TE OGH 2020/8/6 2Ob195/19v

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Veröffentlicht am 06.08.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei DI A***** B*****, vertreten durch Rechtsanwälte Estermann & Partner OG in Mattighofen, gegen die beklagte Partei M***** B*****, vertreten durch Dr. Johann Kahrer und Dr. Christian Haslinger, Rechtsanwälte in Ried im Innkreis, wegen 15.000 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis als Berufungsgericht vom 31. August 2019, GZ 14 R 74/19m-24, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Ried im Innkreis vom 29. Mai 2019, GZ 3 C 686/18p-20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen, soweit sie sich gegen die Kostenentscheidung des Berufungsgerichts richtet.

Im Übrigen wird der Revision nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.096,56 EUR (darin enthalten 182,76 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1]       Mit Kaufvertrag vom 12. 7. 2013 erwarben der am ***** verstorbene J***** B***** (im Folgenden: „Erblasser“) und die damals mit ihm verheiratete Beklagte die Liegenschaft ***** (im Folgenden: „Liegenschaft“) um 199.000 EUR. Sie wurden je zur Hälfte als Eigentümer im Grundbuch einverleibt.

[2]       Noch im Jahr 2013 zogen der Erblasser und die Beklagte in das auf der Liegenschaft befindliche Haus ein. Dieses Gebäude verfügt über drei Stockwerke, wobei in jedem eine separate Wohnung eingerichtet war. Der Erblasser und die Beklagte bezogen die Wohnung im ersten Obergeschoß. Die nicht möblierte Wohnung im Erdgeschoß wurde nur als Ablage für Kleider und sonstige Gegenstände verwendet. Die Wohnung im zweiten Obergeschoß wurde von den drei Kindern der Beklagten bezogen.

[3]       2014 hatte der Erblasser einen schweren Unfall, der dazu führte, dass ihm am 18. 6. 2014 ein Fuß amputiert werden musste. Als Folge davon konnte der Erblasser die Wohnung im Obergeschoß nicht mehr bewohnen, weshalb die Beklagte die Wohnung im Erdgeschoß für den Erblasser adaptierte.

[4]       Der Erblasser übertrug mit Übergabsvertrag vom 3. 9. 2014 der Beklagten seinen Hälfteanteil an der Liegenschaft. Der Übergabsvertrag wurde nicht in Form eines Notariatsakts errichtet. Die Beklagte übernahm ein aushaftendes Pfandrecht, räumte dem Erblasser ein Wohnungsgebrauchsrecht an der Wohnung im Erdgeschoß ein und verpflichtete sich zu Ausgedingeleistungen (im Wesentlichen Pflegeleistungen). Der Übergabsvertrag enthält die Klausel, dass die tatsächliche Übergabe und Übernahme des Vertragsobjekts in den tatsächlichen Besitz und Genuss der Übernehmerin mit dem Tag der allseitigen Vertragsunterfertigung erfolgt. Weiters bevollmächtigten die Vertragsparteien den nunmehrigen Beklagtenvertreter als Urkundenverfasser ua mit der grundbücherlichen Durchführung, die dieser namens beider Vertragsparteien in der Folge auch veranlasste.

[5]       Ende September oder Anfang Oktober 2014 zog der Erblasser in die Erdgeschoßwohnung ein. Zu diesem Zeitpunkt führten er und die Beklagte „eine Beziehung, die nicht mehr einer Ehe entsprach“.

[6]       Im Jahr 2014 schloss die Beklagte mit einem Dritten einen Mietvertrag über ein Zimmer im zweiten Obergeschoß ab. Der Mietvertrag wurde allerdings auch vom Erblasser unterfertigt, der Mietzins wurde zwischen den beiden aufgeteilt.

[7]       Aufgrund der Pflegebedürftigkeit des Erblassers kündigte die Beklagte vor dessen Rückkehr von seinem Rehabilitationsaufenthalt ihr Arbeitsverhältnis, sodass sie über kein Einkommen mehr verfügte. Daraufhin verpflichtete sich der Erblasser zur Zahlung eines monatlichen Unterhalts von 900 EUR und war auch bereit, das ihm zuerkannte Pflegegeld an die Beklagte auszufolgen.

[8]       Beginnend mit dem Jahr 2017 stellte der Erblasser die Unterhaltszahlungen und die Pflegegeldüberweisungen ein und weigerte sich gegenüber der Beklagten, weiter Zahlungen zu leisten. Der Beklagten wurde vom AMS erklärt, dass ihr aufgrund des hohen Pensionseinkommens des Erblassers keine Unterstützung gewährt werden könne und die einzige Möglichkeit darin bestehe, sich scheiden zu lassen. Um der Beklagten die Möglichkeit auf staatliche Unterstützung zu verschaffen, willigte der Erblasser in die Scheidung ein. Am 7. 6. 2017 wurde die Ehe zwischen dem Erblasser und der Beklagten einvernehmlich geschieden. Auch nach der Scheidung änderte sich an der Art des Zusammenlebens zwischen den beiden nichts.

[9]       Nach dem Tod des Erblassers unterblieb eine Abhandlung mangels Aktiva mit einem 5.000 EUR übersteigenden Wert. Der Beklagten wurde die Ermächtigung erteilt, das vorhandene Verlassenschaftsvermögen zu übernehmen und hierüber zu verfügen.

[10]     Der Kläger, Sohn des Erblassers, begehrte zuletzt von der Beklagten die Zahlung von 15.000 EUR sA als seinen Pflichtteil. Unter Berücksichtigung des Wohnungsgebrauchsrechts und des Ausgedinges stehe ihm die Hälfte des Werts der Schenkung zu. Die Beklagte sei zum Zeitpunkt der Schenkung pflichtteilsberechtigt gewesen, sodass gemäß § 783 ABGB die Schenkung der Verlassenschaft hinzuzurechnen sei. Die Scheidung der Ehe sei wenige Monate vor dem Tod des Erblassers nur zu dem Zweck erfolgt, um dem Anwendungsbereich der unbefristeten Schenkungshinzurechnung zu entkommen, sodass die Berufung auf die Zweijahresfrist rechtsmissbräuchlich erfolge und sittenwidrig sei. Selbst unter Zugrundelegung der Zweijahresfrist hätte diese entsprechend der Vermögensopfertheorie noch nicht zu laufen begonnen. Der Übergabsvertrag sei nicht in Form eines Notariatsakts und somit formungültig abgeschlossen worden. Der Erblasser hätte bis zu seinem Tod jederzeit die Vermögensdisposition rückgängig machen können. Eine wirkliche Übergabe des Liegenschaftsanteils sei nicht erfolgt.

[11]           Die Beklagte wendete ein, aufgrund der Scheidung der Ehe habe sie im Zeitpunkt des Todes des Erblassers nicht mehr dem Kreis der Pflichtteilsberechtigten angehört. Maßgeblich sei die abstrakte Pflichtteilsberechtigung, die sowohl im Zeitpunkt der Schenkung als auch in jenem des Todes vorliegen müsse. Da zwischen der Schenkung und dem Tod des Schenkers mehr als zwei Jahre vergangen seien, komme es zu keiner Hinzurechnung der Schenkung. Ein bloßes Nutzungs- bzw Gebrauchsrecht stehe der Annahme eines Vermögensopfers nicht entgegen. Bei nicht in der Form eines Notariatsakts erfolgten Schenkungen stelle zumindest die wirkliche Übergabe ein maßgebliches Gültigkeitskriterium dar. Eine solche wirkliche Übergabe liege vor, da die Liegenschaft real aus der Hand gegeben worden und dem Erblasser der Vermögensverlust ausreichend bewusst gewesen sei. Jedenfalls aber wäre ein allfälliger Formmangel iSd § 1432 ABGB nachträglich geheilt. Schließlich wandte die Beklagte aus dem Titel des Pflegevermächtnisses eine Gegenforderung von 54.000 EUR aufrechnungsweise bis zur Höhe der Klagsforderung ein.

[12]           Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf im Wesentlichen die wiedergegebenen Feststellungen und folgerte daraus rechtlich, nach § 782 Abs 1 ABGB idF des ErbRÄG 2015 gelte als Pflichtteilsberechtigter, wer im Schenkungszeitpunkt abstrakt pflichtteilsberechtigt gewesen und im Zeitpunkt des Erbanfalls konkret pflichtteilsberechtigt sei. Im Todeszeitpunkt sei die Beklagte nicht mehr mit dem Erblasser verheiratet und daher nicht mehr konkret pflichtteilsberechtigt gewesen. Die zuvor im Einvernehmen vorgenommene Scheidung sei in keinem Zusammenhang mit dem Übergabsvertrag gestanden. Die Zweijahresfrist beginne grundsätzlich mit dem Abschluss des formgerechten Schenkungsvertrags, ausgenommen seien nur Fälle, in denen das Vermögensopfer trotz des Abschlusses eines solchen Vertrags noch nicht erbracht sei. Die Einräumung eines Wohnungsgebrauchsrechts stelle jedenfalls kein umfassendes Nutzungsrecht dar. Bei Schenkungsverträgen bedürfe es entweder eines Notariatsakts oder einer wirklichen Übergabe, die hier durch Besitzauflassung bewirkt worden sei. Im unbedingten Abschluss des schriftlichen Übergabsvertrags manifestiere sich der erforderliche Übertragungswille. Im Übrigen hätte der Verbücherungsantrag, in dem der Erblasser als Antragsteller aufgeschienen sei, als ein nach außen bemerkbarer Akt zur Heilung eines Formmangels geführt.

[13]           Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichts und ließ die ordentliche Revision zu. Es gelangte nach Auseinandersetzung mit einschlägigen Äußerungen im Schrifttum zur Ansicht, nach den §§ 782 f ABGB idF des ErbRÄG 2015 komme es für die unbefristete Hinzurechnung einer Schenkung darauf an, dass der Beschenkte sowohl bei der Schenkung als auch beim Tod des Erblassers abstrakt pflichtteilsberechtigt sei. Die Beklagte sei im Todeszeitpunkt weder konkret noch abstrakt pflichtteilsberechtigt gewesen, weshalb es zu keiner unbefristeten Hinzurechnung komme. Der Vorbehalt eines Wohnungsgebrauchsrechts stehe dem Vermögensopfer nicht entgegen. Wenngleich der Übergabsvertrag mangels Notariatsakts formungültig sei, habe infolge der bereits vorhandenen Mitgewahrsame der Übernehmerin die Besitzauflassung (traditio brevi manu) die „wirkliche Übergabe“ der Liegenschaft bewirkt.

[14]           Die ordentliche Revision sei zulässig, weil keine oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vorliege, auf welchen Zeitpunkt es für die Beurteilung der abstrakten Pflichtteilsberechtigung nach § 783 ABGB nach dem ErbRÄG 2015 ankomme.

[15]           Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der Klagestattgebung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[16]     Die Beklagte beantragt in der Revisionsbeantwortung, die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[17]           Die Revision ist als unzulässig zurückzuweisen, soweit sie sich gegen die Kostenentscheidung des Berufungsgerichts wendet (RS0044233 [T27]; RS0053407 [T10]).

[18]           Im Übrigen ist die Revision aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

[19]     Der Revisionswerber macht geltend, es sei lediglich auf die Pflichtteilsberechtigung im Zeitpunkt der Schenkung abzustellen. Er nehme die Beklagte als Geschenknehmerin nach § 789 ABGB in Anspruch. Gemäß § 792 ABGB hafte der Geschenknehmer nur dann nicht, wenn er im Zeitpunkt der Schenkung nicht zum Kreis der pflichtteilsberechtigten Personen gehört habe. Dies treffe auf die Beklagte nicht zu. Doch selbst wenn man der Ansicht des Berufungsgerichts folgte, begänne die Zweijahresfrist des § 782 Abs 1 ABGB erst mit Rechtskraft der Scheidung zu laufen. Da die Ehe nur zwecks Erlangung einer staatlichen Unterstützung geschieden worden sei und dies einem Pflichtteilsberechtigten nicht zum Nachteil gereichen könne, sei die Berufung auf die Zweijahresfrist überdies sittenwidrig. Das Berufungsgericht habe auch das Vorliegen eines Vermögensopfers zu Unrecht bejaht: Die Unterfertigung des Übergabsvertrags reiche für eine wirkliche Übergabe nicht aus, eine Heilung des Formmangels sei nicht eingetreten. Außerdem spreche die Aufteilung der lukrierten Mietzinse zwischen Erblasser und Beklagter für die Einräumung eines Fruchtgenussrechts.

[20]     Hierzu wurde erwogen:

[21]     1. Die Revisionsgründe der Aktenwidrigkeit und Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurden geprüft, sie liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

[22]     2. Hinzurechnung – Pflichtteilsberechtigung

[23]     2.1. Anzuwendendes Recht

[24]     Da der Erblasser nach dem 31. 12. 2016 verstorben ist, sind die hier maßgeblichen Bestimmungen des Pflichtteilsrechts in der Fassung des ErbRÄG 2015 (BGBl I 2015/87) anzuwenden (§ 1503 Abs 7 Z 1 und 2 ABGB).

[25]            2.2. Rechtslage vor dem ErbRÄG 2015

[26]     Nach § 785 Abs 3 ABGB aF blieben Schenkungen bei der Ausmessung der Pflichtteile unberücksichtigt, „die früher als zwei Jahre vor dem Tod des Erblassers an nicht pflichtteilsberechtigte Personen gemacht worden sind“.

[27]     Nach ständiger oberstgerichtlicher Rechtsprechung waren unter den pflichtteilsberechtigten Personen iSd § 785 Abs 3 ABGB aF nur jene zu verstehen, die im konkreten Fall im

Zeitpunkt des Erbanfalls tatsächlich pflichtteilsberechtigt sind und die im Schenkungszeitpunkt „abstrakt“ pflichtteilsberechtigt waren (RS0012855 [T4, T5]).

[28]            2.3. Rechtslage nach dem ErbRÄG 2015

[29]     Mit dem ErbRÄG 2015 wurde die Hinzu- und Anrechnung von Schenkungen im Pflichtteilsrecht neu geregelt. Auf dieser Grundlage kann, wie im Folgenden zu zeigen ist, die bisherige Rechtsprechung nicht fortgeschrieben werden.

[30]            2.3.1. Relevante Normen des ABGB

Schenkungen an nicht pflichtteilsberechtigte Personen

§ 782. (1) Auf Verlangen eines Pflicht-teilsberechtigten sind Schenkungen, die der Verstorbene in den letzten beiden Jahren vor seinem Tod an Personen, die nicht dem Kreis der Pflichtteilsberechtigten angehören (§ 757), wirklich gemacht hat, bei der Berechnung der Verlassenschaft hinzuzurechnen.

(2) Dieses Recht steht einem Nachkommen nur bei Schenkungen zu, die der Verstorbene zu einer Zeit gemacht hat, zu der er ein pflichtteilsberechtigtes Kind gehabt hat, dem Ehegatten oder eingetragenen Partner nur bei Schenkungen, die während seiner Ehe oder eingetragenen Partnerschaft mit dem Verstorbenen gemacht worden sind.

Schenkungen an Pflichtteilsberechtigte

§ 783. (1) Auf Verlangen eines Pflichtteils-berechtigten oder eines Erben sind Schenkungen an Personen, die dem Kreis der Pflichtteilsberechtigten angehören (§ 757), der Verlassenschaft hinzuzurechnen und auf den Pflichtteil der beschenkten Person oder derjenigen Person, die an deren Stelle tritt, anzurechnen. Ein Geschenknehmer, der im Zeitpunkt der Schenkung allgemein zum Kreis der pflichtteilsberechtigten Personen gehörte (§ 757) und dem deshalb kein Pflichtteil zukommt, weil er auf seinen Pflichtteil verzichtet hat oder die Erbschaft ausgeschlagen hat, kann ebenfalls die Hinzu- und Anrechnung von Schenkungen an Pflichtteilsberechtigte verlangen.

(2) Die Hinzu- und Anrechnung kann auch ein Vermächtnisnehmer verlangen, soweit er zur Pflichtteilserfüllung beizutragen hat oder einen verhältnismäßigen Abzug erleidet.

[]

IV. Haftung des Geschenknehmers

§ 789. (1) Wenn bei Bestimmung der Pflichtteile Schenkungen hinzu- oder angerechnet werden, die Verlassenschaft aber zur Deckung der Pflichtteile nicht ausreicht, kann der verkürzte Pflichtteilsberechtigte vom Geschenknehmer die Zahlung des Fehlbetrags verlangen.

[...]

§ 792. Wenn der Geschenknehmer im Zeitpunkt der Schenkung nicht zum Kreis der pflichtteilsberechtigten Personen gehörte (§ 757), haftet er nicht, wenn der Verstorbene die Schenkung mehr als zwei Jahre vor seinem Tod wirklich gemacht hat.

[31]           2.3.2. Abstrakte Pflichtteilsberechtigung

[32]           Dass aufgrund der Formulierung des Gesetzestextes („dem Kreis der Pflichtteilsberechtigten angehören“) und des Verweises auf § 757 ABGB nur mehr auf die abstrakte Pflichtteilsberechtigung abzustellen ist, ist in der Rechtsprechung gänzlich und in der Lehre nahezu unbestritten (2 Ob 98/17a [B.4.1.c]; Welser, Erbrechts-Kommentar § 783 Rz 2; Nemeth/Niedermayr in Schwimann/Kodek5, §§ 782–783 Rz 22; Schauer in Barth/Pesendorfer, Praxishandbuch des neuen Erbrechts 218; Barth/Pesendorfer, Erbrechtsreform 2015, 123 und 125; Umlauft, Die Hinzu- und Anrechnung von Schenkungen im Erb- und Pflichtteilsrecht2 [2018] 87 f; teilweise aA nur Kogler, Befristete oder unbefristete Schenkungsanrechnung: Wer ist pflichtteilsberechtigt iSd §§ 782‚ 783 ABGB nF?, JBl 2016, 220).

[33]            2.3.3. Problemstellung

[34]     Die Beklagte gehörte im Zeitpunkt der Schenkung (Datum des Übergabsvertrags: 3. 9. 2014; dazu vgl unten 3.) als damalige Ehegattin des Erblassers gemäß § 757 ABGB zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten, jedoch wegen der Scheidung im Jahr 2017 im Zeitpunkt des Todes des Erblassers nicht mehr. Somit stellt sich die bereits vom Berufungsgericht zu Recht als erheblich bezeichnete Rechtsfrage, auf welchen Zeitpunkt der (abstrakten) Pflichtteilsberechtigung des Beschenkten für die – hier relevante – zweijährige Befristung der Hinzurechnung der Schenkung nach § 782 Abs 1 ABGB abzustellen ist.

[35]     Das Gesetz trifft insoweit keine eindeutige Aussage. Auch die Materialien zum ErbRÄG 2015 (ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 33 f) geben darüber keinen Aufschluss. In Frage kommen der Zeitpunkt der Schenkung, der Zeitpunkt des Todes des Erblassers oder schließlich beide genannten Zeitpunkte gemeinsam.

[36]     Kommt es nur auf den Zeitpunkt der Schenkung an (so die Meinung des Revisionswerbers), wäre nach § 783 Abs 1 ABGB die Schenkung unbefristet hinzuzurechnen. Kommt es hingegen nur auf den Todeszeitpunkt an oder auf beide Zeitpunkte gemeinsam, wäre die Befristung nach § 782 Abs 1 ABGB anzuwenden. Da die Schenkung mehr als zwei Jahre vor dem Tod des Erblasser gemacht wurde, wäre sie für den Pflichtteilsanspruch des Klägers nicht hinzuzurechnen.

[37]            2.3.4. Meinungsstand

[38]     Im bereits zahlreich vorliegenden Schrifttum finden sich Stellungnahmen zu allen drei genannten Auslegungsmöglichkeiten.

[39]           2.3.4.1. Schenkungszeitpunkt

[40]           Apathy (Zur Hinzurechnung und Anrechnung im neuen Erbrecht, ÖJZ 2016, 807), Umlauft (Hinzu- und Anrechnung2 89 ff) und Perner/Spitzer/Kodek (Bürgerliches Recht6 [2019] 625) vertreten die Ansicht, es sei nur auf den Zeitpunkt der Schenkung abzustellen.

[41]           Apathy leitet dies einerseits aus § 792 ABGB ab. Zum anderen ergebe sich dies aus dem Normzweck des § 782 Abs 2 ABGB: Habe der Schenker die Zuwendung zu einem Zeitpunkt gemacht, zu dem er mit Pflichtteilsansprüchen von Nachkommen bzw des konkreten Ehegatten nicht rechnen musste, so bleibe sie außer Betracht.

[42]           Umlauft argumentiert, aus § 789 Abs 1 Satz 1 ABGB sei abzuleiten, dass die Gruppe der hinzu- oder anzurechnenden Schenkungen und die Gruppe der Schenkungen, mit denen für nicht erfüllte Pflichtteilsansprüche gehaftet werde, deckungsgleich seien. Da § 792 ABGB ausdrücklich auf den Schenkungszeitpunkt abstelle, könne aus der Zusammenschau mit § 789 Abs 1 Satz 1 ABGB zwanglos abgeleitet werden, dass für die Frage der Pflichtteilsberechtigung der Schenkungszeitpunkt maßgeblich sei. Auch das bereits zur alten Rechtslage vertretene Argument der „familia suspecta“ stelle auf diesen Zeitpunkt ab; der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit spreche ebenfalls hierfür. Das Argument der Gegenmeinung, dass in § 782 Abs 1 ABGB das Wort „angehören“ in der Präsensform enthalten sei, könne im Vergleich zum klaren Gesetzeswortlaut des § 789 Abs 1 Satz 1 iVm § 792 ABGB nicht überzeugen.

[43]           Perner/Spitzer/Kodek begründen die Relevanz des Schenkungszeitpunkts mit dem Argument der „familia suspecta“; die abstrakte Pflichtteilsberechtigung im Todeszeitpunkt als zusätzliche Voraussetzung ordne das Gesetz nirgends an.

[44]           2.3.4.2. Todeszeitpunkt

[45]           Nach Rabl (Erbrechtsreform 2015 – Pflichtteilsrecht neu, NZ 2015, 321 [340 f]) deutet der Gesetzeswortlaut darauf hin, dass die abstrakte Pflichtteilsberechtigung beim Tod des Erblassers maßgebend sei. Auf der anderen Seite verweise § 792 ABGB in die Vergangenheit. Ob man hieraus ableiten könne, dass für die befristete Anrechnung zusätzlich zur abstrakten Pflichtteilsberechtigung im Zeitpunkt des Todes auch jene im Zeitpunkt des Geschenks vorliegen müsse, sei fraglich. Sein diesbezüglicher Verweis auf die Materialien, die Letzteres aussagten, ist jedoch unzutreffend.

[46]           Nach Pollan (Schenkungsanrechnung und Pflichtteilsberechtigung, NZ 2018, 81) kommt es nur auf die abstrakte Pflichtteilsberechtigung zum Todeszeitpunkt an. Dies sei aus dem Gesetzeswortlaut abzuleiten: Während in § 782 und § 783 Abs 1 Satz 1 ABGB von Personen, die dem Kreis der Pflichtteilsberechtigten „angehören“ (Präsens) die Rede sei, gehe es in § 783 Abs 1 Satz 2 und § 792 ABGB um einen Geschenknehmer, der im Zeitpunkt der Schenkung (nicht) zum Kreis der pflichtteilsberechtigten Personen „gehörte“ (Imperfekt). Aus der gewählten Zeitform könne gefolgert werden, dass der Gesetzgeber damit den Zeitpunkt habe benennen wollen, zu dem die (abstrakte) Pflichtteilsberechtigung vorliegen müsse, wobei unter dem in der Gegenwart liegenden Zeitpunkt der Erbfall zu verstehen sei. Überzeugende Anhaltspunkte dafür, dass auf den Schenkungs- und im Todeszeitpunkt abzustellen sei, ließen sich nicht finden. Mit § 783 Abs 1 Satz 2 ABGB habe der Gesetzgeber kein generelles zusätzliches Tatbestandsmerkmal für die unbefristete Anrechnung begründen wollen. Dies könne auch nicht aus § 792 ABGB geschlossen werden. Der Gesetzgeber habe die Voraussetzung für die Hinzu- und Anrechnung bewusst anders geregelt als die Voraussetzungen für die Haftung: Habe der Beschenkte bei der Schenkung nicht dem Kreis des § 757 ABGB angehört, sei aber später in diesen Kreis eingetreten und damit im Erbfall zumindest abstrakt pflichtteilsberechtigt, komme es zur unbefristeten Hinzurechnung zur Verlassenschaft. Die besondere Situation zum Schenkungszeitpunkt aber (Vertrauen auf eine nur befristete Herausgabepflicht) verdiene insofern Beachtung, als die Haftung des Beschenkten weiterhin nur befristet fortbestehen solle, was in § 792 ABGB geregelt werde. Dem von Anfang an dem Kreis des § 757 ABGB Zugehörigen, der somit immer schon mit der unbefristeten Anrechnung und Haftung habe rechnen müssen, komme dieses Schutzargument hingegen nicht zustatten. Auch aus § 782 Abs 2 ABGB sei nicht abzuleiten, dass es für die Pflichtteilsberechtigung generell auf den Schenkungszeitpunkt ankomme, da hiermit nur der spezielle Umstand geregelt worden sei, dass der Geschenkgeber bei der Schenkung an einen Dritten keine Noterben „gehabt hat“ und es die besondere Aufgabe des § 792 ABGB sei, Änderungen in der Pflichtteilsberechtigung von Personen zwischen Schenkung und Ableben zu berücksichtigen.

[47]           2.3.4.3. Schenkungszeitpunkt und Todeszeitpunkt

[48]     Die Ansicht, § 783 ABGB sei nur dann anzuwenden, wenn sowohl im Zeitpunkt der Schenkung als auch in jenem des Todes die abstrakte Pflichtteilsberechtigung vorliegt, vertreten Schauer (in Barth/Pesendorfer, Praxishandbuch des neuen Erbrechts 217 ff), Barth/Pesendorfer (Erbrechtsreform 2015, 123 und 125), Rucker (Die Anrechnung im neuen Erbrecht, NZ 2016, 81 [88, FN 90]), Wolkerstorfer (Eintritt des Vermögensopfers bei der Schenkung auf den Todesfall, NZ 2017, 418 [419]), Hofmann (NZ 2017, 102 [106; Anm zu VfGH 13. 12. 2016, G 572/2015]) und Eccher (Die österreichische Erbrechtsreform Rz 173).

[49]            Barth/Pesendorfer, Rucker und Wolkerstorfer begründen die Relevanz des Schenkungszeitpunkts mit § 792 ABGB, der für die Ausfallhaftung ausdrücklich auf den Schenkungszeitpunkt abstelle. Die Relevanz des Todeszeitpunkts ergebe sich aus der Formulierung des § 782 Abs 1 ABGB („die nicht dem Kreis der Pflichtteilsberechtigten angehören“ statt „angehörten“).

[50]            Schauer stützt sich auf die soeben erwähnten Argumente und führt darüber hinaus aus, für die Relevanz des Schenkungszeitpunkts spreche zunächst, dass die abstrakte Pflichtteilsberechtigung auch zum bisherigen Recht stets im Zusammenhang mit der Schenkung für relevant gehalten worden sei und vermutet werden dürfe, dass sich der Gesetzgeber daran orientieren habe wollen. Für diese Lösung spreche der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit: Die Rechtsfolgen der Schenkung sollten mit Blick auf die mögliche Haftung des Beschenkten bereits im Schenkungszeitpunkt feststehen. Spätere Ereignisse sollten darauf keinen Einfluss mehr haben.

[51]     Auch Hofmann argumentiert mit § 792 ABGB (Relevanz des Schenkungszeitpunkts) und dem Wortlaut des § 783 Abs 1 Satz 1 ABGB („angehören“: Relevanz des Todeszeitpunkts). Dass auf den Schenkungszeitpunkt abzustellen sei, begründet er darüber hinaus mit § 783 Abs 1 Satz 2 ABGB, der voraussetze, dass bereits mit der Schenkung die unlimitierte Anrechnungspflicht (bedingt durch den Fortbestand der abstrakten Pflichtteilsberechtigung bis zum Erbfall) entstehe und der funktionslos wäre, wenn die abstrakte Pflichtteilsberechtigung zum Schenkungszeitpunkt irrelevant wäre.

[52]            Eccher begründet die Relevanz beider Zeitpunkte mit dem Argument der „familia suspecta“.

[53]           2.3.4.4. Weitere Meinungen

[54]            Welser (Erbrechts-Kommentar) referiert zunächst den Meinungsstand (Vor § 782 Rz 4; § 783 Rz 4 ff), ohne sich selbst festzulegen (§ 783 Rz 13). An anderer Stelle (§ 792 Rz 2) neigt er aber der Ansicht zu, es sei nur auf den Schenkungszeitpunkt abzustellen.

[55]           Kogler (Befristete oder unbefristete Schenkungsanrechnung: Wer ist pflichtteilsberechtigt iSd §§ 782‚ 783 ABGB nF?, JBl 2016, 220) vertritt die Ansicht, eine Schenkung sei nur dann unbefristet hinzu- und anzurechnen, wenn der Beschenkte im Schenkungszeitpunkt abstrakt pflichtteilsberechtigt gewesen sei und im Erbfall bei ihm oder jemand anderen die Schenkung (formal) angerechnet werden könne. Dieses Zusatzerfordernis liege vor, wenn der Pflichtteilsberechtigte im Erbfall konkret pflichtteilsberechtigt sei, sein Pflichtteil von jemand anderem übernommen worden sei oder er auf seinen Pflichtteil verzichtet oder sein Erbrecht ausgeschlagen habe. Die Relevanz des Schenkungszeitpunkts leitet Kogler aus dem Gesetzeswortlaut des § 783 ABGB und aus den diesbezüglichen Erläuterungen ab: § 783 ABGB („auf den Pflichtteil der beschenkten Person oder derjenigen Person, die an deren Stelle tritt, anzurechnen“) gehe wörtlich davon aus, dass eine Schenkung an einen Pflichtteilsberechtigten auch dann vorliegen könne, wenn der Beschenkte im Erbfall gar nicht mehr existiere und damit in diesem Zeitpunkt nicht einmal abstrakt pflichtteilsberechtigt sei. Insofern könne § 783 ABGB nur auf die abstrakte Pflichtteilsberechtigung im Schenkungszeitpunkt abstellen. In den Erläuterungen zu § 783 ABGB sei in diesem Zusammenhang (Anrechnung der Schenkung bei der Person, die an die Stelle des Beschenkten tritt) von einem Übergang der Anrechnungspflicht die Rede. Wäre der Beschenkte nicht abstrakt pflichtteilsberechtigt, könnte es bei ihm aber weder eine Anrechnungspflicht geben noch könnte diese übergehen. Der Gesetzgeber hätte hier also eine abstrakte Pflichtteilsberechtigung des Beschenkten im Schenkungszeitpunkt vor Augen gehabt. Aus § 792 ABGB sei für den maßgeblichen Zeitpunkt nach §§ 782 f ABGB hingegen nichts zu gewinnen, da Haftung und Hinzu- und Anrechnung nicht Hand in Hand gehen müssten. Das Abstellen auf den Schenkungszeitpunkt in § 792 ABGB hätte nach der ursprünglichen Fassung des Ministerialentwurfs eine eigenständige Bedeutung gehabt; der Gesetzgeber habe sich bei der Beibehaltung des § 792 idF des Ministerialentwurfs offenbar keine näheren Gedanken gemacht. Auf die abstrakte Pflichtteilsberechtigung zum Todeszeitpunkt sei nicht abzustellen, da dies dazu führe, dass der Vortod des Beschenkten anders behandelt werde als andere Ausschlussgründe (nur beim Vortod komme es mangels abstrakter Pflichtteilsberechtigung zu keiner Anrechnung).

[56]           Nemeth/Niedermayr (in Schwimann/Kodek, ABGB5 §§ 782–783 Rz 25), Bittner/Hawel (in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.05 § 782 Rz 1) und Egger (in Schwimann/Neumayr, ABGB, TaKomm4 §§ 782 f Rz 1) fassen die bisherigen Lehrmeinungen ohne eigene Stellungnahme zusammen.

[57]           2.3.5. Stellungnahme

[58]           Wie erwähnt, ist für die Beantwortung der in Rede stehenden Rechtsfrage weder der Gesetzeswortlaut eindeutig, noch geben die Gesetzesmaterialien zu den Bestimmungen über die Hinzu- und Anrechnung von Schenkungen unter Lebenden (§§ 781 ff ABGB) über die diesbezügliche Absicht des Gesetzgebers Aufschluss. Wie der dargestellte Meinungsstand dokumentiert, können für alle drei möglichen Ansichten mehr oder weniger gute Gründe ins Treffen geführt werden.

[59]           2.3.5.1. Die ganz allgemeinen Absichten des Gesetzgebers des ErbRÄG 2015 sind jedoch aus den einleitenden Bemerkungen in den Erläuerungen deutlich erkennbar:

„Die Modernisierung soll aber mit Augenmaß erfolgen. Änderungen sollen nur dort erfolgen, wo sie wirklich nötig sind, sei dies weil das Gesetz verständlicher werden kann, sei dies weil die gesellschaftliche Entwicklung andere Lösungen für erbrechtliche Fragen nahe legt. Auf die Wahrung einer kontinuierlichen Rechtsentwicklung wird besonders geachtet, was sich auch daran zeigt, dass ganz überwiegend die herrschende Rechtsprechung kodifiziert wird.“ (ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 1)

[60]            2.3.5.2. Nach Ansicht des Senats ist daraus der Schluss zu ziehen, dass – jedenfalls zur hier maßgeblichen Frage der Hinzu- und Anrechnung von Schenkungen im Pflichtteilsrecht – ein beabsichtigtes Abgehen von der bisherigen Rechtslage nur dort anzunehmen ist, wo sich dies eindeutig aus dem Gesetzeswortlaut oder aus den – dem Gesetzeswortlaut nicht widersprechenden – Materialien ergibt.

[61]            2.3.5.3. Eine derartige eindeutige Abweichung liegt insoweit vor, als es im Gegensatz zum alten Recht (vgl 2.2.) generell nur mehr auf die abstrakte Pflichtteilsberechtigung (vgl 2.3.2.: „dem Kreis der Pflichtteilsberechtigten“) ankommt.

[62]           2.3.5.4. Für den oder die relevanten Zeitpunkte, in denen diese abstrakte Pflichtteilsberechtigung vorliegen muss, sind hingegen – wie ausgeführt – weder das Gesetz noch die Materialien aussagekräftig.

[63]           2.3.5.5. Ein bekanntes Problem des alten Rechts lag in Umgehungsversuchen dergestalt, dass ein Pflichtteilsberechtigter aufgrund eines Pflichtteilsverzichts im Zuge einer vom Erblasser empfangenen Schenkung im Zeitpunkt des Todes des Erblassers nicht mehr konkret pflichtteilsberechtigt war und die Schenkung, sofern sie länger als zwei Jahre vor dem Tod des Schenkers erfolgt war, gemäß § 785 Abs 3 letzter Satz ABGB aF anrechnungsfrei wurde.

[64]     Gegen diese Umgehungsversuche billigte die Rechtsprechung den Einwand des Rechtsmissbrauchs zu (RS0037904; RS0119567). Diese Rechtsprechung führte aber wiederum zu Rechtsunsicherheit, weil die Beurteilung des Rechtsmissbrauchs (notwendigerweise) einzelfallbezogen erfolgte.

[65]            2.3.5.6. Wenn nun die neue Regelung ausdrücklich auf die abstrakte Pflichtteilsberechtigung abstellt, ohne jedoch etwas zum relevanten Zeitpunkt zu sagen, kann dies nach Ansicht des Senats nur so gedeutet werden, dass genau diese Problematik des alten Rechts (eine andere gab es insofern ja nicht) beseitigt werden sollte: Ein Pflichtteilsverzicht (oder auch eine Enterbung) soll irrelevant sein.

[66]            2.3.5.7. Dagegen ist ein Motiv, der Gesetzgeber habe von der Relevanz des Schenkungszeitpunkts abgehen wollen, nicht erkennbar: Der Gesetzgeber des ErbRÄG 2015 hat die Zweijahresfrist des § 785 Abs 3 letzter Satz ABGB aF unverändert in § 782 Abs 1 ABGB idF des ErbRÄG 2015 übernommen.

[67]     Zu dieser Frist hat der Senat zum alten Recht wiederholt ausgesprochen, deren Zweck liege nach den Gesetzesmaterialien (zur 3. Teilnovelle) darin, dass bei innerhalb dieser Frist gemachten Schenkungen typischerweise der Verdacht einer bewussten Verkürzung von Pflichtteilsberechtigten bestehe, bei länger zurückliegenden hingegen nicht; die „kritische Zeit für Umgehungen des Noterbenrechts“ sei „hauptsächlich nur die letzte Zeit vor dem Tode des Erblassers“ (2 Ob 125/15v; 2 Ob 145/16m; 2 Ob 142/18y; jeweils mwN).

[68]     Für die unbefristete Anrechnung von Schenkungen an Pflichtteilsberechtigte wurde einerseits der Ausgleichsgedanke, andererseits der Gedanke der „familia suspecta“ ins Treffen geführt (vgl 5 Ob 558/87; 7 Ob 600/90; 4 Ob 519/95; 6 Ob 555/95; 1 Ob 2281/96i; 4 Ob 136/98y).

[69]     Es gibt keinen Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber des ErbRÄG 2015 von diesen Wertungen abrücken wollte. Dies spricht dafür, dass für die unbefristete Hinzu- und Anrechnung von Schenkungen auch weiterhin die (abstrakte) Pflichtteilsberechtigung des Beschenkten im Zeitpunkt der Schenkung erforderlich ist.

[70]            2.3.5.8. Ebenso gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass abweichend vom alten Recht die (jetzt abstrakte) Pflichtteilsberechtigung im Zeitpunkt des Todes des Erblassers keine Bedeutung für die unbefristete Hinzu- und Anrechnung von Schenkungen haben sollte. Dazu kommt, dass – in Übereinstimmung mit einigen der genannten Autoren – darauf hinzuweisen ist, dass sowohl § 782 Abs 1 als auch § 783 Abs 1 Satz 1 ABGB das Präsens („angehören“) und nicht das Imperfekt verwenden. Da sich die Frage der Hinzurechnung immer erst nach dem Tod des Erblassers stellen kann, ist dies ein weiteres Indiz dafür, dass es (auch) auf den Zeitpunkt des Todes des Erblassers ankommt. Dies steht vor allem im Kontrast dazu, dass in § 783 Abs 1 Satz 2 ABGB, also unmittelbar danach, im Gegensatz dazu von einem Geschenknehmer die Rede ist, „der im Zeitpunkt der Schenkung allgemein zum Kreis der pflichtteilsberechtigten Personen gehörte“ (Imperfekt). Die gleichartige Formulierung findet sich auch in § 792 ABGB. Dies kann ein Indiz dafür sein, dass die Wahl des Präsens in den hier anzuwendenden Sätzen nicht bloß zufällig erfolgte.

[71]           2.3.6. Der Senat kommt daher zu folgendem Zwischenergebnis:

[72]           Eine Schenkung ist nach § 783 Abs 1 Satz 1 ABGB nur dann unbefristet hinzuzurechnen, wenn der Beschenkte sowohl im Zeitpunkt der Schenkung als auch im Zeitpunkt des Todes des Erblassers zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten gehörte.

[73]     Die Beklagte gehörte im Zeitpunkt des Todes des Erblassers diesem Kreis nicht mehr an, weshalb sowohl für die Hinzurechnung der Schenkung iSd § 782 Abs 1 ABGB als auch für die Haftung nach § 789 Abs 1 ABGB die Zweijahresfrist maßgeblich ist.

[74]           3. Schenkung innerhalb der Zweijahresfrist „wirklich gemacht“?

[75]           3.1. Wenn der Erblasser einen Teil des Mietzinses für (bloß) ein vermietetes Zimmer entgegennahm, hat er sich dadurch keineswegs „sämtliche“ Nutzungen an der geschenkten Sache vorbehalten, die das Vermögensopfer hindern könnten. Ob der Vorbehalt eines Fruchtgenussrechts auch unter dem Regime des ErbRÄG 2015 das Vermögensopfer hindert (zur Rechtslage vor dem ErbRÄG 2015 vgl RS0130273), muss daher hier nicht beurteilt werden. Der Vorbehalt eines Wohnungsgebrauchsrechts hindert das Vermögensopfer nicht (zur Rechtslage vor dem ErbRÄG 2015 vgl RS0130273 [T2]; insoweit hat sich durch das ErbRÄG 2015 nichts geändert, vgl ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 34: „Durch ein bloßes Nutzungsrecht wird das Vermögensopfer aber regelmäßig nicht ausgeschlossen.“).

[76]           3.2. Ob der mangels Notariatsakt nicht formgültig (§ 1 Abs 1 lit d NotAktsG) errichtete Schenkungsvertrag durch „wirkliche Übergabe“ geheilt wurde (dies für die Besitzauflassung bei einer im gemeinsamen Gewahrsam stehenden Sache offen lassend 2 Ob 122/17f [4.2 lit a]), hat auf das Ergebnis keinen Einfluss:

[77]           Bei Ungültigkeit des Vertrags befände sich die Liegenschaftshälfte materiell noch im ruhenden Nachlass. Der diesbezüglich die Beklagte als Eigentümerin ausweisende Grundbuchsstand wäre falsch, weil die Beklagte mangels Einantwortung auch dadurch nicht Eigentum erworben haben könnte. In diesem Fall hätte die Verlassenschaft einen Anspruch auf Löschung des Eigentumsrechts der Beklagten; ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte bestünde hingegen nicht, weil es einerseits überhaupt an einer hinzurechnungspflichtigen Schenkung mangelte und andererseits die Beklagte mangels Einantwortung auch als Erbin nicht haftete.

[78]     Ginge man hingegen von einem wegen wirklicher Übergabe wirksamen Schenkungsvertrag (hier jedenfalls ohne Vorbehalt „sämtlicher“ Nutzungen, vgl 3.1.) aus, so wäre die Schenkung länger als zwei Jahre vor dem Tod des Schenkers erfolgt und wäre somit unter Zugrundelegung des Zwischenergebnisses (3.2.6.) hinzurechnungsfrei.

[79]           3.3. Soweit der Revisionswerber vorbringt, die Beklagte habe mit dem Erblasser bis zu dessen Tod eine Lebensgemeinschaft wie in Form einer Ehe gehabt, weshalb ihre Berufung auf die Scheidung und somit auf die Zweijahresfrist des § 782 Abs 1 ABGB sittenwidrig sei, geht er nicht vom festgestellten Sachverhalt aus.

[80]           Sofern man die Ehescheidung als rechtsmissbräuchlich ansehen wollte, weil sie die Erlangung einer Leistung des AMS an die Beklagte bezweckte, könnte sich der Kläger darauf nicht berufen, weil sich dieser Rechtsmissbrauch nicht gegen ihn richtete. Seine in erster Instanz aufgestellte Behauptung, mit der Scheidung wäre die Beseitigung der unbefristeten Schenkungshinzurechnung und damit die Ausschaltung seines Pflichtteilsrechts bezweckt gewesen, findet in den Feststellungen keine Deckung.

[81]           4. Ergebnis

[82]           Aus den vorstehenden Erwägungen erweist sich die klageabweisende Entscheidung des Berufungsgerichts als rechtsrichtig, weshalb der Revision nicht Folge zu geben ist.

[83]            5. Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 41, 50 ZPO.

Textnummer

E129135

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0020OB00195.19V.0806.000

Im RIS seit

24.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

27.09.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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