TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/18 W260 2168644-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.03.2020
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Entscheidungsdatum

18.03.2020

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §2 Abs1 Z15
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §75 Abs24
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W260 2168644-1/19E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Markus BELFIN als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, vom 04.08.2017, Zahl 1122904901-160991589, nach Durchführung von mündlichen Verhandlungen am 26.03.2018 und am 25.02.2020 zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. XXXX (im Folgenden "Beschwerdeführer"), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 15.07.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Bei der Erstbefragung am 16.07.2016 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari an, dass er aus der Provinz Kabul in Afghanistan stamme, der Volksgruppe der Tadschiken angehören würde und sunnitischer Moslem wäre.

Seine Eltern, zwei Brüder und zwei Schwestern würden in Afghanistan leben. Ein Bruder wäre mit dem Beschwerdeführer ausgereist. Sie wären aber auf der Flucht getrennt worden. Ein weiterer Bruder würde in Österreich leben.

Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der Beschwerdeführer an, dass ein Bruder in Österreich leben würde. Ein weiterer Bruder würde für die Amerikaner in Mazar- e Sharif arbeiten. Auch deshalb wären sie bedroht worden. In seiner Wohngegend, einem Außenbezirk von Kabul, hätten die Taliban nachts das Sagen. Die Taliban hätten den Beschwerdeführer und seinen Bruder mehrmals aufgefordert, für sie zu arbeiten. Wenn sie nicht mit den Taliban zusammenarbeiten wollen, hätten sie ihnen Geld zahlen sollen. Der Beschwerdeführer habe Angst vor einer Zwangsrekrutierung durch die Taliban oder dass er oder sein Vater von den Taliban getötet werden würde.

3. Am 28.07.2017 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge "belangte Behörde") im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari.

Der Beschwerdeführer gab zusammengefasst an, er hätte in Afghanistan elf Jahre lang die Schule besucht. Sein Vater wäre für den Lebensunterhalt des Beschwerdeführers aufgekommen, die Familie hätte ein Haus und mehrere Grundstücke besessen und es wäre ihnen sehr gut gegangen. Ein Bruder und eine Schwester würden noch in Afghanistan leben. Die anderen Familienmitglieder würden im Iran leben. Ein Bruder wäre schon lange in Österreich.

Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, er wäre von den Taliban bedroht und aufgefordert worden, für sie zu kämpfen. Ein Bruder des Beschwerdeführers hätte für die Amerikaner gearbeitet. Der Beschwerdeführer wäre zwei Mal von den Taliban bedroht worden, das erste Mal auf dem Weg zur Schule. Die Taliban hätten nach seinem Bruder, der für die Amerikaner arbeite, gefragt. Das zweite Mal wären der Beschwerdeführer und sein kleiner Bruder mitgenommen und zu einem Mullah gebracht worden. Dieser hätte ihnen Videos von Ungläubigen gezeigt und sie zum Beten gezwungen. Nachdem sie wieder freigelassen worden wären, hätte sein Vater die Ausreise organisiert. Als sich der Beschwerdeführer bereits auf der Flucht in der Türkei aufgehalten habe, hätte ihm sein Vater erzählt, dass er einen Drohbrief erhalten hätte.

Der Beschwerdeführer legte Integrationsunterlagen und Beweismittel zur Tätigkeit seines Bruders für die Amerikaner vor.

4. Mit dem nunmehr angefochtenem Bescheid vom 04.08.2017 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Gemäß § 57 AsylG 2005 erteilte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen und erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG. Die belangte Behörde stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters sprach die belangte Behörde aus, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV).

Zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates bzw. zu der Situation im Falle einer Rückkehr stellte die belangte Behörde insbesondere fest, der Beschwerdeführer habe nicht glaubhaft machen können, dass er aufgrund der Tätigkeit seines Bruders für die Amerikaner von den Taliban bedroht und verfolgt worden wäre, zumal die Angaben des Beschwerdeführers rational nicht nachvollziehbar seien. Zudem bestehe für den Beschwerdeführer eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul und Mazar-e Sharif.

5. Gegen den verfahrensgegenständlichen Bescheid brachte der Beschwerdeführer durch seine bevollmächtigte Rechtsberatung fristgerecht Beschwerde ein.

Der Beschwerdeführer wiederholte darin im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen und argumentierte, die belangte Behörde wäre ihrer Ermittlungspflicht nicht nachgekommen. Insbesondere hätte sie Ermittlungen zum Thema "Rekrutierung durch die Taliban" und zu Rückkehrern aus dem Westen anstellen müssen. Die belangte Behörde hätte es auch gänzlich unterlassen zur Bedrohungslage von Familienangehörigen von Afghanen, welche mit den Streitkräften zusammenarbeiten, zu ermitteln, obwohl dies Teil des Kernvorbringen des Beschwerdeführers wäre. Zudem wären die Länderfeststellungen mangelhaft. Der Beschwerdeführer zitierte diverse Länderberichte zur allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan, zur Lage in Kabul, zu einer möglichen Verfolgung von Personen durch die Taliban, zur mangelnden Schutzfähigkeit des afghanischen Staates sowie zu einer innerstaatlichen Fluchtalternative. Eine solche wäre entgegen der Annahme der belangten Behörde nicht zumutbar. Der Beschwerdeführer beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

6. Mit Schreiben der belangten Behörde vom 23.08.2017 wurde der Bezug habende Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht zur Vorlage gebracht und langte dieser am 24.08.2017 ebendort ein.

7. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.11.2017 wurde eine mündliche Verhandlung für den 26.03.2018 anberaumt.

8. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 26.03.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Der Beschwerdeführer wurde im Beisein seiner bevollmächtigten Rechtsberaterin und eines Dolmetschers für die Sprache Dari zu seinen Fluchtgründen und zu seiner Situation in Österreich befragt.

Die Niederschrift wurde der entschuldigt ferngebliebenen belangten Behörde übermittelt.

Der Beschwerdeführer legte Integrationsunterlagen und Beweismittel vor, die als Beilagen ./I bis ./III zum Akt genommen wurden.

In der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurden folgende Unterlagen in das gegenständliche Verfahren vom Bundesverwaltungsgericht eingebracht: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, inklusive letzte Kurzinformation vom 30.01.2018; Auszug aus UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19. April 2016, Interne Schutzalternative; Auszug aus UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19. April 2016, Schreiben vom 04.05.2016; BFA Arbeitsübersetzung Afghanistan: Der Nachrichtendienst der Taliban und der Einschüchterungskampagne vom 23.08.2017; EASO Informationsbericht über das Herkunftsland Afghanistan, Rekrutierungstrategien der Taliban vom Juli 2012; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 08.06.2017: Rekrutierung von Tadschiken durch Taliban.

Dem Beschwerdeführer wurde die Möglichkeit gegeben, in diese herkunftsstaatsbezogenen Berichte Einsicht zu nehmen sowie innerhalb einer Frist von drei Wochen eine schriftliche Stellungnahme abzugeben.

9. Der Beschwerdeführer erstattete namens seiner bevollmächtigten Rechtsberatung mit Schreiben vom 16.04.2018 eine schriftliche Stellungnahme zu den vom Bundesverwaltungsgericht in der mündlichen Beschwerdeverhandlung eingebrachten Länderberichtsmaterial.

10. Mit Schreiben vom 25.03.2019 übermittelte der Beschwerdeführer weitere Integrationsunterlagen.

11. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19.11.2019 wurde den Verfahrensparteien im Rahmen des Parteiengehörs aktuelles Länderberichtsmaterial übermittelt: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Stand 13.11.2019, UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfes Afghanischer Asylsuchender Stand August 2018, sowie eine auszugsweise Übersetzung der EASO Country Guidance Afghanistan vom Juni 2018, Seiten 21-25 und 98-109. Weiters wurde der Beschwerdeführer aufgefordert etwaige aktuelle Integrationsunterlagen und Krankenunterlagen dem Bundesverwaltungsgericht zu übermitteln.

12. Der Beschwerdeführer erstattete namens seiner bevollmächtigten Rechtsberatung mit Schreiben vom 02.12.2019 eine schriftliche Stellungnahme und legte weitere Integrationsunterlagen vor. Zudem gab der Beschwerdeführer an, dass er seit ungefähr eineinhalb Jahren eine Lebensgefährtin in Österreich hätte und stellte den Antrag, die Lebensgefährtin zum Beweis seiner hervorragenden Integration in Österreich als Zeugin einzuvernehmen.

13. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21.01.2020 wurde eine mündliche Verhandlung für den 25.02.2020 anberaumt.

14. Aus dem vom Bundesverwaltungsgericht am 24.02.2020 eingeholten Auszug aus dem Strafregister des Beschwerdeführers ist ersichtlich, dass keine Verurteilungen aufscheinen.

15. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 25.02.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Der Beschwerdeführer wurde im Beisein seiner bevollmächtigten Rechtsberaterin und eines Dolmetschers für die Sprache Dari zu seinen Fluchtgründen und zu seiner Situation in Österreich befragt. XXXX , die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers, wurde als Zeugin einvernommen.

Die Niederschrift wurde der unentschuldigt ferngebliebenen belangten Behörde übermittelt.

Der Beschwerdeführer legte Integrationsunterlagen vor, die im Konvolut als Beilage ./V zum Akt genommen wurde.

Der Beschwerdeführer gab keine Stellungnahme ab und beantragte auch keine Frist für eine schriftliche Stellungnahme.

16. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 26.02.2020 wurde der belangten Behörde die Verhandlungsschrift vom 25.02.2020 samt Beilage ./V zur Kenntnisnahme übermittelt und einen Stellungnahmefrist von zwei Wochen eingeräumt

17. Die belangte Behörde gab keine Stellungnahme ab.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und ist am XXXX geboren.

Er ist afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam.

Der Beschwerdeführer ist in der Provinz Kabul in Afghanistan geboren und aufgewachsen und hielt sich bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan in dieser Provinz auf. Die Familie des Beschwerdeführers besitzt dort ein Haus und Grundstücke.

Die Familie des Beschwerdeführers besteht aus seinen Eltern, drei Brüdern und zwei Schwestern. Der Vater des Beschwerdeführers befindet sich derzeit im Iran, ein Bruder lebt in Österreich. Die restliche Familie des Beschwerdeführers lebt in der Türkei.

Eine Tante des Beschwerdeführers lebt in Afghanistan. Zu dieser besteht kein Kontakt.

Der Beschwerdeführer besuchte elf Jahre lang die Schule. Er hat keine Berufsausbildung absolviert. Sein Vater kam für seinen Lebensunterhalt auf.

Der Beschwerdeführer befindet sich seit seiner Antragstellung im Juli 2016 aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2015 durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet.

Der Beschwerdeführer weist Deutschkenntnisse auf dem Niveau B2 auf. Er besucht derzeit einen HTL- Vorbereitungslehrgang.

Der Beschwerdeführer hat seit zwei Jahren eine Lebensgefährtin, die Staatsangehörige der Schweiz ist und in Wien lebt. Er pflegt soziale Kontakte, auch zu österreichischen Bekannten.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan droht dem Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gewalt durch die Taliban aufgrund der Tätigkeit seines Bruders XXXX für die Amerikaner und aufgrund seiner unterstellten politischen Gesinnung, weil sich der Beschwerdeführer nach Drohungen und Anwerbungsversuchen durch die Taliban - indirekt durch seine Flucht - geweigert hat, für die Taliban zu arbeiten.

Die Echtheit der vorgelegten Schreiben betreffend die Tätigkeit seines Bruders für die Amerikaner in Afghanistan kann nicht festgestellt werden.

Die staatlichen Behörden in Afghanistan können dem Beschwerdeführer weder in seiner Heimatregion noch in einem anderen Teil Afghanistans Schutz vor Verfolgung durch die Taliban bieten. Dem Beschwerdeführer steht eine zumutbare innerstaatliche Flucht- und Schutzalternative nicht zur Verfügung.

Es liegen keine Gründe vor, nach denen ein Ausschluss des Beschwerdeführers hinsichtlich der Asylgewährung zu erfolgen hat. Solche Gründe sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Zur Lage in Afghanistan werden die im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Gesamtaktualisierung vom 13.11.2019, in den UNHCR Richtlinien vom August 2018 und den EASO Leitlinien zu Afghanistan vom Juni 2018 enthaltenen folgenden Informationen als entscheidungsrelevant festgestellt:

1.3.1. Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus. In einigen Teilen des Landes ist fehlende Sicherheit die größte Bewegungseinschränkung. In bestimmten Gebieten machen Gewalt durch Aufständische, Landminen und improvisierte Sprengfallen (IEDs) das Reisen besonders gefährlich, speziell in der Nacht. Bewaffnete Aufständischen Gruppen betreiben illegale Checkpoints und erpressen Geld und Waren.

1.3.1.1. Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu. Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten.

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht. In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt. Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden; auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US- Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren.

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert; auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen. Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant.

1.3.1.2. Herkunftsprovinz Kabul

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, an Nangarhar im Südosten, an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten: Bagrami, Chaharasyab/Char Asiab, Dehsabz/Deh sabz, Estalef/Istalif, Farza, Guldara, Kabul Stadt, Kalakan, Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar, Mirbachakot/Mir Bacha Kot, Musayi/Mussahi, Paghman, Qarabagh, Shakardara, Surobi/Sorubi.

Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt.

In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt. Menschen aus unsicheren Provinzen, auf der Suche nach Sicherheit und Jobs, kommen nach Kabul - beispielsweise in die Region Shuhada-e Saliheen. In der Hauptstadt Kabul existieren etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer/innen und IDPs wohnen.

Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen: den Hamid Karzai International Airport (HKIR). Auch soll die vierspurige "Ring Road", die Kabul mit angrenzenden Provinzen verbindet, verlängert werden.

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen, die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben. Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen. Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte.

Im Zeitraum 1.1.2017- 30.4.2018 wurden in der Provinz 410 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

Im gesamten Jahr 2017 wurden 1.831 zivile Opfer (479 getötete Zivilisten und 1.352 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 4% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Für Kabul-Stadt wurden insgesamt 1.612 zivile Opfer registriert; dies bedeutet eine Steigerung von 17% im Gegensatz zum Vorjahr 2016 (440 getötete Zivilisten und 1.172 Verletzte).

Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen. Selbstmordangriffe und komplexe Attacken, aber auch andere Vorfallsarten, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich.

Militärische Operationen und Maßnahmen der afghanischen Regierung in der Provinz Kabul Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt. Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden (MF 18.3.2018). Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind. Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt. Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen. Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt. Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden. Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt - alles dazwischen muss geräumt werden.

Regierungsfeindliche Gruppierungen in der Provinz Kabul

Sowohl die Taliban als auch der IS verüben öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffe in der Stadt Kabul, auch dem Haqqani- Netzwerk wird nachgesagt, Angriffe in der Stadt Kabul zu verüben. So existieren in der Hauptstadt Kabul scheinbar eine Infrastruktur, Logistik und möglicherweise auch Personal ("terrorists to hire"), die vom Haqqani-Netzwerk oder anderen Taliban-Gruppierungen, Splittergruppen, die unter der Flagge des IS stehen, und gewaltbereiten pakistanischen sektiererischen (anti-schiitischen) Gruppierungen verwendet werden.

Zum Beispiel wurden zwischen 27.12.2017 und 29.1.2018 acht Angriffe in drei Städten ausgeführt, zu denen neben Jalalabad und Kandahar auch Kabul zählte - fünf dieser Angriffe fanden dort statt. Nichtsdestotrotz deuten die verstärkten Angriffe - noch - auf keine größere Veränderung hinsichtlich des "Modus Operandi" der Taliban an.

Für den Zeitraum 1.1.2017 - 31.1.2018 wurden in der Provinz Kabul vom IS verursachte Vorfälle registriert (Gewalt gegenüber Zivilist/innen und Gefechte).

1.3.2. Wirtschafts- und Versorgungslage

Zur Wirtschafts- und Versorgungslage ist festzuhalten, dass Afghanistan weiterhin ein Land mit hoher Armutsrate und Arbeitslosigkeit ist. Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist. Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden. Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut auch im Jahr 2018 weiterhin zu.

In den Jahren 2016-2017 wuchs die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013-2014 bei 22,6% gelegen hatte, um 1%. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. Über 40% der erwerbstätigen Bevölkerung gelten im Jahr 2018 als arbeitslos oder unterbeschäftigt. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können.

Die afghanische Regierung hat Bemühungen zur Armutsreduktion gesetzt und unterstützt den Privatsektor weiterhin dabei, nachhaltige Jobs zu schaffen und das Wirtschaftswachstum voranzutreiben. Die Ausstellung von Gewerbeberechtigungen soll gesteigert, steuerliche Sanktionen abgeschafft und öffentlich-private Partnerschaften entwickelt werden; weitere Initiativen sind geplant (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. TD 28.12.2017).

1.3.3. Rechtsschutz/ Justiz

Gemäß Artikel 116 der Verfassung ist die Justiz ein unabhängiges Organ der Islamischen Republik Afghanistan. Die Judikative besteht aus dem Obersten Gerichtshof, den Berufungsgerichten und den Hauptgerichten, deren Gewalten gesetzlich geregelt sind. Die wichtigste religiöse Institution des Landes ist der Ulema-Rat, eine nationale Versammlung von Religionsgelehrten, die u.a. den Präsidenten in islamrechtlichen Angelegenheiten berät und Einfluss auf die Rechtsformulierung und die Auslegung des existierenden Rechts hat.

Das afghanische Justizwesen beruht sowohl auf dem islamischen [Anm.: Scharia] als auch auf dem nationalen Recht. Die rechtliche Praxis in Afghanistan ist komplex: Einerseits sieht die Verfassung das Gesetzlichkeitsprinzip und die Wahrung der völkerrechtlichen Abkommen, einschließlich Menschenrechtsverträge, vor, andererseits formuliert sie einen unwiderruflichen Scharia-Vorbehalt.

Das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren ist in der Verfassung verankert, wird aber in der Praxis selten umgesetzt. Die Umsetzung der rechtlichen Bestimmungen ist innerhalb des Landes uneinheitlich.

Obwohl das islamische Gesetz in Afghanistan üblicherweise akzeptiert wird, stehen traditionelle Praktiken nicht immer mit diesem in Einklang; oft werden die Bestimmungen des islamischen Rechts zugunsten des Gewohnheitsrechts missachtet, welches den Konsens innerhalb der Gemeinschaft aufrechterhalten soll. Unter den religiösen Führern in Afghanistan bestehen weiterhin tiefgreifende Auffassungsunterschiede darüber, wie das islamische Recht tatsächlich zu einer Reihe von rechtlichen Angelegenheiten steht. Dazu zählen unter anderem das Frauenrecht, Strafrecht und -verfahren, die Verbindlichkeit von Rechten gemäß internationalem Recht und der gesamte Bereich der Grundrechte.

Laut dem allgemeinen Islamvorbehalt in der Verfassung darf kein Gesetz im Widerspruch zum Islam stehen. Trotz großer legislativer Fortschritte in den vergangenen 14 Jahren gibt es keine einheitliche und korrekte Anwendung der verschiedenen Rechtsquellen (kodifiziertes Recht, Scharia, Gewohnheits-/Stammesrecht). Eine Hierarchie der Normen ist nicht gegeben, so ist nicht festgelegt, welches Gesetz im Fall eines Konflikts zwischen dem traditionellen islamischen Recht und seinen verschiedenen Ausprägungen einerseits und der Verfassung und dem internationalen Recht andererseits zur Anwendung kommt. Diese Unklarheit und eine fehlende Autoritätsinstanz zur einheitlichen Interpretation der Verfassung führen nicht nur zur willkürlichen Anwendung eines Rechts, sondern auch immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen.

Die mangelnde Präsenz eines formellen Rechtssystems in ruralen Gebieten führt zur Nutzung lokaler Schlichtungsmechanismen. Das formale Justizsystem ist in den städtischen Zentren relativ stark verankert, da die Zentralregierung dort am stärksten ist, während es in den ländlichen Gebieten - wo ungefähr 76% der Bevölkerung leben - schwächer ausgeprägt ist. In einigen Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle setzen die Taliban ein paralleles auf der Scharia basierendes Rechtssystem um.

Die Unabhängigkeit des Justizwesens ist gesetzlich festgelegt; jedoch wird die afghanische Judikative durch Unterfinanzierung, Unterbesetzung, inadäquate Ausbildung, Unwirksamkeit und Korruption unterminiert. Rechtsstaatliche (Verfahrens-)Prinzipien werden nicht konsequent angewandt.

Korruption stellt weiterhin ein Problem innerhalb des Gerichtswesens dar.

1.3.4. Sicherheitsbehörden

In Afghanistan gibt es drei Ministerien, die mit der Wahrung der öffentlichen Ordnung betraut sind: das Innenministerium (MoI), das Verteidigungsministerium (MoD) und das National Directorate for Security (NDS). Das MoD beaufsichtigt die Einheiten der afghanischen Nationalarmee (ANA), während das MoI für die Streitkräfte der afghanischen Nationalpolizei (ANP) zuständig ist.

Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte (CIA 2018). Bestandteile der ANDSF sind die afghanische Nationalarmee (ANA), die afghanische Nationalpolizei (ANP) und die afghanischen Spezialsicherheitskräfte (ASSF). Die ANA beaufsichtigt alle afghanischen Boden- und Luftstreitkräfte inklusive der konventionellen ANA-Truppen, der Luftwaffe (AAF), des ANA- Kommandos für Spezialoperationen (ANASOC) des Spezialmissionsflügels (SMW) und der afghanischen Grenzpolizei (ABP) (die ABP seit November 2017, Anm.). Die ANP besteht aus der uniformierten afghanischen Polizei (AUP), der afghanischen Nationalpolizei für zivile Ordnung (ANCOP), der afghanischen Kriminalpolizei (AACP), der afghanischen Lokalpolizei (ALP), den afghanischen Kräften zum Schutz der Öffentlichkeit (APPF) und der afghanischen Polizei zur Drogenbekämpfung (CNPA). Auch das NDS ist Teil der ANDSF.

Die afghanische Nationalarmee (ANA) überwacht und kommandiert alle afghanischen Boden- und Luftstreitkräfte. Die ANA ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen.

Mit Stand 31. Jänner 2018 betrug der Personalstand der ANA 184.572 Mann. Im Vergleich zum Jänner 2017 ist die Anzahl der ANA-Streitkräfte um 6.861 Mann gestiegen. Die monatlichen Ausfälle der ANA im vorhergehenden Quartal betrugen mit Stand 26. Februar 2018 im Durchschnitt 2%. Im letzten Jahr blieben sie relativ stabil unter 2%.

1.3.5. Terroristische und aufständische Gruppierungen

Die Taliban haben eine Vielzahl von Personen ins Visier genommen, die sich ihrer Meinung nach "fehlverhalten", unter anderem Kollaborateure der afghanischen Regierung - praktisch jeder, der der Regierung in irgendeiner Weise hilft.

Die Taliban bieten diesen Personen grundsätzlich die Möglichkeit an, Reue und den Willen zur Wiedergutmachung zu zeigen. Im Grunde steht jeder auf der schwarzen Liste, der (aus Sicht der Taliban) ein "Übeltäter" ist, und dessen Identität und Anschrift die Taliban ausfindig machen können.

Die Taliban haben ein Netzwerk an Spitzeln in Afghanistan, allein in der Stadt Kabul sind drei verschiedene Taliban Nachrichtendienste nebeneinander aktiv. Es heißt, dass die verschiedenen Nachrichtendienste der Taliban in Kabul über 1.500 Spione in allen 17 Stadtteilen haben. Selbst die, die umsiedeln, laufen Gefahr, auf dem Weg an den Straßensperren der Taliban festgehalten zu werden. Die Taliban behaupten, dass sie, dank ihrer Spione bei der Grenzpolizei am Flughafen Kabul und auch an vielen anderen Stellen, überwachen können, wer in das Land einreist. Sie geben an, regelmäßig Berichte darüber zu erhalten, wer neu ins Land einreist.

Die Taliban beobachten alle Fremden, die in den Dörfern und Kleinstädten unter ihrer Kontrolle ankommen genau, genauso wie die Dorfbewohner, die in Gebiete unter Regierungskontrolle reisen. Sie fürchten offensichtlich, ausspioniert zu werden und versuchen, die Rekrutierung von Informanten durch die Regierung zu beschränken. Wer in die Taliban-Gebiete ein- oder ausreist sollte die Reise überzeugend begründen können, möglichst belegt mit Nachweisen über Geschäftsabschlüsse, medizinische Behandlung etc. Wenn die Taliban einen Schuldigen suchen, der für die Regierung spioniert haben soll, ist jeder, der verdächtigt wird, sich an die Behörden gewandt zu haben, in großer Gefahr.

Die Mehrheit der Taliban sind Paschtunen.

Die Rekrutierung aus anderen ethnischen Gruppen ist weniger üblich. Um eine breitere Außenwirkung zu bekommen, möchte die Talibanführung eine stärkere multiethnische Bewegung entwickeln.

1.3.6. Auszug aus der BFA Arbeitsübersetzung vom 23.08.2017, Afghanistan: Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne:

"(...) Die nachrichtendienstliche Tätigkeit der Taliban ist mittlerweile ziemlich flächendeckend, aber die Qualität der Informationen, die die Taliban-Führung erreichen, ist nicht immer die beste. Es zählt zu den Hauptaufgaben dieser Dienste, die Einschüchterungskampagne der Taliban gegen 'Kollaborateure' der Kabuler Regierung und gegen andere Feinde der Taliban zu ermöglichen. Der Taliban-Führung scheint daran gelegen zu sein, willkürliche Gewaltanwendung möglichst zu vermeiden und sich nach klar definierten Regeln ausschließlich auf Personen zu konzentrieren, die eindeutig Taliban-Gegner sind. Zwar werden die Regeln nicht immer eingehalten, aber die Führung scheint sich redlich darum zu bemühen (...)".

1.3.7. Auszug aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 08.06.2017, Rekrutierung von Tadschiken durch Taliban:

"Nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass die Taliban in Afghanistan und auch in der Provinz Logar, Kommandanten gegnerischer Truppen ebenso wie Kämpfer, welche der Volksgruppe der Tadschiken angehören, an- bzw. abwerben.

Nachfolgend zitierter Quellen werden eine Vielzahl von Mechanismen zur Rekrutierung, einschließlich von Rekrutierungsmechanismen, welche auf Zwangsmaßnahmen beruhen eingesetzt. Während einzelne Quellen berichten, dass eine Verwendung von Gewalt bei der Rekrutierung ungewöhnlich sei und meist freiwillig erfolge, gibt es auch Berichte darüber, dass Personen und deren Familienangehörige, welche sich einer Rekrutierung widersetzen, gefährdet sind, mit schwerwiegenden Körperstrafen bestraft oder getötet zu werden.

(...)

Das Afghanistan Analysts Network berichtet am 3.1.2017, dass die Talibanbewegung in der nördlichen Provinz Badakhshan, eine Provinz, welche nie erobert worden ist als die Taliban in den 1990er Jahren an der Macht waren, an Boden gewinnt. In den letzten zwei Jahren ist eine neue Generation von Kämpfern entstanden - weitgehend von tadschikischen Talibans -, welche eine ernsthafte Herausforderung für die afghanischen Sicherheitskräfte (ANSF) darstellt. Dieser Erfolg scheint zum Teil auf die Rekrutierungspolitik zurückzuführen zu sein, welche im Gegensatz zu den 1990er-Jahren, lokale Nicht-Paschtunen als Kämpfer und für Schlüsselpositionen in den Provinzen einzusetzen bevorzugt.

Die Strategie der Taliban zur Aufnahme von Nicht-Paschtunen in ihre Kader in von Tadschiken dominierten Gebieten, hat nicht nur militärische Erfolge, sondern auch politische gebracht. Die Propaganda-Website der Aufständischen hat wiederholt Filmbeiträge sowie Vorträge von tadschikischen Kommandanten präsentiert, um den Aufstand als eine landesweite, supranationale Bewegung darzustellen. Diese Darstellung des Aufstandes hat dazu beigetragen, neue Führungspersönlichkeiten auf lokaler Ebene zu generieren und weiterhin Kämpfer, die nicht der Gruppe der Paschtunen angehören, hervorzubringen."

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellung zum Namen und Geburtsdatum des Beschwerdeführers ergibt sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, in der Beschwerde, in den im Verfahren erstatteten Stellungnahmen und in den mündlichen Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers gründen sich auf seine diesbezüglich glaubhaften Angaben; das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen - im gesamten Verfahren gleich gebliebenen und sich mit den Länderberichten zu Afghanistan deckenden - Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.

Die Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Geburtsort, seinen Aufenthaltsorten, seinem schulischen Werdegang, seinem Familienstand, seinen Familienangehörigen und seinen Lebensumständen in Afghanistan waren im Wesentlichen gleichbleibend und widerspruchsfrei, weitgehend chronologisch stringent und vor dem Hintergrund der bestehenden sozioökonomischen Strukturen in Afghanistan plausibel.

Die Feststellungen zum Sprachniveau und den Integrationsschritten des Beschwerdeführers in Österreich ergeben sich aus den im gesamten Verfahren vorgelegten Unterlagen.

Die Feststellungen zu seiner Lebensgefährtin ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers in der Beschwerdeverhandlung, sowie der Aussage der Lebensgefährtin als Zeugin in der Beschwerdeverhandlung.

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.

2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

2.2.1. Das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers lautet auf das Wesentliche zusammengefasst, dass ein Bruder des Beschwerdeführers namens XXXX mehrere Jahre lang für die Amerikaner in Mazar- e Sharif gearbeitet hätte. Deshalb wären der Beschwerdeführer und seine Familie in das Visier der Taliban geraten. Der Beschwerdeführer wäre zwei Mal von den Taliban bedroht und nach seinem für die Amerikaner tätigen Bruder befragt worden. Beim ersten Mal wäre er auf dem Weg zur Schule von Taliban bedroht worden. Das zweite Mal wären der Beschwerdeführer und sein kleiner Bruder von den Taliban mitgenommen und zu einem Mullah gebracht worden. Dort wären ihnen Fotos und Videos darüber gezeigt worden, was mit Ungläubigen geschehen würde. Sie hätten auch beten und schwören müssen, dass sie nicht mit den Amerikanern zusammenarbeiten. Sie hätten auch wiederkommen und richtig beten lernen sollen. Nachdem sie freigelassen worden wären und ihrem Vater von dem Vorfall berichtet hätten, hätte ihr Vater die Ausreise des Beschwerdeführers und seines kleinen Bruders aus Afghanistan organisiert. Als der Beschwerdeführer bereits auf der Flucht gewesen wäre, hätte ihm sein Vater erzählt, dass er einen Drohbrief der Taliban erhalten hätte.

Das diesbezügliche Vorbringen des Beschwerdeführers im Verlauf des Verfahrens ist im Wesentlichen schlüssig, vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Strukturen in Afghanistan plausibel, weitgehend widerspruchsfrei, substantiiert und angereichert mit lebensnahen Details sowie im Einklang mit den ins Verfahren eingebrachten Länderberichten.

Der Beschwerdeführer zeichnete insbesondere in den mündlichen Verhandlungen in seinen Aussagen und seinem Antwortverhalten ein glaubwürdiges Bild der geschilderten Vorfälle, präsentierte keine einstudierte lineare Fluchtgeschichte und vermittelte so den Eindruck, die dargestellten Ereignisse tatsächlich erlebt zu haben.

2.2.2. An dieser Stelle wird beweiswürdigend folgendes hervorgehoben:

2.2.2.1. Der Beschwerdeführer brachte sowohl in der Erstbefragung als auch in der Einvernahme bei der belangten Behörde und im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung beim Bundesverwaltungsgericht die fluchtauslösenden Ereignisse, nämlich die versuchte Zwangsrekrutierung durch die Taliban und die Tätigkeit seines Bruders für die Amerikaner, welche die Familie in den Fokus der Taliban gebracht hat, im Wesentlichen gleichbleibend, widerspruchsfrei und auf Nachfragen detailliert vor.

Hinsichtlich der Tätigkeit seines Bruders schilderte der Beschwerdeführer in allen Stadien des Verfahrens, dass sein Bruder für die Amerikaner in Mazar-e Sharif gearbeitet hätte und der Beschwerdeführer und seine Familie deshalb bedroht worden wären. Der Bruder hätte sehr gut Englisch gesprochen und mehrere Jahre zunächst für die Kanadier, dann für die Amerikaner gearbeitet (vgl. AS 113f). Konkret hätte er im Funkbereich gearbeitet (vgl. S 17 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 26.03.2018).

Der Beschwerdeführer konnte auch nachvollziehbar erklären, weshalb die Probleme für den Beschwerdeführer erst im Jahr 2016 akut wurden, obwohl der Bruder bereits zuvor mehrere Jahre für die Amerikaner tätig war.

Bereits in der Einvernahme bei der belangten Behörde gab er nämlich an, dass er noch sehr jung gewesen wäre und daher bis kurz vor seiner Ausreise noch kein potenzielles Ziel für die Taliban gewesen wäre (vgl. AS 115).

Auch in der Beschwerdeverhandlung am 25.02.2020 antwortete er auf die Frage seiner Vertreterin, wieso die Situation für ihn im Jahr 2016 so gefährlich geworden wäre, dass er flüchten hätte müssen, dass er vermute, dass sie zuvor noch zu jung gewesen wären und sein kleiner Bruder und er schließlich in ein Alter gekommen wären, in dem sie für die Taliban als Soldaten interessant geworden wären (vgl. S 11 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 25.02.2020). Auch dies erachtet der erkennende Richter als glaubhaft und nachvollziehbar.

Dem Beschwerdeführer wurde in der Beschwerdeverhandlung auch vorgehalten, dass sein Bruder XXXX , der für die Amerikaner gearbeitet habe, erst im Jahr 2017 aus Afghanistan geflohen und in die Türkei gereist sei, der Beschwerdeführer selbst aber bereits 2016 Afghanistan verlassen habe. Der Beschwerdeführer erklärte dazu, dass die Bedrohung für XXXX nichts Neues gewesen wäre. Einige seiner Freunde wären bereits umgebracht worden. XXXX hätte während seiner Tätigkeit für die Amerikaner im einem Heim gelebt, indem sich auch die Ausländer aufgehalten hätten. Deshalb wäre er nicht in einer direkten Gefahr gewesen. Er wäre an einem sicheren Ort gewesen. Als XXXX seine Tätigkeit für die Amerikaner im Jahr 2017 beendet hätte, wäre er aber unmittelbar danach ausgereist (vgl. S 8f der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 25.02.2020).

Seine Angaben bezüglich der Tätigkeit seines Bruders für die Amerikaner konnte der Beschwerdeführer auch durch vorgelegte Beweismittel belegen. So legte er Bestätigungen von Arbeitgebern seines Bruders in Afghanistan sowie Fotos seines Bruders vor (vgl. AS 123ff).

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt bei diesem Beweisanbot nicht, dass in zahlreichen Verfahren vor der belangten Behörde und dem Bundesverwaltungsgericht die Echtheit von Unterlagen aus Afghanistan zweifelhaft ist.

Im vorliegenden Beschwerdeverfahren gilt es dazu auszuführen, dass der Beschwerdeführer in seinen Aussagen und seinem Antwortverhalten ein glaubwürdiges Bild der geschilderten Vorfälle mitsamt den angeführten Beweisanboten präsentierte und sein Aussageverhalten aus Sicht des erkennenden Richters keine einstudierte, sondern eine lineare Fluchtgeschichte ist. Er vermittelte den Eindruck, dass sein Bruder tatsächlich für die Amerikaner in Afghanistan tätig war und sich daraus aus die weiterführenden Probleme mit den Taliban ergeben haben.

2.2.2.2. Zum mit der Tätigkeit seines Bruders für die Amerikaner zusammenhängenden Vorbringen, dass der Beschwerdeführer von den Taliban bedroht worden wäre und versucht worden wäre, ihn gegen seinen Willen zu rekrutieren, ist auszuführen, dass er die geschilderten Vorfälle gleichbleibend und nachvollziehbar geschildert hat.

Wie bereits dargelegt ist es nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer erst im Jahr 2016 in das Visier der Taliban geraten ist, weil er zuvor noch zu jung war.

Der Beschwerdeführer schilderte sowohl in der Einvernahme bei der belangten Behörde (vgl. AS 113), als auch in der Beschwerdeverhandlung (vgl. S 18ff der Niederschrift vom 26.03.2018) gleichbleibend, dass es zwei Mal zu Vorfällen mit den Taliban gekommen wäre. Beim ersten Zusammentreffen auf der Straße wäre er von den Taliban nach seinem Bruder, der für die Amerikaner gearbeitet hat, gefragt worden. Beim zweiten Mal wäre er mit seinem kleinen Bruder unterwegs gewesen und von den Taliban aufgefordert worden, in ein Auto zu steigen. Sie wären zu einem Mullah gebracht worden und wieder nach dem für die Amerikaner tätigen Bruder gefragt worden. Man hätte ihnen Videos über die Truppen in Syrien und im Irak sowie über die Tätigkeit der Taliban in ihrem Kampf gegen die Ausländer gezeigt. Dem Beschwerdeführer wären auch Fotos gezeigt worden, wie die Amerikaner in Gefängnissen foltern und dem Beschwerdeführer wäre vorgeworfen worden, dass sein Bruder den Amerikanern helfe. Der Mullah hätte dem Beschwerdeführer gesagt, dass der Islam Leute wie ihn brauchen würde. Es wäre wie ein Anwerbungsgespräch gewesen. Der Beschwerdeführer erzählte lebhaft und sichtlich mitgenommen, dass sein kleiner Bruder während der Anhaltung durch den Mullah bzw. die Taliban ständig geweint hätte. Da sein kleiner Bruder Asthma habe, wäre es ihm sehr schlecht gegangen (vgl. S 18ff der Niederschrift vom 26.03.2018).

Der Beschwerdeführer schilderte den Vorfall insgesamt sehr lebensnah und emotional und entstand der Eindruck, dass er die Geschehnisse tatsächlich selbst erlebt hat. Er berichtete auch, dass es nach diesem Anwerbungsgespräch zwar keine weitere Bedrohung durch die Taliban gegeben hätte, dies aber auch nur deshalb, weil sie nach dem Vorfall nicht mehr zur Schule gehen durften und der Vater sie ungefähr eineinhalb Wochen - und somit auch zeitnah -außer Landes geschickt hätte (vgl. S 19 der Niederschrift vom 26.03.2018).

2.2.2.3. Der Beschwerdeführer erwähnte sowohl in der Einvernahme bei der belangten Behörde (vgl. AS 113), als auch in den Beschwerdeverhandlungen (vgl. S 16f der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 26.03.2018, vgl. S 10f der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 25.02.2020), dass sein Vater, nachdem der Beschwerdeführer bereits aus Afghanistan ausgereist gewesen sei, Drohbriefe der Taliban erhalten hätte.

Darin wäre verlangt worden, dass sie die Taliban unterstützen und der Bruder des Beschwerdeführers wäre aufgefordert worden, seine Tätigkeit für die Amerikaner zu beenden. Der Beschwerdeführer konnte die Drohbriefe bisher nicht vorlegen, da sie sich noch in Afghanistan befinden würden. Sein Vater hätte ihm gesagt, dass er illegal ausgereist wäre und es ihm nicht möglich gewesen wären, die Briefe mitzunehmen. Es würde die Drohbriefe noch geben. Sie wären bei einem Freund des Vaters in Afghanistan gelagert (vgl. S 17 der Niederschriftlich der Beschwerdeverhandlung vom 25.02.2020). Auf Nachfrage gab der Beschwerdeführer an, dass er seinen Vater zwar gebeten hätte, die Briefe zu schicken. Der Vater hätte ihm aber mitgeteilt, dass er seinen Freund derzeit nicht erreichen können (vgl. S 10f der Niederschriftlich der Beschwerdeverhandlung vom 26.03.2018).

Hinsichtlich der Drohbriefe ist zwar zu bemängeln, dass der Beschwerdeführer diese nicht vorgelegt hat und daher keine Aussagen darüber getätigt werden kann, ob die Briefe echt sind und den Briefen eine aktuelle Bedrohung entnommen werden kann. Da der Beschwerdeführer aber im gesamten Verfahren gleichbleibende Aussagen dazu getätigt hat, schmälert die Nichtvorlage der Drohbriefe nicht die grundsätzliche Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers.

2.2.2.4. Der Beschwerdeführer konnte in der Beschwerdeverhandlung auch nachvollziehbar darlegen, dass er bzw. seine Familie nach wie vor im Visier der Taliban stehen, auch wenn sein Bruder die Tätigkeit für die Amerikaner bereits beendet hat.

Er gab nämlich an, dass sein Vater berichtet habe, dass die Taliban Leute, die für die Regierung gearbeitet hatten und die Arbeit längst aufgegeben hatten, aus ihren Häusern rausgeschliffen und umgebracht hätten. Wenn die Taliban einen Dolmetscher oder jemanden der für die Ausländer arbeitet ergreifen, sagen die Ergriffenen um ihr Leben zu retten, dass sie die Arbeit aufgeben werden und anfangen mit ihnen zusammen zu arbeiten, sie glauben das aber nicht und bringen trotzdem die Leute um (vgl. S 9 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 25.02.2020).

2.2.2.5. Das Vorbringen des Beschwerdeführers ist auch im Lichte der in den Feststellungen zu Afghanistan enthaltenen Ausführungen, insbesondere zum Vorgehen der Taliban gegen Mitarbeiter von Armee und Polizei bzw. regierungsnahen (ausländischen) Firmen sowie zu den Rekrutierungsversuchen der Taliban, plausibel.

Den Feststellungen ist zu nämlich zu entnehmen, dass Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung prioritäre Ziele der Aufständischen sind. Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert. Der Bruder des Beschwerdeführers, der als Funker für die Amerikaner tätig war, fällt in diese Risikogruppe. Weiters ist den Feststellungen zu entnehmen, dass die Mehrheit der Taliban zwar Paschtunen sind, die Taliban aber auch bemüht sind, auch Angehörige anderer Volksgruppen, z.B. Tadschiken, wie es der Beschwerdeführer ist, anzuwerben.

2.2.2.6. Dass das Fluchtvorbringen der Wahrheit entspricht, ergibt sich für den erkennenden Richter auch aus den persönlichen Umständen des Beschwerdeführers bzw. seiner Familienangehörigen im Herkunftsstaat.

Der Beschwerdeführer gab an, dass er in Afghanistan elf Jahre lang die Schule besucht hat. Sein Vater wäre für den Lebensunterhalt der Familie aufgekommen. Der Familie des Beschwerdeführers wäre es finanziell gut gegangen. Die Familie hätte ein Eigentumshaus besessen und Grundstücke gehabt. Sein Vater hätte in einer Geldwechselstube gearbeitet (vgl. S 8f der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 26.03.2018). Mittlerweile musste fast die gesamte Familie aus Afghanistan ausreisen und lebt im Iran bzw. in der Türkei.

Ein derart wirtschaftlich und sozial stabiles Umfeld grundlos aufzugeben, erscheint nicht nachvollziehbar. Die Bedrohung durch die Taliban ist daher auch deshalb sehr wahrscheinlich.

2.2.3. Die durch die Länderberichte belegte, über einen langen Zeitraum äußerst volatile Sicherheitslage in der Heimatregion des Beschwerdeführers, Kabul, die hohe Präsenz der Taliban und die Vielzahl von sicherheitsrelevanten Vorfälle zeigen, dass derzeit nicht davon ausgegangen werden kann, dass die staatlichen Sicherheitsbehörden im Hinblick auf die dortige Verfolgung durch die Taliban den Beschwerdeführer hinreichend schützen können.

Dem Beschwerdeführer steht auch keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung, da die Taliban in ganz Afghanistan ein Netzwerk an Spitzeln und Nachrichtendiensten haben, wie aus den Länderfeststellungen hervorgeht.

Es ist daher mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass es den Taliban gelingen wird, den Beschwerdeführer, dessen Bruder glaubhaft für die Amerikaner gearbeitet hat und der selbst glaubhaft von den Taliban zu einer Mitarbeit aufgefordert wurde, sich dieser aber durch seine Flucht entzogen hat, im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan zu finden und sich herumsprechen würde, dass er von seiner Flucht zurückgekehrt ist und ihm bei einer Rückkehr in weiterer Folge Gewalt von Seiten der Taliban droht. Dass der afghanische Staat derzeit landesweit nicht in der Lage ist, den Beschwerdeführer vor dieser Bedrohung hinreichend zu schützen, zeigt sich aus den Länderberichten, wonach die Taliban im gesamten Staatsgebiet wieder an Einfluss gewinnen und viele Teile des Landes unter ihrer Kontrolle haben.

2.2.4. Das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers wird daher insgesamt als glaubhaft erachtet und wird eine weitere beweiswürdigende Auseinandersetzung mit den vorgebrachten Fluchtgründen nicht vorgenommen.

2.3. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen.

Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit dieser Angaben zu zweifeln. Insbesondere wurde auch mit den Ausführungen in den Stellungnahmen des Beschwerdeführers den verwendeten Berichten nicht substantiiert entgegengetreten.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zu A) Stattgabe der - zulässigen - Beschwerde:

3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. etwa VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden Verfolgung nur dann Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines erörtert - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl. VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191, mwN).

Gemäß § 3 Abs. 3 Z 1 und § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Asylantrag abzuweisen, wenn dem Asylwerber in einem Teil seines Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihm der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann ("innerstaatliche Fluchtalternative"). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann (vgl. zur Rechtslage vor dem AsylG 2005 z.B. VwGH 15.3.2001, 99/20/0036; 15.3.2001, 99/20/0134, wonach Asylsuchende nicht des Schutzes durch Asyl bedürfen, wenn sie in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen). Damit ist - wie der Verwaltungsgerichtshof zur Genfer Flüchtlingskonvention judiziert - nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 9.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "inländischen Flucht- oder Schutzalternative" (VwGH 9.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal wirtschaftliche Benachteiligungen auch dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 8.11.2007, 2006/19/0341, mwN)

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist der Begriff der "Glaubhaftmachung" im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd ZPO zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der [Beschwerdeführer] die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, dh er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG, § 45, Rz 3, mit Judikaturhinweisen). Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der "hierzu geeigneten Beweismittel", insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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