TE Bvwg Erkenntnis 2019/10/8 L521 2220660-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.10.2019
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Entscheidungsdatum

08.10.2019

Norm

AVG §71
BFA-VG §18 Abs2 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs5
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3
FPG §55 Abs4

Spruch

L521 2220660-1/24E

Schriftliche Ausfertigung des am 13.09.2019 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter MMag. Mathias Kopf, LL.M. über die Beschwerde des XXXX , Staatsangehörigkeit Türkei, vertreten durch Mag. Manuel DIETRICH, Rechtsanwalt in 6971 Hard, In der Wirke 3, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.05.2019, Zl. 380125601-181227415, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 13.09.2019 beschlossen und zu Recht erkannt:

A)

I. Der beschwerdeführende Partei wird gemäß § 71 AVG die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.05.2019, Zl. 380125601-181227415, bewilligt.

II. Die Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.05.2019, Zl. 380125601-181227415, wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass das wider die beschwerdeführende Partei ausgesprochene Einreiseverbot auf die Dauer von fünfeinhalb Jahren herabgesetzt wird.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, erlangte am 05.10.2006 bei der österreichischen Botschaft in Ankara ein Visum zur Einreise und gelangte damit am 08.10.2006 rechtmäßig im Luftweg nach Österreich in das Bundesgebiet. Bereits zuvor hatte der Beschwerdeführer am 11.07.2006 die Ausstellung eines Aufenthaltstitels als Familienangehöriger beantragt und es wurde diesem Antrag insoweit entsprechen, als dem Beschwerdeführer ein vom 08.08.2006 bis zu 07.08.2007 gültiger Aufenthaltstitel als Familienangehöriger ausgestellt wurde.

Der Beschwerdeführer hielt sich in der Folge aufgrund jährlich verlängerter Aufenthaltstitel als Familienangehöriger rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Sein zuletzt vom 03.04.2018 bis zum 03.04.2019 gültiger Aufenthaltstitel ist zwischenzeitlich abgelaufen, der Beschwerdeführer beantragte jedoch fristgerecht die Verlängerung.

2. Mit mit Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 21.03.2019, XXXX , wurde der Beschwerdeführer des Verbrechens des versuchten schweren Raubes nach den §§ 15, 142 Abs. 1 und 143 Abs. 1 zweiter Fall StGB, weiters des Vergehens nach § 50 Abs. 1 Z. 1 WaffG und des Vergehens nach § 79 Abs. 1 Z. 2 Außenwirtschaftsgesetz schuldig erkannt und gemäß §§ 28 und 143 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt.

Der Beschwerdeführer verbüßt die Freiheitsstrafe derzeit in der Außenstelle Dornbirn der Justizanstalt Feldkirch.

3. Mit dem hier angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.05.2019, Zl. 380125601-181227415, wurde wider den Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 5 FPG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt I.) sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei gemäß § 46 FPG 2005 zulässig sei (Spruchpunkt II.). Gemäß § 53 Abs. 1 und 3 FPG 2005 wurde wider den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.) und gemäß § 55 Abs. 4 FPG 2005 keine Frist für eine freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt IV.). Die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde wurde gemäß § 18 Abs. 2 Z. 1 BFA-VG aberkannt (Spruchpunkt V.).

Begründend führte das Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer sei wegen des Verbrechens des versuchten schweren Raubes, des Vergehens nach § 50 Abs. 1 Z. 1 WaffG und des Vergehens nach § 79 Abs. 1 Z. 2 Außenwirtschaftsgesetz rechtskräftig verurteilt worden. Sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet stelle aufgrund seines bisherigen Verhaltens und dem von ihm verübten schweren Verbrechen eine gegenwärtige und schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar. In Anbetracht der Strafffälligkeit erweise sich ein Eingriff in die familiären Bindungen des Beschwerdeführers - dieser sei mit einer österreichischen Staatsangehörigen verheiratet und habe drei Kinder - als vertretbar. Eine positive Zukunftsprognose könne nicht getroffen werden. In einer Gesamtbeurteilung erweise sich ein Einreiseverbot in der Dauer von acht Jahren als gerechtfertigt und notwendig.

4. Mit Verfahrensanordnungen vom 24.05.2019 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig eine Rechtsberatungsorganisation für das Beschwerdeverfahren beigegeben und der Beschwerdeführer ferner gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG darüber informiert, dass er verpflichtet sei, ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen.

5. Gegen den dem Beschwerdeführer durch eigenhändige Übergabe durch Organe der Justizwache zugestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richtet sich die im Wege der gewillkürten Vertretung des Beschwerdeführers eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

In dieser wird inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften moniert und (erkennbar) beantragt, den angefochtenen Bescheid ersatzlos zu beheben und das Verfahren einzustellen. Eventualiter wird ein Aufhebungsantrag gestellt und die Herabsetzung der Rückkehrentscheidung (!) sowie jedenfalls die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht begehrt.

In der Sache bringt der Beschwerdeführer vor, die rechtliche Beurteilung des angefochtenen Bescheides sei "für den konkreten Fall vollkommen verfehlt". Das belangte Bundesamt habe sich nicht mit dem Assoziierungsabkommen auseinandergesetzt und es hätte "den Sachverhalt genauer hinterfragen" müssen. Der Beschwerdeführer stelle keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dar, da er bereits wieder resozialisiert sei und er kein Naheverhältnis zu einer terroristischen oder extremistischen Organisation pflege. Nach der Verbüßung seiner Freiheitsstrafe werde der Beschwerdeführer wieder seiner Tätigkeit als Staplerfahrer nachgehen und dermaßen ein eigenes Einkommen erzielen. Er sei glücklich verheiratet und habe drei Kinder, zwei davon würden an einer "unheilbaren Krankheit" leiden.

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot stelle sich daher als unverhältnismäßiger Eingriff in das Familienleben des Beschwerdeführers dar.

6. Die Beschwerdevorlage langte am 01.07.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Die Rechtssache wurde in weiterer Folge zunächst unrichtig der Gerichtsabteilung I411 und nach einer Unzuständigkeitsanzeige des Leiters dieser Gerichtsabteilung der nun zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichts zugewiesen.

7. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 03.07.2019, L521 2220660-1/6Z, wurde der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

8. Mit Note des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.07.2019 wurde der Beschwerdeführer im Wege seiner rechtsfreundlichen Vertretung darüber in Kenntnis gesetzt, dass seine am 25.06.2019 eingebrachte Beschwerde in Anbetracht der der Aktenlage nach am 27.05.2019 erfolgten Zustellung des angefochtenen Bescheides als verspätet erachtet werde.

9. Der Beschwerdeführer nahm dazu im Wege seiner rechtsfreundlichen Vertretung mit Schriftsatz vom 15.07.2019 Stellung und brachte unter einem einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.05.2019 ein. Begründend führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, sein rechtsfreundliche Vertreter habe aufgrund des unklaren Datums der Zustellung Rücksprache mit dem belangten Bundesamt gehalten und es sei ihm dort der 28.05.2019 als Datum der Zustellung des angefochtenen Bescheides genannt worden.

10. Zur Vorbereitung der für den 13.09.2019 anberaumten mündlichen Verhandlung wurden der rechtsfreundlichen Vertretung des Beschwerdeführers einerseits mit Note des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22.08.2019 aktuelle Länderdokumentationsunterlagen zur allgemeinen Lage in der Türkei zur Wahrung des Parteiengehörs übermittelt und die Möglichkeit eingeräumt, dazu innerhalb einer Frist schriftlich Stellung zu nehmen. Ferner wurde der Beschwerdeführer mit Note des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.09.2019 aufgefordert, anlässlich der mündlichen Verhandlung eine Einstellungszusage und medizinische Befunde betreffend die Erkrankung seiner Kinder in Vorlage zu bringen.

11. Mit Schriftsatz vom 11.09.2019 legte der rechtsfreundliche Vertreter des Beschwerdeführers gegenüber dem Bundesverwaltungsgericht dar, im Einvernehmen mit dem Beschwerdeführer nicht zur mündlichen Verhandlung zu erscheinen.

12. Am 13.09.2019 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung im Beisein des aus der Strafhaft vorgeführten Beschwerdeführers, einer Vertreterin des belangten Bundesamtes und eines gerichtlich beeideten Dolmetschers für die türkische Sprache durchgeführt. Im Verlauf dieser Verhandlung wurde dem Beschwerdeführer Gelegenheit gegeben, seinen Standpunkt umfassend darzulegen. Darüber hinaus wurde die Ehegattin des Beschwerdeführers als Zeugin einvernommen.

Im Anschluss an die mündliche Verhandlung wurde das gegenständliche Erkenntnis samt den wesentlichen Entscheidungsgründen mündlich verkündet und seitens des Beschwerdeführers mit Eingabe vom 26.09.2019 die Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung des Erkenntnisses beantragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer führt den im Spruch angeführten Namen, er ist Staatsangehöriger der Türkei und Angehöriger der türkischen Volksgruppe. Der Beschwerdeführer wurde am XXXX in der Stadt XXXX im gleichnamigen Landkreis in der Provinz Sinop in der Türkei geboren und lebte dort bis zur Ausreise. Der Beschwerdeführer ist Moslem und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam.

Der Beschwerdeführer ist - von nicht näher konkretisierten psychischen Beschwerden abgesehen - gesund und steht nicht in medizinischer Behandlung. Er nimmt Schlaftabletten ein und erhält eigenen Angaben zufolge Medikamente aufgrund einer Depression, nähere Feststellungen dazu sind nicht möglich.

Der Beschwerdeführer besuchte in der Türkei die Grundschule und eine weiterführende Schule im Ausmaß von elf Jahren und trat anschließend zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt in das Berufsleben ein. In den Jahren 2004 und 2005 absolvierte er seinen Wehrdienst in der Türkei vollständig.

Bereits im Jahr 2003 lernte der Beschwerdeführer in der Türkei seine nunmehrige Ehegattin XXXX kennen und schloss mit ihr im Jahr 2005 eine zivile und im Jahr 2006 eine konfessionelle Ehe. Am 05.10.2006 erlangte der Beschwerdeführer bei der österreichischen Botschaft in Ankara ein Visum zur Einreise und gelangte damit am 08.10.2006 rechtmäßig im Luftweg nach Österreich in das Bundesgebiet und begründete in der Folge am 11.10.2006 einen Wohnsitz in der Stadtgemeinde XXXX . Bereits zuvor hatte der Beschwerdeführer am 11.07.2006 die Ausstellung eines Aufenthaltstitels als Familienangehöriger beantragt und es wurde diesem Antrag insoweit entsprechen, als dem Beschwerdeführer ein vom 08.08.2006 bis zu 07.08.2007 gültiger Aufenthaltstitel als Familienangehöriger ausgestellt wurde. Seit dem 08.10.2006 lebt der Beschwerdeführer durchgehend in Österreich. Seine Familie in der Türkei besuchte der Beschwerdeführer im Gefolge von Urlaubsreisen, zuletzt im Jahr 2017.

In der Türkei leben die Eltern des Beschwerdeführers, sein Vater ist im Ruhestand und erhält eine Pension, seine Mutter führt den Haushalt. Der Beschwerdeführer hat darüber hinaus fünf Schwestern und einen Bruder, die allesamt in der Türkei leben und verheiratet sind. Drei seiner Schwestern und sein Bruder sind erwerbstätig.

1.2. Der Beschwerdeführer erlangte am 08.08.2006 eine von der Bezirkshauptmannschaft XXXX ausgestellten und bis zu 07.08.2007 gültigen Aufenthaltstitel als Familienangehöriger. Der Aufenthaltstitel wurde jährlich verlängert. Zuletzt erlangte der Beschwerdeführer einen vom 03.04.2018 bis zum 03.04.2019 gültigen Aufenthaltstitel. Er beantragte fristgerecht am 22.03.2019 die Verlängerung, seitens der Bezirkshauptmannschaft XXXX wurde über diesen Antrag bislang nicht entschieden.

1.3. Der Beschwerdeführer hat freien Zugang zum Arbeitsmarkt. Er war vom 23.11.2006 bis zum 04.01.2011 (mit mehrere kurzen Unterbrechungen) bei der ABC Personalbereitstellung GmbH als Arbeiter beschäftig. Im Zeitraum 03.01.2009 bis zum 06.01.2009 und vom 20.11.2011 bis zum 05.02.2011 bezog er Arbeitslosengeld. Vom 06.02.2018 bis zum 14.12.2018 war der Beschwerdeführer bei der XXXX als Lagerarbeiter beschäftigt und brachte dabei monatlich ca. EUR 1.800,00 netto ins Verdienen.

Seit dem 15.12.2018 ist der Beschwerdeführer arbeitslos. Es kann nicht festgestellt werden, dass er nach der Entlassung aus der Strafhaft seine Arbeitsstelle bei der XXXX neuerlich antreten kann.

1.4. Der Beschwerdeführer ist mit der österreichischen Staatsbürgerin XXXX , in aufrechter Ehe verheiratet. Während er die Beziehung zu seiner Ehegattin als intakt ansieht, erwägt diese die Scheidung und bezeichnet die Beziehung als "nicht gut".

Vor der Festnahme des Beschwerdeführers lebte dieser mit seiner Ehegattin und den drei gemeinsamen Kindern ( XXXX ) in einer Mietwohnung in der Stadtgemeinde XXXX . Die Wohnkosten betragen ca. EUR 750,00. Mieterin der Wohnung ist XXXX , sie bezieht derzeit zur Abdeckung der Wohnkosten Mietzuschuss.

Der Beschwerdeführer besuchte einen Deutschkurs im Ausmaß von 100 Einheiten im Jahr 2010, erreichte jedoch das Lernziel nicht. Im Jahr 2011 besuche er neuerlich einen Deutschkurs im Ausmaß von 100 Einheiten. Prüfungen über Kenntnisse der deutschen Sprache legte er nicht ab. Im August 2011 leitete die Bezirkshauptmannschaft XXXX wider den Beschwerdeführer ein fremdenpolizeiliches Verfahren wegen Nichterfüllung der Integrationsvereinbarung ein. Dieses Verfahren wurde in weiterer Folge eingestellt, da infolge des Urteiles des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-256/11, Murat Dereci und andere gegen Österreich, keine Berufung auf die Integrationsvereinbarung mehr möglich war.

Der Beschwerdeführer verfügt für den Alltagsgebrauch hinreichende Kenntnisse der deutschen Sprache, die er infolge seines langjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet erworben hat. Mit seiner Familie verkehrte er abwechselnd in türkischer und in deutscher Sprache.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich - von seinen Kindern abgesehen - keine Verwandten. Ein vereinsmäßiges Engagement des Beschwerdeführers ist nicht feststellbar.

Der Beschwerdeführer neigt dem Glücksspiel zu. Er besuchte zumindest seit dem Jahr 2014 regelmäßig das von ihm später überfallene Wettlokal " XXXX " in 6800 Feldkirch und platzierte dort regelmäßig Wetten. Der Beschwerdeführer besuchte außerdem in nicht feststellbarer Intensität Spielcasinos. Der Beschwerdeführer bestreitet, zu spielen bzw. spielsüchtig zu sein. Er nahm keine Therapie und auch keine anderweitige Beratung gegen seine Neigung zum Glücksspiel in Anspruch und stellte sein Verhalten auch nach Aussprachen mit seiner Ehegattin nicht ein.

Der Beschwerdeführer hegt außerdem seit seinem Militärdienst eine Vorliebe für

(Schuss-)Waffen. Er erwarb im Jahr 2010 unrechtmäßig eine Schusswaffe der Marke "Star", Kaliber 6,35 mm samt Munition, da ihm Schusswaffen gefallen. Diese Waffe verwendete er bei Begehung der Straftat, die den Anlass für das gegenständliche Verfahren bildet. Der Beschwerdeführer erwarb aus diesem Motiv heraus in den 2014 oder 2015 insgesamt ca. 400 Schuss Munition unterschiedlichen Kalibers und verwahrte diese in seinem Keller.

Der Beschwerdeführer ist bei der XXXX und bei der XXXX verschuldet, die gegenwärtige Höhe der Außenstände ist nicht exakt feststellbar. Bei der XXXX ging der Beschwerdeführer Verbindlichkeiten von ca. EUR 15.000,00 ein und verwendete das Kapital für den Ankauf von Möbeln. Bei der XXXX bestehen Verbindlichkeiten von zumindest EUR 50.000,00. Diese resultieren aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer regelmäßig sein Girokonto überzog und dieses im Wege der Aufnahme und regelmäßigen Aufstockung des Darlehens immer wieder ausglich. Nach der Festnahme richtete der Beschwerdeführer im Januar 2019 Schreiben an die XXXX die XXXX und ersuchte um Stundung und stellte eine Zahlungsvereinbarung nach der Entlassung aus der Strafhaft in Aussicht. Die XXXX reagierte darauf nicht und beauftragte ein Inkassobüro. Die XXXX gewährte dem Beschwerdeführer einen Raten- und Zinsenstopp für die Zeit der Inhaftierung. Eine Zahlungsvereinbarung kam (noch) nicht zustande.

1.5. Die Ehegattin des Beschwerdeführers leidet an struktureller Epilepsie, sie ist eingeschränkt arbeitsfähig und arbeitet derzeit als Reinigungskraft. Dabei bringt die Ehegattin des Beschwerdeführers ca. EUR 870,00- 890,00 monatlich ins Verdienen. Sie bezieht außerdem für die Kinder (erhöhte) Familienbeihilfe und Zuschüsse von der Bezirksverwaltungsbehörde. Die Ehegattin des Beschwerdeführers ist finanziell in der Lage, mit ihrem Erwerbseinkommen, der Familienbeihilfe und der empfangenen Sozialleistungen für ihr eigenes Auskommen und das Auskommen der drei Kinder zu sorgen. In XXXX leben außerdem die Eltern der Ehegattin des Beschwerdeführers und ihre drei Brüder, ihre Schwester lebt in Hohenems. Die Angehörigen der Ehegattin des Beschwerdeführers unterstützen diese bei der Lebensführung und der Betreuung der Kinder unterstützt.

Die Kinder des Beschwerdeführers sind österreichische und türkische Staatsbürger. Sie besuchen die Schule (erste bzw. zweite Klasse Volksschule bzw. zweite Klasse Mittelschule) in XXXX .

XXXX leiden an familiärem Mittelmeerfieber, einer vererbten Erkrankung aus der Gruppe der periodischen Fiebersyndrome und sind in medizinischer Behandlung. Die Krankheit verläuft in Schüben, die Bauchschmerzen, hohem Fieber und Gliederschmerzen verbunden sind. Die Schübe klingen innerhalb weniger Stunden wieder ab, wobei die Ehegattin des Beschwerdeführers den Kindern dazu Schmerzmittel verabreicht. Nicht festgestellt werden kann, dass aufgrund dieser Erkrankung eine Unterstützung der Familie durch den Beschwerdeführer unabdingbar ist.

XXXX litt außerdem unter einer chronischen Darmentzündung und Laktoseintoleranz, diese Erkrankungen sind ausgeheilt. Er leidet außerdem an Penisdeviation, eine dahingehende Operation ist erforderlich, der Termin jedoch noch nicht festgelegt. XXXX nahm zuletzt psychologische Betreuung in Anspruch, näheres dazu ist nicht feststellbar.

Die notwendige Betreuung und Beaufsichtigung der Kinder des Beschwerdeführers ist durch seine Ehegattin und die Unterstützung ihrer Familie sichergestellt.

1.5. Der Beschwerdeführer ist ein gesunder, arbeits- und anpassungsfähiger Mensch mit im Herkunftsstaat erworbener grundlegender Schulbildung und Berufserfahrung in der Bauwirtschaft und als selbständiger Unternehmer. Der Beschwerdeführer verfügt über eine - wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherte Existenzgrundlage in seinem Herkunftsstaat, eine Wohnmöglichkeit bei seinen Eltern sowie über familiäre Anknüpfungspunkte in seiner Herkunftsregion in Gestalt seiner dort lebenden Eltern und Geschwister. Dem Beschwerdeführer ist darüber hinaus die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zur Sicherstellung seines Auskommens möglich und zumutbar.

1.6. Der Beschwerdeführer verfügt über ein türkisches Reisedokument im Original.

1.7. Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 21.03.2019, XXXX , des Verbrechens des versuchten schweren Raubes nach den §§ 15, 142 Abs. 1 und 143 Abs. 1 zweiter Fall StGB, weiters des Vergehens nach § 50 Abs. 1 Z. 1 WaffG und des Vergehens nach § 79 Abs. 1 Z. 2 Außenwirtschaftsgesetz schuldig erkannt und gemäß §§ 28 und 143 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt.

Demnach hat der Beschwerdeführer am 05.12.2018 in Feldkirch der Angestellten des Wettlokales " XXXX , durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben unter Verwendung einer Waffe fremde bewegliche Sachen, nämlich Bargeld abzunötigen versucht, dies mit dem Vorsatz, durch deren Zueignung sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, indem der Beschwerdeführer ihr eine geladene Pistole der Marke "Star" vorhielt und ihr mit Zeichen zu verstehen gab, mit ihm ins Wettlokal zu gehen und ihm Bargeld zu übergeben. Ferner hat der Beschwerdeführer im Zeitraum 2010 bis zum 06.12.2018 in Bludenz und anderen Orten unbefugt eine Schusswaffe der Kategorie B, nämlich die Pistole der Marke "Star", besessen. Schließlich hat der Beschwerdeführer zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt im Jahr 2010 entgegen dem Außenwirtschaftsgesetz unrechtmäßig Güter - nämlich die Pistole der Marke "Star" - von der Türkei nach Österreich verbracht.

Bei der Strafzumessung wurde als mildernd die Unbescholtenheit, das umfassende Geständnis vor der Polizei sowie der Umstand berücksichtig, dass es beim Versuch blieb. Erschwerend wirkte sich das Zusammentreffen zweier Vergehen mit einem Verbrechen aus.

Der Beschwerdeführer verbüßt die Strafhaft derzeit in der Außenstelle Dornbirn der Justizanstalt Feldkirch im gelockerten Vollzug. Er wird als Hausarbeiter eingesetzt. Sein Betragen entspricht der Hausordnung. Dem Beschwerdeführer wurde bislang zwei Tagesausgänge bewilligt und von diesem ohne Beanstandung absolviert. Der Beschwerdeführer nimmt keine Therapieangebote in Anspruch, obwohl die Anstaltsleitung Bedarf für eine Therapie gegen Spielsucht sieht und eine Antigewalttherapie als zielführend erachtet.

1.8. Der angefochtene Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 27.05.2019 im Wege der Aushändigung durch Organe der Justizwache zugestellt. Der Beschwerdeführer verweigerte die Unterfertigung des Zustellnachweises. Die Organe der Justizwache vermerkten diesen Umstand zwar, führten jedoch auf dem Zustellnachweis das Datum der Übergabe des Bescheides nicht an.

Aufgrund der unklaren Situation kontaktierte der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers das belangte Bundesamt als den Bescheid erlassende Behörde telefonisch und wurde ihm dabei sowohl vor der Einbringung des Rechtsmittels als auch auf Nachfrage nach dem Verspätungsvorhalt des Bundesverwaltungsgerichtes (unrichtig) der 28.05.2019 als Datum der Zustellung des angefochtenen Bescheides genannt.

1.9. Zur aktuellen Lage in der Türkei werden folgende Feststellungen unter Heranziehung der abgekürzt zitierten und gegenüber dem Beschwerdeführer offengelegten Quellen getroffen:

1. Politische Lage

Die Türkei ist eine Präsidialrepublik und laut Art. 2 ihrer Verfassung ein demokratischer, laizistischer und sozialer Rechtsstaat auf der Grundlage öffentlichen Friedens, nationaler Solidarität, Gerechtigkeit und der Menschenrechte sowie den Grundsätzen ihres Gründers Atatürk besonders verpflichtet. Staats- und Regierungschef ist seit Einführung des präsidialen Regierungssystems per 9.7.2018 der Staatspräsident, der die politischen Geschäfte führt (AA 3.8.2018).

Der Präsident wird für eine Amtszeit von fünf Jahren direkt gewählt und kann bis zu zwei Amtszeiten innehaben, mit der Möglichkeit einer dritten Amtszeit, wenn während der zweiten Amtszeit vorgezogene Präsidentschaftswahlen ausgerufen werden. Erhält kein Kandidat in der ersten Runde die absolute Mehrheit der gültigen Stimmen, findet zwei Wochen später eine Stichwahl zwischen den beiden stimmenstärksten Kandidaten statt. Die 600 Mitglieder der Großen Türkischen Nationalversammlung, ein Einkammerparlament, werden durch ein proportionales System mit geschlossenen Parteienlisten bzw. unabhängigen Kandidaten in 87 Wahlkreisen für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Wahlkoalitionen sind erlaubt. Es gilt eine 10%-Hürde für Parteien bzw. Wahlkoalitionen, die höchste unter den Staaten der OSZE und des Europarates. Die Verfassung garantiert die Rechte und Freiheiten, die den demokratischen Wahlen zugrunde liegen, nicht ausreichend, da sie sich auf Verbote zum Schutze des Staates beschränkt und der Gesetzgebung diesbezügliche unangemessene Einschränkungen erlaubt. Im Rahmen der Verfassungsänderungen 2017 wurde die Zahl der Sitze von 550 auf 600 erhöht und die Amtszeit des Parlaments von vier auf fünf Jahre verlängert (OSCE/ODIHR 25.6.2018).

In der Verfassung wird die Einheit des Staates festgeschrieben, wodurch die türkische Verwaltung zentralistisch aufgebaut ist. Es gibt mit den Provinzen, den Landkreisen und den Gemeinden (belediye/mahalle) drei Verwaltungsebenen. Die Gouverneure der 81 Provinzen werden vom Innenminister ernannt und vom Staatspräsidenten bestätigt. Den Landkreisen steht ein vom Innenminister ernannter Regierungsvertreter vor. Die Bürgermeister und Dorfvorsteher werden vom Volk direkt gewählt, doch ist die politische Autonomie auf der kommunalen Ebene stark eingeschränkt (bpb 11.8.2014).

Am 16.4.2017 stimmten bei einer Beteiligung von 85,43% der türkischen Wählerschaft 51,41% für die von der regierenden AKP initiierte und von der rechts-nationalistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) unterstützte Verfassungsänderung, welche ein exekutives Präsidialsystem vorsah (OSCE 22.6.2017, vgl. HDN 16.4.2017). Die gemeinsame Beobachtungsmisson der OSZE und der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) kritisierte die ungleichen Wettbewerbsbedingungen beim Referendum. Der Staat hat nicht garantiert, dass die WählerInnen unparteiisch und ausgewogen informiert wurden. Zivilgesellschaftliche Organisationen konnten an der Beobachtung des Referendums nicht teilhaben. Einschränkungen von grundlegenden Freiheiten aufgrund des bestehenden Ausnahmezustands hatten negative Auswirkungen. Im Vorfeld des Referendums wurden Journalisten und Gegner der Verfassungsänderung behindert, verhaftet und fallweise physisch attackiert. Mehrere hochrangige Politiker und Beamte, darunter der Staatspräsident und der Regierungschef setzten die Unterstützer der Nein-Kampagne mit Terrorsympathisanten oder Unterstützern des Putschversuchs vom Juli 2016 gleich (OSCE/PACE 17.4.2017).

Bei den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen am 24.6.2018 errang Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan 52,6% der Stimmen, sodass ein möglicher zweiter Wahlgang obsolet wurde. Der Kandidat der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP), Muharrem Ince, erhielt 30.6%. Der seit November 2016 inhaftierte ehemalige Ko-Vorsitzende der Demokratischen Partei der Völker (HDP), Selahattin Demirtas, erhielt 8,4% und die Vorsitzende der neu gegründeten Iyi-Partei, Meral Aksener, erreichte 7,3%. Die übrigen Mitbewerber lagen unter einem Prozent. Bei den gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahlen erhielt die regierende AK-Partei 42,6% der Stimmen und 295 der 600 Sitze im Parlament. Zwar verlor die AKP die absolute Mehrheit, doch durch ein Wahlbündnis mit der rechts-nationalistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) unter dem Namen "Volksbündnis", verfügt sie über eine Mehrheit im Parlament. Die kemalistisch-sekuläre CHP gewann 22,6% bzw. 146 Sitze und ihr Wahlbündnispartner, die national-konservative iyi-Partei, eine Abspaltung der MHP, 10% bzw. 43 Mandate. Drittstärkste Partei wurde die pro-kurdische HDP mit 11,7% und 67 Mandaten (HDN 26.6.2018). Zwar hatten die Wähler und Wählerinnen eine echte Auswahl, doch bestand keine Chancengleichheit zwischen den Kandidaten und Parteien. Der amtierende Präsident und seine Partei genossen einen beachtlichen Vorteil, der sich auch in einer übermäßigen Berichterstattung der staatlichen und privaten Medien zu ihren Gunsten widerspiegelte. Zudem missbrauchte die regierende AKP staatliche Verwaltungsressourcen für den Wahlkampf. Der restriktive Rechtsrahmen und die unter dem geltenden Ausnahmezustand gewährten Machtbefugnisse schränkten die Versammlungs- und Meinungsfreiheit auch in den Medien ein. Internationale Wahlbeobachter der ODIHR-Beobachtermission konstatieren in ihrem vorläufigen Bericht vielfältige Verstöße gegen den Fairnessgrundsatz (u.a. ungleicher Medienzugang, Wahl unter Ausnahmezustand) die aber die Legitimität des Gesamtergebnisses insgesamt nicht in Frage stellen. Der Wahlkampf fand freilich in einem stark polarisierten politischen Umfeld statt (OSCE/ODIHR 25.6.2018).

Am 23.6.2019 fand in Istanbul die Wiederholung der Bürgermeisterwahl statt. Diese ist von nationaler Bedeutung, da ein Fünftel der türkischen Bevölkerung in Istanbul lebt und die Stadt ein Drittel des Bruttonationalproduktes erwirtschaftet. Zudem hatte Staatspräsident Erdogan mehrmals erklärt, wer Istanbul regiere, regiere die Türkei (NZZ 23.6.2019). Bei der ersten Wahl am 31. Marz hatte der Kandidat der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP), Ekrem Imamoglu, mit einem hauchdünnen Vorsprung von 13.000 Stimmen gewonnen. Die regierende AKP hatte jedoch das Ergebnis angefochten, sodass die Hohe Wahlkommission am 6. Mai schließlich die Wahl, wegen formaler Fehler bei der Besetzung einiger Wahlkomitees, annullierte (FAZ 23.6.2019, vgl. Standard 23.6.2019). Imamoglu gewann die wiederholte Wahl mit 54% bzw. mit einem Vorsprung von fast 800.000 Stimmen auf den Kandidaten der AKP, Ex-Premierminister Binali Yildirim, der 45% erreichte (Anadolu 23.6.2019). Die CHP loste damit die AKP nach einem Vierteljahrhundert von der Macht in Istanbul ab (FAZ 23.6.2019).

Bei den Lokalwahlen vom 30.3.2019 hatte die AKP von Staatspräsident Erdogan bereits die Hauptstadt Ankara (nach 20 Jahren), sowie die Großstädte Adana, Antalya und Mersin an die Opposition verloren. Ein wichtiger Faktor war der Umstand, dass die pro-kurdische HDP auf eine Kandidatur im Westen des Landes verzichtete (Standard 1.4.2019) und deren inhaftierter Vorsitzende, Selahattin Demirtas, auch bei der Wahlwiederholung seine Unterstützung für Imamoglu betonte (NZZ 23.6.2019). Zuletzt hat die türkische Regierung drei pro-kurdische Bürgermeister abgesetzt. Die Bürgermeister von Diyarbakir, Mardin und Van im Südosten der Türkei, die der oppositionellen pro-kurdischen Demokratischen Partei der Völker (HDP) angehören und bei den Kommunalwahlen im März in ihre Ämter gewählt worden sind, wurden am 19.8.2019 ihrer Ämter enthoben. Gegen die drei Bürgermeister wird wegen der Verbreitung von Terrorpropaganda und der Mitgliedschaft in einer Terrororganisation ermittelt (ZO 19.8.2019, vgl. DW 20.8.2019). Innenminister Süleyman Soylu beschuldigte die Bürgermeister, die Gemeinden in eine vom Rest des Landes getrennte Verwaltungsstruktur umwandeln zu wollen und ehemalige Gemeindeangestellte wieder zu beschäftigen, die aufgrund ihres Engagements, ihrer Zugehörigkeit und ihrer Beziehung zu einer terroristischen Vereinigung vormals bereits aus ihren Ämtern entfernt worden waren (HDN 20.8.2019). Die entlassenen Bürgermeister, wurden alle durch staatlich ernannte Treuhänder ersetzt (MEE 19.8.2019). Türkische Sicherheitskräfte haben mit Wasserwerfern, Tränengas und Schlagstöcken Proteste gegen die Amtsenthebung der drei Bürgermeister im Südosten des Landes sowie in Istanbul verhindert bzw. aufgelöst. Laut Innenministerium wurden in Diyarbakir, Mardin, Van sowie in 26 weiteren Provinzen bei Razzien am 19.8.2019 418 Personen wegen angeblicher Verbindungen zur PKK festgenommen (DW 20.8.2019, vgl. MEE 19.8.2019, Ahval 20.8.2019).

Die Entlassung der Bürgermeister hat Kritik seitens der EU und des Europarates ausgelöst, da ihre Entlassung die Ergebnisse der Wahlen vom 31. März in Frage stelle (Ahval 20.8.2019, vgl. CoE 20.8.2019, EU 19.8.2019). Kritik kam auch vom ehemaligen AKP-Regierungschef, Ahmet Davutoglu und dem CHP-Bürgermeister von Instanbul, Ekrem Imamoglu (MEE 19.8.2019).

Der Präsident hat die Befugnis hochrangige Regierungsbeamte zu ernennen und zu entlassen, die nationale Sicherheitspolitik festzulegen und die erforderlichen Durchführungsmaßnahmen zu ergreifen; den Ausnahmezustand auszurufen; Präsidialerlässe zu Exekutivangelegenheiten außerhalb des Gesetzes zu erlassen; das Parlament indirekt aufzulösen, indem er Parlaments- und Präsidentschaftswahlen ausruft; das Regierungsbudget aufzustellen; Vetogesetze zu erlassen; und vier von 13 Mitgliedern des Rates der Richter und Staatsanwälte und zwölf von 15 Richtern des Verfassungsgerichtshofes zu ernennen. Die traditionellen Instrumente des Parlaments zur Kontrolle der Exekutive, wie z. B. ein Vertrauensvotum und die Möglichkeit mündlicher Anfragen an die Regierung, sind nicht mehr möglich. Nur schriftliche Anfragen können an Vizepräsidenten und Minister gerichtet werden. Wenn drei Fünftel des Parlamentes zustimmen, kann dieses eine parlamentarische Untersuchung mutmaßlicher strafrechtlicher Handlungen des Präsidenten, der Vizepräsidenten und der Minister im Zusammenhang mit ihren Aufgaben einleiten. Der Grundsatz des Vorrangs von Gesetzen vor Präsidialerlässen ist im neuen System verankert. Präsident darf keine Dekrete in Bereichen erlassen, die durch die Verfassung der Legislative vorbehalten sind. Der Präsident hat das Recht, gegen jedes Gesetz ein Veto einzulegen, obgleich das Parlament mit absoluter Mehrheit ein solches Veto außer Kraft setzen kann, während das Parlament nur beim Verfassungsgericht die Nichtigkeitserklärung von Präsidialerlässen beantragen kann (EC 17.4.2018).

Unter dem Ausnahmezustand wurde die Schlüsselfunktion des Parlaments als Gesetzgeber eingeschränkt, da die Regierung auf Verordnungen mit "Rechtskraft" zurückgriff, um Fragen zu regeln, die nach dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren hätten behandelt werden müssen. Das Parlament erörterte nur eine Handvoll wichtiger Rechtsakte, insbesondere das Gesetz zur Änderung der Verfassung und umstrittene Änderungen seiner Geschäftsordnung. Nach den sich verschärfenden politischen Spannungen im Land wurde der Raum für den Dialog zwischen den politischen Parteien im Parlament weiter eingeschränkt. Die oppositionelle Demokratische Partei der Völker (HDP) wurde besonders an den Rand gedrängt, da viele HDP-ParlamentarierInnen wegen angeblicher Unterstützung terroristischer Aktivitäten verhaftet und zehn von ihnen ihres Mandates enthoben wurden (EC 17.4.2018).

Nach dem Ende des Ausnahmezustandes am 18.7.2018 verabschiedete das türkische Parlament ein Gesetzespaket mit Anti-Terrormaßnahmen, das vorerst auf drei Jahre befristet ist (NZZ 18.7.2018; vgl. ZO 25.7.2018). In 27 Paragrafen wird geregelt, wie der Staat den Kampf gegen den Terror auch im Normalzustand weiterführen will. So behalten die Gouverneure einen Teil ihrer Befugnisse aus dem Ausnahmezustand. Sie dürfen weiterhin Menschen, bei denen der Verdacht besteht, dass sie "die öffentliche Ordnung oder Sicherheit stören", bis zu 15 Tage lang den Zugang zu bestimmten Orten und Regionen verwehren und die Versammlungsfreiheit einschränken. Grundsätzlich darf es wie im Ausnahmezustand nach Einbruch der Dunkelheit keine Demonstrationen im Freien mehr geben. Zusätzlich können sie Versammlungen mit dem Argument verhindern, dass diese "den Alltag der Bürger nicht auf extreme und unerträgliche Weise erschweren dürfen". Der neue Gesetzestext regelt im Detail, wie Richter, Sicherheitskräfte oder Ministeriumsmitarbeiter entlassen werden können. Außerdem will die Regierung wie während des Ausnahmezustandes die Pässe derer, die wegen Terrorverdachts aus dem Staatsdienst entlassen oder suspendiert werden, ungültig machen. Auch die Pässe ihrer Ehepartner können weiterhin annulliert werden (ZO 25.7.2018). Auf der Plus-Seite der gesetzlichen Regelungen steht die weitere Verkürzung der Zeit in Polizeigewahrsam ohne richterliche Anordnung von zuletzt sieben auf nun maximal vier Tage. Innerhalb von 48 Stunden nach der Festnahme sind Verdächtige an den Ort des nächstgelegenen Gerichts zu bringen. In den ersten Monaten nach dem Putsch konnten Bürger offiziell bis zu 30 Tage in Zellen verschwinden, ohne einen Richter zu sehen (NZZ 18.7.2018).

2. Sicherheitslage

Die innenpolitischen Spannungen und die bewaffneten Konflikte in den Nachbarländern Syrien und Irak haben Auswirkungen auf die Sicherheitslage. In den größeren Städten und in den Grenzregionen zu Syrien kann es zu Demonstrationen und Ausschreitungen kommen. Im Südosten des Landes sind die Spannungen besonders groß, und es kommt immer wieder zu Ausschreitungen und bewaffneten Zusammenstößen. Der nach dem Putschversuch vom 15.7.2016 ausgerufene Notstand wurde am 18.7.2018 aufgehoben. Allerdings wurden Teile der Terrorismusabwehr, welche Einschränkungen gewisser Grundrechte vorsehen, ins ordentliche Gesetz überführt. Die Sicherheitskräfte verfügen weiterhin über die Möglichkeit, die Bewegungs- und Versammlungsfreiheit einzuschränken sowie kurzfristig lokale Ausgangssperren zu verhängen. Trotz erhöhter Sicherheitsmaßnahmen besteht das Risiko von Terroranschlägen jederzeit im ganzen Land. Im Südosten und Osten des Landes, aber auch in Ankara und Istanbul haben Attentate wiederholt zahlreiche Todesopfer und Verletzte gefordert, darunter Sicherheitskräfte, Bus-Passagiere, Demonstranten und Touristen (EDA 19.9.2018).

Im Juli 2015 flammte der Konflikt zwischen Sicherheitskräften und PKK wieder militärisch auf, der Lösungsprozess kam zum Erliegen. Die Intensität des Konflikts innerhalb des türkischen Staatsgebiets hat aber seit Spätsommer 2016 nachgelassen (AA 3.8.2018).

Mehr als 80% der Provinzen im Südosten des Landes waren zwischen 2015 und 2016 von Attentaten der PKK, der TAK und des sogenannten IS, sowie Vergeltungsoperationen der Regierung und bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der PKK und den türkischen Sicherheitskräften betroffen (SFH 25.8.2016). Ein hohes Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 3 des BMEIA) gilt in den Provinzen Agri, Batman, Bingöl, Bitlis, Diyarbakir, Gaziantep, Hakkari, Kilis, Mardin, Sanliurfa, Siirt, Sirnak, Tunceli und Van - ausgenommen in den Grenzregionen zu Syrien und dem Irak. Gebiete in den Provinzen Diyarbakir, Elazig, Hakkari, Siirt und Sirnak können von den türkischen Behörden und Sicherheitskräften befristet zu Sicherheitszonen erklärt werden. Ein erhöhtes Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 2) gilt im Rest des Landes (BMEIA 9.10.2018).

1,6 Millionen Menschen in den städtischen Zentren waren während der Kämpfe 2015-2016 von Ausgangssperren betroffen. Die türkischen Sicherheitskräfte haben in manchen Fällen schwere Waffen eingesetzt. Mehre Städte in den südöstlichen Landesteilen wurden zum Teil schwer zerstört (CoE-CommDH 2.12.2016). Im Jänner 2018 veröffentlichte Schätzungen für die Zahl der seit Dezember 2015 aufgrund von Sicherheitsoperationen im überwiegend kurdischen Südosten der Türkei Vertriebenen, liegen zwischen 355.000 und 500.000 (MMP 1.2018).

Die Türkei musste von Sommer 2015 bis Ende 2017 eine der tödlichsten Serien terroristischer Anschläge ihrer Geschichte verkraften. Sie war dabei einer dreifachen Bedrohung durch Terroranschläge der PKK bzw. ihrer Ableger, des sogenannten Islamischen Staates sowie - in sehr viel geringerem Ausmaß - auch linksextremistischer Gruppierungen wie der Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) ausgesetzt (AA 3.8.2018).

Neben Anschlägen der PKK und ihrer Splittergruppe TAK wurden mehrere schwere Anschläge dem sog. Islamischen Staat zugeordnet. Bei einem Selbstmordanschlag auf eine Touristengruppe im Zentrum Istanbuls wurden im Jänner 2016 zwölf Deutsche getötet. Die Regierung gab dem IS die Schuld für den Anschlag (Zeit 17.1.2017). Am 28. Juni 2016 kamen bei einem Terroranschlag auf den Istanbuler Flughafen Atatürk über 40 Menschen ums Leben. Die Behörden gingen von einer Täterschaft des sog. Islamischen Staates (IS) aus (Standard 30.6.2016). Am 20.8.2016 riss ein Selbstmordanschlag des sog. IS auf eine kurdische Hochzeit in Gaziantep mehr als 50 Menschen in den Tod (Standard 22.8.2016). Mahmut Togrul, lokaler Parlamentarier der HDP, sagte, dass die Hochzeitsgäste größtenteils Unterstützer der HDP gewesen seien, weshalb der Anschlag nicht zufällig, sondern als Racheakt an den Kurden zu betrachten sei (Guardian 22.8.2016). In einer Erklärung warf die HDP der Regierung vor, sie habe Warnungen vor Terroranschlägen durch den sog. IS ignoriert. Vielmehr habe die Regierungspartei AKP tatenlos zugesehen, wie sich die Terrormiliz IS gerade in der grenznahen Stadt Gaziantep ausgebreitet hat (tagesschau.de 21.8.2016). Ein weiterer schwerer Terroranschlag des sog. IS erfolgte in der Silvesternacht 2016/17. Während eines Anschlags auf den Istanbuler Nachtclub Reina wurden 39 Menschen getötet, darunter 16 Ausländer (Zeit 17.1.2017).

Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Mitgliedern bewaffneter Gruppen wurden weiterhin im gesamten Südosten gemeldet. Nach Angaben des türkischen Verteidigungsministeriums wurden vom 2. bis 3. Juli 2015 und 11. Juni 2017 im Rahmen von Sicherheitsoperationen 10.657 Terroristen "neutralisiert" (OHCHR 3.2018). Die Sicherheitslage im Südosten ist weiterhin angespannt, wobei 2017 weniger die urbanen denn die ländlichen Gebiete betroffen waren (EC 17.4.2018). In den Jahren 2017 und 2018 wurden außerdem keine großflächigen Ausgangssperren im Südosten der Türkei mehr verhängt, die Untersuchung anhaltender Vorwürfe über Menschenrechtsverletzungen während der 24-stündigen Ausgangssperren im Südosten der Türkei in den Jahren 2015 und 2016 kam jedoch ebenfalls nicht voran (AI 22.02.2018).

Es ist weiterhin von einem erhöhten Festnahmerisiko auszugehen. Behörden berufen sich bei Festnahmen auf die Mitgliedschaft in Organisationen, die auch in der EU als terroristische Vereinigung eingestuft sind (IS, PKK), aber auch auf Mitgliedschaft in der so genannten "Gülen-Bewegung", die nur in der Türkei unter der Bezeichnung "FETÖ" als terroristische Vereinigung eingestuft ist. Auch geringfügige, den Betroffenen unter Umständen gar nicht bewusste oder lediglich von Dritten behauptete Berührungspunkte mit dieser Bewegung oder mit ihr verbundenen Personen oder Unternehmen können für eine Festnahme ausreichen. Öffentliche Äußerungen gegen den türkischen Staat, Sympathiebekundungen mit von der Türkei als terroristisch eingestuften Organisationen und auch die Beleidigung oder Verunglimpfung von staatlichen Institutionen und hochrangigen Persönlichkeiten sind verboten, worunter auch regierungskritische Äußerungen im Internet und in den sozialen Medien fallen (AA 10.10.2018a).

Die PKK hat am 12.3.2016 eine Dachorganisation linker militanter Gruppen gegründet, um ihre eigenen Fähigkeiten auszuweiten und ihre Unterstützungsbasis jenseits der kurdischen Gemeinschaft auszudehnen. Die neue Gruppe, bekannt als die "Revolutionäre Bewegung der Völker" (HBDH), wird vom Chef der radikalsten linken Fraktion innerhalb der PKK, Duran Kalkan, geleitet. Erklärte Absicht der Gruppe, die den türkischen Staat und im Speziellen die herrschende AKP ablehnt, ist es, die politische Agenda voranzutreiben, wozu auch Terroranschläge u.a. gegen Ausländer gehören. Die Gruppe unterstrich zudem das Scheitern der kurdischen Parteien in der Türkei, auch der legalen HDP (Stratfor 15.4.2016). Laut Berichten beabsichtigt die HBDH Propagandaaktionen durchzuführen, um auch die Unterstützung von türkischen Aleviten zu erhalten, und um "Selbstverteidigungsbüros" in den Vierteln der südlichen und südöstlichen Städte zu errichten. Die HBDH will auch Druck auf Dorfvorsteher und Beamte ausüben, die in Schulen und Gesundheitsdiensten arbeiten, damit diese entweder kündigen oder die Ortschaften verlassen (HDN 4.4.2016). Neun verbotene Gruppen trafen sich auf Einladung der PKK am 23.2.2016 zur ihrer ersten Sitzung im syrischen Latakia, darunter die Türkische kommunistische Partei/ Marxistisch-Leninistisch (TKP/ML), die Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) [siehe 3.4.], die Revolutionäre Kommunistische Partei (DKP), die Türkische Kommunistische Arbeiterpartei/ Leninistin (TKEP/L), die Kommunistische Partei der Vereinten Nationen (MKP), die türkische Revolutionäre Kommunistenvereinigung (TIKB), das Revolutionshauptquartier und die Türkische Befreiungspartei-Front (THKP-C) [siehe 3.5] (HDN 4.4.2016; vgl. ANF News 12.3.2016). Die HBDH sieht in der Türkei eine Ein-Parteien-Diktatur bzw. ein faschistisches Regime entstehen, dass u.a. auf der Feindschaft gegen die Kurden gründet (ANF News 12.3.2016).

3. Sicherheitsbehörden

Die Polizei übt ihre Tätigkeit in den Städten aus. Die Jandarma ist für die ländlichen Gebiete und Stadtrandgebiete zuständig und untersteht dem Innenminister. Polizei und Jandarma sind zuständig für innere Sicherheit, Strafverfolgung und Grenzschutz. Der Einfluss der Polizei wird seit den Auseinandersetzungen mit der Gülen-Bewegung sukzessive von der AKP zurückgedrängt (massenhafte Versetzungen, Suspendierungen vom Dienst und Strafverfahren). Die politische Bedeutung des Militärs ist in den letzten Jahren stark zurückgegangen, die AKP-Regierung konnte seit Sommer 2011 bei einer Reihe von Entscheidungen das Primat der Politik unterstreichen. Von den "Säuberungen" seit dem Putschversuch im Juli 2016 ist das Militär besonders stark betroffen. Erstmals wurde das Militär unter zivile Aufsicht (des Verteidigungsministeriums) gestellt, seine Autonomie in personellen, organisatorischen und wirtschaftlichen Fragen aufgehoben. Unmittelbar mit Annahme des Verfassungsreferendums vom April 2017 wurde die Militärgerichtsbarkeit in die zivile Gerichtbarkeit überführt. Auch das traditionelle Selbstverständnis des türkischen Militärs als Hüter der von Staatsgründer Kemal Atatürk begründeten Traditionen und Grundsätze, besonders des Laizismus und der Einheit der Nation (v. a. gegen kurdischen Separatismus), ist in Frage gestellt (AA 03.08.2018).

Am 9.7.2018 erließ Staatspräsident Erdogan ein Dekret, das die Kompetenzen der Armee neu ordnet. Der türkische Generalstab wurde dem Verteidigungsministerium unterstellt. Der Oberste Militärrat wurde aufgelöst. Erdogan hat auch den Nationalen Sicherheitsrat und das Sekretariat für nationale Sicherheit der Türkei abgeschafft. Ihre Aufgaben werden vom Komitee für Sicherheit und Außenpolitik (Board of Security and Foreign Policy) übernommen, einem von neun beratenden Gremien, die dem Staatspräsidenten unterstehen. Ebenfalls per Dekret wird der Verteidigungsminister nun zum wichtigsten Entscheidungsträger für die Sicherheit. Landstreitkräfte, Marine- und Luftwaffenkommandos wurden dem Verteidigungsminister unterstellt. Der Präsident kann bei Bedarf direkt mit den Kommandeuren der Streitkräfte verhandeln und Befehle erteilen, die ohne weitere Genehmigung durch ein anderes Büro umgesetzt werden sollen. Hiermit soll die Schwäche der Sicherheitskommando-Kontrolle während des Putschversuchs in Zukunft vermieden werden (AM 17.7.2018).

Die Gesetzesnovelle vom April 2014 brachte dem Geheimdienst MiT MIT (Millî Istihbarat Teskilâti), erweiterte Befugnisse zum Abhören von privaten Telefongesprächen und zur Sammlung von Informationen über terroristische und internationale Straftaten. MiT-Agenten besitzen von nun an eine größere Immunität gegenüber dem Gesetz. Es sieht Gefängnisstrafen von bis zu zehn Jahren für Personen vor, die Geheiminformation veröffentlichen (z.B. Journalist Can Dündar). Auch Personen, die dem MiT Dokumente bzw. Informationen vorenthalten, drohen bis zu fünf Jahre Haft. Die Entscheidung, ob gegen den MiT-Vorsitzenden ermittelt werden darf, bedarf mit der Novelle April 2014 der Zustimmung des Staatspräsidenten. Seit September 2017 untersteht der türkische Nachrichtendienst MiT direkt dem Staatspräsidenten und nicht mehr dem Amt des Premierministers (ÖB 10.2017). Auch wurde eine neue Institution namens Nationales Geheimdienstkoordinierungskomitee (MIKK) ins Leben gerufen, das vom Präsidenten geleitet wird. Der Geheimdienst erhält erstmals das Recht, gegen Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums und der Streitkräfte nach Belieben zu ermitteln. Laut dem Dekret muss der Präsident künftig Ermittlungen gegen den Geheimdienstchef genehmigen (Focus 25.8.2017; vgl. AM 30.8.2017). Der Geheimdienst kann überdies zu jederzeit seine Mitarbeiter entlassen. Hierzu war bislang eine komplexe Prozedur von Nöten (AM 30.8.2017)

Das türkische Parlament verabschiedete am 27.3.2015 eine Änderung des Sicherheitsgesetzes, das terroristische Aktivitäten unterbinden soll. Dadurch wurden der Polizei weitreichende Kompetenzen übertragen. Das Gesetz sieht den Gebrauch von Schusswaffen gegen Personen vor, welche Molotow-Cocktails, Explosiv- und Feuerwerkskörper oder Ähnliches, etwa im Rahmen von Demonstrationen, einsetzen, oder versuchen einzusetzen. Zudem werden die von der Regierung ernannten Provinzgouverneure ermächtigt, den Ausnahmezustand zu verhängen und der Polizei Instruktionen zu erteilen (NZZ 27.3.2015, vgl. FAZ 27.3.2015, HDN 27.3.2015). Die Polizei kann auf Grundlage einer mündlichen oder schriftlichen Einwilligung des Chefs der Verwaltungsbehörde eine Person, ihren Besitz und ihr privates Verkehrsmittel durchsuchen. Der Gouverneur kann die Exekutive anweisen, Gesetzesbrecher ausfindig zu machen (Anadolu 27.3.2015).

Vor dem Putschversuch im Juli 2016 hatte die Türkei 271.564 Polizisten und 166.002 Gendarmerie-Offiziere (einschließlich Wehrpflichtige). Nach dem Putschversuch wurden mehr als 18.000 Polizei- und Gendarmerieoffiziere suspendiert und mehr als 11.500 entlassen, während mehr als 9.000 inhaftiert blieben (EC 9.11.2016). Anfang Jänner 2017 wurden weitere 2.687 Polizisten entlassen (Independent 7.1.2017). Die Regierung ordnete am 8.7.2018 im letzten Notstandsdekret vor der Aufhebung des Ausnahmezustandes die Entlassung von 18.632 Staatsangestellten an, darunter fast 9.000 Polizisten wegen mutmaßlicher Verbindungen zu Terrororganisationen und Gruppen, die "gegen die nationale Sicherheit vorgehen", 3.077 Armeesoldaten, 1.949 Angehörige der Luftwaffe und 1.126 Angehörige der Seestreitkräfte (HDN 8.7.2018).

Ende Juni 2016 wurde ein Gesetz verabschiedet, das kämpfenden Soldaten Immunität gewährt. Gemäß dem vom Verteidigungsministerium vorgelegten Entwurf wird eine von den Sicherheitsdiensten begangene Straftat als "militärisches Verbrechen" angesehen und vor einem Militärgericht verhandelt. Die Ermittlungs- und Gerichtsprozesse gegen Kommandeure und den Generalstab benötigen die Erlaubnis des Premierministers. Darüber hinaus sind Armeekommandanten befugt, Durchsuchungen von Häusern, Arbeitsplätzen oder anderen privaten Räumen zu erlassen (MEE 25.6.2016).

4. Folter und unmenschliche Behandlung

Die Türkei ist Vertragspartei der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Sie hat das Fakultativprotokoll zum UN-Übereinkommen gegen Folter (Optional Protocol to the Convention Against Torture/ OPCAT) im September 2005 unterzeichnet und 2010 ratifiziert. Menschenrechtsinstitutionen in der Türkei geben an, dass Fälle von Folterungen in Ermittlungsverfahren wieder häufiger geworden sind. Folter bleibt in vielen Fällen straflos - wenngleich es ebenso Fälle gibt, in welchen Anklage erhoben wird und Verurteilungen erfolgen (ÖB 10/2017).

Die deutliche Zunahme von Folter und anderen Formen der Misshandlung in amtlichen Haftanstalten während des Ausnahmezustands infolge des gescheiterten Militärputsches und während des Konflikts in Südost- und Ostanatolien nach Juli 2015, setzte sich auch 2017 fort, wenn auch in deutlich geringerem Maße als in den Wochen nach dem Putschversuch im Juli 2016 (iHD 6.4.2018, vgl. AI 22.2.2018, HRW 18.1.2018). Die gleiche Tendenz zeigt sich bei den Vorwürfen zu Folter und anderer Misshandlungen von Häftlingen und Festgenommenen auf der Basis des Ausnahmezustandes. Bei Demonstrationen wurde von Sicherheitskräften Gewalt die gegen Personen angewendet wurden, die ihr Demonstrations- und Versammlungsrecht ausübten, die das Ausmaß von Folter und anderer Misshandlung erreichte. Nach Angaben des Menschenrechtsverbandes (iHD) sind 2017 insgesamt 2.682 Menschen Folter und Misshandlung ausgesetzt gewesen (iHD 6.4.2018).

Folter und Misshandlungen betreffen insbesondere Personen, die unter dem Anti-Terror-Gesetz festgehalten werden. Es gibt weit verbreitete Berichte, dass die Polizei Häftlinge geschlagen, misshandelt und mit Vergewaltigung bedroht, Drohungen gegen Anwälte ausgestoßen und sich bei medizinischen Untersuchungen eingemischt hat (HRW 18.1.2018). Es gibt keine funktionierende nationale Stelle zur Verhütung von Folter und Misshandlung, die ein Mandat zur Überprüfung von Hafteinrichtungen hat. Ebenso wenig sind Statistiken zur Untersuchung von Foltervorwürfen verfügbar. (AI 22.2.2018). Es gibt Berichte über nicht identifizierte Täter, die angeblich im Auftrag staatlicher Institutionen mindestens sechs Männer entführt und an geheimen Orten festgehalten haben sollen (HRW 18.1.2018).

Es gibt Vorwürfe von Folter und anderen Misshandlungen im Polizeigewahrsam seit Ende seines offiziellen Besuchs im Dezember 2016, u.a. angesichts der Behauptungen, dass eine große Anzahl von Personen, die im Verdacht stehen, Verbindungen zur Gülen-Bewegung oder zur bewaffneten Arbeiterpartei Kurdistans zu haben, brutalen Verhör-Methoden ausgesetzt sind, die darauf abzielen, erzwungene Geständnisse zu erwirken oder Häftlinge zu zwingen andere zu belasten (Zu den Missbrauchsfällen gehören schwere Schläge, Elektroschocks, Übergießen mit eisigem Wasser, Schlafentzug, Drohungen, Beleidigungen und sexuelle Übergriffe (OHCHR 27.2.2018, vgl. OHCHR 3.2018). Die Regierungsstellen haben offenbar keine ernsthaften Maßnahmen ergriffen, um diese Anschuldigungen zu untersuchen oder die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Stattdessen wurden Beschwerden bezüglich Folter, Berichten zufolge von der Staatsanwaltschaft unter Berufung auf die Notstandsverordnung (Art. 9 des Dekrets Nr. 667) abgewiesen, die Beamte von einer strafrechtlichen Verantwortung für Handlungen im Zusammenhang mit dem Ausnahmezustand freispricht. Die Tatsache, dass die Behörden es versäumt haben, Folter und Misshandlung öffentlich zu verurteilen und das allgemeine Verbot eines solchen Missbrauchs in der täglichen Praxis durchzusetzen, fördert ein Klima der Straffreiheit, welches dieses Verbot und letztendlich die Rechtsstaatlichkeit ernsthaft untergräbt (OHCHR 27.2.2018). Der UN-Sonderberichterstatter vermutet, dass sich angesichts der Massenentlassungen innerhalb der Behörden Angst breit gemacht hat, sich gegen die Regierung zu stellen. Staatsanwälte untersuchen Foltervorwürfe nicht, um nicht selbst in Verdacht zu geraten (SRF 1.3.2018).

5. Allgemeine Menschenrechtslage

Die Türkei gehört dem Europarat an und ist Partei der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) von 1950, des 1. Zusatzprotokolls (Grundrecht auf Eigentum) sowie des 6. Zusatzprotokolls zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe in Friedenszeiten, des 11. (obligatorische Gerichtsbarkeit des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte), des 13. (uneingeschränkte Aufhebung der Todesstrafe) und des 14. Zusatzprotokolls. Allerdings hat die türkische Regierung unter Berufung auf den Notstandsfall den Europarat am 22.07.2016 über eine allg. Derogation nach Art. 15 EMRK notifiziert sowie über eine entsprechende Derogation vom Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte. Eine Notifizierung über die Rücknahme der Derogation nach Aufhebung des Notstandes steht noch aus. Die Türkei ist weiterhin Vertragspartei des Europäischen Übereinkommens zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe von 1987. Sie gehört neben dem Europarat auch der OSZE an. Für sie gelten die menschenrechtsrelevanten Dokumente dieser Organisationen, vor allem das Kopenhagener Dokument von 1990. Der Europarat ist im Rahmen von Justizprojekten in der Türkei tätig. Darüber hinaus gehört die Türkei zu den Erstunterzeichnern des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (11.05.2011), das für die Türkei zum 01.08.2014 in Kraft getreten ist (AA 03.08.2018).

Vor dem Hintergrund des andauernden Ausnahmezustands kam es zu Menschenrechtsverletzungen. Abweichende Meinungen wurden rigoros unterdrückt. Davon waren u. a. Journalisten. politische Aktivisten und Menschenrechtsverteidiger betroffen. Es wurden weiterhin Fälle von Folter bekannt. doch in geringerer Zahl als in den Wochen nach dem Putschversuch vom Juli 2016. Die weitverbreitete Straflosigkeit verhindert die wirksame Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen. die von Angehörigen der Behörden verübt wurden. Es kam auch 2017 zu Menschenrechtsverstößen durch bewaffnete Gruppen; im Januar wurden zwei Anschläge verübt. Doch Bombenanschläge gegen die Bevölkerung. die in den Vorjahren regelmäßig stattfanden. gab es im Jahr 2017 nicht. Für die Lage der im Südosten des Landes vertriebenen Menschen wurde keine Lösung gefunden (AI 22.2.2018).

Das Hochkommissariat der Vereinten Nationen (OHCHR) erhielt weiterhin Informationen über zahlreiche Menschenrechtsverletzungen und Missbräuche. die im Berichtszeitraum in der Südosttürkei im Rahmen der Sicherheitsoperationen seitens türkischer Organe begangen wurden. Die NGO "Human Rights Association" veröffentlichte Statistiken über solche Verletzungen. die angeblich im ersten Quartal 2017 in der ost- und südöstlichen Region Anatoliens stattgefunden haben. Demnach belief sich die Gesamtzahl der Verstöße auf 7.907. darunter 263 Vorfälle von Folterungen in Haft. und über 100 Vorfälle von Kriminalisierung von Personen für die Ausübung ihres Rechts auf freie Meinungsäußerung (OHCHR 3.2018).

Die türkische Menschenrechtsvereinigung (IHD) verlautbarte am 23.1.2017, dass 2016 ein katastrophales Jahr für Menschenrechtsverletzungen in der Türkei gewesen sei, da fast 50.000 Menschenrechtsverletzungen gemeldet wurden, vor allem seit der Erklärung des Notstandes nach dem gescheiterten Staatsstreich. Besonders betroffen waren die südöstlichen Provinzen der Türkei (TP 24.1.2017). Willkürliche kurzfristige Festnahmen im Rahmen von - mitunter erlaubten, aber in einigen Fällen eskalierenden - Demonstrationen oder Trauerzügen kommen verstärkt vor. Sie werden von offizieller Seite regelmäßig mit dem Hinweis auf die angebliche Unterstützung einer terroristischen Vereinigung bzw. Verbreitung von Propaganda einer kriminellen Organisation gerechtfertigt (AA 03.08.2018).

Die Notverordnungen haben insbesondere bestimmte bürgerliche und politische Rechte. einschließlich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie der Verfahrensrechte eingeschränkt. Die Zivilgesellschaft ist zunehmend unter Druck geraten. insbesondere angesichts einer großen Zahl von Verhaftungen von Aktivisten und der wiederholten Anwendung von Demonstrationsverboten. Auch in den Bereichen Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit. Verfahrens- und Eigentumsrechte gab es gravierende Rückschläge. Die Situation in Bezug auf die Verhütung von Folter und Misshandlung gibt weiterhin Anlass zu ernster Besorgnis. Seit September 2016 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Verletzungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) in 163 (von 168) Fällen festgestellt, die sich hauptsächlich auf das Recht auf ein faires Verfahren, die Meinungsfreiheit, die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit und das Recht auf Freiheit und Sicherheit bezogen (EC 17.4.2018).

Die Parlamentarische Versammlung des Europarates (PACE) stimmte mit großer Mehrheit im April 2018 dafür, ein Verfahren gegen die Türkei zu eröffnen und das Land unter Beobachtung zu stellen. Die Wiederaufnahme des sogenannten Monitorings bedeutet, dass zwei Berichterstatter regelmäßig in die Türkei fahren, um die Einhaltung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit in dem Land zu überprüfen (Zeit 25.4.2017). Die Versammlung beschloss das Monitoring solange durchzuführen, bis der ernsthaften Sorge um die Einhaltung der Menschenrechte, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit in einer zufriedenstellenden Art und Weise Rechnung getragen wird. Zudem warnte die PACE vor der Wiedereinführung der Todesstrafe, die mit der Mitgliedschaft der Türkei im Europarat unvereinbar ist (PACE 25.4.2017). Das türkische Außenministerium bezeichnete die Entscheidung als Schande, hinter der böswillige Kreise innerhalb der PACE stünden, beeinflusst von Islamo- und Xenophobie (DS 25.4.2017).

In einer Resolution Anfang Februar 2018 zur Menschenrechtslage erkennt das Europäische Parlament (EP) das Recht und die Pflicht der türkischen Regierung an, die Täter des Putschversuches vom 16.7.2016 vor Gericht zu stellen. Es hebt jedoch hervor, dass die gescheiterte Machtübernahme durch das Militär als Vorwand dafür herangezogen wird, die legitime und gewaltfreie Opposition noch stärker zu unterdrücken und die Medien und die Zivilgesellschaft durch unverhältnismäßige und unrechtmäßige Handlungen und Maßnahmen daran zu hindern, dass sie friedlich ihr Recht auf freie Meinungsäußerung ausüben. Die Lage in den Bereichen Grundrechte und Grundfreiheiten und Rechtsstaatlichkeit in der Türkei verschlechtert sich stetig und es mangelt der Justiz an Unabhängigkeit. Justiz und Verwaltung machen Gebrauch von willkürlichen Verhaftungen und Schikanen, um Zehntausende zu verfolgen. Deshalb fordert das EP die türkischen Staatsorgane nachdrücklich auf, all diejenigen umgehend und bedingungslos freizulassen, die nur inhaftiert wurden, weil sie ihrer rechtmäßigen Tätigkeit nachgegangen sind und ihr Recht auf freie Meinungsäußerung und Vereinigungsfreiheit ausgeübt haben, und die in Gewahrsam gehalten werden, obwohl keine eindeutigen Beweise für Straftaten vorliegen (EP 8.2.2018).

Die routinemäßige Verlängerung des Ausnahmezustands bis zur Aufhebung am 18.7.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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