Entscheidungsdatum
21.11.2019Norm
AsylG 2005 §10Spruch
L529 2225396-1/2E
L529 2225391-1/2E
L529 2225393-1/2E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. M. EGGINGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Georgien, vertreten durch die Mutter und gesetzliche Vertreterin XXXX , diese vertreten durch die ARGE Rechtsberatung Diakonie-Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.10.2019, Zl. XXXX :
A) In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid im Umfang der Spruchpunkte II. - VII. behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. M. EGGINGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Georgien, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung Diakonie-Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.10.2019, Zl. XXXX :
A) In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid im Umfang der Spruchpunkte II. - VII. behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. M. EGGINGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Georgien, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung Diakonie-Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.10.2019, Zl. XXXX :
A) In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid im Umfang der Spruchpunkte II. - VII. behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrenshergang
I.1. Der mj. Beschwerdeführer (nachfolgend auch "BF1") ist georgischer Staatsangehöriger und reiste im März 2019 gemeinsam mit seiner Mutter (nachfolgend auch "BF2") und seinem Vater (nachfolgend auch "BF3") ins Bundesgebiet ein. Die Familie stellte am 19.03.2019 einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Verfahren gaben die BF übereinstimmend an, dass der BF1 im Jahr 2012 an Muskeldystrophie erkrankt sei und sie sich hier eine bessere Behandlung der Erkrankung erhofften. Zuletzt sei der BF in der Türkei behandelt worden, die Behandlung sei aber wegen Erschöpfung der finanziellen Mittel abgebrochen worden. In Georgien hätten sie keine Hoffnung auf eine adäquate Behandlung.
I.2. Nach Einvernahmen der BF (zuletzt am 19.08.2019) bei der belangten Behörde (nachfolgend auch "bB") wurde mit im Spruch genannten Bescheiden der bB vom 11.10.2019 jeweils der Antrag der BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Georgien nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Georgien gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Einer Beschwerde wurde gem. § 18 Abs. 1 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI.). Weiters wurde bestimmt, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt VII.).
I.3. Mit Schriftsatz vom 07.11.2019 erhoben die BF fristgerecht Beschwerde gegen die Spruchpunkte II. bis VII. der angefochtenen Bescheide.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
II.1. Feststellungen:
Die BF stellten gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz am 19.03.2019 und wurden am 20.03.2019 erstbefragt. Die BF2 und BF3 wurden am 01.04.2019 und am 13.08.2019, der BF1 am 19.08.2019 beim BFA niederschriftlich einvernommen.
II.1.1. Die Vermögens- und Einkommensverhältnisse der BF, wie auch eventuelle Liquidierungsmöglichkeiten wurden nicht entsprechend ermittelt.
II.1.2. Bei der Einvernahme am 13.08.2019 teilte die Mutter des BF1 mit, dass weitere fachärztliche Termine vereinbart seien, so auch am 11.11.2019 (richtig wohl: 06.11.2019). Aus dem Akteninhalt ergibt sich auch ein weiterer solcher Facharzttermin am 22.01.2020.
Der angefochtene Bescheid ist datiert mit 11.10.2019. Zwischenzeitliche relevante Ermittlungsschritte - seit dem Einvernahmetermin am 13.08.2019 bzw. 19.08.2019 - sind den Verwaltungsakten nicht zu entnehmen.
II.1.3. Den vorliegenden Verwaltungsakten gemäß besteht für den BF1 eine Verordnung für einen Rollstuhl, zudem befindet sich der BF1 aktuell in Physiotherapie.
Welche konkrete Therapie zur Behandlung des BF notwendig sein wird, steht derzeit nicht abschließend fest. Insbesondere steht nicht fest, welche Medikation für den BF notwendig ist, welche konkreten Orthesen er benötigt und auch welche (anderen) Therapieformen für notwendig erachtet werden.
Des Weiteren fehlen im angefochtenen Bescheid Feststellungen darüber, ob es sich bei der Erkrankung des BF1 um eine lebensbedrohliche Erkrankung handelt, ebenso darüber, welche Auswirkungen eine Überstellung nach Georgien aktuell hätte, insbesondere ob zu erwarten wäre, dass es bei einer Überstellung zu einer unzumutbaren Verschlechterung des Gesundheitszustandes des BF1 kommen würde.
II.1.4. Fazit: Der entscheidungserhebliche Sachverhalt steht nicht fest; das Ermittlungsverfahren ist mangelhaft. Eine Sanierung binnen Wochenfrist ist nicht möglich.
II.2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zum maßgeblichen Sachverhalt ergeben sich aus dem Verwaltungsakt, dem Verfahren vor der belangten Behörde und der Beschwerde.
II.2.1. Die Eltern des BF1 hatten in den Einvernahmen beim BFA angegeben, sie hätten zwei Eigentumswohnungen besessen und verkauft, auch eine weitere Wohnung stehe in ihrem Eigentum. Nähere Ermittlungen dazu - insbesondere auch zu Liquidierungsmöglichkeiten - führte das BFA nicht.
Das BFA führte auch keine näheren Ermittlungen zu den Einkommensverhältnissen der Eltern des BF1 und der Familie angesichts deren beruflichen Tätigkeiten und auch nicht zu deren Bonität.
II.2.2. Die Feststellungen zu den ausstehenden fachärztlichen Untersuchungen ergeben sich aus den Aussagen der Eltern des BF1 sowie den vorgelegten medizinischen Unterlagen.
II.2.3. Dass die konkrete Therapie (Medikation, Orthesen, weitere Therapieformen) nicht feststeht, ergibt sich aus den vorliegenden medizinischen Unterlagen und den ausstehenden Facharztterminen in Zusammenschau mit dem mit der Beschwerde vorgelegten Ambulanzbrief des Kaiser-Franz-Josef-Spitals vom 07.11.2019.
Erst wenn der Sachverhalt - wie angeführt - feststeht, kann eine Aussage darüber getroffen werden, ob die Behandelbarkeit und Verfügbarkeit der Behandlungen in Georgien gegeben ist.ie Feststellungen zum maßgeblichen Sachverhalt ergeben sich aus dem Verwaltungsakt, dem Verfahren vor der belangten Behörde und der Beschwerde.
Ausführungen darüber, ob die Erkrankung des BF1 lebensbedrohlich ist, finden sich in den vorliegenden Verwaltungsakten nicht, ebenso nicht, ob zu erwarten wäre, dass es bei einer Überstellung zu einer unzumutbaren Verschlechterung des Gesundheitszustandes der BF1 kommen würde.
II.3. Rechtliche Beurteilung
Zu A)
II.3.2. Zur Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG
Gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat.
Das Modell der Aufhebung des Bescheids und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG (vgl. VwGH 19.11.2009, 2008/07/0167: "Tatsachenbereich") (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), Anm. 11 zu § 28 VwGVG).
Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG 2014 bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar und soll von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden.
Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher im Lichte der oa. Ausführungen insbesondere dann in Betracht kommen,
- wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat,
- wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder
- bloß ansatzweise ermittelt hat.
- Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).
Ergänzend zu obigen Ausführungen ist aber auch die jüngste Judikatur des EuGH zu erwähnen, der in seinem Urteil vom 14.6.2017, C-685 EU:C:2017:452 sich ua. mit der Frage, ob nationale Bestimmungen, welche dem Verwaltungsgericht die amtswegige Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts (anstelle der Behörde) - bei entsprechender Untätigkeit der Behörde - der in der europarechtlichen Judikatur geforderten Objektivität bzw. Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit des Gerichts entgegenstehen.
Nach seiner Ansicht können die Gerichte nach den nationalen Verfahrensregeln zwar verpflichtet sein, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Vorlage solcher Beweise zu fördern, doch können sie nicht verpflichtet sein, anstelle der genannten Behörden die Rechtfertigungsgründe vorzubringen, die nach dem Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C 390/12, EU:C:2014:281) diese Behörden vorzubringen haben. Werden diese Rechtfertigungsgründe wegen der Abwesenheit oder der Passivität dieser Behörden nicht vorgebracht, müssen die nationalen Gerichte alle Konsequenzen ziehen dürfen, die sich aus einem solchen Mangel ergeben.
Der EuGH führte weiter aus, dass die Art. 49 und 56 AEUV, wie sie insbesondere im Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C 390/12, EU:C:2014:281), ausgelegt wurden, im Licht des Art. 47 der Charta dahin zu interpretieren sind, dass sie einer nationalen Verfahrensregelung, nach der in Verwaltungsverfahren das Gericht, bei der Prüfung des maßgeblichen Sachverhalts die Umstände der bei ihm anhängigen Rechtssache von Amts wegen zu ermitteln hat, nicht entgegenstehen, sofern diese Regelung nicht zur Folge hat, dass das Gericht an die Stelle der zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats zu treten hat, denen es obliegt, die Beweise vorzulegen, die erforderlich sind, damit das Gericht eine entsprechende Prüfung durchführen kann. Hinsichtlich des Rechts nach Art. 47 Abs. 2 der Charta auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht umfasst der Begriff der "Unabhängigkeit", die der Aufgabe des Richters innewohnt, nämlich zwei Aspekte. Der erste, externe, Aspekt setzt voraus, dass die Stelle vor Interventionen oder Druck von außen geschützt ist, die die Unabhängigkeit des Urteilens ihrer Mitglieder im Hinblick auf die ihnen unterbreiteten Rechtsstreite gefährden könnten (Urteil vom 9. Oktober 2014, TDC, C-222/13, EU:C:2014:2265, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung). Der zweite, interne, Aspekt steht mit dem Begriff der "Unparteilichkeit" in Zusammenhang und bezieht sich darauf, dass hinsichtlich der Parteien des Rechtsstreits und ihren jeweiligen Interessen an dessen Gegenstand ein gleicher Abstand gewahrt wird. Dieser Aspekt verlangt, dass Sachlichkeit obwaltet und neben der strikten Anwendung der Rechtsnormen keinerlei Interesse am Ausgang des Rechtsstreits besteht (Urteil vom 9. Oktober 2014, TDC, C-222/13, EU:C:2014:2265, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Was das Zusammenspiel zwischen der den nationalen Gerichten nach dem nationalen Recht obliegenden Pflicht, in den bei ihnen anhängigen Rechtssachen den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln, und dem Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C-390/12, EU:C:2014:281), anbelangt, ist in den Rn. 50 bis 52 des vorliegenden Urteils darauf hingewiesen worden, dass die nationalen Gerichte nach dem Unionsrecht eine Gesamtwürdigung der Umstände, unter denen eine restriktive Regelung erlassen worden ist und durchgeführt wird, auf der Grundlage der Beweise vornehmen müssen, die die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats vorgelegt haben.
Diese Gerichte können nach den nationalen Verfahrensregeln zwar verpflichtet sein, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Vorlage solcher Beweise zu fördern, doch können sie - wie die Generalanwältin in den Nrn. 51 bis 56 und 68 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat - nicht verpflichtet sein, anstelle der genannten Behörden die Rechtfertigungsgründe vorzubringen, die nach dem Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C-390/12, EU:C:2014:281), diese Behörden vorzubringen haben. Werden diese Rechtfertigungsgründe wegen der Abwesenheit oder der Passivität dieser Behörden nicht vorgebracht, müssen die nationalen Gerichte alle Konsequenzen ziehen dürfen, die sich aus einem solchen Mangel ergeben.
Die Ausführungen des EuGH beziehen sich zwar auf ein Verwaltungsstrafverfahren, sie sind nach ho. Ansicht in ihren sich daraus ergebenden Grundsätzen zu der Rolle des Verwaltungsgerichtes im Verhältnis zu jener der ermittelnden Behörde jedoch auch im gegenständlichen Fall anwendbar.
Im Lichte einer GRC-konformen Interpretation der verfassungsrechtlichen Bestimmungen, wonach das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden hat, finden diese demnach jedenfalls dort ihre Grenze, wenn das Gericht an die Stelle der zuständigen belangten Behörde zu treten hätte, der es eigentlich obliegt, dem Gericht die Beweise, iSd Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts, vorzulegen. Wird diese Grenze überschritten, ist das Gericht ermächtigt - wenn nicht sogar iS obiger, vom EuGH aufgezeigter Grundsätze verpflichtet - eine kassatorische Entscheidung iSd § 28 Abs. 3 VwGVG zu treffen.
II.3.3. Zur Anwendung des § 28 Abs. 3 VwGVG im gegenständlichen Fall:
II.3.3.1. Das BFA traf zur Person des BF1 die Feststellung, dass er an der Erkrankung Muskeldystrophie des Typs Duchenne leide; dies sei eine muskuläre Erbkrankheit im Kindesalter. Das Verlassen des Heimatlandes gründe sich rein auf den Wunsch, hier eine kostenlöse bessere medizinische Betreuung zu erhalten. Im Falle einer Rückkehr nach Georgien stünde ihm dort die Möglichkeit offen, sich durch das georgische Gesundheitssystem behandeln zu lassen, wie dies bereits bisher der Fall gewesen sei.
II.3.3.2. Zum Zeitpunkt der Entscheidung des BFA befand sich der BF in Physiotherapie. Dass der BF1 aktuell medikamentös behandelt wird, ist den Verwaltungsakten nicht zu entnehmen. Für die nähere Zukunft waren aber fachärztliche Termine bereits festgelegt; das Ergebnis dieser fachärztlichen Untersuchungen konnte demnach noch nicht vorliegen. Welche konkreten Behandlungsnotwendigkeiten (Medikation, Orthesen, weitere Therapieformen) sich aus dem Ergebnis dieser anstehenden Untersuchungen ergeben, konnte demgemäß ebenso noch nicht feststehen.
Ohne aber das Ergebnis dieser geplanten Untersuchungen und die sich daraus ergebenden Behandlungsnotwendigkeiten abzuwarten und bspw. durch gezielte Befragung bzw. Einblick in die entsprechenden medizinischen Dokumente zu dokumentieren und in die Entscheidung miteinfließen zu lassen, erließ das BFA den angefochtenen Bescheid. Daraus ergibt sich, dass die Feststellungen des BFA insoweit zu kurz greifend sind.
II.3.3.3. Wenn aber der relevante Sachverhalt - hier: welche Behandlung angezeigt ist - nicht feststeht, lässt sich auch keine Aussage darüber treffen, ob insoweit eine adäquate Behandlungsmöglichkeit und Verfügbarkeit der Behandlung für den BF1 in Georgien gegeben ist. Dabei handelt es sich aber um den Kern des gegenständlichen Verfahrens.
II.3.3.4. Der angefochtene Bescheid enthält keine konkreten Feststellungen, ob es sich bei der Erkrankung des BF1 um eine solche handelt, die lebensgefährlich ist und wie sich eine mögliche Überstellung auf den BF1 auswirkten wird, ob zu erwarten ist, dass diesfalls eine unzumutbare Verschlechterung eintritt.
II.3.3.5. Gleichfalls sind die Erhebungen zu Vermögensverhältnissen der Eltern des BF1 und der Familie - wie oben angeführt - unzureichend.
II.3.3.6. Mit der Entscheidung über den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde verkürzte die belangte Behörde die Entscheidungsfrist für das BVwG de facto auf eine Woche. Innerhalb dieser kurzen Frist erscheint eine Sanierung der Ermittlungsmängel nicht durchführbar.
II.3.3.7. Das BFA wartete die notwendigen Untersuchungen nicht ab, sondern erließ (offenbar unter erheblichem Zeitdruck) den angefochtenen Bescheid - gestützt auf unzureichende Sachverhaltsgrundlagen - damit diese dann vom BVwG ermittelt werden (bzw. die vom BFA begonnenen Ermittlungsschritte weitergeführt werden), dies unter de facto Verkürzung der Entscheidungsfrist auf eine Woche.
Es ist daher anzunehmen, dass die Verwaltungsbehörde diese weiteren Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen (weitergeführt) werden. Ein gravierendes Indiz in diese Richtung ist die Zeitspanne zwischen letzter Einvernahme (19.08.2019) und Datum der Bescheidausfertigung (11.10.2019). Obwohl die bB bereits seit der Einvernahme vom 13.08.2019 von den terminisierten fachärztlichen Untersuchungen wusste, traf es die Entscheidung, ohne die Untersuchungsergebnisse abzuwarten.
II.3.4. Von diesen Überlegungen ausgehend ist daher im gegenständlichen Fall das dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 Satz 2 VwGVG eingeräumte Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung auszuüben und das Verfahren spruchgemäß an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen.
Dass gegebenenfalls die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist, ist gegenständlich nicht erkennbar.
II.3.5. Mit der Beschwerde erfolgte die Vorlage eines Ambulanzbriefes des Kaiser-Franz-Josef-Spitals vom 07.11.2019 - den BF1 betreffend.
Im Ambulanzbrief wird auf ein Befundbeiblatt verwiesen, dieses wurde nicht vorgelegt.
Diese Dokumente werden im fortgesetzten Verfahren zu berücksichtigen sein.
II.4. Alle drei BF gehören einer Kernfamilie an. Im Sinne des § 34 AsylG, wonach die Verfahren von Familienangehörigen unter einem zu führen sind, konnten auch die Bescheide betreffend BF2 und BF3 keinen Bestand haben und waren ebenso zu beheben.
II.5. Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben, weil bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der Beschwerde stattzugeben bzw. die angefochtenen Bescheide zu beheben waren.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil diese Entscheidung nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 Abs. 3 Satz 2 VwGVG abweicht.
Schlagworte
Behandlungsmöglichkeiten Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht Familienverfahren Gesundheitszustand Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung MinderjährigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:L529.2225396.1.00Im RIS seit
24.09.2020Zuletzt aktualisiert am
24.09.2020