TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/26 L516 2210869-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.11.2019
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Entscheidungsdatum

26.11.2019

Norm

AsylG 2005 §55 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55 Abs2
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs2

Spruch

L516 2210869-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb XXXX , StA Pakistan, vertreten durch Dr. Andreas WALDHOF, Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.11.2018, XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19.11.2019 zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG stattgegeben und XXXX wird gemäß § 55 Abs 1 Z 1 iVm Abs 2 AsylG der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

II. Die Spruchpunkte II bis III des angefochtenen Bescheides werden gemäß § 28 Abs 2 VwGVG ersatzlos behoben.

B)

Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Der Beschwerdeführer, ein pakistanischer Staatsangehöriger, stellte am 14.08.2017 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK gemäß § 55 AsylG. Das BFA wies mit Bescheid vom 09.11.2018 (I.) diesen Antrag gemäß § 55 AsylG ab und erließ gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 3 FPG. Das BFA stellte unter einem (II.) gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass die Abschiebung nach Pakistan gemäß § 46 FPG zulässig sei und sprach (III.) aus, dass gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Der Bescheid wird zur Gänze angefochten.

Verfahrensablauf

Am 14.08.2017 stellte der Beschwerdeführer den verfahrensgegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK gemäß § 55 AsylG.

Einem Verbesserungsauftrag des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom selben Tag kam der Beschwerdeführer mit Stellungnahme vom 22.08.2017 nach. Eine weitere Eingabe des Beschwerdeführers erfolgte am 14.11.2017.

Am 11.07.2018 fand zum Antrag des Beschwerdeführers eine Einvernahme vor dem BFA statt und am 24.10.2018 gab der Beschwerdeführer eine weitere schriftliche Stellungnahme ab.

Das BFA wies mit gegenständlich angefochtenem Bescheid (I.) den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK gemäß § 55 AsylG ab und erließ gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 3 FPG. Das BFA stellte unter einem (II.) gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass die Abschiebung nach Pakistan gemäß § 46 FPG zulässig sei und sprach (III.) aus, dass gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Gleichzeitig wurde vom BFA mit Verfahrensanordnung gemäß § 52 Abs 1 BFA-VG für das Beschwerdeverfahren amtswegig eine juristische Person als Rechtsberater zur Seite gestellt.

Der Beschwerdeführer hat gegen den am 16.11.2018 zugestellten Bescheid am 22.11.2018 Beschwerde erhoben und diesen zur Gänze angefochten.

Der Beschwerdeführer stellte am 26.08.2019 einen Fristsetzungsantrag und der Verwaltungsgerichtshof forderte das Bundesverwaltungsgericht mit Anordnung vom 02.09.2019, Fr 2019/21/0022-4 auf, binnen drei Monaten die Entscheidung zu erlassen.

Das Bundesverwaltungsgericht übermittelte dem Beschwerdeführer am 10.10.2019 Länderinformationen zu Pakistan und forderte diesen gleichzeitig auf, seine bisherigen Angaben zu aktualisieren und bekannt zu geben, ob er einen Antrag auf internationalen Schutz stellen wolle oder nicht. Der Beschwerdeführer äußerte sich dazu mit Schriftsatz vom 15.10.2019 und legte Dokumente vor.

Am 19.11.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht in der Sache des Beschwerdeführers eine öffentliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer ohne seines Vertreters teilnahm; die belangte Behörde erschien nicht. Nach der Verhandlung aber noch am selben Tag übermittelte der Vertreter des Beschwerdeführers dem Bundesverwaltungsgericht eine Bestätigung über eine absolvierte Deutschprüfung.

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Sachverhaltsfeststellungen

1.1 Der Beschwerdeführer führt in Österreich den im Spruch angeführten Namen und sowie das ebenso dort angeführte Geburtsdatum. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Pakistan und gehört der muslimischen Glaubensgemeinschaft an. Seine Identität steht fest (Reisepass, AS 27 ff).

1.2 Der Beschwerdeführer stammt aus dem Dorf XXXX im Distrikt Gujranwala in der Provinz Punjab. Er besuchte zehn Jahre lang die Schule, half in der familieneigenen Landwirtschaft mit und lebte bis zu seiner Ausreise in seinem Elternhaus. Seine Mutter ist verstorben, sein Vater, seine Geschwister und Brüder leben nach wie vor in Pakistan. Er steht mit diesen in telefonischen Kontakt. Er hat auch in Österreich einen Neffen und einen Onkel, mit denen er in Kontakt steht (BFA-Niederschrift 11.07.2018, S 3, 4; Stellungnahme 24.10.2018, S 2)

1.3 Der Beschwerdeführer verließ Pakistan im Jahr 2009, stellte im Mai 2009 in Griechenland, am 23.03.2015 in Ungarn und am 08.05.2015 in Italien jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz (EURODAC-Treffer der Kat. 1, Zentrales Fremdenregister 19.11.2019). Er erhielt in Italien für sein Asylverfahren ein Aufenthaltsrecht und reiste in der Überzeugung, sich damit und seinem Reisepass in der EU frei bewegen und aufhalten zu können, Ende Dezember 2015/Anfang Jänner 2016 nach Österreich. Er tat dies, da kurz zuvor seine Mutter verstorben war, er deshalb trauerte und depressiv war, und sein in Österreich aufenthaltsberechtigt lebender Neffe deshalb vorgeschlagen hatte, zu ihm nach Wien zu kommen. Im Jänner 2016 begegnete er zum ersten Mal der österreichischen Staatsangehörigen XXXX , seine nunmehrige Ehefrau, und nachdem sich die beiden näher kennen gelernt hatten, begründete der Beschwerdeführer im Frühjahr/Sommer 2016 mit ihr eine Lebensgemeinschaft; seit 05.08.2016 ist er an ihrer Wohnadresse auch gemeldet (Stellungnahme 22.08.2017, S 2; BFA-Niederschrift 11.07.2018, S 3; Stellungnahme 24.10.2018, S 2; Verhandlungsschrift (VHS) 19.11.2019, S 8; Zentrales Melderegister (ZMR), 19.11.2019). Er stellte in der Folge am 01.08.2016 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Jener Antrag wurde vom BFA mit Bescheid vom 26.01.2017 gem § 5 AsylG zurückgewiesen; gleichzeitig stellte das BFA fest, dass Italien für die Prüfung jenes Antrages zuständig sei. Dieser Bescheid wurde am 10.02.2017 rechtskräftig und der Beschwerdeführer wurde am 09.03.2017 nach Italien überstellt (BFA-Niederschrift 11.07.2018, S 2). Anschließend kehrte er während des in Italien laufenden Asylverfahrens, erneut in der Überzeugung, in dieser Zeit nach Österreich reisen zu dürfen, zu seiner nunmehrigen Ehefrau zurück und heiratete diese standesamtlich am XXXX in XXXX (VHS 19.11.2019, S 8; Heiratsurkunde); die Ehefrau hat dabei den Nachnamen des Beschwerdeführers, XXXX , angenommen. Und am 14.08.2017 stellte er den gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK gemäß § 55 AsylG.

1.4 Der Beschwerdeführer lebt seit Frühjahr/Sommer 2016 mit seiner Ehefrau in aufrechter Beziehung im gemeinsamen Haushalt. Er ist auch im Familien-, Freundes-, Bekannten-, und Kollegenkreis seiner Ehefrau integriert (Stellungnahme 22.08.2017, S 2; BFA-Niederschrift 11.07.2018, S 3; Stellungnahme 24.10.2018, S 2; VHS 19.11.2019, S 6-7; Zentrales Melderegister (ZMR), 19.11.2019). Er bezieht bereits seit April 2017 keine Leistungen aus der Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde (Betreuungsinformationssystem über die Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich, 19.11.2019), verfügt über eine Krankenversicherung, ist arbeitsfähig und arbeitswillig. Am 16.03.2019 hat er bei einem österreichischen Sprachinstitut die Sprachprüfung A2 für die Sprache Deutsch "gut" bestanden. Einen Nachweis für eine erfolgreich absolvierte Integrationsprüfung zur Erfüllung des Moduls 1 gemäß § 11 IntG hat er bisher nicht vorgelegt. Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten. Zu seinen Angehörigen in Pakistan hält er telefonischen Kontakt.

1.5 Die Ehefrau ist in Österreich geboren, aufgewachsen und sozialisiert; sie hatte ihren Lebensmittelpunkt ihr ganzes bisheriges Leben in Österreich. Sie ist seit XXXX bei einem XXXX unselbstständig erwerbstätig mit einem ungefähren monatlichen Durchschnittseinkommen iHv netto XXXX ,-- EUR. (BFA-Niederschrift 11.07.2018, S 3; Lohnzettel, Aktenseiten 7-10). Sie bekennt sich zum christlichen Glauben XXXX , beherrscht weder Urdu noch Punjabi und hat auch keine sonstigen Bindungen zu Pakistan. Die Ehefrau hat ihre gesamte Familie, ihre Eltern, Geschwister, einen erwachsenen Sohn, und weitere Verwandte sowie ihren Freundeskreis in Österreich (VHS 19.11.2019, Beilage Zeugenaussage, S 1-2).

2. Die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen:

Die Feststellungen stützen sich auf die bei den Sachverhaltsfeststellungen jeweils in Klammer angeführten Beweismittel.

2.1 Die Staatsangehörigkeit und Herkunft des Beschwerdeführers (oben 1.1) ergibt sich aus seinen diesbezüglichen Angaben, an denen auf Grund seiner Orts- und Sprachkenntnisse nicht zu zweifeln war. Seine Identität steht aufgrund des vorgelegten und als unbedenklich erachteten pakistanischen Reisepasses fest.

2.2 Die Feststellungen zu seinen Lebensverhältnissen in Pakistan vor seiner Ausreise und den in Pakistan lebenden Familienangehörigen und Verwandten (oben 1.2) beruhen auf seinen Angaben im Verfahren vor dem BFA und in der Verhandlung, welche insofern im Wesentlichen stringent waren und keine Anhaltspunkte für die Annahme boten, dass der Beschwerdeführer diesbezüglich falsche Angaben gemacht hätte.

2.3 Die Feststellungen zur Ausreise des Beschwerdeführers aus Pakistan 2009, zu seinen Reisebewegungen, zu seinen Aufenthalten in Österreich, zum Kennenlernen seiner Ehefrau und zur Begründung der Lebensgemeinschaft und Eheschließung sowie zu den gestellten Anträgen (oben 1.3) beruhen auf den im Verwaltungsakt des BFA befindlichen und bei den dazu getroffenen Sachverhaltsfeststellungen jeweils in Klammer angeführten Beweismitteln.

2.4 Die Feststellungen zum Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers mit seiner Ehefrau in Österreich (oben 1.4) ergeben sich aus den dazu im Wesentlichen gleichbleibenden Angaben des Beschwerdeführers im Laufe des Verfahrens und in der mündlichen Verhandlung, die auch im Einklang mit der Zeugenaussage seiner Ehefrau stehen, ohne sich jedoch gleichlautend zu gestalten, sodass eine vorangegangene Absprache auszuschließen ist und von deren Glaubhaftigkeit auszugehen ist. Die abgelegte Deutschprüfung wurde durch die nach Ende der Verhandlung per ERV übermittelte Bescheinigung nachgewiesen. Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer keine Leistungen aus der Grundversorgung bezieht sowie zur strafrechtlichen Unbescholtenheit beruhen auf den Datenbankauszügen aus dem GVS-Betreuungsinformationssystems über die Gewährung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich sowie dem Strafregister der Republik Österreich, an deren Richtigkeit keine Zweifel aufgekommen sind (Auszüge vom 19.11.2019).

2.5 Die Feststellungen zu Person der Ehefrau des Beschwerdeführers sowie zu ihren Lebensverhältnissen in Österreich (oben 1.5) beruhen auf ihren unter Wahrheitspflicht gemachten Angaben als Zeugin in der Verhandlung, die sich als widerspruchsfrei, schlüssig und im Einklang mit den vorgelegten Unterlagen und den Angaben des Beschwerdeführers stehend und deshalb als glaubhaft erweisen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Spruchpunkt I

Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen

Rechtsgrundlagen

3.1. Gemäß § 55 Abs 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn 1.) dies gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist und 2.) der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl I Nr 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl I Nr 189/1955) erreicht wird. Gem Abs 2 ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Abs 1 Z 1 vorliegt.

3.2. Gemäß § 9 Abs 1 BFA-VG ist die Erlassung einer Entscheidung, mit der in das Privat- oder Familienleben eingegriffen wird, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

Gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen: 1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war; 2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens; 3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens; 4. der Grad der Integration; 5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden; 6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit; 7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts; 8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren; 9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

Zum gegenständlichen Verfahren

3.3 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine Trennung der Ehepartner nur dann gerechtfertigt, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme ein sehr großes Gewicht beizumessen ist, wie etwa bei Straffälligkeit des Fremden oder bei einer von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regelungen über eine geordnete Zuwanderung und den "Familiennachzug" (VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0271; 20.08.2019, Ra 2018/18/0046). Ebenso hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 21.05.2019, Ra 2018/19/0500, ausgesprochen, der Umstand, dass der (unbescholtener) Revisionswerber und seine Ehefrau, eine österreichische Staatsbürgerin, auf Grund seines unsicheren Aufenthaltsstatus nicht darauf vertrauen konnten, dass er dauerhaft in Österreich bleiben kann, entbindet das Gericht nicht von der Prüfung, ob von einer von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regelungen über eine geordnete Zuwanderung und des "Familiennachzuges" im Sinn der Judikatur auszugehen ist, und der Einbeziehung der Ergebnisse dieser Prüfung in die Interessenabwägung. Überdies müssen in einem solchen Fall nähere Feststellungen zu den Lebensverhältnissen des Fremden und seines Ehepartners getroffen werden und bedarf es einer Prüfung der näheren Umstände der Zumutbarkeit der Fortsetzung des Familienlebens außerhalb Österreichs (VwGH 21.05.2019, Ra 2018/19/0500).

3.4. Fallbezogen lebt der Beschwerdeführer mit seiner österreichischen Ehefrau in aufrechter Beziehung im gemeinsamen Haushalt. Ausgehend vom festgestellten Sachverhalt reiste er nach seiner im Mai 2015 erfolgten Asylantragstellung in Italien in der Überzeugung, dazu berechtigt zu sein, Ende Dezember 2015/Anfang Jänner 2016 nach Österreich, da kurz zuvor seine Mutter verstorben war, er deshalb trauerte und depressiv war, und sein in Österreich aufenthaltsberechtigt lebender Neffe deshalb vorgeschlagen hatte, zu ihm nach Wien zu kommen. Während seines Aufenthaltes in Österreich lernte er dann zufällig seine nunmehrige Ehefrau kennen und begründete mit dieser im Frühjahr/Sommer 2016 die Lebensgemeinschaft. Die Eheschließung erfolgte zwar erst am XXXX , die Lebensgemeinschaft wurde jedoch bereits im vor dem Abschluss des Verfahrens zum Antrag auf internationalen Schutz in Österreich begründet (vgl VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0271). Fallbezogen liegt nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes keine vom Beschwerdeführer oder seiner Ehefrau von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regelungen über eine geordnete Zuwanderung und den "Familiennachzug vor. Der Beschwerdeführer ist auch strafrechtlich unbescholten. Er kann sich auf Deutsch zumindest auf dem Sprachniveau A2 verständigen, ist arbeitswillig und arbeitsfähig. Er ist auch im Familien-, Freundes-, Bekannten-, und Kollegenkreis seiner Ehefrau integriert. Die Ehefrau des Beschwerdeführers ist in Österreich geboren, aufgewachsen und sozialisiert; sie hatte ihren Lebensmittelpunkt ihr ganzes bisheriges Leben in Österreich. Sie ist seit XXXX bei einem XXXX unselbstständig erwerbstätig mit einem ungefähren monatlichen Durchschnittseinkommen iHv netto XXXX ,-- EUR. Sie bekennt sich zum christlichen Glauben, beherrscht weder Urdu noch Punjabi und hat auch keine sonstigen Bindungen zu Pakistan. Die Ehefrau hat ihre gesamte Familie, ihre Eltern, Geschwister, einen erwachsenen Sohn, und weitere Verwandte sowie ihren Freundeskreis in Österreich. Es ist daher der Ehefrau nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes nicht zumutbar, ihren Wohnsitz nach Pakistan zu verlegen.

Das Bundesverwaltungsgericht gelangt daher im konkret zu beurteilenden Fall aufgrund des Inhaltes des vom BFA vorgelegten Verfahrensaktes und des zusätzlich in der mündlichen Verhandlung am 19.11.2019 verschafften persönlichen Eindrucks unter Berücksichtigung der zuvor zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (oben 3.3) zu dem Ergebnis, dass unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des vorliegenden Falles das private Interesse des Beschwerdeführers an der Fortführung seines Privatlebens in Österreich das öffentliche Interesse an einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme überwiegt. Es ist auch keine ausreichende Rechtfertigung zu erkennen, warum öffentliche Interessen es zwingend erfordern würden, dass der Beschwerdeführer Österreich verlassen müsste.

3.5 Gemäß § 81 Abs 36 NAG gilt das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG als erfüllt, wenn Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl I Nr 68/2017 vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesgesetzes BGBl I Nr 68/2017 erfüllt haben oder von der Erfüllung ausgenommen waren. Die §§ 7 bis 16 Integrationsgesetz, BGBl I Nr 68/2017, mit Ausnahme von § 13 Abs. 2 traten mit 1. Oktober 2017 in Kraft.

Der Beschwerdeführer hat eine A2-Sprachprüfung für die Sprache Deutsch erst nach dem 1. Oktober 2017 bestanden, nämlich am 16.03.2019. Einen Nachweis für eine erfolgreich absolvierte Integrationsprüfung zur Erfüllung des Moduls 1 gemäß § 11 IntG hat er bisher nicht vorgelegt. Damit gilt das Modul 1 der Integrationsvereinbarung nicht als erfüllt. Er übt auch zum Entscheidungszeitpunkt keine erlaubte Erwerbstätigkeit aus, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze erreicht wird. Es liegen daher gegenwärtig nicht die Voraussetzungen für die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung plus" gem § 55 Abs 1 Z 2 AsylG vor.

3.6 Es ist daher im Ergebnis spruchgemäß der Beschwerde gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides stattzugeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 55 Abs 1 Z 1 iVm Abs 2 AsylG der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" für die Dauer von zwölf Monaten zu erteilen.

Spruchpunkt II

Zur Behebung der Spruchpunkt II und III des angefochtenen Bescheides

3.7. Nach dem zuvor dargestellten Ergebnis liegen nicht mehr die gesetzlichen Voraussetzungen für die Abschiebung nach Pakistan gem § 46 FPG und die Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 FPG vor, weshalb gleichzeitig die betreffenden Spruchpunkte ersatzlos zu beheben sind.

Zu B)

Revision

3.8 Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da die für den vorliegenden Fall relevante Rechtslage durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt ist.

3.9 Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK Behebung der Entscheidung Deutschkenntnisse Deutschkurs Ehe ersatzlose Behebung familiäre Situation Integration Interessenabwägung öffentliche Interessen Privat- und Familienleben Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:L516.2210869.1.00

Im RIS seit

24.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

24.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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