TE OGH 2019/4/18 11R57/19m

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Veröffentlicht am 18.04.2019
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Das Oberlandesgericht Wien fasst als Rekursgericht durch die Senatspräsidentin des Oberlandesgerichtes Dr. Hradil-Miheljak als Vorsitzende sowie die Richter des Oberlandesgerichtes Mag. Koch und MMMag. Frank in der Rechtssache der klagenden Partei S***, vertreten durch die Stolitzka & Partner Rechtsanwälte OG in Wien, wider die beklagte Partei F***, vertreten durch die Celar Senoner Weber-Wilfert Rechtsanwälte GmbH in Wien, zuletzt wegen EUR 983.163,04 sA, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 28. Februar 2019, GZ 6 Cg 15/17w-70, den

Spruch

Beschluss

Dem Rekurs wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss wird als nichtig aufgehoben, und die Verfahrenshilfesache wird zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück-verwiesen.

Die Parteien haben ihre Rekurs- bzw. Rekurs-beantwortungskosten selbst zu tragen.

Text

Begründung

Das erstinstanzliche, abweisende Urteil vom 4.2.2019 (ON 68) wurde der Klägerin am 6.2.2019 zugestellt. In ihrem innerhalb der Berufungsfrist am 26.2.2019 (ON 69) eingebrachten Schriftsatz beantragte die Klägerin die Verfahrenshilfe für das weitere Verfahren im vollen Umfang.

Mit dem nun angefochtenen Beschluss vom 28.2.2019 (ON 70) gab das Erstgericht diesem Antrag statt, ohne der Beklagten davor eine Äußerung zum Verfahrenshilfeantrag zu ermöglichen.

Dagegen wendet sich der vorliegende Rekurs der Beklagten mit dem Antrag, die bekämpfte Entscheidung aufzuheben und den Verfahrenshilfeantrag abzuweisen; in eventu aufzuheben und die Verfahrenshilfesache zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Die Klägerin stellt in ihrer Rekursbeantwortung den Antrag, diesem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.

Der Revisor hat keine Rekursbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist berechtigt.

Gemäß § 66 Abs 2 ZPO ist über den Verfahrenhilfeantrag auf der Grundlage des Vermögensbekenntnisses zu entscheiden. Hat das Gericht gegen dessen Richtigkeit und Vollständigkeit Bedenken, so hat es das Vermögensbekenntnis zu überprüfen. Im Schrifttum und in einigen zweit-instanzlichen Entscheidungen wird unter Hinweis auf diesen Gesetzeswortlaut die Ansicht vertreten, eine Beiziehung des Prozessgegners komme nicht in Frage und könne auch keinen Verfahrensmangel bilden (M. Bydlinski in Fasching/Konecny, Komm II/13, § 72 ZPO Rz 4 mwN; differenzierend derselbe Autor allerdings in Rz 7). Nach Auffassung des erkennenden Senats ist bei der Auslegung der zitierten Bestimmung zu beachten, dass durch die Novelle BGBl I 2004/128 § 72 Abs 2a ZPO eingefügt wurde, der das Rekursverfahren zweiseitig ausgestaltet. Der Gesetzgeber begründet diesen Schritt mit der Notwendigkeit, gemäß Art 6 MRK das rechtliche Gehör des Prozessgegners zu wahren (613 BlgNR XXII. GP, 13). Dieses Erfordernis besteht aber auch schon im erstinstanzlichen Verfahrenshilfeverfahren. Denn die Möglichkeit des Prozessgegners, gegen die Bewilligung der Verfahrenshilfe Rekurs zu erheben, schafft angesichts des Neuerungsverbots (M. Bydlinski aaO, § 72 ZPO Rz 7 mwN) in vielen Fällen keine ausreichende Abhilfe. Auch sein in § 68 Abs 1 und 3 ZPO verankertes Recht, das Erlöschen und/oder die Entziehung der Verfahrenshilfe zu beantragen, bietet kein taugliches Korrektiv, weil nach der Bewilligung der Verfahrenshilfe oft sofort Prozesshandlungen seitens des Begünstigten (zB die Einbringung einer Berufung) erfolgen, die eine mit Kosten verbundene Reaktion des Prozessgegners (zB Berufungsbeantwortung) erfordern, bevor über den Antrag auf Erlöschen und/oder Entziehung rechtskräftig abgesprochen worden ist. § 66 Abs 2 ZPO steht der Wahrung des rechtlichen Gehörs nicht entgegen, weil der Gesetzeswortlaut eine Einbeziehung des Prozessgegners zwar nicht ausdrücklich vorschreibt, sie aber auch nicht explizit ausschließt. Vielmehr lässt die Wendung, wonach „auf der Grundlage des Vermögensbekenntnisses zu entscheiden“ ist, Raum für eine verfassungskonforme Auslegung, wonach das Vermögensbekenntnis zwar eine notwendige, aber nicht die allein maßgebliche Entscheidungsgrundlage bildet und dem Gegner des Verfahrenshilfewerbers bei sonstiger Nichtigkeitssanktion stets die Möglichkeit eingeräumt werden muss, sich zu einem nach Prozessbeginn eingebrachten Verfahrenshilfeantrag zu äußern (ebenso die mittlerweile gefestigte Judikatur des OLG Wien: RIS-Justiz RW0000895; jüngst zB OLG Wien 13 R 27/19i; anders noch WR 574 = 610, wonach die unterbliebene Beiziehung des Prozessgegners einen Verfahrensmangel bilden könne). Hat das Gericht unter Berücksichtigung dieser Stellungnahme gegen das Vermögensbekenntnis Bedenken, so muss es überprüft werden.

Da das Erstgericht das rechtliche Gehör der Beklagten in casu nicht gewahrt hat, ist der angefochtene Beschluss nach dem Gesagten gemäß § 477 Abs 1 Z 4 ZPO (iVm § 514 Abs 2 ZPO) als nichtig aufzuheben (RIS-Justiz RS0111369).

Im fortgesetzten Verfahren wird der Beklagten die Gelegenheit einzuräumen sein, sich zum Verfahrenshilfeantrag der Klägerin innerhalb einer vom Erstgericht festzusetzenden Frist zu äußern. Danach wird über den Verfahrenshilfeantrag neuerlich abzusprechen sein. Die Prüfung der von § 63 Abs 1 ZPO geforderten Bedürftigkeit der Klägerin wird sich darauf zu beschränken haben, ob sie zur Tragung der Kosten der Berufung in der Lage ist, zumal derzeit noch nicht abgeschätzt werden kann, ob die Klägerin nach dem Berufungsverfahren mit weiteren Verfahrenskosten konfrontiert sein wird.

Ein Ersatz von Rekurs- und Rekursbeantwortungskosten findet gemäß § 72 Abs 3 letzter Satz ZPO nicht statt.

Textnummer

EW0001049

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0009:2019:01100R00057.19M.0418.000

Im RIS seit

25.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

25.09.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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