TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/23 W102 2174030-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.03.2020
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Entscheidungsdatum

23.03.2020

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §2 Abs1 Z15
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §75 Abs24
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W102 2174030-1/20E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Werner ANDRÄ als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch RA. Mag. Robert BITSCHE, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, vom 22.09.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 25.05.2018 zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Pashai, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Republik Österreich ein und stellte am 01.12.2015 erstmals im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der Erstbefragung am 02.12.2015 gab der Beschwerdeführer zum Fluchtgrund befragt im Wesentlichen an, sein Bruder habe jemanden getötet und werde er beschuldigt, die Tat gemeinsam mit dem Bruder begangen zu haben. Die Behörden und die Angehörigen des Getöteten würden ihn verfolgen, die Angehörigen seien auch Taliban. Auch sei er als Lehrer beschäftigt gewesen und für das Rote Kreuz und sei er deshalb ebenfalls von den Taliban bedroht worden.

In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 24.10.2016 führte der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen auf das Wesentliche zusammengefasst aus, er habe für das Rote Kreuz und als Lehrer gearbeitet. Die Taliban hätten ihn beschuldigt, als Spion tätig zu sein und hätten ihn festnehmen wollen. Sein Bruder habe einen Talib ermordet, der den Beschwerdeführer hätte töten wollen. Er habe den Beschwerdeführer angerufen, ihm davon erzählt und ihm geraten, so schnell wie möglich zu flüchten. Die Taliban seien zum Haus gekommen und hätten es versiegelt. Er werde als Mörder beschuldigt und habe auch Angst vor den Familienangehörigen des Ermordeten. Er habe sich noch etwa drei Monate im Gebirge versteckt und sein dann geflüchtet. Er habe auch Blutgeld bezahlen wollen, dies sei aber nicht gegangen. Der älteste Sohn müsse in die Schule der Taliban gehen

2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 22.09.2017, zugestellt am 03.10.2017, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.), erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG, erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.). Begründend führte die belangte Behörde aus, die Fluchtgeschichte sei nicht glaubhaft.

3. Gegen den oben dargestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.09.2017 richtet sich die am 13.10.2017 bei der belangten Behörde eingelangte vollumfängliche Beschwerde, in der der Beschwerdeführer sich insbesondere gegen die Beweiswürdigung der belangten Behörde wendet, Länderberichte in das Verfahren einbringt und ausführt, er werde als Mitarbeiter einer Hilfsorganisation und als von Blutrache Betroffener asylrelevant verfolgt.

Das Bundesverwaltungsgericht führte zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes am 25.05.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, seine bevollmächtigte Rechtsvertreterin und eine Dolmetscherin für die Sprache Paschtu teilnahmen. Die belangte Behörde verzichtete auf die Teilnahme.

Im Zuge der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt und hielt sein Vorbringen, er werde wegen eines Mordes, den der Bruder begangen habe und wegen seiner Tätigkeit für das Rote Kreuz verfolgt, im Wesentlichen aufrecht.

Am 14.06.2018 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers am Bundesverwaltungsgericht ein.

Mit Schreiben vom 05.09.2019 um Zustimmung zur Weitergabe von Aktenbestandteilden zwecks Durchführung einer Vorortrecherche ersucht, die mit Schreiben vom 22.10.2019 am Bundesverwaltungsgericht einlangte.

Mit Beschluss vom 25.10.2019 gab das Bundesverwaltungsgericht eine Erhebung im Herkunftsstaat in Auftrag, deren Ergebnis am 22.01.2020 am Bundesverwaltungsgericht einlangte.

Mit Schreiben vom 11.02.2020 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde das Ergebnis der beauftragten Erhebung, brachte aktuelle Länderberichte in das Verfahren ein und gab dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde die Gelegenheit zur Stellungnahme.

Am 28.02.2020 brachte der Beschwerdeführer einige Dokumente in Vorlage.

Der Beschwerdeführer legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:

* Taskira des Beschwerdeführers

* Kopien zweier "Drohbriefe"

* Kopien zweier "Haftebefehle"

* Afghanisches Kurszertifikat

* Afghanisches Schulabschlusszeugnis

* Unterlagenkonvolut betreffend die Tätigkeit als Lehrer

* Trainingsbestätigung des ICRC Kabul

* Deutschkursbestätigungen

* Bestätigungen über gemeinnützige Arbeit

* ÖSD Zertifikat A1 vom 21.02.2017

* ÖSD Zertifikat A2 vom 28.03.2018

* Einige Empfehlungsschreiben

* Bestätigung eines aufrechten Lehrverhältnisses

* Lehrvertrag des Beschwerdeführers

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, geboren im Jahr XXXX und ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Pashai und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Pashai. Er spricht auch Paschtu und Dari.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Der Beschwerdeführer wurde in einem Dorf im Distrikt XXXX , Provinz Kapisa geboren. Der Vater des Beschwerdeführers gehörte zum kommunistischen Regime und ist im Krieg gefallen, darum nahm der Onkel väterlicherseits den Beschwerdeführer und seinen jüngeren Bruder in seine Obhut.

Die Mutter des Beschwerdeführers ist ebenso verstorben.

Der Beschwerdeführer besuchte im Herkunftsstaat zwölf Jahre die Schule und absolvierte anschließend eine zweijährige Ausbildung zum Lehrer. Danach arbeitete er etwa zwei Jahre in der Herkunftsprovinz als Lehrer und zugleich auch für das Rote Kreuz. Außerdem hat er landwirtschaftliche Grundstücke.

Der Beschwerdeführer ist verheiratet und hat vier Kinder. Die Frau des Beschwerdeführers lebt mit den gemeinsamen Kindern in XXXX bei ihren Eltern.

Der Beschwerdeführer steht mit seiner Familie in Kontakt.

Der jüngere Bruder des Beschwerdeführers ist unbekannten Aufenthalts, die Schwester des Beschwerdeführers ist verheiratet und lebt in der Herkunftsprovinz.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Zwischen der Familie des Beschwerdeführers und einem Cousin des Vaters des Beschwerdeführers bestand seit Jahrzehnten ein Grundstückstreit.

Etwa im März oder April 2015 wurde dieser Cousin des Vaters vom Bruder des Beschwerdeführers getötet, während der Beschwerdeführer in der Schule war. Der Bruder informierte den Beschwerdeführer telefonisch darüber und flüchtete. Es ist eine Blutfehde entstanden. Der Beschwerdeführer versteckte sich zunächst einige Monate im Gebirge in der Hütte eines Freundes und versuchte von dort aus, eine Versöhnung zu erreichen. Als dies nicht gelang, flüchtete der Beschwerdeführer.

Der Beschwerdeführer versteckte sich danach einige Monate im Gebirge in der Hütte eines Freundes und versuchte von dort aus, eine Versöhnung zu erreichen. Als dies nicht gelang, verließ er schließlich den Herkunftsstaat.

Der Cousin des Vaters verfügte über Einfluss innerhalb der Taliban und sein Sohn nutzte diesen Einfluss zur Rache an der Familie des Beschwerdeführers und entführte im Jahr 2017 den damals etwa zwölfjährigen Sohn des Beschwerdeführers, hielt ihn drei Tage lang fest, misshandelte und vergewaltigte ihn und schickte ihn schließlich nachhause.

Es wird nicht festgestellt, dass der Beschwerdeführer vor dem fluchtauslösenden Vorfall durch die Taliban bedroht wurde, weil er als Lehrer und für das Rote Kreuz gearbeitet hat.

Der Beschwerdeführer hat wegen des fluchtauslösenden Vorfalles mit strafrechtlicher Verfolgung afghanischer Behörden nicht zu rechnen.

Im Fall der Rückkehr in die Herkunftsprovinz drohen dem Beschwerdeführer Übergriffe und Misshandlungen bis hin zur Tötung durch den Sohn des getöteten Cousins des Vaters. Insbesondere besteht auch die Gefahr, dass dieser erneut seinen Einfluss innerhalb der Taliban nützt, um den Beschwerdeführer zu erreichen.

Der Beschwerdeführer kann sich Übergriffen durch seinen Widersacher nicht durch Umzug innerhalb des Landes entziehen und auch nicht erwarten, dass die afghanischen Behörden ihn vor Übergriffen durch den Widersacher schützen können.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers, seiner Staatsangehörigkeit und Herkunft, seiner Volksgruppenzugehörigkeit, seinen Sprachkenntnissen sowie Lebensumständen und Lebenswandel bis zur Einreise nach Österreich ergeben sich aus seinen gleichbleibenden und plausiblen Angaben im Lauf des Verfahrens. Zudem hat der Beschwerdeführer seine afghanische Taskira vorgelegt und sind Zweifel an deren Echtheit und Richtigkeit im Lauf des Verfahrens nicht hervorgekommen. Überdies bestätigt der vom Bundesverwaltungsgericht zur Erhebung im Herkunftsstaat beauftrage Dr. XXXX die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Identität und Lebensgeschichte des Beschwerdeführers im Wesentlichen.

Die Feststellung zur Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem im Akt einliegenden aktuellen Strafregisterauszug.

Die Feststellung, dass der Vater des Beschwerdeführers zum kommunistischen Regime gehörte und im Krieg gefallen ist, beruht auf dem Ergebnis der Erhebung im Herkunftsstaat, wobei der Beschwerdeführer durchgehend angegeben hat, dass sein Vater verstorben ist. Dass der Beschwerdeführer und sein jüngerer Bruder nach dem Tod des Vaters in die Obhut des Onkels väterlicherseits kamen, beruht ebenso auf dem Ergebnis der Nachforschung. Dass seine Mutter verstorben ist, hat der Beschwerdeführer durchgehend angegeben. Die Feststellung zu den landwirtschaftlichen Grundstücken beruht auf den diesbezüglichen plausiblen Angaben des Beschwerdeführers.

Zur Feststellung, dass der Beschwerdeführer für das Rote Kreuz gearbeitet hat, ist zunächst auszuführen, dass der Beschwerdeführer dies durchgehend angegeben hat. Weiter hat auch die vom Bundesverwaltungsgericht beauftragte Erhebung im Herkunftsstaat ergeben, dass der Beschwerdeführer für das Rote Kreuz gearbeitet hat. Zudem ergibt sich aus der sachverständigen Einschätzung von Dr. XXXX , dass die Taliban die Tätigkeit von afghanischen Mitarbeitern internationaler NGOs, deren Projekte auch den Taliban zu Gute kommen, in ihren Herrschaftsbereichen grundsätzlich dulden, Personen aber diese Tätigkeit zum Vorwurf machen, wenn sie mit ihnen in Konflikt geraten. Damit ist der beweiswürdigenden Argumentation der belangten Behörde, es sei nicht nachvollziehbar, warum der Beschwerdeführer angesichts des Risikos für das Rote Kreuz gearbeitet habe, allerdings der Boden entzogen (angefochtener Bescheid S. 69, AS 267), nachdem er bei Aufnahme dieser Tätigkeit nicht per se davon ausgehen musste, Übergriffen der Taliban ausgesetzt zu sein. Auch erweist es sich nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht - wie die belangte Behörde vermeint - als unplausibel, dass der Beschwerdeführer, trotzdem er bereits aus seinem Bauernhof und seiner Tätigkeit als Lehrer ein gutes Einkommen hatte, für das Rote Kreuz arbeitete, um mehr zu verdienen. Nach Ansicht des erkennenden Richters des Bundesverwaltungsgerichts entspricht es durchaus der allgemeinen Lebenserfahrung, dass Menschen im Normalfall die Gelegenheit, ihr Einkommen zu verbessern, ergreifen, wenn sich eine solche bietet und zwar auch dann, wenn das aktuelle Einkommen bereits ausreicht, um den Bedarf zu decken.

Zu seiner Schullaufbahn und zu seiner Ausbildung und Tätigkeit als Lehrer hat der Beschwerdeführer überdies Zertifikate und Zeugnisse in Vorlage gebracht und bestätigt auch das Ergebnis der Nachforschung, dass der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat als Lehrer und für das Rote Kreuz gearbeitet hat. Zudem ging auch die belangte Behörde bereits davon aus, dass der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat als Lehrer tätig war und verneinte lediglich eine daraus resultierende etwaige Bedrohung.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer verheiratet ist, ergibt sich zunächst aus den diesbezüglich gleichbleibenden Angaben des Beschwerdeführers, wobei der Beschwerdeführer bereits in der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 24.10.2016 angegeben hat, seine Ehefrau sei seine Cousine (Einvernahmeprotokoll S. 3, AS 41). Die Erhebung im Herkunftsstaat liefert das gleiche Ergebnis. Gleiches gilt dafür, dass der Beschwerdeführer vier Kinder hat.

Die Feststellung, dass die Frau des Beschwerdefürhers mit den gemeinsamen Kindern beim Schwiegervater des Beschwerdeführers lebt, beruht auf dem Erhebungsergebnis.

Dass Kontakt zur Familie besteht, hat der Beschwerdeführer durchgehend angegeben.

Zum Aufenthalt des jüngeren Bruders ist auszuführen, dass die Erhebung ergeben hat, dass dieser ebenso (vor dem Beschwerdeführer) geflüchtet ist und gab der Beschwerdeführer dieser durchgehend an, seither keinen Kontakt mehr zum Bruder zu haben.

2.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Die Feststellung zum Grundstücksstreit und der Blutfehde beruhen auf dem Ergebnis der Erhebung im Herkunftsstaat von Dr. XXXX unter Berücksichtigung der vom Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 11.02.2020 in das Verfahren eingebrachten Länderberichte in Zusammenschau mit den Angaben des Beschwerdeführers.

So schildert der EASO Informationsbericht über das Herkunftsland Afghanistan: Gezielte Gewalt gegen Individuen aufgrund gesellschaftlicher und rechtlicher Normen von Dezember 2017, dass Landstreitigkeiten in Afghanistan weit verbreitet seien und dass insbesondere die Einmischung bewaffneter Gruppierungen und mächtiger Persönlichkeiten im Lichte des schwachen Rechtsstaates zu Landkonflikten beitrage (Kapitel 6. Landstreitigkeiten, S. 80 f.). Landstreitigkeiten würden einen wichtigen Grund für individuelle und kommunale Konflikte darstellen, schnell eskalieren und in Gewalt umschlagen, woraus mitunter Blutfehden entstehen würden. 25 % der Landstreitigkeiten würden Feindseligkeiten und Blutfehden nach sich ziehen und etwa 70 % der schweren Gewaltverbrechen, wie beispielsweise Morde, seien auf Landstreitigkeiten zurückzuführen. Sie finden zwischen allen ethnischen Gruppen statt (Kapitel 6.1. Gewaltbereitschaft, S. 82). Spezifisch zum Zusammenhang zwischen Blutfehden und Landstreitigkeiten berichtet der EASO Informationsbericht über das Herkunftsland Afghanistan: Gezielte Gewalt gegen Individuen aufgrund gesellschaftlicher und rechtlicher Normen von Dezember 2017 weiter, dass diese mitunter dadurch entstehen, dass Landstreitigkeiten in Gewalt umschlagen und eine Person ermordet wird, deren Tod gerächt werden muss. Dabei könne sich eine Blutfehde auch entzünden, wenn eine Person im Rahmen von Streitigkeiten zufällig getötet wird. Die Blutfehde entstehe in diesem Fall nicht wegen des Landes selbst, sondern als Vergeltung für "Morde" zu denen es infolge der Auseinandersetzung gekommen sei. Es sei mitunter schwierig, die miteinander verschränkten Beweggründe für die Gewalt zu entwirren. Beschuldigungen würden bisweilen auch konstruiert, um Wettbewerber anzugreifen und auszuschalten oder um sich deren Land anzueignen (Kapitel 7.4 Zusammenhänge mit dem in Afghanistan herrschenden Konflikt sowie mit Landstreitigkeiten, persönlichen Konflikten und anderen wechselseitig abhängigen Motiven, S. 97). Zumeist würden erwachsene Männer getötet, in der Regel würde Rache an den Brüdern oder direkten männlichen Verwandten des Täters geübt. Auch Frauen und Kinder könnten mitunter von Blutfehden in Mitleidenschaft gezogen werden (Kapitel 7.6 Mordopfer, S. 98 f.).

Sohin ergibt sich auch aus dem Informationsmaterial zur Lage im Herkunftsstaat, dass das Entstehen einer Blutfehde aufgrund einer aus Landstreitigkeiten resultierenden Tötung eine im Herkunftsstaat durchaus häufige Begebenheit ist. Dabei ist an dieser Stelle anzumerken, dass sich daraus, dass der Beschwerdeführer selbst den Grundstücksstreit nicht erwähnt hat, nicht der Schluss darauf ergibt, dass das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers als Ganzes nicht glaubhaft ist. Zunächst haben sich - wie schon ausgeführt - die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Identität, Herkunft und Berufstätigkeit als glaubhaft erwiesen, gleiches gilt im Wesentlichen auch für die Angaben des Beschwerdeführers zum Verbleib von Frau und Kindern im Herkunftsstaat. Auch die namentlichen Angaben des Beschwerdeführers zum getöteten und seinen Beziehungen zu den Taliban wurden von der Erhebung im Herkunftsstaat bestätigt.

Dazu, dass das Bundesverwaltungsgericht - entgegen dem Ergebnis der Erhebung, demzufolge der Beschwerdeführer und sein Bruder einen Mann umgebracht haben - davon ausgeht, dass die Tötung - wie vom Beschwerdeführer angegeben - durch den Bruder des Beschwerdeführers ohne Beteiligung des Beschwerdeführers erfolgte, ist auszuführen, dass zwar die Erhebung im Herkunftsstaat ergeben hat, der Beschwerdeführer habe mit seinem Bruder den Cousin des Vaters, nämlich XXXX , der als XXXX bekannt war, im Monat Hamal 1394 (= März/April 2015) im Dorf XXXX getötet, sowie dass der Grund für diese Tat ein Jahrzehnte alter Grundstücksstreit mit dem Getöteten sei.

Der Beschwerdeführer hat allerdings durchgehend gleichbleibend angegeben, an dieser Tötung nicht beteiligt gewesen zu sein. So gab er bereits im Zuge der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 02.12.2015 an, sein Bruder habe jemanden getötet und werde er beschuldigt, diese Tat gemeinsam mit seinem Bruder begangen zu haben (Erstbefragungsprotokoll S. 6, AS 6). Dementsprechend schildert der Beschwerdeführer auch in der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 24.10.2016 genauer, dass sein Bruder diese Person umgebracht, den Beschwerdeführer angerufen und ihm von dem Vorfall erzählt habe (Einvernahmeprotokoll S. 7, AS 45). Den gleichen Ablauf schildert der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 25.05.2018 (Verhandlungsprotokoll S. 3), wobei insbesondere die Schilderung des Beschwerdeführers über die Wut auf seinen Bruder, weil dieser sein Leben und das Leben seiner Kinder durcheinandergebracht habe, dem persönlichen Eindruck nach höchst glaubhaft war (Verhandlungsprotokoll S. 3). Zudem war sich der Beschwerdeführer als gebildeter und mit afghanischer "Tradition" vertrauter Mensch der Auswirkungen einer Tötung des Widersachers auf seine Familie insbesondere unter Berücksichtigung von dessen Talibanverbindungen zweifellos bewusst. So bestand die Familie des Beschwerdeführers, nachdem sich die Rache nach der Flucht des Beschwerdeführers und seines jüngeren Bruders bereits am damals zwölfjährigen Sohn des Beschwerdeführers entlud, offenbar nicht aus weiteren "wehrfähigen" Männern (siehe dazu die bereits oben zitierte Passage zu den primären Rachezielen im Rahmen einer Blutrache: EASO Informationsbericht über das Herkunftsland Afghanistan: Gezielte Gewalt gegen Individuen aufgrund gesellschaftlicher und rechtlicher Normen von Dezember 2017, Kapitel 7.6 Mordopfer, S. 98). Derartiges hat auch die Erhebung im Herkunftsstaat nicht ergeben. Weiter deutet auch der Versuch des Beschwerdeführers, den Konflikt durch die Zahlung eines Blutgeldes zu lösen, darauf hin, dass er sich der Schwäche seiner Familie als Partei dieses Konfliktes bewusst war. So berichtet die vom Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 11.02.2020 in das Verfahren eingebrachte SFH-Länderanalyse zu Afghanistan: Blutrache und Blutfehde vom 7. Juni 2017, dass die Übung von Vergeltung insbesondere ein Signal der betroffenen Familie für Stärke und die Fähigkeit, sich verteidigen zu können, sei (Kapitel 1 Blutrache und Blutfehde, S. 2).

Gleiches könnte zwar für den jüngeren Bruder des Beschwerdeführers gelten, allerdings ist zu berücksichtigen, dass dieser mit etwa 18 oder 19 Jahren im Zeitpunkt des fluchtauslösenden Vorfalles deutlich jünger ist, als der Beschwerdeführer und insbesondere das Wohl eigener Kinder und einer Ehefrau nicht zu berücksichtigen hatte. Auch war die gleichbleibende Schilderung des Beschwerdeführers von seinem Tag bis zum Anruf des Bruders, die der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung lebensnah und in Übereinstimmung mit seinen Angaben in der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 24.10.2016 schilderte, für den erkennenden Einzelrichter des Bundesverwaltungsgerichts überzeugend. Wenn aber dem Beschwerdeführer allgemein unterstellt wird, an der Tat des Bruders beteiligt gewesen zu sein, so war zu erwarten, dass auch die Erkundung im Herkunftsstaat, die der Beschriebenen Methode zufolge durch Befragung von Personen in XXXX erfolgte, dieses Ergebnis liefert.

Der Zeitpunkt der Tötung ergibt sich einerseits aus dem Ergebnis der Erhebung im Herkunftsstaat und andererseits aus dem vom Beschwerdeführer damit im Einklang stehend geschilderten Zeitablauf. So hat der Beschwerdeführer in der Erstbefragung am 02.12.2015 angegeben, etwa zweieinhalb Monate auf der Reise gewesen zu sein, hat sich anschließend einige Monate im Gebirge versteckt und am 01.12.2015 im Bundesgebiet seinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Hieraus ergibt sich ein geschlossener und konsistenter zeitlicher Ablauf der Ereignisse.

Zur Feststellung, dass der Beschwerdeführer sich zunächst einige Monate im Gebirge in der Hütte eines Freundes versteckt und von dort aus versucht hat, eine Versöhnung zu erreichen, ist auszuführen, dass der Beschwerdeführer bereits in seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 24.10.2016 angab, er sei zunächst ins Gebirge gegangen und habe versucht, das Problem zu lösen. Er sei erst ausgereist, nachdem dies nicht erfolgreich gewesen sei (Einvernahmeprotkoll S. 9, AS 47). In etwa gleichbleibend schildert der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 25.05.2018 er habe zunächst noch vier bis fünf Monate in der Hütte verbracht und seinen Freund nach etwa drei Monaten um Vermittlung gebeten (Verhandlungsprotokoll S. 3). Insbesondere betonte der Beschwerdeführer in der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde, er sei auch bereit gewesen, Blutgeld zu bezahlen (Einvernahmeprotokoll S. 9, AS 47), wobei sich aus dem EASO Informationsbericht über das Herkunftsland Afghanistan: Gezielte Gewalt gegen Individuen aufgrund gesellschaftlicher und rechtlicher Normen von Dezember 2017 zur Beilegung von Blutfehden ergibt, dass unter anderem mit Bitte um Vergebung und Zahlung eines Blutgeldes die Blutfehde beendet werden könne. Insbesondere für einen Mord Vergebung zu erhalten, sei nicht leicht, weil in der paschtunischen Gesellschaft diejenigen, die ein solches Verbrechen verzeihen, als entwürdigt und feige gelten würden. Personen, die keine Rache üben oder den Fall den Behörde melden oder eine Wiedergutmachung annehmen würden, würden mitunter als moralisch schwach betrachtet (Kapitel 7.7.1 Bitte um Vergebung und Wiedergutmachung im Paschtunwali, S. 99 f.). Damit erweist sich die Schilderung des Beschwerdeführers, er habe zunächst versucht, den Konflikt zu lösen und sei erst, als sich dies als aussichtslos erwies, geflüchtet, vor dem Hintergrund der Länderinformation als plausibel.

Der Beschwerdeführer selbst verknüpft in seinem Fluchtvorbringen die Entstehung der Blutfehde ausschließlich mit seiner Tätigkeit als Lehrer und für das Rote Kreuz. Hierzu berichten die vom Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 11.02.2020 in das Verfahren eingebrachten UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender von 30.08.2018, dass regierungsfeindliche Kräfte Mitarbeiter internationaler oder afghanischer humanitärer Hilfsorganisationen angreifen, darunter auch afghanische Staatsbürger, die für internationale NGOs arbeiten. Solche Personen seien getötet, entführt und eingeschüchtert worden (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 1. Personen die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung und der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen, Buchstabe e) Mitarbeiter humanitärer Hilfs- und Entwicklungsorganisationen, S. 49-50). Weiter berichten die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender von 30.08.2018, dass insbesondere die Taliban systematische Angriffe auf Regierungsbeamte und Staatsbedienstete ausführen, so auch Lehrer (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 1. Personen die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung und der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen, Buchstabe a) Regierungsbeamte und Staatsbedienstete, S. 46-47). Auch die ebenso vom Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 11.02.2020 in das Verfahren eingebrachte EASO, Country Guidance: Afghanistan von Juni 2019 berichtet hinsichtlich Personen, die in Bildungseinrichtungen arbeiten, dass es Vorfälle gegeben habe, in deren Zuge Mitarbeiter von Bildungseinrichtungen angegriffen worden seien, dies hänge jedoch von der lokalen Dynamik des Konfliktes und seinen konkreten Akteuren ab. Grundsätzlich würden Mitarbeiter von Bildungseinrichtungen nicht bloß auf dieser Tatsache ihrer Tätigkeit angegriffen (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 7. Educational personnel, S. 54-55). Auch zu Mitarbeitern internationaler NGOs berichten die EASO, Country Guidance: Afghanistan von Juni 2019, dass es Vorfälle gab, in deren Zuge bedroht, misshandelt oder entführt worden seien. Auch hier gilt jedoch, dass der Umstand der Mitarbeit für sich noch nicht zu einer Gefährdung führt, sondern individuelle Faktoren Berücksichtigung finden müssen (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 8. Humanitarian workers and healthcare professionals, S. 55). Damit übereinstimmend führt auch Dr. XXXX aus, grundsätzlich würden die Taliban in ihren Herrschaftsregionen die Tätigkeiten afghanischer Mitarbeiter internationaler NGOs, deren Projekte den Taliban zu Gute kommen, in ihren Herrschaftsregionen weitgehend dulden. Wenn allerdings ein Lehrer oder Mitarbeiter des Roten Kreuzes mit den Taliban in Konflikt gerate, werde ihm Spionage vorgeworfen.

Die Schilderungen des Beschwerdeführers zur Bedrohung vor der Tötung durch den Bruder enthalten jedoch kein "Konflikt-Schlüsselereignis", das eine konkreten Gefährdung des Beschwerdeführers aufgrund seiner Tätigkeit für das Rote Kreuz oder als Lehrer erklären würden. So schilderte der Beschwerdeführer etwa im Zuge der mündlichen Verhandlung, die Taliban hätten ihn eingeladen, sich ihnen anzuschließen und er habe sich geweigert. Hierin erschöpfen sich die Angaben des Beschwerdeführers, was nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts im Vergleich zu den sonstigen Angaben des Beschwerdeführers, die mit wesentlich höherer Detaildichte vorgetragen sind, jede Erzähltiefe vermissen lässt. Auch den Schilderungen des Beschwerdeführers zu dieser behaupteten Bedrohung in der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde fehlt jede erzählerische Tiefe und Lebendigkeit. So beschränkt sich der Beschwerdeführer dort im Wesentliche auf die platte Behauptung, die Taliban hätten ein Problem mit ausländischen Organisationen und hätten ihn bloß aufgrund seiner Tätigkeit für das Rote Kreuz verurteilt und der Spionage bezichtigt und behauptet, alle Lehrer in Afghanistan würden Probleme mit den Taliban bekommen. Weil er beides gemacht habe, sei es für ihn besonders schlimm gewesen. Dies erweist sich - abgesehen von der fehlenden Lebendigkeit der Schilderungen - vor dem Hintergrund der oben zitierten Länderberichte (EASO, UNHCR) als nichtzutreffend. Das vom Beschwerdeführer dagegen geschilderte Ereignis über den Brunnen und das zerschlagene Schild erwecken zwar wiederum angesichts der Art der Schilderung, die ein konkretes Ereignis beschreibt und sich nicht auf Floskeln reduziert, den Eindruck, dass dieses Ereignis tatsächlich stattgefunden hat. Der Beschwerdeführer schildert jedoch hier ein Ereignis, das zwei Jahre vor dem fluchtauslösenden Vorfall stattgefunden haben soll. So gibt er an, den Brunnen ungefähr zwei Jahre vor der Ausreise ausgegraben zu haben und ein Schild daneben gestellt zu haben. Die Taliban hätten das Schild allerdings erst eineinhalb Jahre nach dem Angriff der Amerikaner zerschlage und damit etwa ein halbes Jahr vor dem Vorfall. Hieraus ergibt sich kein logischer Zusammenhang zu möglichen Verfolgungshandlungen gegen den Beschwerdeführer. So lebte dieser durchgehend gut greifbar im Talibangebiet und ging seiner Tätigkeit als Lehrer nach. So berichtet der vom Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 11.02.2020 in das Verfahren eingebrachte EASO COI Report: Afghanistan. Security situation von Juni 2019, dass sich die Kämpfe zwischen Taliban und Regierungstruppen bereits ab 2012 intensiviert hätten und wird auch bereits für diese Zeit von Gebieten unter Taliban-Kontrolle berichtet. Für das Jahr 2015 wird berichtet, XXXX zähle zu den unsichersten Distrikten der Provinz. Auch aktuell wird für den Herkunftsdistrikt von offener Talibanpräsenz berichtet (Kapitel 2.17 Kapisa, S. 175 ff., insbesondere Unterkapitel 2.17.2 Conflict background and actors in Kapisa, S. 176). Damit ist nicht plausibel, dass die Taliban sich - wie es der Beschwerdeführer schildert - mehrere Monate auf folgenlose Drohungen gegen den Beschwerdeführer beschränken sollten. Zu den in Vorlage gebrachten Drohbriefen ist auszuführen, dass diese - ungeachtet sonstiger Überlegungen zur deren Echtheit und Richtigkeit - ihrer Datierung zufolge (03.05.2015 und 18.05.2015) aus dem Zeitraum stammen, in dem der Beschwerdeführer sich im Gebirge versteckt hielt. Der Beschwerdeführer behauptet in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht zudem, er habe einen weiteren Drohbrief etwa einen Monat vor diesen beiden Briefen erhalten (Verhandlungsprotokoll S. 6). Diesen habe er verloren und deshalb nicht vorgelegt. Dies fällt im Wesentlichen mit dem Zeitpunkt der Tötung zusammen und belegt - selbst im Fall der ausdrücklich offen gelassenen - Existenz dieses Drohbriefes ebenso wenig, dass der Beschwerdeführer bereits vorher mehrere Monate - wie von ihm behauptete - einer Bedrohung der Taliban ausgesetzt gewesen sein will. In Zusammenschau mit den bereits dargelegten Überlegungen kommt das Bundesverwaltungsgericht daher zu dem Schluss, dass der Beschwerdeführer keine Bedrohung durch die Taliban bloß aufgrund seiner Tätigkeit als Lehrer und für das Rote Kreuz ausgesetzt war und hat eine entsprechende Feststellung getroffen. Überdies kann damit auch verneint werden, dass die Tötung durch den Bruder in einem Zusammenhang mit einer Bedrohung des Beschwerdeführers von Seiten der Taliban vor dieser Tötung steht.

Zur vom Beschwerdeführer behaupteten Anzeige wegen Mordes an die afghanischen Behörden ist zunächst anzumerken, dass die Erhebung im Herkunftsstaat keinen Hinweis darauf ergeben hat und dass der Mord im Taliban-Gebiet passiert sei, weswegen der Staat in den Konflikt insofern nicht eingreifen und auch nicht an den Tatort fahren könne. Es sei allerdings möglich, dass ein Akt darüber angelegt worden sei, weil der Beschwerdeführer Angestellter des Staates gewesen sei, jedoch hätten sich Hinweise auf eine Beschäftigung der Behörden mit der Angelegenheit nicht ergeben. Zudem lässt sich dem SFH-Länderanalyse zu Afghanistan: Blutrache und Blutfehde vom 7. Juni 2017 entnehmen, dass die Anzeige eines Mordes bei den staatlichen Behörden sowie Verhandlungen über finanzielle Entschädigung als Schwäche ausgelegt würden und als Zeichen ausgelegt würde, dass eine Familie nicht stark genug sei, um ihre Ehre zu verteidigen (Kapitel 1 Blutrache und Blutfehde, S. 2). Der Beschwerdeführer behauptete nun - wie bereits ausgeführt - plausibel, dass sich der Konflikt nicht durch Zahlung eines Blutgeldes habe lösen lassen. Vor dem Hintergrund des eben zitierten Berichtes ist damit allerdings wenig wahrscheinlich, dass dann eine Anzeige an die afghanischen Behörden erfolgt sein sollte. Weiter berichtet der SFH-Länderanalyse zu Afghanistan: Blutrache und Blutfehde vom 7. Juni 2017 zur Frage, ob der afghanische Staat Schutz vor einer Blutfehde bieten kann, dass Straflosigkeit und Korruption weit verbreitet seien, die rechtsstaatlichen Strukturen seien schwach. Staatliche Institutionen würden kaum Schutz vor Blutrache bieten und könnten eine Blutrache nicht verhindern oder beenden und seien auch oft nicht willens, dies zu tun. Der Zugang zu staatlichem Schutz hänge von finanziellen Mitteln und Einfluss der betroffenen Familie ab. Die Behörden würden sich unter Umständen für den Fall interessieren, wenn ausreichende Bestechungsgelder gezahlt würden. Generell könne die Polizei eine von Blutrache betroffene Person jedoch nicht wirksam schützen. Insbesondere, wenn ein Polizeiangehöriger in die Blutfehde verwickelt sei, sei staatliche Schutz extrem unwahrscheinlich (Kapitel 2 Schutz durch den Staat, S. 6 f.). Der Beschwerdeführer behauptete nun in der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde, dass seine Widersacher nicht nur Einfluss bei den Taliban hätten, sondern auch, dass diese über Einfluss bei den afghanischen Behörden verfügen würden. Die Erhebung im Herkunftsstaat hat in Übereinstimmung mit dem Beschwerdeführer zwar bestätigt, dass der Getötete über Einfluss bei den Taliban verfügte und sein Sohn diesen Einfluss zur Rache am Beschwerdeführer nützt. Anhaltspunkte dafür, dass auch Verbindungen zu den Sicherheitsbehörden bestehen, bestehen allerdings nicht. Zudem ergibt sich aus der SFH-Länderanalyse zu Afghanistan: Blutrache und Blutfehde vom 7. Juni 2017, dass Verbindungen zur Polizei sich insbesondere insofern auswirken, als damit noch schwieriger wird, staatlichen Schutz vor der Bedrohung zu erhalten (Kapitel 2 Schutz durch den Staat, S. 7). Nicht berichtet wird von der Instrumentalisierung der afghanischen Sicherheitsbehörden zur Befriedigung der eigenen Rachegelüste. Vor dem Hintergrund, dass der Gegner des Beschwerdeführers keine Einigung anstrebt und auf Rache sinnt, sowie unter der Berücksichtigung dessen, dass die Inanspruchnahme von staatlichem Schutz als Schwäche gilt, ist die vom Beschwerdeführer aufgestellt Behauptung, der Widersacher würde allfällige zur Polizei bestehende Netzwerke zur strafrechtlichen Verfolgung des Beschwerdeführers nutzen, nicht konsistent. Damit konnte der Beschwerdeführer weder glaubhaft machen, dass ihm im Herkunftsstaat strafrechtliche Verfolgung droht, noch, dass sein Widersacher alllfällige Netzwerke zu afghanischen Sicherheitsbehörden instrumentalisiert, um sich am Beschwerdeführer zu rächen.

Allerdings konnte vor dem Hintergrund der oben zitierten Berichte festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer nicht erwarten kann, dass die afghanischen Behörden ihn vor Übergriffen durch den Widersacher schützen können.

Die Feststellung zum auf den Sohn des Beschwerdeführers ausgeführten Übergriff beruht auf dem Ergebnis der Erhebung im Herkunftsstaat. Zwar hat der Beschwerdeführer selbst nicht angegeben, dass sein Sohn entführt, vergewaltigt und misshandelt wurde. Allerdings sind - wie auch im Übrigen hinsichtlich des Erhebungsergebnisses im Allgemeinen - im Lauf des Verfahrens Zweifel an der Gewissenhaftigkeit des beauftragten Dr. XXXX nicht entstanden und ist dieser dem Bundesverwaltungsgericht als zuverlässiger länderkundlicher Gutachter für Afghanistan bekannt. Auch haben weder der Beschwerdeführer noch die belangte Behörde die vom Bundesverwaltungsgericht gebotene Gelegenheit zur Stellungnahme zum mit Schreiben vom 11.02.2020 übermittelten Ergebnis der Erhebung ergriffen und keine Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit oder der Zuverlässigkeit des beauftragten Dr. XXXX an das Bundesverwaltungsgericht herangetragen. Dem Erhebungsergebnis lässt sich jedoch entnehmen, dass sich Hinweise darauf, dass der Sohn des Beschwerdeführers in eine Taliban-Terrorschule gehe, nicht ergeben hätten, jedoch würden alle Kinder in Afghanistan in einem gewissen Alter in die Moschee-Schule gehen. Dass der Sohn jedoch entführt und vergewaltigt wurde, sowie, dass der Täter dafür seinen Einfluss bei den Taliban nutzte und gegen den Sohn des Beschwerdeführers Sippenhaft angewandt hat, ergibt sich klar aus dem Erhebungsergebnis. Zu bemerken ist jedoch, dass der Beschwerdeführer die Bedrohung seines Sohnes durch die Behauptung, dieser sei in eine Talibanschule eingezogen worden, insofern ins Feld führt und auch die im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht glaubhaft scheinende Sorge um den im Herkunftsstaat verbliebenen Sohn auf eine Involvierung des Sohnes in die Angelegenheit hindeutet. Unklar bleibt allerdings, warum der Beschwerdeführer den Schulbesuch des Sohnes konstruiert hat, statt anzugeben, dass dieser ebenso - was sich wie sich vor dem Hintergrund der bereits zitierten Länderberichte als plausibel erweist - aufgrund der Blutfehde gefährdet ist.

Zur Feststellung, dass dem Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr weiterhin Übergriffe und Misshandlungen bis hin zur Tötung durch den Sohn des getöteten Cousins des Vaters drohen, ist dem SFH-Länderanalyse zu Afghanistan: Blutrache und Blutfehde vom 7. Juni 2017 zu entnehmen, dass eine Blutfehde üblicherweise endet, wenn beide Seiten einer förmlichen Beendigung durch einen Versöhnungsprozess zustimmen, bei dem Blutgeld bezahlt werde (Kapitel 1 Blutrache und Blutfehde, S. 3). Gleiches berichtet im Wesentlichen auch der EASO Informationsbericht über das Herkunftsland Afghanistan: Gezielte Gewalt gegen Individuen aufgrund gesellschaftlicher und rechtlicher Normen von Dezember 2017 (Kapitel 7.7 Lösungen und Auswege, S. 99). Ein solcher Versöhnungsprozess hat nicht stattgefunden, weswegen davon ausgegangen werden kann, dass die Blutfehde nach wie vor aufrecht ist. Zudem erweist sich die Aktualität der Angelegenheit auch darin, dass noch im Jahr 2017 - und damit bereits zwei Jahre nach Ausreise des Beschwerdeführers - der Sohn des Beschwerdeführers entführt, festgehalten, vergewaltigt und misshandelt wurde. Die Gefahr ist damit zweifellos weiter aufrecht.

Zur Frage, ob der Beschwerdeführer sich durch Umzug innerhalb des Staatsgebietes entziehen kann, ist dem EASO Informationsbericht über das Herkunftsland Afghanistan: Gezielte Gewalt gegen Individuen aufgrund gesellschaftlicher und rechtlicher Normen von Dezember 2017 zu entnehmen, dass Rache eine starke gesellschaftliche und familiäre Verpflichtung darstellt, es sei daher schwer, einer Blutfehde aus dem Weg zu gehen oder ihr zu wiederstehen. In den Großstädten sei der Einfluss im Zusammenhang mit Blutfehden zwar weniger stark, es sei jedoch nicht zuverlässig möglich, sich einer Blutfehde durch Umzug zu entziehen, eine Konfrontation mit dem offenen Problem sei jederzeit möglich. Insbesondere seien dafür, ob eine Person sich durch Umzug in einen anderen Landesteil entziehen könne, um einer Blutfehde zu entgehen, die jeweiligen Umstände, die Ressourcen und Verbindungen der betroffenen Person, die Intensität der Fehde sowie die Macht und der Einfluss der anderen Parteien ausschlaggebend. Ein Verfolger, der über die notwendigen Mittel verfüge, werde er auch er auch in eine andere Provinz folgen. Insbesondere, wenn die Ehre der Geschädigten betroffen sei, würde es zur "vorrangigen Obsession" der Personen und Familien, die je nach Schwere des Verbrechens bereit seien, alle verfügbaren Ressourcen aufzuwenden, um Rache zu üben (7.7.4 Umzug oder Flucht in eine andere Gegend oder in ein Ballungsgebiet wie Kabul, Kapitel S. 102-103). Dem EASO Informationsbericht über das Herkunftsland Afghanistan: Gezielte Gewalt gegen Individuen aufgrund gesellschaftlicher und rechtlicher Normen von Dezember 2017 lässt sich auch entnehmen, dass sich Aufständische oder bewaffnete Gruppierungen durchaus in örtliche Landstreitigkeiten einmischen (Kapitel 6. Landstreitigkeiten, S. 81) und hat sich der Widersacher des Beschwerdeführers seiner Talibannetzwerke bereits für seinen Übergriff auf den Sohn des Beschwerdeführers bedient. Damit verfügt der Widersacher des Beschwerdefühers über die im obigen Bericht angesprochenen Ressourcen und Verbindungen, sowie eine hohe Verfolgungsmotivation, weswegen im gegenständlichen Fall nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Beschwerdeführer in einer afghanischen Großstadt vor Übergriffen sicher wäre.

Zur Plausibilität und Seriosität der herangezogenen Länderinformationen zur Lage im Herkunftsstaat ist auszuführen, dass das European Asylum Support Office (EASO) nach Art. 4 lit. a Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 zur Einrichtung eines Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen bei seiner Berichterstattung über Herkunftsländer zur transparent und unparteiisch erfolgende Sammlung von relevanten, zuverlässigen, genauen und aktuellen Informationen verpflichtet ist. Damit durchlaufen die länderkundlichen Informationen, die diese Einrichtung zur Verfügung stellen, einen qualitätssichernden Objektivierungsprozess für die Gewinnung von Informationen zur Lage im Herkunftsstaat. Die zudem herangezogene SFH-Länderanalyse zu Afghanistan: Blutrache und Blutfehde vom 7. Juni 2017 zitiert umfassende und anerkannte Quellen und liefert in Zusammenschau mit dem EASO Informationsbericht über das Herkunftsland Afghanistan: Gezielte Gewalt gegen Individuen aufgrund gesellschaftlicher und rechtlicher Normen von Dezember 2017 überdies ein konsistentes Bild der Lage im Herkunftsstaat hinsichtlich des Themenkreises "Blutrache". Zudem haben weder Beschwerdeführer noch belangte Behörde Einwendungen gegen die Seriosität oder inhaltliche Richtigkeit der Berichte erhoben, als das Bundesverwaltungsgericht ihnen mit Schreiben vom 11.02.2020 diesbezüglich die Gelegenheit zur Stellungahme einräumte. Den UNHCR-Richtlinien ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besondere Beachtung zu schenken ("Indizwirkung"), wobei diese Verpflichtung ihr Fundament auch im einschlägigen Unionsrecht findet (Art. 10 Abs. 3 lit. b der Richtlinie 2013/32/EU [Verfahrensrichtlinie] und Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2011/95/EU [Statusrichtlinie]; VwGH 07.06.2019, Ra 2019/14/0114) und der Verwaltungsgerichtshof auch hinsichtlich der Einschätzung von EASO von einer besonderen Bedeutung ausgeht und eine Auseinandersetzung mit den "EASO-Richtlinien" verlangt (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0405). Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich daher auf die angeführten Länderberichte, wobei eine beweiswürdigende Auseinandersetzung im Detail oben erfolgt ist.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zum Antrag des Beschwerdeführers, bei der Distriktsbehörde nachzufragen, ob eine strafrechtliche Anzeige gegen ihn vorliegt

Zum im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 25.05.2018 gestellten Beweisantrag, bei der Distriktbehörde nachzufragen, ob eine strafrechtliche Anzeige gegen den Beschwerdeführer aufgrund der Ermordung eines Taliban-Mitgliedes gegen den Beschwerdeführer vorliegt, weist das Bundesverwaltungsgericht darauf hin, dass gemäß § 33 Abs. 4 BFA-VG die Übermittlung personenbezogener Daten eines Asylwerbers an den Herkunftsstaat nicht zulässig ist. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat diese Bestimmung ihre Grundlage darin, dass im Asylverfahren auf die Kooperation mit Behörden des Herkunftsstaates nicht zurückgegriffen werden kann, nachdem es sich dabei regelmäßig um jenen Staat handelt, von dem der Asylwerber behauptet, verfolgt zu werden und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen will. Der potentielle Verfolgerstaat soll über das Schutzansuchen des Betroffenen nicht informiert werden und zwar nicht zuletzt deshalb, um eine Gefährdung von im Herkunftsstaat verbliebenen Personen, die dem Asylwerber nahestehen oder mit seiner Flucht in Zusammenhang gebracht werden können, zu verhindern. Folglich steht es den Asylbehörden nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht frei, sich durch fallbezogene Anfragen an Behörden des Heimatstaates vom Wahrheitsgehalt der Behauptungen des Asylwerbers zu überzeugen (VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0100).

Das Gesetz sieht dabei - abseits der Regelung der § 33 Abs. 4 und Abs. 5 BFA-VG, die gegenständlich nicht relevant sind - keine Ausnahme von diesem Verbot vor. Insbesondere ist auch nicht im Gesetz vorgesehen, dass dieses Verbot der Disposition des Asylwerbers unterliegen soll.

Dem Antrag war daher nicht zu folgen.

3.2. Zur asylrechtlich relevanten Verfolgungsgefahr wegen Blutrache

Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht, dem Fremden keine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG offen steht und dieser auch keinen Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG gesetzt hat.

Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht einer Person, wenn sie sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb des Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

"Verfolgung" im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs als ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005 umschreibt "Verfolgung" als jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Statusrichtlinie, worunter - unter anderem - Handlungen fallen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 MRK keine Abweichung zulässig ist. Dazu gehören insbesondere das durch Art. 2 MRK geschützte Recht auf Leben und das in Art. 3 MRK niedergelegte Verbot der Folter (zuletzt VwGH 31.07.2018 mwN).

Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierung ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0010 mwN).

Der VwGH hat in seiner Rechtsprechung den Familienverband als "soziale Gruppe" gemäß Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anerkannt. Verfolgung kann daher schon dann Asylrelevanz zukommen, wenn ihr Grund in der bloßen Angehörigeneigenschaft des Asylwerbers, somit in seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe iSd Art. 1 Z 2 GFK, etwa jener der Familie liegt (Vgl. VwGH vom 13.11.2014, Ra 2014/18/0011 mwN).

Der Verwaltungsgerichtshof bejaht in seiner ständigen Rechtsprechung grundsätzlich die Asylrelevanz einer Verfolgung wegen Blutrache unter dem GFK-Anknüpfungspunkt der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der "von Blutrache bedrohten Angehörigen der Großfamilie", sofern sich die Verfolgungshandlungen gegen Personen richten, die in die Rache gegen den unmittelbar Betroffenen bloß aufgrund ihrer familiären Verbindungen zu diesem einbezogen werden (Vgl. etwa VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0011).

Wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt ist der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat in eine Blutfehde verwickelt, weil sein Bruder den Cousin des Vaters des Beschwerdeführers getötet hat und drohen dem Beschwerdeführer Übergriffe und Misshandlungen bis hin zur Tötung durch den Sohn des Getöteten, wobei auch die Gefahr besteht, dass dieser hierzu seinen Einfluss innerhalb der Taliban nützt.

Damit konnte der Beschwerdeführer im Sinne der oben zitierten Judikatur glaubhaft machen, dass ihm im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat Verfolgung durch eine Privatperson wegen seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie des Bruders droht.

Weiter wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer nicht erwarten kann, dass die afghanischen Behörden ihn vor Übergriffen durch den Widersacher schützen können. Damit besteht auch kein staatlicher Schutz im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

Nach § 3 Abs. 3 Z 1 AsylG ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht.

Gemäß § 11 Abs. 1 AsylG ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen, wenn Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann.

Wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt kann sich der Beschwerdeführer Übergriffen nicht durch Umzug innerhalb des Landes entziehen, weswegen Schutz iSd § 11 Abs. 1 AsylG 2005 im gesamten Staatsgebiet nicht gewährleistet ist.

Zudem sind im Verfahren keine Anhaltspunkte für das Vorliegen von Asylausschlussgründen gemäß § 6 AsylG 2005 hervorgekommen.

3.3. Zu weiteren allfällig asylrelevanten Verfolgungsmotiven

Nachdem eine Verfolgungsgefahr wegen der Verstrickung des Beschwerdeführers in eine Blutfehde bereits bejaht wurde, konnten Erwägungen und Feststellungen zu einer möglichen Verfolgungsgefahr wegen der Tätigkeit des Beschwerdeführers für das Rote Kreuz und als Lehrer die allenfalls nach der Tötung durch den Bruder aus dem daraus resultierenden Konflikt mit einer Person, die den Taliban nahesteht, entstanden sein könnten, unterbleiben.

3.5. Zur Anwendbarkeit des § 3 Abs. 4 AsylG

Zu Anwendbarkeit des § 3 Abs. 4 AsylG idF BGBl. I Nr. 24/2016 ist anzumerken, dass die Bestimmung nach § 75 Abs. 24 AsylG auf Fremde, die einen Antrag auf internationalen Schutz vor dem 15.11.2015 gestellt haben, nicht anzuwenden ist. Nachdem der Beschwerdeführer seinen Antrag auf internationalen Schutz am 01.12.2015 gestellt hat, kommt daher § 3 Abs. 4 AsylG idF BGBl. I Nr. 24/2016 zur Anwendung.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes wird das Einreise- und Aufenthaltsrecht des Asylberechtigten unmittelbar kraft Gesetzes bestimmt. Die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter hat somit nach den gesetzlichen Bestimmungen nicht zu erfolgen. Auch gemäß § 3 Abs. 4 AsylG idF BGBl. I Nr. 24/2016 kommt dem Asylberechtigten eine entsprechende Aufenthaltsberechtigung zu, ohne dass eine darüberhinausgehende Erteilung dieser Berechtigung vorzunehmen wäre (VwGH 03.05.2018, Ra 2017/19/0373).

Dem Beschwerdeführer war daher spruchgemäß nach § 3 Abs. 1 AsylG der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen und gemäß § 3 Abs. 5 AsylG die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Ihm kommt damit unmittelbar kraft Gesetzes (VwGH 03.05.2018, Ra 2017/19/0373) eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu, die (vorerst) für drei Jahre gilt.

4. Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG vorliegt. Das Bundesverwaltungsgericht folgt der unter 3.1. zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur potentiellen Asylrelevanz der Blutrache (VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0011). Ansonsten waren beweiswürdigende Erwägungen maßgeblich.

Schlagworte

Asyl auf Zeit Asylgewährung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren befristete Aufenthaltsberechtigung begründete Furcht vor Verfolgung Blutrache Fluchtgründe Flüchtlingseigenschaft Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit inländische Schutzalternative innerstaatliche Fluchtalternative mündliche Verhandlung Sippenhaftung Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W102.2174030.1.00

Im RIS seit

24.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

24.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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