TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/21 L512 2147096-2

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Veröffentlicht am 21.01.2020
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Entscheidungsdatum

21.01.2020

Norm

AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §58 Abs10
B-VG Art133 Abs4

Spruch

L512 2147096-2/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Marlene JUNGWIRT als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. der islamischen Republik Pakistan, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Alexander FUCHS, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, vom XXXX , Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 58 Abs. 10 AsylG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge kurz als "BF" bezeichnet), ein Staatsangehöriger der islamischen Republik Pakistan, (in weiterer Folge "Pakistan" genannt), stellte nach illegaler Einreise am 04.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde am gleichen Tag durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einer Erstbefragung unterzogen.

Zu seinen Fluchtgründen befragt führte der BF aus, er sei aufgrund einer Feindschaft mit Verwandten in Pakistan geflüchtet. Diese würden ihn umbringen wollen. Der Grund des Streits sei, dass seine Schwester geschieden worden sei. In Folge dieses Ereignisses sei diese Feindschaft entstanden.

Der BF wurde am 18.10.2016 durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (kurz: BFA) niederschriftlich einvernommen. Befragt führte der BF zunächst aus, er habe im Zuge der Erstbefragung die Wahrheit gesagt und sei alles richtig übersetzt und aufgeschrieben worden. Er leide an Blutmangel und habe Tabletten dagegen bekommen. Er nehme sie alle zwei Tage ein. Sonst sei er körperlich und geistig gesund.

Er habe Kontakt mit seiner Mutter und habe auch einmal mit seinem Vater gesprochen.

Zu seinem Fluchtgrund führte der BF aus, sein Hauptproblem hänge mit der Familie des Ehemannes seiner Schwester zusammen. Seine Schwester sei von zwei Onkeln mit jemandem verheiratet worden, mit welchem sich der BF nicht verstehe. Der Ehemann der Schwester des BF habe einmal auf den BF geschossen. Einen Monat nach der Hochzeit habe seine Schwester die Scheidung eingereicht. Der BF sei gegen die Scheidung gewesen. Der BF habe auch eine Anzeige gegen die Familie des Ex-Ehemannes seiner Schwester erstatten wollen. Ihm sei aber dann mit dem Umbringen gedroht worden. Die Familie des Ex-Ehemannes seiner Schwester hätte ihn vorher schon dreimal angegriffen. Der BF habe die Familie aber nicht angezeigt, da er sonst Probleme bekommen hätte.

Der BF erhalte Grundversorgung und besuche Deutschkurse, sonst mache er nichts in Österreich.

Mit Bescheid des BFA vom XXXX , Zl. XXXX , wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG, sowie gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Pakistan ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt und wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Pakistan zulässig ist. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

Gegen diesen Bescheid erhob der BF fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom XXXX , GZ: XXXX , wurde die Beschwerde gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Z 3, § 57 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 FPG 2005 idgF, als unbegründet abgewiesen. Die Revision wurde gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erachtet. Dieses Erkenntnis erwuchs am 23.10.2018 in Rechtskraft.

I.2. Der BF kam seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach und stellte persönlich am 21.02.2019 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK "Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens". Der BF führte hierbei unter anderem aus, er würde seit Oktober 2015 über einen durchgängigen Aufenthalt verfügen. Er sei ca. 1 Jahr einer ehrenamtlichen Tätigkeit bei der Gemeinde XXXX nachgegangen. Er verfüge über eine Beschäftigungszusage und habe einen großen Freundeskreis in Österreich. Er führe einen europäischen Lebensstil, habe seinen Lebensmittelpunkt in Österreich, habe fast keine Kontakte nach Pakistan, sei arbeitswillig und habe sich in Österreich wohlverhalten.

Der BF wurde am gleichen Tag aufgefordert aufgelistete Dokumente in Vorlage zu bringen.

I.3. Vor einem Organwalter des BFA brachte der BF am 25.06.2019 im Wesentlichen Folgendes vor:

Der BF spreche ein bisschen Deutsch, die Muttersprache des BF sei Punjabi, die Landessprache Urdu. Der BF lebe in einer Mietwohnung. Er sei zuvor Asylwerber gewesen. 2015 habe er für die XXXX gearbeitet. Die Großmutter, die Eltern, eine Schwester sowie drei Brüder des BF würden in Pakistan leben. Einmal im Monat würden sie miteinander telefonieren. Der BF sei ledig und habe keine Kinder. Mit Bekannten würde der BF auf Deutsch sprechen. Der BF habe keine Verwandten in Österreich, nur Freunde. Der BF habe seit der negativen Entscheidung in Bezug auf seinen Antrag auf internationalen Schutz seine Kenntnisse bezüglich der deutsche Sprache verbessert. Er habe für die A1 Prüfung gelernt und auch einen A2 Kurs besucht. Er habe die Prüfung jedoch nicht bestanden. Er habe einen Arbeitsvorvertrag und habe auch ehrenamtlich gearbeitet. Derzeit verkaufe der BF Straßenzeitungen. Er verdiene damit ? XXXX ,. Der BF habe, wenn es kalt ist Rückenschmerzen, sonst seit er gesund.

I.4. Mit Bescheid des BFA vom XXXX , Zl. XXXX , wurde der Antrag des BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK vom 21.02.2019 gemäß § 58 Abs 10 AsylG zurückgewiesen.

In der Begründung wurde dargelegt, dass eine maßgebliche Sachverhaltsänderung in Bezug auf das Privat- und Familienleben des BF nicht eingetreten sei. Zwischen dem Zeitpunkt der jetzigen Entscheidung und der Bestätigung der Rückkehrentscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht liege nur eine kurze Zeitspanne. Der BF legte in dieser Zeit einen Mietvertrag, Unterstützungsschreiben, eine Bestätigung über den Verkauf von Zeitungen, eine Einstellzusage vor. Diese Umstände würden keine wesentliche Änderung darstellen, welche eine erneute Abwägung gemäß Artikel 8 EMRK erforderlich mache.

I.5. Gegen den Bescheid des BFA vom XXXX , Zl. XXXX , erhob der BF durch seine Vertretung fristgerecht Beschwerde.

I.6. Hinsichtlich des Verfahrensherganges im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen (Sachverhalt)

Der Beschwerdeführer ist ein männlicher, pakistanischer Staatsbürger, welcher die Sprache Punjabi und Urdu spricht und sich seit Oktober 2015 im österreichischen Bundesgebiet befindet.

Der BF stellte am 04.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des BFA vom XXXX , Zl. XXXX , wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG, sowie gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Pakistan ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt und wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Pakistan zulässig ist. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom XXXX , GZ: XXXX , wurde die Beschwerde des BF gegen den Bescheid vom XXXX gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Z 3, § 57 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 FPG 2005 idgF, als unbegründet abgewiesen. Die Revision wurde gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erachtet. Dieses Erkenntnis erwuchs am 23.10.2018 in Rechtskraft.

Die Rückkehrentscheidung vom XXXX ist noch immer aufrecht.

Der BF kam seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach und stellte persönlich am 21.02.2019 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK "Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens".

Die Identität des BF steht fest.

Der BF ist ein arbeitsfähiger Mann mit bestehenden familiären Anknüpfungspunkten im Herkunftsstaat und einer - wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherten Existenzgrundlage. Die Eltern, die Großmutter, eine Schwester und drei Brüder des BF leben in Pakistan.

Der BF ist gesund.

Der BF möchte offensichtlich sein künftiges Leben in Österreich gestalten und hält sich seit seiner Antragstellung am 04.10.2015 im Bundesgebiet auf. Er reiste rechtswidrig in das Bundesgebiet ein. Der BF hat in Österreich keine Verwandten und lebt auch sonst mit keiner nahestehenden Person zusammen. Der BF lebt in einer Mietwohnung. Der BF hat Bekannte/Freunde in Österreich. Der BF war vom XXXX bis XXXX für die Volkshilfe im Ausmaß von 15 Stunden sowie für die Gemeinde XXXX sowie für die XXXX im Jahr 2015 ehrenamtlich tätig. Der BF hat mehrere Deutschkurse absolviert und verfügt über Deutschkenntnisse auf A1 Niveau. Der BF besuchte zuletzt einen Deutschkurs auf A2 Niveau. Der BF verfügt über einen Arbeitsvorvertrag. Der BF ist Mitglied in einem kirchlichen Verein. Der BF verkauft seit 2019 Straßenzeitungen und verdient dadurch ? XXXX ,--. Der BF ist strafrechtlich unbescholten.

Eine maßgebliche Änderung des Sachverhaltes im Vergleich zur Rückkehrentscheidung vom XXXX konnte nicht festgestellt werden.

II.2. Beweiswürdigung

Die Feststellungen zum maßgeblichen Sachverhalt ergeben sich aus dem Verwaltungsakt, dem hg Verfahrensakt, dem Verfahren vor der belangten Behörde und der Beschwerde. Der Sachverhalt ist aktenkundig, unstrittig und deshalb erwiesen.

Die Ausführungen zum Verfahrensverlauf ergeben sich aus dem Akteninhalt der bezughabenden Verwaltungsakten und der hg Verfahrensakten (inklusive jener des Vorverfahrens).

Die näheren Feststellungen zur persönlichen Situation des BF sowie seiner Integration in Österreich ergeben sich aus seinen Angabe, den vorgelegten Beweismitteln und dem Beschwerdeschreiben.

II.3. Rechtliche Beurteilung:

II.3.1. Zuständigkeit, Entscheidung durch den Einzelrichter, Anzuwendendes Verfahrensrecht

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG), BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit mangels anderslautender gesetzlicher Anordnung in den anzuwendenden Gesetzen Einzelrichterzuständigkeit vor.

Zu A)

II.3.2. Die hier maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 lauten auszugsweise:

"Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK

§ 55 (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird.

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen."

§ 58 Abs. 10 AsylG lautet:

"Anträge gemäß § 55 sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht. Anträge gemäß §§ 56 und 57, die einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag (Folgeantrag) oder einer rechtskräftigen Entscheidung nachfolgen, sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn aus dem begründeten Antragsvorbringen ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt."

II.3.3. Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage (1803 BlgNR 24. GP 50) legen zur Bestimmung des § 58 Abs. 10 AsylG Folgendes dar:

"Der neue (Abs. 10) entspricht im Wesentlichen § 44b NAG in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011. Mit der Neuerrichtung des Bundesamtes und der damit einhergehenden Verfahrensvereinfachung und organisatorischen Umstrukturierung ist die Einbindung der zuständigen Sicherheitsdirektion entfallen. Die Beurteilung bzw. Prüfung erfolgt nun durch das Bundesamt. Dementsprechend sind Anträge als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß § 52 iVm § 53 Abs. 2 oder 3 FPG besteht und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht. Diese inhaltliche Neubewertung des Sachverhaltes hat sich lediglich auf den Zeitraum zwischen der rechtskräftigen Entscheidung nach dem FPG bis zur Entscheidung des zugrundeliegenden Antrages auf Erteilung des Aufenthaltstitels zu beziehen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass - im Rahmen einer Neubewertung - wenn ein maßgeblich geänderter Sachverhalt im Sinne des Art. 8 EMRK vorliegt, ein Aufenthaltstitel zu erteilen sein wird."

Die zur Vorgängerregelung des § 58 Abs. 10 AsylG (also zu § 44b Abs. 1 NAG) ergangene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auf die Auslegung des § 58 Abs. 10 AsylG zu übertragen (dazu VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101). Nach dieser Rechtsprechung liegt ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht erst dann vor, wenn der vorgebrachte Sachverhalt auch konkret dazu führt, dass nunmehr der begehrte Aufenthaltstitel erteilt werden müsste. Vielmehr liegt ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nur dann nicht vor, wenn die geltend gemachten Umstände von vornherein keine solche Bedeutung aufweisen, die eine Neubeurteilung aus dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK gebieten würde. Nur in einem solchen Fall ist eine - der Sache nach der Zurückweisung wegen entschiedener Sache nachgebildete - Zurückweisung (nunmehr) gemäß § 58 Abs. 10 AsylG zulässig (VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101 mit Hinweisen auf VwGH 22.07.2011, 2011/22/0127; 05.05.2015, Ra 2014/22/0115).

Da der Zurückweisungsgrund gemäß § 58 Abs. 10 AsylG (vormals § 44b Abs. 1 Z 1 NAG) der Zurückweisung wegen entschiedener Sache (§ 68 Abs. 1 AVG) nachgebildet ist, können die zu § 68 Abs. 1 AVG entwickelten Grundsätze für die Beurteilung, wann eine Änderung des Sachverhaltes als wesentlich anzusehen ist, auch für die Frage herangezogen werden, wann eine maßgebliche Sachverhaltsänderung iSd § 58 Abs. 10 AsylG vorliegt. Demnach ist eine Sachverhaltsänderung dann wesentlich, wenn sie für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die rechtskräftige Entscheidung gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann. Die Erlassung eines inhaltlich anderslautenden Bescheides (bezogen auf § 58 Abs. 10 AsylG: eine andere Beurteilung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in Rechte nach Art. 8 EMRK) muss also zumindest möglich sein; in dieser Hinsicht hat die Behörde eine Prognose zu treffen. Dabei ist die Wesentlichkeit der Sachverhaltsänderung nach der Wertung zu beurteilen, die das geänderte Sachverhaltselement in der seinerzeitigen Entscheidung erfahren hat. Für diese Prognose ist eine Gesamtbetrachtung anzustellen (vgl. VwGH 09.09.2013, 2013/22/0161; 09.09.2013, 2013/22/0215, mwN).

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 12.11.2015, Ra 2015/21/0101, ausführlich auf den inhaltlichen Gleichklang der Beurteilung eines Eingriffs in das Privat- und Familienleben eines Fremden bei Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung einerseits und der Frage der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG andererseits hingewiesen (vgl. auch VwGH 28.01.2016, Ra 2016/21/0006; 30.06.2016, Ra 2016/21/0103).

Bereits in Bezug auf die Vorgängerbestimmung des § 44b NAG in der genannten Fassung ging der VwGH davon aus, dass beim Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen eine Interessensabwägung im Sinne des Art. 8 abs. 2 EMRK nicht durchzuführen ist (Erk. vom 10.12.2013, 2013/22/0362).

Bei folgenden Konstellationen ging der VwGH von keiner wesentlichen Änderung des Sachverhalts im Sinne der oa. Erwägungen aus (exemplarische und auszugsweise Zitierung der Judikatur ohne Anspruch auf Vollständigkeit):

- Erk. vom 27.1.2015, Ra 2014/22/0094: Weder ein Zeitablauf von ca. zwei Jahren [Anm.: in einem anderen Erk. 2, 5 Jahre] zwischen der rechtskräftigen Ausweisung und dem Zurückweisungsbeschluss der Behörde noch verbesserte Deutschkenntnisse und Arbeitsplatzzusagen stellen eine maßgebliche Sachverhaltsänderung iSd § 44b NAG 2005 idF vor 2012/1/0087 dar (Hinweis E 22. Juli 2011, 2011/22/0138; E 9. September 2013, 2013/22/0215).

- Erk. vom 27.1.2015, Ra 2014/22/0108: Ein arbeitsrechtlicher Vorvertrag (dem im Hinblick darauf, dass der Fremde mangels entsprechender Deutschkenntnisse keinen Zugang zum Arbeitsmarkt hat, die Relevanz abgesprochen wurde) und auch der bloße Besuch eines Deutschkurses durch die Fremde können keine umfassende Neubeurteilung iSd Art 8 MRK nach sich ziehen (vgl. E 10. Dezember 2013, 2013/22/0362; E 29. Mai 2013, 2011/22/0013).

- Erk. vom 19.11.2014, 2012/22/0056: Die Behörde hat die Sprachkenntnisse des Fremden und die Einstellungszusage ihrer Entscheidung zugrunde gelegt. Es ist im Ergebnis nicht zu beanstanden, dass die Behörde in diesen Umständen keine solche maßgebliche Änderung des Sachverhalts sah, die eine Neubeurteilung im Hinblick auf Art. 8 MRK erfordert hätte (vgl. E 13. Oktober 2011, 2011/22/0065).

- Erk. vom 19.11.2014, 2013/22/0017: Mit Patenschaftserklärungen wird letztlich nur die finanzielle Unterstützung des Fremden dokumentiert und keine iSd Art. 8 MRK relevante Integration dargelegt (vgl. E 22. Juli 2011, 2011/22/0112).

- Erk. vom 30.7.2014: 2013/22/0205: Aus den vom Fremden neu vorgebrachten Umständen - den vorgelegten Empfehlungsschreiben und seinem sozialen Engagement beim Roten Kreuz - allein musste die Behörde nicht auf eine maßgebliche Änderung des Sachverhaltes schließen (vgl. E 11. November 2013, 2013/22/0250, und 2013/22/0217).

Den exemplarisch zitierten Einzelfallentscheidungen ist zu entnehmen, dass nicht jede Änderung in Bezug auf die privaten und familiären Anknüpfungspunkte zur Erforderlichkeit einer neuerlichen meritorischen Prüfung des Antrages führt, sondern dass dies nur dann der Fall ist, wenn der Änderung eine nicht nur bloße untergeordnete Tatbestandsrelevanz zukommt (vgl. zur erforderlichen Tatbestandsrelevanz auch Erk. d. VwGH vom 19.2.2009, Zl. 2008/01/0344, wo dieser sichtlich von vergleichbaren Überlegungen in Bezug auf eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes im Lichte des Art. 3 EMRK und § 68 (1) AVG ausging). Dem sich auf Vorgängerbestimmungen beziehenden Erk. des VwGH vom 15.2.2010, 2009/21/0367 mwN ist auch zu entnehmen, dass durch den nunmehrigen § 58 Abs. 10 AsylG hintangehalten werden soll, dass durch gestellte "Kettenanträge" in der Absicht, die Durchsetzung bestehender Rückkehrentscheidungen zu unterlaufen, die Behörde gehindert wird, aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu effektuieren.

II.3.4. Im gegenständlichen Verfahren wird durch das erkennende Gericht kein maßgeblich geänderter Sachverhalt gesehen.

In der Beschwerde bzw. im Rahmen des Antrages des BF wurden Aspekte vorgebracht, wie die Deutschkenntnisse des BF, den Freundeskreis des BF, Mitglied in einem Verein, ehrenamtliche Tätigkeiten, Arbeitsvorvertrag, Verkauf von Straßenzeitungen, wobei aber darauf zu verweisen ist, dass selbst perfektes Deutsch und eine vielfältige soziale Vernetzung kein über das übliche Maß hinausgehende Integration aufzeigt (vgl. VwGH vom 25.2.2010, Zl. 2010/18/0029, mwN). Ebenso kann der Umstand, dass der Beschwerdeführer über einen Arbeitsvorvertrag verfügt, nicht dazu führen, dass eine maßgebliche Änderung des Sachverhaltes vorliegt.

Soweit im Vorbringen des BF Elemente geltend gemacht werden, die als "Änderung" in Betracht kommen, ist festzuhalten, dass unter Bedachtnahme auf die seit der Rückkehrentscheidung vergangene Zeit, den unrechtmäßigen Aufenthalt der BF und unter Würdigung der von den BF geltend gemachten Umstände nicht gesehen werden kann, dass damit Sachverhaltsänderungen vorlägen, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen bei der hier anzustellenden Prognose den Schluss zugelassen hätten, es wäre - auch im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung - eine andere Beurteilung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in Rechte nach Art. 8 EMRK zumindest möglich (vgl. zu ähnlichen Konstellationen VwGH 23.02.2012, 2012/22/0002; 19.12.2012, 2012/22/0202; 17.04.2013, 2013/22/0006; 09.09.2013, 2013/22/0215; vgl. dazu auch, dass ein arbeitsrechtlicher Vorvertrag und auch der bloße Besuch eines Deutschkurses keine umfassende Neubeurteilung iSd Art 8 EMRK nach sich ziehen [VwGH, 10.12.2013, 2013/22/0362; VwGH 29. 05.2013, 2011/22/0013]). Eine bestandene Deutschprüfung Niveau A1 sowie die ehrenamtliche Tätigkeit für die XXXX im Jahr 2015 erfolgten im Übrigen auch schon vor Erlassung der rechtskräftigen Rückkehrentscheidung vom XXXX .

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

II.3.5. Absehen von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung

Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG kann eine Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist, oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist.

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-Verfahrensgesetz kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.

Mit Blick darauf, dass der Gesetzgeber im Zuge der Schaffung des § 21 Abs. 7 BFA-VG 2014 vom bisherigen Verständnis gleichlautender Vorläuferbestimmungen ausgegangen ist, sich aber die Rechtsprechung auch bereits damit auseinandergesetzt hat, dass sich jener Rechtsrahmen, in dessen Kontext die hier fragliche Vorschrift eingebettet ist, gegenüber jenem, als sie ursprünglich geschaffen wurde, in maßgeblicher Weise verändert hat, geht der Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass für die Auslegung der in § 21 Abs. 7 BFA-VG 2014 enthaltenen Wendung "wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint" nunmehr folgende Kriterien beachtlich sind:

* der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und

* bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen

* die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und

* das BVwG diese tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen

* in der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten ebenso außer Betracht bleibt wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt.

Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen.

Im gegenständlichen Fall ist dem angefochtenen Bescheid ein umfassendes Ermittlungsverfahren durch das BFA vorangegangen. Für die in der Beschwerde behauptete Mangelhaftigkeit des Verfahrens ergeben sich aus der Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes keinerlei Anhaltspunkte. Vielmehr wurde im Verfahren den Grundsätzen der Amtswegigkeit, der freien Beweiswürdigung, der Erforschung der materiellen Wahrheit und des Parteiengehörs entsprochen. Der Sachverhalt wurde daher nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens unter schlüssiger Beweiswürdigung des BFA festgestellt.

Das BFA hat die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt und das Bundesverwaltungsgericht teilt die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung. Bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes weist die Entscheidung des BFA immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit auf. Was das Vorbringen des BF in der Beschwerde betrifft, so findet sich in diesen kein neues bzw. kein ausreichend konkretes Tatsachenvorbringen hinsichtlich allfälliger Sachverhaltselemente. Auch tritt der BF in der Beschwerde den seitens der belangten Behörde getätigten beweiswürdigenden Ausführungen nicht in ausreichend konkreter Weise entgegen. Im Ergebnis bestand daher kein Anlass für die Durchführung einer mündlichen Verhandlung, wobei im Übrigen darauf hinzuweisen ist, dass auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht zu keinem anderen Verfahrensausgang geführt hätte.

Im gegenständlichen Fall wurden die seitens des BF getätigten Äußerungen zu seinen Integrationsschritten im Bundesgebiet in ihrem objektiven Aussagekern als wahr unterstellt und letztlich der für den BF günstigste Sachverhalt, wie er sich darstellen würde, wenn sich das Gericht im Rahmen einer Verhandlung einen positiven Eindruck verschafft hätte, der rechtlichen Beurteilung unterzogen, weshalb auch in Bezug auf die Rückkehrentscheidung keine Verhandlung durchzuführen war (vgl. Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Oktober 2016, Ra 2016/21/0289).

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Änderung maßgeblicher Umstände Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK aufrechte Rückkehrentscheidung entschiedene Sache Neubewertung res iudicata wesentliche Sachverhaltsänderung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L512.2147096.2.00

Im RIS seit

25.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

25.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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