TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/26 W128 2169418-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.02.2020
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Entscheidungsdatum

26.02.2020

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W128 2169418-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Michael FUCHS-ROBETIN als Einzelrichter über die Beschwerde des afghanischen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 10.08.2017, Zl. 1130101600-161272629/BMI-BFA_KNT_AST_01_TEAM_01, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 29.01.2020, zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX wird gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG) der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der XXXX geborene Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger sunnitischen Glaubens und Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken, stellte am 20.09.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen seiner Erstbefragung gab der Beschwerdeführer Folgendes an: Er stamme aus Kabul. Afghanistan habe er aus Angst vor der unruhigen Lage verlassen. Überdies sei er aufgrund der beruflichen Tätigkeit seines Vaters, welcher Polizist gewesen sei, mehrmals von Leuten festgenommen und bedroht worden. Im Falle einer Rückkehr habe er Angst um sein Leben.

2. Bei seiner Einvernahme vor dem BFA am 21.07.2017 gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen Folgendes an:

Gemeinsam mit seiner Familie habe er im Alter von sechs oder sieben Jahren Afghanistan Richtung Iran verlassen. In dieser Zeit seien die Taliban nach Afghanistan gekommen und die Lage habe sich zugespitzt. Da sein Vater im 8. Bezirk von Kabul "Polizeidirektor" gewesen sei, sei seine Familie einer höheren Verfolgung ausgesetzt gewesen. Im Iran sei er vier bis fünf Jahre in eine private Schule gegangen. Danach habe er in einem Schuhgeschäft gearbeitet und "den Beruf dort" erlernt. Mit 21 Jahren habe er seine Ehefrau traditionell geheiratet. Seine Schwiegermutter sei allerdings gegen die Hochzeit gewesen. Da sein Schwiegervater zu dieser Zeit in England Asyl bekommen habe, habe er seine gesamte Familie nachholen wollen. Die Ehefrau des Beschwerdeführers habe dies jedoch abgelehnt.

Der Beschwerdeführer und seine Ehefrau hätten deshalb den Entschluss gefasst, ihre Sachen zu packen und diese in das Haus des Beschwerdeführers zu bringen. Dabei seien sie von den Onkeln seiner Ehefrau gesehen worden, diese hätten den Beschwerdeführer dazu gezwungen, "Papiere" zu unterschreiben, damit seine Ehefrau nach England gehen könne. Als er dies verweigert habe, habe ein Onkel von hinten auf seinen Hals geschlagen und ein anderer habe ihm ein Messer in die Hüfte gestochen. Der Cousin, der mit dem Beschwerdeführer zum Haus seiner Ehefrau gefahren sei, sei ihm schließlich zur Hilfe gekommen. Der Beschwerdeführer habe diesen Vorfall angezeigt. Da die Angreifer allerdings eine Kaution gezahlt hätten, seien sie freigesprochen worden.

Danach habe er sich für eine längere Zeit in der Türkei aufgehalten. Da die Polizei jedoch eine iranische Aufenthaltskarte des Beschwerdeführers gefunden habe, sei er in den Iran abgeschoben worden. Dort habe er eineinhalb Jahre im Gefängnis verbracht, da die Iraner gedacht hätten, dass er als "Spion" für die Amerikaner arbeite. In weiterer Folge sei er nach Afghanistan abgeschoben worden. Dort hätten die Onkel seiner Ehefrau, während seines sechsmonatigen Aufenthalts in Kabul, nach ihm gesucht.

In Afghanistan sei der Beschwerdeführer beleidigt und als Iraner beschimpft worden. Er sei daher zwischenzeitlich bei seinem Onkel untergekommen. Die Onkel der Ehefrau des Beschwerdeführers hätten ihn des Öfteren am Telefon bedroht oder seien mit dem Auto an seinem Haus vorbeigefahren. Als sie eines Tages nachhause gekommen seien, sei seine Mutter vergewaltigt worden und am Boden gelegen. Seine Mutter habe dem Beschwerdeführer den Täter genau beschrieben. Der Beschwerdeführer habe aufgrund der Beschreibung seiner Mutter den Täter wiedererkannt und sei zu dessen Haus gefahren, um ihn zur Rede zu stellen. Dabei habe ihm ein Freund des Täters ins Bein gestochen und seine Hand zerschnitten. Danach habe er Afghanistan endgültig verlassen.

Seine Eltern und Geschwister befänden sich nun im Iran und seine Ehefrau sowie sein Kind hielten sich derzeit in England auf.

In Folge legte er die Tazkira seines Vaters, ein Konvolut an Unterlagen zur polizeilichen Tätigkeit seines Vaters in Afghanistan, seine Aufenthaltsbestätigung im Iran, seine Arbeitserlaubnis im Iran sowie einen "Gerichtbeschluss" über den oben angeführten Angriff vor.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchteil I.) als auch des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchteil II.) ab. Unter einem sprach das BFA aus, dass dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt werde (Spruchteil III.), gegen ihn gestützt auf § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG und § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) eine Rückkehrentscheidung erlassen werde sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt werde, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchteil IV.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchteil V.).

Begründend führte das BFA Folgendes aus:

Der Beschwerdeführer sei afghanischer Staatsangehöriger, sunnitischen Glaubens und Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken. Er stamme aus Kabul, sei verheiratet und habe ein Kind. Seine Ehefrau und sein Kind befänden sich in England, wo ihnen der Status von Asylberechtigten zuerkannt worden sei. Der Beschwerdeführer habe fünf Jahre die Schule besucht und vor seiner Ausreise bei seinem Onkel in Afghanistan gelebt.

Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer Afghanistan aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen habe. Dem Beschwerdeführer drohe keine asylrelevante Verfolgung in Afghanistan: Der Angriff von Seiten der Onkel der Ehefrau des Beschwerdeführers, welcher sich im Iran zugetragen habe, beziehe sich nicht auf Afghanistan. Dass eine solche Verfolgungsgefahr des Beschwerdeführers auch in Afghanistan bestehe, könne nicht nachvollzogen werden, zumal sich die Ehefrau des Beschwerdeführers nunmehr bei ihrer Familie in England aufhalte. Abgesehen davon habe er sich zweimal - nachdem dieser Angriff im Iran stattgefunden habe - in Afghanistan aufgehalten, ohne das ihm etwas passiert sei. Das Vorbringen hinsichtlich der Drohanrufe, die der Beschwerdeführer erhalten habe, sei nicht glaubwürdig. So hätte sich der Beschwerdeführer durch Änderung seiner Telefonnummer diesen Bedrohungen leicht entziehen können. Abgesehen davon hätten die Onkel der Ehefrau des Beschwerdeführers ihn außerhalb des Irans nie persönlich kontaktiert. Schließlich wäre es den Onkeln seiner Ehefrau, die in XXXX sesshaft seien, leicht möglich gewesen, den Beschwerdeführer zur Freigabe seiner Ehefrau zu nötigen. Diesbezüglich habe der Beschwerdeführer allerdings keine Angaben getätigt. Die Vergewaltigung seiner Mutter, welche verabscheuungswürdig sei, stelle auch keine individuelle Bedrohung des Beschwerdeführers dar.

Überdies sei nicht nachvollziehbar, weshalb der Beschwerdeführer in Österreich um Asyl angesucht habe. So hätte er auch nach England zu seiner Familie reisen und im Wege des Familienverfahrens Asyl erhalten können.

Es habe somit nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr in eine existenzgefährdende Notlage geraten würde, weshalb ihm kein subsidiärer Schutz zu gewähren sei. Er könne in der Provinz Kabul leben und seinen Lebensunterhalt bestreiten. Es bestehe keine sonstige, wie auch immer geartete, besondere Gefährdung des Beschwerdeführers in der Provinz Kabul. Weiters würde er im Rahmen seines familiären Netzes (auch außerhalb von Kabul) jedenfalls eine wirtschaftliche und soziale Unterstützung erhalten. Letztlich stehe ihm auch offen, sich an in Kabul ansässige, nicht-staatliche Hilfseinrichtungen zu wenden. Kabul sei über den internationalen Flughafen erreichbar.

Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen sei dem Beschwerdeführer nicht zu erteilen, da keiner der in § 57 AsylG genannten Gründe zutreffen würde.

Zur Rückkehrentscheidung sei festzuhalten, dass keine Integrationsfestigung festgestellt werden könne. Der Beschwerdeführer habe keinerlei familiäre Bindungen in Österreich, seine gesamte Familie befinde sich in Afghanistan und England. Er beziehe kein geregeltes Einkommen, habe keine Arbeit und sei in Österreich auf Unterstützung angewiesen.

Eine Abschiebung nach Afghanistan sei zulässig, da keine der in Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte oder die Protokolle Nr. 6 und 13 zur EMRK verletzt würden.

Sohin sei der Beschwerdeführer zu einer freiwilligen Ausreise binnen 14 Tagen ab Rechtskraft des Bescheides verpflichtet.

4. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde, in dieser sowie in der Beschwerdeergänzung vom 16. Mai 2018 brachte er zusammengefasst Folgendes vor:

Der Beschwerdeführer habe nachvollziehbar vorgebracht, dass ihm im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan die Lebensgrundlage entzogen und er in seiner Herkunftsprovinz von der Familie seiner Ehefrau verfolgt würde. Im Falle einer Rückkehr würde er aufgrund seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie asylrelevant verfolgt. Darüber hinaus würde der alleinstehende Beschwerdeführer in Afghanistan aufgrund seines Äußeren und seiner westlichen Orientierung auffallen und von religiösen Extremisten verfolgt werden. Eine Lebensgrundlage sei aufgrund eines nicht vorhandenen sozialen Netzwerkes jedenfalls zu verneinen. Der Beschwerdeführer habe bloß sechs Monate in Afghanistan verbracht und in dieser Zeit seien er und seine Familie besonders gefährdet gewesen. Er sei von den Onkeln seiner Ehefrau nicht bloß bedroht, sondern auch von diesen entführt, geschlagen und sexuell missbraucht worden. Dadurch habe der Beschwerdeführer eine Verletzung im Analbereich erlitten, weshalb ein stationärer Aufenthalt im Krankenhaus von Kabul in der Zeit vom 07.12.2015 bis zum 09.12.2015 nötig gewesen sei.

In Folge legte er ein Konvolut an Befunden des XXXX XXXX in Kabul sowie zahlreiche Unterstützungsschreiben vor.

5. Am 29.01.2020 fand eine öffentliche, mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, an der der Beschwerdeführer sowie sein Vertreter teilnahmen. Ein Vertreter des BFA ist entschuldigt (siehe Schreiben vom 29.08.2017) nicht erschienen. Weiters wurde die Vertrauensperson des Beschwerdeführers, ein Nachbar, als Zeuge zu seiner Integration in Österreich einvernommen.

Zudem legte der Beschwerdeführer zahlreiche Integrationsdokumente, Deutschkursbestätigungen und Empfehlungsschreiben vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1. Zum Beschwerdeführer

1.1.1. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger sunnitischen Glaubens und Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken. Er trägt den im Spruch angeführten Namen, ist am XXXX geboren und stammt aus Kabul.

Der Beschwerdeführer stellte am 20. September 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Der Beschwerdeführer verließ Afghanistan gemeinsam mit seiner Familie im Alter von sechs oder sieben Jahren Richtung Iran. Er spricht Farsi, etwas Dari und verfügt über eine etwa fünfjährige Schulbildung im Iran und hat den Beruf eines Schusters erlernt.

Der Beschwerdeführer ist verheiratet und hat eine Tochter; seine Ehefrau und seine Tochter verfügen in England über den Status von Asylberechtigten. Seine Eltern und seine Geschwister befinden sich im Iran. In Afghanistan halten sich keine weiteren Verwandten des Beschwerdeführers auf. Der Onkel des Beschwerdeführers befindet sich nun in Amerika.

Der Beschwerdeführer wurde von den Onkeln seiner Ehefrau vergewaltigt, geschlagen und mit einem Messer verletzt. Ein Vorfall hat im Iran stattgefunden, die sexuellen Übergriffe gegen den Beschwerdeführer haben sich in Afghanistan zugetragen. Der Beschwerdeführer befand sich danach vom 07.12.2015 bis zum 09.12.2015 in einem Krankenhaus in Kabul. Auch seine Mutter wurde von den Onkeln der Ehefrau des Beschwerdeführers vergewaltigt.

Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über keine weiteren verwandtschaftlichen Anknüpfungspunkte. Er pflegt jedoch ein gutes Verhältnis zu seinen Nachbarn und hilft diesen bei Tätigkeiten im Haushalt. Er verfügt über grundlegende Deutschkenntnisse (A2) und befindet in Österreich in der Grundversorgung.

Im Falle einer Rückkehr würde der Beschwerdeführer der Gefahr einer Verfolgung oder weiterer sexueller Übergriffe durch die Onkel seiner Ehefrau ausgesetzt sein. Weiters droht dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr die Gefahr einer Verfolgung wegen einer ihm unterstellen homosexuellen Orientierung und/oder aufgrund von "Zina" eine unmenschliche Behandlung zu erfahren.

Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zur hier relevanten Situation in Afghanistan

1.2.1. Allgemeine Sicherheitslage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen. Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren.

(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 13.11.2019, S. 12 ff.)

Die Hauptlast einer unsicheren Sicherheitslage in der jeweiligen Region trägt die Zivilbevölkerung.

(UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018, Punkt II.B.)

Für die Sicherheit in Afghanistan sind verschiedene Organisationseinheiten der afghanischen Regierungsbehörden verantwortlich. Die Afghan National Defense and Security Forces (ANDSF) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die Afghan National Police (ANP) und die Afghan Local Police (ALP). Die Afghan National Army (ANA) ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen. Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA. Die ALP wird durch die USA finanziert und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische.

(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 13.11.2019, S. 249 ff.)

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv, welche eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität in Afghanistan darstellen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und Angriffen auf staatliche Einrichtungen und gegen Gläubige und Kultstätten bzw. religiöse Minderheiten aus.

(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 08.01.2019, S. 18 ff.)

1.2.2. Kabul

Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans. Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Die Stadt Kabul ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, sie hat 5.029.850 Einwohner. Kabul ist Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt (LIB, Kapitel 3.1). Die Stadt Kabul ist über Hauptstraßen mit den anderen Provinzen des Landes verbunden und verfügt über einen internationalen Flughafen.

(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 13.11.2019, S. 36 ff. und 229 ff.)

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul. Nichtsdestotrotz, führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele durch, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Die Hauptursache für zivile Opfer in der Provinz Kabul (596 Tote und 1.270 Verletzte im Jahr 2018) waren Selbstmord- und komplexe Angriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs) und gezielten Tötungen. In Kabul leben 70.000 bis 80.000 Binnenvertriebene.

(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 13.11.2019, S. 36 ff.)

Kabul ist das wichtigste Handels- und Beschäftigungszentrum Afghanistans und hat ein größeres Einzugsgebiet in den Provinzen Parwan, Logar und Wardak. Es gibt eine dynamischere Wirtschaft mit einem geringeren Anteil an Arbeitssuchenden, Selbständigen und Familienarbeitern. Menschen aus kleinen Dörfern pendeln täglich oder wöchentlich nach Kabul, um landwirtschaftliche Produkte zu handeln oder als Wachen, Hausangestellte oder Lohnarbeiter zu arbeiten. Die besten (Arbeits-)Möglichkeiten für Junge existieren in Kabul. Trotz der niedrigeren Erwerbsquoten ist der Frauenanteil in hoch qualifizierten Berufen in Kabul (49,6 %) am größten.

(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 13.11.2019, S. 333 ff.)

1.2.3. Sunniten

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon 80 - 89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben.

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Religionsfreiheit ist in der afghanischen Verfassung verankert, dies gilt allerdings ausdrücklich nur für Anhänger anderer Religionen als dem Islam. Die von Afghanistan ratifizierten internationalen Verträge und Konventionen wie auch die nationalen Gesetze sind allesamt im Lichte des generellen Islamvorbehalts (Art. 3 der Verfassung) zu verstehen. Die Glaubensfreiheit, die auch die freie Religionsauswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan daher für Muslime nicht. Darüber hinaus ist die Abkehr vom Islam (Apostasie) nach Scharia-Recht auch strafbewehrt.

(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 13.11.2019, S. 277 ff.)

1.2.4. Tadschiken

In Afghanistan sind ca. 40 - 42% Paschtunen, rund 27 - 30% Tadschiken, ca. 9 - 10% Hazara und 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt. Soziale Gruppen werden in Afghanistan nicht ausgeschlossen und kein Gesetz verhindert die Teilnahme von Minderheiten am politischen Leben. Es kommt jedoch im Alltag zu Diskriminierungen und Ausgrenzungen ethnischer Gruppen und Religionen sowie zu Spannungen, Konflikten und Tötungen zwischen unterschiedlichen Gruppen.

Die Volksgruppe der Tadschiken ist die zweitgrößte Volksgruppe in Afghanistan, sie macht etwa 27-30% der afghanischen Gesellschaft aus und hat deutlichen politischen Einfluss im Land. In der Hauptstadt Kabul ist sie knapp in der Mehrheit. Tadschiken sind in zahlreichen politischen Organisationen und Parteien vertreten, sie sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert. Tadschiken sind allein aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit in Afghanistan weder psychischen noch physischen Bedrohungen ausgesetzt.

(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 13.11.2019, S. 287 ff.)

1.2.5. Allgemeine Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten.

(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 13.11.2019, S. 264 ff.)

Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden nach wie vor in allen Teilen des Landes und unabhängig davon statt, wer die betroffenen Gebiete tatsächlich kontrolliert.

Die Fähigkeit der Regierung, Menschenrechte zu schützen, wird durch die Unsicherheit und zahlreiche Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte untergraben. Insbesondere ländliche und instabile Gebiete leiden unter einem allgemein schwachen förmlichen Justizsystem, das unfähig ist, Zivil- und Strafverfahren effektiv und zuverlässig zu entscheiden.

(UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018, Punkt II.C.1 und II.C.2.)

1.2.6. Zina

EASO, das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen, veröffentlichte im Dezember 2017 einen Bericht über Personen in Afghanistan, die wegen sozialer oder legaler Normen bedroht werden. Der Bericht beschreibt auf Seite 56, dass das moralische Verbrechen "Zina" als Schande gesehen wird und dass dafür Frauen wie Männer verfolgt werden können. "Zina" umfasst jedes Verhalten, das als "außerhalb der Norm" gesehen wird: außerehelicher Sex, unerlaubte sexuelle Beziehungen, Unkeuschheit und vorehelicher Sex. Es kann auch gegen eine Frau im Fall einer Vergewaltigung oder bei sexueller Gewalt verhängt werden. Ein Vorwurf der "Zina" kann zu Todesdrohungen und Gewalttaten im Namen der Ehre, darunter Ehrenmorde, führen. "Zina" ist sowohl gemäß Strafrecht als auch gemäß Scharia strafbar.

(Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Afghanistan "Sexuelle Präferenzstörung/Paraphilie; Einstellung zu Sexualtität" vom 15.03.2018, S. 5)

Es sind Leib- und Lebensstrafen (Todesstrafe, Auspeitschung, Abschlagen von Extremitäten), die bei folgenden Handlungen in Betracht kommen: Ehebruch und Unzucht ("Zina"), Verleumdung wegen Unzucht, schwerer Diebstahl, schwerer Straßen- und Raubmord, Genuss von Alkohol, Homosexualität und Vergewaltigung (einige Juristen fordern in diesen Fällen die Todesstrafe, andere reihen die Homosexualität unter "Ermessensvergehen" (Ta'zir) ein).

(Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Afghanistan "Tötungsdelikt" vom 23.02.2017, S. 8)

1.2.7. Homosexualität

Auf Seite 58 wird beschrieben, dass in der afghanischen Gesellschaft Sexualität kein Thema ist, über das diskutiert wird. LGBT-Personen [Anm.: Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle] werden auch von ihrer Familie und der Gesellschaft bedroht. Gleichgeschlechtliche Praktiken bleiben im Verborgenen und sind hochgradig stigmatisiert, wenn diese an die Öffentlichkeit gelangen. Ein Bekenntnis zu einer sexuellen Orientierung oder Identität außerhalb der erwarteten Normen der Heterosexualität ist ein soziales Tabu und wird als unislamisch betrachtet. Es gibt Berichte über Diskriminierung u.A. im Gesundheitswesen und am Arbeitsplatz, Angriffe, Bedrohungen, Vergewaltigungen, Erpressungen und Verhaftungen. Der Staat kann als verfolgender Akteur betrachtet werden. Eine Verfolgung kann auch durch die Familie, generell durch die Gesellschaft, wie auch durch Aufständischengruppierungen erfolgen. Es besteht eine niedrige soziale Toleranz gegenüber Personen, die sexuelle oder Genderidentitäten haben, welche von der "Norm" abweichen.

(Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Afghanistan "Sexuelle Präferenzstörung/Paraphilie; Einstellung zu Sexualität" vom 15.03.2018, S. 5)

Das afghanische Strafgesetzbuch verbietet einvernehmlichen Geschlechtsverkehr zwischen zwei Angehörigen desselben Geschlechtes. Die afghanische Verfassung kennt kein Verbot der Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung. Entsprechende Forderungen im Rahmen des Universal Periodic Review (UPR)-Verfahrens im Jänner 2014 in Genf, gleichgeschlechtliche Paare zu schützen und nicht zu diskriminieren, wies die afghanische Vertretung (als eine der wenigen nicht akzeptierten Forderungen) zurück. Beim UPR Afghanistans im Januar 2019 standen LGBTTI nicht auf der Agenda. Bisexuelle und homosexuelle Orientierung sowie transsexuelles Leben werden von der breiten Gesellschaft abgelehnt und können daher nicht in der Öffentlichkeit gelebt werden.

Laut Art. 247 des afghanischen Strafgesetzbuchs werden neben außerehelichem Geschlechtsverkehr auch solche Sexualpraktiken, die üblicherweise mit männlicher Homosexualität in Verbindung gebracht werden, mit langjähriger Haftstrafe sanktioniert. Neben der sozialen Ächtung von Bisexuellen, Homosexuellen und Transsexuellen verstärken Bestimmungen und Auslegung des islamischen Rechts (der Scharia, die z.T. von noch konservativeren vorislamischen Stammestraditionen beeinflusst wird) mit Androhungen von Strafen bis hin zur Todesstrafe den Druck auf die Betroffenen. Organisationen, die sich für den Schutz der sexuellen Orientierung einsetzen, arbeiten im Untergrund.

Homosexualität wird weitverbreitet tabuisiert und als unanständig betrachtet. Mitglieder der LGBTIGemeinschaft haben keinen Zugang zu bestimmten gesundheitlichen Dienstleistungen und können wegen ihrer sexuellen Orientierung ihre Arbeit verlieren. Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft werden diskriminiert, misshandelt, vergewaltigt und verhaftet.

Eine systematische Verfolgung durch staatliche Organe kann nicht nachgewiesen werden, was allerdings an der vollkommenen Tabuisierung des Themas liegt. Es wird jedoch von gewalttätigen Übergriffen bis hin zu Vergewaltigungen homosexueller Männer durch die afghanische Polizei berichtet. Vor allem aufgrund der starken Geschlechtertrennung kommt es immer wieder zu freiwilligen oder erzwungenen homosexuellen Handlungen zwischen heterosexuellen Männern.

(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 13.11.2019, S. 324 ff.)

1.2.8. Rückkehr

In den ersten vier Monaten des Jahres 2019 kehrten insgesamt 63.449 Menschen nach Afghanistan zurück. Im Jahr 2018 kamen 775.000 aus dem Iran und 46.000 aus Pakistan zurück.

Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken sowie politische Netzwerke usw. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden.

Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Es gibt jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt.

Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Es sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann.

Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab. Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch.

Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen.

Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, können verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Rückkehrer erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer. Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Es befinden sich viele Rückkehrer in Gebieten, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind.

Die "Reception Assistance" umfasst sofortige Unterstützung oder Hilfe bei der Ankunft am Flughafen: IOM trifft die freiwilligen Rückkehrer vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung, usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrer innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an. 1.279 Rückkehrer erhielten Unterstützung bei der Weiterreise in ihre Heimatprovinz. Für die Provinzen, die über einen Flughafen und Flugverbindungen verfügen, werden Flüge zur Verfügung gestellt. Der Rückkehrer erhält ein Flugticket und Unterstützung bezüglich des Flughafen-Transfers. Der Transport nach Herat findet in der Regel auf dem Luftweg statt.

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren.

(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 13.11.2019, S. 353 ff.)

1.2.9. Risikogruppen

In seinen Richtlinien "zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender" vom 30.08.2018 geht UNHCR u.a. von folgenden "Risikoprofilen" aus:

* Personen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen (insb. vermeintlich homosexuelle Männer)

* Andere Handlungen die gegen die Scharia verstoßen (insb. "Zina")

2. Beweiswürdigung

2.1. Die Feststellungen zum Beschwerdeführer basieren auf seinen (diesbezüglich glaubwürdigen) Angaben vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie der Strafregisterauskunft vom 25.02.2020. Der Beschwerdeführer gab glaubhaft an, dass sein Geburtsdatum nicht der XXXX ist sondern der XXXX

2.2. Dass der Beschwerdeführer Opfer eines sexuellen Übergriffs durch die Onkel seiner Ehefrau wurde, ergibt sich einerseits seinen schlüssigen Angaben in der Stellungnahme vom 16.05.2018 sowie im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 29.01.2020 und andererseits aus den vom Beschwerdeführer vorgelegten Operationsberichten und Befunden des XXXX XXXX in Kabul. Daraus ergibt sich die Diagnose eines perianalen Abzesses sowie einer unregelmäßigen Läsion im Bereich des Mastdarms in der Größe von 5,3 x 2,7 x 2,5 cm. Der Beschwerdeführer wurde deswegen stationär im Krankenhaus behandelt.

Im Falle einer Rückkehr droht dem Beschwerdeführer wegen der ihm widerfahrenen Vergewaltigung eine Verfolgung aufgrund einer ihm unterstellten Homosexualität. So belegen die Länderfeststellungen, dass das afghanische Gesetzbuch neben außerehelichem Geschlechtsverkehr auch solche Sexualpraktiken, die üblicherweise mit männlicher Homosexualität in Verbindung gebracht werden, mit langjähriger Haftstrafe sanktioniert. Gleichgeschlechtliche Praktiken bleiben im Verborgenen und sind hochgradig stigmatisiert, wenn diese an die Öffentlichkeit gelangen.

Überdies ist auch nicht auszuschließen, dass der Beschwerdeführer aufgrund der ihm widerfahrenen Vergewaltigung wegen "Zina" bezichtigt und verfolgt wird. So ist den Länderberichten zu entnehmen, dass ein Vorwurf der "Zina" zu Todesdrohungen und Gewalttaten im Namen der Ehre, darunter Ehrenmorde führen kann. "Zina" ist sowohl gemäß Strafrecht als auch gemäß Scharia strafbar und wird mit Leib- und Lebensstrafen sanktioniert. "Zina" umfasst jedes Verhalten, das als "außerhalb der Norm" gesehen wird: außerehelicher Sex, unerlaubte sexuelle Beziehungen, Unkeuschheit, Vergewaltigung und vorehelicher Sex.

Im vorliegenden Fall existieren auch ärztliche Befunde des Beschwerdeführers, die auf eine Vergewaltigung bzw. auf sexuelle gleichgeschlechtliche Praktiken hinweisen. Zwar weiß bis auf den Onkel und die Eltern des Beschwerdeführers niemand von der Vergewaltigung, allerdings könnten die Täter - die in XXXX lebenden Onkel der Ehefrau des Beschwerdeführers - den Vorfall jederzeit zu Tage bringen. So sagte der Beschwerdeführer im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Onkel seiner Ehefrau keine "einfache[n] Personen" seien. Vielmehr seien sie bewaffnet und würden mit Mullah " XXXX " zusammenarbeiten. Sie verfügen daher über ein gewisses Netzwerk. Es ist somit davon auszugehen, dass die Onkel seiner Ehefrau sehr einflussreiche Personen sind, die den Vorfall jederzeit verbreiten könnten. Nach dem Vorfall sei es dem Beschwerdeführer auch nicht mehr möglich gewesen, dort zu leben, da er Angst hatte, dass "jemand davon erfahren hätte, dass [er] vergewaltigt" wurde. Es ist auch nicht auszuschließen, dass die Onkel des Beschwerdeführers bereits verbreitet haben, dass der Beschwerdeführer an gleichgeschlechtlichen sexuellen Handlungen - wenn auch gegen seinen Willen - beteiligt war. In diesem Zusammenhang ist auch festzuhalten, dass sich der afghanische Staat jederzeit Zugriff auf die ärztlichen Befunde verschaffen könnte.

Dass die Eltern des Beschwerdeführers, insbesondere seine Mutter von der Vergewaltigung wissen, ist vor dem Hintergrund, dass die Mutter des Beschwerdeführers ebenso von den gleichen Tätern vergewaltigt wurde, durchaus plausibel, zumal sie geradezu selbiges erlebte und eine weitere - von diesen Tätern ausgehende - Verfolgung fürchtet.

Zwar verkennt das erkennende Gericht nicht, dass der Beschwerdeführer die sexuellen Übergriffe gegen seine Person erst im Rahmen der Stellungnahme vom 16.05.2018 ins Treffen führte, allerdings muss diesem entgegengehalten werden, dass er seinen Fluchtgrund während des gesamten Verfahrens auf eine Verfolgung durch die Onkel seiner Ehefrau stützt. Da der Beschwerdeführer, wie im Rahmen der mündlichen Verhandlung zu Tage getreten ist, zwischenzeitlich seinen Onkel um Besorgung und Übermittlung der ärztlichen Befunde des Krankenhauses bat, ist ihm auch nicht vorzuwerfen, dass er bis zum Erhalt dieser Unterlagen zuwartete und erst dann über die ihm zugestoßene Vergewaltigung Angaben tätigte. So war es für den Onkel des Beschwerdeführers "sehr schwierig" die Unterlagen des Krankenhauses zu besorgen und war es generell ungewiss, ob dieser es überhaupt schaffen würde, an die Unterlagen zu gelangen. Schließlich ist auch festzuhalten, dass ihm dies bloß mittels Schmiergeldzahlungen an das Personal des Krankenhauses gelang. Aus Sicht des Beschwerdeführers ist es daher durchaus nachvollziehbar, dass er damit zögerte, die Vergewaltigung ins Treffen zu führen, da ihm ohne zu Grunde liegende Dokumente, die den Vorfall belegen würden, die Glaubwürdigkeit abgesprochen werden könnte. Weiters ist es auch nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer gerade seinen Onkel mit der Besorgung der Unterlagen beauftragte, zumal dieser zu diesem Zeitpunkt der Einzige war, der sich noch in Afghanistan aufhielt.

Überdies ist auch glaubwürdig, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr weitere sexuelle Übergriffe durch die Onkel seiner Ehefrau befürchten muss, zumal diese über ein gewisses Netzwerk in Afghanistan verfügen und somit herausfinden könnten, wo sich der Beschwerdeführer befindet. In diesem Zusammenhang kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass die Schwiegereltern, die gegen die Eheschließung ihrer Tochter mit dem Beschwerdeführer waren, allfällige Hinweise über den Aufenthaltsort des Beschwerdeführers an die Täter weitergeben würden. So sagte der Beschwerdeführer im Rahmen der mündlichen Verhandlung aus, dass er nach wie vor Kontakt zu seiner Ehefrau habe; diese habe ihn auch einmal in Österreich besucht. Da seine Ehefrau jedoch mit ihren Eltern in einer gemeinsamen Wohnung lebe und diese sie unterdrücken würden, ist nicht auszuschließen, dass seine Ehefrau - im Falle einer Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan - dazu genötigt werden würde, den Aufenthaltsort des Beschwerdeführers preiszugeben.

Zusammengefasst ist es daher glaubwürdig, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan eine unmenschliche Behandlung erfahren würde.

2.3. Die Feststellungen zur Situation in Afghanistan beruhen auf den genannten (nun aktualisierten) Quellen, die schon das BFA seinem Bescheid zugrunde legte und die im Wesentlichen inhaltsgleich blieben. Angesichts der Seriosität dieser Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen, denen auch der Beschwerdeführer nicht entgegentrat, besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, an deren Richtigkeit zu zweifeln.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zur Stattgabe der Beschwerde (Spruchpunkt A)

3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung i.S.d. Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht. Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG) gesetzt hat.

Flüchtling i.S.d. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl. VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (vgl. VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 15.03.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

Gemäß § 3 Abs. 3 Z 1 und § 11 Abs. 1 AsylG ist der Asylantrag abzuweisen, wenn dem Asylwerber in einem Teil seines Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihm der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann ("innerstaatliche Fluchtalternative"). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK vorliegen kann. Damit ist nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (vgl. VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "inländischen Flucht- oder Schutzalternative" (vgl. VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal wirtschaftliche Benachteiligungen auch dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (vgl. etwa VwGH 08.09.1999, 98/01/0614; 29.03.2001, 2000/20/0539).

Die Verfolgung aus Gründen der Religion ist nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK geschützt, wobei der Begriff der Religion auch atheistische Glaubensüberzeugungen umfasst (siehe Art. 10 Abs. 1 lit. b der Richtlinie 2011/95/EU - Statusrichtlinie; vgl. zuletzt VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0395, m.w.N.).

Weiters ist auf die Ausführungen des EuGH im Urteil Bahtiyar Fathi, Rn. 88, hinzuweisen, wonach neben der individuellen Lage und den persönlichen Umständen des Antragstellers u.a. dessen religiöse Überzeugungen und die Umstände ihres Erwerbs, die Art und Weise, in der der Antragsteller seinen Glauben bzw. Atheismus versteht und lebt, sein Verhältnis zu den doktrinellen, rituellen oder regulatorischen Aspekten der Religion, der er nach eigenen Angaben angehört bzw. den Rücken kehren will, seine etwaige Rolle bei der Vermittlung seines Glaubens oder auch ein Zusammenspiel von religiösen Faktoren und identitätsstiftenden, ethnischen oder geschlechtsspezifischen Faktoren zu berücksichtigen sind.

Eine begründete Furcht des Antragstellers vor Verfolgung liegt vor, sobald nach Auffassung der zuständigen Behörden im Hinblick auf die persönlichen Umstände des Antragstellers vernünftigerweise anzunehmen ist, dass er nach Rückkehr in sein Herkunftsland religiöse Betätigungen vornehmen wird, die ihn der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung aussetzen. Bei der individuellen Prüfung eines Antrags auf Anerkennung als Flüchtling können die Behörden dem Antragsteller nicht zumuten, auf diese religiösen Betätigungen zu verzichten (vgl. EuGH 05.09.2012, Y und Z, C-71/11 und C-99/11). Nichts anderes kann gelten, wenn die "religiösen Betätigungen" darin liegen, den im Herkunftsstaat vorgeschriebenen Glauben nicht leben zu wollen, sondern sich - eben gerade durch das Unterlassen (erwarteter) religiöser Betätigungen - zu seiner Konfessionslosigkeit zu bekennen (vgl. VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0395, m.w.N.).

3.1.2. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan besteht - vor dem Hintergrund der aktuellen Länderberichte zu Afghanistan - für den Beschwerdeführer eine asylrelevante Verfolgungsgefahr, da er durch eine ihm unterstellte homosexuelle Orientierung dem Risiko von körperlicher Gewalt durch staatliche und nicht-staatliche Akteure ausgesetzt ist. Zwar kann eine systematische Verfolgung durch staatliche Organe nicht nachgewiesen werden, was an der vollkommenen Tabuisierung der Homosexualität in Afghanistan liegt. Es wird jedoch von gewalttätigen Übergriffen bis hin zu Vergewaltigungen homosexueller Männer durch die afghanische Polizei berichtet. Nach Art. 247 des afghanischen Strafgesetzbuchs werden neben außerehelichem Geschlechtsverkehr auch solche Sexualpraktiken, die üblicherweise mit männlicher Homosexualität in Verbindung gebracht werden, mit langjähriger Haftstrafe sanktioniert (vgl. dazu etwa VwGH 20.09.2018, Ra 2018/20/0043, m.w.N.).

Abgesehen davon ist bei Zugrundelegung der Sachverhaltsfeststellungen zur Situation in Afghanistan zu prognostizieren, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan, der wegen eines Verstoßes gegen die Scharia aufgrund von Zina bezichtigt wird, mit hoher Wahrscheinlichkeit Eingriffen von erheblicher Intensität seitens konservativ-religiöser Personen (etwa durch Geistliche und/oder auch Taliban) und der strafrechtlichen staatlichen Verfolgung ausgesetzt sein wird (vgl. VwGH 20.05.2015, Ra 2015/20/0030).

Damit fällt der Beschwerdeführer (auch) in eine von UNHCR angeführte Risikogruppe, nämlich der "Personen, die angeblich gegen die Scharia verstoßen" sowie "Personen mit vermeintlich unterschiedlichen sexuellen Orientierungen"; (zur Indizwirkung von UNHCR-Positionen vgl. etwa VwGH 10.01.2020, Ra 2019/18/0351, m.w.N.).

Es ist nach dem Gesagten nicht davon auszugehen, dass der afghanische Staat - sofern er nicht selbst den Beschwerdeführer wegen des Verstoßes gegen die Scharia bzw. wegen einer ihm unterstellen Homosexualität verfolgt - in der Lage wäre, Personen, die von Seiten nichtstaatlicher Akteure bedroht werden, ausreichend Schutz zu gewähren. Der afghanische Staat ist nur sehr beschränkt in der Lage, die Sicherheit der afghanischen Bevölkerung zu garantieren, die Zentralregierung verfügt nicht über das Machtmonopol, um die Bürger ausreichend zu schützen. Fallbezogen ist daher mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer angesichts des ihn treffenden Verfolgungsrisikos keinen ausreichenden Schutz im Herkunftsstaat finden kann.

Aufgrund des in ganz Afghanistan gültigen islamischen Rechts (Scharia) und der in der Praxis angewendeten islamischen Rechtsprechung sowie aufgrund der in der afghanischen Gesellschaft bestehenden Traditionen und der Intoleranz gegenüber Personen mit vermeintlich unterschiedlichen sexueller Orientierung sowie gegenüber Personen, denen "Zina" vorgeworden wird, ist davon auszugehen, dass sich die oben dargelegte Situation für den Beschwerdeführer im gesamten Staatsgebiet von Afghanistan gleichermaßen darstellt, weshalb keine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 AsylG für den Beschwerdeführer besteht.

Überdies besteht im Falle einer Rückkehr für den Beschwerdeführer auch eine asylrelevante Verfolgungsgefahr, weil er nach wie vor Gefahr läuft, von den Onkeln seiner Ehefrau verfolgt zu werden (siehe dazu auch VwGH 13.11.2001, 2000/01/0098 und VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0112, unter Hinweis auf Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95/EU - Statusrichtlinie, wonach auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private asylrelevanten Charakter hat, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren).

Da auch keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Aus-schlussgründe vorliegt, war dem Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen.

3.2. Zur Unzulässigkeit der Revision (Spruchpunkt B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung - siehe auch VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0395 - des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

4. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Asylgewährung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren begründete Furcht vor Verfolgung Fluchtgründe Flüchtlingseigenschaft Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit Homosexualität inländische Schutzalternative innerstaatliche Fluchtalternative mündliche Verhandlung religiöse Gründe sexuelle Orientierung Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W128.2169418.1.00

Im RIS seit

24.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

24.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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