TE Vwgh Beschluss 2020/9/4 Ra 2020/02/0187

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Veröffentlicht am 04.09.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §71 Abs1 Z1
B-VG Art133 Abs4
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision des L in G, vertreten durch die Singer-Musil Singer Rechtsanwälte OG in 1190 Wien, Döblinger Hauptstraße 68, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 23. Juni 2020, LVwG-S-827/001-2020, betreffend Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in eine Einspruchsfrist (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Horn), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        1.1. Mit Strafverfügung der belangten Behörde vom 25. November 2019 wurde über den Revisionswerber wegen der Übertretung des § 134 Abs. 1 KFG iVm. Art. 34 Abs. 3 EG-VO 165/2014 gemäß § 134 Abs. 1 iVm. § 134 Abs. 1b KFG sowie wegen der Übertretung der §§ 101 Abs. 1 lit. e, 102 Abs. 1, 134 Abs. 1 KFG gemäß § 134 Abs. 1 KFG jeweils eine Geld- und eine Ersatzfreiheitsstrafe verhängt. Diese Strafverfügung wurde am 27. November 2019 von einer Mitbewohnerin des Revisionswerbers an der Abgabestelle übernommen.

2        1.2. Aufgrund der Mahnung der belangten Behörde vom 27. Jänner 2020 teilte der Rechtsvertreter des Revisionswerbers der belangten Behörde mit, gegen die Strafverfügung rechtzeitig Einspruch erhoben zu haben. Darüber hinaus stellte er mit Schreiben vom 19. Februar 2020 einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die Einspruchsfrist und übermittelte den Einspruch.

3        1.3. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 10. März 2020 gab diese dem Antrag auf Wiedereinsetzung keine Folge (Spruchpunkt 1.) und wies den Einspruch gegen die Strafverfügung als verspätet zurück (Spruchpunkt 2.).

4        2.1. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (LVwG) mit Erkenntnis vom 23. Juni 2020 als unbegründet ab und sprach aus, dass gemäß § 25a VwGG eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5        2.2. Das LVwG führte begründend aus, dass vor dem Hintergrund näherer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dahingestellt bleiben könne, ob die Assistentin das E-Mail nicht abgesendet oder das E-Mail zwischen Absender und Empfänger verloren gegangen sei. Es sei unbestritten nicht bei der belangten Behörde eingegangen, der Rechtsvertreter könne keinen Sendungsnachweis vorlegen und habe das rechtzeitige Absenden des Einspruches per E-Mail „offenbar“ nicht kontrolliert. Es treffe den Rechtsvertreter jedoch eine größere Sorgfaltspflicht, sodass kein minderer Grad des Versehens vorliege. Da der Sachverhalt unstrittig sei, habe die Verhandlung entfallen können.

6        3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision mit dem Antrag, das Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften unter Kostenzuspruch aufzuheben.

7        Die Revision erweist sich als unzulässig:

8        4.1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

10       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

11       4.2. Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das LVwG sei von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen und habe die Wiedereinsetzung zu Unrecht nicht gewährt, weil dem Rechtsvertreter trotz Einhaltung der beruflichen Sorgfaltspflichten bei der Kontrolle kein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden vorzuwerfen sei. Rein mechanische Vorgänge müsse der Rechtsvertreter nicht kontrollieren; Fehler durch zuverlässige Angestellte einer Kanzlei im rein manipulativen Bereich könnten zur Wiedereinsetzung führen. § 46 Abs. 1 VwGG lasse sich entnehmen, dass der Gesetzgeber den Rechtsschutz nicht aus formellen Gründen im Ergebnis aufgrund von Ereignissen scheitern lassen wolle, die „nach statistischer Wahrscheinlichkeit menschlichen Fehlerkalküls im Drange der Geschäfte auch eines ordnungsgemäßen Kanzleibetriebes eines berufsmäßigen Parteienvertreters fallweise vorkommen“ könnten und verstehbar seien. Das LVwG mutmaße, dass der Rechtsvertreter die Sendung nicht kontrolliert habe, obwohl er ausdrücklich Gegenteiliges vorgebracht und Bescheinigungsmittel angeboten habe. Der Rechtsvertreter habe sich bemüht, den vermeintlichen Übertragungsfehler aufzuklären, abschließend hätte jedoch weder von der zuständigen Technikfirma noch von der Kanzleikraft das Geschehnis nachvollzogen werden können. Es sei nachvollziehbar, dass die Kanzleileiterin sich nicht an den Versand jedes einzelnen Poststücks erinnern könne. Diese sei überzeugt gewesen, das E-Mail rechtzeitig abgesendet zu haben. Zum Beweis eines ausreichenden Kontrollsystems sei die Einvernahme der Kanzleikraft beantragt worden. Das LVwG übersehe, dass bei der E-Mailübermittlung ein Sendungsnachweis wie bei einem Telefax nicht generiert werde. Sollte dieser Fehler jedoch passiert sein, wäre es ein derartiger Einzelfall, dass ein tauglicher Wiedereinsetzungsgrund gegeben sei. Das LVwG hätte zu prüfen gehabt, ob ein taugliches Kontrollsystem vorgelegen sei. Es hätten daher im Sinne der materiellen Wahrheitsfindung weitere Sachverhaltserhebungen stattfinden müssen.

12       4.3. Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH ist ein Verschulden des Vertreters einer Partei dem Verschulden des vertretenen Wiedereinsetzungswerbers gleichzusetzen; der Machtgeber muss sich das Verschulden des Machthabers zurechnen lassen. Dabei wird an die Sorgfaltspflichten bei beruflichen rechtskundigen Parteienvertretern ein strengerer Maßstab angelegt als bei anderen (rechtsunkundigen) Personen (vgl. VwGH 30.6.2015, Ra 2015/03/0037).

13       Ein beruflicher rechtskundiger Parteienvertreter hat seine Kanzlei dabei so zu organisieren, dass nach menschlichem Ermessen die Versäumung einer Frist ausgeschlossen ist. Dazu gehört nach der Rechtsprechung des VwGH auch, dass sich der Parteienvertreter bei der Übermittlung von Eingaben im elektronischen Weg vergewissert, ob die Übertragung erfolgreich durchgeführt wurde. Unterbleibt diese Kontrolle aus welchen Gründen auch immer, stellt dies ein über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden dar (vgl. dabei zur Kontrolle des Postausgangsordners bei der Benützung von E-Mail-Programmen z.B. VwGH 22.2.2006, 2005/09/0015; VwGH 15.12.2009, 2009/05/0257, 0258, und VwGH 23.4.2015, 2012/07/0222).

14       Der Vertreter des Revisionswerbers hat in seinem Antrag auf Wiedereinsetzung (lediglich) ausgeführt, dass er erst mit der Verständigung der belangten Behörde Kenntnis über die Fristversäumnis erlangt habe, sodass der Antrag rechtzeitig sei. Es sei nicht möglich, nachträglich einen schriftlichen Nachweis für das Übermitteln des Einspruches zu erbringen. Es sei nicht möglich, einen Ausdruck über den Exchange-Server zu erhalten. Es könne nach Auskunft der zuständigen Technikfirma durchaus dazu kommen, dass ein gesendetes E-Mail nicht im Postausgang aufgezeichnet werde. Der Rechtsvertreter habe zudem dem Revisionswerber mit E-Mail vom selben Tag mitgeteilt, dass der Einspruch abgesendet worden sei. In einem anderen Verfahren sei mit gleicher Post ein Einspruch abgesendet worden, dieser sei bei der belangten Behörde eingelangt. Selbst bei Erhalt der Mahnung seien die Rechtsvertreter der Meinung gewesen, den Einspruch rechtzeitig abgesendet zu haben und dass es sich um einen Irrtum handle. Es handle sich daher um höhere Gewalt, dass der Einspruch nicht eingelangt sei, wobei es natürlich denkbar sei, dass die zuständige Assistentin „unter Umständen“ tatsächlich den Einspruch nicht weggesendet habe; dies lasse sich nicht mehr nachvollziehen. Diese Assistentin sei seit 20 Jahren in der Kanzlei tätig und habe noch nie vergessen, ein E-Mail abzuschicken. Es sei eher davon auszugehen, dass das E-Mail verloren gegangen sei, was ein unvorgesehenes und unabwendbares Ereignis darstelle. Es müsse niemand damit rechnen, dass ein abgesendetes E-Mail an die Behörde nicht einlangen werde. Zu „diesem Thema“ werde die Einvernahme der Kanzleileiterin beantragt.

15       Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen im Wiedereinsetzungsantrag ist angesichts der oben wiedergegebenen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kein Abweichen des LVwG von dieser Rechtsprechung erkennbar:

16       Wenn nämlich - wie im vorliegenden Wiedereinsetzungsantrag - in keiner Weise dargelegt wird, ob jemals eine Kontrolle der manipulativen Vorgänge im Kanzleibetrieb oder der Kanzleiangestellten erfolgte bzw. wie das diesbezügliche Kontrollsystem eingerichtet ist, kann von einer Organisation des Kanzleibetriebes, die eine fristgerechte Setzung von Vertretungshandlungen mit größtmöglicher Zuverlässigkeit sicherstellt, und von einer wirksamen Überwachung keine Rede sein. Fehlt es an einem diesbezüglichen Vorbringen, liegt jedenfalls kein bloß minderer Grad des Versehens vor. Daher sind bereits mangels einer Darlegung eines wirksamen Kontrollsystems die Voraussetzungen für die Bewilligung des Wiedereinsetzungsantrages nicht erfüllt (vgl. VwGH 23.6.2016, Ra 2016/02/0100 bis 0112).

17       Im Übrigen ist das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen nur in jenem Rahmen zu untersuchen, der durch die Behauptungen des Wiedereinsetzungswerbers gesteckt wird, sodass den Antragsteller die Obliegenheit trifft, im Antrag konkret jenes unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignis zu beschreiben, das ihn an der Einhaltung der Frist gehindert hat (vgl. VwGH 21.2.2017, Ra 2016/12/0026, mwN). Auf nach Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist geltend gemachte Wiedereinsetzungsgründe und neue, den Wiedereinsetzungsgrund untermauernde Argumente ist daher nicht einzugehen (vgl. erneut VwGH 21.2.2017, Ra 2016/12/0026, mwN).

18       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

19       Die Revision war daher ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 4. September 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020020187.L00

Im RIS seit

12.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

12.10.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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