TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/13 L519 2117723-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.01.2020
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Entscheidungsdatum

13.01.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §15b Abs1
AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §57
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z6
FPG §55 Abs1a

Spruch

L519 2117725-2/3E

L519 2117723-2/3E

L519 2117727-2/3E

L519 2117729-2/3E

L519 2190247-2/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. ZOPF als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1. XXXX (BF1), 2. XXXX (BF2), 3. XXXX (BF3), 4. XXXX (BF4) und 5. XXXX (BF5), sämtliche StA. Türkei, sämtliche vertreten durch die ARGE Rechtsberatung, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.12.2019, Zlen. 1. 1031720508, 2. 1031720410, 3. 1031720606, 4. 1078067108 und 5. 1178494300 zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerden werden gemäß § 68 Abs. 1 AVG 1991 idgF, §§ 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG idgF sowie §§ 52 Abs. 2 und Abs. 9, 46, 55 Abs. 1a und 53 Abs. 1 und 2 Z. 6 FPG 2005 idgF sowie § 15b Abs. 1 AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Die BF1 bis BF3, Staatsangehörige der Türkei stellten am 10.9. bzw. 21.9.2014 in Österreich erstmals Anträge auf internationalen Schutz. Die BF4 und BF5 sind die in Europa nachgeborenen weiteren Kinder der BF1 und BF2, für welche ebenfalls Anträge auf internationalen Schutz gestellt wurden.

Als Begründung für das Verlassen des Herkunftsstaates brachten die BF im 1. Verfahren zusammengefasst vor, dass der BF1 in den Jahren 1999, 2009 und 2013 an Demonstrationen politischen Inhaltes teilgenommen habe. Anlässlich der Teilnahme in den Jahren 1999 und 2009 sei der BF1 jeweils einige Tage polizeilich angehalten worden. Der BF1 verwies unter anderem auf die Demonstrationen im Mai 2013 gegen einen Bombenanschlag in XXXX und gegen die Abholzung von Bäumen im Stadtteil XXXX und schließlich im August 2013 (später durch den Vertreter des BF1 berichtigt auf Juni 2013) in XXXX ebenfalls gegen die erwähnte Abholzung. 2013 habe der Vater des BF1 diesem berichtet, dass die Polizei am elterlichen Wohnsitz erschienen sei und nach ihm gefragt habe, da ein Haftbefehl aufgrund der Teilnahme an der Demonstration im August (Juni) 2013 ergangen sei. Weiter gab der BF1 an, die BF2 2011 aus ihrem Elternhaus entführt zu haben, da ihre Eltern gegen eine Heirat gewesen seien, weshalb die BF1 und BF2 vom Bruder der BF2 gesucht würden, der sie allenfalls auch töten würde. Weiter gab der BF1 an, dass er aufgrund seiner Teilnahme an der Beerdigung (Anm: in Paris ermordeten kurdischen Aktivistin) XXXX seine Arbeitsstelle in XXXX verloren habe.

Die BF2 begründete den 1. Antrag auf internationalen Schutz insbesondere dahingehend, dass ihr Vater und ihr Bruder gegen die Heirat mit dem BF1 gewesen seien, da sie ihr Vater mit einem 45-50-jährigen Mann verheiraten wollte. Aufgrund dessen habe die BF2 ihre Familie verlassen und sei zu ihrem Mann und anschließend zu ihren Schwiegereltern gezogen, da sie vor ihrer Familie Angst gehabt habe. Weiter gab sie an, dass der BF1 und sie Sympathisanten der HDP gewesen wären.

Für die mj. BF3 bis BF5 wurden keine eigenen Fluchtgründe angegeben.

I.2. Die Anträge der BF auf internationalen Schutz wurden mit Bescheiden des BFA gemäß § 3 Absatz 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status von Asylberechtigten nicht zuerkannt. Gem. § 8 Absatz 1 Z 1 AsylG 2005 wurde der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei nicht zugesprochen. Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurden nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurden Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung der BF in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen.

I.3. Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 9.4.2018, L502 21117725-1, 2117723-1,2117727-1, 2117729-1 und 2190247-1 mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, das Spruchpunkt III, erster Satz der Bescheide vom 5.11.2015 jeweils zu Lauten hat: " Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird Ihnen gem. § 57 AsylG nicht erteilt."

Beweiswürdigend wurde ausgeführt:

"Beweis erhoben wurde im gegenständlichen Beschwerdeverfahren durch Einsichtnahme in die Verfahrensakten unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des BF1 und der BF2, der bekämpften Bescheide, der Beschwerdeschriftsätze, der schriftlichen Stellungnahmen ihrer Vertretung im Beschwerdeverfahren und der sonstigen im Zuge dessen vorgelegten Beweismitteln, durch gerichtliche Erhebungen im Herkunftsstaat im Wege der österr. Vertretungsbehörden sowie durch Einholung von Auskünften des Zentralen Melderegisters, des Strafregisters und des Grundversorgungsdatensystems die Beschwerdeführer betreffend.

2.2. Identität und Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführer waren auf der Grundlage der vorgelegten nationalen Identitätsdokumente von BF1 -3 sowie der Geburtsurkunden der nachgeborenen Kinder BF4 und BF5 feststellbar.

Die Feststellung ihrer Zugehörigkeit zur moslemischen Religionsgemeinschaft stützt sich auf den Umstand, dass diese von BF1 und BF2 bereits beginnend mit ihrer Erstbefragung angeben wurde. Soweit der BF1 in weiterer Folge vor dem BFA vermeinte, er sei zwar "auf dem Papier" ein Moslem, fühle sich aber "eigentlich als Alewit", führte dies zu keinen anderslautenden Feststellungen, zumal zum einen aus dieser Aussage nicht zu gewinnen war, dass er aus der moslemischen Religionsgemeinschaft ausgetreten oder zu einer nicht- moslemischen Religion konvertiert wäre, wobei der Vollständigkeit halber in diesem Zusammenhang unter Bezugnahme auf die länderkundlichen Feststellungen oben darauf zu verweisen ist, dass auch das Alewitentum eine spezifische Ausformung des Islams darstellt, und zum anderen aus diesem bloß vagen Hinweis auf eine geringere Sympathie für den (hier wohl gemeint) sunnitischen Islam als für den alewitischen Glauben auch nicht auf eine nachhaltige Hinwendung zum Alewitentum zu schließen war. Die BF2 hat wiederum ihre Zugehörigkeit zur moslemischen Religionsgemeinschaft im Zuge des gg. Verfahrens nie in Frage gestellt. Aus der Religionszugehörigkeit der Eltern war auch auf jene ihrer minderjährigen Kinder zu schließen.

Zur Frage nach ihrer Volksgruppenzugehörigkeit gaben BF1 und BF2 in ihren Erstbefragungen an, dass sie "Türken" seien. In seiner erstinstanzlichen Einvernahme vermeinte der BF1 zwar, er sei "eigentlich kurdisch-stämmig", verfüge aber über keine Kenntnisse einer kurdischen Sprache. Mangels solcher Sprachkenntnisse oder sonstiger stichhaltiger Anhaltspunkte, die gegen die ursprünglichen Angaben in der Erstbefragung gesprochen hätten, war daher nicht auf seine tatsächliche Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe zu schließen.

Die Feststellungen zu den türkischen und deutschen Sprachkenntnissen konnten angesichts der vor der belangten Behörde sowie dem BVwG demonstrierten und vom BF1 auch nachgewiesenen Kenntnisse getroffen werden.

Die Feststellungen zu den sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat vor der Ausreise sowie in Österreich im Gefolge derselben ergaben sich aus der unstrittigen Zusammenschau ihrer persönlichen Angaben im Verlauf des gg. Verfahrens sowie aus den vom BVwG eingeholten Informationen der genannten Datenbanken.

Die Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführer stützen sich auf die zuletzt auch im erstinstanzlichen Verfahren der BF5 von der belangten Behörde herangezogenen länderkundlichen Informationen der Staatendokumentation des BFA, die mit dem Amtswissen des BVwG übereinstimmen und denen gegenüber bis zum gg. Entscheidungszeitpunkt von den Beschwerdeführern keine substantiiert anderslautenden Informationen vorgelegt wurden.

2.3. Zur Feststellung fehlender individueller Verfolgung des BF1 und der BF2 vor der Ausreise aus von ihnen behaupteten Gründen bzw. der fehlenden Gefahr einer solchen pro futuro oben unter Punkt 1.2. gelangte das erkennende Gericht aufgrund folgender Erwägungen:

2.3.1. Anläßlich seiner Erstbefragung am 22.09.2014 brachte der BF1 zu seinen Antragsgründen befragt zum einen vor, dass er zu näher genannten Zeitpunkten in den Jahren 1999, 2009 und 2013 und an näher genannten Orten an Demonstrationen politischen Inhalts teilgenommen habe. Anläßlich der Teilnahmen in den Jahren 1999 und 2009 sei er auch jeweils einige Tage polizeilich angehalten worden. Vor ca. einem Jahr habe ihm sein Vater telefonisch mitgeteilt, dass die Polizei am elterlichen Wohnsitz in der Heimatstadt des BF1 erschienen sei und nach ihm gefragt habe, weil es gegen ihn einen Haftbefehl gebe. Zum anderen habe er im Jahr 2011 seine nunmehrige Ehegattin aus dem Elternhaus entführt, weil deren Eltern gegen eine Heirat mit ihm gewesen seien, weshalb der Bruder seiner Gattin ihn sowie seine Gattin suchen und allenfalls töten würde. Bei einer Rückkehr fürchte er einerseits festgenommen und inhaftiert zu werden und in der Haft zu sterben, andererseits von seinem Schwager getötet zu werden.

Anläßlich seiner Einvernahme vor dem BFA am 16.10.2015 legte er vorweg verschiedene Zeitungsberichte aus den "90er Jahren" seine Heimatregion betreffend vor und verwies darauf Bezug nehmend auf Erlebnisse in seiner Kindheit staatliche Repressalien gegen die kurdische Bevölkerung seiner Heimatregion betreffend, ergänzte jedoch, dass dieser Sachverhalt nicht kausal für seine Ausreise gewesen sei. Im Zusammenhang mit der Frage nach Kontakten in die Heimat vermeinte er, seine Angehörigen in der Heimat würden ihm im Zuge ihrer telefonischen Kontakte berichten, dass Polizei und Militär "ständig" am elterlichen Wohnsitz erscheinen und dort nach ihm suchen würden, auch würden diese am Polizei- oder Militärstützpunkt verhört werden.

In einer detaillierteren Schilderung seiner Ausreisegründe verwies er neuerlich auf mehrere Demonstrationsteilnahmen, so in der Stadt XXXX im Jahr 1999 wegen der Verhaftung des Kurdenführers Öcalan, als er wie viele andere Teilnehmer auch von der Polizei festgenommen und zwei Tage lang angehalten sowie geschlagen worden sei, in der Stadt XXXX im Jahr 2009 wegen der Ermordung zahlreicher Menschen ebendort im Jahr 1993, in XXXX im Mai 2013 bei zwei Demonstrationen zum einen gegen einen Bombenanschlag in XXXX und zum anderen gegen die Abholzung von Bäumen im Stadtteil XXXX und schließlich im August 2013 in XXXX ebenfalls gegen die erwähnte Abholzung. Im Jahr 2008 habe er im Übrigen in XXXX am sogen. kurdischen Newroz-Fest teilgenommen. Nach der Teilnahme im August 2013, die er in der Folge nach Rückfrage seines Vertreters auf Juni 2013 berichtigte, sei schließlich ein Haftbefehl gegen ihn erlassen worden. Auf Nachfrage nach der Anzahl allfälliger Inhaftierungen verwies er auf eine für zwei Tage im Jahr 1999 in XXXX , eine für vier Tage im Jahr 2008 in XXXX und eine für sechs Tage im Jahr 2009 in XXXX , wobei er damals noch zwei Tage lang wegen erlittener Misshandlungen in einer Klinik stationär behandelt worden sei. Im Zuge der behaupteten Festnahmen sei es zu Befragungen und jeweils zur anschließenden Freilassung gekommen. Nach 2009 sei es zu keiner Festnahme mehr gekommen. Sein Vater sei jedoch nach den Protesten in XXXX im Jahr 2013 festgenommen und nach ihm befragt worden. Anläßlich der Durchsuchung des elterlichen Wohnsitzes sei im Übrigen seiner Gattin der (Anm.: damals ca. einjährige) Sohn entrissen und gegen eine Couch geworfen worden. Den Entschluss zur Ausreise habe er etwa vier bis fünf Monate vor derselben gefasst. In XXXX habe er sich zuletzt nicht weiter aufhalten wollen, weil er gemutmaßt habe, dass er bei den Protesten in XXXX auf polizeilichen Videoaufnahmen sichtbar geworden sei, wiewohl dort "sehr, sehr viele Menschen" teilgenommen hätten. Zum behaupteten Haftbefehl nochmals befragt vermeinte er, dieser sei am 01.06.2013 gegen ihn erlassen worden, zuvor habe es noch keinen Haftbefehl gegen ihn gegeben. Nach der Existenz dieses Haftbefehls gefragt verwies er darauf, dass lediglich seinem Vater von Beamten davon erzählt worden sei. Seine letzte Arbeitsstelle in XXXX habe er im Jahr 2013 deshalb verloren, weil er dort an der Beerdigung der (Anm.: in Paris ermordeten kurdischen Aktivistin) XXXX teilgenommen habe und man ihm deshalb vorgeworfen habe ein Terrorist zu sein. Diese sei im Übrigen eine entfernte Verwandte von ihm gewesen.

Nach näheren Umständen die behauptete Bedrohung durch seinen Schwager betreffend befragt verwies er darauf, dass dieser schon am Tag der Entführung seiner Gattin bei seinen Eltern erschienen sei und diesen mit seinem Tod und dem seiner Gattin gedroht habe, einige Monate später habe der Schwager dem Hörensagen nach nochmals in seinem sozialen Umfeld eine Drohung ausgesprochen.

2.3.2. Die BF2 brachte anläßlich ihrer Erstbefragung am 22.09.2014 zu ihren Antragsgründen befragt zum einen vor, dass ihre Eltern gegen die Eheschließung mit ihrem nunmehrigen Gatten gewesen seien, weil dieser Alewit sei, weshalb sie von ihrem Gatten entführt worden sei. Ihr Vater, der sie mit einem "45 bis 50 Jahre alten Mann" verheiraten wollte, und ihr Bruder würden ihnen nun nach dem Leben trachten. Sie selbst sei im Übrigen wegen ihrer Weigerung, den für sie vorgesehenen Mann zu ehelichen, von Vater und Bruder auch "gefoltert" worden. Nach der Eheschließung habe sie mit ihrem Gatten für ca. ein Jahr bei Verwandten ihres Gatten in XXXX gelebt, ehe sie angesichts ihrer Schwangerschaft zu ihren Schwiegereltern gezogen, während ihr Gatte in XXXX verblieben sei. Aufgrund der politischen Aktivitäten ihres Gatten seien auch sie selbst sowie ihr gemeinsamer Sohn von Polzisten und Gendarmen "gefoltert" worden. Nach ihrem Schulabschluss (Anm.: der 2008 erfolgte) habe sie im Übrigen mit ihren Eltern "auf einer Alm" gelebt, als Guerillas zu ihnen gekommen seien und Verpflegung verlangt hätten, am Folgetag seien dann Soldaten erschienen, diese hätten ihnen vorgehalten Terroristen verpflegt zu haben und sie belästigt und geschlagen. Bei einer Rückkehr befürchte auch sie, festgenommen und inhaftiert zu werden und in der Haft ums Leben zu kommen.

Anläßlich ihrer Einvernahme vor dem BFA am 07.10.2015 legte sie zu ihren Ausreisegründen befragt im Einzelnen dar, dass sie einer konservativen sunnitischen Familie entstamme, die eine Landwirtschaft in den Bergen betrieben habe. Ihre Familie habe oftmals Guerillas aus den Bergen mit Nahrung versorgt, weshalb es aufgrund von Denunziationen der Nachbarn zu teils gewaltsamen Übergriffen auf die Familienmitglieder durch Soldaten gekommen sei, auch sie selbst sei misshandelt worden. Zuletzt sei der Hof der Familie niedergebrannt worden, weshalb ihr Vater nicht nur in die Fremde gegangen sei um zu arbeiten, sondern auch alle übrigen Töchter zwangsverheiratet habe. Im Jahr 2011 habe ihr Vater einen Neubau des Wohnhauses beschlossen, im Zuge dessen es zur Bekanntschaft mit ihrem Schwiegervater und ihrem Gatten gekommen sei. Dieser habe nach der Phase des Kennenlernens schließlich bei ihren Eltern um ihre Hand angehalten, was von diesen aber abgelehnt worden sei. Auch die persönlichen Vorsprachen der späteren Schwiegereltern seien erfolglos geblieben bzw. seien sie "aus dem Haus gejagt" worden. Sie selbst sei von Vater und Bruder geschlagen und eingesperrt worden, weil sie deren Einwilligung zur Heirat mit ihrem Gatten erbeten habe. Sie habe aber insgeheim den Kontakt mit ihm aufrecht gehalten und sei schließlich eines Tages, als die Eltern abwesend waren, mit ihm im PKW seines Vaters zu einem Onkel geflohen. Vater und Bruder seien daraufhin bei den Schwiegereltern aufgetaucht um sie zu suchen, es habe auch vergebliche Vermittlungsversuche durch Dorfälteste gegeben, schließlich sei es zur geheimen Eheschließung gekommen. Nach einem gemeinsamen Aufenthalt in XXXX sei sie wegen ihrer Schwangerschaft bzw. der bevorstehenden Geburt ihres Sohnes zu den Schwiegereltern in XXXX gezogen. Dort sei sie kaum bzw. nur unter Schutz aus dem Haus gegangen, zudem habe sich in unmittelbarer Nähe ein Militärstützpunkt befunden und hätte sie erforderlichenfalls dort Schutz erhalten können. In XXXX bei den Schwiegereltern seien auch ständig Polizisten auf der Suche nach ihrem Gatten gewesen, nach dessen Teilnahme an einer Demonstration in XXXX am 30.05.2013 im Zusammenhang mit der Beerdigung von drei in Paris ermordeten Frauen sei sie am 02.06.2013 festgenommen und zum Verhör auf die Polizeistation gebracht worden, im Zuge der Festnahme sei auch ihr kleiner Sohn misshandelt worden. Seit der Flucht aus dem Elternhaus habe sie weder ihren Vater noch ihren Bruder wiedergesehen.

Als Beweismittel legte sie eine zufällig aus dem Internet entnommene Videoaufnahme, die sie auf den Juni 2013 datierte, vor, auf der sie und ihr Gatte als Teilnehmer an einer Veranstaltung der pro-kurdischen Partei HDP zu sehen seien.

2.3.3. Die belangte Behörde gelangte auf der Grundlage dieses Vorbringens zu den Feststellungen, dass weder die behauptete Verfolgungsabsicht des Bruders der BF2 noch der vom BF1 behauptete Haftbefehl als glaubhaft anzusehen seien und die Ausreise auch weder aus politischen Motiven noch wegen einer individuellen Verfolgung aus ethnischen oder religiösen Gründen erfolgt sei. Eine Verfolgungsgefahr pro futuro sei demnach folgerichtig nicht gegeben.

In ihrer Beweiswürdigung verwies sie im Hinblick darauf auf einen mangelnden zeitlichen wie auch kausalen Konnex zwischen der Eheschließung im Jahr 2011 und der Ausreise im Jahr 2014, zumal es trotz dieses langen Zeitraums zu keinem persönlichen Zusammentreffen mit den behaupteten Verfolgern gekommen sei, deren Absichten nach der erfolgten Eheschließung den Beschwerdeführern zudem nur vom Hörensagen her bekannt gewesen seien und eine Ausreise aus Furcht vor den Angehörigen der BF2 wegen einer unerlaubten Heirat zutreffendenfalls wohl schon viel früher erfolgt sein würde. Gleiches treffe auch auf die Behauptung eines angeblichen, jedoch wiederum nur vom Hörensagen bekannt gewordenen Haftbefehls gegen den BF1 zu angesichts eines auf den 01.06.2013 datierten Haftbefehls und eines eineinhalb Jahre darüber hinausgehenden weiteren Aufenthalts in der Heimat. Eine auf die jüngste Demonstrationsteilnahme gestützte behördliche Fahndung nach dem BF1 sei zudem mangels Plausibilität der Feststellbarkeit dieser Teilnahme durch die Behörden nicht glaubhaft gewesen. Darüber hinaus sei der Vortrag der beiden Beschwerdeführer in näher dargestellten Einzelheiten widersprüchlich gewesen. Schließlich sei ihre Ausreise auch auf legalem Weg unter Verwendung ihrer türkischen Reisepässe und darin enthaltener Visa erfolgt, was schon per se gegen behördliche Fahndungsmaßnahmen gesprochen habe. Konkrete Anhaltspunkte für eine individuelle Verfolgung durch staatliche Organe aus ethnischen oder religiösen Gründen seien ohnehin nicht hervorgekommen. Diese würden im Übrigen im Herkunftsstaat über soziale und verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte und dementsprechende Unterkunfts- und Unterstützungsmöglichkeiten verfügen und sei insbesondere der BF1 arbeitsfähig, der Lebensunterhalt sei dort sohin gewährleistet. Es gäbe demgegenüber in Österreich keine relevanten Anknüpfungspunkte. Die belangte Behörde legte ihren Entscheidungen auch umfangreiche aktuelle Länderfeststellungen zugrunde.

2.3.4. Den behördlichen Erwägungen im Hinblick auf die behaupteten Ausreisegründe der Beschwerdeführer bzw. im Zusammenhang mit der Frage nach einer etwaig drohenden Verfolgungsgefahr bei einer Rückkehr wurde in der Beschwerde vom November 2015 im Wesentlichen entgegen gehalten, dass sich der BF1 vor der Ausreise ja versteckt gehalten und sich nicht mehr am öffentlichen Leben beteiligt habe und aus der fehlenden Verfügbarkeit eines Haftbefehls nicht auf dessen fehlende Existenz zu schließen sei, würde eine solche doch naturgemäß erst zum Zeitpunkt einer Festnahme hervorkommen. Diesbezüglich habe die belangte Behörde auch - im Gegensatz zur ursprünglichen Absicht - jedwede amtswegige Ermittlungen im Herkunftsstaat zur Frage seiner Existenz unterlassen. Die vorgehaltenen Widersprüche zwischen bestimmten Aussagen der beiden Beschwerdeführer würden sich auf bloße Nebensächlichkeiten beschränken. Beantragt wurden behördliche Ermittlungen zur Frage der Existenz eines Haftbefehls gegen den BF1 sowie die zeugenschaftliche Befragung seines in Paris lebenden Bruders.

2.3.5. Der gg. Sachverhalt wurde mit BF1 und BF2 im Rahmen einer mündlichen Verhandlung am 07.06.2016 nochmals erörtert. Von den beiden Beschwerdeführern und deren Vertreter wurden im Zuge dessen Berichte zur aktuellen allgemeinen Lage in der Türkei und Beweismittel den in Frankreich aufhältigen älteren Bruder des BF1 vorgelegt.

Mit Zustimmung des BF1 wurden vom BVwG im Gefolge der ersten Verhandlung Erhebungen im Herkunftsstaat eingeleitet zur Frage der Verifizierbarkeit des von ihm behaupteten Haftbefehls. Nachdem die Staatendokumentation des BF ihre Mitwirkung bei einer solchen Einzelfallrecherche aufgrund von allgemeinen Rechercherichtlinien abgelehnt hatte, ersuchte das Gericht die ÖB Ankara um Erhebungen zur gg. Frage durch einen Vertrauensanwalt. Deren allerdings beschränkte Ergebnisse ergaben schließlich weder einen Hinweis auf die Existenz eines Haftbefehls gegen den BF1 noch auf ein abgeschlossenes oder anhängiges Strafverfahren gegen ihn. Zwischenzeitig wurde auch der BF1 selbst vom BVwG aufgefordert, im Rahmen seiner Mitwirkungsverpflichtung bei der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts unter Heranziehung eines von ihm bevollmächtigten anwaltlichen Vertreters in der Türkei allfällige Nachweise für einen gegen ihn erlassenen Haftbefehl oder für ein gegen ihn eingeleitetes strafbehördliches Ermittlungsverfahren beizubringen. Derlei Nachweise wurden vom BF1 vorerst unter Hinweis darauf, dass sein (früherer) türkischer Anwalt in Istanbul von seinem Vater und Onkel aufgesucht, jedoch nicht angetroffen werden konnte, zumal er inhaftiert worden sei, nicht vorgelegt. In der fortgesetzten mündlichen Verhandlung vom 16.08.2017 legte der BF1 nur dar, dass er vom genannten Anwalt in Istanbul seit vielen Jahren in verschiedenen Angelegenheiten vertreten worden sei, ein weiteres Vorbringen dazu erfolgte durch den BF1 bis zum Entscheidungszeitpunkt nicht mehr.

2.3.6. Zum Beweisthema einer vom BF1 behaupteten behördlichen Verfolgung vor seiner Ausreise aus der Türkei wegen früherer politischer Aktivitäten in Form von Demonstrationsteilnahmen und einer deshalb drohenden Verfolgung bei einer Rückkehr, deren von ihm in den Raum gestelltes Zutreffen sich, als letztlich für die Ausreise wie auch für eine drohende Festnahme bei einer Rückkehr kausales Geschehen, vor allem auf die behauptete Erlassung eines Haftbefehls gegen ihn stützte, hat das erkennende Gericht wie folgt erwogen:

Soweit der BF1 auf frühere Demonstrationsteilnahmen und damit behaupteter Weise einhergehende kurzfristige Festnahmen und Verhöre einschließlich allfälliger polizeilicher Misshandlungen bis zum Jahr 2009 verwies, gelangte das BVwG in Übereinstimmung mit der belangten Behörde zur Einschätzung, dass diese Ereignisse unabhängig von der Frage der Richtigkeit dieses Vorbringens im Lichte des gesamten persönlichen Vortrags im gg. Verfahren weder in zeitlicher noch kausaler Hinsicht als ursächlich für seine Ausreise im Jahr 2014 anzusehen waren, war doch sein weiterer in privater und beruflicher Hinsicht als gewöhnlich anzusehender Lebenswandel in den Jahren vor der Ausreise unbeeinträchtigt von allfälligen behördlichen Verfolgungsmaßnahmen geblieben. Dabei war auch in Betracht zu ziehen, dass er sich über die behaupteten bloßen Demonstrationsteilnahmen hinaus in keiner sonstigen Weise exponiert hatte, die eine gezielte behördliche Verfolgung als plausibel erscheinen hätte lassen.

Darüber hinaus hat der BF1 auf seine Teilnahme an zwei Demonstrationen in XXXX im Mai 2013 zum einen gegen einen Bombenanschlag in XXXX und zum anderen gegen die Abholzung von Bäumen im Stadtteil XXXX und eine weitere im Juni 2013 in XXXX ebenfalls gegen die erwähnte Abholzung verwiesen, schließlich sei eben im Juni 2013 ein Haftbefehl gegen ihn erlassen worden. Diese drei Demonstrationsteilnahmen waren per se als denkmöglich anzusehen, daher legte das BVwG, auch wenn sie als solche nicht überprüfbar waren, diesen Sachverhalt der gg. Entscheidung zu Grunde, an sie knüpfte jedoch kein plausibles Verfolgungsszenario den BF betreffend an.

Zum einen beschränkte sich die Erzählung des BF1 vor der belangten Behörde die ersten beiden Ereignisse in XXXX betreffend im Wesentlichen auf die Wiedergabe der zeitlichen und örtlichen Umstände und enthielt darüber hinaus keinen stichhaltigen Anhaltspunkt dafür, dass er dabei tatsächlich ins Blickfeld der türkischen Behörden geraten wäre. So legte er auf Nachfrage dar, dass bei der Kundgebung am XXXX -Platz eine so große Masse an Teilnehmern anwesend gewesen sei, dass man diese weder zählen noch eine Einzelperson erkennen oder wahrnehmen hätte können. Bezug nehmend auf die vorhergehende Behauptung des BF1, es seien von der Polizei Videoaufnahmen gemacht worden und habe er befürchtet, dass er auf einer dieser Aufnahmen sichtbar gewesen sei, da er sich in vorderer Reihe der Protestteilnehmer aufgehalten habe, wurde er in der Folge aufgefordert zu erklären, wie man ihn ohne weitere Anhaltspunkte auf seine Person identifizieren hätte sollen, woraufhin er wiederum vermeinte, dass es eine bloße Mutmaßung von ihm gewesen sei, dass er erkannt worden sein könnte (vgl. AS 85). Diese Vermutung wiederholte er auf Nachfrage auch in der mündlichen Verhandlung vom 07.06.2016.

Den dritten Vorfall in XXXX brachte er in seiner erstinstanzlichen Einvernahme zwar von sich aus in Zusammenhang mit der behaupteten Erlassung eines Haftbefehls gegen ihn, wovon er von seinem Vater erfahren haben wollte, der noch am gleichen Abend festgenommen und nach ihm befragt worden sei. Auf Nachfrage legte er jedoch dar, dass die Teilnehmerschar von ca. 200 - 300 Personen nach Beginn der Kundgebung von der Polizei "auseinander getrieben" worden und er im Zuge dessen "durch die Gassen" geflüchtet sei, auch sei er zuvor "nur dazu gekommen" und sei "alles schon organisiert gewesen". Auch diesbezüglich aufgefordert darzulegen, auf welche Weise er von der Polizei identifiziert worden sei, vermeinte er bloß, dass man "sie (gemeint: die Teilnehmer) doch gesehen habe" bzw. "seine (gemeint: politische) Meinung gekannt und deshalb doch gewusst habe, dass auch er dabei war". Aus dieser vagen Darstellung des BF ließ sich sohin ebenfalls kein stichhaltiger Anhaltspunkt dafür gewinnen, dass er tatsächlich ins Blickfeld der Behörden geraten wäre. Zum behaupteten Haftbefehl befragt ergänzte er, seinem Vater sei damals "von den Beamten mitgeteilt worden, dass es einen Haftbefehl wegen des Vorwurfs des Widerstands gegen die Staatsgewalt und Teilnahme an einer (gemeint wohl: unerlaubten) Demonstration" gebe (vgl. AS 87). Danach sei auch der familiäre Wohnsitz von der Polizei nach ihm durchsucht worden. In der mündlichen Verhandlung vom 07.06.2016 wiederholte er im Wesentlichen nur diesen schon erstinstanzlich behaupteten Sachverhalt.

Nachdem die Existenz eines solchen Haftbefehls vom BF schon erstinstanzlich als kausal für die Ausreise dargestellt und in der Beschwerde gegen den abweisenden Bescheid der belangten Behörde das bisherige Fehlen amtswegiger Erhebungen zur Überprüfung dieses Sachverhalts moniert worden war, veranlasste das BVwG die Einleitung solcher Erhebungen im Wege der österr. Vertretungsbehörden in der Türkei. Das Ergebnis derselben erbrachte jedoch, trotz zeitlich und organisatorisch aufwendiger Bemühungen, keinen stichhaltigen Hinweis auf die Existenz eines solchen Haftbefehls oder sonstiger gegen den BF gerichteter behördlicher Maßnahmen. Zwar beschränkte sich der Umfang der Erhebungen dem Wortlaut des entsprechenden Berichtes folgend (vgl. OZ 22) auf den Zuständigkeitsbereich der Strafverfolgungsbehörden von XXXX und umfasste demnach nicht alle Gerichtssprengel der türkischen Justizbehörden, dennoch war aus diesem Ergebnis zumindest in eindeutiger Weise zu gewinnen, dass es im Hinblick auf die vormaligen Aktivitäten des BF in XXXX keine strafbehördlichen Verfolgungshandlungen gegen den BF gegeben hatte. Ob der Landkreis XXXX , in dem der BF im Juni 2013 jene Aktivitäten gesetzt haben wollte, die gerade zur Erlassung eines Haftbefehls gegen ihn geführt hätten, darüber hinaus zum Zuständigkeitsbereich des von der ÖB genannten Gerichtshofs in XXXX gehörte, war für das BVwG nicht feststellbar.

Auch im Lichte dieses insoweit unvollständigen Ermittlungsergebnisses sah sich das BVwG dazu angehalten, den BF im Rahmen seiner asylgesetzlichen Mitwirkungsverpflichtung dazu aufzufordern, über einen bevollmächtigten anwaltlichen Vertreter in der Türkei Nachweise für gegen ihn aktuell aufrechte behördliche Strafverfolgungsmaßnahmen beizubringen. Dieser Aufforderung kam der BF, trotz ausreichender zeitlicher Möglichkeiten dazu, schließlich mit dem nur vagen Hinweis darauf, dass der von Vater und Onkel zuletzt in Betracht gezogene Rechtsanwalt in XXXX nicht auffindbar gewesen bzw. mutmaßlich wohl selbst festgenommen worden sei, nicht nach. In der fortgesetzten mündlichen Verhandlung vom 16.08.2017 offenbarte er jedoch, dass ihn der genannte Anwalt schon seit 2008 in rechtlichen Fragen beraten hatte, woraus für das BVwG zum einen zu schließen war, dass es dem BF schon seit der Antragstellung im Jahr 2014 möglich gewesen wäre, den von ihm als kausal für die Ausreise behaupteten Sachverhalt durch von seinem rechtsfreundlichen Vertreter in der Türkei beigeschaffte Beweismittel zu belegen, wovon er jedoch keinen Gebrauch machte, und zum anderen, dass er durch die Unterlassung des Hinweises darauf, woran das BVwG naturgemäß auch die vorherige Möglichkeit seiner Kontaktaufnahme mit diesem Anwalt geknüpft hätte, angesichts der zeitlich aufwendigen Bemühungen des BVwG offenkundig versuchte das gg. Verfahren über seinen Antrag auf internationalen Schutz im Wissen um die haltlose Behauptung der Existenz eines solchen Haftbefehls zu verschleppen bzw. den wahren Sachverhalt zu verschleiern. In diesem Sinne war der BF - zu seinem Nachteil - aber auch nicht bestrebt, allfällige Nachweise für den behaupteten Haftbefehl im Wege eines beliebigen anderen Rechtsanwalts in der Türkei beizuschaffen, was er in der fortgesetzten Verhandlung auf Vorhalt mit dem unsubstantiierten Hinweis darauf abtat, dass "alle Anwälte in der Türkei selbst gefährdet wären, wenn sie versuchen würden so etwas herauszufinden". Für das BVwG stellte es sich nämlich nicht als schlüssig dar, dass praktisch jeder Rechtsanwalt in der Türkei von einer Festnahme bedroht wäre für den Fall, dass er seinen Mandanten betreffend bei den zuständigen Behörden erheben würde, ob es gegen ihn, hier wegen der vom BF1 behaupteten - im Übrigen eher geringfügigen - strafrechtlichen Vorwürfe, einen Haftbefehl oder ein Ermittlungsverfahren gäbe.

In einer Zusammenschau dessen, dass der mündliche Vortrag des BF zur Frage der Existenz eines gegen ihn gerichteten Haftbefehls per se nur sehr vage und wenig plausibel war, die Erhebungen des BVwG dazu keinen stichhaltigen Hinweis auf die Existenz eines solchen hervorbrachten und schließlich wiederum der BF nicht nur selbst im Rahmen seiner Mitwirkungsverpflichtung keinen Nachweis dafür beibrachte, sondern darüber hinaus das gerichtliche Ermittlungsverfahren offenkundig absichtlich unterlief, war dieser Sachverhalt, nämlich die Behauptung, dass gegen ihn seit 2014 ein Haftbefehl aufrecht sei, als bloßes gedankliches Konstrukt ohne Tatsachengehalt zu würdigen.

Diese Schlussfolgerung wurde noch von der, vom BVwG inhaltlich geteilten, Erwägung des BFA gestützt, dass behördliche Fahndungsmaßnahmen gegen den BF1 auch im Lichte dessen nicht plausibel waren, dass dieser seinen Herkunftsstaat auf dem Luftweg auf legale Weise, nämlich durch die Personenkontrolle am Flughafen unter Verwendung seines Reisepasses und eines darin enthaltenen Visums, verlassen hat, zumal ein tatsächlich vorliegender Haftbefehl gegen den BF1 dort mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit exekutiert worden wäre.

War in Anbetracht dieser Erwägungen sohin nicht von der Richtigkeit der behaupteten Existenz eines solchen Haftbefehls gegen den BF1 auszugehen, so war folgerichtig daraus auch abzuleiten, dass seine Teilnahme an den genannten Demonstrationen im Jahr 2013, insbesondere jener in XXXX im Juni 2013, im Gegensatz zu seiner Behauptung zu keinen gegen ihn gerichteten individuellen behördlichen Verfolgungsmaßnahmen geführt hat. Daraus war wiederum zu folgern, dass eine drohende Festnahme und Inhaftierung aus diesem Grunde auch bei einer Rückkehr nicht zu erwarten ist.

Abschließend ist in diesem Zusammenhang zum Beweisantrag der zeugenschaftlichen Befragung des in Frankreich lebenden älteren Bruders des BF1 noch anzumerken, dass diesen betreffend vor dem BVwG verschiedene Beweismittel vorgelegt wurden, so (jeweils in Kopie) ein französischer Identitätsnachweis, eine staatsanwaltschaftliche Niederschrift vom 26.08.2006 über die Befragung des Vaters in XXXX diesen älteren Bruder betreffend, ein weiteres Dokument der Staatsanwaltschaft vom 22.05.2005 den Bruder betreffend mit dem Hinweis auf einen Konnex zur (terroristischen Organisation) DHKP/C, einen Haftbefehl aus 2008 den Bruder betreffend, ein Schreiben der Kriminalpolizei Istanbul aus 2005 den Bruder betreffend samt Übersetzung ins Französische sowie ein handschriftliches Schreiben des Vaters an den Bruder aus 2008 samt Übersetzung ins Französische. Die Einsichtnahme in diese Unterlagen hat jedoch gezeigt, dass sie jeweils aus den genannten Jahren 2005 bis 2008 stammten, sohin viele Jahre vor der Ausreise des BF1 aus der Türkei entstanden, und dass sie weiter nur Hinweise auf die möglichen Ausreisegründe des Bruders enthielten, mit Ausnahme dessen, dass sich im Brief des Vaters aus 2008 zum BF1 die Anmerkung fand, dieser sei wegen Verbindungen zu früheren Kameraden seines Bruders und wegen seiner Teilnahme an Demonstrationen in Polizeigewahrsam genommen, zum Bruder befragt und dabei auch bedroht und misshandelt worden. Der gesamte Inhalt dieser Unterlagen enthielt sohin keinen Hinweis auf die vom BF vorgebrachten Ereignisse aus 2013 und konnte daher auch nicht als Beweis für deren Verlauf dienen, zudem befindet sich dieser Bruder selbst zumindest schon seit 2008 außerhalb der Türkei, weshalb nicht erkennbar wurde, dass seine zeugenschaftliche Aussage vor dem BVwG zur Erhellung der vom BF1 behaupteten Ereignisse aus 2013 beitragen hätte können. Dem gg. Beweisantrag war daher nicht näher zu treten.

Soweit von der BF2 vor dem BVwG eine zufällig aus dem Internet entnommene Videoaufnahme, die sie und ihren Gatten als Teilnehmer an einer Veranstaltung der pro-kurdischen Partei HDP im Juni 2013 zeige, als Beweismittel genannt wurde, kam nicht hervor, was daraus über das Faktum einer solchen Teilnahme hinaus wiederum für die behaupteter Weise dem BF1 durch türkische Behörden drohende Verfolgungsgefahr zu gewinnen gewesen wäre. Die BF2 selbst betreffend wurde schließlich auch keine sie unmittelbar betreffende Verfolgungsgefahr ausgehend von staatlichen Organen in substantiiertes Weise vorgetragen.

2.3.7. Sowohl BF1 als auch BF2 bezogen sich in ihrem Schutzbegehren auch auf eine behaupteter Weise ohne Erlaubnis der Eltern der BF2 geschlossene gemeinsame Ehe bzw. eine daraus wiederum abgeleitete individuelle Bedrohung durch Vater und Bruder der BF2.

Hierzu hat die belangte Behörde zutreffend erwogen, dass eine solche Bedrohung schon im Lichte dessen nicht als plausibel anzusehen war, als diese Ehe bereits im Jahr 2011 geschlossen wurde und angesichts der erst im September 2014 erfolgten Ausreise der bis dahin vergangene und frei von konkreten Vorfällen verlaufene Zeitraum gegen die Glaubhaftigkeit der behaupteten Bedrohung sprach. Hierbei war zu berücksichtigen, dass sich die beiden BF nach der Eheschließung über Umwege nach XXXX begaben, dort vorerst gemeinsam bei einem Verwandten des BF1 wohnten bzw. der BF1 selbst auch erwerbstätig war, die BF2 sich angesichts der eingetretenen Schwangerschaft bzw. bevorstehenden (Anm.: und am 13.04.2012 erfolgten) Geburt des ersten gemeinsamen Kindes von XXXX nach XXXX begab um bei ihren Schwiegereltern ihren Wohnsitz zu nehmen, während der BF1 bis Ende Mai 2013 in XXXX verblieb, und sich die beiden BF in der Folge ab Juli 2013 bei einer Verwandten des BF1 in der Provinz XXXX aufhielten, ehe sie Ende August 2014 wieder nach XXXX reisten um am 10.09.2014 von dort ausgehend auszureisen. Wäre über diesen langen Zeitraum ein so nachhaltiges Verfolgungsinteresse der Angehörigen der BF2 wie behauptet vorgelegen, so wäre, nicht zuletzt in Anbetracht der örtlichen Nähe der Wohnsitze der mutmaßlichen Konfliktparteien in XXXX über ca. 15 Monate hinweg, zu erwarten gewesen, dass es zu maßgeblichen Vorfällen gekommen wäre, die Zeugnis für dieses Verfolgungsinteresse ablegen hätten können. Abgesehen von der Behauptung weniger und auch nur sehr vage beschriebener verbaler Drohungen, die zum Teil auch nur im weiteren sozialen Umfeld der BF ausgesprochen worden seien, wurde von den BF diesbezüglich jedoch nichts Gravierendes vorgetragen, woraus man darauf schließen hätte können. In gleicher Weise wurden auch für den nachfolgenden Zeitraum von ca. einem Jahr, während dem sich die beiden BF bei einer Tante des BF1 in der Provinz XXXX aufgehalten haben, ehe sie den Entschluss zur Ausreise umsetzten, keine Vorfälle behauptet, aus denen sich über die bloße Behauptung der beiden hinaus auf ein mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit bestehendes Verfolgungsinteresse der Angehörigen der BF2 schließen hätte lassen.

Weitere Indizien gegen das Vorliegen der behaupteten Bedrohung waren das Faktum der Eheschließung am Standesamt in XXXX kurz nach der "Entführung" der BF2 aus ihrem Elternhaus, sohin im unmittelbaren Nahebereich der behaupteten Verfolger, wie auch die Darstellung des früheren Familienlebens der Herkunftsfamilie der BF2 in der Hinsicht, dass diese angesichts materieller Schwierigkeiten nach dem Verlust der früheren landwirtschaftlichen Lebensgrundlage darauf angewiesen war, dass der Vater in der Fremde den Lebensunterhalt verdiente, und sich aus dieser Lage auch die sukzessive Verheiratung der Töchter des Hauses ergab, woraus wiederum auf ein naheliegendes familiäres Interesse an bzw. Einverständnis mit der Verehelichung auch der BF2 als jüngste Tochter mit einem wohlhabenden Schwiegersohn wie den BF1 zu schließen war. In dieses Bild fügte sich auch, dass die Eltern und der Bruder der BF2, wie dies vor dem BVwG wiedergegeben wurde, den BF1 als fleißigen Sohn eines kleinen Bauunternehmers aus der engeren Umgebung kennen gelernt hatten, dem sie zuvor einen Auftrag zur Errichtung ihres neuen Eigenheims erteilt hatten und ihn auch während des Bauvorhabens regelmäßig in ihren Räumlichkeiten verweilen ließen und verköstigten, sodass daraus ebenso die Annahme abzuleiten war, dass es vielmehr im familiären Interesse gelegen haben oder zumindest akzeptiert gewesen sein sollte, die BF2 in dieser Weise zu verheiraten bzw. verheiratet zu sehen. Dass die BF2 auf Nachfrage in der Verhandlung vom 07.06.2016 auch den ihr von den Eltern angeblich angetragenen "viel älteren Mann" überhaupt nicht näher beschreiben konnte, bestärkte das BVwG noch in der Annahme, dass der behauptete Konflikt mit den Eltern und dem Bruder über die Person ihres zukünftigen Bräutigams so gar nicht stattgefunden hat. Widersprüchlich dargestellt wurden zuletzt auch noch wesentliche Einzelheiten des Ablaufs der Werbung des BF1 um die Hand seiner zukünftigen Gattin, was ebenso maßgebliche Zweifel an der Richtigkeit des behaupteten Bedrohungsszenarios aufwarf. So legte die BF2 auf Nachfrage in der Verhandlung vom 07.06.2016 dar, dass ihr Gatte oder seine Eltern drei bis vier Mal bei ihren Eltern um ihre Hand angehalten hätten, zuletzt wohl ca. 10 Tage bevor sie gemeinsam "durchgebrannt" waren, und dass sie selbst jedes Mal anwesend gewesen sei. Der BF1 vermeinte wiederum, es sei nur zwei Mal um die Hand seiner Gattin angehalten worden, wobei diese jedes Mal anwesend gewesen sei. Die BF2 vermochte zum anderen vorerst nicht einmal annähernd wiederzugeben, wann es genau zu den Vorsprachen bei ihren Eltern wegen einer möglichen Heirat gekommen war und stellte dann nur vage in den Raum, dies sei "glaublich zehn Tage bevor wir durchbrannten" gewesen. Auch der BF1 konnte dazu trotz der behaupteten Bedeutung dieser Ereignisse keinen genaueren Angaben machen, sondern datierte seine Brautwerbung nur vage in einen Zeitraum von "fünf bis zehn Tagen bevor wir durchbrannten".

Selbst wenn man den beiden BF zu ihren Gunsten zugestehen wollte, dass sie unabhängig von diesen Einzelheiten vorerst keine Zustimmung der Eltern der BF2 zur gewollten Heirat erlangt hatten und daher kurzer Hand mit einem vom BF1 geborgten PKW zu Verwandten von ihm "durchgebrannt" waren, wie sie auch im Einzelnen darlegten, so waren dennoch aus dem gesamten Vorbringen, wie schon zuvor dargelegt wurde, jedenfalls keine stichhaltigen Anhaltspunkte dafür zu gewinnen, dass sie in weiterer Folge nach der Heirat im Juli 2011 tatsächlich wie von ihnen behauptet bis zur Ausreise im August 2014 einer fortgesetzten Verfolgung bzw. Bedrohung durch Vater und/oder Bruder der BF2 ausgesetzt waren.

Dass es im Übrigen dem Vortrag der beiden Beschwerdeführer zufolge in unmittelbarer Nähe des Wohnsitzes der Eltern des BF1 in XXXX einen Militärstützpunkt gegeben hat, an den sie sich erforderlichenfalls auch wenden hätten können, wie sie selbst vor dem BVwG vermeinten, es aber offenkundig nicht für notwendig erachteten, indizierte zuletzt nicht nur das Fehlen einer tatsächlichen Bedrohungssituation, deretwegen sie sich an die Sicherheitskräfte wenden hätten müssen, sondern auch eine grundsätzliche Verfügbarkeit staatlichen Schutzes gegenüber allfälligen Verfolgungshandlungen der Verwandten der BF2.

2.3.8. Gelang es den beiden Beschwerdeführern in dieser Weise sohin nicht, eine behaupteter Weise drohende Verfolgungsgefahr durch ein entsprechendes Vorbringen glaubhaft zu machen, so war den von der belangten Behörde und dem BVwG herangezogenen länderkundlichen Informationen auch nicht zu entnehmen, dass - unter hier hypothetischer Zugrundelegung der vom BF1 behaupteten Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe - quasi jeder der ca. 13-15 Millionen Kurden, die in der Türkei leben, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer asylrelevanter Verfolgung bzw. realer Gefährdung von Leib und/oder Leben ausgesetzt wäre. Gleiches war im Übrigen im Hinblick auf die Religionsgemeinschaft der Alewiten zu erwägen.

Im Übrigen ist diesbezüglich grundsätzlich festzuhalten, dass allgemeine Diskriminierungen, etwa soziale Ächtung, für sich genommen nicht die hinreichende Intensität für eine Asylgewährung aufweisen können. Bestimmte Benachteiligungen (wie etwa allgemeine Geringschätzung durch die Bevölkerung, Schikanen, gewisse Behinderungen in der Öffentlichkeit) bis zur Erreichung einer Intensität, dass deshalb ein Aufenthalt des Beschwerdeführers im Heimatland als unerträglich anzusehen wäre (vgl VwGH 07.10.1995, 95/20/0080; 23.05.1995, 94/20/0808), sind dahingehend hinzunehmen. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist die schwierige allgemeine Lage einer ethnischen Minderheit oder der Angehörigen einer Religionsgemeinschaft im Heimatland eines Asylwerbers für sich allein nicht geeignet, die für die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorauszusetzende Bescheinigung einer konkret gegen den Asylwerber gerichteten drohenden Verfolgungshandlung darzutun (VwGH 31.01.2002, Zl. 2000/20/0358). So hat der Verwaltungsgerichtshof beispielsweise im Erkenntnis vom 23.06.1998, Zl. 96/20/0144, ausgesprochen, dass die bloße Zugehörigkeit türkischer Staatsangehöriger zur Volksgruppe der Kurden und das alevitische Religionsbekenntnis samt der damit einhergehenden Diskriminierung noch keinen ausreichenden Grund für die Asylgewährung bilden.

In der Beschwerde wurde moniert, die Behörde habe der Entscheidung unzureichende Länderberichte zugrunde gelegt, insbesondere würden Informationen zur Lage von Kurden mit ihnen unterstellter Näher zur PKK fehlen. Andererseits wurde auf im Bescheid enthaltene Länderberichte verwiesen, wonach das Vorbringen des BF als glaubhaft erscheine. Letzterem Argument war aber entgegen zu halten, dass alleine mit der Möglichkeit, dass sich ein Vorbringen eines Antragstellers mit bestimmten allgemeinen Länderfeststellungen der Behörde grundsätzlich in Einklang bringen lässt, für diesen noch nichts gewonnen ist, ist es doch vielmehr erforderlich, dass sein Vorbringen insgesamt einer Glaubwürdigkeitsprüfung standzuhalten hat, ehe dieses für den Fall seiner Feststellbarkeit mit gleichgelagerten Länderinformationen im Hinblick auf weitere Rechtsfragen in Zusammenhang zu bringen ist. Eine glaubhafte Darstellung vergangener wie auch möglicher zukünftiger individueller Verfolgungs- bzw. Bedrohungsszenarien war dem BF im gg. Fall jedoch nicht gelungen. Auch wurde nicht erkennbar, dass der BF einem per se von staatlicher Verfolgung bedrohtem Personenkreis zuzuordnen wäre.

2.3.9. Die vom BVwG zuletzt herangezogenen und auch von der belangten Behörde ihrem Letztbescheid zugrunde gelegten länderkundlichen Informationen zur allgemeinen Lage in der Türkei stellten sich in den für die Entscheidung wesentlichen Aspekten als ausreichend und tragfähig dar.

Die allgemeine Sicherheitslage in der Türkei betreffend verkannte auch das Bundesverwaltungsgericht nicht, dass dort aktuell eine in politischer Hinsicht unruhige Situation gegeben ist, es in der jüngeren Vergangenheit auch vereinzelt zu terroristischen Anschlägen kam und von der türkischen Regierung zuletzt neuerlich der landesweite Ausnahmezustand verlängert wurde. Jedoch ist die Sicherheitslage nicht dergestalt einzuschätzen, dass schon mit der bloßen Anwesenheit für jeden Zurückkehrenden das reale Risiko verbunden wäre, Opfer eines Terroranschlags oder sonstiger gewaltsamer Auseinandersetzungen zu werden. Als notorisch war anzusehen, dass im Herkunftsstaat der Beschwerdeführer aktuell kein landesweiter bewaffneter Konflikt ausgetragen wird, der eine gravierende Gefährdung indizieren würde.

2.3.10. Die Annahme, dass die Beschwerdeführer bei einer Rückkehr auch insoweit keiner maßgeblichen Gefährdung ausgesetzt wären, als sie etwa in wirtschaftlicher Hinsicht in eine existenzbedrohende Notlage geraten würden, stützte schon die belangte Behörde zu Recht darauf, dass es sich beim BF1 um einen arbeitsfähigen Menschen handelt, der mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit für seinen Unterhalt und den seiner Familienangehörigen sorgen kann, zumal er auch bereits vor der Ausreise aus dem Herkunftsstaat verschiedenen beruflichen Tätigkeiten nachging und sohin offenkundig auch über berufliche Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt. Nicht zuletzt hat er im Verlauf dieses Verfahrens auch von sich aus auf seine Arbeitsfähigkeit und -willigkeit verwiesen. Auch die Möglichkeit einer verwandtschaftlichen Unterstützung stünde den Beschwerdeführern angesichts entsprechender Anknüpfungspunkte zur Verfügung.

2.3.11. Es kamen auch keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer aktuellen schweren psychischen oder physischen Erkrankung auf Seiten der Beschwerdeführer hervor, wobei im Übrigen den Länderfeststellungen der belangten Behörde zufolge im Bedarfsfall eine medizinische Versorgung in der Türkei als grundsätzlich gewährleistet anzusehen war."

I.4. der VfGH lehnte mit Beschluss vom 26.6.2018, E 2017-2074/2018 die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis erhobenen Beschwerde gem. Art. 144 Abs. 1 B-VG ab und trat die Beschwerde gem. Art. 144 Abs. 3 B-VG dem VwGH zur Entscheidung ab.

Die am 14.8.2018 erhobene Revision wurde mit Beschluss des VwGH vom 24.10.2018 zurückgewiesen.

I.5. Im Dezember 2018 tauchten die BF unter. Am 20.8.2019 wurden sie aus Frankreich nach Österreich rücküberstellt.

I.6. Am 20.8.2019 brachten die BF die verfahrensgegenständlichen zweiten Anträge auf internationalen Schutz ein.

I.6.1. Im Rahmen der Erstbefragung gab der BF1 an, dass er seine Fluchtgründe aus dem ersten Verfahren aufrecht halte. Im März 2019 habe er in Frankreich Unterlagen von seinem Vater zugesendet bekommen, dass er in der Türkei in Abwesenheit zu 5 Jahren Haft verurteilt worden sei. Er habe die Unterlagen der französischen Polizei vorgelegt, diese habe sich aber der Verantwortung entzogen. Im Fall einer Rückkehr befürchte er 5 Jahre Haft und Folter. Die BF2 schloss sich diesen Angaben an.

I.6.2. Beim BFA gab der BF1 zusammengefasst an, dass er Originale des Urteils und der Hausdurchsuchung habe. Sein Vater habe ihm die Unterlagen an die Adresse seines Bruders in Frankreich geschickt. Er habe die Unterlagen im Juni 2019 erhalten, das Kuvert sei in der Unterkunft in Frankreich geblieben. Wie sein Vater zu den Unterlagen gekommen sei, könne er nicht genau sagen. Den französischen Behörden habe er die Beweismittel nicht vorgelegt, da er wusste, dass man nach Österreich überstellt wird. Die Verurteilung sei am 20.5.2019 im Rahmen einer Gerichtsverhandlung erfolgt, 3 Jahre wegen Propagandaführung und Terrorismus und 2 Jahre wegen Verhetzung der Bevölkerung. Zudem sei auch eine Geldstrafe verhängt worden. Begonnen habe es mit der Teilnahme am 27.5. und am 30.5.2013 beim Geziaufstand. Außerdem seien bei der Hausdurchsuchung unter dem Bett des BF1 verbotene Zeitschriften, Poster und Flugblätter gefunden worden. Zudem habe der BF in Frankreich erfahren, dass es neue Drohungen vom Bruder der BF2 gebe. Es sei zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen dem Schwager und dem Vater des BF1 gekommen, der Schwager habe dabei gedroht, den BF1 zu töten und dabei ein paar Mal in die Luft geschossen. Außerdem habe der Schwager des BF1 gegenüber dessen Schwester vor der Ausreise der BF nach Frankreich gegenüber geäußert, dass er der "Todesengel" des BF1 sei. Die BF2 habe er als Hure beschimpft.

Die BF2 gab darüber hinaus an, dass die Familie des BF1 ständig von ihrem Bruder bedroht würde. Sie habe im Erstverfahren nicht angegeben, dass Familienmitglieder des BF1 vor der standesamtlichen Hochzeit einen Versöhnungsversuch mit ihrer Familie unternehmen wollten. Dabei habe der Bruder der BF2 deren Schwiegervater mit einem Messer bedroht. Der Bruder der BF2 sei ein Psychopath, der 2007 oder 2008 auch ein Pferd derart geschlagen habe, dass dieses blutete. Gegenüber der BF2 sei er aggressiv geworden, dann habe er das Pferd erschossen. Ihr Bruder habe auch eine Waffensammlung. Ihre Schwestern seien gegen Geld verheiratet worden. Sie habe auch nicht angegeben, dass sie einen Tag, bevor sie weggelaufen ist, von ihrem Bruder gefoltert worden sei. Ihre Eltern hätten auch sehr böse über den Glauben ihres Mannes gesprochen. Der BF2 hätten sie vorgeworfen, dass sie die Alewiten verteidigt. Als sich die BF2 schon ein Seil für einen Selbstmord holen wollte, sei ihr eingefallen, dass sie mit dem BF1 weglaufen wollte.

I.7. Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden wurden die Anträge der BF auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Aufenthaltstitel aus berücksichtungswürdigen Gründen wurden gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurden Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Absatz 2 FPG erlassen. Es wurde zudem gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der BF gemäß § 46 FPG in die Türkei zulässig sei. Gemäß § 55 Absatz 1a FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt. Gem. § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z.6 FPG wurde über die BF ein auf die Dauer von 2 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Gem. § 15b Abs. 1 AsylG 2005 wurde den BF aufgetragen, ab 20.8.2019 in der BS XXXX Unterkunft zu nehmen.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass kein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt hervorgekommen sei, zumal die BF sich auf jene Gründe stützen, die sie in den bereits rechtskräftig entschiedenen vorangegangenen Verfahren vorbrachten. Diesen Fluchtgründen kam keine Glaubhaftigkeit bzw. Asylrelevanz zu.

Die BF stützen sich insbesondere darauf, dass sie wiederholt vom Schwager der BF2 bedroht worden seien und dass der BF1 aufgrund der Demonstrationen im XXXX und einer im Jahr 2013 durchgeführten Hausdurchsuchung gerichtlich verurteilt wurde. Dazu brachte der BF1 ein "Gerichtsurteil" und ein "Schreiben der Sicherheitsdirektion Bezirk XXXX " ein.

Zur Vorlage der Beweismittel werde auf die im Akt befindliche Anfragebeantwortung der Staatendokumentation bzw. des Verbindungsbeamten hingewiesen. Hiezu werde vermerkt, dass diese nicht den Richtlinien eines gerichtlichen Urteils aus der Türkei entspricht. Laut Ermittlungsergebnis entspricht auch das vorgelegte Schreiben nicht den Merkmalen eines tatsächlichen Schreibens der Sicherheitsdirektion der Türkei. Demnach konnten die BF keine für die Behörde glaubhaften Beweismittel vorlegen und könne eindeutig von Fälschungen ausgegangen werden.

Des Weiteren stünden die jetzigen Vorbringen jedenfalls in untrennbarem Zusammenhang mit den anlässlich der Erstverfahren als völlig unglaubwürdig erachteten Angaben. Hieraus folgt notwendigerweise, dass für die BF auch mit Folgebehauptungen, welche auf als nicht glaubwürdig erachtete Fluchtgründe aufbauen, nichts zu gewinnen ist.

Weiter sei nicht nachvollziehbar, wie der Schwager des BF1 dessen Schwester auf offener Straße erkannt haben soll, wenn sich diese noch nie zuvor gesehen haben sollen. Außerdem steht den BF in der Türkei auch jederzeit die Möglichkeit offen, die dortigen Polizeibehörden um Schutz zu ersuchen, was diese aber aus eigenem Verschulden nicht gemacht haben. Dass dies den BF nicht möglich oder nicht zumutbar gewesen wäre, habe sich im Verfahren nicht ergeben.

Dem Vorbringen im ggst. Verfahren komme kein glaubhafter Kern zu, nachdem sich die BF auf ihre bereits im ersten Verfahren als unglaubwürdig festgestellten Fluchtgründe stützen und die vorgelegten Beweismittel zudem gefälscht sind. Auch hinsichtlich der Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung in die Türkei habe sich gegenüber dem Erstverfahren keine Änderung ergeben und sei diese nach wie vor zulässig.

Die BF haben in Österreich kein schützenswertes Privat- oder Familienleben, sodass aufgrund des überwiegenden öffentlichen Interesses Rückkehrentscheidungen jedenfalls zulässig waren.

Die BF stellen darüber hinaus eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dar, da sie den Besitz der Mittel zu ihrem Unterhalt nicht nachzuweisen vermochten. Außerdem seien sie nach dem Erstverfahren ihrer Verpflichtung zur freiwilligen Ausreise binnen 14 Tagen nicht nachgekommen und stellen die Folgeanträge einen Missbrauch des Asylsystems dar.

Aus Gründen des öffentlichen Interesses, der öffentlichen Ordnung bzw. der zügigen Bearbeitung sei auch die Anordnung der Unterkunftnahme gerechtfertigt. Im Übrigen bestehe bereits eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung die BF betreffend.

I.8. Mit Schreiben der BF vom 3.1.2020 wurden fristgerecht Beschwerden erhoben und neben allgemeinen Ausführungen und Wiederholungen vorgebracht, dass keine entschiedene Sache vorliege und sich der Sachverhalt maßgeblich verändert habe, da der BF1 in Abwesenheit zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Im Fall einer Rückkehr drohe ihm daher eine Verletzung der Art. 2 und 3 der EMRK.

Das BFA habe die Grundsätze des Parteiengehörs und der amtswegigen Ermittlung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes verletzt. Dem BF1 hätten näheren Fragen zu konkreten Bedrohungen und in der Folge zur Verurteilung gestellt werden müssen. Darüber hinaus seien keine Berichte zur Behandlung von mit der PKK in Verbindung gebrachten Personen eingeholt worden. Dazu wurde in der Beschwerde auf Berichte von Le Monde Diplomatique "Alltag in Angst" vom 12.4.2018, SFH Türkei vom 19.5.2017, PHR vom August 2016, SFH vom 12.8.2016, NZZ vom 26.1.2017, Freedom House vom 4.2.2019, AI vom 1.2.2019, Handelsblatt, Bild vom 27.6.2018, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 23.4.2018 etc. verwiesen und diese auszugsweise wiedergegeben.

Aus diesen Länderberichten gehe hervor, dass Kurden in der Türkei weiter diskriminiert würden und Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt seien. Angehörige v.a. der kurdischen Opposition bzw. deren Sympathisanten sein oftmals Ziel von Gewalttaten und Verfolgung durch die Sicherheitsbehörden.

Es sei auch kein eigenes Ermittlungsverfahren zum Kindeswohl geführt worden bzw. sei dieses in die Entscheidungsfindung zu wenig eingeflossen. Die BF4 und BF5 hätten keinen Tag in der Türkei zugebracht. Eine Abschiebung würde daher dem Kindeswohl schaden.

Die Beweiswürdigung sei mangelhaft und nicht schlüssig. Es sei nicht ersichtlich, wann und von wem die Unterlagen einer Untersuchung zugeführt wurden. Es werde daher die Übersetzung und Überprüfung des im Akt befindlichen Gerichtsurteiles beantragt.

Im Verfahren der BF2, welche eine Anpassungsstörung hat, werde in Zusammenhang auf Gesundheitswesen ein Textbaustein zum Gesundheitswesen der Russischen Föderation, im speziellen der Teilrepublik Dagestan verwendet. Daraus zeige sich die oberflächliche Vorgehensweise der belangten Behörde.

Ein Einreiseverbot sei nicht zwingend vorgesehen. Es werde lediglich ausgeführt, dass die BF Grundversorgung beziehen und keiner Erwerbstätigkeit nachgehen.

Außerdem werde eine mündliche Verhandlung beantragt und die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung angeregt.

I.9. Hinsichtlich des Verfahrensinhalts im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

II.1.1. Die Beschwerdeführer:

Die Beschwerdeführer, deren genaue Identitäten feststehen, sind türkische Staatsangehörige und Angehörige der muslimischen Religionsgemeinschaft. Dass der BF1 im Speziellen ein Angehöriger der kurdischen Volksgruppe und/oder der alewitischen Glaubensgemeinschaft wäre, konnte nicht festgestellt werden.

Der BF1 stammt aus einem zum Landkreis XXXX in der Provinz XXXX gehörigen Dorf, wo er bei seinen Eltern und vier Geschwistern aufwuchs. Die BF2 stammt aus einem zum Landkreis XXXX in der Provinz XXXX gehörigen Dorf, wo sie bei ihren Eltern und sechs älteren Geschwistern aufwuchs. Sie besuchte zwischen 2000 und 2008 die Grundschule und half in der Folge in der elterlichen Landwirtschaft. Der BF1 besuchte für fünf Jahre die Volks- und für drei Jahre die Hauptschule, zwischen 2006 und 2007 absolvierte er seinen Grundwehrdienst, im Anschluss daran war er bis 2011 im Baugewerbe seines Vaters als Hilfsarbeiter sowie in der elterlichen Landwirtschaft tätig, dies nur kurzzeitig im Jahr 2009 unterbrochen durch eine Anstellung als Hilfskoch in der Stadt XXXX . Im Gefolge der Eheschließung von BF1 und BF2 im Juli 2011 in XXXX verzogen diese nach XXXX , wo sie einen gemeinsamen Wohnsitz in der Wohnung eines entfernten Verwandten des BF1 hatten und dieser in einem Restaurant als Küchenhilfe erwerbstätig war. Die BF2 verlegte im Frühling 2012 im Hinblick auf die bevorstehende bzw. schließlich am 13.04.2012 erfolgte Geburt des ersten gemeinsamen Kindes ihren Wohnsitz in das Heimatdorf ihres Gatten zu ihren Schwiegereltern, der BF1 verblieb bis Juni 2013 in XXXX . Von ca. Juni/Juli 2013 bis ca. August/September 2014 nahmen sie ihren Wohnsitz in XXXX im Haus einer Tante des BF1. Etwa Ende August/Anfang September 2014 reisten sie dann wieder nach XXXX , von wo sie am 10.09.2014 auf dem Luftweg auf legale Weise unter Verwendung ihrer Reisepässe nach XXXX gelangten. Entgegen ihrer vorherigen Absicht, nach Frankreich zu einem dort aufhältigen Bruder des BF1 weiterzureisen, nahmen sie ihren Wohnsitz vorerst bei einem Cousin des BF1 in XXXX , ehe sie am 21.09.2014 an der Erstaufnahmestelle-West des BFA ihre Anträge auf internationalen Schutz einbrachten. Seither halten sich BF1, BF2 und BF3 durchgehend in Österreich auf. Die BF4 wurde am 30.06.2015, die BF5 am 02.01.2018 hierorts geboren, für beide wurde im Gefolge dessen von ihrem gesetzlichen Vertreter jeweils ein Antrag auf Gewährung desselben Schutzes gestellt.

Die Eltern und eine ältere Schwester des BF1 leben nach wie vor am angestammten Wohnsitz der Herkunftsfamilie in XXXX , wo sein Vater weiterhin sein Bauunternehmen sowie eine Viehzucht betreibt, zwei jüngere Schwestern gehen einer Ausbildung in XXXX nach. Der BF1 steht mit seinen Verwandten in der Heimat in Kontakt. Ob die BF2 mit ihren Verwandten in der Heimat in Kontakt steht, war nicht feststellbar.

Die Beschwerdeführer sprechen Türkisch als Muttersprache, der BF1 verfügt über gute, die BF2 über Grundkenntnisse der deutschen Sprache. Der BF1 hat zum Nachweis seiner Kenntnisse der deutschen Sprache eine Sprachprüfung auf dem Referenzniveau A2 erfolgreich abgelegt. Der BF3 besucht die Volksschule.

Der BF1 leidet unter keinen gesundheitlichen Beschwerden bzw. Einschränkungen seiner Arbeitsfähigkeit. Er ist in Österreich noch keiner sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nachgegangen. Auch die übrigen Beschwerdeführer leiden unter keinen maßgeblichen gesundheitlichen Beschwerden. Alle Beschwerdeführer bestreiten ihren Lebensunterhalt im Bundesgebiet bis dato aus Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber. Dass die BF2 eine Anpassungsstörung hätte, kann aufgrund ihrer Angaben gegenüber dem BFA nicht verifiziert werden, wo sie lediglich von einem Bandscheibenproblem sprach und auch keinen entsprechenden Befund vorlegte.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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