Index
10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
KOVG 1957 §11a Abs3 idF 1967/258;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 95/09/0233 Serie (erledigt im gleichen Sinn): 96/09/0276 E 19. November 1997Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Fuchs, Dr. Blaschek und Dr. Rosenmayr als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Loibl, über die Beschwerden des Peter E in W, vertreten durch Dr. Hermann Tscharre, Rechtsanwalt in Innsbruck, Tempelstraße 32, gegen die Bescheide der Schiedskommission beim Bundessozialamt Tirol jeweils vom 3. April 1995, Zlen. OB. 810-045919-003, Sch.Zl. 30/92 und 34/92, betreffend Beschädigtenrente nach dem Kriegsopferversorgungsgesetz (erstangefochtener Bescheid) und Zusatzrente nach dem Kriegsopferversorgungsgesetz (zweitangefochtener Bescheid), zu Recht erkannt:
Spruch
Der erstangefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Die Beschwerde gegen den zweitangefochtenen Bescheid wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der im Jahr 1939 geborene Beschwerdeführer erlitt im Jahr 1948 als Kind infolge eines Handgranatenunfalles schwere Verletzungen. Dafür wurde ihm mit Bescheid des Landesinvalidenamtes vom 7. August 1957 ab 1. April 1957 eine Beschädigtengrundrente nach dem Kriegsopferversorgungsgesetz entsprechend einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in Höhe von 30 % zuerkannt (maßgebend dafür war vor allem die Erblindung des linken Auges).
Mit dem am 7. November 1991 beim zuständigen Landesinvalidenamt eingelangten Schriftsatz vom 10. August 1991 beantragte der Beschwerdeführer eine "Neufeststellung der Versorgungsberechtigung wegen Leidensverschlimmerung" und die Bewilligung einer Zusatzrente zur Grundrente nach § 12 Kriegsopferversorgungsgesetz 1957 (KOVG). Er nahm Bezug auf den Bescheid des Landesinvalidenamtes vom 7. August 1957 und legte seinem Antrag u.a. eine aus dem Jahr 1990 datierte Krankengeschichte sowie vier aus dem Jahr 1990 stammende ärztliche Gutachten bei. Im einzelnen führte der Beschwerdeführer aus, im Bescheid vom 7. August 1957 seien die Erblindung des linken Auges und Sprengkörperverletzungen im Bereich der Lunge, des rechten Mittelfingers und der Beine anerkannt worden. Wegen der inzwischen eingetretenen Leidensverschlimmerung ersuche er um Erteilung eines "Neufeststellungsbescheides", in dem die bereits rechtsverbindlich anerkannten Schädigungsfolgen - wie vom Beschwerdeführer im Antrag näher dargelegt - neu umschrieben und die hiedurch bedingte MdE auf zumindest 70 v.H erhöht werden solle. Außerdem seien in den mehr als vier Jahrzehnten seit der Verletzung weitere - im angefochtenen Bescheid ebenfalls näher bezeichnete - Gesundheitsschädigungen aufgetreten, die als mittelbare Schädigungsfolgen zu berücksichtigen seien. Ferner werde die Entscheidung beantragt, daß die Voraussetzungen nach § 12 KOVG für die Gewährung einer Zusatzrente vorlägen.
Mit Bescheid vom 18. August 1992 gab das Landesinvalidenamt dem Antrag auf Erhöhung der Beschädigtengrundrente dahingehend Folge, daß diese mit Wirksamkeit vom 1. November 1991 entsprechend einer MdE von 60 v.H. erhöht wurde. Zur Begründung wurde ausgeführt, aufgrund der von der Behörde eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachten vom 5. Februar, 25. Februar, 10. April und 22. Mai 1992, die als schlüssig erkannt und in freier Beweiswürdigung dem Bescheid zugrunde gelegt würden, ergebe sich, daß gegenüber dem dem Erstbescheid aus dem Jahr 1957 zugrunde gelegten ärztlichen Befund eine maßgebliche Verschlimmerung eingetreten sei (die neue Richtsatzeinschätzung wird im Bescheid tabellenartig dargestellt). Der durch die Gesamteinschätzung zu erfassende Gesamtleidenszustand infolge des Zusammenwirkens aller gemäß § 4 KOVG zu berücksichtigenden Gesundheitsschädigungen rechtfertige nach § 3 der Richtsatzverordnung die Einschätzung der MdE mit 50 v.H. Die Gesundheitsschädigungen, "Blande Narbe an der Nasenwurzel und li Unterkiefer", "Gonarthrose rechts" und "Chron.Reizzustand der Bindehaut links" seien zur Gänze als Dienstbeschädigungen anzuerkennen, weil sie in einem ursächlichen Zusammenhang mit den bereits anerkannten Gesundheitsschädigungen stünden. Die Gesundheitsschädigungen, "Spondylarthrose", "Mittelgradige Innenohrschwerhörigkeit beiderseits" und "Geringe Myopie rechts sowie Alterssichtigkeit; starke Blepharochalasis" seien auf alters- und anlagebedingte Faktoren zurückzuführen und daher nicht als Dienstbeschädigungen zu werten. Unter Berücksichtigung der berufskundlichen Beurteilung nach § 8 KOVG sei die MdE mit insgesamt 60 v.H. einzuschätzen, womit eine maßgebende Veränderung der MdE vorliege, die eine Neubemessung der Beschädigtengrundrente rechtfertige. Die höhere Rente gebühre ab 1. November 1991, weil die maßgebende Veränderung (Verschlimmerung der Beschädigungsfolgen) im Monat November 1991 geltend gemacht worden sei (§ 52 Abs. 3 Z. 2 KOVG).
Nach einer Erhebung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers erkannte das Landesinvalidenamt dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 29. September 1992 gemäß den §§ 12, 13, 51 Abs. 1 und 52 KOVG mit Wirkung vom 1. November 1991 eine Zusatzrente zur Beschädigtengrundrente zu (die Leistung betrage ab 1. November 1991 S 4.436,-- und ab 1. Jänner 1992 S 4.919,--). In der Begründung des Bescheides werden die einschlägigen Rechtsvorschriften zitiert und die Berechnung des nach § 13 KOVG anrechenbaren Einkommens dargestellt.
In dem gegen den (Grundrenten)Bescheid vom 18. August 1992 eingebrachten Berufungsschriftsatz vom 30. September 1992 verlangte der Beschwerdeführer eine Erhöhung seiner Grundrente auf 90 v.H. Er verweise dazu auf die von ihm (zusammen mit dem Antrag) eingebrachten fachärztlichen Gutachten, in denen bestätigt werde, daß seine Verletzungen bereits seit 1. Juni 1948 (dem Unfalltag) bestünden. Er ersuche die "übersehenen" Verletzungen, Hodenverschiebung rechts mit psychovegetativer Potenzstörung, Reizzustand linkes Auge, teilweise steifer Mittelfinger (nicht schmerzfrei) sowie Knalltrauma durch Explosionsdruck mit beidseitiger Innenohrschwerhörigkeit, neu zu bemessen und die Grundrente auf 90 v.H. zu erhöhen. Da der Bescheid des Landesinvalidenamtes die bisher unrichtig erfolgte Einstufung der am 1. Juni 1948 erlittenen Verletzungen bestätige, ersuche er auch um Nachzahlung des seit damals gebührenden (beim Landesgericht I. eingeklagten) Betrages.
In einer weiteren Berufung vom 12. November 1992 gegen den Bescheid betreffend Zuerkennung der Zusatzrente nach § 12 KOVG machte der Beschwerdeführer geltend, diese Rente stehe ihm bereits seit 1. Juni 1948 zu. Er habe seine Einkommensgrenze nach den §§ 12 und 13 KOVG nicht erreicht und sei bereits "dazumal schon schwerstbehindert" gewesen.
Mit dem erstangefochtenen Bescheid vom 3. April 1995, Sch.Zl. 30/92, gab die belangte Behörde der Berufung betreffend Beschädigtengrundrente insofern teilweise statt, als sie die festgestellten Gesundheitsschädigungen "Kausale Erblindung des linken Auges bei akausaler geringer Myopie und Alterssichtigkeit rechts" sowie "Chronischer Reizzustand der Bindehaut beiderseits" zur Gänze als Dienstbeschädigung anerkannte. Auf die Höhe der Leistung habe dies jedoch keine Auswirkung. Es gebühre weiterhin eine Beschädigtengrundrente entsprechend einer MdE von 60 v.H. Nach Wiedergabe des erstinstanzlichen Bescheides und der Berufung wird in der Begründung des erstangefochtenen Bescheides die Anerkennung der Gesundheitsschädigungen im Bereich der Augen dargestellt und zu den laut Berufung "übersehenen" Verletzungen festgestellt, die Hodenverschiebung rechts mit psychovegetativer Potenzstörung sei von der Behörde erster Instanz weder im Ermittlungsverfahren noch im Bescheid behandelt worden, weshalb diese Angelegenheit zur Entscheidung an die Behörde erster Instanz zurückverwiesen werde. Dasselbe gelte für die im Antrag des Beschwerdeführers vom 7. November 1991 als mittelbare Schädigungsfolgen geltend gemachten Gesundheitsschädigungen, weil auch über diese weder im Ermittlungsverfahren
erster Instanz noch im erstinstanzlichen Bescheid abgesprochen worden sei. Die Gesundheitsschädigung "teilweise steifer Mittelfinger (nicht schmerzfrei)" sei im erstinstanzlichen Bescheid als DB 5 nach Richtsatzposition 90 mit 0 v.H. eingeschätzt worden. Die Gesundheitsschädigung "Knalltrauma durch Explosionsdruck mit beidseitiger Innenohrschwerhörigkeit" sei im Bescheid der Behörde erster Instanz als DB "mittelgradige Innenohrschwerhörigkeit beiderseits" gemäß § 4 KOVG nicht anerkannt worden. Aufgrund der Berufungsausführungen und vor allem des vom Beschwerdeführer vorgelegten Befundes Dris. B. sei ein neuerliches Gutachten vom Sachverständigen Dr. D. eingeholt worden. Dieses Gutachten weiche vom Vorgutachten Dris. H. insofern ab, als festgestellt worden sei, daß die bestehende Polyarthrose im rechten Knie im kausalen Zusammenhang mit der Splitterverletzung stehe. Im Bereich des rechten Kniegelenkes und auch im lateralen Femurcondyl sei ein Splitter von 6 mm Größe sichtbar. Gemäß § 7 KOVG ergebe sich somit folgende Richtsatzeinschätzung:
"Lfd. Bezeichnung der GS Ripos. Gesamtlei- Kausal MdE
Nr. denszu- anteil v.H.
stand MdE
1. Zahlreiche blande Narben
im Bereiche der oberen und
unteren Extremitäten
und Stamm mit reaktions- 702 0 v.H. 1/1 0
los eingeheilten Steck- Tab. li. Zeile 1
splittern" 205 0 v.H. 1/1 0
2. "Blande Narbe an der
Nasenwurzel und li. 702 10 v.H. 1/1 10
Unterkiefer" Tab.re.Zeile 1 plus NS
3. "Stecksplitter im rechten
Knie mit radiologisch
sichtbarer Arthrose" 418 20 v.H. 1/1 20
4. "25 S-große, stark
druckschmerzhafte Narbe
im Bereiche des re.
Unterschenkels" 702 10 v.H. 1/1 10
5. "Geringe Bewegungsein-
schränkung re. Mittel-
finger" 90 0 v.H. 1/1 0
6. "Kausale Erblindung des
linken Auges bei akau-
saler geringer Myopie
und Alterssichtigkeit
rechts" 637 30 v.H. 1/1 30
7. "Chron.Reizzustand der
Bindehaut beiderseits" 613 5 v.H. 1/1 5
8. "Kleiner, reaktionsloser
Splitter, eingebettet in
der linken Pectoralis-
muskulatur ohne Gewebs-
reaktion 298 0 v.H. 1/1 0
Begründung der Richtsatzeinschätzung
Zu DB 3.
Unterer Rahmensatz der Ripos. 418 dem Ausmaß der Arthrose
entsprechend
zu DB 6.
Für die Beurteilung der MdE nach Ripos. 637 ist jene Sehschärfe maßgebend, die nach zumutbarer Korrektur eines etwaigen Refraktionsfehlers konstant erreicht werden kann.
Laut Stellungnahme der leitenden Ärztin des Bundessozialamtes Tirol vom 16.12.1993 erfolgt die Einschätzung mit 30 v.H."
Der durch die Gesamteinschätzung zu erfassende Gesamtleidenszustand - so die weitere Begründung im erstangefochtenen Bescheid - infolge des Zusammenwirkens aller gemäß § 4 KOVG zu berücksichtigenden Gesundheitsschädigungen rechtfertige nach § 3 der Richtsatzverordnung die Einschätzung der MdE mit 50 v.H. Nach "eingehender Prüfung und Beratung" habe sich die belangte Behörde der medizinischen Beweisführung vollinhaltlich anschließen können. Von einer berufskundlichen Einschätzung nach § 8 KOVG habe Abstand genommen werden können, weil sich medizinisch keine Änderung der MdE ergeben habe. Die MdE nach § 8 leg. cit. bleibe somit bei 60 v.H. Zur beantragten Nachzahlung wurde im erstangefochtenen Bescheid abschließend festgestellt, daß gemäß § 52 Abs. 2 KOVG die Erhöhung einer Beschädigtenrente wegen Verminderung des Grades der Erwerbsfähigkeit mit Beginn des Monats wirksam werde, in dem die maßgebende Veränderung geltend gemacht oder von Amts wegen ärztlich festgestellt worden sei. Mit der Eingabe vom 7. November 1991 habe der Beschwerdeführer erstmals eine Neufeststellung wegen Leidensverschlimmerung der mit Bescheid vom 7. August 1957 zuerkannten Beschädigtenrente beantragt. Eine Nachzahlung für den Zeitraum vor November 1991 sei aufgrund der Bestimmungen des § 52 KOVG nicht möglich.
Mit dem zweitangefochtenen Bescheid, Sch.Zl. 34/92, vom 3. April 1995 gab die belangte Behörde der Berufung betreffend Nachzahlung der Zusatzrente keine Folge. In der Begründung wird ausgeführt, gemäß § 9 Abs. 2 KOVG seien Beschädigte mit einer MdE von 50 v.H. oder darüber Schwerbeschädigte.
Schwerbeschädigte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, erhielten zur Sicherung ihrer Lebenshaltung zur Grundrente eine Zusatzrente, wenn sie kein Einkommen hätten, das die Gewährung einer Zusatzrente ausschließe (§ 12 Abs. 1 KOVG). Der Zeitpunkt des Anfalles der Leistung bestimme sich nach § 51 Abs. 1 KOVG, wonach die Leistung mit dem Monat fällig werde, in dem die Voraussetzungen erfüllt seien. Mit Bescheid des Landesinvalidenamtes vom 18. August 1992 sei die Beschädigtengrundrente des Beschwerdeführers mit Wirksamkeit ab 1. November 1991 auf eine solche entsprechend einer MdE von 60 v.H. erhöht worden. Der Beschwerdeführer erfülle somit die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Zusatzrente ab 1. November 1991, weil er erst ab diesem Zeitpunkt als Schwerbeschädigter nach dem KOVG gelte.
In den Beschwerden werden Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in der Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die wegen ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen
Beratung und Entscheidung verbundenen Beschwerden erwogen:
Zum erstangefochtenen Bescheid:
Im Beschwerdepunkt wird vom Beschwerdeführer geltend gemacht, er sei in seinem gesetzlich gewährleisteten Recht auf richtige Einstufung der MdE aufgrund der Dienstbeschädigungen und Gesundheitsschädigungen gemäß den Bestimmungen des KOVG verletzt. Betreffend Überprüfung und Einstufung hinsichtlich der von ihm geltend gemachten beiderseitigen Innenohrschwerhörigkeit, entstanden durch Knalltrauma des Explosionsdruckes, sei der Beschwerdeführer auch in seinem Recht auf Durchführung eines ordnungsgemäßen Verfahrens verletzt. Dazu wird in der Beschwerde im einzelnen ausgeführt, im erstangefochtenen Bescheid würden gegenüber dem Verfahren erster Instanz als weitere Dienstbeschädigungen die "kausale Erblindung des linken Auges bei akausaler geringer Myopie und Alterssichtigkeit rechts" sowie der "Chronische Reizzustand der Bindehaut beiderseits" anerkannt, ohne daß ausgesprochen werde, daß sich dadurch die MdE, die in erster Instanz mit 60 v.H. bemessen worden sei, erhöhe. Diese Ansicht teile der Beschwerdeführer nicht, weil sich erhebliche Gesundheitsschädigungen auch in einer entsprechenden Erhöhung der MdE auswirken müßten, und zwar um mindestens 5 v.H. Auch werde im erstangefochtenen Bescheid die Einschätzung erster Instanz übernommen, in der der teilweise steife Mittelfinger (nicht schmerzfrei) mit einer MdE von 0 v.H. eingeschätzt worden sei. Auch diese Einschätzung sei unzutreffend, es hätte vielmehr in diesem Zusammenhang eine MdE von 5 v.H. festgestellt werden müssen. Zur weiters geltend gemachten Dienstbeschädigung der beiderseitigen Innenohrschwerhörigkeit gebe der erstangefochtene Bescheid lediglich die Rechtsansicht erster Instanz wieder, ohne sich aber inhaltlich mit dem Berufungsvorbringen auseinanderzusetzen (richtigerweise hätte diesbezüglich mindestens eine MdE von 20 v.H. anerkannt werden müssen). Die belangte Behörde stelle zwar in Form einer Sachverhaltsdarstellung fest, daß die erste Instanz hier eine Dienstbeschädigung verneint habe, diese Rechtsansicht werde aber im Rahmen des Berufungsverfahrens keiner Überprüfung und auch keiner - vom Beschwerdeführer beantragten - Korrektur unterzogen; jeder diesbezügliche Hinweis im angefochtenen Bescheid fehle.
Die Beschwerde gegen den erstangefochtenen Bescheid ist berechtigt:
Gemäß § 7 Abs. 1 KOVG hat der Beschädigte Anspruch auf Beschädigtenrente, wenn und insolange seine Erwerbsfähigkeit infolge Dienstbeschädigung um mindestens 25 v.H. vermindert ist. Unter MdE im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die durch die Dienstbeschädigung bewirkte körperliche Beeinträchtigung im Hinblick auf das allgemeine Erwerbsleben zu verstehen. Nach dem Abs. 2 der genannten Gesetzesstelle ist die MdE im Sinne des Abs. 1 nach Richtsätzen einzuschätzen, die den wissenschaftlichen Erfahrungen entsprechen.
Gemäß § 2 Abs. 1 zweiter Satz der Verordnung des Bundesministers für Soziale Verwaltung vom 9. Juni 1965, BGBl. Nr. 150, über die Richtsätze für die Einschätzung der MdE nach den Vorschriften des KOVG hat sich die Festsetzung des Grades der MdE innerhalb eines Rahmensatzes nach der Schwere des Leidenszustandes zu richten, für den der Rahmensatz aufgestellt ist. Das Ergebnis einer Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist im Bescheid über den Anspruch auf Beschädigtenrente jedenfalls auch in medizinischer Hinsicht zu begründen. Treffen mehrere Leiden zusammen, dann ist nach § 3 der genannten Verordnung bei der Einschätzung der MdE zunächst von der Gesundheitsschädigung auszugehen, die die höchste MdE verursacht. Sodann ist zu prüfen, ob und inwieweit der durch die Gesamteinschätzung zu erfassende Gesamtleidenszustand infolge des Zusammenwirkens aller gemäß § 4 KOVG zu berücksichtigenden Gesundheitsschädigungen eine höhere Einschätzung der MdE rechtfertigt. Gegenstand der Gesamteinschätzung ist die durch das Zusammenwirken mehrerer - wenn auch voneinander unabhängiger - Dienstbeschädigungen bewirkte Beeinträchtigung der gesamten körperlichen und seelischen Beschaffenheit des Geschädigten in Hinsicht auf das allgemeine Erwerbsleben (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. Dezember 1990, 90/09/0082). Die Gesamtbeurteilung zweier oder mehrerer Dienstbeschädigungen hat dabei nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht im Wege einer bloßen Addition, sondern nach den Grundsätzen des § 3 der Richtsatzverordnung zum KOVG zu erfolgen; sie unterliegt der fachlichen Beurteilung des ärztlichen Sachverständigen, der sie ausreichend zu begründen hat. In der Begründung ist auszuführen, von welcher Dienstbeschädigung er bei der Einschätzung der MdE ausgegangen ist und warum sich durch das Zusammenwirken aller Dienstbeschädigungen nicht eine höhere Gesamteinschätzung ergibt. Die Gesamteinschätzung vollzieht die Verwaltungsbehörde unter Bedachtnahme auf den durchgeführten Sachverständigenbeweis, den sie im Rahmen der ihr zustehenden freien Beweiswürdigung zu beurteilen hat (vgl. dazu die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Mai 1955, Slg. Nr. 3.749/A, und beispielsweise vom 14. Jänner 1992, 91/09/0217).
Nach der Anordnung des § 58 Abs. 2 AVG sind Bescheide zu begründen, wenn dem Standpunkt der Partei nicht vollinhaltlich Rechnung getragen wird. In der Begründung sind gemäß § 60 AVG die Erkenntnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen.
Zu Recht weist die Beschwerde darauf hin, daß der erstangefochtene Bescheid überhaupt keine inhaltliche Auseinandersetzung betreffend die Nichtanerkennung der geltend gemachten Schwerhörigkeit als Dienstbeschädigung enthält. Der belangten Behörde ist somit insoweit eine wesentliche Begründungslücke unterlaufen. Nicht nachvollziehbar und überprüfbar ist im erstangefochtenen Bescheid (ebenso wie im Bescheid erster Instanz) auch die Einschätzung der MdE mit 0 v.H. für die Dienstbeschädigung des teilweise steifen Mittelfingers. Dasselbe gilt für die Gesamteinschätzung der MdE nach § 7 KOVG in Höhe von 50 v.H., wobei hier auch in keiner Weise dargelegt wird, warum sich die belangte Behörde nach "eingehender Prüfung und Beratung" der - ebenfalls nicht näher dargestellten - medizinischen Beweisführung "vollinhaltlich" anschließen konnte.
Damit ist der erstangefochtene Bescheid insgesamt mit wesentlichen Verfahrensmängeln belastet, sodaß er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben war. Wenn die belangte Behörde den Versuch unternimmt, Begründungsteile in der Gegenschrift nachzubringen, so ist sie auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach selbst ausführliche Darlegungen in der Gegenschrift fehlende Erörterungen und Feststellungen im angefochtenen Bescheid nicht zu ersetzen vermögen (vgl. beispielsweise das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. März 1992, 91/09/0007).
Zum zweitangefochtenen Bescheid:
Gemäß § 10 KOVG wird die Beschädigtenrente als Grundrente
und als Zusatzrente geleistet.
Nach § 12 Abs. 1 KOVG erhalten Schwerbeschädigte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, zur Sicherung ihrer Lebenshaltung zur Grundrente eine Zusatzrente, wenn sie kein Einkommen haben, das nach Abs. 2 leg. cit. die Gewährung einer Zusatzrente ausschließt.
Schwerbeschädigte heißen nach § 9 Abs. 2 KOVG Beschädigte mit einer MdE von 50 v.H. oder darüber.
Nach § 51 Abs. 1 dritter Satz KOVG werden Zusatzrenten (§ 12), die Zulagen gemäß §§ 16 bis 20 sowie das Kleider- und Wäschepauschale (§ 20a) mit dem Monat fällig, in dem die Voraussetzungen für die Zuerkennung erfüllt sind, frühestens jedoch mit dem dritten Monat vor der Geltendmachung des Anspruches.
In der Beschwerde gegen den zweitangefochtenen Bescheid erachtet sich der Beschwerdeführer in seinem Recht auf richtige Einstufung eines Schwerbeschädigten nach dem KOVG und auf Zuerkennung und Zahlung einer Zusatzrente zur Beschädigtengrundrente verletzt. Die Zusatzrente stehe bereits seit dem Unfalltag, zumindest aber ab dem Zeitpunkt der ersten bescheidmäßigen Festsetzung der Beschädigtenrente, also ab 1. April 1957, zu. Die Dienstbeschädigungen hätten "in ordnungsgemäßer rechtlicher Würdigung" bereits damals einer MdE von 60 v.H. entsprochen.
Mit diesem Vorbringen übersieht der Beschwerdeführer, daß im Verfahren betreffend Zuerkennung einer Zusatzrente nach § 12 Abs. 1 KOVG die Schwerbeschädigteneigenschaft selbst nicht Beurteilungsgegenstand ist, sondern dafür nach § 9 Abs. 2 KOVG ausschließlich die im Grundrentenverfahren festgestellte MdE maßgebend ist (vgl. dazu auch die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Dezember 1959, 377/58, vom 9. Oktober 1959, 1444/57, und vom 9. Juni 1961, 1486/59). Da der Beschwerdeführer die Schwerbeschädigteneigenschaft durch Erhöhung der Grundrente auf eine einer MdE von 60 v.H. (bisher 30 v.H.) entsprechende Höhe erst mit Wirksamkeit vom 1. November 1991 (aufgrund des Bescheides des Landesinvalidenamtes vom 18. August 1992) erlangt hatte, hat die belangte Behörde zutreffend die Zusatzrente gemäß § 51 Abs. 1 KOVG erst mit Wirkung ab November 1991 zuerkannt. Die Beschwerde gegen den zweitangefochtenen Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidungen stützen sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
Leidenszustand Maßgebende Veränderung Anspruch auf Einschätzung nach KOVG §7European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1995090232.X00Im RIS seit
03.04.2001