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32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;Norm
AVG §45 Abs1;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 97/15/0180Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Zorn und Dr. Robl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hajicek, über die Beschwerde der GB, vertreten durch Dr. Rudolf Jirovec, Rechtsanwalt in Wien I, Bauernmarkt 24, gegen die Bescheide der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 17. und 18. September 1996, Zlen. GA 10-280/96 und GA 10-280/3/96, betreffend Zurückweisung eines Einspruchs gegen eine Strafverfügung und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Einspruchsfrist gegen die Strafverfügung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom 15. Jänner 1996 wies das Finanzamt Mödling als Finanzstrafbehörde erster Instanz den Einspruch der Beschwerdeführerin gegen die Strafverfügung vom 31. März 1995, Str.L.Nr. 177/93, als nicht fristgerecht eingebracht zurück. Mit Bescheid vom selben Tag wies diese Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand betreffend die Versäumung der Einspruchsfrist gegen die genannte Strafverfügung als unbegründet ab.
Mit den angefochtenen Bescheiden wies die Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland (die belangte Behörde) die als Berufungen bezeichneten Beschwerden gegen die genannten erstinstanzlichen Bescheide ab.
Begründend führte die belangte Behörde aus: Die Strafverfügung vom 31. März 1995 sei am 6. April 1995 durch Hinterlegung beim Postamt 1030 Wien gemäß § 17 Abs. 1 Zustellgesetz zugestellt worden, nachdem zwei Zustellversuche am 5. April 1995 und 6. April 1995 erfolglos geblieben seien. Als Beginn der Abholfrist sei laut Rückschein der 6. April 1995 ausgewiesen. Die Einspruchsfrist habe daher am 8. Mai 1995 geendet, weil der 6. Mai 1995 auf einen Samstag gefallen sei. Die Beschwerdeführerin habe am 25. September 1995 Einspruch erhoben und ihre Ortsabwesenheit geltend gemacht. Diese Ortsabwesenheit habe die Beschwerdeführerin jedoch lediglich für die Zeit vom 14. April 1995 bis 18. April 1995 nachweisen können. Eine längere Ortsabwesenheit sei z.B. durch Bekanntgabe an das Zustellorgan der Post in Form eines Nachsendeauftrages an den österreichischen Urlaubsort nicht nachgewiesen oder glaubhaft gemacht worden. Die Aussage der Beschwerdeführerin sei nicht geeignet, den behaupteten Zustellmangel nachzuweisen. Das Finanzamt Mödling habe daher den Einspruch vom 25. September 1995 zu Recht als verspätet zurückgewiesen. Zu ihrem Wiedereinsetzungsantrag habe die Beschwerdeführerin vorgebracht, nach ihrer Rückkehr aus dem Urlaub keine Verständigung über ein hinterlegtes Poststück vorgefunden zu haben; das Hausbrieffach wäre aufgebrochen und daher für jedermann zugänglich gewesen. Demgegenüber hätten die zuständigen Postzusteller bestätigt, daß im fraglichen Zeitraum die Postkästen in der Göllnergasse 19 nicht beschädigt gewesen wären. Auch Erhebungen an Ort und Stelle hätten ergeben, daß sich die Postkästen in der Göllnergasse 19 derzeit in einem ordnungsgemäßen Zustand befinden. Die Beschwerdeführerin habe eine eidesstattliche Erklärung des Thomas Braun als weiteres Beweismittel vorgelegt, in der sowohl die Ortsabwesenheit der Beschwerdeführerin als auch die Beschädigung des Hausbrieffaches bestätigt würden. Die Finanzstrafbehörde habe gemäß § 98 Abs. 3 Finanzstrafgesetz unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Verfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache erwiesen sei oder nicht. Nach Überprüfung der vorhandenen Beweismittel, insbesondere der Aussagen der Zustellorgane und der Verantwortung der Beschwerdeführerin in Verbindung mit der vorgelegten eidesstattlichen Erklärung sei die Rechtsmittelbehörde zur Überzeugung gelangt, daß die Beschädigung des Hausbrieffaches und das in der Folge behauptete Entfernen der Hinterlegungsanzeige lediglich als Schutzbehauptung zu werten seien. Die Schlußfolgerung der Rechtsmittelbehörde entspreche den Gegebenheiten des tatsächlichen Lebens. Auch die beantragte Zeugeneinvernahme stelle keinen schlüssigen Beweis dar und habe daher entfallen können. In Ermangelung eines "Ereignisses", das zur Versäumung einer Frist geführt habe, sei die Beschwerde abzuweisen.
Gegen diese Bescheide richtet sich die vorerst an den Verfassungsgerichtshof gerichtete Beschwerde, welche von diesem mit Beschlüssen vom 25. November 1996 und 25. Juni 1997, B 3942, 3943/96-3 und 5, nach Ablehnung ihrer Behandlung dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten wurde. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren beantragt die Beschwerdeführerin, die angefochtenen Bescheide "wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit, in eventu infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften" zu beheben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Zutreffend behauptet die Beschwerdeführerin eine Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide durch Unterlassung der beantragten Vernehmung des Zeugen Thomas Braun.
Gemäß § 98 Abs. 3 Finanzstrafgesetz hat die Finanzstrafbehörde unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Verfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache erwiesen ist oder nicht.
Grundsätzlich unterliegen der freien Beweiswürdigung nur aufgenommene Beweise. Es ist unzulässig, ein vermutetes Ergebnis noch nicht aufgenommener Beweise vorwegzunehmen; eine vorweggenommene (antizipative) Beweiswürdigung ist somit unzulässig (Ritz, Bundesabgabenordnung - Kommentar, Tz 7 zu der mit § 98 Abs. 3 FinStrG vergleichbaren Bestimmung des § 167 Abs. 2 mit Hinweisen auf die hg. Rechtsprechung).
Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. unter anderem das Erkenntnis vom 5. August 1993, Zl. 93/14/0026, mit weiteren Hinweisen) wird die Behörde, um sich einerseits der Gefahr einer (unzulässigen) "vorgreifenden" Beweiswürdigung nicht auszusetzen, andererseits dem (verfahrensökonomisch bedingten) Gebot der Zweckmäßigkeit unter Beschränkung des Beweisverfahrens auf "geeignete" Beweismittel Rechnung zu tragen, auf vom Beweisthema erfaßte Beweise nur dann verzichten dürfen, wenn diese von vornherein unzweifelhaft unerheblich sind, weil die Art des Beweismittels oder der Erkenntnisstand eine andere Beurteilung des Verfahrensgegenstandes mit Bestimmtheit ausschließen, oder wenn diese nach Art des Beweismittels der Beurteilung der erkennbaren und von vornherein unzweifelhaften Gegebenheiten zufolge mit Gewißheit zur weiteren Erkenntnis nichts beizutragen vermögen; wenn die Beweise für die Erhebung der Abgaben sohin nicht "wesentlich" sein können.
Im vorliegenden Fall beantragte die Beschwerdeführerin die Vernehmung des Zeugen Thomas Braun zum Beweis dafür, daß sie in der fraglichen Zeit "teils in Österreich, teils im Ausland" auf Urlaub war und überdies das Brieffach der Wohnung der Beschwerdeführerin aufgebrochen war. Diesen durch die Vernehmung des Zeugen Thomas Braun zu beweisenden Tatsachen kann die Relevanz nicht abgesprochen werden; im Falle einer längeren Ortsabwesenheit wäre die Hinterlegung der Strafverfügung unzulässig und rechtsunwirksam, nach wirksamer Zustellung kann die Tatsache des Verlustes der Hinterlegungsanzeige einen Wiedereinsetzungsgrund bilden. Die Relevanz der Behauptungen wird im übrigen von der belangten Behörde erkennbar nicht bestritten, weil die Abstandnahme von der beantragten Zeugenvernehmung nicht mit einer fehlenden Relevanz des Beweisthemas begründet wurde.
Hinsichtlich der Abweisung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verwies die belangte Behörde darauf, daß die beantragte Zeugeneinvernahme keinen "schlüssigen Beweis" darstellen könnte; hinsichtlich der Zurückweisung des Einspruchs fehlt jegliche Begründung für die Abstandnahme von der Vernehmung des beantragten Zeugen.
Vorliegend besteht kein Anlaß zur Annahme, daß die Vernehmung des beantragten Zeugen zum Beweis der behaupteten Tatsachen nach der Art des Beweismittels nicht geeignet wäre oder mit Bestimmtheit eine entsprechende Beurteilung des Verfahrensgegenstandes ausgeschlossen werden könnte. Die belangte Behörde irrt, wenn sie in der Gegenschrift meint, weitere Beweisanträge müßten dann nicht mehr berücksichtigt werden, wenn die Behörde sich aufgrund der bisher vorliegenden Beweise ein klares Bild über die maßgeblichen Sachverhaltselemente habe machen können. In einem solchen Fall stellt die Unterlassung der beantragten Zeugenvernehmung eine unzulässige vorgreifende Beweiswürdigung dar. Nur bei Vorliegen der genannten Umstände hätte die belangte Behörde die beantragte Zeugenvernehmung unterlassen dürfen. Durch die ihr mit Recht vorgeworfene vorgreifende Beweiswürdigung belastete die belangte Behörde die angefochtenen Bescheide mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weshalb diese gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben waren.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich - im Rahmen des Begehrens - auf die §§ 47 Abs. 1, 48 Abs. 1 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1996150247.X00Im RIS seit
03.04.2001