TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/21 L504 2106581-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.01.2020
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Entscheidungsdatum

21.01.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §54 Abs1 Z2
AsylG 2005 §55 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55 Abs2
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4

Spruch

L504 2106579-1/56E

L504 2106577-1/50E

L504 2106581-1/48E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. R. ENGEL als Einzelrichter über die Beschwerde von

1. XXXX geb., StA. Irak, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.03.2015, Zl. 14-1045324610-140175345,

2. XXXX geb., StA. Irak, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.03.2015, Zl. 14-1045324904-140175353,

3. XXXX geb., StA. Irak, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.03.2015, Zl. 14-1045325204-140175361,

nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerde wird hinsichtlich des Spruchpunktes III. stattgegeben und dieser ersatzlos behoben. Es wird festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung gem. § 9 BFA-VG auf Dauer für unzulässig zu erklären ist und von Amts wegen gem. §§ 58 Abs 2, 55 Abs 1 Z1 u. Abs 2, 54 Abs 1 Z 2 AsylG idgF eine "Aufenthaltsberechtigung" erteilt wird.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrenshergang

1. Die beschwerdeführenden Parteien [bP] 1-3 stellten nach nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 14.11.2014 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl [BFA) einen Antrag auf internationalen Schutz.

Es handelt sich dabei um einen Mann [bP1], welcher seinen Angaben nach Staatsangehöriger des Irak mit schiitischem Glaubensbekenntnis ist, der Volksgruppe der Araber angehört sowie seine Ehegattin [bP2], eine Araberin, welche dem sunnitischen Glauben zugehörig ist und dem gemeinsamen, zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjährigen Sohn [bP3]. Sie wohnten zuletzt in Bagdad.

Anlässlich der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab die beschwerdeführende Partei 1 als Ausreisemotiv an, dass sie in Bagdad in einem sunnitischen Bezirk gewohnt habe. Als die "IS-Gruppe Alfluja" gekommen sei, seien viele Menschen nach Bagdad in die Bezirke geflüchtet. Man habe diese nicht gekannt. Die bP1 habe "immer wieder Anrufe von bekannten Personen" erhalten, die "ihr" aufgetragen hätten "diesen Bezirk zu verlassen", da sie Schiit sei. Im letzten Anruf sei ihr gesagt worden, dass "sie" [ich] den Bezirk innerhalb von 24 Stunden verlassen solle, ansonsten sie [ich] umgebracht würde. Aus Angst um ihr Leben und um ihre Familie zu schützen, habe sie sich entschlossen den Irak im Mai 2014 mitsamt der Familie zu verlassen.

In der nachfolgenden Einvernahme beim Bundesamt brachte die bP1 zu ihren ausreisekausalen Problemen im Irak Folgendes vor:

"[...]

Haben Sie im Verfahren bis dato der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht und wurden Ihnen diese jeweils rückübersetzt und korrekt protokolliert?

Jajaja

[...]

Möchten Sie Ihr bisheriges Vorbringen von selbst ergänzen?

Ich habe nur kurz über meine Situation erzählt, aber nicht ausführlich.

Aber Sie konnten das Wesentliche doch vorbringen - im Kern, oder?

Nachdem ich hier ankam haben sich Dinge ergeben, die neu hinzugekommen [sind]. Das ist passiert, nachdem ich hier angekommen bin.

[...]

Wovon lebten Sie in Ihrer Heimat, welchen Arbeitstätigkeiten gingen Sie zu Hause nach?

Ich war Taxifahrer.

Bis wann?

Bis ich ausreiste, bis zum letzten Tag.

[...]

Aus welchem Grund haben Sie nunmehr Ihren Herkunftsstaat verlassen bzw. einen Asylantrag gestellt?

Ich wurde im Irak bedroht, dass mein Sohn aus der Schule heraus entführt werden wird - mein Kind war gerade 1-2 Monate in der Schule und dennoch kamen schon die Drohungen. Ich bin Schiit, meine Frau ist Sunnitin - ich kann nicht ohne Probleme in einer sunnitischen Gegend leben und meine Frau kann nicht in einer schiitischen Gegend ohne Probleme leben. Wir suchen Sicherheit.

Was war der konkrete Anlass für das Verlassen Ihres Herkunftsstaates?

Wie ich schon sagte, die Drohungen bezüglich meines Lebens und bezüglich des Lebens meines Kindes. Ich musste mich rasch entscheiden als ich die Drohungen über Telefon bekam.

[...]

Haben Sie somit all Ihre Gründe für das Verlassen Ihres Herkunftsstaates genannt?

Ja das ist alles, sonst gibt es nichts.

[...]

Hatte konkret Ihre Person jemals Probleme mit den Behörden, der Polizei, dem Militär Ihres Herkunftsstaates? Gab es Schikanen?

Schiiten-Milizen haben mich zur Kooperation aufgefordert und Informationen weitergeben soll- deswegen bekam ich die Drohungen

[...]

Möchten Sie noch weitere Angaben machen? Konnten Sie zum Verfahren alles umfassend vorbringen und gibt es zur Einvernahme irgendwelche Einwände?

Das war alles, ich habe keine Einwände.

[...]"

Der Antrag auf internationalen Schutz wurde folglich vom Bundesamt mit Bescheid vom 19.03.2015 gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (I.).

Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak nicht zugesprochen (II.).

Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die bP gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.(III.)

.

Das Bundesamt gelangte im Wesentlichen zur Erkenntnis, dass hinsichtlich der Gründe für die Zuerkennung des Status eines asyl- oder subsidiär Schutzberechtigten eine aktuelle und entscheidungsrelevante Bedrohungssituation nicht glaubhaft gemacht worden sei. Ein relevantes, die öffentlichen Interessen übersteigendes, Privat- und Familienleben würde nicht vorliegen.

2. Bei der Erstbefragung befragt, warum die bP2 den Irak verlassen habe, gab diese an:

"Mein Mann wurde von unbekannten Personen bedroht, da er Schiit ist. Ihm wurde gesagt, dass "wir" den Bezirk verlassen sollen. Im letzten Anruf hat man ihm gesagt, dass wir innerhalb von 24 Stunden den Bezirk verlassen sollen, sonst wird er umgebracht. Mein Mann hat immer wieder Schwierigkeiten gehabt, da er Schiit ist, vor allem nachdem die IS Alfluja erobert hat. Das ist mein Fluchtgrund."

Hinsichtlich des minderjährigen Kindes [bP3] brachte die bP2 vor, dass für diesen die gleichen Fluchtgründe wie für sie gelten würden. Der Sohn habe darüber hinaus keine eigenen Fluchtgründe.

Bei der folgenden Einvernahme beim Bundesamt gab die bP2 im Wesentlichen zur Problemlage im Irak bzw. zur Ausreisemotivation Folgendes an:

"[...]

Haben Sie im Verfahren bis dato der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht und wurden Ihnen diese jeweils rückübersetzt und korrekt protokolliert?

Jajaja.

(...]

Möchten sie Ihr bisheriges Vorbringen von selbst ergänzen?

Fragen Sie mich einfach. Ich habe schon alles gesagt.

[...]

Aus welchem Grund haben Sie nunmehr Ihren Herkunftsstaat verlassen bzw. einen Asylantrag gestellt?

Es herrscht Krieg im Irak. Es wurden Drohungen bezüglich meines Sohnes ausgesprochen - wir haben unsicher gelebt, weshalb wir das Land verlassen haben. Wir kauften ein Auto, unser Bezirk wurde angegriffen und das Auto wurde beschädigt. Wir kauften ein weiteres Auto und mein Mann wurde entführt, das hat er euch nicht erzählt, man hat ihm das Auto entzogen und ihn hat man weggeschickt. Es gab keine Sicherheit. 2001 kehrte ich nach dem Tod meines Vaters zurück - das war am 10.01.2011, ich hatte keine Chance woanders zu leben.

Was war der konkrete Anlass für das Verlassen Ihres Herkunftsstaates?

Die Drohungen. Mein Mann wurde bedroht und wir beide hatten Sorgen um unser Kind. Sie wollten von ihm Zusammenarbeit und das wollten wir nicht.

Haben Sie somit all Ihre Gründe für das Verlassen Ihres Herkunftsstaates genannt?

Das ist alles was ich sagen kann.

[...]

Hatte konkret Ihre Person jemals Probleme mit den Behörden, der Polizei, dem Militär Ihres Herkunftsstaates? Gab es Schikanen?

Nein.

[...]

Möchten Sie noch weitere Angaben machen? Konnten Sie zum Verfahren alles umfassend vorbringen und gibt es zur Einvernahme irgendwelche Einwände?

Ich habe alles gesagt und habe keine Einwände.

[...]"

Das Bundesamt hat die Anträge der bP2 und bP3 im Folgenden wie jenen der bP 1 entschieden.

Gegen diese Bescheide wurde innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben. Moniert wurde im Wesentlichen eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens, allfällige "Unstimmigkeiten" zw. Erstbefragung und Einvernahme wurden mit Fehlleistungen des Dolmetschers erklärt und zudem gemeint, dass keine Rückübersetzung der niederschriflichen Erstbefragungen erfolgt sei.

Neues Vorbringen wurde erstattet, wie, dass seitens der schiitischen Familie der bP1 mit der Entführung des Sohnes gedroht worden sei, weil diese nicht mit der Ehe einverstanden seien. Die bP2 habe nie gesagt, dass ihr Ehegatte entführt worden sei, hier liege ein Übersetzungsfehler des Dolmetschers vor.

Die bP hätten bei der Erstbefragung keine Gelegenheit gehabt ihre gesamte Fluchtgeschichte vorzubringen, deshalb sei nichts von der Entführung des Sohnes in der Erstbefragung erwähnt. Sie seien deshalb nicht zu den Eltern der bP1 geflohen, da "schwere Drohungen gegen die Ehegattin und den Sohn" bestanden hätten.

Neu wurde auch dargelegt, dass ein mutmaßlicher Verdacht entstanden sei, dass die bP1 für den sunnitischen Geheimdienst arbeiten würde.

3. Am 08.05.2018 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit der bP1-3 sowie im Beisein ihrer bevollmächtigten Vertreterin eine Verhandlung durch. Das BFA blieb entschuldigt fern.

Mit der Ladung wurden die beschwerdeführenden (volljährigen) Parteien auch umfassend auf ihre Mitwirkungsverpflichtung im Beschwerdeverfahren hingewiesen und sie zudem auch konkret aufgefordert insbesondere ihre persönliche Ausreisemotivation und sonstigen Rückkehrbefürchtungen soweit als möglich durch geeignete Unterlagen bzw. Bescheinigungsmittel glaubhaft zu machen, wobei eine umfassende, jedoch demonstrative Aufzählung von grds. als geeignet erscheinenden Unterlagen erfolgte.

Zugleich mit der Ladung wurden den beschwerdeführenden Parteien mit Schreiben vom 29.03.2018 ergänzend Berichte zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat übermittelt bzw. namhaft gemacht (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Stand 23.11.2017), welche das Verwaltungsgericht in die Entscheidung ergänzend miteinbezieht. Eine Stellungnahmefrist von zwei Wochen wurde dazu eingeräumt.

Eine solche schriftliche Stellungnahme wurde nicht abgegeben.

Es wurden den bP am Ende der Verhandlung aufgetragen das BVwG unverzüglich zu verständigen, wenn sich entscheidungsrelevante Änderungen, die ihren Antrag auf internationalen Schutz bzw. ihr Privat- und Familienleben betreffen, ergeben. Bis zu dieser Entscheidung langte keine solche Mitteilung ein.

Die Verhandlung beim BVwG gestaltete sich im Wesentlichen wie folgt:

"[...]

Verfahren BFA

Konnten Sie bisher im Asylverfahren bei den beiden niederschriftlichen Einvernahmen alles vorbringen was Ihnen zum Antrag auf internationalen Schutz wichtig erscheint?

P1: Als wir unsere Heimat verlassen haben, sind wir geflüchtet. Wir hatten nur die Kleidung am Körper und sonst nichts mit. Wir waren bei Freunden und von dort sind wir weg. Alle Dokumente und Unterlagen waren zu Hause. Wir hatten nichts mit.

RI wiederholt die Frage.

P1: Ja, ich habe die Wahrheit gesagt. Ich habe auf alles geantwortet, was ich gefragt wurde.

P2: Ich habe die Wahrheit gesagt. Ich habe nicht alles gesagt. Der Dolmetscher sagte damals, ich sollte nicht mehr sagen, was mein Mann gesagt hat. Nachgefragt gebe ich an, dass es bei der Polizeibefragung in Traiskirchen war.

Wollen Sie hier in der Verhandlung von sich aus noch weitere Angaben zu Ihrem Antrag auf internationalen Schutz machen?

P1: Wir haben heute was Neues zu sagen.

Was gibt es Neues:

P1: Es ist nicht neu geschehen. Ich wollte auch beim ersten Interview alles angeben, aber der Dolmetscher hat mir gesagt, dass ich die alten Ereignisse nicht erzählen muss. Deshalb habe ich nicht alles gesagt. Nachgefragt gebe ich an, dass ich das zweite Interview meinte. Beim ersten Interview war ganz ganz wenig.

Was wollten Sie bei der zweiten Einvernahme noch sagen?

P1: Ich wollte eigentlich schon erwähnen, dass ich 2007/2008 meine Provinz verlassen habe, aus dem Grund, weil es Stammesprobleme gab. Es gab auch Probleme mit der Al Mehdi Miliz. Ich und mein Kollege haben immer die Betonstücke transportiert. Dieser Kollege wurde von der Al Mehdi Miliz getötet. Wir haben diese Betonstücke für die amerikanische Armee dort transportiert. Der Grund damals war, dass wir mit den Amerikanern gearbeitet haben. Damals bin ich gleich nach Bagdad übersiedelt. In Bagdad habe ich mich registrieren lassen. Das heute bereits vorgelegte Schreiben ist eine Vertreibung aus meiner Provinz durch die dortigen Stämme. Bei meinem Interview habe ich dies damals nicht erwähnt, weil der Dolmetscher zu mir sagte, dass es eine alte Sache sei. Der Dolmetscher sagte zu mir, jetzt hätte ich mich an diese alte Sache erinnert, ich sollte was Neues erwähnen.

Wollen Sie hier in der Verhandlung von sich aus noch weitere Angaben zu Ihrem Antrag auf internationalen Schutz machen?

P2 [Ehegattin]: Ich wollte in dem Interview erwähnen, dass ich sehr viel von den Eltern meines Mannes unterdrückt wurde, ich bin Sunnitin, mein Mann ist Schiit. Meine Schwiegermutter und meine Schwägerin haben mich gefoltert, indem, dass sie mir meine Kleidung ausgezogen haben und sie haben ein giftiges Mittel oder Waschmittel in meine Gebärmutter gesteckt. Seitdem bin ich nicht mehr schwanger geworden. Sie sagten zu mir, dass mein Sohn ihnen gehören würde. Mein Sohn und mein Mann würden ihnen gehören, da ich ungläubig wäre. Ich habe meinen Sohn mitgenommen und bin nach Bagdad zu meinem Vater geflüchtet. Nach drei Tagen kam mein Mann nach. Nachgefragt gebe ich an, dass mein Sohn damals weniger zwei Jahre alt war. Es müsste ungefähr 2007/2008 gewesen sein.

P1 merkt an, das es Ende 2007 war, als sie nach Bagdad zogen.

Nachgefragt, ob es danach noch Vorfälle mit den Verwandten des Ehegatten gab, gebe ich an, nein, ich bin nicht mehr zurückgegangen und habe sie nicht mehr gesehen.

Welche Provinz haben sie 2007/2008 wegen Stammesproblemen verlassen und wo sind Sie hingezogen?

P1: In die Provinz Dhi-Qar, die Hauptstadt Al Nassirya habe ich verlassen und bin nach Bagdad, Bezirk Al Khadraa gezogen. Mein Wohnort gehört zum Bezirk Mansour.

Wo befindet sich das Grundstück und das Miteigentum an einem Haus der Ehegattin?

P1: Wir haben Eigentumshaus, es ist in Al Khadraa.

P2: Das Haus gehörte meinem Vater. Ich habe das Haus von meinem Vater geerbt. Ich bin Eigentümerin des Hauses. Ich habe auch ein Grundstück in Bagdad, Bagdad Umgebung, XXXX .

In welchem Zeitraum haben Sie in diesem Haus gelebt?

P2: Von 2007 bis 2014, bis wir geflüchtet sind.

P1: Ja, das stimmt.

Erörterung Beweismittel Nr. 9:

Das Schreiben betrifft die Probleme 2007/2008, weshalb wir nach Bagdad zogen.

P1: Es handelte sich um die Stämme XXXX

D wird gebeten Beweismittel 9 zu übersetzen (eine Seite).

D: Ich XXXX (Vater P1) bestätige (Zl. 201), dass mein Sohn mit ausländischen militärischen Kräften arbeitet und ich halte mich ganz weit von ihm. Es geht mich nichts an, was er arbeitet, er gehört mir nicht mehr. Ich akzeptiere den Beschluss, was die Stämme beschlossen haben. Aus diesem Grund entschied unser Stamm, ihn zu vertreiben aus der Provinz Dhi-Qar. Weil er mit Ausländern, militärischen Kräften gearbeitet hat. Zwei Zeugen haben unterschrieben, Datum 11.07.2009. Stempel vom Bezirksvorsteher, Viertel Al Shuhadaa ist im Bezirk Al Gharaf.

Warum wurde diese Bestätigung 2009 ausgestellt?

P1: Das war eine Stammesanordnung, es ist das System, bis alle drei Stämme zusammenkommen, hat mehr als ein Jahr und ein paar Monate gedauert. Deshalb.

Warum legen Sie dieses Schreiben erst jetzt vor?

P1: Weil damals der Dolmetscher zu mir sagte, ich sollte nichts von den alten Problemen erwähnen oder sagen.

Hatte dieses Schreiben bzw. diese Vertreibung für das Leben in Bagdad irgendwelche Auswirkungen?

P1: Ich habe meine Arbeit mit den LKW's verlassen. Dann habe ich als Taxifahrer gearbeitet. Ich habe mich dann selbstständig gemacht mit dem Restaurant.

P2: Bei mir wurde da ein psychisches Problem ausgelöst, ich bekam Migräne und die Probleme mit der Gebärmutter. Ich hatte auch eine Operation an der Schilddrüse. Ich wurde damals im Irak deswegen in Behandlung. Auch in Österreich bin ich in Behandlung.

Angehörige Hks.:

Warum unterstützt Sie Ihre Familie finanziell in Österreich, wenn das Verhältnis zu diesen so zerrüttet ist?

P1: Nein, nicht meine Eltern. Mein Bruder hat mich ein bisschen unterstützt.

[...]

Alleinige Befragung von XXXX , Ehegattin verlässt über Aufforderung bis zum Wiederaufruf den Verhandlungssaal.

Ausreise:

Auf Ihrer Reise nach Österreich durchreisten Sie eine Vielzahl von Staaten die als sicher gelten. Warum haben Sie nicht schon in einen dieser Staaten einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt?

Ich kam durch die Türkei, Griechenland, Mazedonien und Serbien. In der Türkei bekommt man kein Asyl. In Griechenland bekamen wir ein Schreiben, dass wir innerhalb von vier Wochen das Land verlassen mussten. In Mazedonien und Serbien sind wir nur durchgegangen, die geben kein Asyl.

Ad I:

Sie sind Ihren Angaben nach ca. 2007/2008 von Dhi Qar nach Bagdad übersiedelt. Wann haben die Probleme in Bagdad begonnen?

Angefangen Ende 2011, Anfang 2012. Die Miliz Badr verlangte von mir über das sunnitische Gebiet, wo ich wohnte, Informationen. Ich habe natürlich abgelehnt. Am Anfang bekam ich per Telefon Drohungen, weil sie nicht gewusst haben, wo ich gewohnt habe. Aber am Ende, haben sie mich gefunden, wo ich wohnte. Dann kamen sie zu mir nach Hause, an diesem Tag waren wir Gott sei Dank nicht zu Hause. Die Nachbarn haben mir es später dann erzählt. Die Nachbarn riefen mich an und sagten mir, dass ich nicht mehr zurück nach Hause sollte. An diesem Tag übernachtete ich mit meiner Familie bei einem Freund. Ich blieb bei diesem Freund zwei Tage und ich verkaufte mein Auto an diesen Freund. Dann haben wir die Stadt Richtung Arbil verlassen. Wir blieben dort zwei Wochen und von dort sind wir in die Türkei gereist. Ich blieb drei Monate in der Türkei, danach bin ich nach Griechenland gegangen. Dort blieb ich ca. 25 Tage, weniger als einen Monat. Ich blieb 15 Tage dann in Mazedonien. Dann sind wir nach Serbien gekommen, wie lange wir dort waren, weiß ich nicht. Von dort sind wir nach Österreich gekommen.

Was haben Ihnen die Nachbarn konkret erzählt?

Die Nachbarn sagten mir, dass fünf bewaffnete Personen meine Haustür kaputt gemacht hätten und sie seien momentan im Haus und ich sollte nicht nach Hause kommen. Ein Teil der Bewaffneten haben draußen im Auto gewartet. Eine Person der Milizen rief mich zwei Tage vorher an und sagte mir, dass sie wissen, wo ich wohne. Gleich nachdem sie mein Haus verlassen haben, rief diese Person wieder an und sagte mir, dass sie mich zu Hause nicht gefunden hätten. Er sagte mir, dass sie noch einmal kommen werden und dass sie mich dann haben werden.

Welche Informationen hätten Sie konkret dieser Miliz liefern sollen?

Wo ich gewohnt habe, waren wirklich Leute wie Offiziere, Ärzte, Ingenieure. Eigentlich wollten sie von mir genau wissen, welche von diesen Personen mit Al Kaida zusammengearbeitet haben. Al Kaida war damals sehr stark vertreten.

Sind Sie nach dem Anruf der Nachbarn dann nochmals zu ihrem Haus zurückgekehrt?

Nein, ich bin nicht mehr zurück. Meine Gattin auch nicht. Wir waren bei einem Freund, von dort sind wir dann ausgereist.

Was spricht dagegen, dass Sie aktuell wieder in Ihren Herkunftsstaat, konkret nach Bagdad zurückkehren?

XXXX . Momentan ist diese Miliz sehr stark im Irak und sogar der Innenminister ist von dieser Miliz. Es sind viele Bürogebäude in ihrer Hand.

Ihren Angaben beim BFA nach, wurden Sie lediglich aufgefordert, den "Bezirk" in Bagdad zu verlassen. Warum sind Sie nicht in einen anderen Bezirk übersiedelt?

Die sind in ganz Bagdad, ich bin von Bagdad weggegangen Richtung Arbil. In Arbil habe ich niemanden der für mich bürgt, die verlangen eine Bürgschaft. Ich blieb dort zwei Wochen lang, mehr ging nicht.

Alleinige Befragung von XXXX , Ehegatte verlässt über Aufforderung bis zum Wiederaufruf den Verhandlungssaal.

Ad I:

Sie sind Ihren Angaben nach ca. 2007/2008 von Dhi Qar nach Bagdad übersiedelt. Wann haben die Probleme in Bagdad begonnen?

Ich als Sunnitin hatte selber keine Probleme, außer den Problemen mit den Eltern meines Gatten, die ich vorhin erwähnte. Das Problem hat angefangen mit meinem Mann, nicht mit mir.

Was war das Problem Ihres Mannes in Bagdad?

In Bagdad hatte er diese Betonstücke, was ich vorhin erwähnte, hat er immer vorbereitet für die Miliz Al Mehdi. Ich korrigiere mich, die Miliz hat ihn bedroht. Diese Miliz hat verlangt von ihm, dass er mit ihnen arbeiten sollte. Genau weiß ich es auch nicht, er sagt mir auch nicht alles. Nachgefragt welche Miliz dies sei, dass ich nicht genau weiß, ich glaube es ist die Al Mehdi Miliz.

Hat es die letzten Tage oder Wochen vor dem Verlassen Bagdads irgendwelche Vorfälle, in Bezug auf Ihre Person, ihren Sohn oder ihres Gatten gegeben?

Ich war mit meinem Mann und meinem Sohn im Auto und wir sind weggefahren. Die Nachbarin ruft mich an und sagte mir, um XXXX , dass bewaffnete Personen in unser Haus eingedrungen seien und wir sollten nicht mehr zurückkommen.

Sind Sie nach diesem Anruf, vor dem Verlassen des Iraks, nochmals in ihr Haus nach Bagdad zurückgekehrt?

Nein, wir sind nach Arbil gefahren in den Norden Iraks. Nachgefragt gebe ich an, dass ich nicht genau weiß, wie lange wir dort waren. Ich nehme Medikamente und diese machen mich manchmal müde und schwindelig.

Was spricht dagegen, dass Sie aktuell wieder nach Bagdad zurückkehren?

Bis jetzt kommen diese bewaffneten Personen immer wieder und kontrollieren unser Haus. Die Gefahr für meinen Mann steht noch immer. Ich habe dies bis jetzt von meinen Nachbarn gewusst. Vier Cousins von mir wurden mitgenommen und kamen nicht mehr zurück.

Wann haben Sie zuletzt mit diesen Nachbarn gesprochen?

Vor kurzer Zeit, es ist nicht so lange her. Ein Datum kann ich nicht nennen. Manchmal ruft der Sohn der Nachbarn meinen Mann an.

[...]"

Das BVwG hat folglich die Beschwerde mit Erkenntnis vom 24.10.2018 in allen Spruchpunkten als unbegründet abgewiesen. Das Gericht erachtete die von den bP dargelegten persönlichen Erlebnisse, welche als ausreisekausal bezeichnet wurden, im Wesentlichen als nicht glaubhaft bzw. als nicht erlebnisbegründet, zumal sie in zentralen Punkten widersprüchlich und unplausibel waren. Aus der allgemeinen Lage in Bagdad ergebe sich keine entscheidungsrelevante Gefährdung. Das Verwaltungsgericht verkenne nicht, dass derartige Vorfälle nach der Berichtslage im Allgemeinen möglich seien, jedoch hätten die bP nicht glaubhaft machen können, dass sie persönlich vor der Ausreise tatsächlich davon konkret betroffen waren.

Die bP haben gegen diese Entscheidung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben. In der Sache wurde dagegen moniert, dass das BVwG nicht berücksichtigt habe, dass sich aus den in das Verfahren "eingeflossenen Berichten" ergebe, dass "Bagdad am meisten von den Anschlägen des IS betroffen ?war' und dort mehr als die Hälfte aller Todesfälle verzeichnet wurden". Es gehe aus den Berichten hervor, dass der IS insbesondere Angriffe auf Zivilisten in jenen Vierteln Bagdads ausübe, die mehrheitlich schiitisch sind. Alleine bei einem Angriff im Jahr "2016" wurden in "Karrada" 292 Zivilsiten getötet und Hunderte verletzt. Es sei daher nicht nachvollziehbar, warum das BVwG auf Grund dieser Tatsachen in der Länderfeststellung festgestellt hat, dass den BF im Falle der Rückkehr keine asylrelevante Verfolgung drohe und es kein reales Risiko gebe. Die bP hätten vorgebracht, dass die BF1 Schiite und BF2 Sunnite sei und "durch diese gemischte Ehe massive Probleme" bestünden. Das angefochtene Erkenntnis enthalte keine ausreichende Feststellung zur Lage von Schiiten und Sunniten im Irak. Die Argumentation des Gerichtes sei daher mit Willkür belastet.

Der Beweiswürdigung des BVwG, hinsichtlich der Nichtglaubhaftmachung der persönlichen Erlebnisse, die die bP als Ausreisemotiv vorbrachten, wurde in der Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof hingegen nicht entgegen getreten.

Der Verfassungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 26.02.2019 der Beschwerde stattgegeben und das Erkenntnis behoben. Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass die für diesen Fall herangezogenen Länderberichte der Begründung widersprechen würden.

Nach erfolgter Behebung durch den VfGH haben die bP auch eine ao. Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben. Auch die Revision stützt sich zentral auf die getroffenen Feststellungen zum Herkunftsstaat und behauptet, diese würden die von den bP dargelegten Probleme belegen.

Den im angefochtenen Erkenntnis dargelegten beweiswürdigenden Argumenten, weshalb das BVwG den bP die von ihnen behaupteten persönlichen Erlebnisse nicht glaubte, wurde hingegen auch in der ao. Revision nicht konkret entgegen getreten, sondern vielmehr das Vorbringen als glaubhaft bezeichnet, da dieses durch die Berichtslage gestützt.

In weiterer Folge wurden die bP vom BVwG aufgefordert Fragen zu ihren privaten und familiären Anknüpfungspunkten sowie zum Umstand, ob sich seit Einbringung der Beschwerde Änderungen hinsichtlich ihrer persönlichen Problemlage ergeben hätten und brachten sie mit Schriftsatz vom 08.10.2019 eine Stellungnahme ein.

Neu brachten sie dabei vor, ihr Haus in Bagdad wäre seit kurzem von einer Miliz belagert und würde die Miliz, die sie damals bedroht habe, an der Macht sein. Vorgebracht wird auch, unter Zitierung einer Entscheidung des VfGH vom 11.06.2018, wonach die Länderberichte Ausführungen zur Gefährdung von Kindern aufweisen würden; das Verfahren betraf eine Familie mit 3 mj, Kindern. Weiters, ein ACLED Bericht vom 8.10.2019 über die Demonstrationen, die konzentriert vor allem in Bagdad überwiegend durch junge Männer stattfinden würden, die auch gewaltsam vorgehen. Ein Bericht von Reporters Without Borders vom 08.10.2019,, wonach zuletzt 3 TV Stationen Angriffen ausgesetzt waren.

Zu den vor der Verhandlung zum Parteiengehör übermittelten Berichten wurde mit Schriftsatz vom 07.11.2019 schriftlich Stellung bezogen und Berichte zur allg. Lage zitiert.

Am 21.11.2019 hat das BVwG in Anwesenheit der bP und ihrer Vertretung eine Verhandlung durchgeführt. Im Zuge dessen wurden zu Beginn der Verhandlung dem Vertreter ergänzende Berichte ausgefolgt und diese erörtert. Eine Frist zur Abgabe einer schriflichen Stellungnahme dazu wurde nicht beantragt und langte nach der Verhandlung auch keine weitere Äußerung mehr ein.

Ausgefolgt werden der Vertretung samt Inhaltsübersicht:

* Mansour district, Wikipedia

* Google - News Recherche zum Stadtteil Al Khadra,Mansour, Bagdad in Bagdad

* Abfrageergebnis unter www.ecoi.net zu Stichwort Mansour

* Themendossier der Staatendokumentation zu schiitischen Milizen in Bagdad

* Bericht von www.welt.de, "Tränengas, Detonationen - und die Menschen schwören der Regierung Rache v. 08.11.2019

* Bericht von www.welt.de, Sushi-Ehen liegen in Bagdad wieder im Trend, v. 23.11.2012

* Bericht von www.welt.de, Hochzeitsprämien für sunnitisch schiitische Paare im Irak

* Musings on Iraq, Iraq's deffense minister tried to deny security forces behind deaths of protesters, 19.11.2019

* Musings on Iraq, Security in iraq oct 1-14 2019, Vorfallsstatistiken

* Accord, Aktivitäten der Jaish-al Mahdi Miliz

Am Ende der Verhandlung wurde gem. § 39 Abs 3 AVG der Beschluss verkündet, dass die Sache als entscheidungsreif erachtet wird und das Ermittlungsverfahren daher als geschlossen erklärt wurde.

Zur aktuellen Gefährdungssituation gaben die bP in der 2. Verhandlung im Wesentlichen an:

bP1:

"Haben sich seit der Verhandlung im Mai 2018 Neuigkeiten ergeben die Ihre persönliche Rückkehrsituation oder die Ihres Kindes im Irak, konkret in Bagdad, betreffen? Wenn ja, geben Sie bitte jetzt dazu alles an.

In den letzten vier Monaten ist unser Haus von den Saraya Al Salam den Friedensbrigaden besetzt gewesen. Das Haus in XXXX , diese Brigaden besetzen jedes Haus welches leer steht. Das ist nicht gegen uns persönlich gerichtet, sondern sie machen das generell. Mein Nachbar hat mich unterrichtet, dass das Haus besetzt wurde und das er dagegen nichts machen kann. Von hier kann ich selbst nicht agieren, ich müsste jemanden eine Vollmacht in Bagdad erteilen, der versucht die Miliz aus dem Haus zu bekommen. (Ende der freien Rede)

[...]

Haben Sie und die Ehegattin seit der letzten Verhandlung mit jemandem der im Irak lebt Kontakt?

Ja, zB hat meine Frau eine Tante dort. Wir haben Kontakt mit unseren Freunden und mit unseren Nachbarn.

Aufgefordert alle Kontakte zu nennen gebe ich an:

Salam ist unser Nachbar, er bewohnt ein anderes Reihenhaus. Salam ist ein Sunnit.

XXXX ist ein Freund, er wohnt im Al Khadraa Viertel, im Stadtteil Al Mansur. XXXX ist auch Sunnit.

XXXX ist ein Freund, er wohnt in Al Harithiya in Bagdad. Gemeinde Mansur, Stadtteil Al Karch. Er ist Schiite.

XXXX , er wohnt in Al Amel, Bezirk Al Karch.

Nachgefragt ob ich mit Verwandten im Irak Kontakt habe gebe ich an: Mit Verwandten im Irak habe ich keine Kontakte, meine Informationen über den Irak bekomme ich durch meinen Onkel der in Dänemark ist.

Sie erwähnten einen Bruder welcher Sie finanziell unterstützt?

Ja, aber zurzeit habe ich keine Telefonnummer von ihm.

Wo wohnt Ihr Bruder?

In Al Nasaria, im Südirak.

Verstehe ich das richtig, dass Sie zu den genannten Personen ein gutes, freundschaftliches Verhältnis haben?

Ja, die beiden Schiiten die ich nannte, sie waren Studienkollegen von mir, in Bagdad.

Informieren Sie sich selbst auch über die aktuelle Lage in Bagdad zB über Internet oder Fernsehen?

Ja, über Youtube, Facebook, Google.

Wo wohnt die Person, die Ihnen mitteilte, dass Ihr Haus besetzt ist?

Salam, er wohnt dort in einem anderen Reihenhaus.

Durch welches Medium hat er Ihnen das mitgeteilt?

Whats App.

Haben Sie diese Telefonnachricht noch abgespeichert?

Es war ein Anruf, also nein.

Sie sagten zuvor über Whats App wurde Ihnen das mitgeteilt?

Man kann auch telefonieren.

Was hat dieser dazu konkret erzählt?

XXXX . "

bP2:

Haben sich seit der Verhandlung im Mai 2018 Neuigkeiten ergeben die Ihre persönliche Rückkehrsituation oder die Ihres Kindes im Irak, konkret in Bagdad, betreffen? Wenn ja, geben Sie bitte jetzt dazu alles an.

Ich habe Kontakt zu meiner Tante im Irak und in der letzten Zeit sie mich mehrmals gewarnt in den Irak zurückzukehren, weil dort für mich und meinem Sohn Gefahr droht.

Wie heißt diese Tante und wo lebt diese?

Sie heißt XXXX . Sie wohnt im gleichen Gebiet, im Al Khadraa Viertel. Nachgefragt ob die Tante dort ein Haus hat gebe ich an, dass sie ein Haus hat, es handelt sich um ein Eigentumshaus. Zurzeit weiß ich nicht ob sie noch in diesem Haus wohnt, weil sie ab und zu das Haus verlässt und zurzeit gibt es im Irak kein Internet. Ich weiß also nicht ob das Haus noch da ist oder ob sie es verkauft hat, ich frage sie auch darüber nichts. Das Verhältnis zu ihr ist nicht so gut, besonders mit ihrer älteren Tochter, ich bin Sunnitin und habe einen Schiiten geheiratet, jetzt sehen sie mich in einem "schiefen Licht". Sie ist aber meine Tante. Sie sagte mir, dass die Lage überhaupt nicht gut ist und sie hat selbst Angst um ihre Kinder. Es handelt sich um erwachsenen Kinder aber meine Tante hat Angst um sie und die Lage im Irak ist gar nicht gut. Die Jungen, die demonstrieren gehen, sie werden dann von zuhause aus verhaftet.

Was meinte die Tante damit, welche Gefahr Ihnen im Irak drohe?

Das ist zusätzlich dazugekommen, einerseits die Gefahr gegen mich und meinem Sohn, es wurde einmal versucht ihn zu entführen und das ist jetzt was die Familie meiner Tante betrifft.

Nachgefragt gebe ich an, dass meine Tante die Schwester meiner Mutter ist. Die Informationen über unser Haus bekommen wir von unserem Nachbar, die Mutter von XXXX .

[...]

Haben Sie außer der Tante sonst noch mit Personen im Irak Kontakt?

Ich habe auch Kontakt mit einer Cousine, auch mütterlicherseits, sie lebt aber in einem anderen Gebiet im Irak. Nachgefragt, sie lebt in der Provinz Salaheddin. Diese Cousine hat bereits auch den Irak verlassen. Sie ist zurzeit mit ihrer Familie in der Türkei.

Informieren Sie sich persönlich auch über die aktuelle Lage im Irak, zB über das Internet oder das Fernsehen?

Ja, über Facebook, ich bin mit Gruppen dort verbunden und erfahren dadurch Neuigkeiten.

BFV: Ich habe keine Fragen

[...]"

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Das BVwG hat zentral durch den Inhalt des übermittelten Verwaltungsaktes der belangten Behörde, einschließlich der Beschwerde sowie durch die Ergebnisse des ergänzenden Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben.

Auf Grund des sachlichen und persönlichen Zusammenhanges wurden die Verfahren der beschwerdeführenden Parteien gem § 39 Abs 2 AVG zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

1. Feststellungen (Sachverhalt)

1.1. Zur Person der beschwerdeführenden Parteien:

Die Identität steht lt. Bundesamt fest.

Die bP1 und bP2 sind miteinander verheiratet, die bP3 ist deren gemeinsames mj. Kind.

Sie verfügen insbesondere über einen in Bagdad, Bezirk Mansour, ausgestellten irakischen Personalausweis.

Die bP sind Staatsangehörige des Irak und gehören der Volksgruppe der Araber an.

Die bP1 ist Schiit, die bP2 Sunnitin.

Sie lebten ursprünglich im Gouvernement Dhi-Qar, übersiedelten dann 2007/2008 in die Stadt Bagdad. Dort betrieben sie bis ca. 2011 ein Restaurant, welches sie auf Grund des Konkurrenzdruckes einstellten. Die bP1 war danach im Wesentlichen als Kraftfahrer bzw. Taxilenker erwerbstätig. Die bP1 hat weiters im Irak Berufserfahrung als Koch, Schwimmtrainer, Friseur, Automechaniker und Elektriker gesammelt. Die bP2 hat auch Berufserfahrung als Sportlehrerin, Sekretärin und Köchin. Sie möchte künftig in Österreich als Schneiderin arbeiten.

Im Eigentum der bP2 stehen in Bagdad ein Reihenhaus im Bezirk Mansour, XXXX ". Weiters ist die bP2 auch Eigentümerin eines Baugrundstückes in der Umgebung der Stadt Bagdad. Diesbezüglich wurden Grundbuchsauszüge vorgelegt.

Es wurde nicht behauptet, dass die bP im Falle einer Rückkehr nicht das zum Leben Notwendige erlangen könnten. Sie verfügen in der Stadt Bagdad über Freunde mit denen sie in Kontakt stehen, darunter Schiiten und Sunniten.

Die bP1 hat keine behandlungsbedürftige, gesundheitliche Beeinträchtigung vorgebracht.

Ihren unbescheinigt gebliebenen Angaben in der Anfragebeantwortung vom 08.10.2019 nach leidet die bP2 aktuell an Migräne und Schmerzen im Rücken. Dagegen nimmt sie verordnete Schmerzmittel nach Bedarf. Weiters nimmt sie das Schilddrüsenhormon Thyroxin 50 zur Behandlung der Schilddrüse sowie ein nicht näher benanntes Medikament für ihre psychische Situation. Vorgelegt wurden zum Nachweis lediglich ein Rezept vom 05.08.2016, ein Kurzbrief eines FA für Neurologie vom 29.04.2016, woraus sich die Diagnose Migräne, CVS, depress. Bel.-Reaktion mit medikamentöser Therapie ergibt. Weiters einen Kurzbrief vom gleichen Arzt vom 20.01.2016 mit ebensolcher Diagnose. Die im genannten Schreiben angekündigten aktuellen Befunde zum Nachweis wurden nicht vorgelegt.

Wegen der Probleme mit der Migräne und der Schilddrüse war sie bereits im Irak in Behandlung.

Hinsichtlich der bP3 wurde vorgebracht, dass diese eine Brille tragen sollte, was sie überwiegend ablehnt. Weiters wurde eine Allergie gegen Milch, Blumen und Hausstaub behauptet.

Es wurde im Verfahren von den bP nicht dargelegt, dass allfällig erforderliche medizinische Behandlung nicht auch im Irak verfügbar oder ihnen diese nicht leistbar wäre und ergibt sich dies auch nicht aus der Berichtslage.

Die bP1 hat die A2 Prüfung gem. dem GER für Sprachen bestanden, besuchte 2017 den Werte- und Orientierungskurs, Erste-Hilfe-Grundkurs im Jahr 2019 sowie den Willkommenskurs im Oktober 2019. Im Bereich Landschaftspflege war sie gegen Dienstleistungsschecks erwerbstätig. Derzeit absolviert sie die Fahrschule zur Erlangung des Führerscheines. Diverse ehrenamtliche Tätigkeiten wurden bescheinigt. Für den Fall der Erlangung eines Aufenthaltstitels verfügt die bP über Einstellungszusagen, die überwiegend mündlicher Natur sind.

Die bP2 besuchte den A1 Deutschkurs, hat jedoch keine Prüfung gem. den GER für Sprachen abgelegt. Sie besuchte 2017 den Werte- und Orientierungskurs.

Die mj, bP3 besuchte die 1-4. Klasse der Volksschulte in Österreich und absolviert derzeit die 1. Klasse der NMS. Sie spricht sehr gut Deutsch.

Sozialer Kontakt in der Wohngemeinde besteht.

Seit ihrer Ankunft in Österreich erhalten die bP Leistungen aus der Grundversorgung.

Gerichtliche oder verwaltungsstrafrechtliche Verurteilungen bzw. Bestrafungen wurden dem BVwG nicht mitgeteilt.

Die bP sind im Irak aufgewachsen, haben dort ihr überwiegendes Leben verbracht und wurden dort sozialisiert. Sie verfügen dort noch über Familienangehörige bzw. Verwandte sowie Immobilieneigentum.

Familienangehörige der bP1 unterstützen die Familie während des Aufenthaltes in Österreich auch finanziell.

In Österreich verfügt die Familie über keine anderweitigen familiären Anknüpfungspunkte.

1.2. Zu den angegebenen Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates:

Die bP vermochten die von ihnen als ausreisekausal dargelegten persönlichen Erlebnisse im Wesentlichen nicht glaubhaft machen, weshalb nicht festgestellt werden kann, dass sie diesbezüglich zum Zeitpunkt der Ausreise mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer asylrelevanten Verfolgungsgefahr oder einer realen Gefahr von Leib und/oder Leben ausgesetzt waren. Daraus resultierend ergibt sich somit auch keine glaubhafte Folgewirkung bzw. keine aktuelle asylrelevante Verfolgungsgefahr bzw. reale Gefährdung von Leib und/oder Leben im Falle einer Rückkehr nach Bagdad.

Auf Grund des Persönlichkeitsprofiles und der gegebenen aktuellen allgemeinen Lage im Irak, konkret in der Herkunftsregion Bagdad, kann keine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende asylrelevante Verfolgungsgefahr bzw. reale Gefährdung von Leib und/oder Leben im Falle der Rückkehr festgestellt werden.

1.3. Zur aktuellen asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat:

Zusammengefasst ergibt sich aus den nachfolgend angeführten und zu Gehör gebrachten Berichten (einschließlich der darin zitierten Quellen), wobei zentrales Augenmerk auf jene Berichte liegt, die über Geschehnisse im Jahr 2019 berichten, im Wesentlichen folgendes Lagebild bzw. ergeben sich folgende Schlussfolgerungen.

Quellen:

* Akkord-Schiitische Milizen. 22. Juli 2019

* Irak-Interview mit Birgit Svensson zur Lage im Irak, Bagdad, 4. Oktober 2018

* Kurzinformation der Staatendoku, 4. Oktober 2019, Proteste und Ausgangssperre in Bagdad und Südirak

* Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Bagdad-sicherheitsrelevante Vorfälle ab 01.01.2019, v. 21.03.2019

* Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Chronologische Auflistung sicherheitsrelevanter Vorfälle von Oktober 2018 bis Jänner 2019 mit Sunniten als Opfer, v. 31.01.2019

* Joel Wing-Overview oft he State of Iraq, Spring 2019

* BVwG, LF-Allgemein (vorläufige Lageeinschätzung)

* Länderinformationsblatt der Staatendokumentation mit letzter Kurzinformation vom 25.07.2019

* Musings on Iraq-Securits in iraq Sept 15-21 2019

* Mansour district, Wikipedia

* Google - News Ereignisrecherche zum Stadtteil Al Khadra,Mansour, Bagdad

* Abfrageergebnis unter www.ecoi.net zu Stichwort Mansour

* Themendossier der Staatendokumentation zu schiitischen Milizen in Bagdad, 20.11.2019

* Bericht von www.welt.de, "Tränengas, Detonationen - und die Menschen schwören der Regierung Rache" v. 08.11.2019

* Bericht von www.welt.de, Sushi-Ehen liegen in Bagdad wieder im Trend, v. 23.11.2012

* Bericht von www.welt.de, Hochzeitsprämien für sunnitisch schiitische Paare im Irak, 27.08.2009

* Musings on Iraq, Iraq's deffense minister tried to deny security forces behind deaths of protesters, 19.11.2019

* Musings on Iraq, Security in iraq oct 1-14 2019, Vorfallsstatistiken

* Accord, Aktivitäten der Jaish-al Mahdi Miliz, 28.07.2017

Politik / Zusammensetzung der Bevölkerung

Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert. Gemäß der Verfassung ist der Irak ein demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat, der aus 18 Provinzen besteht. Die Autonome Region Kurdistan ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Provinzen Dohuk, Erbil und Sulaymaniya. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung, verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte.

Die konfessionell/ethnische Verteilung der politischen Spitzenposten ist nicht in der irakischen Verfassung festgeschrieben, aber seit 2005 üblich. So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnit, der Premierminister ist ein Schiit und der Präsident der Republik ein Kurde. Die meisten religiös-ethnischen Gruppen sind im Parlament vertreten.

Der Irak hat ca. 40 Millionen Einwohner. Etwa 75-80 % der heute im Irak lebenden Bevölkerung sind Araber, 15-20 % sind Kurden und 5 % sind Turkomanen, rund 600.000 Assyrer/Aramäer, etwa 10.000 Armenier oder Angehörige anderer ethnischer Gruppen. Weiterhin sollen im Südosten 20.000 bis 50.000 Marsch-Araber leben. Von turkomanischen Quellen wird der Anteil der eigenen ethnischen Gruppe auf etwa 10 % geschätzt.

Etwa 97 % der Bevölkerung sind muslimisch. Über 60 % sind Schiiten und zwischen 32 und 37 % Sunniten; die große Mehrheit der muslimischen Kurden ist sunnitisch. Ca. 17-22 %, also ca. 6,5 bis 8,4 Millionen der Gesamtbevölkerung sind arabische Sunniten (vorwiegend im Zentral- und Westirak), ca. 15-20 % der Gesamtbevölkerung sind kurdische Sunniten.

Sunniten

Ca. 17-22 %, also ca. 6,5 bis 8,4 Millionen der Gesamtbevölkerung sind arabische Sunniten (vorwiegend im Zentral- und Westirak), ca. 15-20 % der Gesamtbevölkerung sind kurdische Sunniten.

So wie Schiiten sind auch arabische Sunniten in hohen politischen und öffentlichen Ämtern vertreten. Ebenso als Beschäftigte bei Polizei, Militär und Gerichten. Sunniten nehmen ebenso am sonstigen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben teil.

Es gibt Berichte über vereinzelte Menschenrechtsverletzungen an Sunniten, va. durch schiitische Milizen oder unbekannte Täter. Vor allem Personen die Angehörige der terroristischen Gruppierung IS sind oder im Verdacht stehen solche zu sein oder diese unterstützen, können derart gefährdet sein. Auf Grund der aktuellen Berichtslage über Geschehnisse im Jahr 2019 lässt sich nicht schließen, dass dies Teil eines systematischen, quasi jeden Sunniten gleichermaßen treffenden Risikos ist. Sunniten, die in schiitisch dominierten Regionen leben, können gesellschaftliche Diskriminierung in einem moderaten Level erfahren, vor allem in den südlichen Gouvernements. Es handelt sich vorwiegend um Diskriminierung am Arbeitsmarkt bzw. um gesellschaftliche Diskriminierung aufgrund von Nepotismus. Schiitische Arbeitgeber würden eher Schiiten einstellen. Generell ist die Zahl von registrierten, sicherheitsrelevanten Vorfällen jedoch seit dem Zeitpunkt als der IS als "vertrieben" gilt, stark rückläufig.

Sicherheitskräfte - Milizen - Rechtschutz

Die irakischen Sicherheitskräfte ISF:

Im ganzen Land sind zahlreiche innerstaatliche Sicherheitskräfte tätig. Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF, Iraqi Security Forces) bestehen aus Sicherheitskräften, die vom Innenministerium verwaltet werden, Sicherheitskräften, die vom Verteidigungsministerien verwaltet werden, den Volksmobilisierungseinheiten (PMF, Popular Mobilization Forces), und dem Counter-Terrorism Service (CTS). Das Innenministerium ist für die innerstaatliche Strafverfolgung und die Aufrechterhaltung der Ordnung zuständig; es beaufsichtigt die Bundespolizei, die Provinzpolizei, den Dienst für den Objektschutz, den Zivilschutz und das Ministerium für den Grenzschutz. Die Energiepolizei, die dem Ölministerium unterstellt ist, ist für den Schutz von kritischer Infrastruktur in diesem Bereich verantwortlich. Konventionelle Streitkräfte, die dem Verteidigungsministerium unterstehen, sind für die Verteidigung des Landes zuständig, führen aber in Zusammenarbeit mit Einheiten des Innenministeriums auch Einsätze zur Terrorismusbekämpfung sowie interne Sicherheitseinsätze durch. Der Counter-Terrorism Service (CTS) ist direkt dem Premierminister unterstellt und überwacht das Counter-Terrorism Command (CTC), eine Organisation, zu der drei Brigaden von Spezialeinsatzkräften gehören. Die irakischen Streit- und Sicherheitskräfte dürften mittlerweile wieder ca. 100.000 Armee-Angehörige (ohne PMF und Peshmerga) und über 100.000 Polizisten umfassen.

Volksmobilsierungseinheiten (PMF):

Der Name bezeichnet eine Dachorganisation für etwa vierzig bis siebzig Milizen und demzufolge ein loses Bündnis paramilitärischer Formationen. Die PMF werden vom Staat unterstützt und sind landesweit tätig. Die Mehrheit der PMF-Einheiten ist schiitisch, was die Demografie des Landes widerspiegelt. Sunnitische, jesidische, christliche und andere "Minderheiten-Einheiten" der PMF sind in ihren Heimatregionen tätig. Es gibt große, gut ausgerüstete Milizen, quasi militärische Verbände, wie die Badr-Organisation, mit eigenen Vertretern im Parlament, aber auch kleine improvisierte Einheiten mit wenigen Hundert Mitgliedern, wie die Miliz der Schabak. Viele Milizen werden von Nachbarstaaten wie dem Iran oder Saudi-Arabien unterstützt. Die Türkei unterhält in Baschika nördlich von Mosul ein eigenes Ausbildungslager für sunnitische Milizen. Die Milizen haben eine ambivalente Rolle. Einerseits wäre die irakische Armee ohne sie nicht in der Lage gewesen, den IS zu besiegen und Großveranstaltungen wie die Pilgerfahrten nach Kerbala mit jährlich bis zu 20 Millionen Pilgern zu schützen. Andererseits stellen die Milizen einen enormen Machtfaktor mit Eigeninteressen dar, was sich in der gesamten Gesellschaft, der Verwaltung und in der Politik widerspiegelt und zu einem allgemeinen Klima der Korruption und des Nepotismus beiträgt. Die PMF unterstehen seit 2017 formal dem Oberbefehl des irakischen Ministerpräsidenten. Alle PMF-Einheiten sind offiziell dem Nationalen Sicherheitsberater unterstellt. Die Bemühungen der Regierung, die PMF als staatliche Sicherheitsbehörde zu formalisieren, werden fortgesetzt, aber Teile der PMF bleiben "iranisch" ausgerichtet. Das Handeln dieser unterschiedlichen Einheiten stellt zeitweise eine zusätzliche Herausforderungen in Bezug auf die Sicherheitslage dar, insbesondere - aber nicht nur - in ethnisch und religiös gemischten Gebieten des Landes.

Rechtschutz

Das reguläre Strafjustizsystem besteht aus Ermittlungsgerichten, Gerichten der ersten Instanz, Berufungsgerichten, dem Kassationsgerichtshof und der Staatsanwaltschaft. Das Oberste Bundesgericht erfüllt die Funktion eines Verfassungsgerichts. Die Verfassung garantiert die Unabhängigkeit der Justiz. Jedoch schränken bestimmte gesetzliche Bestimmungen und Einflussnahmen die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz ein. Personal- und Kompetenzmangel wird zuweilen beklagt.

Die Verfassung gibt allen Bürgern das Recht auf einen fairen und öffentlichen Prozess. Dennoch verabsäumen es Beamte vereinzelt, Angeklagte unverzüglich oder detailliert über die gegen sie erhobenen Vorwürfe zu informieren. Beobachter berichteten, dass Verfahren nicht den internationalen Standards entsprechen. Obwohl Ermittlungs-, Prozess- und Berufungsrichter im Allgemeinen versuchen, das Recht auf ein faires Verfahren durchzusetzen, gibt es diesbezüglich Mängel im Verfahren. Urteile ergehen vereinzelt mit überschießend hohen Strafen.

Aufgrund von Misstrauen gegenüber Gerichten oder fehlendem Zugang wenden sich Iraker vereinzelt auch an Stammesinstitutionen, um Streitigkeiten beizulegen, selbst wenn es sich um schwere Verbrechen handelt.

Die Rechtsprechung ist in der Praxis von einem Mangel an kompetenten Richtern, Staatsanwälten sowie Justizbeamten gekennzeichnet. Eine Reihe von Urteilen lassen auf politische Einflussnahme schließen. Hohe Richter werden oftmals auch unter politischen Gesichtspunkten ausgewählt.

Bagdad

Der Irak verfügt über ca. 40 Millionen Einwohner mit einer sehr jungen Altersstruktur. Ca. 58 % der im Irak lebenden Menschen sind unter 24 Jahre alt ( https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/iz.html:).

Das Gouvernement Bagdad, ca. 11,8 Millionen Einwohner, ist die kleinste und am dichtesten bevölkerte Provinz des Irak.

Die Stadt Bagdad ist die Hauptstadt des Iraks und dieses gleichnamigen Gouvernements und weist eine Bevölkerungszahl von ca. 7,6 Millionen Einwohner ( https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/irak-node/irak/203976) auf.

Die Mehrheit der Einwohner Bagdads sind Schiiten. In der Vergangenheit umfasste die Hauptstadt viele gemischte schiitische, sunnitische und christliche Viertel, der Bürgerkrieg von 2006-2007 veränderte jedoch die demografische Verteilung in der Stadt und führte zu einer Verringerung der sozialen Durchmischung sowie zum Entstehen von zunehmend homogeneren Vierteln. Die Sicherheit der Provinz wird sowohl vom "Baghdad Operations Command" kontrolliert, der seine Mitglieder aus der Armee, der Polizei und dem Geheimdienst zieht, als auch von den schiitischen Milizen, die als stärker werdend beschrieben werden.

Die Sicherheitslage verbesserte sich in Bagdad als die Schlacht um Mosul begann. Seit 2016 ist das Ausmaß der Gewalt in Bagdad allmählich zurückgegangen.

Laut Joel Wing kam es im Januar 2018 noch zu durchschnittlich 3,3 sicherheitsrelevanten Vorfällen in Bagdad pro Tag, eine Zahl die bis Juni 2018 auf durchschnittlich 1,1 Vorfälle pro Tag sank (Joel Wing 3.7.2018). Seit Juni 2018 ist die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle in Bagdad langsam wieder auf 1,5 Vorfälle pro Tag im Juli, 1,8 Vorfälle pro Tag im August und 2,1 Vorfälle pro Tag im September gestiegen. Zuletzt kam es in den ersten 3 Wochen des September 2019 in der gesamten Provinz Baghdad mit ihren rund 11,8 Millionen Einwohnern im Schnitt tgl. auf weniger als 1 sicherheitsrelevanten Vorfall (http://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/security-in-iraq-sep-15-21-2019.html#more). Für den Zeitraum 01-14. Oktober 2019 weist die Statistik von Joel Wing für das gesamte Gouvernement Bagdad keine sicherheitsrelevanten Vorfälle auf.

Wenn man vor allem die hohe Bevölkerungszahl der Stadt (ca. 7,6 Millionen) bzw. Provinz (ca. 11,8 Millionen) zu der Anzahl der Vorfälle in Bezug setzt, ist die Wahrscheinlichkeit von Angriffen betroffen zu sein, auch unter Berücksichtigung einer lebensnahen Dunkelziffer von nicht bekannt gewordenen Vorfällen, ohne Hinzukommen qualifizierender bzw. exponierender Umstände, im Regelfall als nicht sehr hoch einzuschätzen.

Zuletzt gab es auch in Bagdad jedoch zahlreiche Opfer (Todesfälle und Verletzte) an Demonstrationsorten - wobei der Tahrir-Platz im Zentrum des Geschehens stand - bei Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten, idR junge irakische Männer, und Sicherheitskräften. Demonstriert wurde bzw. wird im Wesentlichen gegen die Regierung wegen Korruption, hohe Arbeitslosigkeit und schlechte Stromversorgung. Der Ärger der jungen Iraker richtet sich aber auch gegen die USA. Zahlreiche Demonstrationsteilnehmer wendeten dabei Gewalt gegen Sachen und Sicherheitskräften an, wobei diese ebenso auch mit Gewalt reagierten. Schiiten und Sunniten vereinen sich bei diesen Protesten bzw. Demonstrationen über konfessionelle Grenzen hinweg.

Der Bezirk Al Mansour in der Stadt Bagdad ist nach Abu Ja'far al-Mansur benannt, dem zweiten Abbasiden-Kalifen und Gründer von Bagdad. Seit 2015 ist Mansour eines der am stärksten sunnitisch besiedelten Gebiete in Bagdad, hauptsächlich aufgrund eines Zustroms von Binnenvertriebenen aus der überwiegend sunnitisch besiedelten Anbar-Provinz aufgrund des irakischen Bürgerkriegs, die meisten Einwohner des Bezirks sind jedoch schiitische Muslime .

Mansour war traditionell eine wohlhabende Gegend, in der wohlhabende sunnitische Familien lebten. Es wurde auch als "Botschaftsviertel" wegen der vielen ausländischen Botschaften bekannt. Es ist ein Ort, der Käufer anlockt, die nach Luxusimporten und hochwertigen Dienstleistungen wie Restaurants, Cafés und Unterhaltung suchen. Zwischen 2003 und 2007 wurde es jedoch ein Ort, an dem die schiitische Miliz sehr aktiv war, was zu Gewalttätigkeiten und Bombenangriffen führte, die viele Sunniten dazu veranlassten, den Distrikt zu verlassen. Nach und nach, während sich die Situation in Bagdad stabilisiert, kehren hochwertige Einkaufszentren in das Gebiet zurück.

Situation von Angehörigen einer gemischt ethnischen Beziehung (Schiiten-Sunniten) in Bagdad

Eine Ehe zwischen Sunniten und Schiiten stellt gerade in Bagdad keine große Besonderheit dar. So ist einem Bericht von 2012 (https://www.welt.de/politik/ausland/article111448530/Sushi-Ehen-liegen-in-Bagdad-wieder-im-Trend.html) zu entnehmen, dass sog. "Sushi-Ehen", also Ehen zw. Sunniten und Schiiten in Bagdad wieder im Trend lagen oder aus 2009 ein Bericht über staatliche "Hochzeitsprämien" für sunnitsch-schiitische Paare im Irak (https://diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/500911/Hochzeitspraemie-fuer-sunnitischschiitische-Paare-im-Irak).

Aktuelle Berichte über die Lage im Jahr 2018 und 2019 zeigen, dass sich gerade in Bagdad aber auch anderen Städten ein verstärkter Trend der jungen Bevölkerung abzeichnet, dass sie sich nicht durch unterschiedliche Konfessionen trennen lassen und vermehrt Ehen zwischen Sunniten und Schiiten geschlossen werden.

Dafür, dass dies aktuell (2019/2020) mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu sicherheitsrelevanten Vorfällen führen würde, liegen keine Berichte bzw. keine nachvollziehbaren Referenzfälle vor.

(Vgl zB auch BVwG vom 19.06.2019, L504 1437455-2/21E ua [5-köpfige Familie])

Schiitische Milizen in Bagdad

Die Quellen deuten auf mehrere Wirkungsfelder der Milizen in Bagdad hin. Sie konkurrieren mit offiziellen Sicherheitskräften, haben Mitglieder beziehungsweise Verbündete in wichtigen politischen Ämtern und sind teilweise für Übergriffe auf StadtbewohnerInnen verantwortlich:

Laut dem EASO-Bericht zur Sicherheitslage im Irak vom März 2019 befinden sich die Stadt Bagdad und ihre Vororte generell unter staatlicher Kontrolle, in der Praxis teilen sich jedoch die Behörden die Bereiche Verteidigung und Strafverfolgung mit den zu

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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