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E000 EU- Recht allgemein;Norm
11992E186 EGV Art186;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Loibl, über die Beschwerde des Cayli Sabri in Hohenems, vertreten durch
Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice, Landesgeschäftsstelle Vorarlberg, vom 25. Juli 1997, Zl. LGSV/3/13117/1997, ABA 758752, betreffend Feststellung gemäß Art. 6 Abs. 1 letzter Fall des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die vorliegende Beschwerde ist gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Arbeitsmarktservice, Landesgeschäftsstelle Vorarlberg, vom 25. Juli 1997 gerichtet, mit welchem der am 17. April 1997 gestellte Antrag des Beschwerdeführers, eines türkischen Staatsbürgers, auf "Feststellung der Assoziationsintegration im Sinne des Art. 6 Abs. 1 letzter Fall des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80" abgewiesen wurde.
Diese Entscheidung wurde im wesentlichen damit begründet, daß der Beschwerdeführer seit dem 21. August 1990 mit Unterbrechungen in Österreich beschäftigt sei, zuletzt am 4. Februar 1997. Im Anschluß daran habe er vom 10. Februar 1997 bis zum 21. April 1997 Arbeitslosengeld bezogen. Am 30. November 1995 habe der Beschwerdeführer sein Beschäftigungsverhältnis bei der Firma Universale Bau in Wien ohne triftigen Grund durch vorzeitigen Austritt beendet; als Folge davon sei als Sanktionsmaßnahme nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz vom Arbeitsmarktservice Bregenz für die Zeit vom 15. Dezember 1995 bis zum 28. Dezember 1995 gemäß § 11 Abs. 1 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes das Arbeitslosengeld rechtskräftig gesperrt worden. Es stehe somit zweifelsfrei fest, daß jedenfalls im Zeitraum vom 1. Dezember 1995 bis zum 28. Dezember 1995 eine verschuldete Arbeitslosigkeit vorliege, wobei es dahingestellt bleiben könne, ob der vorzeitige Austritt auch für die beschäftigungslose Zeit bis zur nächstfolgenden Beschäftigungsaufnahme bei einem anderen Unternehmen am 23. April 1997 ursächlich gewesen sei. Die Sanktionsmaßnahme der Sperre des Arbeitslosengeldes nach § 11 Abs. 1 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes komme nur dann zum Tragen, wenn das Dienstverhältnis infolge eigenen Verschuldens beendet oder freiwillig ohne triftigen Grund gelöst wurde. Bei Anwendung des Art. 6 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 sei davon auszugehen, daß entsprechend dem Abs. 2 leg. cit. nur die Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit sowie von Abwesenheit wegen langer Krankheit Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt würden und nur diese Zeiten nicht die zuvor erworbenen assoziationsrechtlichen Ansprüche berührten. Zeiten verschuldeter Arbeitslosigkeit vernichteten demgegenüber aber den aufgrund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen assoziationsrechtlichen Anspruch. Dies ergebe sich auch aus dem vom Beschwerdeführer bereits im Verwaltungsverfahren angesprochenen Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 23. Jänner 1997, Rs. C-171/95, Recep Tetik. Diesem Urteil sei zu entnehmen, daß nur eine unverschuldete Arbeitslosigkeit und lange Krankheit verhinderten, daß ein türkischer Arbeitnehmer von Neuem die in Art. 6 vorgesehene Beschäftigungszeit zurücklegen müsse. Der logische Umkehrschluß führe zwingend zum Ergebnis, daß verschuldete Fehlzeiten den bereits erworbenen assoziationsrechtlichen Anspruch vernichteten. Daraus folge, daß durch die verschuldete Arbeitslosigkeit des Beschwerdeführers in der Zeit vom 1. Dezember 1995 bis zum 28. Dezember 1995 die bereits vorher erworbenen assoziationsrechtlichen Ansprüche vernichtet würden und daher nur noch Beschäftigungszeiten im Anschluß an die verschuldete Arbeitslosigkeit anspruchsbegründend im Sinne von Art. 6 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 herangezogen werden könnten. Dies seien zusammen jedoch insgesamt nur 284 anrechenbare Tage, damit seien die Anspruchsvoraussetzungen einer vierjährigen Beschäftigung nach Art. 6 Abs. 1 dritter Gedankenstrich nicht erfüllt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher als Beschwerdegründe inhaltliche Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Art. 6 Abs. 1 und 2 des Beschlusses des nach dem Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei eingerichteten Assoziationsrates vom 19. September 1980, Nr. 1/80, lauten:
"(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehört, in diesem Mitgliedstaat
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nach einem Jahr ordnungsgemässer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt;
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nach drei Jahren ordnungsgemässer Beschäftigung
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vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs - das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaates eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben;
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nach vier Jahren ordnungsgemässer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis.
(2) Der Jahresurlaub und die Abwesenheit wegen Mutterschaft, Arbeitsunfall oder kurzer Krankheit werden den Zeiten ordnungsgemässer Beschäftigung gleichgestellt. Die Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit, die von den zuständigen Behörden ordnungsgemäss festgestellt worden sind sowie die Abwesenheit wegen langer Krankheit werden zwar nicht den Zeiten ordnungsgemässer Beschäftigung gleichgestellt, berühren jedoch nicht die aufgrund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche."
Gemäß § 11 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977, BGBl. Nr. 609 erhalten Arbeitslose, deren Dienstverhältnis infolge eigenen Verschuldens beendet worden ist oder die ihr Dienstverhältnis freiwillig ohne triftigen Grund gelöst haben, für die Dauer von vier Wochen, gerechnet vom Tage der Beendigung des Dienstverhältnisses, kein Arbeitslosengeld.
Der Beschwerdeführer erachtet sich in den Rechten auf "Feststellung der Assoziationsintegration" sowie auf "Arbeitnehmerfreizügigkeit" verletzt.
Die belangte Behörde stellte im angefochtenen Bescheid fest, daß der Beschwerdeführer seit dem 21. August 1990 mit Unterbrechungen in Österreich beschäftigt war und am 30. November 1995 sein Beschäftigungsverhältnis bei der Firma Universale Bau in Wien ohne triftigen Grund durch vorzeitigen Austritt beendet habe. Diese unbestrittenen - und daher gemäß § 41 Abs. 1 VwGG für den Verwaltungsgerichtshof verbindlichen - Feststellungen waren für die Beurteilung der Berechtigung des Antrages des Beschwerdeführers nicht ausreichend. In seinem Urteil vom 23. Jänner 1997 in der Rechtssache C-171/95, Recep Tetik (EuZW 1997, 176 ff), hat der Europäische Gerichtshof nämlich ausgesprochen:
"38 Artikel 6 Absatz 2 Satz 2 betrifft Zeiten der Beschäftigungslosigkeit, die auf eine lange Krankheit oder unverschuldete Arbeitslosigkeit zurückzuführen sind, also den Fall, daß die Beschäftigungslosigkeit des Arbeitnehmers nicht auf einem schuldhaften Verhalten seinerseits beruht (wie sich auch aus der Verwendung des Adjektivs "unverschuldet" in der deutschen Fassung ergibt). Nach dieser Bestimmung können solche Zeiten der Beschäftigungslosigkeit den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung zwar nicht gleichgestellt werden, doch verliert der Arbeitnehmer dadurch auch nicht die aufgrund der vorherigen ordnungsgemäßen Beschäftigungszeiten erworbenen Ansprüche.
39 Diese Vorschriften soll daher nur verhindern, daß ein
türkischer Arbeitnehmer, der wieder zu arbeiten beginnt, nachdem er wegen langer Krankheit oder unverschuldeter Arbeitslosigkeit nicht arbeiten konnte, wieder von neuem - wie ein türkischer Arbeitnehmer, der in dem betreffenden Mitgliedstaat noch nie eine Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis ausgeübt hat - die in den drei Gedankenstrichen von Artikel 6 Absatz 1 vorgesehenen Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung zurücklegen muß.
40 Wenn außerdem ein türkischer Arbeitnehmer wie der Kläger
des Ausgangsverfahrens, der bereits über vier Jahre lang im Aufnahmemitgliedstaat eine ordnungsgemäße Beschäftigung ausgeübt hat, seine Arbeit freiwillig aufgibt, um in demselben Mitgliedstaat eine andere Beschäftigung zu suchen, so folgt daraus nicht ohne weiteres, daß er den Arbeitsmarkt dieses Staates endgültig verlassen hat, sofern er dort weiterhin dem regulären Arbeitsmarkt im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 angehört.
41 In einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens, in der
es dem türkischen Arbeitnehmer nicht gelingt, unmittelbar nach Aufgabe seiner vorherigen Beschäftigung ein neues Arbeitsverhältnis einzugehen, ist diese Voraussetzung grundsätzlich nur dann weiterhin gegeben, wenn der Betroffene alle Formalitäten erfüllt, die im betreffenden Mitgliedstaat gegebenenfalls vorgeschrieben sind, z.B. indem er sich als Arbeitssuchender meldet und der Arbeitsverwaltung dieses Mitgliedstaats während des dort vorgeschriebenen Zeitraums zur Verfügung steht."
Daraus ergibt sich, daß ein türkischer Arbeitnehmer, der bereits über vier Jahre lang im Aufnahmemitgliedstaat eine ordnungsgemäße Beschäftigung ausgeübt hat und seine Arbeit freiwillig aufgibt, um in demselben Mitgliedstaat eine andere Beschäftigung zu suchen, seine Rechte aus Art. 6 Abs. 1 dritter Gedankenstrich des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 durch diese freiwillige Aufgabe seiner Arbeit nicht ohne weiteres verliert, wenn er die im betreffenden Mitgliedstaat geltenden Formalitäten erfüllt, z.B. indem er sich als Arbeitssuchender meldet und der Arbeitsverwaltung dieses Mitgliedstaates während des dort vorgeschriebenen Zeitraumes zur Verfügung steht.
Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde - in Verkennung der Rechtslage - relevante Feststellungen dahingehend unterlassen, ob der Beschwerdeführer bereits eine vor der freiwilligen Aufgabe seiner Arbeit am 30. November 1995 auf einen vierjährigen Zeitraum ordnungsgemäßer Beschäftigung gemäß Art. 6 Abs. 1 dritter Gedankenstrich des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 - allenfalls auf einen dreijährigen Zeitraum ordnungsgemäßer Beschäftigung gemäß Art. 6 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich des genannten Assoziationsratsbeschlusses - gegründete Zugehörigkeit zum österreichischen Arbeitsmarkt besaß, welche ihn im Lichte des genannten Urteiles des Europäischen Gerichtshofes dazu berechtigte, ohne Verlust des Anspruches gemäß Art. 6 Abs. 1 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 eine neue Arbeit bei einem anderen Arbeitgeber zu suchen. Bloß verneinendenfalls hätte die Feststellung der freiwilligen Aufgabe der Arbeit durch den Beschwerdeführer am 30. November 1995 für die Schlußfolgerung ausgereicht, daß er zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides keine Berechtigung gemäß Art. 6 Abs. 1 dritter Gedankenstrich des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 besaß. Hätte der Beschwerdeführer nämlich vor der freiwilligen Aufgabe seiner Arbeit am 30. November 1995 die Voraussetzungen gemäß Art. 6 Abs. 1 zweiter oder dritter Gedankenstrich des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 so erfüllt, so hätte dies im Lichte des genannten Vorteiles nicht zum Verlust dieser Voraussetzungen geführt.
Der dem angefochtenen Bescheid anhaftende - sekundäre - Verfahrensfehler kann im übrigen auch nicht durch die - ebenfalls nicht ausreichende - Aussage in der Gegenschrift der belangten Behörde, daß die zentrale Frage der Beschwerde die Rechtsfolgen einer verschuldeten Arbeitslosigkeit während des Erwerbs von assoziationsrechtlichen Ansprüchen betreffe und nicht deren Folge nach bereits erworbenen Ansprüchen, beseitigt werden.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994. Auch die begehrten Stempelgebühren waren zuzusprechen, weil eine europarechtliche Ausnahme von der Gebührenpflicht vorliegend nicht ersichtlich ist (vgl. dazu Gutmann, Die Assoziationsfreizügigkeit türkischer Arbeitnehmer 1996, 109 f).
Durch den damit erfolgten Ausspruch des Verwaltungsgerichtshofes in der Beschwerdesache selbst erübrigt sich auch eine Entscheidung über den Antrag des Beschwerdeführers, eine einstweilige Anordnung oder einstweilige Verfügung dahingehend zu erlassen, daß bis zur endgültigen Feststellung seiner Arbeitsmarktzugangsberechtigung vorläufig festgestellt werde, daß er berechtigt sei, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen.
Gerichtsentscheidung
EUGH 695J0171 Recep Tetik VORABEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1997090261.X00Im RIS seit
07.06.2001Zuletzt aktualisiert am
08.09.2015