Index
E1PNorm
AVG §45 Abs2Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Mag. Dr. Köller sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikarals Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision der Steiermärkischen Landesregierung gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark vom 8. Mai 2020, LVwG 41.18-489/2020-3, betreffend Meldung von Spielapparaten gemäß dem StGSG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Stadt Graz; mitbeteiligte Partei: L G.m.b.H. in G), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 1.1. Mit Schreiben vom 20. November 2019 meldete die mitbeteiligte Partei bei der belangten Behörde zwei „Geschicklichkeitsspielapparate“ der Type „PICK A PICTURE - Shuffle“ an einem näheren Standort an. Dieser Meldung waren Befund und Gutachten eines näher genannten Sachverständigen beigeschlossen.
2 1.2. Über Ersuchen der belangten Behörde erstellte in der Folge ein Amtssachverständiger ebenfalls Befund und Gutachten hinsichtlich dieser „Geschicklichkeitsapparate“, das der Mitbeteiligten zur Stellungnahme übermittelt wurde.
3 1.3. Nachdem keine Stellungnahme der Mitbeteiligten eingelangt war, wurde der Mitbeteiligten in der Folge mit Bescheid der belangten Behörde vom 24. Jänner 2020 das Aufstellen und der Betrieb der gemeldeten „Spielapparate“ am näher bezeichneten Standort gemäß § 29 Steiermärkisches Glücksspielautomaten- und Spielapparategesetz 2014 - StGSG, „LGBl. Nr. 62/2019 idF LGBl. Nr. 63/2018“, untersagt. Die belangte Behörde folgte dabei den Ausführungen des Amtssachverständigen und führte u.a. aus, dass Spiele gegen Einsatzleistung ermöglicht würden, bei denen ein vermögenswerter Gewinn in Aussicht gestellt werde. Diese Spiele seien aus näheren Gründen als Glücksspiele zu qualifizieren.
4 2.1. Der dagegen von der Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde wurde vom Landesverwaltungsgericht Steiermark (LVwG) mit Erkenntnis vom 8. Mai 2020 ohne Durchführung der von der Mitbeteiligten beantragten mündlichen Verhandlung Folge gegeben und der Bescheid behoben (Spruchpunkt I.). Mit Spruchpunkt II. erklärte das LVwG die Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
5 2.2. Das LVwG stellte fest, dass die Mitbeteiligte zwei „Geschicklichkeitsspielapparate“ der Type „PICK A PICTURE - Shuffle“ angemeldet und ein Gutachten vorgelegt habe. Nach wörtlicher Wiedergabe dieses Gutachtens sowie nach wörtlicher Wiedergabe des Gutachtens des Amtssachverständigen führte das LVwG aus, von der Mitbeteiligten seien „im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens“ eine Spielbeschreibung sowie Erklärvideos über das Spiel vorgelegt worden.
6 Aufgrund der „vorliegenden Unterlagen“ werde festgestellt, dass es sich bei den „ChangePoints Pick a Picture“-Spielen laut eigener Spielbeschreibung um Spiele handle, deren Resultate nicht zufallsabhängig seien. Auffindbar seien die Spiele u.a. auf einer bestimmten Website. Der Aufruf der Spiele erfolge sowohl bei den Spielterminals als auch auf der Website über Betätigung eines auf einem Startbildschirm befindlichen Symbols mit der Aufschrift „Changepoints Weltneuheit“. Sodann gelange der Spieler auf die Startseite der „PICK A PICTURE - Shuffle“-Spiele, auf der die Schaltflächen „HOME“, „PICK A PICTURE - Shuffle“ und „KASSA“ zu finden seien. Durch Betätigung des „PICK A PICTURE“-Symbols werde eine englischsprachige Informationsseite aufgerufen, die beschreibe, dass die Spiele nicht zufallsabhängig seien und stets eine Vorhersage ermöglichten, wobei bezüglich genauerer Informationen über diese Prognosemöglichkeit auf den Punkt „Info“ im Spiel verwiesen werde. Diese Informationsseite müsse vom Spieler bestätigt werden, bevor er zur Spielauswahlseite weitergeleitet werde. Der Spieler habe die Möglichkeit zwischen insgesamt elf Spielen zu wählen. Neben der Spielauswahl werde auf dieser Seite auch das Spielguthaben des verwendeten Accounts im oberen Bereich des Bildschirms unter „Balance“ ausgewiesen. Der Start des Spiels beginne mit Betätigung des entsprechenden Symbols auf dieser Spielauswahlseite.
7 Die „ChangePoints Pick a Picture-Shuffle“-Spiele basierten auf einer vordefinierten Reihe von 319.784 bis 500.000 Bildern, wobei jedes Bild eine Kombination aus 15 Symbolen darstelle, die aus insgesamt 10 verschiedenen Symbolen gewählt würden. Das Bild ergebe sich aus der Anordnung der 15 Symbole in einem Raster aus drei Reihen (als „Positionen“ bezeichnet) und fünf Spalten (als „Kolonnen“ bezeichnet). Die Reihenfolge, in der diese 319.784 bis 500.000 Bilder abliefen, sei stets gleich, wobei jedoch der Startpunkt in dieser Reihenfolge vom Spieler beeinflusst werden könne. Jedes Bild werde bei einem kompletten Durchlauf aller 319.784 bis 500.000 Bilder nur einmal angezeigt, sofern der Spieler nicht eingreife. Durch eine Vorschaumöglichkeit „solle“ dem Spieler die Möglichkeit gegeben werden, zu entscheiden, ob er sich ein konkretes (potentiell gewinnbringendes) Bild in dieser Reihe anzeigen möchte. Durch die Auswahl des Spiels werde das erste Spiel kostenlos gestartet.
8 Ein Gewinn ergebe sich bei diesen Spielen aus der Anordnung der Symbole in dem 5x3 Raster. Hiefür müssten gleiche oder gleichwertige Symbole entlang gewisser Gewinnlinien in dem Raster platziert sein, wobei desto höhere Gewinne erzielt würden, je mehr gleiche oder gleichwertige Symbole sich auf dieser Gewinnlinie befänden. Pro angezeigtem Bild könnten auch mehrere verschiedene Gewinnlinien gleichzeitig gewinnbringend realisiert werden.
9 Der Einsatz werde dem Spieler von seinem Guthaben abgezogen, sobald er sich ein Bild potentiell gewinnbringend anzeigen lasse, der Einsatz werde jedoch unabhängig davon geleistet, ob das Bild auch tatsächlich gewinnbringend sei. Potentiell gewinnbringend werde ein Bild dann angezeigt, wenn in dem Fall, dass ein gewinnbringendes Bild vorliege, auch tatsächlich ein Gewinn dem Guthaben des Spielers gutgeschrieben werde.
10 Bei Betätigung der Starttaste werde das nächstkommende Bild nach einer kurzen Verzögerung zur Gänze (d.h. alle 15 Symbole gleichzeitig) angezeigt, ein virtueller Walzenlauf finde nicht statt. Der Spieler werde beim Start des Spieles aufgefordert, seine Startposition und sein Level zu wählen. Hiezu befinde sich im mittleren Bildschirmbereich ein virtuelles Stellrad, das um das Changepoints-Logo angeordnet sei. Durch Bewegen eines Kreises auf diesem Stellrad könne der Spieler seine Startposition in der Bildreihe wählen. Der Level hingegen entspreche dem Einsatz pro Spiel und könne über vier mittig-rechts angeordnete Buttons auf 0.01, 0.02, 0.05 oder 0.1 gesetzt werden; der Mindesteinsatz (Level 0.01) entspreche € 0,10; der maximal mögliche Einsatz (Level 0.1) € 1,--. Durch Betätigung der Fläche „Click to Set“ werde der Hauptspielbildschirm mit dem Startbildschirm angezeigt, welches der gewählten Position am Stellrad entspreche. Der Spieler könne durch Veränderung der Position des virtuellen blauen Stellrades auf ein anderes Bild in der Reihe der hinterlegten Bilder zeigen. Werde „Click to Set“ gedrückt, gelange man wieder zur Spieleseite. Im grünen Bereich des Kreises werde die Nummer des aktuell gewählten Bildes angezeigt. Der Kreis stelle die Reihe der in der Software hinterlegten Bilder dar.
11 Am unteren Rand dieser Anzeige befänden sich die Schaltflächen, die benötigt würden, um das Spiel zu bedienen, und ein mittig angeordneter Counter, an dem das momentane Guthaben ausgewiesen werde, sowie der zuletzt erhaltene Bonus und der Gesamtgewinn. Ebenso sei in dem Feld dieses Counters eine Vorschaumöglichkeit des nächsten Bildes durch Darstellung einer Reihe an Codes abgebildet.
12 Bei Betätigung der Start-Taste werde das nächste Bild potentiell gewinnbringend unter Abzug des Einsatzes angezeigt und das neue Guthaben im Counter ausgewiesen. Dieses Bild diene sodann als neuer „Startpunkt“ und der Vorgang könne mittels neuerlicher Betätigung der Start-Taste wiederholt werden. Das Programm verfüge daneben auch über eine Auto-Spielfunktion, die über die Schaltfläche „Auto“ ausgelöst werden könne. In diesem Modus habe man die Wahl, sich die nächsten 6, 12, 24, 48 oder 96 Bilder automatisch anzeigen zu lassen.
13 In dem Feld „Level Start Position“ werde dem Spieler sein momentaner Level angegeben. Durch Anklicken dieses Feldes erreiche der Spieler wieder jenen Bildschirm, der es ihm ermögliche, die Startposition in der Bildreihe und seinen Einsatz zu ändern. Bei laufendem Spiel bestehe über diese Anzeige ferner die Möglichkeit, durch Aktivierung des Buttons „Position + 1“ das nächstfolgende Bild nicht anzeigen zu lassen, um dieses als Startbild zu wählen.
14 Über die Info-Taste im Haupt-Spielbildschirm könne ein gesondertes Informationsfenster aufgerufen werden, in dem zunächst der Gewinnplan des Spieles abgebildet werde. Die dazugehörigen Gewinnlinien könnten unter dem Feld „show bonus lines“ eingesehen werden. Per Klick auf die Fläche „show status & next picture“ werde die Vorschaumöglichkeit des Spieles für die in der Bildreihe folgenden sechs Bilder geöffnet. Die abgebildete Vorschau sei hierbei durch Codes verschlüsselt und die Darstellung bestehe aus einer Matrix mit fünf Spalten („Col 1“ bis „Col 5“) und drei Reihen, repräsentativ für die kommenden sechs Bilder. Pro Feld in dieser Matrix befänden sich drei Codes, die, getrennt durch einen Leerraum, nebeneinander stünden. Jeder dieser Codes sei dreistellig und bestehe aus einer Kombination aus Buchstaben und Zahlen. Die einzelnen Codes stünden stellvertretend für ein bestimmtes Symbol, wobei die dazugehörige Legende, die jedem Symbol einen Code zuweise, unterhalb der dargestellten Matrix abgebildet sei. Jedem Symbol sei definitiv nur ein bestimmter Code zugewiesen. Anhand der Positionierung dieser Codes im konkreten Feld könne abgelesen werden, in welcher Reihe („Position“) sich das Symbol im Bild befinde. Über den Button „Next 6“ könne der Spieler die Vorschau-Matrix der darauffolgenden Bilder kostenlos aufrufen. Der Vorgang könne beliebig oft wiederholt werden.
15 Nach dem Klick auf „Info“ erscheine „show bonus lines“. Es würden dann die Boni im Fall der richtigen Anordnung der Symbole laut „Bonuslines“ angezeigt werden. Ziel der Spiele sei es, gewinnbringende Bilder in den vordefinierten Reihen von je 319.784 - 500.000 Bildern zu finden und diese anzeigen zu lassen. Ein Zufallsgenerator werde nicht verwendet. Es würden nach der Spielbeschreibung Fähigkeiten auf dem Gebiet der Kombinatorik, Logik und Mathematik verlangt sowie Merkfähigkeit, um gewinnbringend prognostizieren zu können. Die Anwendung der Vorschaumatrix verlange Fähigkeiten im Decodieren, wozu das erste Zeichen des dreistelligen Codes ausreiche. Die Merkfähigkeitskomponente liege dahingehend, dass der Gewinnplan nicht gleichzeitig angezeigt werde. Ergebe sich für den Spieler aus diesem Vorgang, dass das in der Vorschau als nächste beschriebene Bild gewinnbringend sei, so könne er sich dies über Bestätigung des „Start“-Buttons anzeigen lassen. Sei die Evaluierung richtig gewesen, werde ihm der Bonus gemäß Gewinnplan ausgewiesen und er könne ihn über Bestätigung der dann aufscheinenden „Take“-Taste unter Abzug des Einsatzes seinem Guthaben hinzuschreiben. Sei die Voreinschätzung falsch, werde nur der Einsatz abgezogen. Der Spieler könne aber auch neues Ausgangsbild aufrufen.
16 Mit Geschick könne mit der „Shuffle“-Taste das Ergebnis nochmals verändert werden. Diese Taste ermögliche es dem Spieler, Kolonnen paarweise zu vertauschen, um so Boni zu erlangen. In einem Zeitrahmen könne die Anordnung von fünf Kolonnen geändert werden. Dabei könne ein „Shuffelbonus“ erzielt werden.
17 2.3. Das LVwG führte beweiswürdigend u.a. aus, dem Gutachten des Amtssachverständigen sei nicht zu folgen, weil dieser nicht die Erklärvideos des Vertreters der Mitbeteiligten angesehen habe.
18 2.4. In der Folge erläuterte das LVwG seine rechtlichen Erwägungen und führte zum Antrag auf Durchführung der mündlichen Verhandlung aus, gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG könne von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung abgesehen werden, wenn eine mündliche Erörterung nichts zur Ermittlung der materiellen Wahrheit beitragen könne und auch keine Rechtsfragen aufgeworfen würden, deren Erörterung in einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erforderlich wäre.
19 3.1. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision der Steiermärkischen Landesregierung mit dem Antrag, das Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
20 3.2. Die Mitbeteiligte erstattete keine Revisionsbeantwortung.
21 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
22 4.1. Die Revision erweist sich aufgrund ihres Vorbringens, das LVwG sei mit seiner Vorgangsweise, ein weiteres Ermittlungsverfahren durchzuführen und dennoch aufgrund der Aktenlage ohne Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung zu entscheiden, von näher bezeichneter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, als zulässig.
23 4.2. Sie ist auch begründet.
24 4.2.1. § 29 StGSG, LGBl. Nr. 100/2014 idF LGBl. Nr. 41/2018, lautet wie folgt:
„§ 29
Meldepflicht
(1) Das Aufstellen, der Betrieb, der Austausch und die Entfernung von Spielapparaten ist vom Betreiber/von der Betreiberin der Behörde zu melden.
(2) Die Meldung hat folgende Angaben zu enthalten:
1. den Vor- und Familiennamen, die Adresse und das Geburtsdatum des Betreibers/der Betreiberin; bei juristischen Personen oder einer eingetragenen Personengesellschaft deren Bezeichnung und auch den Namen und die Adresse des Geschäftsführers/der Geschäftsführerin;
2. den beabsichtigten Aufstellungsort;
3. die erforderlichen Genehmigungen für den Aufstellungsort;
4. den Nachweis über das Verfügungsrecht des Betreibers/der Betreiberin über den Aufstellungsort;
5. die Geräte-, Erzeuger- oder Seriennummer des Spielapparats;
6. ein Gutachten eines/einer Sachverständigen über die Bauart, die Wirkungsweise und die Betriebssicherheit des Spielapparates;
7. ein Gutachten eines/einer Sachverständigen, mit dem bescheinigt wird, dass es sich bei dem jeweiligen Spielapparat bzw. Spielprogrammen um keinen verbotenen Spielapparat und um keinen Glücksspielautomaten handelt. Diese Gutachten müssen Fotos des Apparats und des verwendeten Spielprogrammträgers enthalten, aus denen insbesondere die Geräte-, Erzeuger- oder Seriennummer des Spielapparates bzw. die Programmversionen der Spielprogramme erkennbar sind.
(3) Auf Grund der Meldung hat die Behörde zu prüfen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Aufstellen, den Betrieb und den Austausch am betreffenden Standort vorliegen. Liegen die Voraussetzungen vor, hat die Behörde dem Betreiber/der Betreiberin längstens binnen drei Monaten eine Bescheinigung auszustellen. Liegen die Voraussetzungen nicht vor, hat die Behörde dies mit Bescheid festzustellen und das Aufstellen, den Betrieb und den Austausch zu untersagen. Ohne Bescheinigung dürfen Spielapparate nicht aufgestellt und betrieben werden.“
25 4.2.2. Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung dann absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen.
26 Die Unterlassung der Durchführung einer gebotenen Verhandlung kann nicht nur von jener Partei, die den Verhandlungsantrag gestellt hat, sondern von jeder Verfahrenspartei geltend gemacht werden. Wurde nämlich bereits - wie hier von der Mitbeteiligten als Beschwerdeführerin - ein Verhandlungsantrag gestellt, so sind die anderen Parteien - vorliegend die belangte Behörde im Verfahren des LVwG - nicht gehalten, einen eigenen Verhandlungsantrag zu stellen. Dies ergibt sich daraus, dass der Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden kann (vgl. VwGH 6.5.2020, Ra 2019/08/0114, mwN).
27 4.2.3. Darüber hinaus hat das Verwaltungsgericht, wenn es eine zusätzliche, die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung nicht bloß unwesentlich ergänzende Beweiswürdigung vornimmt, eine solche ergänzende Beweiswürdigung regelmäßig erst nach Durchführung einer Verhandlung durchzuführen (vgl. VwGH 3.10.2017, Ra 2016/07/0002, mwN).
28 4.2.4. Dies gilt umso mehr für den Fall, dass das Verwaltungsgericht die von der Verwaltungsbehörde aufgenommenen Beweismittel anders als diese würdigt und aufgrund dieser von jener der Verwaltungsbehörde abweichenden Beweiswürdigung andere entscheidungswesentliche Sachverhaltsfeststellungen trifft. Will das Verwaltungsgericht von der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung abweichend andere wesentliche Sachverhaltsfeststellungen treffen, hat es - sogar ungeachtet eines Parteiantrags - eine mündliche Verhandlung durchzuführen und dabei die bereits von der Verwaltungsbehörde aufgenommenen Beweismittel neuerlich aufzunehmen. Dies gilt gleichsam für den Fall, dass der entscheidungswesentliche Sachverhalt im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht strittig ist (VwGH 18.9.2019, Ra 2018/04/0197).
29 4.2.5. Dies trifft im vorliegenden Revisionsfall zu, weil der Aufbau und die Funktionsweise des Gerätes, mithin der Sachverhalt, zwischen der belangten Behörde und der Mitbeteiligten strittig war. Dabei liegen zwei einander widersprechende Sachverständigengutachten vor.
30 4.2.6. Das Verwaltungsgericht hat nun in seinem Verfahren bei einander widersprechenden Gutachten nach den Grundsätzen der freien Beweiswürdigung zu prüfen, welchem von ihnen höhere Glaubwürdigkeit beizumessen ist. Dabei hat es jene Gedankengänge aufzuzeigen, die es veranlasst haben, von den an sich gleichwertigen Beweismitteln dem einen einen höheren Beweiswert zuzubilligen als dem anderen. Bei einander widersprechenden Gutachten ist es dem Gericht somit gestattet, sich dem einen oder anderen Gutachten anzuschließen, es hat aber in der Begründung seiner Entscheidung die Gedankengänge und sachlichen Erwägungen darzulegen, die dafür maßgebend waren, dass es das eine Beweismittel dem anderen vorgezogen hat. Wenn das Gericht sich etwa über ein von der Partei beigebrachtes Sachverständigengutachten hinwegsetzt, ist dies daher zu begründen. Der bloße Umstand, dass Sachverständige zu verschiedenen Ergebnissen kommen, macht daher weder das eine noch das andere Sachverständigengutachten unglaubwürdig (vgl. VwGH 9.5.2019, Ra 2018/02/0187).
31 4.2.7. Vor dem Hintergrund dieser Judikatur setzen eine vom verwaltungsbehördlichen Verfahren abweichende Beweiswürdigung und daraus resultierende andere entscheidungswesentliche Sachverhaltsfeststellungen durch das Verwaltungsgericht voraus, dass in der mündlichen Verhandlung eine eingehende Auseinandersetzung mit den relevanten Beweismitteln erfolgt ist. Dazu gehört es - wenn dem Richter das erforderliche Fachwissen fehlt - einen gerichtlichen Sachverständigen (Amtssachverständigen) als Hilfsorgan des Gerichtes zu bestellen (vgl. VwGH 24.3.2020, Ra 2019/09/0159).
32 4.3. Im vorliegenden Fall hat das LVwG nicht nur das vorliegende Gutachten des Amtssachverständigen als „mangelhaft und wiedersprüchlich“ [sic!] beurteilt, ohne den Amtssachverständigen zur Ergänzung seines Gutachtens aufzufordern, es hat auch außerhalb einer mündlichen Verhandlung eine zusätzliche Beweisaufnahme durchgeführt und in der Folge die von der Mitbeteiligten erhaltenen „Erklärvideos“ nach seiner Beweiswürdigung für seine Feststellungen herangezogen. Dies jedoch ohne die neu aufgenommenen Beweismittel der belangten Behörde als Partei zur Stellungnahme vorzulegen (zur Rechtswidrigkeit einer solchen Vorgangsweise vgl. VwGH 14.11.2018, Ra 2018/11/0199), ohne den Amtssachverständigen zur Ergänzung seines Gutachtens aufzufordern und ohne in der Folge die beantragte mündliche Verhandlung durchzuführen.
33 5. Die Voraussetzungen des vom LVwG herangezogenen § 24 Abs. 4 VwGVG für ein Absehen von der beantragten mündlichen Verhandlung lagen daher im Revisionsfall nicht vor.
34 6. Das angefochtene Erkenntnis war demnach infolge Verkennung der Rechtslage aufgrund der Anwendung des § 24 Abs. 4 VwGVG und der Unterlassung der gebotenen Durchführung der mündlichen Verhandlung durch das LVwG gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen prävalierender Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 1. September 2020
Schlagworte
Begründungspflicht Beweiswürdigung und Beweismittel Begründung hinsichtlich einander widersprechender Beweisergebnisse Beweismittel Sachverständigenbeweis Beweiswürdigung Wertung der Beweismittel Gutachten Beweiswürdigung der Behörde Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung Besonderes FachgebietEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020020148.L00Im RIS seit
10.11.2020Zuletzt aktualisiert am
10.11.2020