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63/01 Beamten-Dienstrechtsgesetz;Norm
BDG 1979 §117 Abs1 Z2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Germ, Dr. Höß, Dr. Riedinger und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Keller, über die Beschwerde des P in F, vertreten durch Dr. Walter Riedl, Dr. Peter Ringhofer, Dr. Martin Riedl und Dr. Georg Riedl, Rechtsanwälte in Wien I, Franz Josefs-Kai 5, gegen den Bescheid des Bundesministers für Justiz vom 16. September 1992, Zl. 325298/9-III8/92, betreffend Reisegebühren, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer stand als Abteilungskommandant in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund. Seine (letzte) Dienststelle war das landesgerichtliche Gefangenenhaus Feldkirch.
Gegen den Beschwerdeführer wurde mit Beschluß der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Justiz vom 5. November 1991, 6 Ds 19/91-3, wegen des Verdachts der Verletzung von Dienstpflichten ein Disziplinarverfahren eingeleitet und eine mündliche Verhandlung anberaumt, zu der der Beschwerdeführer gemäß § 124 Abs. 1 BDG geladen wurde.
Nach der am 4. Dezember 1991 durchgeführten mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer mit Disziplinarerkenntnis vom selben Tag von zwei Anklagepunkten freigesprochen, hinsichtlich eines Tatvorwurfes für schuldig befunden und zum Ersatz der Kosten des Disziplinarverfahrens verurteilt. Der vom Beschwerdeführer gegen dieses Disziplinarerkenntnis erhobenen Berufung gab die Disziplinaroberkommission beim Bundeskanzleramt am 16. März 1992 Folge und der Beschwerdeführer wurde (zur Gänze) freigesprochen. Der Beschwerdeführer legte sodann am 22. April 1992 Rechnung über die Reise zur erstinstanzlichen Disziplinarverhandlung vom 4. bis 5. Dezember 1991; daraufhin wurde ihm telefonisch die Auskunft erteilt, daß er wegen zeitlichen Verzugs keine Reiserechnung mehr legen könne. In seinem als "Einspruch" bezeichneten Schreiben vom 22. April 1992 hielt der Beschwerdeführer fest, er sei der Meinung gewesen, eine Reiserechnung nur bei völligem Freispruch stellen zu können und habe deshalb zugewartet. Diese Ansicht sei seitens des Dienststellenausschusses geteilt worden, sodaß er den Antrag stelle, ihm die Legung der Reiserechnung zu genehmigen und anzuerkennen, weil der Verzug nur durch einen "Wissensnotstand" zustandegekommen sei. Am 8. Juli 1992 erging seitens der belangten Behörde das Ersuchen, den Beschwerdeführer im Wege des Leiters des landesgerichtlichen Gefangenenhauses F. in Kenntnis zu setzen, daß ihm die Reiserechnung nicht ersetzt werden könne, weil die Bestimmungen des BDG 1979 keine Regelung enthielten, daß Beschuldigten eines Disziplinarverfahrens Kostenersatz zustehe. Am 21. Juli 1992 stellte der Beschwerdeführer schließlich den Antrag auf bescheidmäßigen Abspruch.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 16. September 1992 hat die belangte Behörde entschieden wie folgt:
"Die für die Reise am 4. und 5. Dezember 1991 als Beschuldigter zur Disziplinarverhandlung nach Wien angesprochenen Gebühren wurden gemäß § 36 Abs. 1 RGV aus eigener Schuld verspätet geltend gemacht und können daher nicht ersetzt werden."
In der Begründung führte die belangte Behörde aus, daß die Gebühren für die genannte Dienstreise nach § 36 Abs. 1 RGV bis zum Ende des Kalendermonates, der der Beendigung der Dienstreise folge, also bis zum 31. Jänner 1992, geltend zu machen gewesen seien. Der Anspruch auf Gebühren sei daher erloschen. Auch eine Nachsicht von der Frist gemäß § 36 Abs. 5 RGV komme nicht in Frage, weil der Beschwerdeführer nicht durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis gehindert gewesen sei, die Frist einzuhalten. Die Tatsache, daß der Verzug auf einem "Wissensnotstand" beruht habe, stelle keinen geeigneten Grund für eine Fristnachsicht dar. Der Beschwerdeführer habe immerhin mit einem Freispruch durch die Disziplinaroberkommission rechnen müssen, sonst hätte er gegen die Entscheidung der Disziplinarkommission keine Berufung eingebracht. Zur Wahrung der Frist hätte der Beschwerdeführer daher jedenfalls zunächst Reiserechnung legen müssen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer sieht sich durch den angefochtenen Bescheid in seinem Recht auf Reisegebührenersatz nach §§ 4 ff RGV 1955 durch unrichtige Anwendung des § 36 Abs. 1 leg. cit. (in eventu des Abs. 5 dieser Norm) sowie der Vorschriften über die Sachverhaltsermittlung, das Parteiengehör und die Bescheidbegründung (§§ 1, 8 DVG, §§ 37, 39, 60 AVG) verletzt.
§ 117 Abs. 1 BDG 1979, idF BGBl. Nr. 287/1988, lautet:
"(1) Die Kosten des Verfahrens einschließlich der Reisegebühren und der Gebühren für Zeugen, Sachverständige und Dolmetscher sind vom Bund zu tragen, wenn
1.
das Verfahren eingestellt,
2.
der Beamte freigesprochen oder
3.
gegen den Beamten eine Disziplinarverfügung erlassen wird"
Nach § 36 Abs. 1 der als Bundesgesetz in Geltung stehenden RGV 1955, BGBl. Nr. 133, hat der Beamte den Anspruch auf Reisegebühren für Dienstreisen, Dienstverrichtungen im Dienstort, auf Übersiedlungsgebühren oder auf eine Reisebeihilfe (§§ 24 und 35) mit einer eigenhändig unterfertigten Reiserechnung bei seiner Dienststelle bis zum Ende des Kalendermonates geltend zu machen, der der Beendigung der Dienstreise (Dienstverrichtung im Dienstort, Reise nach §§ 24 und 35) oder der Übersiedlung folgt. Der Anspruch auf die Gebühren erlischt, wenn die Reiserechnung nicht fristgerecht vorgelegt wird. Ein Vorschuß ist von den Bezügen des Beamten hereinzubringen.
Der Beschwerdeführer bringt unter dem Gesichtspunkt einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit im wesentlichen vor, die belangte Behörde meine, er hätte die Reiserechnung entsprechend dem § 36 Abs. 1 RGV bis 31. Jänner 1992 und nicht erst nach dem 16. März 1992 (zweitinstanzlicher Freispruch) vorlegen müssen. Diese Auffassung gründe sich in geradezu typischer Weise auf eine Gesetzesinterpretation, die engstens am Gesetzeswortlaut hafte. Es sei jedoch in Rechtsprechung und Lehre unbestritten, daß Gesetze nicht auf diese Weise, sondern ihrem Sinn entsprechend auszulegen seien. Vom Gesetzgeber könne nicht erwartet werden, daß er in jedem Gesetz eine ausdrückliche Vorkehrung für jede tatbestandsmäßige Besonderheit treffe. Dazu sei der Gesetzgeber nicht imstande. Dahingehende Versuche führten zu einer Kasuistik, die sich immer wieder selbst ad absurdum führe. Der Gesetzgeber setze vielmehr voraus, daß seine Gesetze in sinnentsprechender Weise ausgelegt würden. Hiebei sei vor allem den immanenten logischen Zusammenhängen Rechnung zu tragen. Ein Reisegebührenanspruch für Dienstreisen bestehe im Zusammenhang mit einem Disziplinarverfahren nur dann, wenn dieses mit einem vollen Freispruch ende. Anspruchsvoraussetzung, Tatbestandsmerkmal des Anspruchsgrundes sei daher ein solcher Freispruch. Daraus folge zwingend, daß vor dem 16. März 1992 (Freispruch) die Anspruchsvoraussetzungen nicht zur Gänze erfüllt gewesen seien. Die belangte Behörde unterstelle dem Gesetz, daß es bei sonstigem Verlust die Geltendmachung eines Anspruches verlange, ehe dieser überhaupt entstanden sei. Das widerspreche der für den Rechtsbereich geltenden inneren Logik. Da der Gesetzeswortlaut aber zu diesem Ergebnis führe, sei entsprechend den vorigen Ausführungen eine sinnentsprechende Gesetzesinterpretation vorzunehmen. Aus der Sicht der dienstlichen Interessen und der Verwaltungspraxis spreche ebenfalls nichts für den behördlichen Standpunkt; es hätte absolut keinen positiven Effekt, sondern würde nur zu einem manipulativen Mehraufwand führen, wenn die Reiserechnung vorzulegen wäre, ehe die Gebührlichkeit der Vergütung dem Grunde nach feststehe. Die Reiserechnung müßte abgelegt und kalendiert werden, es müßte sodann zugewartet werden, bis das fehlende Tatbestandsmerkmal "Freispruch" nachträglich nachgewiesen werde, ehe die ansonsten sogleich mögliche meritorische Erledigung erfolgen könne.
Diesem Vorbringen kommt Berechtigung zu.
Auf das Disziplinarverfahren sind nach § 105 Z. 1 BDG 1979 die Bestimmungen des AVG mit bestimmten Abweichungen anzuwenden. § 74 Abs. 1 AVG, der die Kosten der Beteiligten grundsätzlich so regelt, daß jeder Beteiligte seine Kosten selbst zu tragen hat, wird zwar mit § 105 AVG für anwendbar erklärt, gilt aber nach der zuletzt genannten Bestimmung nur insoweit, als im 9. Abschnitt des BDG nicht anderes normiert ist. Dies ist in der Frage der Kosten des Verfahrens mit § 117 BDG erfolgt. Nach § 117 Abs. 1 Z. 2 BDG 1979 hat der Bund die (gesamten) Kosten des Verfahrens "einschließlich der Reisegebühren" zu tragen, wenn der Beamte freigesprochen wird.
Die belangte Behörde meint, der Beschwerdeführer habe mit der Ladung zur Disziplinarverhandlung erster Instanz in Wien einen Dienstauftrag nach § 2 Abs. 1 RGV erfüllt, woraus die Verpflichtung zur fristgerechten Geltendmachung der Reisegebühren nach § 36 Abs. 1 RGV folge. Die rechtzeitige Geltendmachung des Reisegebührenanspruchs wäre die Voraussetzung für die nach § 117 BDG zu treffende Lösung der Frage, wer diese Kosten letztlich zu tragen habe.
Entgegen dieser Rechtsmeinung teilt der Verwaltungsgerichtshof die Auffassung des Beschwerdeführers, daß aus dem Zusammentreffen der Regelung des § 117 BDG mit der Rechnungslegungsvorschrift nach § 36 RGV, die zweifellos nur im Hinblick auf den Regelfall einer Dienstreise so gefaßt wurde, die Notwendigkeit einer am Sinnzusammenhang orientierten Interpretation folgt. Nach § 36 Abs. 1 RGV hat der Beamte den Anspruch auf Reisegebühren geltend zu machen, wobei dieser Anspruch erlischt, wenn er nicht fristgerecht geltend gemacht wird. § 36 RGV setzt demnach das Vorliegen eines Anspruches voraus. Um einen solchen "Anspruch" zu haben, mangelte es dem Beschwerdeführer hinsichtlich der strittigen Kosten zufolge des Kostenersatzausspruches der erstinstanzlichen Behörde zunächst an der Tatbestandsvoraussetzung des § 117 Abs. 1 Z. 2 BDG. Da die Verpflichtung des Bundes zur Kostentragung für Reisegebühren im Beschwerdefall erst nach dem letztinstanzlichen Freispruch entstanden ist, konnten diese Kosten auch erst nach diesem Zeitpunkt geltend gemacht werden. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes kann daher nicht gesagt werden, daß dieser auf § 117 Abs. 1 BDG beruhende Anspruch mangels fristgerechter Geltendmachung der Reisegebühren nach § 36 Abs. 1 RGV nicht mehr besteht; der erst nach Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzung des Freispruchs begründete Anspruch des Beschwerdeführers auf Ersatz seiner Reisegebühren konnte auch nicht bereits vor seinem Entstehen nach § 36 Abs. 1 letzter Satz RGV erloschen sein.
Da die belangte Behörde dies verkannte, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Pauschalierungsverordnung
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1992120244.X00Im RIS seit
20.11.2000