TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/17 W275 2181422-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.02.2020
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Entscheidungsdatum

17.02.2020

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W275 2181422-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Stella VAN AKEN als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die Rechtsanwälte Mag. EMBACHER und Dr. NEUGSCHWENDTNER, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.11.2017, Zahl 15-1093812009/151716996, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12.11.2019 zu Recht:

A)

Der Beschwerde von XXXX wird stattgegeben und es wird XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der (damals minderjährige) Beschwerdeführer stellte am 06.11.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Am 07.11.2015 wurde der Beschwerdeführer vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt und gab dabei zusammengefasst an, dass sein Vater Sunnit und seine Mutter Schiitin gewesen sei und es aus diesem Grund Spannungen zwischen den Familien gegeben habe.

Am 13.10.2017 fand die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl statt. In dieser erklärte der Beschwerdeführer neuerlich im Wesentlichen, dass sein Vater Sunnit und seine Mutter Schiitin gewesen sei. Die beiden hätten heiraten wollen, ihre Familien wären jedoch gegen eine Heirat gewesen, weshalb seine Eltern in den Iran geflohen seien, wo sein Vater zum schiitischen Islam konvertiert sei. Zwischen den beiden Familien habe es in weiterer Folge Schwierigkeiten gegeben.

Mit oben genanntem Bescheid vom 30.11.2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte ihm den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 30.11.2018 (zuletzt verlängert bis 30.11.2020).

Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.

Am 12.11.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, in welcher der Beschwerdeführer zu seinen Lebensumständen sowie zu seinen Fluchtgründen befragt wurde. Anwesend waren weiters der Rechtsvertreter und der Pflegevater des Beschwerdeführers.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und seinen Fluchtgründen:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er ist afghanischer Staatsangehöriger und der Volksgruppe der Hazara zugehörig.

Der Beschwerdeführer ist im Iran geboren und lebte dort bis zu seiner Ausreise; er war noch nie in Afghanistan. Der Beschwerdeführer hat im Iran etwa vier Jahre eine inoffizielle afghanische Schule besucht. Er spricht Farsi, Dari, etwas Englisch und sehr gut Deutsch.

Der Beschwerdeführer stellte am 06.11.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.11.2017 wurde ihm in Österreich subsidiärer Schutz in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 30.11.2018 (zuletzt verlängert bis 30.11.2020) erteilt.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

Der Beschwerdeführer ist im Iran als schiitischer Moslem in einem nicht streng religiösen Elternhaus aufgewachsen. In Österreich hat sich der Beschwerdeführer sowohl mit dem Islam als auch mit dem Christentum befasst und besucht in einer Höheren Technischen Lehranstalt das Unterrichtsfach Ethik. Der Beschwerdeführer hat sich während seines Aufenthaltes in Österreich nunmehr aus tiefer innerer Überzeugung vom islamischen Glauben abgewendet und eine atheistische Weltanschauung verinnerlicht, die zu einem wesentlichen Bestandteil seiner Identität geworden ist und die er nach außen trägt. Der Beschwerdeführer ist insbesondere dem Islam und den in Afghanistan herrschenden, religiös geprägten gesellschaftlichen und politischen Strukturen gegenüber kritisch eingestellt und vertritt seine Meinung nach außen. Er pflegt einen Lebensstil, in dem die Ausübung seiner Grundrechte, insbesondere der Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit sowie Freiheit der Meinungsäußerung zum Ausdruck kommen. Im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan könnte und würde der Beschwerdeführer seinen Abfall vom islamischen Glauben nicht verleugnen. Dem Beschwerdeführer droht in Afghanistan aufgrund seines Abfalles vom islamischen Glauben mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit im gesamten Staatsgebiet physische und/oder psychische Gewalt durch staatliche Organe bzw. staatlichen Organen zurechenbare Akteure.

Dem Beschwerdeführer droht in Afghanistan nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit physische und/oder psychische Gewalt durch Familienangehörige seines Vaters oder seiner Mutter, weil sein Vater und seine Mutter gegen den Willen ihrer Familienangehörigen geheiratet haben und sein Vater vom sunnitischen zum schiitischen Islam konvertiert ist.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime; Sunniten werden auf 80 bis 89,7%, Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt. Andere Glaubensgemeinschaften machen weniger als 1% der Bevölkerung aus. Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten. Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch existieren Berichte zu lokalen Diskriminierungsfällen.

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans und steht es Anhängern anderer Religionen frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben. Glaubensfreiheit, die auch eine freie Religionswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan jedoch de facto nur eingeschränkt:

Apostasie (Abfall vom Islam; in der Scharia wird Apostasie als "Weggehen" vom Islam verstanden, ein Apostat ist ein Muslim, der den Islam verleugnet - Apostasie muss demnach nicht unbedingt bedeuten, dass sich ein Apostat einer neuen Glaubensrichtung anschließt) und Blasphemie werden weder in der Verfassung noch in anderen Gesetzen behandelt; im afghanischen Strafgesetzbuch existiert keine Definition von Apostasie. Das Strafgesetzbuch ermöglicht jedoch den Gerichten, Fälle, die weder im Strafgesetz noch in der Verfassung explizit erfasst sind, darunter Blasphemie, Apostasie und Konversion, gemäß dem Scharia-Recht der Hanafi-Rechtsschule und den sogenannten "hudud"-Gesetzen, die Vergehen gegen Gott umfassen, zu entscheiden. Damit wird Apostasie als Straftat behandelt, obwohl nach der afghanischen Verfassung keine Handlung als Straftat eingestuft werden darf, sofern sie nicht als solche gesetzlich definiert ist. Die Scharia zählt Apostasie zu den sogenannten "hudud"-Vergehen und sieht für Apostasie wie auch für Blasphemie die Todesstrafe vor. Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen.

Selbst aus Sicht vieler Personen, die sich allgemein zu demokratischen Werten bekennen, stellt es ein Tabu dar, den Islam zu kritisieren. Atheisten und Freidenkende sind gezwungen, ihre Überzeugungen zu verbergen und können ihre Gedanken lediglich anonym über soziale Medien ausdrücken. Personen, denen Blasphemie oder Beleidigung der Religion vorgeworfen wird, können zum Ziel gewaltsamer Übergriffe werden. Für Personen, denen Verstöße gegen die Scharia wie Apostasie und Blasphemie vorgeworfen werden, besteht nicht nur die Gefahr der strafrechtlichen Verfolgung, sondern auch der gesellschaftlichen Ächtung und Gewalt durch Familienangehörige, andere Mitglieder ihrer Gemeinschaft, die Taliban und andere regierungsfeindliche Kräfte. Gefahr bis hin zur Ermordung droht oft aus dem familiären oder nachbarschaftlichen Umfeld. Die afghanische Gesellschaft hat generell eine sehr geringe Toleranz gegenüber Menschen, die als den Islam beleidigend oder zurückweisend wahrgenommen werden. Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers und seinen Fluchtgründen:

Die Feststellungen zum Namen und Geburtsdatum des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen Angaben im Verfahren, insbesondere in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (Seite 6 der Niederschrift der Verhandlung). Diese Feststellungen gelten ausschließlich für die Identifizierung des Beschwerdeführers im Asylverfahren, da seine Identität - mangels Vorlage unbedenklicher Identitätsdokumente - nicht abschließend geklärt werden konnte.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und der Volksgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers gründen sich auf seine diesbezüglich glaubhaften Angaben (Seite 6 der Niederschrift der Verhandlung); das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen - im gesamten Verfahren gleich gebliebenen - Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.

Die Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Geburtsort, seinen Aufenthaltsorten, seiner Schulbildung und seinen Sprachkenntnissen waren im Wesentlichen gleichlautend und widerspruchsfrei, weitgehend chronologisch stringent und vor dem Hintergrund der bestehenden sozioökonomischen Strukturen in Afghanistan plausibel (vgl. die Seiten 2, 6 und 9f der Niederschrift der Verhandlung; AS 315f). Zu den Deutschkenntnissen des Beschwerdeführers ist überdies festzuhalten, dass nahezu die gesamte mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht auf Deutsch geführt wurde.

Das Datum der Antragstellung und die Gewährung von subsidiärem Schutz ergeben sich aus dem Akteninhalt.

Die Feststellung zur strafrechtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus einer Einsichtnahme in das Strafregister.

Dass der Beschwerdeführer im Iran als schiitischer Moslem in einem nicht streng religiösen Elternhaus aufgewachsen ist, hat der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar dargelegt (vgl. die Seiten 7f der Niederschrift der Verhandlung). Der Beschwerdeführer hat dabei auch schlüssig geschildert, dass er im Iran als Kind keine besondere religiöse Überzeugung vertreten hat, sondern vor allem seinem Vater und anderen Kindern Sachen nachgemacht hat (vgl. die Seiten 7 und 13 der Niederschrift der Verhandlung). Dass er sich in weiterer Folge in Österreich sowohl mit dem Islam als auch mit dem Christentum - im Sinne einer inneren Auseinandersetzung mit Glaubens- und Gewissensfragen, die über ein kindliches Vorstellungsvermögen von Religion hinausgeht und der kritisches und selbständiges Denken inhärent ist - beschäftigt hat und er in einer Höheren Technischen Lehranstalt das Unterrichtsfach Ethik besucht, ergibt sich ebenfalls aus den stimmigen und plausiblen Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung (vgl. die Seiten 7 und 14 der Niederschrift der Verhandlung).

Dass der Beschwerdeführer sich während seines Aufenthaltes in Österreich nunmehr aus tiefer innerer Überzeugung vom islamischen Glauben abgewendet und eine atheistische Weltanschauung verinnerlicht hat, die er nach außen trägt, er insbesondere dem Islam sowie den in Afghanistan herrschenden, religiös geprägten gesellschaftlichen und politischen Strukturen gegenüber kritisch eingestellt ist und seine Meinung nach außen vertritt sowie einen Lebensstil pflegt, in dem die Ausübung seiner Grundrechte, insbesondere der Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit sowie Freiheit der Meinungsäußerung zum Ausdruck kommen, ergibt sich aus den Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und dem dabei gewonnenen persönlichen Eindruck der erkennenden Richterin.

Der Beschwerdeführer hat in der mündlichen Verhandlung überzeugend einen nachvollziehbaren Entwicklungsprozess geschildert, den er als Jugendlicher in Österreich erlebt hat. So waren etwa die Beschreibungen des Beschwerdeführers zum Besuch des Unterrichtsfaches Ethik, seiner Auseinandersetzung mit der ihn umgebenden Gesellschaft und den ihm zugänglichen Medien (Seiten 6f der Niederschrift der Verhandlung) und seinem Aufwachsen in einer österreichischen Pflegefamilie, die versucht, dem Beschwerdeführer eine freie und kritische Meinungsbildung zu ermöglichen und ihn an politischen Diskussionen sowie kirchlichen Festen wie Weihnachten teilhaben lässt (vgl. die Seiten 14, 16 und 18 der Niederschrift der Verhandlung), authentisch und lebensnah. Plausibel war dabei auch die Erklärung des Beschwerdeführers, dass er keinen genauen Zeitpunkt nennen könne, seit welchem er sich als Atheisten einschätze, sondern er den oben beschriebenen Prozess durchlebt und schließlich den Islam nicht als seine Sache empfunden habe (Seite 6 der Niederschrift der Verhandlung).

Dabei wird nicht verkannt, dass der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nicht angegeben hat, Atheist zu sein (vgl. AS 85ff; Seite 7 der Niederschrift der Verhandlung); angesichts der Tatsache, dass die Einvernahme des damals gerade erst sechzehnjährigen Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 13.10.2017 stattgefunden hat und der Beschwerdeführer - wie oben dargelegt - nicht ab einem genau benennbaren Zeitpunkt überzeugter Atheist war, sondern dies das Ergebnis eines über längere Zeit andauernden Vorganges war, ist dies nach Ansicht der erkennenden Richterin nachvollziehbar und fügt sich konsistent in das vom Beschwerdeführer in der (etwas mehr als zwei Jahre nach seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl abgehaltenen) mündlichen Verhandlung beschriebene Gesamtbild.

Der Beschwerdeführer hat weiters einleuchtend erörtert, dass er seine kritische Meinung und atheistische Überlegungen in Österreich selbstverständlich mit anderen teilt (durch Diskussionen insbesondere mit seiner Freundin und seinen Pflegeeltern, Seite 7 der Niederschrift der Verhandlung) und seine Abwendung vom islamischen Glauben auch durch seine Lebensweise zum Ausdruck bringt (beispielsweise durch Kirchenbesuche, Ausgehen mit Freundinnen und Freunden, Konsum von Alkohol, Besuch einer Tanzschule und des Ethikunterrichtes, vgl. etwa die Seiten 12 und 14f der Niederschrift der Verhandlung) sowie auf die Ausübung seiner Grundrechte nicht mehr verzichten wollen würde, er dazu in Afghanistan jedoch gezwungen wäre (vgl. Seite 18 der Niederschrift der Verhandlung).

Angesichts der Ernsthaftigkeit der Abwendung des Beschwerdeführers vom Islam und Verinnerlichung seiner atheistischen Weltanschauung in Verbindung mit der vom Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang angenommenen und zu einem Bestandteil seiner Identität gewordenen Lebensweise ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan seinen Abfall vom islamischen Glauben nicht verleugnen könnte und würde.

Die Feststellung, dass dem Beschwerdeführer in Afghanistan aufgrund seines Abfalles vom islamischen Glauben mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit im gesamten Staatsgebiet physische und/oder psychische Gewalt durch staatliche Organe bzw. staatlichen Organen zurechenbare Akteure droht, ergibt sich aus den oben dargelegten persönlichen Lebensumständen des Beschwerdeführers, insbesondere seinem Abfall vom Islam und seiner atheistischen Weltanschauung sowie kritischen Meinungsäußerung, in Verbindung mit den dem gegenständlichen Erkenntnis zugrundeliegenden Feststellungen zur Lage in Afghanistan.

Den dem gegenständlichen Erkenntnis zugrundeliegenden Feststellungen zur Lage in Afghanistan ist auch zu entnehmen, dass Apostaten in Afghanistan mit sozialer Ausgrenzung und Gewalt durch Familienangehörige, Mitglieder ihrer Gemeinschaft und durch die Taliban sowie mit strafrechtlicher Verfolgung bis hin zur Todesstrafe zu rechnen haben, wenn ihr Abfall vom Islam bekannt wird, und dass Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, vulnerabel für Misshandlung sind. Den Feststellungen ist weiters zu entnehmen, dass im gesamten Staatsgebiet Afghanistans von einer Situation auszugehen ist, in welcher Apostaten derartigen Eingriffen ausgesetzt sind. Es ist daher im vorliegenden Fall mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass dem Beschwerdeführer, der sich aus innerer Überzeugung, von Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit getragen, vom Islam abgewendet hat und der wegen dieser identitätsprägenden Abkehr vom Islam nicht in der Lage sein wird, dies dauerhaft zu verbergen, im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit im gesamten Staatsgebiet physische und/oder psychische Gewalt durch staatliche Organe bzw. staatlichen Organen zurechenbare Akteure droht.

Die Feststellung, dass dem Beschwerdeführer in Afghanistan nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit physische und/oder psychische Gewalt durch Familienangehörige seines Vaters oder seiner Mutter droht, weil sein Vater und seine Mutter gegen den Willen ihrer Familienangehörigen geheiratet haben und sein Vater vom sunnitischen zum schiitischen Islam konvertiert ist, resultiert aus folgenden Überlegungen:

Bei dem diesbezüglichen Vorbringen des Beschwerdeführers handelt es sich zunächst großteils um Spekulationen und legte der Beschwerdeführer eine konkrete Bedrohung seiner eigenen Person im gesamten Verfahren nicht dar. Der im Iran aufgewachsene Beschwerdeführer hat seine Großeltern seinem Vorbringen nach noch nie gesehen bzw. haben die Großeltern des Beschwerdeführers diesen nie kennengelernt und hatte er lediglich erklärt, zu glauben, dass seine Eltern und Großeltern in Ghazni gelebt hätten (Seiten 11 der Niederschrift der Verhandlung). Der Beschwerdeführer hat weiters angegeben, dass er weder wisse, ob seine Großeltern überhaupt noch leben würden, noch, ob seine Eltern jemals wieder Kontakt mit den Großeltern gehabt hätten (Seite 12 der Niederschrift der Verhandlung) und hatte erörtert, dass sein Vater ihm von den beschriebenen Schwierigkeiten nur deshalb erzählt habe, weil der Beschwerdeführer ihn ab und zu gefragt hätte, weshalb er keine Großeltern habe (Seite 12 der Niederschrift der Verhandlung); insofern ist auch nicht ersichtlich, dass die Großeltern des Beschwerdeführers überhaupt von der Existenz des Beschwerdeführers wissen sollten. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers mangelt es angesichts der Tatsache, dass sich nach seinen eigenen Aussagen die ihm von seinem Vater geschilderten Ereignisse vor rund zwanzig Jahren zugetragen haben (Seite 12 der Niederschrift der Verhandlung), überdies an Aktualität. Der Beschwerdeführer führte schließlich in diesem Zusammenhang auch keinerlei Rückkehrbefürchtungen an, sondern berief sich diesbezüglich auf seinen Abfall vom Islam und seinen in Österreich verinnerlichten Lebensstil (Seite 12 der Niederschrift der Verhandlung).

In einer Gesamtschau ist aufgrund obiger Erwägungen nicht glaubhaft, dass dem Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan eine Verfolgung durch Familienangehörige seines Vaters oder seiner Mutter aktuell, konkret und individuell drohen würde.

2.2. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat ergeben sich aus im Einklang miteinander stehenden Informationen aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019 (Kapitel 16. - Religionsfreiheit; Kapitel 16.1. - Schiiten; Kapitel 16.5. - Apostasie, Blasphemie, Konversion), aus der ACCORD-Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Situation von 1) vom Islam abgefallenen Personen (Apostaten), 2) christlichen KonvertitInnen, 3) Personen, die Kritik am Islam äußern, 4) Personen, die sich nicht an die Regeln des Islam halten und 5) Rückkehrern aus Europa (jeweilige rechtliche Lage, staatliche und gesellschaftliche Behandlung, Diskriminierung, staatlicher bzw. rechtlicher Schutz bzw. Schutz durch internationale Organisationen, regionale Unterschiede, Möglichkeiten zur Ausübung des christlichen Glaubens, Veränderungen hinsichtlich der Lage der christlichen Gemeinschaft) [a-10159] und aus den Richtlinien von UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender (denen nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besondere Beachtung zu schenken ist ["Indizwirkung", VwGH 07.06.2019, Ra 2019/14/0114]) vom 30.08.2018 (Kapitel III.A.5. - Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, die angeblich gegen die Scharia verstoßen). Diese Länderberichte beruhen auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen und bieten dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche dar, weshalb im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass besteht, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht (wesentlich) geändert haben.

Dem Beschwerdeführer wurde in der mündlichen Verhandlung Gelegenheit zur Abgabe einer Stellungnahme zu den Länderberichten eingeräumt, worauf vom Rechtsvertreter des Beschwerdeführers verzichtet wurde. Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers hat im Vorfeld der Verhandlung mit Schreiben vom 11.11.2019 unter Zitierung von Auszügen aus der oben genannten ACCORD-Anfragebeantwortung zur Situation von Apostaten in Afghanistan Stellung bezogen, wobei er den dem gegenständlichen Erkenntnis zugrundeliegenden Feststellungen zur Lage in Afghanistan nicht entgegengetreten ist. Mit Parteiengehör vom 02.12.2019 wurde dem Beschwerdeführer das überarbeitete, gesamtaktualisierte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 13.11.2019 übermittelt und Gelegenheit zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme gegeben und explizit darauf hingewiesen, dass bereits erbrachte Stellungnahmen im Verfahren weiterhin Berücksichtigung finden. Diese Gelegenheit nahm der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers mit Schreiben vom 13.12.2019 wahr; er ist dabei den sich aus dem Länderinformationsblatt - in Übereinstimmung mit oben genannter ACCORD-Anfragebeantwortung sowie den UNHCR-Richtlinien - als entscheidungsrelevant ergebenden Aussagen, die dem gegenständlichen Erkenntnis als Feststellungen zugrunde liegen, in ihrem Inhalt nicht entgegengetreten.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Die Beschwerde ist zulässig und rechtzeitig.

3.2. Zu A) Zuerkennung des Status des Asylberechtigten:

3.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung außerhalb seines Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffes ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 mwN). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Herkunftsstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. etwa VwGH 06.09.2018, Ra 2017/18/0055; vgl. auch VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0100, mwN).

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Herkunftsstaates bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Herkunftsstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (vgl. etwa VwGH 25.09.2018, Ra 2017/01/0203; 26.06.2018, Ra 2018/20/0307, mwN).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat asylrelevanten Charakter, wenn der Herkunftsstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. etwa VwGH 12.06.2018, Ra 2018/20/0177; 19.10.2017, Ra 2017/20/0069). Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl. VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0119).

Die Verfolgung kann gemäß § 3 Abs. 2 AsylG 2005 auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind. Ein in der Praxis häufiges Beispiel für sogenannte subjektive Nachfluchtgründe ist die im Zufluchtsstaat erfolgende Konversion zum Christentum insbesondere bei Asylwerbern aus islamischen Staaten. Auch wenn in einem solchen Fall der Nachweis einer (religiösen) Überzeugung, die bereits im Herkunftsstaat bestanden hat, nicht erbracht werden kann, drohen dem Antragsteller bei seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat gegebenenfalls Sanktionen, die von ihrer Intensität und ihrem Grund her an sich asylrelevant sind. Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt in diesen Fällen nicht darauf ab, ob die entsprechende Überzeugung bereits im Herkunftsstaat bestanden hat. Vielmehr ist maßgeblich, ob der Asylwerber bei weiterer Ausführung seines behaupteten inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsse, aus diesem Grund mit einer die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktion belegt zu werden (vgl. dazu VwGH 23.06.2015, Ra 2014/01/0210, mwN). Bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion kommt es auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist (vgl. dazu VwGH 23.05.2017, Ra 2017/18/0028, mwN).

Bei der individuellen Prüfung eines Antrages können die Behörden dem Antragsteller nicht zumuten, auf eine religiöse Betätigung zu verzichten (EuGH 05.09.2012, Bundesrepublik Deutschland gegen Y und Z, C-71/11 und C-99/11).

Der Konventionsgrund der Religion umfasst auch die Verfolgung wegen atheistischen Glaubensüberzeugungen (Art. 10 Abs. 1 lit. b Statusrichtlinie; VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0395).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der Begriff der "Glaubhaftmachung" im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften im Sinne der ZPO zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der Beschwerdeführer die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, das heißt er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG, § 45, Rz 3, mit Judikaturhinweisen). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Beurteilung des rechtlichen Begriffs der Glaubhaftmachung auf der Grundlage positiv getroffener Feststellungen von Seiten des erkennenden Verwaltungsgerichtes vorzunehmen, aber im Fall der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers können derartige positive Feststellungen vom Verwaltungsgericht nicht getroffen werden (VwGH 28.06.2016, Ra 2018/19/0262; vgl. auch VwGH 18.11.2015, Ra 2015/18/0237-0240, mwN). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (VwGH 27.05.1998, 97/13/0051).

Gemäß § 3 Abs. 3 Z 1 und § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Asylwerber in einem Teil seines Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet und ihm der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann ("innerstaatliche Fluchtalternative"). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann (vgl. zur Rechtslage vor dem AsylG 2005 z.B. VwGH 15.03.2001, 99/20/0036; 15.03.2001, 99/20/0134, wonach Asylsuchende nicht des Schutzes durch Asyl bedürfen, wenn sie in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen). Damit ist - wie der Verwaltungsgerichtshof zur Genfer Flüchtlingskonvention judiziert - nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (vgl. etwa VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "internen Flucht- oder Schutzalternative" innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal wirtschaftliche Benachteiligungen auch dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (vgl. VwGH 08.11.2007, 2006/19/0341, mwN).

3.2.2. Der Beschwerdeführer hat, wie beweiswürdigend dargelegt, glaubhaft gemacht, dass ihm in Afghanistan aufgrund seines Abfalles vom Islam und atheistischer Weltanschauung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit im gesamten Staatsgebiet Verfolgung durch staatliche Organe bzw. staatlichen Organen zurechenbare Akteure droht. Er hat daher aus nachstehenden Gründen eine maßgebliche Verfolgungswahrscheinlichkeit aus einem der in Art 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe aufgezeigt:

Die (festgestellte bzw. beweiswürdigend dargelegte) Behandlung von Apostaten - insbesondere Misshandlung, gewaltsame Übergriffe und Todesstrafe - stellt jedenfalls einen ungerechtfertigten Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre der Betroffenen (im Sinne der oben zitierten Definition von "Verfolgung" durch den Verwaltungsgerichtshof) dar.

Den dem gegenständlichen Erkenntnis zugrundeliegenden Länderfeststellungen ist zu entnehmen, dass die Verfolgung von Apostaten sich aus dem in der Praxis angewandten islamischen Recht ergibt und dass Apostaten - im Falle von Gewalt seitens privater Dritter - von staatlicher Seite nicht geschützt werden. Die Apostaten drohende Verfolgung geht daher von staatlichen Organen aus bzw. ist staatlichen Organen zurechenbar.

Es ist angesichts dessen zu prognostizieren, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan mit hoher Wahrscheinlichkeit Eingriffen von erheblicher Intensität ausgesetzt sein wird.

Auch die für die Asylgewährung erforderliche Anknüpfung an einen Konventionsgrund (Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung) ist im vorliegenden Fall gegeben. Beim Beschwerdeführer liegt das dargestellte Verfolgungsrisiko in seiner Religion (im Sinne atheistischer Überzeugung).

Dem Beschwerdeführer droht sohin in Afghanistan durch staatliche Organe bzw. staatlichen Organen zurechenbare Akteure eine aktuelle Verfolgung aufgrund seines Abfalles vom Islam und seiner atheistischen Weltanschauung.

Aufgrund des in ganz Afghanistans gültigen islamischen Rechts (Scharia) und der in der Praxis angewendeten islamischen Rechtsprechung sowie aufgrund der in der afghanischen Gesellschaft bestehenden Traditionen und der Intoleranz gegenüber Apostaten bzw. Konvertiten ist davon auszugehen, dass sich die oben dargelegte Situation für den Beschwerdeführer im gesamten Staatsgebiet von Afghanistan gleichermaßen darstellt, weshalb für den Beschwerdeführer keine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 AsylG 2005 besteht.

Da auch keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt, war dem Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 ist die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder aufgrund eines Antrages auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

3.2.3. Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz am 06.11.2015 und damit vor dem 15.11.2015 gestellt wurde; die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 bis 4b AsylG 2005 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 24/2016 ("Asyl auf Zeit") finden daher gemäß § 75 Abs. 24 AsylG 2005 im Verfahren des Beschwerdeführers keine Anwendung.

3.3. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal der vorliegende Fall vor allem im Bereich der Tatsachenfragen anzusiedeln ist. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar. Die in Bezug auf einen Antrag auf internationalen Schutz vom Bundesverwaltungsgericht im Einzelfall vorzunehmende Beweiswürdigung ist - soweit diese nicht unvertretbar ist - nicht revisibel (vgl. z.B. VwGH 30.08.2018, Ra 2018/21/0149, mwN).

Schlagworte

Asylgewährung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren begründete Furcht vor Verfolgung Fluchtgründe Flüchtlingseigenschaft Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit inländische Schutzalternative innerstaatliche Fluchtalternative mündliche Verhandlung religiöse Gründe Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W275.2181422.1.00

Im RIS seit

24.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

24.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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