Index
23/01 InsolvenzordnungNorm
EStG 1988 §22 Z1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Strohmayer, die Hofrätin Dr. Julcher sowie die Hofräte Mag. Stickler, Mag. Tolar und Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Klima, LL.M., über die Revision der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, nunmehr Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen, vertreten durch Dr. Eva-Maria Bachmann-Lang, Dr. Christian Bachmann, Mag. Georg Mitteregger, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Opernring 8, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. März 2019, L511 2005621-2/2E, betreffend Beitragsnachverrechnung nach dem GSVG (mitbeteiligte Partei: DI M L in R), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird im angefochtenen Umfang, somit in seinem Spruchpunkt A II. (Behebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGG hinsichtlich der Vorschreibung von Beiträgen, Beitragszuschlägen, Verzugszinsen und Nebengebühren zur Zahlung), wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Über das Vermögen des Mitbeteiligten wurde am 6. Juli 2011 ein Schuldenregulierungsverfahren eröffnet. Mit Beschluss vom 27. September 2011 (rechtskräftig am 28. Oktober 2011) wurde das Verfahren durch Bestätigung des am 7. September 2011 angenommenen Zahlungsplans mit einer Zahlungsplanquote von 0,88% beendet.
2 Mit (rechtskräftigem) Bescheid vom 2. Juli 2013 stellte die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA) fest, dass der Mitbeteiligte in den Jahren 2010 und 2011 der Pflichtversicherung nach § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG in der Krankenversicherung und in der Pensionsversicherung unterlegen sei.
3 Mit Bescheid vom 3. Juli 2013 setzte die SVA die Höhe der monatlichen Beiträge auf Grund der Pflichtversicherung des Mitbeteiligten nach § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG für die Jahre 2010 und 2011 fest (Spruchpunkt I.) und sprach aus, dass der Mitbeteiligte verpflichtet sei, aushaftende Beiträge zur Sozialversicherung für die Jahre 2010 und 2011 in Höhe von € 6.314,40 sowie einen Beitragszuschlag von € 333,36 für das Jahr 2010, einen Beitragszuschlag von € 210,36 für das Jahr 2011, Verzugszinsen und Nebengebühren von € 316,13 und für die weitere Dauer des Zahlungsverzuges ab 20. April 2013 weitere anfallende Verzugszinsen binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen (Spruchpunkt II.).
4 Zu Spruchpunkt II. führte die SVA aus, der gegen die Zahlungsverpflichtung vom Mitbeteiligten erhobene Einwand, es stünde eine Befriedigung der Forderungen nur nach Maßgabe der Zahlungsplanquote zu, sei nicht berechtigt. Es lägen keine Insolvenzforderungen vor, weil eine Feststellung der Beiträge erst nach Ende des Schuldenregulierungsverfahrens möglich gewesen sei. Selbst wenn man vom Vorliegen von Insolvenzforderungen ausgehe, so könne dies nichts ändern. Der Mitbeteiligte habe es nämlich unterlassen, eine Meldung über das Bestehen der Pflichtversicherung in den Jahren 2010 und 2011 zu erstatten, sodass der Tatbestand nach § 156 Abs. 4 IO erfüllt sei und jedenfalls der volle Betrag gefordert werden könne.
5 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des Mitbeteiligten gegen den Spruchpunkt I. des Bescheides der SVA vom 3. Juli 2013 ab (Spruchpunkt A I.). Hinsichtlich des Spruchpunktes II. gab es der Beschwerde Folge und sprach aus, dass der Bescheid insofern behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an die SVA zurückverwiesen werde (Spruchpunkt A II.). Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig (Spruchpunkt B).
6 Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, der Mitbeteiligte sei in den Jahren 2010 und 2011 selbstständig erwerbstätig gewesen. Er habe keine Versicherungserklärung nach § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG abgegeben. Mit rechtskräftigem Einkommensteuerbescheid vom 16. Dezember 2011 seien für das Jahr 2010 Einkünfte des Mitbeteiligten aus Gewerbebetrieb in der Höhe von € 15.000,-- und mit rechtskräftigem Einkommensteuerbescheid vom 11. Jänner 2013 für das Jahr 2011 Einkünfte des Mitbeteiligten aus Gewerbebetrieb in der Höhe von € 9.000,-- sowie Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit von € 5.682,21 festgestellt worden. Im Wege des Datenaustausches nach § 229a GSVG sei der SVA der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2010 am 14. Februar 2012 und der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2011 am 12. März 2013 übermittelt worden.
7 In rechtlicher Hinsicht ergebe sich, dass es sich bei den im angefochtenen Bescheid festgestellten Beitragsforderungen der SVA um Insolvenzforderungen im Sinn des § 51 IO handle, weil der die Abgabepflicht auslösende Sachverhalt bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingetreten sei. Eine Anmeldung der Forderungen im Insolvenzverfahren des Mitbeteiligten sei unterblieben. Daher stehe der SVA nunmehr gemäß § 197 Abs. 1 IO eine quotenmäßige Befriedigung ihrer Forderungen nur insoweit zu, als dies der Einkommens- und Vermögenslage des Schuldners entspreche. § 156 Abs. 4 IO komme nicht zur Anwendung. Diese Bestimmung setze nämlich voraus, dass die Berücksichtigung einer Forderung im Sanierungsplan nur aus dem Verschulden des Schuldners unterblieben sei. Dem Mitbeteiligten sei zwar insoweit ein Meldeverstoß vorzuwerfen, als er die SVA nicht von der Erlassung der Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2010 und 2011 informiert habe. Da die Einkommensteuerbescheide aber erst nach Abschluss des Schuldenregulierungsverfahrens ergangen seien, sei dieser Meldeverstoß nicht ursächlich für die Nichtberücksichtigung der Forderungen der SVA im Schuldenregulierungsverfahren gewesen. Hinsichtlich der zu zahlenden Quote bedürfe es einer Klärung, ob im Sinn des § 197 IO eine quotenmäßige Befriedigung der Einkommens- und Vermögenslage des Mitbeteiligten entspreche, sodass mit Aufhebung und Zurückverweisung der Rechtssache nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorzugehen sei.
8 Gegen den Spruchpunkt A II. dieses Erkenntnisses richtet sich die außerordentliche Revision der SVA. Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erwogen:
9 Die SVA macht zur Zulässigkeit und Begründung ihrer Revision im Wesentlichen geltend, das Bundesverwaltungsgericht habe sich nicht ausreichend mit der Erfüllung des Tatbestandes nach § 156 Abs. 4 IO auseinandergesetzt. Dem Mitbeteiligten sei ein Überschreiten der Versicherungsgrenze in Hinblick auf die Höhe der in den Jahren 2010 und 2011 erzielten Einkünfte aus Gewerbebetrieb jedenfalls erkennbar gewesen. Es treffe ihn daher im Sinn des § 18 GSVG ein Verschulden an der nicht rechtzeitigen Erstattung einer Meldung. Dagegen sei der SVA die selbständige Erwerbstätigkeit des Mitbeteiligten vor Abschluss des Schuldenregulierungsverfahrens nicht bekannt gewesen, sodass ihr kein Vorwurf an der Unterlassung einer Anmeldung der Forderungen im Insolvenzverfahren gemacht werden könne.
10 Die Revision ist zulässig und berechtigt.
11 Nach § 156 Abs. 1 IO wird der Schuldner durch den rechtskräftig bestätigten Sanierungsplan von der Verbindlichkeit befreit, seinen Gläubigern den Ausfall, den sie erleiden, nachträglich zu ersetzen oder für die sonst gewährte Begünstigung nachträglich aufzukommen, gleichviel ob sie am Insolvenzverfahren oder an der Abstimmung über den Sanierungsplan teilgenommen oder gegen den Sanierungsplan gestimmt haben oder ob ihnen ein Stimmrecht überhaupt nicht gewährt worden ist. § 156 Abs. 4 IO legt fest, dass Gläubiger, deren Forderungen nur aus Verschulden des Schuldners im Sanierungsplan unberücksichtigt geblieben sind, nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens die Bezahlung ihrer Forderungen im vollen Betrag vom Schuldner verlangen können.
12 Nach § 193 Abs. 1 IO gelten für den Zahlungsplan, soweit nichts anderes angeordnet ist, die Bestimmungen über den Sanierungsplan. Gemäß § 197 Abs. 1 IO haben Insolvenzgläubiger, die ihre Forderungen bei Abstimmung über den Zahlungsplan nicht angemeldet haben, Anspruch auf die nach dem Zahlungsplan zu zahlende Quote nur insoweit, als diese der Einkommens- und Vermögenslage des Schuldners entspricht. § 156 Abs. 4 IO bleibt unberührt.
13 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs wird das Recht bzw. die Pflicht der Abgabenbehörde, Abgabenansprüche im Abgabenfestsetzungsverfahren bescheidmäßig geltend zu machen, durch ein Insolvenzverfahren nicht berührt. Erst im Abgabeneinhebungsverfahren ist daher etwa dem Umstand Rechnung zu tragen, dass ein Schuldner gemäß § 156 Abs. 1 IO durch einen rechtskräftig bestätigten Sanierungsplan (früher: Ausgleich) bzw. Zahlungsplan von der Verbindlichkeit befreit wird, seinen Gläubigern den Ausfall, den sie erleiden, nachträglich zu ersetzen oder für die sonst gewährte Begünstigung nachträglich aufzukommen, gleichviel ob sie am Insolvenzverfahren oder an der Abstimmung über den Sanierungsplan teilgenommen oder gegen den Sanierungsplan gestimmt haben oder ob ihnen ein Stimmrecht überhaupt nicht gewährt worden ist (vgl. VwGH 7.2.1990, 89/13/0085; 24.10.2001, 2001/17/0130; 26.3.2015, 2013/17/0763).
14 Gleiches hat auch hinsichtlich der Beiträge nach dem GSVG Geltung. Die Bestätigung eines Zahlungsplans hat auf die Festsetzung der Beiträge keine Auswirkungen. Anderes gilt allerdings für das Verfahren zur Eintreibung der Beiträge (vgl. § 37 GSVG); dazu zählt die Ausfertigung eines Rückstandsausweises (§ 37 Abs. 2 GSVG) bzw. die Erlassung eines Leistungsbefehls mit Bescheid, mit dem rückständige Beiträge unmittelbar zur Zahlung vorgeschrieben werden. In einem solchen Verfahren ist daher zu berücksichtigen, ob der Beitragsschuldner von seiner Verpflichtung gegenüber dem Sozialversicherungsträger durch einen rechtskräftig bestätigten Sanierungsplan bzw. Zahlungsplan nach Maßgabe der genannten Bestimmungen befreit worden ist (vgl. VwGH 11.12.2013, 2012/08/0288; 6.6.2012, 2009/08/0011). Dies trifft auch im vorliegenden Fall zu, in dem - anknüpfend an die nicht mehr verfahrensgegenständliche Feststellung der Pflichtversicherung nach dem GSVG und die Festsetzung der Höhe der monatlichen Beiträge - dem Mitbeteiligten Beiträge samt Beitragszuschlägen, Verzugszinsen und Nebengebühren durch Erlassung eines Leistungsbefehls zur Zahlung vorgeschrieben worden sind.
15 § 156 Abs. 4 IO setzt voraus, dass die Nichtberücksichtigung ausschließlich durch ein zumindest fahrlässiges Verhalten des Schuldners verursacht wurde. Bereits leichtes Mitverschulden des Gläubigers schließt die Anwendung aus (vgl. nochmals VwGH 2009/08/0011, mwN; RIS-Justiz RS0052293). Von Sozialversicherungsträgern ist zwar eine Organisation zu verlangen, die eine zuverlässige und rasche Information über die Konkurseröffnung von Beitragsschuldnern gewährleistet. Meldet aber ein Sozialversicherungsträger als Gläubiger seine Forderung im Insolvenzverfahren deshalb nicht an, weil er (ohne sein Verschulden) über die Existenz der Forderung nicht Bescheid weiß, und ist diese Unkenntnis auf ein zumindest fahrlässiges Verhalten des Schuldners zurückzuführen, so liegt ein Fall des § 156 Abs. 4 IO vor und kann der Sozialversicherungsträger daher nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens die Bezahlung der Beitragsforderungen im vollen Betrag vom Schuldner verlangen (vgl. VwGH 4.9.2013, 2013/08/0138, mwN).
16 Der Sozialversicherungsträger ist, wenn er - etwa aufgrund der Kenntnis über das Bestehen einer Pflichtversicherung aufgrund einer selbständigen Erwerbstätigkeit in den Vorjahren - damit rechnen muss, dass ein Insolvenzschuldner nach Vorliegen eines Einkommensteuerbescheides in die Pflichtversicherung einzubeziehen sein wird, gehalten, seine bedingte Beitragsforderung in ungewisser Höhe im Sinn des § 16 IO im Sanierungsplan bzw. Zahlungsplan berücksichtigen zu lassen (vgl. VwGH 9.9.2015, Ra 2015/08/0034; sowie nochmals VwGH 2012/08/0288). Im vorliegenden Fall hat das Bundesverwaltungsgericht nicht festgestellt, dass der SVA die selbstständige Erwerbstätigkeit des Mitbeteiligten bekannt gewesen wäre bzw. sie aus anderen Gründen damit hätte rechnen müssen, dass der Mitbeteiligte in den Jahren 2010 und 2011 in die Pflichtversicherung nach dem GSVG einzubeziehen sein werde. Davon ausgehend kann der SVA ein Verschulden an der unterbliebenen Anmeldung der Forderung im Insolvenzverfahren des Mitbeteiligten nicht vorgeworfen werden. Das hat auch das Bundesverwaltungsgericht erkannt. Es ist jedoch davon ausgegangen, dass auch dem Mitbeteiligten kein schuldhaftes - somit zumindest fahrlässiges - Verhalten zur Last liege, das ursächlich für das Unterbleiben der Anmeldung einer (bedingten) Beitragsforderung der SVA gewesen sei. Die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2010 und 2011 seien nämlich erst nach Bestätigung des Zahlungsplans erlassen worden. Diese Überlegungen greifen - worauf die Revision zutreffend hinweist - aber zu kurz.
17 Das System der Pflichtversicherung gemäß § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG ist durch die Besonderheit gekennzeichnet, dass der Versicherte entweder „ex ante“ eine Erklärung abgibt, dass die maßgebliche Versicherungsgrenze im Beitragsjahr überschritten wird (vgl. zur Dauer der damit eintretenden Pflichtversicherung § 7 Abs. 4 GSVG), oder dass er - bei Fehlen einer solchen Erklärung - erst im Nachhinein und nach Maßgabe des jeweiligen steuerlichen Ergebnisses der Erwerbstätigkeit in die Pflichtversicherung einbezogen wird. Die Versicherungserklärung hat sich ausdrücklich, wie sich aus dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG ergibt, auf die jeweiligen Einkünfte „im Kalenderjahr“ zu beziehen, die die jeweilige Versicherungsgrenze dieses Kalenderjahres nach der Erklärung „übersteigen werden“. Wenn und solange weder eine Versicherungserklärung im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG noch ein Einkommensteuerbescheid für das betreffende Jahr vorliegt, kann vom Versicherungsträger über die Pflichtversicherung in diesem Jahr nicht abgesprochen werden. Bei Versicherten nach § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG, die keine Versicherungserklärung abgegeben haben und weiterhin keine abgeben, ist daher das Vorliegen des rechtskräftigen Einkommensteuerbescheides Voraussetzung dafür, dass die Pflichtversicherung festgestellt wird, sodass davor keine Beitragsvorschreibung in Betracht kommt (vgl. zum Ganzen nochmals VwGH Ra 2015/08/0034, mwN).
18 Daraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass den Mitbeteiligten vor Vorliegen der Einkommenssteuerbescheide keine Verpflichtung zur Erstattung einer Meldung an die SVA getroffen hätte. Zu beachten ist nämlich, dass gemäß § 18 Abs. 1 erster Satz GSVG die nach diesem Bundesgesetz Pflichtversicherten den Eintritt der Voraussetzungen für den Beginn und das Ende der Pflichtversicherung binnen einem Monat nach deren Eintritt dem Versicherungsträger zu melden haben.
19 In Hinblick auf § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG sind die Voraussetzungen für den Beginn der Pflichtversicherung im Sinn des § 18 Abs. 1 erster Satz GSVG, dass eine Erwerbstätigkeit, aus der Einkünfte nach §§ 22 Z 1 bis 3 und 5 und (oder) 23 EStG 1988 erzielt werden, im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG tatsächlich ausgeübt wird, dass durch diese Tätigkeit nicht nach anderen bundesgesetzlichen Bestimmungen eine Pflichtversicherung eingetreten ist und dass in den Fällen, in denen nicht „ex ante“ eine Versicherungserklärung abgegeben worden ist, die maßgebliche Versicherungsgrenze im Beitragsjahr überschritten wird. Der Beginn des Laufs der Frist nach § 18 GSVG setzt zumindest die objektive Erkennbarkeit des Vorliegens der Voraussetzungen für die Versicherungspflicht voraus. Eine Meldepflichtverletzung wäre auch dann zu verneinen, wenn der Versicherte aufgrund persönlicher Umstände, die von ihm dargetan werden, außerstande war, seiner Verpflichtung zur Erstattung einer Meldung nachzukommen. Es bedarf daher einer Beurteilung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls (vgl. VwGH 14.10.2009, 2009/08/0118).
20 Hinsichtlich der Erkennbarkeit des Überschreitens der Versicherungsgrenze im Beitragsjahr ist zu beachten, dass eine selbständig erwerbstätige Person im Allgemeinen am Ende des Kalenderjahres die aus der selbständigen Tätigkeit erzielten Umsätze kennen wird. Im Einzelfall können dennoch die für das Überschreiten der Versicherungsgrenze maßgeblichen Umstände noch nicht feststehen bzw. noch nicht zu erkennen sein, zumal die Höhe der Einkünfte des Selbständigen im Sinn der §§ 22 Z 1 bis 3 und 5 und/oder 23 EStG 1988 bzw. allenfalls auch die Zuordnung von Einkünften zu den einzelnen Einkunftsarten unklar bzw. strittig sein kann (vgl. idS nochmals VwGH 14.10.2009, 2009/08/0118). Im Allgemeinen wird einem Selbständigen eine Überschreitung der Versicherungsgrenze bereits vor Vorliegen des Einkommenssteuerbescheides umso eher erkennbar sein, umso deutlicher die Überschreitung ausfällt (vgl. idS VwGH 27.4.2011, 2008/08/0259).
21 Im vorliegenden Fall wurden mit Einkommensteuerbescheid vom 16. Dezember 2011 für das Jahr 2010 Einkünfte des Mitbeteiligten aus Gewerbebetrieb in der Höhe von € 15.000,-- festgestellt. Die Höhe der Versicherungsgrenze war im Jahr 2010 nach § 4 Abs. 1 Z 5 und 6 GSVG idF BGBl. I Nr. 62/2010 davon abhängig, ob neben den der Pflichtversicherung nach § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG unterliegenden Tätigkeiten sonstige Erwerbstätigkeiten ausgeübt wurden (vgl. näher VwGH 9.10.2013, 2011/08/0367). Auch ausgehend davon, dass vom Mitbeteiligten ausschließlich die nach § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG pflichtversicherte Erwerbstätigkeit ausgeübt wurde, wurde die (höhere) Versicherungsgrenze nach § 4 Abs. 1 Z 5 GSVG idF BGBl. I Nr. 62/2010 von € 6.453,-- im Kalenderjahr 2010 deutlich überschritten. Es erscheint daher jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass dem Mitbeteiligten das Bestehen der Voraussetzungen für den Beginn der Pflichtversicherung bereits mit Ablauf des Jahres 2010 erkennbar gewesen ist.
22 Das Bundesverwaltungsgericht hätte sich somit damit auseinandersetzen müssen, ob dem Mitbeteiligten eine Verletzung der Meldepflicht nach § 18 Abs. 1 GSVG zur Last liegt, die ursächlich dafür geworden ist, dass der SVA eine (bedingte) Anmeldung ihrer Forderungen im Insolvenzverfahren nicht rechtzeitig möglich war (VwGH 13.6.2017, Ra 2017/08/0038). Träfe dies zu, könnte ein Fall des § 156 Abs. 4 IO vorliegen und die SVA daher die Bezahlung der Beitragsforderungen - unabhängig davon, ob es sich um Insolvenzforderungen handelt - im vollen Betrag vom Mitbeteiligten verlangen.
23 Aus Anlass der somit zulässigen und berechtigten Revision ist ergänzend festzuhalten, dass die Wirkungen des Sanierungsplans bzw. Zahlungsplans sich nur auf jene Ansprüche gegen den Schuldner erstrecken, die der Anmeldung im Insolvenzverfahren unterliegen. Nicht erfasst sind daher Masseforderungen bzw. Forderungen, die überhaupt erst nach Konkursaufhebung entstanden sind (vgl. RIS-Justiz RS0113775; Lovrek in Konecny/Schubert [Hrsg], Insolvenzgesetze § 156 KO Rz 6). Dem folgend bezieht sich auch § 197 Abs. 1 IO auf Insolvenforderungen nach § 51 IO, also auf Forderungen, die zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits entstanden waren (vgl. OGH 14.12.2011, 3 Ob 215/11f).
24 Nach § 46 Abs. 1 Z 2 IO sind Masseforderungen u.a. alle die Masse treffenden Steuern, Gebühren, Zölle, Beiträge zur Sozialversicherung und anderen öffentlichen Abgaben, wenn und soweit der die Abgabepflicht auslösende Sachverhalt während des Insolvenzverfahrens verwirklicht wird. Im Umkehrschluss ergibt sich, dass Beitrags- (und Abgaben-)Forderungen, wenn und soweit der die Abgabepflicht auslösende Sachverhalt vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens verwirklicht wird, Insolvenzforderungen sind (vgl. wiederum VwGH 2012/08/0288, unter Hinweis auf OGH 14.12.2011, 3 Ob 215/11f).
25 Zu Beiträgen auf Grund einer Pflichtversicherung nach § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG für zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung bereits vergangene Jahre hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, dass der „die Abgabepflicht auslösende Sachverhalt“ insoweit schon mit der Erzielung von über der Versicherungsgrenze liegenden Einkünften im Sinn der §§ 22 Z 1 bis 3 und 5 und/oder 23 EStG 1988 auf Grund der Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit verwirklicht ist, auch wenn mangels Abgabe einer Versicherungserklärung erst im Nachhinein - in der Regel bei Vorliegen des (rechtskräftigen) Einkommensteuerbescheides - die Pflichtversicherung festgestellt und die Entrichtung von Beiträgen vorgeschrieben werden kann; das Vorliegen eines Einkommensteuerbescheides (oder sonstigen Einkommensnachweises) dient dem Nachweis von Einkünften über der Versicherungsgrenze, stellt aber keine tatbestandsmäßige Voraussetzung für die (Versicherungs- und) Beitragspflicht dar und gehört daher nicht zu dem diese auslösenden „Sachverhalt“ im Sinn des § 46 Abs. 1 Z 2 IO (vgl. nochmals VwGH 2012/08/0288; Ra 2015/08/0034)
26 Im vorliegenden Fall bestand nach dem rechtskräftigen Bescheid der SVA vom 2. Juli 2013 eine (durchgehende) Pflichtversicherung des Mitbeteiligten nach § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG in den Jahren 2010 und 2011, woraus sich die (unbekämpft gebliebene) Festsetzung der monatlichen Beiträge ergab. Bereits am 6. Juli 2011 - somit während aufrechter Pflichtversicherung des Mitbeteiligten - wurde das Schuldenregulierungsverfahren eröffnet. Nicht zweifelhaft ist nach dem Gesagten, dass die Beiträge für das Jahr 2010 zu den Insolvenzforderungen zu zählen sind. Hinsichtlich der Beiträge für das Jahr, in das die Insolvenzeröffnung fällt - hier das Jahr 2011 -, bedarf es dagegen einer Abgrenzung zwischen Insolvenz- und Masseforderungen bzw. vom Insolvenzverfahren nicht mehr berührten Forderungen. Auch diese hat sich danach zu richten, ob das Entstehen der Schuld die Verwirklichung eines (weiteren) Sachverhaltsmerkmals, ohne welches der Tatbestand an sich nicht erfüllt ist, erfordert, die erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eintritt (vgl. zur Einkommenssteuer OGH 24.8.2011, 3 Ob 103/11k; idS auch Engelhart in Konecny [Hrsg], Insolvenzgesetze § 46 IO Rn. 72).
27 Dabei ist zu beachten, dass das Eintreten einer Pflichtversicherung nach § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG das Überschreiten der Versicherungsgrenze im Kalenderjahr voraussetzt. Tatbestandsvoraussetzung für das Fortbestehen der Pflichtversicherung auch während des Kalenderjahres ist aber, dass diese nicht nach § 7 Abs. 4 GSVG endet, somit insbesondere im zu beurteilenden Zeitraum weiterhin eine betriebliche Tätigkeit vorliegt (vgl. idS VwGH 9.6.2015, 2013/08/0082; vgl. näher zur Dauer der Pflichtversicherung etwa VwGH 21.12.2005, 2003/08/0126). Vor dem Hintergrund, dass gemäß § 7 Abs. 4 GSVG die Pflichtversicherung nach § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG mit dem Letzten des Kalendermonates endet, in dem die Voraussetzungen wegfallen, ist die Verpflichtung zur Zahlung der Beiträge für den Monat, in den die Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällt, bereits vor Insolvenzeröffnung begründet worden. Dagegen hängt - selbst wenn ein die Versicherungsgrenze übersteigendes Einkommen bereits zuvor im Kalenderjahr erzielt worden sein sollte - das Entstehen der Beitragsschuld für die auf die Eröffnung des Insolvenzverfahrens folgenden Monate von der Verwirklichung eines weiteren Sachverhaltsmerkmals ab, sodass insoweit keine Insolvenzforderungen vorliegen.
28 Im vorliegenden Fall sind daher die Beitragsforderungen für die Monate August bis Dezember 2011 keine Insolvenzforderungen und daher - entgegen den Annahmen des Bundesverwaltungsgerichts - von vornherein nicht von den Rechtswirkungen der rechtskräftigen Bestätigung des Zahlungsplans nach § 156 Abs. 1 IO erfasst, sodass es insoweit hinsichtlich des Bestehens der Zahlungsverpflichtung nicht auf § 156 Abs. 4 IO ankommt.
29 Das angefochtene Erkenntnis war daher im angefochtenen Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.
Wien, am 3. September 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019080082.L00Im RIS seit
20.10.2020Zuletzt aktualisiert am
20.10.2020