beschwerdeführer an, den Namen XXXX (Vatersname XXXX und Großvatersname XXXX ) zu führen. Er sei XXXX in XXXX geboren, Staatsangehöriger des Irak, Angehöriger der arabischen Volksgruppe, des Stammes XXXX und des sunnitischen Glaubens, ledig sowie kinderlos. Er habe zunächst bis in das Jahr 2006 in der Stadt Falludscha im Gouvernement al-Anbar gelebt. Anschließend habe er sich bis 2014 nach Syrien in die Umgebung von Damaskus begeben. Im Jahr 2014 sei er - nach einem fünftägigen Aufenthalt im Irak - in die Türkei verzogen, wo er bis August 2015 verblieben sei. Er habe von 2002 bis 2014 im Irak und anschließend in Syrien sechs Jahre Grund- und drei Jahre die Hauptschule besucht, wobei er zwei Klassen wiederholen habe müssen. Seine Mutter sei bereits bei seiner Geburt verstorben. Sein Vater habe anschließend eine Schwester seiner Mutter geehelicht. Sein Vater, seine zwei Brüder und drei Stiefgeschwister würden in der Türkei leben. Sein Vater beziehe eine irakische Pension und hätte sich seine Familie in der Türkei eine Wohnung gemietet. Drei Onkel väterlicherseits und zwei Onkel mütterlicherseits seien noch im Irak wohnhaft. Er stehe mit seinem Vater und seinen Geschwistern regelmäßig - zuletzt vor einer Woche telefonisch - in Kontakt. Zu seinen Onkeln bestünde kein Kontakt.
Zu den Gründen für das Verlassen seines Heimatstaates befragt, gab der Beschwerdeführer an, dass sein Vater Vizeoffizier bei der Baath-Partei gewesen sei. Sein Großvater sei wegen der Tätigkeit seines Vaters ermordet worden, woraufhin sich die Familie aus Angst nach Syrien begeben habe. Nach den Unruhen in Syrien, nach der Entführung und Folterung seines Vaters und seiner eigenen Entführung und Folterung sei die Familie über den Irak - nach einem fünftägigen Aufenthalt - in die Türkei gereist. Sie seien zur Ausreise aus Syrien gezwungen gewesen, zumal die Ortschaft Az-Zabadani aus der Luft bombardiert und vom benachbarten Berg beschossen worden sei. Die Familie habe auch befürchtet, dass sein Vater ein zweites Mal entführt werde und nicht mehr zurückkehre. Sein Vater und zwei Stiefgeschwister seien am 26.04.2012 entführt und sein Vater zehn Tage gefoltert worden. Er sei dann selbst von den Schabiha-Milizen entführt, drei Tage festgehalten und befragt worden. Man habe wissen wollen, weshalb er in Syrien sei und warum seine Familie den Irak verlassen habe. Sein Vater habe sich dann zu den Schabiha-Milizen begeben und seine Freilassung erfleht. Er habe nicht mehr selbständig gehen können, weshalb ihn sein Vater in ein Krankenhaus gebracht habe. Seine Familie sei bis zum Jahr 2014 in Syrien geblieben.
In der Folge wurden dem Beschwerdeführer weitere Fragen zur Entführung seines Vaters und zu seiner eigenen Entführung in Syrien gestellt.
Befragt, ob er im Irak persönlich bedroht oder verfolgt worden sei, erwiderte der Beschwerdeführer: "Nein." Was seinen Vater betrifft, so bejahte der Beschwerdeführer eine persönliche Bedrohung und Verfolgung im Irak, wobei er nicht so genau wisse, von wem sein Vater bedroht worden sei.
Bei einer Rückkehr in den Irak befürchte er, dass sie getötet werden würden. Seine Familie sei vor ihrer Flucht bedroht worden. Andernfalls hätten sie den Irak im Jahr 2006 nicht verlassen und hätten sich nicht in die Türkei, sondern in den Irak begeben. Bei einer Rückkehr würde man ihn an der Stelle seines Vaters töten.
Im Rahmen der Einvernahme brachte der Beschwerdeführer einen klinisch-psychologischen Befund, eine Teilnahmebestätigung für Start Wien - das Jugendcollege und einen irakischen Personalausweis - jeweils im Original - vor. Des Weiteren legte er eine Sterbeurkunde seines Großvaters vom 30.03.2006, eine Anzeigenbestätigung bezüglich der Tötung seines Großvaters vom 18.01.2010, ein in Syrien ausgestelltes Flüchtlingszertifikat des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge bezüglich seiner Familie, eine Bestätigung über die erstmalige Ausstellung eines eigenen Reisepasses und Identitätsdokumente bezüglich des Vaters - jeweils in Kopie - vor.
3. Am 17.08.2017 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien Außenstelle Wien, im Beisein eines geeigneten Dolmetschers sowie einer Vertrauensperson in der Sprache Arabisch niederschriftlich vor dem zur Entscheidung berufenen Organwalter nochmals ergänzend zu seiner gesundheitlichen Situation und seinen Integrationsbemühungen einvernommen.
Im Rahmen der Einvernahme brachte der Beschwerdeführer eine Teilnahmebestätigung für das Modul "Polizei und Sicherheit" und eine Bestätigung über die Inanspruchnahme einer Psychotherapie vor.
4. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.09.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG 2005 erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 unter einem festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak gemäß § 46 FPG 2005 zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2005 wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).
Begründend führte die belangte Behörde nach der Wiedergabe der Einvernahme des Beschwerdeführers und den Feststellungen zu dessen Person aus, es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer einer konkreten persönlichen asylrelevanten Bedrohung oder Verfolgung im Irak ausgesetzt gewesen sei bzw. eine solche zukünftig zu befürchten hätte. Dem Beschwerdeführer sei eine Rückkehr in den Irak möglich und zumutbar.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl legte seiner Entscheidung ferner Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers zugrunde (vgl. die Seiten 14 bis 83 des angefochtenen Bescheides).
Beweiswürdigend erwog die belangte Behörde im Wesentlichen, dass sich das - im Übrigen als nicht glaubhaft qualifizierte - Fluchtvorbringen auf Syrien und nicht den Herkunftsstaat des Beschwerdeführers bezogen habe. Im Irak sei der Beschwerdeführer weder bedroht noch verfolgt worden.
In rechtlicher Hinsicht folgerte die belangte Behörde, der Beschwerdeführer habe keine Verfolgung im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention zu gewärtigen, sodass kein internationaler Schutz zu gewähren sei. Dem Beschwerdeführer sei der Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen, da keine reale Gefahr einer Verletzung in elementaren Rechte sowie keine Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts drohe. Dem Beschwerdeführer sei schließlich kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 zu erteilen.
5. Mit Verfahrensanordnungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.09.2017 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Absatz 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt und dieser ferner gemäß § 52a Absatz 2 BFA-VG darüber informiert, dass er verpflichtet sei, ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen.
6. Gegen den dem Beschwerdeführer am 12.09.2017 durch Hinterlegung zugestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richtet sich die im Wege der bevollmächtigten Rechtsberatungsorganisation fristgerecht eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
In dieser wird inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften moniert und beantragt, das Geburtsdatum des Beschwerdeführers auf den XXXX zu berichtigen, den angefochtenen Bescheid zur Gänze zu beheben und dem Beschwerdeführer Asyl zu gewähren, hilfsweise festzustellen, dass dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Irak zukomme, hilfsweise den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit zur Gänze zu beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuweisen sowie festzustellen, dass die erlassene Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei und die Voraussetzungen für die Erteilung von Aufenthaltsberechtigungen (plus) gemäß § 55 AsylG vorliegen und dem Beschwerdeführer daher gemäß § 58 Abs. 2 AsylG Aufenthaltsberechtigungen (plus) von Amts wegen zu erteilen seien. Ferner wird die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht begehrt.
In der Sache bringt der Beschwerdeführer nach neuerlicher Darlegung des aus seiner Sicht maßgeblichen Sachverhaltes vor, dass das belangte Bundesamt seiner Pflicht gemäß § 18 Abs. 1 AsylG 2005 nicht ausreichend nachgekommen sei. Das belangte Bundesamt stützte die angefochtene Entscheidung auf unzureichende, teils veraltete Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat im Hinblick auf die Situation von ehemaligen Mitgliedern der Baath-Partei und deren Familienangehörigen und zur Situation von Sunniten im Irak, wobei in der Beschwerde in der Folge etwa fünf Seiten Berichte zur Lage im Herkunftsstaat aus den Jahren 2010 bis 2015 auszugsweise zitiert werden.
Des Weiteren wird ausgeführt, dass im Verfahren vor der belangten Behörde der Grundsatz des Parteiengehöres gemäß § 45 Abs. 3 AVG verletzt worden sei. Dem Beschwerdeführer seien die Beweisergebnisse nicht vorgehalten worden und somit könne er erst im Rahmen der Beschwerde diesbezüglich Stellung nehmen.
Insoweit die belangte Behörde feststelle, dass der Beschwerdeführer am XXXX geboren wäre, werde festgehalten, dass dieser tatsächlich - wie auch aus dem irakischen Personalausweis im Original hervorgehe - am XXXX geboren sei. Zudem habe das belangte Bundesamt unrichtigerweise festgestellt, dass der Beschwerdeführer gesund wäre und an keiner psychischen Erkrankung leiden würde. Dies sei unrichtig - der Beschwerdeführer leide an einer posttraumatischen Belastungsstörung - und habe er zum Beweis dafür einen entsprechenden klinisch-psychologischen Befund sowie eine Bestätigung über die Absolvierung einer Psychotherapie vorgelegt.
Das vom Beschwerdeführer erstattete Vorbringen bezüglich seiner Ausreisegründe aus dem Irak sei schlüssig und glaubhaft. Der Beschwerdeführer habe gemeinsam mit seiner Familie im Jahr 2006 aus Furcht vor politischen Gründen, da sein Vater Mitglied der Baath-Partei gewesen sei, sowie aufgrund seiner Furcht vor Verfolgung aus religiösen Gründen, aufgrund seiner sunnitischen Glaubenszugehörigkeit, seinen Herkunftsstaat in Richtung Syrien verlassen. Im Falle seiner Rückkehr drohe dem Beschwerdeführer aufgrund der Tatsache, dass sein Vater Mitglied der Baath-Partei unter Saddam Hussein gewesen sei, Verfolgung aus politischen Gründen, aufgrund seiner - ihm wenn auch nur unterstellten - politischen Gesinnung. Außerdem drohe dem Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr Verfolgung aus religiösen Gründen, aufgrund seiner sunnitischen Glaubenszugehörigkeit. Zudem sei die Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers so prekär, dass der Beschwerdeführer, der seit mehr als zehn Jahren nicht in seinem Heimatstaat gewesen sei, keine Fachausbildung habe und zudem kein familiäres oder soziales Netz mehr im Irak habe, im Falle seiner Rückkehr in eine ausweglose Situation geraten würde.
Die Feststellung, der Beschwerdeführer würde im Irak über zahlreiche nahestehende Familienangehörige verfügen, sei schlicht unrichtig. Der Beschwerdeführer habe nur noch Onkeln im Irak, zu diesen habe er allerdings keinen Kontakt und diese auch seit mehr als zehn Jahren nicht mehr gesehen. "Zahlreiche nahestehende Familienangehörige" seien diese Onkel somit jedenfalls nicht.
Was die Beweiswürdigung betrifft, so wird diese betreffend die Feststellungen zur Person, zu den Gründen für das Verlassen des Heimatstaates und zur Situation im Falle der Rückkehr in den Irak als willkürlich bezeichnet, wobei hinsichtlich Letzterer Folgendes angemerkt wird. Hätte die Behörde die in der Beschwerde angeführten Länderberichte ihrer Entscheidung zugrunde gelegt und diese entsprechend gewürdigt, so hätte das belangte Bundesamt erkannt, dass die Situation im Irak so prekär sei, dass der Beschwerdeführer, der seit mehr als zehn Jahren nicht in seinem Herkunftsstaat gewesen sei, keine Fachausbildung habe und zudem über kein familiäres oder soziales Netz mehr im Irak verfüge, im Falle seiner Rückkehr in eine ausweglose Situation geraten würde.
Zur allfälligen Gewährung von Asyl wird angemerkt, dass dem Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr außerdem Verfolgung aufgrund der Tatsache, dass er in Europa gelebt habe, drohe.
Schließlich wird festgehalten, dass der Beschwerdeführer sehr um eine positive Integration in Österreich bemüht sei, die Gesetze respektiere und strafrechtlich unbescholten sei. Der Beschwerdeführer bemühe sich derzeit um einen Platz in einem Deutschkurs. Der Beschwerdeführer sei zudem Mitglied in einem österreichischen Fitnesscenter.
Der Beschwerde sind in Kopie ein militärischer Ausweis bezüglich des Vaters und erneut das in Syrien ausgestellte Flüchtlingszertifikat des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge bezüglich der Familie angeschlossen.
7. Die Beschwerdevorlage langte am 28.09.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Die Rechtssache wurde in weiterer Folge der nun zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zugewiesen.
8. Mit E-Mail vom 04.10.2017 legte der Beschwerdeführer im Wege der bevollmächtigten Rechtsberatungsorganisation einen Kurzbericht einer Psychotherapeutin des Vereins HEMAYAT in Kopie vor.
9. Am 07.11.2017 übermittelte der Beschwerdeführer im Wege der bevollmächtigten Rechtsberatungsorganisation einen klinisch-psychologischen Befund vom 17.10.2017 in Kopie.
10. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 02.05.2019 wurde Primar Dr. Christoph RÖPER, LL.M., Facharzt für Neurologie, zum Sachverständigen bestellt und mit der Erstellung eines medizinischen Gutachtens zum aktuellen Gesundheitszustand des Beschwerdeführers beauftragt.
11. Die im Zuge der Einvernahme vor der belangten Behörde und im Rahmen des Beschwerdeschriftsatzes vorgelegten irakischen Urkunden (Personalausausweis, militärischer Ausweis des Vaters, Sterbeurkunde und Anzeigenbestätigung bezüglich des Großvaters) wurden seitens des Bundesverwaltungsgerichtes am 07.05.2019 einer Übersetzung zugeführt.
12. Mit Note des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17.09.2019 wurde dem Beschwerdeführer das Gutachten des Sachverständigen Primar Dr. Christoph RÖPER, LL.M. sowie aktualisierte länderkundliche Informationen zur Lage im Irak zur Stellungnahme übermittelt.
Der Beschwerdeführer nahm weder zum Gutachten vom 29.05.2019, noch zu den aktualisierten länderkundlichen Informationen zur Lage im Irak Stellung.
13. Am 22.10.2019 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers und eines Vertreters der bevollmächtigten Rechtsberatungsorganisation sowie eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch durchgeführt. Im Verlauf dieser Verhandlung wurde dem Beschwerdeführer einerseits Gelegenheit gegeben, neuerlich seine Ausreisemotivation umfassend darzulegen sowie die aktuelle Lageentwicklung im Irak anhand der dem Beschwerdeführer bereits zur Stellungnahme übermittelten Länderdokumentationsunterlagen erörtert. Seitens des Beschwerdeführers wurden insbesondere zwei Empfehlungsschreiben vorgelegt. Im Übrigen wurde der Beschwerdeführer aufgefordert, den vorgelegten Ausweis seines Vaters in besserer Qualität und Nachweise über den Aufenthalt seiner Familie in der Türkei binnen zwei Wochen vorzulegen. Bis zum Entscheidungszeitpunkt wurden vom Beschwerdeführer keine weiteren Unterlagen in Vorlage gebracht.
14. Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 28.10.2019 wurden der bevollmächtigten Rechtsberatungsorganisation des Beschwerdeführers seitens des Bundesverwaltungsgerichtes - unter Setzung einer zweiwöchigen Frist zur Abgabe einer Stellungnahme ab Zustellung dieses Schreibens - ergänzende länderkundliche Informationen zur Lage im Irak zur Kenntnis gebracht. Bis zum Entscheidungszeitpunkt wurde vom Beschwerdeführer keine Stellungnahme in Vorlage gebracht.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der Beschwerdeführer führt den im Spruch angeführten Namen, er ist Staatsangehöriger des Irak und Angehöriger der arabischen Volksgruppe. Er wurde am XXXX in der Stadt XXXX im Gouvernement al-Anbar geboren und lebte dort bis zu seiner Ausreise nach Syrien im Jahr 2006. Der Beschwerdeführer ist Moslem und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Er ist ledig und hat keine Kinder. Der Beschwerdeführer beherrscht die Sprache Arabisch.
Der Beschwerdeführer wurde nach seiner Ausreise nach Syrien vom Hochkommissar für Flüchtlingsangelegenheiten der Vereinten Nationen in Syrien als Flüchtling anerkannt.
Physisch weist der Beschwerdeführer keine maßgeblichen körperlichen Einschränkungen oder Erkrankungen auf.
Der Beschwerdeführer leidet an einer Anpassungsstörung mit einer leichtgradigen depressiven Reaktion F 43.2 in Remission. Der Leidensdruck ist als gering anzusehen und ist eine medikamentöse Therapie des Krankheitsbildes aktuell nicht erforderlich. Es ist nicht von einer dauerhaften Behandlungsbedürftigkeit auszugehen. Im Fall einer Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak ist eine kurz- bis mittelfristige Verschlechterung des Krankheitsbildes möglich. Aus neurologischer Sicht besteht aber im Falle einer Überstellung nicht die reale Gefahr, dass der Beschwerdeführer aufgrund der psychischen Störung in einen lebensbedrohlichen Zustand geraten oder die Krankheit sich in einem lebensbedrohlichen Ausmaß verschlechtern könnte.
Der Beschwerdeführer besuchte mehrere Jahre die Schule ohne Maturaabschluss. Der Beschwerdeführer war in der Türkei in Restaurants als Kellner tätig und verrichtete verschiedene Hilfstätigkeiten in Supermärkten und einem Holzfällerunternehmen.
Seine Mutter ist bereits bei seiner Geburt verstorben. Vier Onkel des Beschwerdeführers leben nach dessen Ausreise weiterhin in der Stadt XXXX . Den vom Bundesverwaltungsgericht nicht überprüften Angaben des Beschwerdeführers zufolge verfügten sich der Vater, die Stiefmutter, zwei Brüder und mehrere Stiefgeschwister im Jahr 2014 ebenfalls in die Türkei und mieteten dort eine Wohnung. Der Vater des Beschwerdeführers ist Pensionist und bezieht eine irakische Pension, seine Stiefmutter führt den Haushalt. Der Beschwerdeführer unterhält zu seinem Vater, seinen Brüdern und seiner Stieffamilie regelmäßig telefonischen Kontakt. Der derzeitige Aufenthaltsort dieser Angehörigen des Beschwerdeführers kann nicht zweifelsfrei festgestellt werden.
Der Beschwerdeführer gehörte dem Islamischen Staat vor seiner Ausreise nicht an, ebenso finden sich unter seinen Angehörigen keine Anhänger des Islamischen Staates.
Der Beschwerdeführer verließ den Irak zuletzt - nachdem er den Irak bereits im Jahr 2006 von der Stadt XXXX aus nach Syrien verließ, wo er sich die folgenden Jahre aufhielt - im Jahr 2014 nach einem fünftägigen Aufenthalt auf dem Landweg in die Türkei und gelangte in der Folge nach einem dortigen - etwa eineinhalbjährigen - Aufenthalt, wobei er Gelegenheitsarbeiten verrichtete, schlepperunterstützt auf dem Seeweg nach Griechenland und weiter nach Österreich, wo er am 29.08.2015 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
1.2. Der Beschwerdeführer gehört keiner politischen Partei oder politisch aktiven Gruppierung an und hatte in seinem Herkunftsstaat keine Schwierigkeiten aufgrund seiner arabischen Volksgruppenzugehörigkeit und seines sunnitischen Religionsbekenntnisses zu gewärtigen. Der Beschwerdeführer hatte außerdem vor seiner Ausreise keine Schwierigkeiten mit Behörden, Gerichten oder Sicherheitskräften seines Herkunftsstaates zu gewärtigen.
Am 18.03.2016 starb der Großvater des Beschwerdeführers eines gewaltsamen Todes. Die Identität oder das Motiv der Täter waren nicht feststellbar. Ebenso wenig war eine Mitgliedschaft des Vaters des Beschwerdeführers bei der Baath-Partei feststellbar.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer und dessen Familie wegen ihrer Religionszugehörigkeit oder wegen einer Parteimitgliedschaft des Vaters bei der Baath-Partei vor ihrer Ausreise im Jahr 2006 in XXXX bedroht wurden.
Der Beschwerdeführer verließ die Stadt XXXX im Jahr 2006 ohne dass Verfolgungshandlungen wider den Beschwerdeführer gesetzt wurden.
Es kann abseits davon nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise aus seinem Herkunftsstaat einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt war oder er im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre. Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer der Gefahr von Übergriffen durch schiitische Milizen oder extremistische Gruppierungen oder psychischer und/oder physischer Gewalt seitens verbliebener Anhänger des Islamischen Staates im Falle einer Rückkehr in seine Herkunftsregion mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre.
Der Beschwerdeführer ist im Fall einer Rückkehr in seine Herkunftsregion auch nicht einer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretenden individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt aufgrund seines Bekenntnisses zum sunnitischen Islam ausgesetzt. Zudem wird dem Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr in seine Herkunftsregion nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Anhängerschaft bzw. Unterstützung des Islamischen Staates oder ein sonstiges Naheverhältnis zum Islamischen Staat vor der Ausreise unterstellt werden.
Wider den Beschwerdeführer besteht im Irak weder ein Haftbefehl, noch wird er in anderer Weise von zivilen oder militärischen Behörden oder Gerichten gesucht. Der Beschwerdeführer ist im Rückkehrfall nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von strafrechtlicher Verfolgung bedroht.
1.3. Dem Beschwerdeführer droht im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat nicht die Todesstrafe. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie kriegerische Ereignisse oder extremistische Anschläge im Irak.
Der Beschwerdeführer ist - abgesehen von einer Anpassungsstörung mit einer leichtgradigen depressiven Reaktion in Remission - ein gesunder, arbeits- und anpassungsfähiger Mensch mit grundlegender Schulbildung und Berufserfahrung als Kellner sowie durch die Verrichtung von Hilfstätigkeiten in Supermärkten oder einem Holzfällerunternehmen. Der Beschwerdeführer verfügt über eine - wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherte Existenzgrundlage in seinem Herkunftsstaat und über bestehende familiäre Anknüpfungspunkte in der Stadt Falludscha im Gouvernement al-Anbar. Dem Beschwerdeführer ist ferner die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zur Sicherstellung des eigenen Auskommens möglich und zumutbar.
Dem Beschwerdeführer steht im Irak der Zugang zu ärztlicher Hilfe und zu einer adäquaten Krankenbehandlung offen.
Ihm steht im Falle einer Rückkehr in den Irak im Hinblick auf eine Bedrohung und/oder Verfolgung durch schiitische Milizen, die Milizen des Islamischen Staates oder sonstige private Dritte auch eine zumutbare und taugliche Aufenthaltsalternative in einer Großstadt wie Bagdad und dort in einem sunnitischen Stadtviertel zur Verfügung. Dort wäre die existentielle Lebensgrundlage des Beschwerdeführers angesichts der finanziellen Unterstützung durch seine in Falludscha lebenden Familienmitglieder - etwa durch Überweisungen - oder durch Aufnahme einer eigenen beruflichen Tätigkeit gesichert. Offene Kampfhandlungen finden in Bagdad nicht statt und kann von einer weiteren Stabilisierung der Sicherheitslage ausgegangen werden. Die Stadt Bagdad ist für den Beschwerdeführer auch direkt erreichbar.
1.4. Der Beschwerdeführer verfügt über ein irakisches Ausweisdokument im Original (Personalausweis).
1.5. Der Beschwerdeführer hält sich seit Ende August 2015 in Österreich auf. Er reiste rechtswidrig in Österreich ein, ist seither Asylwerber und verfügt über keinen anderen Aufenthaltstitel. Der Beschwerdeführer ist für keine Person im Bundesgebiet sorgepflichtig.
Der Beschwerdeführer bezog seit der Antragstellung bis zum 31.10.2019 Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber, wobei als Entlassungsgrund aus der Grundversorgung "[Privat verzogen Inland]" angeführt wurde. Er war bis 18.10.2019 in einer Unterkunft für Asylwerber in der Gemeinde Wien untergebracht. Am 18.10.2019 begründete er einen privaten Wohnsitz in 1040 Wien.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich keiner sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen, ist jedoch grundsätzlich erwerbsfähig und sind etwaige gesundheitliche Einschränkungen des Beschwerdeführers - abgesehen von einer Anpassungsstörung mit einer leichtgradigen depressiven Reaktion in Remission - nicht aktenkundig. Eine konkrete Erwerbstätigkeit am regulären Arbeitsmarkt hat der Beschwerdeführer nicht in Aussicht.
Der Beschwerdeführer hat in Österreich keine Verwandten und pflegt im Übrigen normale soziale Kontakte. Er besucht einen Fitnessclub und spielt Fußball. Der Beschwerdeführer ist ansonsten weder in einem Verein noch in einer sonstigen Organisation Mitglied. Er verrichtete gemeinnützige Tätigkeiten an seinem Unterbringungsort. Des Weiteren besuchte er am 19.07.2017 das Modul "Polizei und Sicherheit" und ab 05.09.2016 das etwa neunmonatige Start Wien - Jugendcollege.
Unterstützer des Beschwerdeführers attestierten diesem die Teilnahme an freiwilligen Arbeiten und Engagement beim Erlernen der deutschen Sprache, Kooperations- und Hilfsbereitschaft sowie dass es sich bei ihm um einen ruhigen, freundlichen, respektvollen, liebevollen und gut erzogenen Mann handle.
Der Beschwerdeführer besucht(e) Deutschkurse, erbrachte aber keinen Nachweis über abgelegte Prüfungen. Er verfügt über grundlegende Kenntnisse der deutschen Sprache.
1.6. Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.
1.7. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet war nie nach § 46a Abs. 1 Z. 1 oder Z. 3 FPG geduldet. Sein Aufenthalt ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig. Der Beschwerdeführer wurde nicht Opfer von Gewalt im Sinn der §§ 382b oder 382e EO.
1.8. Zur gegenwärtigen Lage im Gouvernement Bagdad werden folgende Feststellungen getroffen:
Das Gouvernement Bagdad ist das mit ca. 4.555 km² flächenmäßig kleinste Gouvernement des Landes und beherbergt die gleichnamige irakische Hauptstadt Bagdad. In Bagdad lebten 2018 offiziell schätzungsweise 8,1 Millionen Menschen. Obwohl Bagdad das kleinste Gouvernement im Irak ist, hat es die höchste Einwohnerzahl von allen Gouvernements. 87% der Bevölkerung des Gouvernements leben in der Stadt Bagdad selbst. Die Hauptstadt ist das wichtigste Wirtschaftszentrum des Landes und beherbergt die stark geschützte grüne Zone.
Die Stadt Bagdad ist in neun Verwaltungsbezirke gegliedert: Adhamiyah, Karkh, Karada, Khadimiyah, Mansour, Sadr City, Al Rashid, Rasafa und 9 Nissan ('new Baghdad'). Die restliche Fläche des Gouvernements beherbergt die Verwaltungsbezirke Al Madain, Taji, Tarmiyah, Mahmudiyah und Abu Ghraib, die den sogenannten "Bagdad Belt" bilden und die Vororte beherbergen.
Gouvernement und Stadt Bagdad weisen eine gemischte Bevölkerung aus Schiiten und Sunniten mit einer geringeren Anzahl christlicher Gemeinschaften auf. Während die meisten Stadtteile in Bagdad in der Vergangenheit von einer Mischung aus Sunniten und Schiiten bewohnt waren, führte die gewaltsame Säuberung im Zuge der konfessionellen Konflikte insbesondere in den Jahren 2006 und 2007 dazu, dass die Stadt viel stärker religiös geteilt und von den Schiiten dominiert zu sein scheint (siehe dazu im Detail unten 1.10 "Lage von sunnitischen Arabern in Bagdad").
Die Einheiten der irakischen Armee in Bagdad unterstehen Führung des Baghdad Operations Command (BOC), das in zwei Gebiete unterteilt ist, das Karkh Area Command und das Rusafa Area Command. Die Special Forces Division (SFD) des Premierministers ist für die Sicherheit in der grünen Zone und den Schutz des Premierministers verantwortlich und kann vom Verteidigungsministerium, dem BOC, dem Joint Operations Command (JOC) sowie dem Premierminister selbst eingesetzt werden. Die SDF wird auch für Sicherungsaufgaben in Bagdad herangezogen, insbesondere während der schiitischen Pilgerreisen.
Dem Karkh Area Command untersteht die 6. irakische Armeedivision mit verschiedenen Brigaden, die in und außerhalb der Stadt stationiert sind. Die dem Rusafa Area Command unterstehende 9. Irakische Armeedivision ist derzeit nicht in Bagdad stationiert. Die Bundespolizei des irakischen Innenministeriums ist in Bagdad durch drei Bundespolizeidivisionen vertreten. Die 1. Federal Police Division sichert die südwestliche, westliche und südöstliche Kanalzone von Bagdad. Die 2. Federal Police Division, die einzige mechanisierte Division der Bundespolizei in Bagdad, wird hauptsächlich zur Terrorismusbekämpfung in Bagdad und den Bagdad-Belts, zur Sicherung von Pilgerwegen und zu Aufgaben in Zusammenhang mit der Strafverfolgung herangezogen. Die 4. Federal Police Division deckte das südliche Bagdad und Gebiete südlich der Hauptstadt ab und betreibt das Gefängnis in Karkh. Ergänzend steht westlich von Bagdad die 3. Brigade der Emergency Response Division (ERD) zur Verfügung. Die Stadt Bagdad und die Vororte werden grundsätzlich von den irakischen Behörden kontrolliert. In der Praxis teilen sich die Behörden jedoch die Verteidigungs- und Strafverfolgungsaufgaben mit den schiitisch dominierten Milizen der Volksmobilisierungseinheiten (al-hashd al-sha'bi, engl.: popular mobilization units, PMU oder popular mobilization forces bzw. popular mobilization front, PMF), was zu einer "unvollständigen" oder überlappenden Kontrolle mit diesen Milizen führt. Für die Jahre 2014 und 2015 liegen Berichte vor, wonach Einheiten der PMF an Misshandlungen und Morden an Zivilisten und Sunniten im Zusammenhang mit Operationen gegen den Islamischen Staat in den Bagdad-Belts beteiligt waren.
Seit dem Eintritt der militärischen Niederlage des Islamischen Staates im Dezember 2017 gibt es in Bagdad und anderen Landesteilen weniger Angriffe des Islamischen Staates mit großer Breitenwirkung. Der Islamische Staat verfügt weiterhin über aktive Zellen im nördlichen und westlichen Bagdad-Belt, diese befinden sich jedoch erheblichen Verlusten im Jahr 2017 in einem inaktiven Zustand. Seit dem Jahr 2018 sind Bagdad und die Bagdad-Belts kein prioritäres Operationsgebiet des Islamischen Staates mehr und ist der Islamische Staat nicht mehr für den überwiegenden Teil der Gewalttätigkeiten in der irakischen Hauptstadt verantwortlich. Die Möglichkeit, Anschläge auch im Zentrum der irakischen Hauptstadt zu verüben, dürfte nach wie vor gegeben sein, allerdings befindet sich die verbliebenen Anhänger des Islamischen Staates in einer Phase der Neuaufstellung.
Wenn der Islamische Staat die Verantwortung für Angriffe übernimmt, werden die Opfer entweder als "Abtrünnige" oder "Rafida" (eine abfällige Bezeichnung für schiitische Muslime) oder als bewaffnete Akteure bezeichnet, obwohl die Opfer möglicherweise Zivilisten sind. Der Islamische Staat übertreibt das häufig die Verluste, die seine Anschläge nach sich ziehen.
Die nachstehende Grafik zeigt, dass die Anzahl der zivilen Opfer von Gewaltakten in Bagdad in den Jahren 2017 und 2018 gegenüber den Vorjahren signifikant gesunken ist und wieder das Niveau vor dem Erstarkten des Islamischen Staates erreicht hat (Anmerkung: Die Datenbank Iraq Body Count kommt zu abweichenden Werten, siehe dazu die weitere Grafik).
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Die folgende Grafik veranschaulicht die Entwicklung der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Gouvernement Bagdad und Anzahl der Opfer nach der Datenbank Iraq Body Count, wobei die Darstellung jedwede Art von Gewaltanwendung (insbesondere Bombenanschläge, Selbstmordattentate, Attacken mit Schusswaffen und außergerichtliche Tötungen) umfasst.
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Die Verwaltungsbezirke mit der höchsten Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen, die zu zivilen Todesfällen führten, waren im Jahr 2018 Adhamiya mit 78 sicherheitsrelevanten Vorfällen, die zu 94 zivilen Todesfällen führten, gefolgt von Resafa (einschließlich Thawra 1 & 2) mit 77 sicherheitsrelevanten Vorfällen, die zu 161 zivilen Todesfällen führten, gefolgt von und Mada'In mit 63 sicherheitsrelevanten Vorfällen, bei denen 69 Zivilisten ums Leben kamen. Die höchste Rate an Todesfällen pro 100.000 Einwohner) wurden im Vorort Tarmia (35,80) verzeichnet, gefolgt von Mada'in (15,91) und Adhamiya (8,25). Die meisten von der Iraq Body Count im Jahr 2018 im Gouvernement Bagdad erfassten Vorfälle betrafen Schießereien (46,4%), gefolgt von Morden ("executions") (30,6%) und die Verwendung improvisierter Sprengsätze (20,7%).
Dem Experten Michael Knights zufolge ereigneten sich in Bagdad 2018 die wenigsten Terroranschläge von -Jihadisten seit dem Jahr 2003. Anschläge des Islamischen Staates sind in der Stadt selbst "mehr oder weniger verschwunden", in den Bagdad-Belts sind die Anschläge des islamischen Staates zurückgegangen. Derzeit verhält sich der Islamische Staate in Bagdad und den Bagdad-Belts unauffällig und hat 2018 nicht viele Operationen durchgeführt. Wenn Angriffe verübt werden, handelt es sich meistens um Anschläge mit improvisierten Sprengsätzen. Der Islamische Staat ist wahrscheinlich nicht für den Großteil der Gewalt in Bagdad verantwortlich. Das Institute for the Study of War geht in diesem Zusammenhang davon aus, dass die derzeit registrierten Gewaltakte in Bagdad im Zusammenhang mit kriminellen und politischen Auseinandersetzungen (unter letztes fallen politische Einschüchterung, gezielte Attentate usw.) und nicht mit dem Islamischen Staat stehen. Auch der Experte Michael Knights geht davon aus, dass meisten Gewalttaten in Bagdad nicht dem Islamischen Staat zuzuschreiben sind. Quellen besagen, dass der Islamische Staat seine Aktivitäten derzeit nur im Bagdad-Belt und in den Randgebieten der angrenzenden Gouvernements entfaltet, anstatt in der Stadt selbst. Der Experte Joel Wing gab an, dass die gewalttätigsten Vorfälle mit improvisierten Sprengsätzen und Schießereien, die er aufzeichnete, Medienberichten zufolge im äußersten Norden und Süden von Bagdad und in geringerem Maße im Westen vorkommen. Das Institute for the Study of War stellte fest, dass die intensiveren Angriffe mit improvisierten Sprengsätzen im nördlichen und nordwestlichen Teil der Stadt Bagdad (Kadhimiyah, Adahamyah) und im Vorort Tarmia (nördlich von Bagdad) verübt werden. Nur einige Vorfälle ereigneten sich in Bagdad westlich des Tigris - Karadah und Neu-Bagdad / al-Nissan und östlich des Tigris (Rusafa, Karkh, Rasheed und Mansour) sowie in Doura, jedoch in geringerer Intensität.
Das Institute for the Study of War kommt in seiner Analyse zum Ergebnis, dass "überwiegende Mehrheit" der Gewaltakte in Bagdad im Jahr 2018 "politische Gewalt" darstellte, die im Allgemeinen politische Einschüchterungen, bewaffnete Scharmützel und gezielte Morde unter Schiiten vor dem Hintergrund des anhaltenden politischen Wettbewerbs und der Regierungsbildung nach den Wahlen im Mai 2018 umfasste. In ähnlicher Weise erklärt der Experte Michael Knights, dass der Haupttrend bei der Gewalt in Bagdad darin besteht, dass es sich fast ausschließlich um persönliche, gezielte oder kriminelle Gewalt handelt, die in erster Linie den Einsatz von Kleinwaffen, Erpressung, Einschüchterung, improvisierte Sprengsätze oder Granaten, Schießereien, Raubüberfälle und andere Erscheinungsformen organisierter Kriminalität umfasst. Diese Aktivitäten dienen dem Experten zufolge in erster Linie der Einschüchterung und Gewalt gegen Zivilisten, um Geld zu verdienen, Zivilisten zu vertreiben, die als Außenseiter angesehen werden, oder um politische Gegner oder Menschen mit einer anderen ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit zu vertreiben oder ist gegen Personen gerichtet, die aufgrund ihres Lebensstils oder ihrer vorherigen Beteiligung an Verbrechen oder bewaffneten Konflikten exponiert sind. Er erwähnte auch, dass die politischen Spaltungen unter den Schiiten derzeit einen Großteil der Gewalt in den schiitischen Gebieten von Bagdad und Basrah ausmachen.
Die Expertin Geraldine Chatelard hebt hervor, dass Milizen in Bagdad häufig von Sunniten und Minderheiten der Gewalt beschuldigt werden, Morddrohungen, Entführungen, gezielte Attentate oder die Übernahme von Gebäuden von rechtmäßigen Eigentümern verübt zu haben, dies unter Hinweis darauf, dass sogar Schiiten Opfer von Erpressung und Tötung geworden sind. Der Expterte Michael Knights weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Sunniten und Christen in erster Linie befürchten, von schiitischen Milizen in Bagdad erpresst oder entführt zu werden, jedoch Quellen davon berichteten, dass die Zuweisung der Verantwortung für bestimmte Angriffe zu bestimmten Täter in Bagdad schwierig ist und insbesondere Sprengstoff sowohl zu politischen als auch zu kriminellen Zwecken eingesetzt wird, um Ziele anzugreifen und einzuschüchtern. Den PMF-Milizen werden dabei "enge Verbindungen zu kriminellen Banden" zugeschrieben, die Unterscheidung zwischen beiden ist nicht immer klar.
Der Experte Michael Knights vertritt zur Sicherheitslage allgemein die Ansicht, dass in der Stadt Bagdad die Gebiete sicherer sind und weniger Raum für offene Gewalt wie z.B. improvisierte Sprengsätze oder Raubüberfälle bieten, in denen sich die irakischen Streitkräfte auf die Bewachung wichtiger Standorte konzentrieren - etwa die Verwaltungsbezirke Karkh, Doura und Mansour. Dort wo die irakischen Streitkräfte weniger dominant ist und bewaffnete Akteure wie kriminelle Banden und Milizen Revierkämpfe führen und um Einfluss konkrurrieren, ist die Sicherheitslage entsprechend angespannter, wie in Kadhimiyah, Jihad, Bayaa und Karadah. Er vertrat die Ansicht, dass die "schlimmsten Sicherheitsbereiche" in der Stadt Adhamiyah, New Bagdad und Sadr City seien.
Milizen sind auch in bewaffnete Zusammenstöße zwischen ihnen selbst und den regulären Sicherheitskräften verwickelt, die laut Michael Knights im Jahr 2018 im Zentrum der Hauptstadt und in östlich gelegenen Gebieten mehrmals stattfanden. Ein Vorfall zog mediale Aufmerksamkeit nach sich: Am 20. Juni 2018 stoppte die irakische Polizei ein Auto in der Innenstadt von Bagdad, das Angehörigen der von Iran unterstützten Miliz Kataib Hezbollah ("Hisbollah-Brigaden") gehörte. Ein Hisbollah-Konvoi mit fünf Fahrzeugen traf ein und begann auf die Polizei zu schießen, was zu einem Feuergefecht führte, bei dem zwei Offiziere und ein Milizionär verletzt wurden. Die Polizei umzingelte daraufhin das Hauptquartier der Kataib Hezbollah, bis der Schütze der Polizei übergeben wurde. Der Vorfall spiegelt den möglichen Machtkampf zwischen irakischen Sicherheitskräften (Armee, Bundespolizei, örtliche Polizei) und PMF-Milizen wider.
EASO hat die folgenden sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2018 exemplarisch identifiziert:
Anschläge mit improvisierten Sprengsätzen und Bomben
Bagdad wurde in der Vergangenheit vom Islamischen Staat wegen der Bevölkerungskonzentration bevorzugt angegriffen, da die großen Menschenansammlungen die Möglichkeit geboten haben, mit einem Bombenanschlag eine große Anzahl von Opfern zu treffen. 2018 sind solche Anschläge jedoch zurückgegangen. Noch im Jahr 2017 verfolgte der Experte Michael Knights eine hohe Anzahl von Angriffen mit Hilfe von improvisierten Sprengsätzen auf Märkte und Geschäfte in Bagdad. Die Anzahl der Angriffe dieser Art ging jedoch im weiteren Verlauf des Jahres 2018 zurück. Das Institute for the Study of War stellte fest, dass ein in Bagdad im Jahr 2018 festgestellter charakteristischer Angriff des Islamischen Staates darin bestand, Sprengsätze gegen kleine Personenbusse einzusetzen, die jeweils etwa zehn Personen befördern und die in ganz Bagdad zum Straßenbild gehören. Diese Busse wurden im Islamischen Staat im Jahr 2018 mehrmals mit improvisierten Sprengsätzen angegriffen, was zwar nur minimale Verluste, aber Einschüchterungen der Zivilbevölkerung zur Folge hatte.
Noch im Januar 2018 sprengten sich zwei Selbstmordattentäter auf dem überfüllten Tayran-Markt in Bagdad und töteten dabei mindestens 38 Menschen und verletzten bis zu 90 Menschen. Der Angriff schockierte die Bevölkerung von Bagdad, da er nach einem signifikanten Rückgang solcher Angriffe in Bagdad. Er wurde vom Guardian als der schwerste Angriff auf Bagdad seit der Erklärung des Sieges über den Islamischen Staat beschrieben. Beispiele für andere explosive Angriffe im Jahr 2018 sind die folgenden:
- In Rashidiya explodierte im Januar 2018 eine Bombe, ein Milizionär der PFM wurde getötet und zwei weitere wurden verletzt wurden.
- Am 23. Januar 2018 wurde ein Soldat getötet und zwei weitere verletzt, als eine irakische Militärpatrouille in Tarmiya nördlich von Bagdad von einer Straßenbombe getroffen wurde.
- Am 16. Mai 2018 wurden 5 Menschen getötet und 10 verletzt, als ein Selbstmordattentäter ein schiitisches Begräbnis in Tarmiya angriff.
- Am 23. Mai 2018 verübte der Islamische Staat einen Selbstmordanschlag in der Shula-Region, bei dem Angaben des Islamischen Staates zufolge 33 Menschen getötet und verletzt wurden. Die irakischen Medien berichteten demgegeneüber, dass vier Menschen getötet und 15 verletzt wurden.
- Der Islamische Staat meldete im August 2018 5 Angriffe mit improvisierten Sprengsätzen auf Kleinbusse in Bagdad in den Distrikten Amil, Shula, Turath und Baladiyat. 669 Zwei dieser Angriffe töteten und verletzten 12 schiitische Muslime.
- Im Juni 2018 wurden 17 Menschen bei einer Explosion eines Waffenlagers der Miliz von Muqtada al Sadr getötet und 80 verletzt. Berichten zufolge wurden die Waffen in einer Moschee aufbewahrt, die von Sadr-Anhängern benutzt wurde.
- Eine Explosion auf einem Markt in Sadr City am 14. August 2018 wurde von einer Quelle im Sicherheitsapparat auf kriminelle Gründe zurückgeführt. Dabei wurden drei Menschen getötet und vier verletzt.
- Ein improvisierter Sprengsatz, der auf Schiiten im Bezirk Jihad (West-Bagdad) abzielt, tötete Berichten zufolge im September 2018 vier Menschen in der Nähe eines Einkaufszentrums.
- Am 25. September 2018 wurde in den folgenden Bezirken eine Reihe von Explosionen gemeldet, die zu Opfern führten: Al Jadid (New Bagdad) östlich von Bagdad (1 Tote, 2 Verletzte), al Shaab nördlich von Bagdad (2 Tote) und al-Baayaa westlich von Bagdad (2 Tote) .Der Islamische Staat übernahm am 25. September 2018 die Verantwortung für fünf improvisierte Sprengsätze gegen Shula, Kadhimiyah (Nord-Bagdad), Shaab und Bataween (Rusafa), und den Bezirk Bayaa (Zentral-Bagdad), dabei wurden 3 Zivilisten getötet.
- Am 1. und 2. Oktober 2018 forderten zwei improvisierte Sprengsätze in Shaab und Al Jadid einen Toten und mehrere Verwundete. Dem Islamischen Staat zufolge sei die Zahl der Opfer bei diesen beiden Angriffen viel höher gewesen und habe mehr als 50 Tote und Verwundete betragen.
- Am 7. Oktober 2018 wurden bei einer Reihe von Angriffen auf verschiedene Vororte in Bagdad (Abu Dshir, 17 km südlich von Bagdad, Abu Ghraib, 44 km westlich von Bagdad und im Norden von Bagdad) vier Personen getötet und fünf verletzt.
- Am 4. November 2018 wurden bei einer Serie von fünf improvisiertem Sprengsätzen in verschiedenen Gebieten des Gouvernements 8 Personen getötet und 14 verletzt. Eine andere Quelle berichtete von 7 Toten und 16 Verletzten. Der Islamische Staat behauptete jedoch, es seien bei den von ihm verübten Anschlägen mehr als 50 Opfer zu beklagen gewesen.
Beispiele für bewaffnete Zusammenstöße im Jahr 2018 sind die folgenden:
- Unbekannte bewaffnete Personen eröffneten das Feuer im Stadtteil Jihad im Westen von Bagdad und töteten im Januar 2018 einen lokalen Bürgermeister.
- Der Islamische Staat ermordete 8 Zivilisten bei einem Angriff auf den Vorort Tarmia im Mai 2018; die Opfer stellten Werbung für die Parlamentswahl auf; der Islamische Staat bezeichnete sie als Mitglieder einer Stammesmiliz.
- Bei einem weiteren, nächtlichen Angriff des Islamischen Staates auf den Vorort Tarmia Anfang Mai 2018 wurden 21 Mitglieder eines lokalen Stammes (18 Männer, 2 Frauen und ein Kind) getötet. Sämtliche Opfer waren Mitglieder des Albu-Faraj-Stammes, der ein überzeugter Gegner des Islamische Staates in der Region ist. Die Mitglieder sind Teil der lokalen sunnitischen Miliz und der PMF, die zur Verteidigung gegen des Islamischen Staat gegründet wurden. Die Angreifer des Islamischen Staates trugen Armeeuniformen und gingen zunächst gegen einen Anwalt vor, von dem bekannt war, dass er Opfern des Islamischen Staates half, und töteten ihn in seinem Haus. Als andere Dorfbewohner kamen, um zu helfen, eröffneten sie das Feuer, töteten und verletzten sie und zogen sich zurück, bevor die Armee eintraf, um sie zu fassen.
In Bagdad gab es mehrere Morde an Persönlichkeiten, die in sozialen Medien bekannt geworden waren, ohne dass die Täter identifiziert und einer bestimmten Gruppierung zugeordnet werden konnten.
- Tara Fares, bekannt aus Instagram, die in den sozialen Medien über persönliche Freiheit berichtet, wurde am 27. September 2018. in Bagdad erschossen, als sie in ihrem Porsche fuhr.
- Im Jahr 2017 wurde Karar Nushi, ein männliches Model, das Morddrohungen wegen seiner langen Haare und seiner engen Kleidung erhalten hatte, in der Palästina-Straße erstochen aufgefunden, wobei sein Körper Anzeichen von Folter zeigte.
- Hammoudi al-Meteiry, ein 15-jähriger und als "König von Instagram" bezeichneter Jugendlicher, der Berichten zufolge wegen seiner Homosexualität von unbekannten Tätern getötet wurde.
Der Islamische Staat gab bekannt, Scheichs und Stammesführer angegriffen zu haben, die die Parlamentswahlen im Mai 2018 unterstützten. Im Mai 2018 behauptete der Islamische Staat, er habe das Haus eines wahlfördernden Stammesführers mit einer Bombe angegriffen zu haben; es ist unklar, ob diese dabei getötet wurde. Folgende weiteren Angriffe wurden dem Islamischen Staat zugeschrieben:
- Am 27. Februar 2018 wurden vier Mitglieder der Sahwa-Bewegung von unbekannten Tätern im Norden Bagdads erschossen. Einer wurde getötet, die anderen drei verwundet.
- Am 1. März 2018 wurde ein ehemaliger Beamter der Sahwa-Bewegung durch eine Bombe in Bagdad getötet.
- Am 29. April 2018 wurde ein Führer der PMF, Qassim Al-Zubaidi, bei einem Attentat in der Innenstadt von Bagdad verletzt. Stunden zuvor wurde ein Wahlkandidat der Rechtsstaat-Koalition nördlich von Bagdad getötet.
- Am 22. Juni 2018 gab der Islamische Staat bekannt, einen Stammesführer in al-Zour in der Nähe von Tarmia nördlich der Hauptstadt getötet zu haben, weil er die Parlamentswahlen unterstützt hatte.
- Am 8. Juli 2018 wurden ein Kommandeur der Stammesmiliz und einer seiner Begleiter bei einem Bombenangriff in Nordbagdad verwundet.
- Am 19. Juli 2018 wurde ein Angehöriger der Sicherheitskräfte bei einem Angriff mit einer auf der Straße platzierten Bombe auf ihn in Tarmia im Norden von Bagdad verwundet.
- Am 2. August 2018 wurde mit einer am Straßenrand platzierten Bombe ein Fahrzeug der Sicherheitskräfte in der Region Sabaa al-Bour nördlich von Bagdad angegriffen. Eine Person wurde getötet, eine andere verletzt.
Im Januar 2018 erklärte der Direktor des Medienbüros des BOC, dass die Sicherheitskräfte in der Hauptstadt Fortschritte in Bezug auf das Sammeln von Informationen über den Islamischen Staat gemacht hätten und dass sich Militäreinsätze im Bagdader Gürtel positiv auf die Sicherheitslage ausgewirkt hätten. Der Direktor kündigte ferner den Bau eines Sicherheitszauns um Bagdad mit Sicherheitstoren an, um Aufständische daran zu hindern, in die Stadt einzusickern.
Dem Institute für the Study of War zufolge hat sich BOC im vergangenen Jahr auf die Bagdad-Belts konzentriert, was zu dem Rückgang der Angriffe in Bagdad beigetragen hat. Im Allgemeinen sei es den Sicherheitskräften gelungen, die Rückkehr weitverbreiteter Gewalt nach Bagdad im Jahr 2018 zu verhindern. Dieser Erfolg zeigt sich in der allgemeinen Abnahme von Gewaltereignissen im vergangenen Jahr. Politische Gewalt stelle nach wie vor die größte Herausforderung dar, dazu komme Destabilisierung angesichts der anhaltenden Blockade der neuen irakischen Regierung unter dem irakischen Premierminister Adel Abdul-Mahdi. Die PMF und andere lokale Sicherheitskräfte in Bagdad würden häufig eher auf politische Akteure reagieren, als auf den institutionellen staatlichen Sicherheitsapparat.
Die Expertin Geraldine Chatelard erklärt, dass die Wirksamkeit des Schutzes der Zivilbevölkerung vor verschiedenen Formen von Gewalt vom politischen Willen der beteiligten Akteure abhängen kann. Schutzbemühungen werden durch die Situation vor Ort untergraben, in der PMF-Milizen auf Befehl ihrer eigenen Kommandos handeln und nicht der irakischen Regierung, weil sie verschiedenen politischen Anwärtern oder iranischen Gönnern gegenüber rechenschaftspflichtig sind. Die Regierung könne Erscheinungen von "Gesetzlosigkeit und Kriminalität" seitens der Milizen derzeit nicht wirksam begegnen. Der Experte Michael Knights geht davon aus, dass Gesetzesverstöße von Milizen auch derzeit folgenlos bleiben. Landinfo schätzt die Lage in Bagdad so ein, dass Milizen weiterhin Bewegungsfreiheit zukommt und sie über Verbindungen zur Polizei verfügen und an Kontrolle, Verhaftung, Bestrafung bzw. Entführung von Personen ebenso beteiligt sind, wie an anderweitigen an kriminellen Aktivitäten. In den Bagdad-Belts haben die Milizen mehr Handlungsspielraum, dort können sie den Einheimischen das Recht verweigern, in ihre Häuser zurückzukehren. Die PMF-Milizen sind dessen ungeachtet populär und haben sowohl formelle als auch informelle Macht. Sie konzentrieren sich auch auf den Wiederaufbau. In Bagdad wurde etwa ihre Rolle beim Wiederaufbau einer medizinischen Klinik beworben. Manchmal wenden sich die Einheimischen, auch in Bagdad, an die Milizen der Nachbarschaft, anstatt an die Polizei, um Gerechtigkeit zu suchen.
Michael Knights zufolge gibt es eine große Konzentration von Sicherheitskräften, einschließlich der in Bagdad stationierten Armee, die seiner Ansicht nach angemessen und aktiv geführt werden und über adäquate Beratung und nachrichtendienstliche Unterstützung verfügen. Die Androhung bzw. Zufügung von Gewalt in Bagdad erfolge derzeit eher "persönlich und gezielt" und weniger "situativ" (Anwesenheit am falschen Ort / zum falschen Zeitpunkt). Das Institute for the Study of War erklärte, dass Milizen in Bagdad in einem gewaltsamen Wettbewerb um territoriale Präsenz und Territorium, Bevölkerung und politischen Einfluss stehen. Viele ihrer politischen Machthaber wurden im Mai 2018 in das irakische Parlament bzw. die Regierung gewählt.
Checkpoints in Bagdad werden dazu verwendet, um sicherzustellen, dass Autobomben und Selbstmordattentäter nicht in die Stadt eindringen. Dem Experten Fanar Haddad zufolge betreiben PMF-Milizen keine regulären Checkpoints in der Stadt Bagdad, richten solche bei Zwischenfällen aber ad hoc ein. In den Bagdad-Belts gibt es demgegenüber sichtbare PMF-Präsenz und PMF-Kontrollpunkte Eine ähnliche Ansicht vertrat ein im Irak ansässiger Sicherheitsanalytiker, der erklärte, dass sich die von PMF-Milizen betriebenen Kontrollpunkte hauptsächlich am Stadtrand von Bagdad befinden und nicht in der Stadt selbst, wobei an Kontrollpunkten im Osten der Stadt PMF-Elemente gemeldet wurden. Es sei für die PMF-Milizen möglich, temporäre Kontrollpunkte einzurichten, um auf bestimmte Probleme in den Stadtteilen von Bagdad zu reagieren. Im Januar 2018 teilte der Mediendirektor der BOC der Zeitung Asharq Al-Awsat mit, dass 281 Kontrollpunkte in Bagdad aufgehoben wurden, mindestens 600 Hauptstraßen und Ausgänge und ihre Vororte wiedereröffnet und am 10. Dezember 2018 Tausende Betonblöcke entfernt wurden. Im Jahr 2018 wurde außerdem die befestigte Internationale Zone (grüne Zone) in der Innenstadt für die Öffentlichkeit geöffnet. Dies ist die erste Wiedereröffnung nach Jahren. Im Jahr 2015 hatte die Regierung die grüne Zone für ein paar Tage geöffnet, aber nach Widerstand von US-Beamten wieder geschlossen.
1.9. Zur gegenwärtigen Lage im Gouvernement al-Anbar werden folgende Feststellungen getroffen:
Das Gouvernement Anbar (al-Anbar) ist das flächenmäßig größte Gouvernement des Irak und hatte im Jahr 2018 geschätzte 1.771.656 Einwohner. Das Gouvernement nimmt etwa ein Drittel der Gesamtfläche des Irak aus. Ungeachtet seiner Größe ist Anbar aufgrund seiner großen Wüstengebiete eine der am dünnsten besiedelten Regionen des Landes. Das Gouvernement umfasst acht Provinzen: Ana, Falludscha, Haditha, Heet, al-Qa'im, Ramadi, Rawa und ar-Rutba. Hauptstadt des Gouvernements ist Ramadi mit geschätzten 148.598 Einwohnern.
Im Gouvernement Anbar leben vorwiegend sunnitische Araber. Das gesellschaftspolitische Gefüge basiert seit jeher auf Stammesstrukturen und lokalen Hierarchien, in denen Stammesführer und sunnitische Geistliche noch immer große Autorität genießen. Nach dem Sturz von Saddam Hussein im Jahr 2003 sind viele Stammesälteste aus dem Land geflohen. Dies eröffnete neuen Stammesältesten und Scheichs die Gelegenheit, eine eigene Machtbasis aufzubauen, indem sie mit den Koalitionskräften zusammenarbeiteten und Wiederaufbauprojekte sowie Beschäftigungsmöglichkeiten für ihre Stämme sicherten.
Anbar fiel im Januar 2014 als eines der ersten Gouvernements unter die Kontrolle des Islamischen Staates, wobei allerdings einige Widerstandsnester, wie beispielsweise in Haditha, dem Islamischen Staat erfolgreich Wiederstand leisteten. Mit der Machtübernahme des Islamischen Staates wurden auch die ersten Vertreibungswellen des Konflikts im Irak ausgelöst. Anbar war zudem eine der letzten Hochburgen des Islamischen Staates und wurde erst im November 2017 von den Milizen des Islamischen Staates befreit. Die Militäroperationen zur Befreiung von al-Anbar gingen mit einer weitgehenden Zerstörung von privater und öffentlicher Infrastruktur einher, deren Wiederaufbau die Regierung noch immer vor große Probleme stellt.
In der Provinz Anbar wurden nach der Befreiung von den Milizen des Islamischen Staates 24 Massengräber entdeckt, viele von ihnen mit den Überresten von Zivilpersonen und Angehörigen der irakischen Streitkräfte. In diesen Massengräbern könnten unter Umständen bis zu 628 Opfer bestattet sein.
Sicherheitsakteure im Gouvernement Anbar
Das Anbar Operations Command (AOC) ist für die öffentliche Ordnung und Sicherheit in Ramadi und Falludscha sowie in den umliegenden Wüstengebieten zuständig. Das AOC umfasst die 1. Army Rapid Intervention Division (RID) der irakischen Armee, die nur in eingeschränktem Maße einsatzfähig ist. Die Division war ursprünglich Teil der schnellen Eingreiftruppe, die jedoch nach der Befreiung Falludschas durch die irakischen Streitkräfte im Juni 2016 aufgeteilt wurde. Zu den in Anbar stationierten Brigaden der RID zählen (seit November 2016) die 1. und (seit Juli 2016) die 3. Brigade. Die 2. Brigade ist seit November 2016 in Mossul stationiert.
Der Zuständigkeitsbereich des Jazeera and Badia Operations Command (JBOC) umfasst den größeren Teil Anbars, den Westen von Ramadi einschließlich des westlichen Euphrat-Tals, den westlichsten Bezirk ar-Rutba, die Fernstraße zwischen Amman und Bagdad sowie einen Großteil der Jazeera- und Badia-Wüsten. Das JBOC ist unterbesetzt und daher in hohem Maße von der Unterstützung der Kämpfer des lokalen Stammes der Jughaifi abhängig, die den Bezirk Haditha beanspruchen. Das JBOC besteht aus der 7. Division der irakischen Armee, die gemeinsam mit einigen wenigen schiitischen Milizen (in dem Gebiet zwischen den Dörfern südlich von Haditha und dem weit im Westen gelegenen al-Walid am Grenzübergang zu Syrien) sowie mit den Grenzschutzbrigaden operiert. Seit Juli 2017 gehören die 27., 28. und 29. Brigade zu den Einsatzbrigaden der 7. Division.
Neben dem AOC und dem JBOC hat die irakische Armee weitere Einsatzkommando-Einheiten aus dem ganzen Land in al-Anbar stationiert. In der Provinz al-Anbar sind außerdem die folgenden Einheiten der paramilitärischen irakischen Bundespolizei (FP) stationiert:
2. Division der Bundespolizei: Die Division war ursprünglich für die Sicherung Bagdads zuständig, jedoch wurden einige ihrer Einheiten nach Anbar verlegt, nämlich die 5. und 6. Brigade (seit Mai 2016). Die 2. Divisi