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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AsylG 2005 §3Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, in der Revisionssache des A B in C, vertreten durch Rast & Musliu Rechtsanwälte in 1080 Wien, Alser Straße 23/14, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Juni 2020, W195 2221597-1/15E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Bangladesch, stellte am 25. April 2019 einen Antrag auf internationalen Schutz. Er brachte vor, in den Jahren 2009 und 2010 Mitglied der Bangladesh National Party (BNP) gewesen zu sein. Er sei im Jahr 2011 zum Studium nach Österreich gekommen und habe über ein Studentenvisum verfügt. Nach dem Tod seines Vaters im Jahr 2017 sei er nach Bangladesch zurückgekehrt. Anhänger der Awami League hätten aus Rache, und um sich den Transporthandel seines Vaters zu bemächtigen, gegen den Revisionswerber eine Strafanzeige erstattet.
2 Mit Bescheid vom 17. Juni 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers ab (Spruchpunkte I und II), erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV) und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Bangladesch zulässig sei (Spruchpunkt V). Unter einem erkannte es einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt VI) und gewährte keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VII).
3 Der Revisionswerber erhob Beschwerde gegen diesen Bescheid. Mit Teilerkenntnis vom 30. Juli 2019 behob das Bundesverwaltungsgericht die Spruchpunkte VI und VII ersatzlos und stellte fest, dass der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zukomme.
4 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde gegen den Bescheid vom 17. Juni 2019 als unbegründet ab und erklärte eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit zunächst vor, das Bundesverwaltungsgericht habe dem durchgehend gleichgebliebenen und detaillierten Vorbringen des Revisionswerbers zu seiner politischen Tätigkeit sowie der politisch motivierten Anzeigen gegen ihn keine Beachtung geschenkt. Es sei von deren Unglaubwürdigkeit ausgegangen, obwohl eine Recherche vor Ort durch einen Vertrauensanwalt möglich und zumutbar gewesen wäre.
9 Insofern sich die Revision gegen die Beweiswürdigung wendet, ist auf die ständige Rechtsprechung zu verweisen, wonach der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz tätig und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen ist. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Die Beweiswürdigung ist damit nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorganges (nicht aber die konkrete Richtigkeit) handelt bzw. darum, ob die Beweisergebnisse, die in diesem Denkvorgang gewürdigt wurden, in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden sind (vgl. VwGH 8.7.2020, Ra 2019/14/0379 und 0380, mwN).
10 Das Bundesverwaltungsgericht setzte sich nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem Vorbringen des Revisionswerbers zu den Gründen seiner Flucht auseinander und stufte die vorgebrachte Verfolgung aufgrund seiner politischen Gesinnung anhand näher dargelegter, nicht als unschlüssig anzusehender Überlegungen als unglaubwürdig ein. Der Revision gelingt es nicht aufzuzeigen, dass das Bundesverwaltungsgericht diese Beurteilung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte.
11 Wenn in der Revision das Unterbleiben weiterer Ermittlungen und einer Recherche vor Ort gerügt wird, ist darauf hinzuweisen, dass die Frage, ob amtswegige Erhebungen erforderlich sind, regelmäßig keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung darstellt, weil es sich dabei um eine einzelfallbezogene Beurteilung handelt. Solchen Fragen kann nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn tragende Grundsätze des Verfahrensrechtes auf dem Spiel stehen (vgl. dazu VwGH 26.2.2020, Ra 2020/20/0051, mwN). Derartiges legt der Revisionswerber mit seinem bloß unsubstantiierten - auch die Relevanz der behaupteten Verfahrensfehler nicht dartuenden - Vorbringen nicht dar. Überdies besteht ein allgemeines Recht auf eine fallbezogene Überprüfung des Vorbringens des Asylwerbers durch Recherche im Herkunftsstaat nicht (vgl. wiederum VwGH 26.2.2020, Ra 2020/20/0051, mwN). Im Übrigen setzt die Revision auch der Annahme des Bundesverwaltungsgerichts im Zusammenhang mit den ins Treffen geführten Strafanzeigen gegen den Revisionswerber nichts entgegen, wonach „auch wenn gemäß den Länderfeststellungen das Justizsystem Bangladeschs nicht mit mitteleuropäischen Standards vergleichbar ist, Gerichte angerufen werden“ könnten.
12 Weiters bringt die Revision zu ihrer Zulässigkeit vor, das Bundesverwaltungsgericht habe bei der Erlassung der Rückkehrentscheidung nicht berücksichtigt, dass sich der Revisionswerber nahezu seit zehn Jahren durchgehend im Bundesgebiet befinde. Ausgehend von näher dargelegten Integrationsbemühungen könne nicht gesagt werden, dass der Revisionswerber die in Österreich verbrachte Zeit nicht genutzt habe, um sich zu integrieren.
13 Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden. Die durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK ist im Allgemeinen, wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wird, nicht revisibel (vgl. VwGH 6.2.2020, Ra 2020/14/0025, mwN).
14 Es trifft zu, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen ist. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (vgl. etwa VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0405, mwN). Diese zu mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalten entwickelte Judikatur wurde vom Verwaltungsgerichtshof - bei stärkerem Integrationserfolg - auch auf Fälle übertragen, in denen die Aufenthaltsdauer knapp unter zehn Jahren lag (vgl. VwGH 10.9.2018, Ra 2018/19/0169, mwN).
15 Der Revisionswerber lässt im Zusammenhang mit einer behaupteten nahezu zehnjährigen Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet allerdings den nach den unbestrittenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts zwischenzeitig erfolgten Aufenthalt des Revisionswerbers in seinem Herkunftsstaat außer Acht. Die Revision vermag nicht darzulegen, dass das Bundesverwaltungsgericht bei seinen im Rahmen der Interessenabwägung vorgenommenen Erwägungen die in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien nicht beachtet oder in unvertretbarer Weise zur Anwendung gebracht hätte.
16 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 3. September 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020140385.L00Im RIS seit
12.10.2020Zuletzt aktualisiert am
12.10.2020