TE Vfgh Beschluss 2020/6/8 G5/2020

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Veröffentlicht am 08.06.2020
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Index

64 Besonderes Dienst- und Besoldungsrecht

Norm

B-VG Art140 Abs1 Z1 litc
RStDG §37 Abs3
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Zurückweisung eines Individualantrags auf Aufhebung einer Bestimmung des Richter- und StaatsanwaltschaftsdienstG betreffend den Ausschluss der Wahl in den Personalsenat während eines Karenzurlaubs; keine aktuelle Beeinträchtigung durch die bloße Absicht, während der im Jahr 2023 stattfindenden Wahl Karenzurlaub zu beanspruchen

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antrag

Mit ihrem auf Art140 Abs1 Z1 litc B-VG gestützten Antrag begehrt die Antragstellerin, die Wortfolge "eines Karenzurlaubes" in §37 Abs3 des Bundesgesetzes über das Dienstverhältnis der Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte und Richteramtsanwärterinnen und Richteramtsanwärter (Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetz – RStDG; im Folgenden: RStDG), BGBl 305/1961 idF BGBl I 87/2002, als verfassungswidrig aufzuheben.

II. Rechtslage

Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über das Dienstverhältnis der Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte und Richteramtsanwärterinnen und Richteramtsanwärter (Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetz – RStDG), BGBl 305/1961 idF BGBl.I 112/2019, die angefochtene Bestimmung idF BGBl I 87/2002 lauten (die angefochtene Wortfolge ist hervorgehoben):

"Bildung der Personalsenate

§36. (1) Bei jedem Gerichtshof ist ein Personalsenat zu bilden.

(2) Der Personalsenat besteht aus zwei Mitgliedern kraft Amtes und drei gewählten Mitgliedern (Wahlmitglieder). Sind bei einem Landesgericht und den unterstellten Bezirksgerichten am letzten Tag der Einsichtsfrist (§38 Abs1) mehr als 100 Richterplanstellen (ohne die Planstellen mit besonderer gesetzlicher Zweckwidmung) systemisiert, so erhöht sich die Zahl der Wahlmitglieder auf fünf.

(3) Mitglieder kraft Amtes sind der Präsident und ein Vizepräsident des Gerichtshofes. Bei mehreren Vizepräsidentinnen oder Vizepräsidenten entscheidet die längere Dienstzeit als Vizepräsidentin oder Vizepräsident, bei gleichlanger Dienstzeit die längere Dienstzeit als Richterin oder Richter und Staatsanwältin oder Staatsanwalt.

(4) Im Falle der Verhinderung von Mitgliedern kraft Amtes haben an Stelle des Präsidenten der nach Abs3 bestimmte Vizepräsident, an dessen Stelle der nächste nach Abs3 bestimmte Vizepräsident, in Ermangelung eines solchen der auf dieselbe Weise bestimmte Richter des Gerichtshofes, der dem Personalsenat nicht auf Grund der Wahl angehört, einzutreten.

(5) Für die drei Wahlmitglieder sind neun Ersatzmitglieder zu wählen. Die Funktionsdauer der Wahlmitglieder und der Ersatzmitglieder beginnt mit dem 1. Jänner des der Wahl folgenden Jahres und beträgt vier Jahre. Sind bei einem Gerichtshof fünf Wahlmitglieder zu wählen, beträgt die Zahl der Ersatzmitglieder fünfzehn.

(6) Im Fall der Verhinderung oder des Ausscheidens von Wahlmitgliedern oder im Fall des Eintretens eines Vizepräsidenten, der dem Personalsenat schon auf Grund der Wahl angehört, nach Abs4 haben die Ersatzmitglieder nach der Zahl ihrer Wahlpunkte einzutreten. Reicht die Zahl der Ersatzmitglieder nicht aus, so ist für den Rest der Funktionsdauer eine Ergänzungswahl durchzuführen, bei der unter sinngemäßer Anwendung der Bestimmungen über die Personalsenatswahl so viele weitere Ersatzmitglieder zu wählen sind, daß wiederum die nach Abs5 vorgesehene Zahl an Ersatzmitgliedern erreicht wird; die neugewählten Ersatzmitglieder haben nach den bisherigen Ersatzmitgliedern entsprechend der Zahl ihrer Wahlpunkte einzutreten.

Wahlrecht

§37. (1) Wahlberechtigt sind - vorbehaltlich des Abs3 - beim Gerichtshof erster Instanz die bei diesem Gerichtshof und bei den ihm unterstellten Bezirksgerichten ernannten Richter, bei den anderen Gerichtshöfen die dort ernannten Richter. Die Richter für den Sprengel des Oberlandesgerichtes sind beim Oberlandesgericht wahlberechtigt.

(2) Wählbar sind mit Ausnahme der Richter, die dem Personalsenat kraft ihres Amtes angehören, - vorbehaltlich des Abs3 - beim Gerichtshof erster Instanz die bei diesem Gerichtshof und bei den ihm unterstellten Bezirksgerichten ernannten Richter, bei den anderen Gerichtshöfen die dort ernannten Richter, sofern sie eine mindestens einjährige auf einer Richterplanstelle zurückgelegte Dienstzeit aufweisen. Die Richter für den Sprengel des Oberlandesgerichtes sind nicht wählbar. Von der Wählbarkeit sind Richter ausgeschlossen, über die rechtskräftig eine Disziplinarstrafe verhängt wurde, so lange diese im Standesausweis nicht gelöscht ist.

(3) Die Wahlberechtigung und die Wählbarkeit ruhen während der Dauer einer Außerdienststellung, einer Enthebung und einer Suspendierung, die Wählbarkeit ruht während der Dauer eines Karenzurlaubes, einer Karenz, einer Dienstzuteilung und während der Leistung eines Präsenz- oder Ausbildungs- oder Zivildienstes.

(4) Für die Wahlberechtigung und die Wählbarkeit ist der letzte Tag der Einsichtsfrist (§38 Abs1) der maßgebende Stichtag (Wahlstichtag).

(5) Verliert ein Mitglied (Ersatzmitglied) die Wählbarkeit, so kann es dem Personalsenat nicht mehr als Wahlmitglied (Ersatzmitglied) angehören. Während der im Abs3 angeführten Zeiten ruht die Mitgliedschaft (Ersatzmitgliedschaft) zum Personalsenat.

(6) Die Ausübung des Wahlrechtes ist Amtspflicht.

Vorbereitung der Wahl

§38. (1) Der Präsident des Gerichtshofes hat spätestens am 1. Oktober des letzten Jahres der Funktionsdauer der gewählten Personalsenatsmitglieder den Wahltag, den Zeitraum der Wahl und die zweiwöchige Frist für die Einsicht in das nach Abs2 anzulegende Verzeichnis festzulegen und die wahlberechtigten Richter (§37 Abs1) hievon zu verständigen. Der Tag, an dem die Einsichtsfrist abläuft, und der Wahltag müssen Arbeitstage im November sein, wobei diese Tage nicht mehr als zehn Arbeitstage auseinander liegen dürfen.

(2) Der Präsident des Gerichtshofes hat ein Verzeichnis der voraussichtlich wahlberechtigten (§37 Abs1, 3 und 4) und der voraussichtlich wählbaren Richter (§37 Abs2 bis 4) anzufertigen und durch mindestens zwei Wochen beim Gerichtshof zur Einsicht aufzulegen. Das vom Präsidenten des Gerichtshofes erster Instanz angefertigte Verzeichnis ist in Ablichtungen bei den unterstellten Bezirksgerichten zur Einsicht aufzulegen. Werden während der Einsichtsfrist Ernennungen wirksam oder ergeben sich sonst Änderungen in der Wirksamkeit von im §37 Abs3 aufgezählten Personalmaßnahmen, die im Verzeichnis noch nicht berücksichtigt wurden, hat die Wahlkommission das Verzeichnis von Amts wegen zu ändern.

(3) Bis zum Ablauf des zweiten Arbeitstages nach Ende der Einsichtsfrist kann jeder Richter gegen die Richtigkeit und Vollständigkeit des Verzeichnisses schriftlich Einspruch erheben. Über Einsprüche gegen das Verzeichnis der wahlberechtigten und der wählbaren Richter entscheidet die Wahlkommission.

Wahlkommission

Durchführung der Wahl

§39. (1) Zur Durchführung der Wahl ist eine Wahlkommission zu bilden, die aus dem Präsidenten als Vorsitzenden und den zwei - vom Präsidenten abgesehen - an Lebensjahren ältesten Richtern des Gerichtshofes, die an der persönlichen Ausübung des Wahlrechtes nicht verhindert sind, besteht.

(2) Die Wahl ist geheim. Das Wahlrecht ist persönlich auszuüben. Der Richter, der infolge Erkrankung, Beurlaubung oder dienstlicher Abwesenheit an der persönlichen Ausübung des Wahlrechtes verhindert ist, kann einen wahlberechtigten Richter zur Ausübung des Stimmrechtes schriftlich bevollmächtigen; die Vollmacht ist zu den Wahlakten zu nehmen.

(3) Das Wahlrecht ist durch Übergabe der in ein zur Verfügung gestelltes Wahlkuvert gesteckten amtlichen Stimmzettel an die Wahlkommission auszuüben. Die Richter derjenigen Bezirksgerichte, die nicht im selben Amtsgebäude wie der Gerichtshof erster Instanz untergebracht sind, haben am Wahltag die amtlichen Stimmzettel in verschlossenen Wahlkuverts dem Vorsteher des Bezirksgerichtes zu übergeben, der die ungeöffneten Kuverts mit einem Verzeichnis der Richter, die das Stimmrecht ausgeübt haben, unverzüglich der Wahlkommission vorzulegen hat.

Karenzurlaub

§75. (1) Dem Richter kann auf Antrag ein Urlaub unter Entfall der Bezüge (Karenzurlaub) gewährt werden, sofern nicht zwingende dienstliche Gründe entgegenstehen.

(2) Ein Richter, der

1. befristet zum Mitglied eines Organes einer zwischenstaatlichen Einrichtung über Vorschlag der oder im Einvernehmen mit der Republik Österreich bestellt wird oder

2. durch Dienstvertrag mit der Funktion eines Generalsekretärs gemäß §7 Abs11 des Bundesministeriengesetzes 1986, BGBl Nr 6, betraut wird,

ist für die Dauer der Mitgliedschaft zu diesem Organ oder der Betrauung mit der Funktion eines Generalsekretärs gegen Entfall der Bezüge beurlaubt.

(3) Ein Karenzurlaub endet spätestens mit Ablauf des Kalendermonates, in dem er gemeinsam mit früheren Karenzurlauben eine Gesamtdauer von zehn Jahren erreicht.

(4) Abs3 gilt nicht für Karenzurlaube,

1. die zur Betreuung

a) eines eigenen Kindes,

b) eines Wahl- oder Pflegekindes oder

c) eines sonstigen Kindes, das dem Haushalt des Richters angehört und für dessen Unterhalt überwiegend er und (oder) sein Ehegatte aufkommen, längstens bis zum Beginn der Schulpflicht des betreffenden Kindes gewährt worden sind,

2. auf die ein Rechtsanspruch besteht oder

3. die kraft Gesetzes eintreten."

III. Antragsvorbringen, Sachverhalt und Vorverfahren

1. Die Antragstellerin ist Richterin am Bezirksgericht Steyr. Seit Jänner 2012 ist sie gewähltes Mitglied im Personalsenat des Landesgerichts Steyr, wobei ihre Mitgliedschaft während ihres Karenzurlaubes bis 31. Dezember 2019 ruhte. Die Funktionsperiode der Personalsenate der im letzten Quartal 2015 gewählten Mitglieder und Ersatzmitglieder – darunter auch die der Antragstellerin – endete ebenfalls mit Ablauf des 31. Dezembers 2019. Mit Verfügung vom 16. September 2019 wurde die Neuwahl des Personalsenates für die Periode vom 1. Jänner 2020 bis 31. Dezember 2023 für Mittwoch, dem 6. November 2019, ausgeschrieben. Die Antragstellerin wurde nicht in das Verzeichnis der für den Personalsenat bei der ausgeschriebenen Wahl wählbaren Richterinnen und Richter aufgenommen. Sie erhob gegen die Richtigkeit und Vollständigkeit des Verzeichnisses des Personalsenats gemäß §38 Abs3 RStDG bei der Wahlkommission fristgerecht Einspruch und beantragte die Aufnahme in das Verzeichnis.

2. Mit Beschluss vom 21. Oktober 2019 wies die Wahlkommission des Landesgerichts Steyr zur Neuwahl des Personalsenats für die Funktionsperiode 1. Jänner 2020 bis 31. Dezember 2023 den Antrag der Antragstellerin auf Aufnahme in das Verzeichnis der wählbaren Richter ab. Die Abweisung stützt die Kommission auf die Bestimmung des §37 Abs3 RStDG, wonach die Wählbarkeit während der Dauer eines Karenzurlaubes ruht.

3. Die Antragstellerin erachtet sich durch die angefochtene Wortfolge des §37 Abs3 RStDG in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht nach Art7 Abs1 B-VG und Art2 StGG auf Gleichheit vor dem Gesetz verletzt. Die Verfassungswidrigkeit dieser Wortfolge wird im Wesentlichen damit begründet, dass der Ausschluss der Wahlberechtigung und der Wählbarkeit während der Dauer eines Karenzurlaubes unsachlich, unnötig und unverhältnismäßig, damit gleichheitswidrig und gegenüber Richtern und Staatsanwälten, die eine gesellschaftlich notwendige, von der Rechtsordnung gebilligte und von der Gesetzgebung besonders geschützte Elternschaft auf sich nehmen würden, diskriminierend sei. Die Regelung stehe in offensichtlichem Widerspruch zu sonstigen Wertungen der Rechtsordnung, insbesondere zum Gleichbehandlungsgebot nach §4 Bundes-Gleichbehandlungsgesetz (B-GlBG), wonach auf Grund des Geschlechts – insbesondere unter Bedachtnahme auf den Familienstand oder den Umstand, ob jemand Kinder hat – im Zusammenhang mit einem Dienst- oder Ausbildungsverhältnis niemand unmittelbar oder mittelbar diskriminiert werden dürfe.

Die Antragstellerin behauptet, unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein, weil sie sich nach ihrer Familienplanung im Herbst 2023 in der gleichen Situation wie im Herbst 2019 befinden würde und sich auf Grund eines Karenzurlaubes wieder nicht der Wahl in den Personalsenat stellen könne. Es seien weder die Voraussetzungen für eine Beschwerde nach Art144 Abs1 B-VG noch für einen Antrag nach Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gegeben, weil das RStDG einen gerichtlichen Rechtsweg von vornherein nicht vorsehe, sodass die vorliegenden Bedenken nicht an den Verfassungsgerichtshof herangetragen werden könnten. Die Wahlkommission habe ebenfalls keine Möglichkeit, die vorliegenden Bedenken an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen, weil sie selbst kein "Gericht" im Sinne des Art140 Abs1 Z1 lita B-VG sei. Die verfassungswidrige Wortfolge im §37 Abs3 RStDG sei sohin für die Antragstellerin "ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder Erlassung eines Bescheides" wirksam geworden.

4. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie die Zurückweisung des Antrages, hilfsweise den Ausspruch, dass die angefochtene Wortfolge nicht als verfassungswidrig aufgehoben werde, begehrt. Zur Zulässigkeit führt die Bundesregierung insbesondere Folgendes aus: Die Antragstellerin könne nicht darlegen, dass die angefochtene Bestimmung unmittelbar und aktuell in ihre Rechtssphäre eingreife, wenn sie ihren Antrag auf die bloß hypothetische familiäre Situation im Zeitpunkt der nächsten Wahl des Personalsenats im Jahr 2023 stütze; eine (längerfristige) Familienplanung sei generell mit Unsicherheit behaftet. Überdies müsse in diesem Zusammenhang auch berücksichtigt werden, dass auf die Gewährung eines Karenzurlaubes nach §75 Abs1 RStDG im Gegensatz zu einer Karenz nach dem Mutterschutzgesetz kein Rechtanspruch bestehe, sondern die Gewährung eines Karenzurlaubes im Ermessen der Dienstbehörde liege. Selbst unter der Annahme, dass die Situation nach den Vorstellungen der Antragstellerin eintrete, seien ihre Interessen mit Blick auf die Wahl des Personalsenats im Jahr 2023 keinesfalls "aktuell" beeinträchtigt. Der Antragstellerin stehe überdies ein zumutbarer Weg zur Abwehr des – behaupteterweise – rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung: Sollte nämlich die Antragstellerin 2023 (erneut) auf Grund eines gewährten Karenzurlaubes nicht in das Verzeichnis der wählbaren Richter aufgenommen werden, stünde ihr ein Einspruch nach §38 Abs3 RStDG leg.cit. zur Verfügung; darin könnte sie die Einbringung eines Gesetzesprüfungsantrages beim Verfassungsgerichtshof durch die Wahlkommission anregen; die als "Gericht" zu qualifizierende Wahlkommission wäre gemäß Art140 Abs1 Z1 lita B-VG berechtigt und auch verpflichtet, beim Verfassungsgerichtshof einen Antrag auf Prüfung und Aufhebung der erwähnten Bestimmung des RStDG zu stellen, wenn sie gegen ihre Verfassungsmäßigkeit Bedenken haben sollte.

IV. Erwägungen

1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg 8009/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, dass das Gesetz in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie – im Fall seiner Verfassungswidrigkeit – verletzt. Hiebei hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art140 Abs1 Z1 litc B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl zB VfSlg 11.730/1988, 15.863/2000, 16.088/2001, 16.120/2001).

2. Der Verfassungsgerichtshof hat seit den Beschlüssen VfSlg 8009/1977 und 8058/1977 in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt vertreten, die Antragslegitimation nach Art140 Abs1 Z1 litc B-VG setze weiters voraus, dass durch die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt werden müssen und dass der durch Art140 Abs1 Z1 litc B-VG dem Einzelnen eingeräumte Rechtsbehelf dazu bestimmt ist, Rechtsschutz gegen rechtswidrige generelle Normen nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht (zB VfSlg 16.332/2001).

3. Wie der Verfassungsgerichtshof in diesem Zusammenhang ebenfalls wiederholt festgestellt hat, ist das dem einzelnen Normunterworfenen mit Art140 Abs1 Z1 litc B-VG eingeräumte Rechtsinstrument dazu bestimmt, Rechtsschutz gegen rechtswidrige generelle Normen – gleichsam lückenschließend – nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht, weil man anderenfalls zu einer Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes gelangte, die mit dem Charakter eines sogenannten Individualantrages als eines subsidiären Rechtsbehelfes nicht in Einklang stünde (vgl etwa VfSlg 11.479/1987; VfGH 5.3.2014, V62/2013).

Im Zusammenhang mit nach Art140 Abs1 Z1 litc B-VG gestellten Individualanträgen ist dann, wenn ein gerichtliches oder verwaltungsbehördliches Verfahren bereits anhängig ist, das dem von einem Gesetz Betroffenen Gelegenheit zur Anregung einer amtswegigen Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof bietet, nur bei Vorliegen besonderer außergewöhnlicher Umstände der Partei das Recht zur Einbringung eines Gesetzesprüfungsantrages einzuräumen (zB VfSlg 8312/1978, 11.045/1986, 11.823/1988, 19.064/2010, 19.674/2012; vgl auch VfGH 19.2.2016, V150/2015 ua).

4. Die Antragstellerin bringt vor, dass die Wahlkommission keine Möglichkeit gehabt hätte, etwaige Bedenken gegen die angefochtene Norm an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen.

4.1. Nach §38 Abs3 RStDG kann jeder Richter gegen die Richtigkeit und Vollständigkeit des Verzeichnisses der voraussichtlich wahlberechtigten und der voraussichtlich wählbaren Richter zum Personalsenat schriftlich Einspruch erheben. Über den Einspruch wird von der Wahlkommission entschieden. Auch wenn ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung nicht mehr zulässig ist, sieht das Gesetz also ausdrücklich ein bestimmtes Verfahren vor, wenn sich ein Richter dadurch beschwert erachtet, dass er sein aktives oder passives Wahlrecht nicht ausüben kann. Von der Möglichkeit, einen Einspruch gegen die Nichteintragung in das den Personalsenat beim Landesgericht Steyr betreffende Verzeichnis zu erheben, hat die Antragstellerin auch Gebrauch gemacht.

4.2. Die Wahlkommission besteht gemäß §39 Abs1 RStDG aus dem Präsidenten als Vorsitzenden und den zwei – vom Präsidenten abgesehen – an Lebensjahren ältesten Richtern des Gerichtshofes, die an der persönlichen Ausübung des Wahlrechtes nicht verhindert sind. Bei der Wahlkommission handelt es sich somit um ein Richterkollegium, deren Mitgliedern die volle richterliche Unabhängigkeit zukommt (vgl Fellner/Nogratnig, RStDG, 4. Auflage, Anm 1 zu §39 Abs1 RStDG). Bei der Entscheidung der Wahlkommission nach §38 Abs3 RStDG handelt es sich um eine Entscheidung in Justizverwaltungssachen durch eine Kommission gemäß Art87 Abs2 B-VG, somit um eine in Ausübung der Gerichtsbarkeit zu erledigende Angelegenheit (vgl in diesem Sinne zB VfSlg 20.254/2018).

4.3. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin wäre die Wahlkommission des Landesgerichts Steyr daher gemäß §140 Abs1 Z1 lita B-VG berechtigt und auch verpflichtet gewesen, beim Verfassungsgerichtshof einen Antrag auf Prüfung und Aufhebung der angefochtenen Wortfolge im §37 Abs3 RStDG zu stellen, wenn sie gegen ihre Verfassungsmäßigkeit Bedenken gehabt hätte (so schon VfSlg 8187/1977; vgl in diesem Zusammenhang auch VfGH 14.6.2019, G396/2018); zur Antragstellung gemäß §140 Abs1 Z1 lita B-VG ist im Übrigen immer jener Spruchkörper eines Gerichtes berechtigt, der die anzufechtende Norm bei der Entscheidung in der Sache anzuwenden hat (vgl VfSlg 12.381/1990 und 18.097/2007 mwN; VfGH 14.10.2016, G45/2016).

4.4. Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen hätte die Wahlkommission einen entsprechenden Antrag an den Verfassungsgerichtshof richten können; dass sie keinen Antrag gemäß Art140 Abs1 Z1 lita B-VG stellte, vermag an der Zumutbarkeit dieses Weges nichts zu ändern. Angesichts dessen liegt eine prozessuale Situation vor, die zu einer – wie oben angeführten – mit dem Grundsatz der Subsidiarität von Individualanträgen nach §140 Abs1 Z1 lita B-VG nicht im Einklang stehenden Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes führen würde (vgl zB VfSlg  19.064/2010, 19.674/2012; VfGH 14.6.2017, G16/2017).

5. Die Antragstellerin begründet ihre aktuelle und unmittelbare Betroffenheit auch damit, dass sie bei der nächsten Wahl im Jahr 2023 wieder kandidieren möchte, sich auf Grund ihrer Familienplanung aber wieder im Karenzurlaub befinden werde.

5.1. Gemäß §36 Abs5 RStDG beträgt die Funktionsdauer der Wahlmitglieder des Personalsenates vier Jahre. Sie beginnt mit dem 1. Jänner des der Wahl folgenden Jahres. Der Personalsenat am Landesgericht Steyr wurde am 6. November 2019 für die Periode vom 1. Jänner 2020 bis 31. Dezember 2023 gewählt. Die Personalsenatswahl für die nächste Periode würde nach der Bestimmung des §36 Abs5 RStDG im Jahr 2023 stattfinden.

5.2. Die für die Zulässigkeit eines Individualantrages geforderte aktuelle Beeinträchtigung der (rechtlich geschützten) Interessen der Antragstellerin liegt nicht vor: Die Wählbarkeit der Antragstellerin bei dieser Wahl würde nur dann ruhen, wenn sie sich im Jahr 2023 tatsächlich im Karenzurlaub befinden würde. Die Voraussetzungen für die Möglichkeit, einen Karenzurlaub in Anspruch zu nehmen, sind in den §§75 ff RStDG geregelt. Die Gewährung eines Karenzurlaubes nach diesen Bestimmungen bedarf eines Antrages, dessen Genehmigung im Ermessen der jeweiligen Dienstbehörde liegt. Die Antragstellerin hat jedoch nicht behauptet, dass ein Antrag auf Urlaub unter Entfall der Bezüge (Karenzurlaub) gemäß den §§75 ff RStDG für das Jahr 2023 gestellt und bewilligt wurde. Vor diesem Hintergrund werden die rechtlichen Interessen der Antragstellerin jedoch lediglich potentiell beeinträchtigt; eine für einen Individualantrag nach Art140 Abs1 Z1 litc B-VG (geforderte) aktuelle Beeinträchtigung vermag die bloße Absicht der Antragstellerin, sich auf Grund ihrer familiären Situation im Jahr 2023 wieder im Karenzurlaub zu befinden, nicht zu begründen (vgl in diesem Zusammenhang VfSlg 12.156/1989, 12.549/1990).

6. Die Voraussetzungen für einen Antrag nach §140 Abs1 Z1 litc B-VG liegen nicht vor. Der Antrag erweist sich daher als unzulässig.

V. Ergebnis

1. Der Antrag ist als unzulässig zurückzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Bezirksgericht, Gericht Organisation, VfGH / Legitimation

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:G5.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.09.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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