TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/8 L504 2187335-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.01.2020
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Entscheidungsdatum

08.01.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §34
AVG §39 Abs2
B-VG Art133 Abs4

Spruch

L504 2187336-2/5E

L504 2187335-2/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. R. ENGEL als Einzelrichter über die Beschwerde von

1. XXXX geb., StA. Syrien, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.08.2019, Zl. XXXX ,

2. XXXX geb., StA. Türkei, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.08.2019, Zl. XXXX ,

zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gem. § 3 AsylG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrenshergang

1. Die beschwerdeführende Partei [bP1] stellte nach nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 14.02.2017 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl [BFA) einen Antrag auf internationalen Schutz.

Es handelt sich dabei um eine Frau, welche ihren Angaben nach Staatsangehörige von Syrien ist. Am XXXX .2017 hat sie in Österreich einen Sohn [bP2] geboren und brachte die bP1 für diesen am 03.05.2017 einen Antrag ein.

Die bP1 gab im Wesentlichen an, dass sie Syrien im Oktober 2014 verlassen habe, weil der IS einmarschiert sei. Sie sei vor drohender Vergewaltigung durch Angehörige des IS geflohen. Sie wäre in die Türkei gereist. 2016 habe sie dort einen türkischen Staatsangehörigen standesamtlich geheiratet und dieser sei auch der Vater der bP2. Der Ehegatte sei in der Türkei verblieben. Die Türkei habe sie verlassen, weil sie sich dort nicht sicher gefühlt habe.

Hinsichtlich der bP2 brachte die bP1 einen "Antrag auf Familienverfahren" ein. Der Sohn habe keine eigenen Fluchtgründe bzw. Rückkehrbefürchtungen. Der Antrag beziehe sich nur auf die Fluchtgründe der Mutter

Der Antrag der bP1 auf internationalen Schutz wurde folglich vom Bundesamt gemäß § 4 Abs 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen (I.).

Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt (II.)

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die bP gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen (III.).

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass eine Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei (IV.).

Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (V.).

Das Bundesamt begründete die Zurückweisung des Antrages damit, dass die bP1 Schutz im sicheren Drittstaat - hier ging es von der Türkei aus - finden könne. Die Türkei habe die GFK ratifiziert und die bP1 könne dort ein Asylverfahren führen, das den Grundsätzen der GFK, der EMRK und des Protokolls Nr 6, 11 u. 13 zur Konvention entspreche. Abschiebungshindernisse würden nicht vorliegen und die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung würden die privaten Interessen an einem Verbleib überwiegen.

Hinsichtlich der minderjährigen bP2 entschied die Behörde, dass der Antrag auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen wäre (I. u. II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt (III.) und wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen (IV.). Die Abschiebung in die Türkei wurde für zulässig erklärt (V.) und eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise gewährt (VI.).

Das Bundesamt ging davon aus, dass die bP2 gemäß türkischem Staatsbürgerschaftsrecht ex lege von ihrem Vater die türkische Staatsangehörigkeit erworben habe. Im Gegensatz dazu können nach syrischem Recht die syrische Mutter die Staatsangehörigkeit nicht auf das Kind "übertragen". Verfolgungsgründe die Türkei betreffend seien nicht dargelegt worden. Das Kind verfüge in der Türkei auch über familiäre Anknüpfungspunkte und bestünde nicht die Gefahr, dass es in eine aussichtslose Lage geraten würde.

Da auch die Mutter Österreich verlassen müsse, liege keine Verletzung des Privat- und Familienlebens vor.

Einer dagegen erhobenen Beschwerde wurde vom BVwG mit Erkenntnis vom 19.03.2018 stattgegeben und die angefochtenen Bescheide gem. § 28 Abs 5 VwGVG behoben. Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass die Behörde die Türkei fälschlich als sicheren Herkunftsstaat iSd § 4 AsylG bezeichnete. Da die bP1 jedoch syrische Staatsangehörige ist, steht ihr kein Verfahren zur Einräumung der Rechtsstellung eines Flüchtlings nach der GFK zur Verfügung, so wie es § 4 Abs 2 AsylG aber ua. zur Qualifizierung als sicherer Drittstaat fordert. Die Voraussetzungen für eine Zurückweisung des Antrages lagen somit nicht vor. Die Behebung des Bescheides der Mutter hatte auch die Behebung des Bescheides des Kindes zur Folge.

Das Bundesamt hat sodann die bP1 am 16.04.2019 ergänzend einvernommen.

Ihr Ehegatte lebe derzeit in Istanbul und besteht telefonischer Kontakt. Zu ihrer Problemlage in Syrien brachte sie Folgendes vor:

"[...]

F: Warum stellen Sie einen Asylantrag? Nennen Sie alle Ihre Fluchtgründe?

A: Ich habe Syrien deshalb verlassen, weil wir uns durch den Einmarsch des IS bedroht fühlten. Vor allem wir Frauen hatten Angst entführt und vergewaltigt zu werden. Wir flohen zunächst in die Türkei wo wir dachten in Sicherheit zu sein und ein normales Leben führen zu können. Tatsache ist, dass man als Kurde in der Türkei diskriminiert und ausgeschlossen wird. Alleine in kurdisch zu sprechen stellte eine Gefahr dar falls man uns hörte. Mein Mann hatte es mir deshalb verboten. In Anwesenheit anderer in Kurdisch zu sprechen. Unter diesen Umständen war ich nicht in der Lage zu arbeiten, oder ohne Angst aus dem Haus zu gehen. Ein Freund meines Mannes hat den Kontakt zu Ihm abgebrochen, nachdem er herausfand, dass er mit einer Kurdin wie mir verheiratet ist. Weiteres kommt eine Rückkehr in die Türkei für mich deshalb nicht in Frage, weil ich mich hier an anti-Erdogan Demonstration und Kundgebungen beteiligt habe. Meine Beteiligung ist mit Fotos dokumentiert und belegbar. Hier in Österreich wird nicht gegen Kurden diskriminiert. Ich kann frei heraus sagen, wer und was ich bin. Mein Kind wir in Österreich auch nicht diskriminiert, er kann ohne Probleme in Parks spielen und seine Herkunft spielt keine Rolle. Ich wäre Ihnen dankbar, selbst wenn Sie mir subsidiären Schutz gewähren, weil ich dann als gelernte Friseurin arbeiten kann und die Deutsche Sprache lernen kann.

F: Haben Sie abgesehen vom IS weitere Fluchtgründe in Bezug auf Syrien?

A: Aktuell kontrollieren kurdische Milizen die Stadt Kobane, Sie gehen genauso vor wie die Barth Partei. Sie führen auch bei Frauen Zwangs Rekrutierungen durch, wenn ich dort zurückkehren müsste, dann müsste ich gegen meinen Willen kämpfen. Eine Cousine von mir, die Tochter eines "unechten" (halb) Onkels wurde zwangsrekrutiert. Als Sie das Lager verlies, wurde Sie von Patrouillen gesucht und musste folglich nach Kurdistan fliehen. In diesem Fall wurde sogar der Vater verhaftet und eingesperrt, weil man die Tochter nicht mehr finden konnten.

F: Haben Sie noch weitere Fluchtgründe in Bezug auf Syrien?

A: Ich habe alle Gründe genannt.

F: Warum haben Sie an Anti-Erdogan Demos teilgenommen und wo sind die Beweisfotos?

A: Ich kann Ihnen die Fotos gerne nachreichen. Ich bin deshalb gegen Erdogan auf die Straße gegangen, weil er die Kurden unterdrückt. Ich bin nur aus diesem Grund auf die Straße gegangen. Er ist der größte Feind der Kurden in der Türkei, er hat damit gedroht alle Kurden in der Türkei auszurotten.

F: Hat Ihr Kind eigene Fluchtgründe?

A: Nein

F: Hatten Sie in Syrien jemals Ihre Person betreffend Probleme mit Gerichten, Sicherheitsbehörden oder Militär?

A: Nein.

F: Sind Sie jemals mit dem Gesetz in Konflikt geraten und wurden strafrechtlich Verurteilt?

A: Nein

F: Haben Sie sich in Syrien politisch bzw. religiös betätigt?

A: Nein

F: Haben sich Familienangehörige in Syrien politisch/religiös betätigt?

A: Nein.

F: Wurden Sie in Syrien persönlich von jemandem konkret verfolgt?

A: Nein.

F: Wurden Sie in Syrien aufgrund Ihrer Religion verfolgt?

A: Nein.

F: Wurden Sie in Syrien aufgrund Ihrer politischen Gesinnung verfolgt?

A: Nein.

F: Wurden Sie in Syrien aufgrund Ihrer Volksgruppe verfolgt?

A: Unter dem Regime von Assad wurde es uns verboten kurdisch zu sprechen, in der Schule war es auch nicht möglich das lesen oder schreiben der kurdischen Sprache zu lernen. Also als Volksgruppe wurden wir sowohl von den Türken als auch vom Regime Assads verfolgt.

F: Hierbei handelt es sich um Diskriminierungen, könnten Sie Beispiele anführen, dass Sie als Kurden in Syrien verfolgt wurden?

A: Nein, wir wurden nicht verfolgt weil wir Kurden sind.

F: Was befürchten Sie im Falle Ihrer Rückkehr nach Syrien? Was würde passieren, wenn Sie morgen zurück nach Syrien geschickt werden würden?

A: Ich befürchte, dass man mich sofort nach meiner Ankunft zwangsrekrutieren wird, das ist auch der Grund, warum meine Geschwister und viele meiner Verwandten das Land verlassen mussten. Dies gilt natürlich auch für Heimkehrer ausnahmslos.

F: Konnten Sie sich bei dieser Einvernahme konzentrieren? Haben Sie den Dolmetscher einwandfrei verstanden?

A: Ja.

F: Möchten Sie noch irgendetwas angeben wonach ich nicht konkret gefragt habe?

A: Ich möchte Sie bitten mir einen Aufenthalt zu gewähren, auch wenn es nur ein Vorübergehender ist. Meine Familie ist in Österreich, ich habe niemand mehr in Syrien. Ihr Sohn - er ist türkischer Staatsangehöriger - habe keine eigenen Fluchtgründe, sie stelle für diesen einen Antrag auf ein Familienverfahren gem. § 34 AsylG.

Die angebotene Möglichkeit zu der Länderfeststellung des BFA Einsicht und Stellung zu nehmen wurde von der bP1 nicht wahrgenommen.

Der Antrag der bP1 wurde hinsichtlich der Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten gem. § 3 AsylG abgewiesen; gem. § 8 AsylG wurde der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 06.08.2020 erteilt.

Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass die bP1 in Syrien keine aktuelle asylrelevante Verfolgungsgefahr glaubhaft machen konnte. Auf Grund der allgemeinen Lage in Syrien würde jedoch die reale Gefahr einer Verletzung von Art 3 EMRK vorliegen, weshalb der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen gewesen sei.

Den Antrag der mj. bP2 hat die Behörde spruchgemäß - unter Hinweis auf § 34 AsylG - gleichlautend entschieden und ihr im Rahmen des Familienverfahrens ebenfalls den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.

Gegen diese Bescheide wurde durch den bevollmächtigten Vertreter in Bezug auf die Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten Beschwerde erhoben. Spruchpunkt II. und III. traten somit in Rechtskraft.

Moniert wird in beiden Verfahren mit einheitlichem Schriftsatz im Wesentlichen:

Auf Grund der Zugehörigkeit zu der sozialen Gruppe der Familie und der "alleinstehenden Frauen" sei eine Verfolgung in Syrien mit größtmöglicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen; die Familienmitglieder seien bereits ausgereist und wäre sie bei einer Rückkehr ohne männlichen Schutz, "die aufgrund des Konfliktes einem besonderen Risiko von Misshandlungen und Schikanen durch den IS ausgesetzt wäre". Die bP seien neben willkürlichen Verhaftungen auch Einschränkungen in allen Lebensbereichen ausgesetzt, somit bestehe auch die Gefahr von sexueller Gewalt.

Die bP1 ist illegal in das Bundesgebiet eingereist. Aus diesem Grund laufe sie ernstlich Gefahr in Syrien behördlich verfolgt zu werden. Sie wäre nämlich verpflichtet gewesen ihre Ausreise genehmigen zu lassen. Ihr drohe deshalb Haftstrafe und wäre ein Gefängnisaufenthalt mit Misshandlung und Folter verbunden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Das BVwG hat zentral durch den Inhalt des übermittelten Verwaltungsaktes der belangten Behörde Beweis erhoben.

Auf Grund des sachlichen und persönlichen Zusammenhanges wurden die Verfahren der beschwerdeführenden Parteien gem. § 34 AsylG, § 39 Abs 2 AVG zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

1. Feststellungen (Sachverhalt)

Das Bundesamt traf zur bP1 nachfolgende Feststellungen, denen sich das BVwG anschließt:

"[...]

Zu Ihrer Person:

Ihre Identität steht fest. Sie heißen XXXX und sind am XXXX in Kobani (Syrien) geboren. Sie stammen aus Kobani Syrien wo Sie auch den überwiegenden Teil Ihres Lebens gelebt haben.

Sie sind syrische Staatsangehörige, verheiratet und haben einen Sohn namens XXXX gehören der Volksgruppe der Kurden an. Sie sind Muslimin, Angehörige der sunnitischen Glaubensrichtung und laut Ihren Angaben unter Umgehung der Grenzkontrollen am im Februar 2017 in das österreichische Bundesgebiet eingereist.

Festgestellt wird, dass Sie laut eigenen Angaben seit Februar 2018 in Scheidung leben.

Zu den Gründen für das Verlassen Ihres Herkunftsstaats:

Bezüglich Ihrer Fluchtgründe haben sie angegeben, Ihren Herkunftsstaat aufgrund des IS in Kobane und mangels Sicherheit im Land dieses verlassen zu haben.

Sie konnten nicht glaubhaft machen, dass Sie in Syrien asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt waren bzw. eine solche Verfolgung zukünftig zu befürchten hätten.

Zu Ihrer Situation im Fall Ihrer Rückkehr:

Festgestellt wird, dass im Entscheidungszeitpunkt Ihre Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung nach Syrien eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten oder für Sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen könnte.

[...]"

Das Bundesamt traf zur Situation in Syrien hinsichtlich der bP1 auf Basis des aktuellen Länderinformationsblattes der Staatendokumentation nachfolgende Feststellungen. Sie werden hier (abgesehen von Rechtsgrundlagen) im Wesentlichen nur insoweit dargestellt, als sie vom Erscheinungszeitpunkt des jeweiligen Berichtes noch als hinreichend aktuell bezeichnet werden können.

"[...]

Allgemeine Menschenrechtslage

Schätzungen besagen, dass etwa eine halbe Million Menschen im syrischen Bürgerkrieg getötet wurden (BS 2018).

Die syrische Verfassung sieht die Baath-Partei als die regierende Partei vor und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat. Ein Dekret von 2011 erlaubt die Bildung anderer politischer Parteien, jedoch nicht auf Basis von Religion, Stammeszugehörigkeit oder regionalen Interessen. Die Regierung erlaubt nur regierungsnahen Gruppen offizielle Parteien zu gründen und zeigt wenig Toleranz gegenüber anderen politischen Parteien, auch jenen, die mit ihr verbündet sind. Parteien wie das Communist Union Movement, die Communist Action Party und die Arab Social Union werden schikaniert. Gesetze, welche die Mitgliedschaft in illegalen Organisationen verbieten, wurden auch verwendet um Hunderte Mitglieder von Menschenrechts- und Studentenorganisationen zu verhaften. Es gibt auch zahlreiche Berichte zu anderen Formen der Belästigung von Menschenrechtsaktivisten, Oppositionellen oder Personen, die als oppositionell wahrgenommen werden, von Reiseverboten, Enteignung und Überwachung bis hin zu willkürlichen Festnahmen, "Verschwindenlassen" und Folter (USDOS 13.3.2019).

Es sind zahllose Fälle bekannt, bei denen Personen für als regierungsfeindlich angesehene Tätigkeiten ihrer Verwandten inhaftiert und gefoltert werden, darunter sollen auch Fälle sein, bei denen die gesuchten Personen ins Ausland geflüchtet sind (AA 13.11.2018). Frauen mit familiären Verbindungen zu Oppositionskämpfern werden z.B. als Vergeltung oder zur Informationsgewinnung festgenommen. Außerdem werden Personen festgenommen, die Kontakte zu Verwandten oder Freunden unterhalten, die in oppositionell kontrollierten Gebieten leben (UNHRC 31.1.2019).

Die Methoden der Folter, des Verschwindenlassens und der schlechten Bedingungen in den Haftanstalten sind keine Neuerung der letzten Jahre seit Ausbruch des Konfliktes, sondern waren bereits zuvor gängige Praxis der unterschiedlichen Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden in Syrien (SHRC 24.1.2019).

Russland, der Iran und die Türkei haben im Zusammenhang mit den Astana-Verhandlungen wiederholt zugesagt, sich um die Missstände bezüglich willkürlicher Verhaftungen und Verschwindenlassen zu kümmern. Im Dezember 2017 gründeten sie eine Arbeitsgruppe zu Inhaftierungen und Entführungen im syrischen Konflikt, es waren bisher jedoch nur geringe Fortschritte zu verzeichnen (HRW 17.1.2019).

Weitere schwere Menschenrechtsverletzungen, derer das Regime und seine Verbündeten beschuldigt werden, sind willkürliche und absichtliche Angriffe auf Zivilisten, darunter auch der Einsatz von chemischen Waffen; Massaker und Vergewaltigungen als Kriegstaktik; Einsatz von Kindersoldaten sowie übermäßige Einschränkungen der Bewegungs-, Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit, inklusive Zensur. Die Regierung überwacht die Kommunikation im Internet, inklusive E-Mails, greift in Internet- und Telefondienste ein und blockiert diese. Die Regierung setzt ausgereifte Technologien und Hunderte von Computerspezialisten für Überwachungszwecke ein (USDOS 13.3.2019).

Orte, die im Laufe der vergangenen Jahre wieder unter die Kontrolle der Regierung gelangt sind, erlebten organisierte und systematische Plünderungen durch die bewaffneten Einheiten der Regierung (SHRC 24.1.2019). Berichten zufolge sind Personen in Gebieten, die erst vor kurzer Zeit durch die Regierung wiedererobert wurden, aus Angst vor Repressalien oft zurückhaltend über die Situation in diesen Gebieten zu berichten (USDOS 13.3.2019).

Bewaffnete terroristische Gruppierungen, wie die mit al-Qaida in Verbindung stehende Gruppe Hay'at Tahrir al-Sham (HTS), sind für weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen wie Massaker, Beschuss, Entführung, unrechtmäßige Inhaftierung, Folter, Tötung und Zwangsvertreibung auf Basis der Konfession Betroffener, verantwortlich. Der sogenannte Islamische Staat (IS) agiert(e) mit Brutalität gegenüber Bewohnern des von ihm kontrollierten Territoriums. Ihm werden u.a. vorgeworfen: außergerichtliche Hinrichtungen und Verhaftungen, Haft unter unmenschlichen Bedingungen, Folter, Verschwindenlassen und Anwendung von Körperstrafen. Frauen erleb(t)en in vom IS gehaltenen Gebieten willkürliche und schwere Bestrafungen, inklusive Hinrichtung durch Steinigung (USDOS 13.3.2019). Sexuelle Versklavung und Zwangsverheiratung sind zentrale Elemente der Ideologie des IS. Mädchen und Frauen wurden zur Heirat mit Kämpfern gezwungen. Frauen und Mädchen, die Minderheiten angehören, wurden sexuell versklavt, zwangsverheiratet und anderen Formen sexueller Gewalt ausgesetzt (USDOS 20.6.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Im Bezug auf Kampfhandlungen wird dem IS der Einsatz von Kindersoldaten sowie von Zivilisten als menschliche Schutzschilde vorgeworfen. Außerhalb der (ehemals) kontrollierten Gebiete verübte der IS Entführungen und Anschläge (USDOS 13.3.2019).

Auch die oppositionellen bewaffneten Gruppen der Syrian Democratic Forces (SDF) werden für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht, darunter die kurdischen Volksverteidigungskräfte (YPG). Es gibt Berichte über Verschwindenlassen von Gegnern der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) und deren Familien, unrechtmäßige Verhaftungen, Folter von politischen Gegnern, sowie vereinzelte Berichte über Festnahmen von Journalisten, Mitgliedern von Menschenrechtsorganisationen und Oppositionsparteien und Personen, die sich weigerten mit den kurdischen Gruppen zu kooperieren (USDOS 13.3.2019; vgl. HRW 10.9.2018). Familienmitglieder von gesuchten Aktivisten, darunter auch Verwandte von Mitgliedern des IS, sollen von den SDF in den von ihnen kontrollierten Gebieten gefangen genommen worden sein, um Informationen zu erhalten oder um Druck auszuüben. Weiters gibt es Berichte über vermehrte Verhaftungen von Männern für versuchte Wehrdienstverweigerung und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit in den befreiten Gebieten (USDOS 13.3.2019).

Berichten zufolge kam es 2017 auch zur Vertreibung von arabischen Bewohnern aus Gegenden, die durch kurdische Einheiten vom IS befreit worden waren (USDOS 20.4.2018; vgl. AA 13.11.2018).

Die YPG gehört seit 2014 zu den vom VN-Generalsekretär gelisteten Konfliktparteien, die Kindersoldaten einsetzen und Kinderrechte verletzen (AA 13.11.2018). Nach Berichten zu Rekrutierungen von Kindern, auch unter Zwang, durch die SDF, verabschiedeten diese ein Verbot der Rekrutierung und Verwendung von Personen unter 18 Jahren zum Kampf. Verboten sind, unter Androhung von Strafen für die Befehlshaber, auch Hilfsdienste wie Ausspähen, Wach- und Versorgungsdienste. Die kurdischen Gruppen erklärten ihre volle Unterstützung der Anordnung. Im Dezember 2018 wurden 56 Unter-18-Jährige ihren Eltern übergeben (USDOS 13.3.2019).

Die menschenrechtliche Situation in den kurdisch kontrollierten Gebieten stellt sich insgesamt deutlich weniger gravierend dar, als in den Gebieten, die sich unter Kontrolle des syrischen Regimes oder islamistischer bis jihadistischer Gruppen befinden (AA 13.11.2018).

Ein Charakteristikum des Bürgerkriegs in Syrien ist, dass in ganz Syrien bestimmte Personen aufgrund ihrer tatsächlichen oder wahrgenommenen bzw. zugeschriebenen politischen Meinung oder Zugehörigkeit direkt angegriffen werden oder ihnen auf andere Weise Schaden zugefügt wird. Diese Zuschreibung basiert oft nur auf den familiären Verbindungen der Person, ihrem religiösen oder ethnischen Hintergrund oder einfach auf ihrer Präsenz in oder Herkunft aus einem bestimmten Gebiet, das als "regierungsfreundlich" oder "regierungsfeindlich" gilt (UNHCR 11.2015).

Die kurdischen Volksverteidigungskräfte (YPG/YPJ)

Die kurdischen Volksverteidigungskräfte (YPG) sind die bewaffneten Einheiten der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) (DZO 13.1.2019). Bis 2014 war der Militärdienst bei der YPG freiwillig. Seit 2014 gibt es jedoch in den Gebieten unter Kontrolle der PYD eine gesetzliche Verordnung zum verpflichtenden Wehrdienst. Jede Familie ist dazu verpflichtet, ein Familienmitglied im Alter von 18 bis 30 Jahren als "Freiwilligen" für einen sechsmonatigen Wehrdienst bei der YPG aufzubieten. Laut Menschenrechtsorganisationen wird dieses Gesetz auch mit Gewalt durchgesetzt (AA 13.11.2018).

Mehrfach ist es zu Fällen gekommen, in denen Männer von der YPG rekrutiert werden, die älter als 30 Jahre waren. Dabei handelte es sich um Personen, die PYD-kritisch politisch aktiv waren, und die mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die Rekrutierung abgestraft werden sollten (Savelsberg 3.11.2017).

Frauen können freiwilligen Militärdienst in den kurdischen Einheiten leisten, wobei es gleichzeitig Berichte von Zwangsrekrutierungen von Frauen gibt (AA 13.11.2018). Quellen zufolge gibt es keine Beweise für Zwangsrekrutierungen von Frauen durch die kurdischen Frauenverteidigungseinheiten (YPJ), jedoch kann es einzelne Fälle der Zwangsrekrutierung von Frauen in kleineren lokalen kurdischen Milizen geben, die gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) kämpfen (BFA 8.2017). Dem widersprechen andere Quellen, denen zufolge es in mehreren Fällen zur Rekrutierung bzw. Zwangsrekrutierung minderjähriger Mädchen gekommen ist. Darüber hinaus sind Fälle bekannt, in denen kurdische Frauen, die der YPG zunächst freiwillig beitraten, daran gehindert wurden, diese wieder zu verlassen (Savelsberg 3.11.2017).

Die syrischen Streitkräfte - Wehr- und Reservedienst

Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von 18 oder 21 Monaten gesetzlich verpflichtend. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit eines freiwilligen Militärdienstes. Frauen können ebenfalls freiwillig Militärdienst leisten (CIA 3.4.2019; vgl. AA 13.11.2018, FIS 14.12.2018). Palästinensische Flüchtlinge mit dauerhaftem Aufenthalt in Syrien unterliegen ebenfalls der Wehrpflicht, dienen jedoch in der Regel in der Palestinian Liberation Army (PLA) unter palästinensischen Offizieren. Diese ist jedoch de facto ein Teil der syrischen Armee (AA 13.11.2018; vgl. FIS 14.12.2018). Auch Binnenvertriebene sind wie andere Syrer zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und werden rekrutiert (FIS 14.12.2018).

Frauen

Frauen in Syrien haben eine relativ lange Historie der Emanzipation. Vor dem Konflikt war Syrien eines der vergleichsweise fortschrittlicheren Länder der Arabischen Welt in Bezug auf Frauenrechte (BFA 8.2017). Dennoch werden Frauen - teilweise aufgrund der Interpretationen der religiösen Gesetze - von verschiedenen Teilen des Familien- und Strafrechts und der Gesetze zu Personenstand, Arbeit, Erbschaft, Pensionierung, sozialer Sicherheit und Staatsbürgerschaft, diskriminiert (USDOS 13.3.2019).

Vor dem Konflikt nahmen 13% der Frauen am Arbeitsmarkt teil, verglichen mit 73% der Männer. Die Teilhabe sowohl von Männern als auch Frauen am Arbeitsmarkt hat durch Gewalt und Unsicherheit abgenommen. Zuletzt ist in einigen Gebieten, wie in Damaskus, Raqqa und Dara'a, die Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt gezwungenermaßen wieder gestiegen, da viele Männer ihre Familien derzeit nicht unterstützen können (USDOS 13.3.2019).

Extremistische Gruppierungen wie der sogenannte Islamische Staat (IS) oder Hay'at Tahrir al-Sham (HTS) setzen Frauen in den von ihnen kontrollierten Gebieten diskriminierenden Beschränkungen aus. Solche Beschränkungen sind z.B. strikte Kleidervorschriften, Einschränkungen bei der Teilnahme am öffentlichen Leben, bei der Bewegungsfreiheit und beim Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt (USDOS 13.3.2019, MRG 5.2018).

Familienrecht, Personenstandsrecht, Ehe, Scheidung, Obsorge

Im muslimisch dominierten multireligiösen und multiethnischen Syrien haben die unterschiedlichen religiösen Gemeinschaften seit Langem das Recht, bestimmte Angelegenheiten des Familienrechts entsprechend ihren jeweiligen religiösen Vorschriften zu regeln (Eijk 2013). Familienrechtliche Angelegenheiten der Muslime, die etwa 90% der Gesamtbevölkerung stellen, sind im syrischen Personalstatutsgesetz von 1953 geregelt. Vom Anwendungsbereich dieses Gesetzes sind die Christen, die Juden und die Drusen, die ihren jeweiligen eigenen religiösen familien- und erbrechtlichen Bestimmungen unterliegen, ausgenommen. Auf alle Syrer anwendbar ist das Personenstandsgesetz, Dekret-Gesetz Nr. 26/2007 über den Personenstand. Formell besteht die Gesetzeslage von vor 2011 fort. Auch die gesetzlichen Regelungen auf dem Gebiet des syrischen Familienrechts sind weiterhin in Kraft. Der militärische und politische Zerfall Syriens hat allerdings auch Auswirkungen auf das Familienrecht, da die einzelnen politischen Gruppen in ihren Herrschaftszonen zum Teil eigene Normensysteme gebildet haben und anwenden (MPG 2018).

Das syrische Personenstandsgesetz basiert vorwiegend auf islamischen Rechtsquellen wie der Hanafitischen Rechtslehre. Es gilt für alle Syrer, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit, sieht jedoch für die drusischen, jüdischen oder christlichen Gemeinden eine beschränkte juristische Autonomie in Personenstandsangelegenheiten wie Verlobung, Eheschließung, Anforderungen zur Gehorsamkeit der Ehefrau, Unterhalt für Ehefrauen und Kinder, Annullierung und Scheidung, Mitgift, Pflege und seit 2010 Erbe und Nachlass vor. Das Personenstandsrecht und die Scharia-Gerichte, die dieses Recht anwenden, haben jedoch klaren Vorrang gegenüber den nicht-muslimischen Gerichten. Nicht nur die verschiedenen Religionsgruppen, auch die unterschiedlichen Konfessionen haben eine eigene Gesetzgebung in bestimmten rechtlichen Angelegenheiten den Personenstand betreffend (Eijk 2013). So existiert kodifiziertes Familienrecht für Katholiken, Protestanten sowie für die armenisch-, griechisch- sowie syrisch-orthodoxe Kirche u.a. in verschiedenen Personenstandsgesetzen (MPG 2018).

Das syrische Eherecht kennt das Ehehindernis der Religionsverschiedenheit. So ist die Ehe einer muslimischen Frau mit einem nichtmuslimischen Mann nichtig (MPG 2018). Eine Ehe zwischen einem Muslim und einer nichtmuslimischen Frau, sofern diese dem Christentum oder Judentum angehört, ist gültig (MPG o.D.a; vgl. MPG 2018). [Anm.: Details siehe Abschnitt 11. Religionsfreiheit]

Das Ehemündigkeitsalter wird durch das Personenstandsgesetz bei Männern mit Vollendung des 18. und Frauen mit Vollendung des 17. Lebensjahres festgelegt. Es ist möglich, vor Erreichen dieser Altersgrenzen mit Genehmigung des Familiengerichts zu heiraten. Voraussetzungen dafür sind, dass ein Junge das 15. Lebensjahr und ein Mädchen das 13. Lebensjahr vollendet hat, sie die nötige körperliche Verfassung für einen Vollzug der Ehe aufweisen und der Vormund der Eheschließung zustimmt. Ein erwachsener Mann kann seine Ehe ohne einen Ehevormund schließen. In den unterschiedlichen Strömungen des islamischen Rechts ist es jedoch umstritten, ob eine erwachsene, voll geschäftsfähige Frau ihre Ehe ohne ihren Ehevormund schließen kann (MPG o.D.a).

Die Mitwirkung des Staates ist für die Wirksamkeit der Eheschließung nicht erforderlich. Vielmehr stellen die Eheschließung an sich und die Mitteilung bzw. Registrierung der Eheschließung bei Gericht oder einer anderen Behörde getrennte Vorgänge dar. Die Ehepartner sind grundsätzlich verpflichtet, dem Gericht die Eheschließung anzuzeigen. Dies kann zu unterschiedlichen Zeitpunkten geschehen: Entweder wird dem Gericht vorab angezeigt, dass eine Eheschließung beabsichtigt ist, oder die Ehe wird nach der Trauung bei Gericht registriert oder es wird beantragt die Eheschließung bzw. ihren Bestand durch das Gericht festzustellen. Da eine Ehe grundsätzlich auch formlos zustande kommen kann, wird in der Praxis oftmals von einer vorherigen Anzeige der Eheabsicht bei Gericht abgesehen. Zudem können Nupturienten in vielen Fällen die erforderlichen Dokumente nicht beibringen. Ein Bedürfnis, die informell geschlossene Ehe zu registrieren, entsteht in der Praxis immer dann, wenn für ein Kind aus dieser Ehe Dokumente (z.B. eine Geburtsurkunde oder die Staatsangehörigkeitsurkunde) ausgestellt werden sollen. Das Gesetz bestimmt, dass eine Registrierung der bereits geschlossenen Ehe im Nachhinein erfolgen darf, wenn festgelegte Anforderungen erfüllt sind. Im Fall einer Schwangerschaft der Ehefrau oder des Vorhandenseins von Kindern aus dieser Ehe müssen jedoch für die Registrierung nicht alle Anforderungen erfüllt werden und die Ehe ist leichter nachweisbar. Können bestimmte Unterlagen zur Gültigkeit der außergerichtlichen Eheschließung nicht vorgelegt werden, besteht die Möglichkeit, eine einvernehmliche Feststellungsklage über das Bestehen der Ehe zu erheben. Bei der Feststellungsklage werden lediglich Tatsachen festgehalten, die von den Parteien selbst vorgebracht werden. Das Gericht überprüft die vorgebrachten Tatsachenbehauptungen nicht (MPG o.D.a).

Nicht registrierte Ehen werden oft als "traditionelle Ehen" oder "'urfi-Ehen" bezeichnet. Gründe für eine traditionelle Ehe können sein, dass das Paar unterschiedlichen islamischen Konfessionen angehört, dass es gegen die Wünsche der Familie heiratet, oder es sich um eine polygame Ehe handelt (mit oder ohne Wissen der ersten Ehefrau), die grundsätzlich im syrischen Personenstandsrecht erlaubt, jedoch strukturell beschränkt ist. Ein weiterer Grund ist, dass Männer, die in der Armee dienen, eine Genehmigung der Armee für eine Eheschließung benötigen. Ein Mann kann einer solchen Ehe auch zustimmen, um dem unehelichen Kind seiner Frau einen Vater und somit einen Familiennamen zu geben (Eijk 2013). Neben Männern, die in der Armee dienen und eine Genehmigung der Armee zur Eheschließung benötigen, benötigen auch Paare, bei denen ein Partner ausländischer Staatsbürger ist, eine Genehmigung, in diesem Fall von den Sicherheitsbehörden (MPG o.D.a).

Das Datum der Eheschließung wird bei einer nachträglichen Registrierung vom Gericht bestimmt. Wenn das Gericht die traditionelle Eheschließung als gültig anerkennt, ist das Datum der traditionellen Eheschließung das Datum der Eheschließung. Da es auch möglich ist Kinder ex post facto zu registrieren (oftmals gleichzeitig mit der Registrierung der Ehe) und Kinder im Kontext einer Ehe geboren werden sollten, sollte das Hochzeitsdatum hierbei jedenfalls vor dem Geburtsdatum der Kinder liegen. Daher würde es laut einer Expertin für syrisches Ehe- und Familienrecht, Sinn machen, dass das Gericht das Datum der traditionellen Eheschließung als das "echte Hochzeitsdatum" festlegt (Eijk 4.1.2018). Stellvertreterehen und die Registrierung einer Ehe durch einen Stellvertreter sind möglich, selbst wenn beide Ehepartner von einem Stellvertreter repräsentiert werden (Eijk 2.1.2018).

Das in wirksamer Ehe geborene Kind gilt als vom Ehemann abstammend, wenn seit der Eheschließung die Mindestdauer der Schwangerschaft verstrichen ist und der körperliche Kontakt der Ehegatten nicht unmöglich gewesen ist, also wenn nicht etwa einer der Ehegatten über die Dauer der Schwangerschaft hinaus abwesend war (z.B. Gefängnis). Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, so gilt das Kind dann als vom Ehemann abstammend, wenn er das Kind anerkennt oder seine Vaterschaft gerichtlich geltend macht (MPG o.D.b).

Das syrische Personenstandsrecht erkennt auf Basis des islamischen Rechts drei Arten der Scheidung an: einseitige Scheidung oder Verstoßung durch den Ehemann (talaq), Scheidung mit gegenseitigem Einverständnis (mukhala'a) und gerichtliche Scheidung (tafriq) (Eijk 2013). Das Scheidungsrecht steht grundsätzlich dem Ehemann zu und dieser kann ohne Angabe von Gründen die Scheidung verlangen bzw. seine Frau verstoßen (MPG o.D.a).

Die einseitige Verstoßung der Ehefrau durch den Ehemann ist die gängige Version der Scheidung, wobei der Ehemann die Scheidung verbal oder schriftlich aussprechen kann. Die Scheidung kann vor einem Richter oder außerhalb des Gerichtes ausgesprochen und im Nachhinein beim Gericht registriert werden. Diese relativ verbreitete Art der Scheidung führt jedoch zu Fällen, in denen Frauen das Gericht aufsuchen müssen, um zu erfahren, ob sich ihre Ehemänner von ihnen scheiden haben lassen. In einer Wartezeit von etwa drei Monaten kann der Ehemann eine Frau noch zurücknehmen (Eijk 2013). Ist die Ehe zwischen denselben Personen dreimal durch Verstoßung aufgelöst worden, dann entsteht ein Eheverbot zwischen den Geschiedenen. Eine Wiederheirat zwischen diesen Personen ist nur dann möglich, wenn die Ehefrau zuerst einen anderen Mann ehelicht und sich von diesem wieder scheiden lässt (MPG o.D.a)

Die Scheidung in gegenseitigem Einverständnis wird häufig von der Frau initiiert. Sie beinhaltet oftmals eine Vereinbarung, laut der der Ehemann sein Einverständnis für die Scheidung gibt und die Ehefrau im Gegenzug teilweise oder gänzlich auf Unterhalt verzichtet. Der entsprechende Vertrag kann im Gericht oder außerhalb des Gerichtes geschlossen und ex post facto registriert werden. Jedenfalls muss die Ehefrau bei Gericht erscheinen und ihren Verzicht auf Unterhalt bekannt geben (Eijk 2013). Frauen verzichten somit für die Einwilligung ihres Ehemannes in die Scheidung auf ihren Anspruch auf Unterhalt (USDOS 21.6.2019).

Eine Frau kann aus bestimmten, festgelegten Gründen auch eine gerichtliche Scheidung beantragen. So gibt es die Scheidung aufgrund von Krankheit oder Mangel ("defect") des Ehemannes, Abwesenheit oder Verschwinden des Ehemannes, Unterlassen der Unterhaltszahlungen des Ehemannes oder aufgrund von Eheproblemen. Bei dieser Art der Scheidung müssen jedoch bestimmte Beweise vorgelegt werden. Wenn beispielsweise eine Ehefrau aufgrund von Abwesenheit ihres Ehemannes die Scheidung einreichen will, muss sie diesbezüglich zweimal in drei verschiedenen nationalen Zeitungen eine Anzeige stellen (Eijk 2013; vgl. Emory o.D.). Es ist auch möglich ehevertragliche Vereinbarungen vor der Ehe zu treffen, aus deren Verletzung sich für die Frau ein Scheidungsrecht ergibt. Dabei kann der zukünftige Ehemann auch im Vertrag selbst der Frau eine Vollmacht zur Scheidung erteilen (MPG o.D.a).

Das Islamische Recht sieht zwei Konzepte des Sorgerechtes für Kinder vor: Erstens die Vormundschaft (wilaya), welche immer der Vater bzw. dessen Seite der Familie innehat, und zweitens die physische Personensorge bzw. Obsorge (hadana), welche bei der Mutter bzw. bei ihrer Seite der Familie liegt. Für die Personensorge steht eine Vergütung durch den Vormund zu, abhängig von dessen finanziellen Verhältnissen. Mit Vollendung des 15. Lebensjahres erlischt bei Mädchen und bei Buben mit 13 Jahren das Recht auf Personensorge mütterlicherseits (MPG o.D.b, vgl. BFA 8.2017). Im Falle einer Scheidung kann die Mutter die physische Obsorge über die Kinder bis zu dieser Altersgrenze erhalten (USDOS 21.6.2019), wobei die Altersgrenze hierbei von der Konfession abhängt (BFA 8.2017). Die Gesetze bezüglich Vormundschaft (wilaya) sind laut syrischem Personenstandsrecht für alle Religionen/Konfessionen anzuwenden, zur Obsorge (hadana) haben jedoch die jüdischen und christlichen Gemeinden eigene Regelungen (Eijk 2013).

Frauen können das Obsorgerecht auch verlieren. Etwa wenn die Mutter Christin, der Vater aber Muslim ist, könnte der Vater im Falle einer Scheidung argumentieren, dass die Mutter die Kinder nicht richtig erziehen kann (BFA 8.2017). Es gibt auch Fälle, in denen christliche Männer zum Islam konvertiert sind und vor Scharia-Gerichten das volle Sorgerecht, also Obsorge und Vormundschaft, für ihre Kinder eingefordert haben (Eijk 2013). Geht die Mutter eine neue Ehe ein, verliert sie ebenfalls das Recht auf Obsorge (MPG o.D.b).

Selbst wenn die Mutter die Obsorge innehat, besitzt der Vater stets die Vormundschaft über die Kinder und somit Entscheidungsgewalt über ihre Ausbildung oder Reisebewegungen der Kinder. Minderjährige Kinder können nicht ohne schriftliche Genehmigung ihres Vaters ins Ausland reisen, selbst wenn sie sich in Begleitung ihrer Mutter befinden. Auch nach dem Tod des Vaters geht die Vormundschaft nicht auf die Mutter, sondern auf die Familie des Vaters über (BFA 8.2017; vgl. MPG o.D.b). Kinder können so als Druckmittel benutzt werden, um die Frau dazu zu bringen, sich nicht scheiden zu lassen oder auf Unterhaltszahlungen zu verzichten. Im Falle einer Scheidung zeigen die Gerichtsdokumente der Scheidungsverhandlung, wem das Obsorgerecht zugesprochen wurde. Ein gesondertes Dokument über den Zuspruch der Obsorge ist nicht bekannt (BFA 8.2017).

Frauen, deren Ehemänner als vermisst gelten, können sich unter bestimmten Umständen weder scheiden lassen, noch gelten sie als Witwen, solange es keinen Beweis für den Tod des Ehemannes gibt. Wenn der Ehemann vermisst wird, bleibt er dennoch der Vormund der Ehefrau, und sie gilt rechtlich weiterhin als verheiratet. Gleichzeitig hat sie aber den Ernährer der Familie verloren und ist so von ihrer Verwandtschaft abhängig. Dies gilt auch für Frauen, deren Männer inhaftiert sind, und die nicht wissen, ob diese überhaupt noch am Leben sind. Es gibt keinen rechtlichen Schutzmechanismus, der diesem Problem entgegenwirken würde. Dies kann zur Vulnerabilität von Frauen führen und sie dem Risiko einer Ausbeutung aussetzen, welche auch von Verwandten ausgehen kann (BFA 8.2017).

Das Gesetz erlaubt die Weitergabe der Staatsbürgerschaft durch die Mutter nur, wenn das Kind in Syrien geboren wurde und der Vater "unbekannt" ist. In der Praxis wird betroffenen Kindern die Staatsbürgerschaft jedoch nicht immer zuerkannt. Wenn ein Kind im Ausland geboren wurde, kann es die syrische Staatsbürgerschaft nur erlangen, wenn der Vater syrischer Staatsbürger ist. Wenn eine Geburt nicht registriert wird, führt dies für das Kind zu bestimmten Einschränkungen im Zugang zu Leistungen, wie Abschlusszeugnissen, Zugang zu Universitäten, Zugang zu formaler Beschäftigung oder Dokumenten (BFA 8.2017).

In Bezug auf christliche Ehen werden vom Staat Ehen, die in einer Kirche geschlossen werden, als gültige Ehen anerkannt. Nach der Zeremonie sendet die Kirche die Unterlagen an das Zivilregisterbüro. Laut christlichem Familienrecht ist die Ehe ein Sakrament und es ist daher sehr schwierig sich scheiden zu lassen. Die katholische Kirche erkennt Scheidung nicht an, lediglich die Annullierung ist unter bestimmten Bedingungen möglich. Dies führt teilweise zu drastischen Maßnahmen wie einer Konversion zum Islam eines Ehepartners, um eine Scheidung zu erwirken (Eijk 2013; vgl. BFA 8.2017).

Kinderehen gab es in Syrien bereits vor dem Konflikt. Seit Ausbruch des Konflikts steigt die Zahl an Frühehen jedoch an. Oft sind diese eine Strategie um mit den Folgen des Konflikts umzugehen. Mädchen werden verheiratet, um ihre Versorgung sicherzustellen oder um sie vor sexueller Gewalt zu schützen. Oft werden sie auch an Angehörige der bewaffneten Gruppen verheiratet, um ihre Familie vor Gewalt zu schützen. Frühehen erhöhen allerdings die Gefahr für Mädchen innerhalb einer Ehe Opfer von Gewalt oder sexuellen Missbrauchs zu werden (WB 6.2.2019). Besonders bei vertriebenen Familien dürfte die Anzahl der Kinderehen höher sein (SAMS 12.2018). Auch Zeitehen werden immer häufiger (USDOS 13.3.2019).

Sexuelle Gewalt

Mit keiner oder nur schwacher Rechtsdurchsetzung und begrenztem effektiven Schutz in diesem Bereich haben alle Arten von Gewalt gegen Frauen an Verbreitung und Intensität zugenommen, darunter Versklavung, Zwangsheirat mit Vertretern bewaffneter Gruppen, häusliche Gewalt und Vergewaltigung (WB 6.2.2019). Vergewaltigungen sind weit verbreitet, auch die Regierung und deren Verbündete setzten Vergewaltigung gegen Frauen, aber auch gegen Männer und Kinder, welche als der Opposition zugehörig wahrgenommen werden, ein, um diese zu terrorisieren oder zu bestrafen. Das tatsächliche Ausmaß von sexueller Gewalt in Syrien lässt sich nur schwer einschätzen, weil viele Vergehen nicht angezeigt werden (USDOS 13.3.2019). Vergewaltigungen und andere sexuelle Gewalt durch Wächter und Sicherheitskräfte sind Teil der Foltertechniken in Haftanstalten (USDOS 13.3.2019; vgl. SHRC 24.1.2019).

Vergewaltigung außerhalb der Ehe ist zwar laut Gesetz strafbar, die Regierung setzt diese Bestimmungen jedoch nicht effektiv um. Außerdem kann der Täter eine Strafminderung erlangen, wenn er das Opfer heiratet, um so das soziale Stigma einer Vergewaltigung zu vermeiden (USDOS 13.3.2019). Die gesellschaftliche Tabuisierung von sexueller Gewalt führt zu einer Stigmatisierung von Frauen, die in Haft waren, zur Erniedrigung von Opfern, Familien und Gemeinschaften und zu einer hohen Dunkelziffer bezüglich der Fälle von sexueller Gewalt. Eltern oder Ehemänner verstoßen oftmals Frauen, die während der Haft vergewaltigt wurden oder wenn eine Vergewaltigung auch nur vermutet wird (BFA 8.2017; vgl. USDOS 3.3.2017, SHRC 24.1.2019). Es gibt Fälle von Frauen, die nach einer Vergewaltigung Opfer von Ehrenmorden werden (USDOS 13.3.2019; vgl. SHRC 24.1.2019, MRG 5.2018). Berichten zufolge kam es seit dem Ausbruch des Konfliktes zu einem Anstieg an Ehrenmorden infolge weit verbreiteter Fälle von sexueller Gewalt und Gesetzlosigkeit (USDOS 13.3.2019). Bei sogenannten Ehrenverbrechen in der Familie, die in ländlichen Gebieten bei fast allen Glaubensgemeinschaften vorkommen, besteht kein effektiver staatlicher Schutz (AA 13.11.2018).

Alleinstehende Frauen

Die Wahrnehmung von alleinstehenden Frauen durch die Gesellschaft unterscheidet sich von Gebiet zu Gebiet. Damaskus-Stadt ist weniger konservativ als andere Gebiete und es wird von Frauen berichtet, die dort in der Vergangenheit alleine lebten. In konservativen Gegenden bekommen allein lebende Frauen jedoch "einen gewissen Ruf" (SD 30.7.2018).

Der Wegfall des Ernährers im Zuge des Konflikts stellt viele Frauen vor das Problem ihre Familien versorgen zu müssen. So stieg die Anzahl der Haushalte mit weiblichen Vorständen im Zuge des Konflikts (WB 6.2.2019)

Frauen in kurdisch kontrollierten Gebieten

Die Situation von kurdischen Frauen in den kurdischen Gebieten im Nordosten Syriens ist in Bezug auf Unabhängigkeit, Bewegungsfreiheit und die Vormundschaftsgesetze der selbsternannten Autonomieregierung besser. Frauen und Männer sind in der Regierung zu gleichen Teilen repräsentiert.

Per Gesetz werden alle Regierungseinrichtugen von einem Mann und einer Frau gleichzeitig geleitet und die meisten staatlichen Behörden und Gremien müssen zwischen Männern und Frauen gleich besetzt sein, außer Einrichtungen, die nur für Frauen sind (TNYT 24.2.2018).

Frauen sind im politischen Leben der kurdischen Gebiete gut repräsentiert. Außerhalb der PYD geführten Strukturen haben sie allerdings nur eingeschränkte Autonomie (FH 1.2018).

Im November 2014 beschloss die Autonomieregierung ein Dekret, das die "Gleichheit zwischen Männern und Frauen in allen Sphären des öffentlichen und privaten Lebens" vorsieht. Demnach haben Frauen in den Augen des Gesetzes den gleichen Status wie Männer, auch zum Beispiel bezüglich Scheidung und Erbrecht. Polygamie, Ehrenmorde, Zwangsehen, Ehen von Minderjährigen und andere Formen von Gewalt gegen Frauen wurden verboten. Frauenkomitees, Frauenhäuser und Frauenzentren wurden eingerichtet, um Frauen zu schützen und zu vertreten, in den Themen Politik, Wirtschaft, Kultur und Recht weiterzubilden, und ihnen die Möglichkeit zu geben über familiäre und soziale Probleme zu sprechen und Lösungen zu finden. Auch arabische und christliche Frauen nutzen die Zentren (TF 27.8.2017; vgl. TNYT 24.2.2018).

Die Emanzipation der Frauen in Nordsyrien ist ein laufender Prozess. Patriarchale Traditionen sind dort tief eingebettet und mit Religion verbunden. In Gebieten mit arabischer Mehrheitsbevölkerung, die konservativer sind und in denen tribale Strukturen noch stark verwurzelt sind, ist es schwerer für die kurdischen Behörden Gleichberechtigungsmaßnahmen ohne Widerstand durchzusetzen. So wurde beispielsweise in Kobane Polygamie verboten, von der lokalen Bevölkerung in Manbij gab es jedoch Widerstand durch lokale Stammesführer, was zu einer Ausnahme für Manbij von dieser Regelung führte (TNYT 24.2.2018).

Die zivile Verwaltung der kurdisch kontrollierten Provinzen im Norden des Landes, der sogenannten "Demokratischen Föderation Nordsyrien" (kurdisch Rojava) hat die Institution der Zivilehe eingeführt, die unabhängig von der religiösen Zugehörigkeit der Nupturienten vor den zuständigen Behörden geschlossen werden kann. Ob eine in den kurdischen Gebieten geschlossene zivile Ehe vom syrischen Staat anerkannt wird, ist jedoch schwer zu beurteilen. Das syrische Familienrecht erkennt eine solche Ehe insbesondere dann nicht an, wenn sie einen Verstoß gegen das Ehehindernis aufgrund von unterschiedlichen Religionszugehörigkeiten der Ehepartner darstellt (MPG 2018).

[...]"

Hinsichtlich der in Österreich geborenen bP2 stellte das Bundesamt im Wesentlichen fest, dass diese vom türkischen Vater die türkische Staatangehörigkeit ableitet und der zu prüfende Herkunftsstaat die Türkei ist. Die Mutter (bP1) hat für die bP2 keine konkrete Verfolgung in der Türkei dargelegt und folglich einen Antrag auf ein Familienverfahren bzw. Zuerkennung des gleichen Schutzes gestellt. Weder aus dem Vorbringen noch aus der sich aus dem im angefochtenen Bescheid der bP2 dargestellten Lage auf Basis des aktuellen Länderinformationsblattes der Staatendokumentation zum Herkunftsstaat Türkei ergibt sich für die bP2 eine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende asylrelevante Verfolgung oder reale Gefährdung von Leib und/oder Leben der bP2.

3. Beweiswürdigung

Die belangte Behörde würdigte die aufgenommenen Beweise im Verfahren der bP1 wie nachfolgend dargestellt:

"[...]

Die Behörde gelangt zu obigen Feststellungen aufgrund folgender Erwägungen:

Betreffend die Feststellungen zu Ihrer Person:

Ihre Identität steht aufgrund der Vorlage unbedenklicher Personendokumente (türkisches Familienbuch) im Original fest. Die Feststellungen zu Ihrer Herkunftsregion, Familienstand, Staatsangehörigkeit, Glaubens- und Volksgruppenzugehörigkeit beruhen auf Ihren diesbezüglichen vorgelegten Dokumenten und glaubhaften Aussagen. Die Feststellung zur illegalen Einreise wurde mangels Vorlage eines Reisepasses, mit gültigem Visum für Österreich, getroffen.

Die weiteren Angaben zu Ihrer Nationalität, Ihrem Familienstand sowie Glaubens,- und Volksgruppenzugehörigkeit sowie Ihren Familienangehörigen und deren Wohnorte ergaben sich aus Ihren übereinstimmenden Angaben im Zuge Ihrer Erstbefragung bei der LPD Wien sowie Ihrer Einvernahme beim BFA.

Betreffend die Feststellungen zu den Gründen für das Verlassen Ihres Herkunftsstaats:

Die Feststellungen zu den Gründen für das Verlassen des [Herkunftsstaates] ergaben sich anhand Ihrer Angaben in der Erstbefragung und während der Einvernahme beim BFA.

So gaben Sie im Rahmen der Erstbefragung glaubhaft an, dass Sie Syrien aufgrund des Einmarschs des IS in Kobane verlassen hätten.

Vor dem BFA gaben Sie ebenfalls glaubhaft an, mangels Sicherheit Ihre Heimat verlassen zu haben.

Unzweifelhaft ist im Asylverfahren die niederschriftliche Aussage eines Asylwerbers die zentrale Erkenntnisquelle. Deshalb obliegt es dem Asylwerber alles Zweckdienliche für die Erlangung der von ihm angestrebten Rechtsstellung darzulegen und müssen Ihre Angaben von der Behörde auf Ihre Glaubwürdigkeit überprüft werden.

Auch wenn für eine Glaubhaftmachung im Gegensatz zu einer Beweisführung der Nachweis der Wahrscheinlichkeit ausreicht, müssen aber die für die Annahme eines Sachverhaltes sprechenden Gründe die gegenteiligen Gründe jedenfalls überwiegen, wobei der Aussage des Asylwerbers selbst wesentliche Bedeutung zukommt (AsylGH 15.6.2009, D11 260.145-0/2008/8E).

Das Asylrecht hat nicht die Aufgabe, vor den allgemeinen Unglücksfolgen zu bewahren, die aus Krieg, Bürgerkrieg oder sonstigen Unruhen hervorgehen, sondern ist Voraussetzung für eine Asylgewährung die Furcht vor einer gegen den Asylwerber selbst konkret gerichteten Verfolgungshandlung (vgl. Erk. des VwGH v. 20.5.1994, Zl. 94/01/0128).

Festgehalten wird, dass Sie laut eigenen Angaben nie persönlich bedroht wurden und keine Probleme mit Gerichten, Sicherheitsbehörden oder dem Militär hatten und wären persönlich auch nie von jemand konkret verfolgt gewesen.

Ebenfalls wären Sie nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten und oder wären Sie strafrechtlich verurteilt worden.

Insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass die in der GFK genannten Fluchtgründe von Ihnen verneint wurden.

So gaben Sie an, dass weder Sie noch Ihre Familie sich politisch oder religiös beteiligt hätten und Sie auch aufgrund dessen keiner Verfolgung ausgesetzt waren.

Bezüglich Ihrer Volksgruppe führten Sie aus, dass die kurdische Bevölkerung insoweit diskriminiert wurde, dass es Ihnen nicht erlaubt war kurdisch zu sprechen oder kurdischen lesen und schreiben zu lernen und Sie aufgrund dessen verfolgt gewesen wären.

Darauf hingewiesen, dass es sich bei Ihren Behauptungen lediglich um Diskriminierungen handeln würde, gaben Sie zu Protokoll, dass Sie als Kurde nicht verfolgt gewesen wären.

Angemerkt sei noch, dass aus dem Länderinformationsblatt hervorgeht, dass es keine generelle Verfolgung der kurdischen Bevölkerung gibt.

Darüber hinaus konnte keine Verfolgung aufgrund einer sozialen Gruppe festgestellt werden.

Im Falle einer theoretischen Rückkehr hätten Sie in Kobane einen Onkel und könnten ebenfalls den Kontakt zu Ihrer Tante und Ihren Geschwistern im irakisch-syrischen kurdischen Grenzgebiet suchen.

Sie gelten daher nicht als alleinstehende Frau.

Darüber hinaus ergibt sich aus dem LIB, dass Frauen in kurdischen Gebieten den Männern gleichgestellt sind, es konnten keine Diskriminierungen, schlechter Stellungen geschweige denn Verfolgungen von alleinstehenden Frauen festgestellt werden.

Es darf auszugsweise auf das LIB verwiesen werden:

Frauen in kurdisch kontrollierten Gebieten

Die Situation von kurdischen Frauen in den kurdischen Gebieten im Nordosten Syriens ist in Bezug auf Unabhängigkeit, Bewegungsfreiheit und die Vormundschaftsgesetze der selbsternannten Autonomieregierung besser. Frauen und Männer sind in der Regierung zu gleichen Teilen repräsentiert (BFA 8.2017). Per Gesetz werden alle Regierungseinrichtugen von einem Mann und einer Frau gleichzeitig geleitet und die meisten staatlichen Behörden und Gremien müssen zwischen Männern und Frauen gleich besetzt sein, außer Einrichtungen, die nur für Frauen sind (TNYT 24.2.2018).

Frauen sind im politischen Leben der kurdischen Gebiete gut repräsentiert. Im November 2014 beschloss die Autonomieregierung ein Dekret, das die "Gleichheit zwischen Männern und Frauen in allen Sphären des öffentlichen und privaten Lebens" vorsieht. Demnach haben Frauen in den Augen des Gesetzes den gleichen Status wie Männer, auch zum Beispiel bezüglich Scheidung und Erbrecht. Polygamie, Ehrenmorde, Zwangsehen, Ehen von Minderjährigen und andere Formen von Gewalt gegen Frauen wurden verboten. Frauenkomitees, Frauenhäuser und Frauenzentren wurden eingerichtet, um Frauen zu schützen und zu vertreten, in den Themen Politik, Wirtschaft, Kultur und Recht weiterzubilden, und ihnen die Möglichkeit zu geben über familiäre und soziale Probleme zu sprechen und Lösungen zu finden. Auch arabische und christliche Frauen nutzen die Zentren (TF 27.8.2017; vgl. TNYT 24.2.2018).

Es ist nicht ersichtlich, dass Ihnen in Syrien -wie bereits in obiger Würdigung festgestellt - künftig aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung Verfolgung droht.

Soweit Sie eine (allgemeine) Diskriminierung wegen Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit als Problem im Heimatland behaupten, so handelt es sich dabei um Beeinträchtigungen, die nicht zu einer Asylgewährung führen können. Solche Benachteiligungen auf sozialem bzw. gesellschaftlichen Gebiet sind nämlich für die Bejahung der Flüchtlingseigenschaft nur dann ausreichend, wenn sie eine solche Intensität erreichen, die einen weiteren Verbleib des Asylwerbers in seinem Heimatland unerträglich macht, wobei bei der Beurteilung dieser Frage ein objektiver Maßstab anzulegen ist.

Hinsichtlich Ihrer Fluchtgründe führten Sie in erster Linie eine Verfolgung durch den IS beziehungsweise die mangelnde Sicherheit in Ihrer Heimat an.

Darüber hinaus führten Sie aus, dass jene Leute welche in Kobane geblieben sind umgebracht worden wären, beziehungsweise Frauen und Mädchen vergewaltigt wurden.

Weitere Gründe hätten Sie keine gehabt.

In diesem Zusammenhang wird ausgeführt, dass der IS besiegt wurde und eine Verfolgung durch diesen ausgeschlossen werden kann.

Hinsichtlich einer Zwangsrekrutierung wird festgehalten, dass es sich um eine bloße Behauptung handelt, welche Sie nicht belegen konnten. Anhand des LIB konnte nicht festgestellt werden, dass Frauen grundsätzlich einer Zwangsrekrutierung ausgesetzt wären.

Sie waren sohin im Herkunftsstaat Syrien keiner konkreten individuellen Verfolgung ausgesetzt bzw. konnten Sie keine asylrelevanten Gründe für das Verlassen Ihres Heimatstaates glaubhaft darlegen.

Die entferne Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedoch nicht, um eine Verfolgungsgefahr anzunehmen (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0132; 23.09.1998, 98/01/0224; 26.11.1998, 98/20/0309, u.v.a.).

Es wird weiters auf folgende Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen:

Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf die vergangenen Ereignisse (vgl VwGH 18.4.1996, 95/20/0239; VwGH 16.2.2000, 99/01/097), sondern erfordert eine Prognose.

Angemerkt sei noch, dass Ihrem Bruder aufgrund der sozialen Gruppe der minderjährigen der Status des Asylberechtigten zugesprochen wurden.

Ihre weiteren Familienangehörigen stellten einen Einreiseantrag und wurden diesen anschließend im Rahmen des Familienverfahrens der Status des Asylberechtigten zu gesprochen.

Mangels fehlender tatsächlicher Verfolgung Ihrer Verwandten kommt in Ihrem Falle eine Sippenhaftung nicht in Frage. Zumal tatsächliche Sippenhaftungen in Syrien nicht bekannt sind.

Zusammenfassend gelangt die erkennende Behörde daher im Rahmen der von Ihnen vorzunehmenden Beweiswürdigung zu einem den Denkgesetzen und den Erfahrungen des Lebens entsprechenden Ergebnis, indem sie aufgrund der getroffenen Feststellungen, insbesondere aber aufgrund des Vorbringens zu den Fluchtgründen unter Hinzuziehung der Recherchen der Staatendokumentation zu dem Schluss kommt, dass Sie mit diesem keine asylrelevante Verfolgung glaubhaft machen konnten.

Betreffend die Feststellungen zu Ihrer Situation im Fall Ihrer Rückkehr:

Ihre Rückkehrgefährdung ergibt sich aus der in den Feststellungen genannten momentanen Lage in Syrien.

[...]"

Die belangte Behörde legte im Rahmen der Beweiswürdigung somit zusammengefasst und zutreffend dar, dass es zwar zum Zeitpunkt der Ausreise im Jahr 2014 eine potentielle allgemeine Gefährdung durch den IS gab - ohne, dass die bP1 jedoch konkret selbst Verfolgungshandlungen ausgesetzt war - es jedoch aus aktueller Sicht in der Herkunftsregion der bP eine derartige Bedrohungslage durch den IS nicht mehr gibt und die Region unter Vorherrschaft der Kurden steht. In der Herkunftsregion oder auch in Großstädten wie Damaskus sei auch die Rolle für (alleinstehende) Frauen besser und ergebe sich aus der Berichtslage keine über die bloße Möglichkeit hinausgehende asylrelevante Verfolgungsgefahr. Auch für die behauptete Möglichkeit einer Zwangsrekrutierung ließen sich in den Berichten keine Nachweise dafür finden.

Die vom BFA vorgenommene Beweiswürdigung ist im Wesentlichen im Sinne der allgemeinen Denklogik und der Denkgesetze in sich schlüssig und stimmig und schließt sich daher das BVwG dieser an.

Die freie Beweiswürdigung ist ein Denkprozess der den Regeln der Logik zu folgen hat und im Ergebnis zu einer Wahrscheinlichkeitsbeurteilung eines bestimmten historisch-empirischen Sachverhalts, also von Tatsachen, führt. Der Verwaltungsgerichtshof führt dazu präzisierend aus, dass eine Tatsache in freier Beweiswürdigung nur dann als erwiesen angenommen werden darf, wenn die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens ausreichende und sichere Anhaltspunkte für eine derartige Schlussfolgerung liefern (VwGH 28.09.1978, Zahl 1013, 1015/76). Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Auflage, § 45 AVG, E 50, Seite 305, führen beispielsweise in Zitierung des Urteils des Obersten Gerichtshofs vom 29.02.1987, Zahl 13 O

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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