TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/2 W102 2196904-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.03.2020
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Entscheidungsdatum

02.03.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W102 2196904-2/21E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Werner ANDRÄ als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Amt der NÖ Landesregierung, UMF-Koordinierungsstelle, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, vom 29.03.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 14.03.2019 zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der minderjährige Beschwerdeführer, afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen, reiste gemeinsam mit seinem damals ebenso minderjährigen Bruder unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Republik Österreich ein und stellte am 31.07.2016 erstmals im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der Erstbefragung am 31.07.2016 gab der Beschwerdeführer zum Fluchtgrund befragt im Wesentlichen an, der Vater sei drei Jahre zuvor bei einem Selbstmordanschlag getötet worden und habe die Mutter etwa sechs Monate nach seinem Tod einen Talib geheiratet. Dieser habe seinen Bruder und ihn in den Krieg mitnehmen wollen, deshalb habe der Onkel väterlicherseits sie aus Afghanistan weggeschickt. Die Taliban würden mit Daesh zusammenarbeiten.

In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 13.03.2017 führte der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen auf das Wesentliche zusammengefasst aus, nachdem der Vater bei einem Attentat ums Leben gekommen sei, habe die Mutter ihre Söhne arbeiten geschickt und einen Talib geheiratet. Der Talib habe gewollt, dass sie zum Training in eine Schule gingen und Ungläubige töten. Dann würden sie ins Paradies kommen. Er und seine Brüder seien dann zum Onkel gegangen, der habe ihnen nicht helfen können. Sie seien dann mehrmals zu ihm gegangen, er habe das Grundstück des Vaters verkauft und sie nach Europa geschickt.

2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 29.03.2018, zugestellt am 13.04.2018, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 AsylG den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 30.03.2019 (Spruchpunkt III.). Begründend führte die belangte Behörde hinsichtlich Spruchpunkt I. aus, die Fluchtgründe seien nicht glaubhaft. Der Beschwerdeführer habe sich auf eine oberflächliche und inhaltsleere Vorbringenserstattung beschränkt. Auch gebe es Divergenzen im Vergleich zu den Angaben des Bruders.

3. Gegen Spruchpunkt I. des oben dargestellten Bescheides vom 29.03.2018 richtet sich die am 11.05.2018 bei der belangten Behörde eingelangte Beschwerde, in der ausgeführt wird, Zwangsrekrutierungen und Entführungen durch verschiedenste Gruppierungen würden häufig vorkommen, die Flucht eines zwangsrekrutierten Jugendlichen werde von den Taliban als feindliche Gesinnung gesehen und würden die Taliban Deserteure mit strengsten Konsequenzen bis hin zur Ermordung belegen. Hinsichtlich der Glaubwürdigkeitsprüfung wird ausgeführt, dass das jugendliche Alter, Schulbildung, mangelnde Begleitung durch Angehörige, psychische Gesundheit und Entwicklungsstand zu berücksichtigen seien. Ungereimtheiten und Ungenauigkeiten wie mangelnder Detailreichtum seien darauf zurückzuführen, dass der Beschwerdeführer sich aufgrund mangelnder Bildung nicht entsprechend verbalisieren könne. Das Vorbringen sei altersentsprechend erstattet worden und stehe in Einklang mit der tatsächlichen Lage in Afghanistan. Die Herkunftsprovinz würde zu den gefährlichsten zählen, die Talibanpräsenz sei hoch und würde die individuelle Verfolgung des Beschwerdeführers belegen. Staatlicher Schutz bestehe nicht. Die den Beschwerdeführer bedrohende Situation sei in ihrer Gesamtheit asylrelevant (Gefahr der Zwangsrekrutierung, Entführung, Ermordung, prekäre Allgemeinlage, ständige Bedrohung, strukturelle Gewalt, unmittelbare Einschränkungen).

Das Bundesverwaltungsgericht führte zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes am 14.03.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, seine bevollmächtigte Rechtsvertreterin und eine Dolmetscherin für die Sprache Paschtu teilnahmen. Die belangte Behörde verzichtete auf die Teilnahme.

Im Zuge der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt und hielt sein Vorbringen, der Stiefvater habe sie für die Taliban rekrutieren wollen, im Wesentlichen aufrecht.

Am 08.04.2019 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers ein.

Am 15.01.2020 wurde dem Bundesverwaltungsgericht eine den Beschwerdeführer betreffende Abgängigkeitsanzeige übermittelt, am 11.02.2020 gab die gesetzliche Vertreterin des Beschwerdeführers unter Anschluss einer Bestätigung der Meldung aus dem Zentralen Melderegister die aktuelle Adresse des Beschwerdeführers bekannt und beantragte, dass anhängige Asylverfahren gemäß § 24 Abs. 2 AsylG fortzusetzen.

Mit Schreiben vom 11.02.2020 brachte das Bundesverwaltungsgericht aktuelle Länderberichte in das Verfahren ein und gab dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde die Gelegenheit zur Stellungnahme.

Mit Beschluss vom 17.02.2020 wies das Bundesverwaltungsgericht den Antrag des Beschwerdeführers auf Fortsetzung des Verfahrens als unzulässig zurück.

Am 13.02.2020 langte die Stellungnahme des Beschwerdeführers am Bundesverwaltungsgericht ein, in der ausgeführt wird, der Beschwerdeführer habe seine Vorbereitung in der Madrassa auf Selbstmordattentate bzw. den Kriegseinsatz glaubhaft geschildert. Der Einfluss der Taliban in der Herkunftsprovinz sei traditionell hoch, würden diese Ausbildungslage betreiben und Minderjährige rekrutieren.

Der Beschwerdeführer legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:

* Diverse Schulunterlagen (Schulbesuchsbestätigungen, Zeugnisse, Schülerausweise, etc.)

* Teilnahmebestätigungen für Deutschkurse und andere Bildungsangebote

* Empfehlungsschreiben

* Integrationsprüfungszeugnis für das Niveau A2 vom 04.10.2018

* ÖSD Zertifikat A1 vom 21.03.2018

* Teilnahmebestätigung für Werte- und Orientierungskurs

* Dienstzeugnis

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, geboren im Jahr XXXX und ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Paschtu.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Der Beschwerdeführer wurde in einem Dorf in der Provinz Laghman geboren, hat dort für kurze Zeit die Schule besucht und am Bazar als Schuhputzer und Verkäufer gearbeitet.

Im Bundesgebiet besucht der Beschwerdeführer die Schule.

Im Herkunftsdorf leben noch die Mutter des Beschwerdeführers, sein jüngerer Bruder und ein Onkel väterlicherseits. Der Onkel hat zwei Töchter.

Dem älteren mittlerweile volljährigen Bruder des Beschwerdeführers wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Hinsichtlich des Status des Asylberechtigten ist sein Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht anhängig.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Der Vater des Beschwerdeführers kam etwa im Jahr 2013 bei einem Anschlag ums Leben. Dass dem Beschwerdeführer hieraus im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat eine Bedrohung erwächst, ist nicht zu erwarten.

Dass die Mutter des Beschwerdeführers nach dem Tod des Vaters nochmals geheiratet hat, wird nicht festgestellt. Es wird auch nicht festgestellt, dass der "Stiefvater" des Beschwerdeführers den Beschwerdeführer und seine Brüder für die Taliban rekrutieren wollte und sie zur Ausbildung in eine Madrassa mitgenommen hat.

Im Fall der Rückkehr ist nicht zu erwarten, dass der Beschwerdeführer durch regierungsfeindliche oder regierungstreue Kräfte rekrutiert wird.

Ein konkretes Ereignis, das die Ausreise des Beschwerdeführers ausgelöst hat, kann nicht festgestellt werden.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers, seiner Staatsangehörigkeit und Herkunft, seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Muttersprache und seinem Lebenswandel im Herkunftsstaat ergeben sich aus seinen gleichbleibenden und glaubwürdigen Angaben des Beschwerdeführers. Auch die belangte Behörde ging in ihrem Bescheid bereits von der Glaubwürdigkeit der Diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers aus.

Die Feststellung zur Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem im Akt einliegenden aktuellen Strafregisterauszug.

Die Feststellungen zum Verbleib der Angehörigen des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat ergeben sich aus den Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 14.03.2019. Seither wurde auch kein anderslautendes Vorbringen erstattet.

Die Feststellung zum Schulbesuch im Bundesgebiet beruht auf den dazu vorgelegten Schulunterlagen (Zeugnisse, Schulbesuchsbestätigungen, etc.).

Die Feststellungen zum im Bundesgebiet aufhältigen mittlerweile volljährigen Bruder des Beschwerdeführers beruhen auf dem Verfahrensakt zu dessen Verfahren (W273 2194516-1).

2.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Die Feststellung, dass der Vater des Beschwerdeführers bei einem Anschlag ums Leben kam, beruht auf den diesbezüglich gleichbleibenden und plausiblen Angaben des Beschwerdeführers. So gab der Beschwerdeführer bereits in der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 31.07.2018 hinsichtlich seiner Angehörigen zu Protokoll, sein Vater sei vor etwa drei Jahren getötet worden und führt auch beim Fluchtgrund an, sein Vater sei drei Jahre zuvor bei einem Selbstmordanschlag getötet worden. Gleichbleibend gibt der Beschwerdeführer in der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 13.03.2017 an, sein Vater sei bei einem Attentat gestorben (AS 61) und wiederholt dies in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 13.03.2019 (Verhandlungsprotokoll S. 3). Zwar schildert der Beschwerdeführer das Ereignis nicht sehr detailreich, allerdings war der damals etwa zehnjährige Beschwerdeführer selbst beim Tod des Vaters nicht zugegen und kann folglich nur weitergeben, was ihm selbst erzählt wurde. So lässt sich dem von der belangten Behörde in das Verfahren eingebrachten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 02.03.2017, Kapitel 3. Sicherheitslage, Unterkapitel 3.20. Laghman, von einer schlechten Sicherheitslage in der Provinz Laghman und listet für die Provinz (im Zeitraum 01.09.2015 bis 31.05.2016) 49 Selbstmordattentate, IED-Explosionen und andere Explosionen. Vor dem Hintergrund des bereits langjährigen Konfliktes ist sohin plausibel, dass der Vater des Beschwerdeführers bei einem Anschlag ums Leben gekommen ist.

Dazu, dass dem Beschwerdeführer hieraus im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat eine Bedrohung nicht erwächst, ist zunächst auszuführen, dass eine derartige Gefahr nicht behauptet wurde. Weiter lag das Attentat im Zeitpunkt der Ausreise bereits einige Jahre zurück und schilderte der Beschwerdeführer keinerlei damit im Zusammenhang stehende Ereignisse. Auch scheint die Betroffenheit des Vaters des Beschwerdeführers vom Anschlag ein tragischer unglücklicher Zufall, jedoch nicht Ziel des Angriffes gewesen zu sein.

Zur Schilderung des Beschwerdeführers, seine Mutter habe etwa sechs bis acht Monate nach dem Tod des Vaters erneut geheiratet ist auszuführen, dass der Beschwerdeführer zwar auch diesen Aspekt seines Fluchtvorbringens gleichbleibend nennt. Allerdings treten diesbezüglich einige Ungereimtheiten auf, die die Behauptung als nicht glaubhaft erscheinen lassen.

Zunächst kann der Beschwerdeführer im Wesentlichen keinerlei Angaben zu seinem vermeintlichen Stiefvater machen. In der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde konnte er weder seinen Namen nennen, noch angeben, aus welcher Gegend der vermeintliche Stiefvater stammt (Einvernahmeprotokoll AS 65-67) und dies, obwohl der Beschwerdeführer auch angegeben hat, mit ihm zwei bis drei Monate zusammen gelebt zu haben (AS 63 und 67) und er von ihm außerdem an sechs Tagen die Woche (Verhandlungsprotokoll S. 6) in eine Madrassa mitgenommen worden sein will. Dass der Beschwerdeführer damals noch sehr jung war und über wenig Bildung verfügt, wie in der Beschwerde ausgeführt wird, vermag nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht plausibel zu erklären, dass der Beschwerdeführer den Namen seines Stiefvaters unter diesen Umständen nicht kennt. Im Übrigen konnte auch der drei Jahre ältere Bruder des Beschwerdeführers den Namen des vermeintlichen Stiefvaters nicht angeben (Einvernahmeprotokoll des Bruders, S. 7). Das Bundesverwaltungsgericht kommt daher zu dem Schluss, dass die behauptete erneute Verehelichung der Mutter nicht glaubhaft ist.

Auch ergeben sich zeitliche Lücken in den Schilderungen des Beschwerdeführers. So müsste die Ausreise etwa Anfang 2016 erfolgt sein und auch, wenn der Beschwerdeführer den Zeitpunkt des Todes seines Vaters nicht genau eingrenzen kann, so spricht in der Erstbefragung doch davon, dies sei etwa drei Jahre zuvor geschehen sei. Die Hochzeit mit dem Stiefvater grenzt der Beschwerdeführer zeitlich durchgehend derart ein, sie sei etwa sechs bis acht Monate nach dem Tod des Vaters erfolgt. Geht man nun davon aus, dass der Beschwerdeführer im Zeitraum von der Hochzeit bis zur Ausreise zwei bis drei Monate mit dem Stiefvater zusammenlebte und die Madrassa besuchte, so fehlen in der Erzählung des Beschwerdeführers mindestens zwei Jahre, nachdem der Beschwerdeführer die Ausreise im Wesentlichen direkt an den Besuch der Madrassa anschließt. Zwar darf bei der zeitlichen Einordnung der Ereignisse insbesondere vom minderjährigen Beschwerdeführer keine vollendete Präzision erwartet werden, dass der im Einreisezeitpunkt etwa dreizehnjährige Beschwerdeführer etwa einschätzen und wiedergeben kann, ob ein Zeitraum einige Jahre oder einige Monate dauert, ist allerdings doch zu erwarten.

Daran ändert auch nichts, dass etwa der vom Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingebrachte EASO Informationsbericht über das Herkunftsland Afghanistan: Gezielte Gewalt bewaffneter Akteure gegen Individuen von Dezember 2017 grundsätzlich bestätigt, dass Kinder als Selbstmordattentäter ausgebildet und eingesetzt werden (Kapitel 5.2 Rekrutierung von Kindern durch bewaffnete oppositionelle Gruppen, S. 44 f.), sowie von der militärischen Ausbildungen und Rekrutierung in Schulen und Madrassas (Kapitel 5.2.1.2 Schulen und Madrassas, S. 47 f.).

Angesichts dessen, dass sich bereits das Fundament des Fluchtvorbringens, nämlich die Existenz eines Stiefvaters, als nicht glaubhaft erweist, kommt es auf den mangelnden Detailreichtum der Schilderungen hinsichtlich der Ereignisse in der Madrassa an sich nicht mehr an. Es wird jedoch dennoch angemerkt, dass der Beschwerdeführer in seiner Erzählung in der mündlichen Verhandlung am 13.03.2019 jede Tiefe und Lebendigkeit vermissen ließ. So schildert der Beschwerdeführer kein Ereignis, sondern gibt lediglich einstudiert wirkende Floskeln wieder. Schon vor der belangten Behörde zeigte der Beschwerdeführer das gleiche Aussageverhalten, wenn er befragt dazu, was er in der Madrassa gemacht habe, lediglich sagt, er habe ein Training bekommen und habe trainiert. Über Aufforderung, er solle mehr über das Training erzählen, gab der Beschwerdeführer hier lediglich an, sie hätten gewollten, dass sie ein Attentat ausüben (AS 67). Ebenso allgemein gehalten sind die Antworten des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, wo er sich darauf beschränkt, ihnen sei erklärt worden, sie sollten andere Leute töten, um ins Paradies zu kommen und man habe sie den Umgang mit Waffen gelehrt bzw. wie man ein Selbstmordattentat verübt (Verhandlungsprotokoll S. 4). Damit vermag der Beschwerdeführer allerdings nicht zu schildern, was in der Madrassa konkret passiert ist, sondern erweckt viel mehr den Eindruck, lediglich wiederzugeben, was er über den Unterricht in einer Taliban-Madrassa vom Hörensagen weiß. Zwar ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine besondere Berücksichtigung der Minderjährigkeit eines Asylwerbers bei der Beweiswürdigung und Beurteilung der Art und Weise des erstatteten Vorbringens zu den Fluchtgründen erforderlich. Insbesondere ist die Dichte des Vorbringens nicht mit "normalen Maßstäben" zu messen und muss aus der Entscheidung erkennbar sein, dass darauf und auch auf den Blickwinkel, aus dem die Schilderung der Fluchtgründe erfolgt, Bedacht genommen wurde. Demnach bedarf es zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Minderjährigen einer besonders sorgfältigen Beweiswürdigung (zuletzt VwGH 06.09.2018, Ra 2018/18/0150 mwN). Das Bundesverwaltungsgericht übersieht auch nicht, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Ausreise noch ein Kind im Alter von etwa 13 Jahren war. Allerdings wäre dennoch zu erwarten, dass er in irgendeiner Weise schildern kann, wie das Training in der Madrassa abläuft, wie der Tag strukturiert ist, was der Inhalt des Unterrichts ist, etc., statt lediglich allgemeine Aussagen zu treffen.

Die Feststellung, dass im Fall der Rückkehr nicht zu erwarten ist, dass der Beschwerdeführer durch regierungsfeindliche oder regierungstreue Kräfte rekrutiert wird, beruht zunächst darauf, dass der Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen konnte, dass er konkret und individuell bereits von Zwangsrekrutierung betroffen war. Zwar ist etwa den vom Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 11.02.2020 in das Verfahren eingebrachten UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender von 30.08.2018 (sowie den bereits oben zitierten Berichten) zu entnehmen, dass es zu Fällen von Zwangsrekrutierung auch gegen Minderjährige kommt (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 3. Männer im wehrfähigen Alter und Kinder im Kontext der Minderjährigen- und Zwangsrekrutierung, S. 59 ff.). Keineswegs dargestellt wird jedoch eine Situation, in der jeder Jugendliche zum Kampf für regierungsfeindliche oder regierungstreue Gruppierungen eingezogen würde. Insbesondere betont auch der Landinfo report Afghanistan: Afghanistan: Rekrutierung durch die Taliban von 29.06.2017, dass die Rekrutierung durch die Taliban nicht durch Zwang, Drohungen und Gewalt gekennzeichnet ist (Zusammenfassung, S. 3). Auch der EASO Informationsbericht über das Herkunftsland Afghanistan: Gezielte Gewalt bewaffneter Akteure gegen Individuen von Dezember 2017 bestätigt diese Einschätzung im Wesentlichen. Zwang oder Nötigung würden bei der Rekrutierung nur in Ausnahmefällen eingesetzt (Kapitel 1.5 Zwangsrekrutierung und Nötigung, S. 23). Der Beschwerdeführer konnte allerdings - wie schon ausgeführt - seine individuelle Betroffenheit von derartigen Maßnahmen nicht glaubhaft machen. Diese Einschätzung ändert auch der Umstand, dass in der Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers von hohem Einfluss der Taliban berichtet wird (etwa EASO, Country Guidance: Afghanistan von Juni 2019 (Abschnitt Common Analysis: Afghanistan, Kapitel III. Subsidiary protection, Unterkapitel Article 15 (c) QD Abschnitt Laghman, S. 107 f.), nicht, weil auch lokal für die Herkunftsprovinz nicht von einem gehäuften Auftreten von Zwangsrekrutierungen Minderjähriger berichtet wird.

Nachdem sich das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers als nicht glaubhaft erwiesen hat und sonstige Anhaltspunkte für ein konkretes, die Ausreise auslösendes Ereignis - abseits der allgemeinen unbestreitbar schlechten Sicherheitslage in der Herkunftsprovinz, wie sie sich etwa aus dem vom Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 11.02.2020 in das Verfahren eingebrachten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 13.11.2019, Kapitel 3. Sicherheitslage, Unterkapitel 3.20. Laghman, sowie aus dem entsprechenden Abschnitt der vom Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingebrachten EASO, Country Guidance: Afghanistan von Juni 2019 (Abschnitt Common Analysis: Afghanistan, Kapitel III. Subsidiary protection, Unterkapitel Article 15 (c) QD Abschnitt Laghman, S. 107 f.) ergibt, sowie der nach dem Tod des Vaters zweifellos schlechten finanziellen Situation der Familie - im Lauf des Verfahrens nicht hervorgekommen sind, konnte ein derartiges Ereignis nicht festgestellt werden.

Zur Plausibilität und Seriosität der herangezogenen Länderinformationen zur Lage im Herkunftsstaat ist auszuführen, dass die im Länderinformationsblatt zitierten Unterlagen von angesehen Einrichtungen stammen. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nach § 5 Abs. 2 BFA-VG verpflichtet ist, gesammelte Tatsachen nach objektiven Kriterien wissenschaftlich aufzuarbeiten und in allgemeiner Form zu dokumentieren. Auch das European Asylum Support Office (EASO) ist nach Art. 4 lit. a Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 zur Einrichtung eines Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen bei seiner Berichterstattung über Herkunftsländer zur transparent und unparteiisch erfolgende Sammlung von relevanten, zuverlässigen, genauen und aktuellen Informationen verpflichtet. Damit durchlaufen die länderkundlichen Informationen, die diese Einrichtungen zur Verfügung stellen, einen qualitätssichernden Objektivierungsprozess für die Gewinnung von Informationen zur Lage im Herkunftsstaat. Den UNHCR-Richtlinien ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besondere Beachtung zu schenken ("Indizwirkung"), wobei diese Verpflichtung ihr Fundament auch im einschlägigen Unionsrecht findet (Art. 10 Abs. 3 lit. b der Richtlinie 2013/32/EU [Verfahrensrichtlinie] und Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2011/95/EU [Statusrichtlinie]; VwGH 07.06.2019, Ra 2019/14/0114) und der Verwaltungsgerichtshof auch hinsichtlich der Einschätzung von EASO von einer besonderen Bedeutung ausgeht und eine Auseinandersetzung mit den "EASO-Richtlinien" verlangt (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0405). Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich daher auf die angeführten Länderberichte, wobei eine beweiswürdigende Auseinandersetzung im Detail oben erfolgt ist.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht, dem Fremden keine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG offen steht und dieser auch keinen Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG gesetzt hat.

Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht einer Person, wenn sie sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb des Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierung ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0010 mwN).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (VwGH 30.08.2018, Ra 2017/18/0119 mwN).

3.1. Zum Fluchtvorbringen hinsichtlich Zwangsrekrutierung

Der Verwaltungsgerichtshof differenziert in ständiger Judikatur zwischen der per se nicht asylrelevanten Zwangsrekrutierung durch eine Bürgerkriegspartei von der Verfolgung, die an die tatsächliche oder unterstellte politische Gesinnung anknüpft, die in der Weigerung, sich den Rekrutierenden anzuschließen, gesehen wird. Auf das Auswahlkriterium für die Zwangsrekrutierung kommt es dabei nicht an. Entscheidend ist daher, mit welcher Reaktion durch die Milizen aufgrund einer Weigerung, sich dem Willen der Rekrutierenden zu beugen, gerechten werden muss und ob in ihrem Verhalten eine (unterstellte) politische oder religiöse oppositionelle Gesinnung erblickt wird (19.04.2016, VwGH Ra 2015/01/0079 mwN).

Wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt konnte der Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen, dass sein "Stiefvater" ihn für die Taliban rekrutieren wollte und ihn zur Ausbildung in eine Madrassa mitgenommen hat. Weiter ist auch im Fall der Rückkehr nicht zu erwarten, dass der Beschwerdeführer durch regierungsfeindliche oder regierungstreue Kräfte rekrutiert wird. Damit konnte der Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen, dass ihm im Fall der Rückkehr Verfolgung im Sinne der oben zitierten Judikatur droht, weil er sich der Zwangsrekrutierung bereits entzogen hat bzw. weil er sich zukünftig im Fall der Rückkehr der Rekrutierung verweigern wird. Eine asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Fall der Rückkehr wurde daher nicht glaubhaft gemacht.

3.2. Zur behaupteten Asylrelevanz der den Beschwerdeführer bedrohenden Situation in ihrer Gesamtheit

In seiner Beschwerde bringt der Beschwerdeführer vor, er sei im Herkunftsstaat vielfältiger individueller Gefahr ausgesetzt, nämlich Zwangsrekrutierung, Entführung bis hin zur Ermordung, prekäre Allgemeinlage, ständige Bedrohung, strukturelle Gewalt und unmittelbare Einschränkungen. Die den Beschwerdeführer bedrohende Situation sei in ihrer Gesamtheit von asylrelevanter Intensität und sei wohlbegründete Furcht vor Verfolgung in jedem Fall gegeben. Abgesehen davon, dass der Beschwerdeführer diese Bedrohungen nicht konkretisiert, ist darauf hinzuweisen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Asylgewährung nur in Betracht kommt, wenn ein kausaler Zusammenhang der Verfolgungshandlung mit einem oder mehreren Konventionsgründen besteht (zuletzt VwGH 03.05.2018, Ra 2018/19/0171). Dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr einer Situation ausgesetzt wäre, die in ihrer Gesamtheit eine Menschenrechtsverletzung bedeutet, führt damit ohne Verknüpfung dieser "Verfolgungshandlung" mit einem Konventionsgrund nicht zur Asylgewährung. Hinsichtlich der behaupteten Gefahr der Zwangsrekrutierung ist im Übrigen auf die Ausführungen unter 3.1. zu verweisen. Die übrigen angeführten Risiken lassen eine Verknüpfung mit einem GFK-Fluchtgrund nicht erkennen.

Im Hinblick auf die allgemeine Sicherheits- und Versorgungslage in Zusammenschau mit der spezifischen Vulnerabilität des minderjährigen Beschwerdeführers - damit also im Hinblick auf die Gesamtheit seiner Rückkehrsituation - wurde dem Beschwerdeführer im Übrigen bereits durch die belangte Behörde der Status des subsidiär Schutzberechtigten erteilt und ist auch auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, dass in dem Umstand, dass in einem Land Bürgerkrieg herrscht, für sich allein keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention liegt (zuletzt VwGH 17.11.2017, Ra 2017/20/0404 mwN). Um asylrelevante Verfolgung vor dem Hintergrund einer Bürgerkriegssituation erfolgreich geltend zu machen, bedarf es einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten eines Bürgerkrieges hinausgeht (VwGH 19.10.2018, 98/20/0233). Eine solche hat der Beschwerdeführer nicht aufgezeigt.

Im Ergebnis war seine Beschwerde daher spruchgemäß abzuweisen.

4. Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG vorliegt. Das Bundesverwaltungsgericht folgt der unter A) zitierten ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Zwangsrekrutierung (19.04.2016, VwGH Ra 2015/01/0079 mwN), sowie zur kausalen Verknüpfung von Verfolgungshandlung und GFK-Fluchtgrund (VwGH 03.05.2018, Ra 2018/19/0171), wobei gegenständlich insbesondere beweiswürdigende Erwägungen maßgeblich waren.

Schlagworte

Asylantragstellung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren begründete Furcht vor Verfolgung Fluchtgründe Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit mündliche Verhandlung Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete Furcht Zwangsrekrutierung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W102.2196904.2.01

Im RIS seit

24.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

24.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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