Entscheidungsdatum
29.04.2020Norm
AVG §17 Abs3Spruch
W274 2226258-1/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. LUGHOFER als Vorsitzenden sowie die fachkundigen Laienrichter Prof. KommR POLLIRER und Dr. GOGOLA über die Beschwerde der Landespolizeidirektion XXXX , XXXX , gegen den Bescheid der Datenschutzbehörde, Barichgasse 40-42, 1030 Wien, vom 16.10.2019, GZ: DSB-D124.073/0003-DSB/2019, Beschwerdegegner XXXX , wegen § 1 DSG, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht:
Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben und der bekämpfte Bescheid dahingehend abgeändert, dass er insgesamt (einschließlich seines unangefochtenen Teiles) zu lauten hat:
"1. Der Beschwerde wird teilweise stattgegeben und es wird festgestellt, dass die Beschwerdegegnerin die Beschwerdeführer im Recht auf Geheimhaltung verletzt hat, indem sie im Rahmen der Akteneinsicht eines bei ihr anhängigen Verfahrens zu PAD/18/00490072/001/VStV die Mobilfunknummern der Beschwerdeführer offengelegt hat.
2. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen."
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
Mit per E-Mail an die Datenschutzbehörde (im Folgenden: belangte Behörde) vorgelegter Beschwerde der Beschwerdeführer vor der Datenschutzbehörde XXXX (vor dem BVwG im folgenden: Beschwerdegegnerin 1 - BG 1) und XXXX (Beschwerdegegner 2 - BG 2) vom 18.01.2019 brachten die BG zusammengefasst vor, sie hätten am 19.03.2018 einen aggressiven Autofahrer bei der Polizei Graz angezeigt. Am 24.09.2018 hätten sie ein SMS dieses Autofahrers bekommen, das sie als Einschüchterung empfunden hätten. Dieses laute:
"An die Familie XXXX ; Vielen Dank für ihre Anzeige bzw. Verleumdungen mir gegenüber. Sie sollten sich in Zukunft besser darüber informieren, wen sie bezichtigen, etwaige Verwaltungsübertretungen begangen zu haben. Da haben sie sich leider mit der falschen Person angelegt. Da das Verwaltungsstrafverfahren in sämtlichen Punkten eingestellt wurde, stellt sich nun für mich die Frage, ob sie sich bei mir entschuldigen möchten für ihre Verleumdungen oder einer Anzeige/Verfahren wegen Verleumdung und in den Raum Stellen falscher Tatsachen gelassen entgegenblicken möchten. Mit freundlichen Grüßen XXXX ".
Die BG hätten von der Polizei Graz erfahren, dass alle persönlichen Daten ihrer Strafanzeige an den Herrn übermittelt worden seien, insbesondere ihre Telefonnummern. Sie hätten in Erfahrung gebracht, dass die Behörde die Bekanntgabe von Daten auf ein für das Strafverfahren unbedingt erforderliches Maß hätte einschränken müssen. Dies scheine nicht der Fall gewesen zu sein. Sie seien beim Erstellen der Anzeige nicht darüber informiert worden, dass alle persönlichen Daten in der Anzeige weitergegeben werden würden. Sie wollten sowohl für sie als auch für andere künftig verhindern, dass bei einer Anzeige solche Daten an den Angezeigten weitergeleitet werden.
Vorgelegt wurden weitere Unterlagen, insbesondere die Anzeige per E-Mail vom 19.03.2018 an die Landespolizeidirektion XXXX (im Folgenden: BF).
Die BF äußerte sich über Aufforderung der belangten Behörde am 15.02.2019 dahingehend, dass aufgrund der Anzeige von XXXX am 19.03.2018 via E-Mail seitens der Polizeiinspektion am 13.05.2018 eine Anzeige im VStV gemäß § 16 Abs. 1 lit. b StVO erfolgt sei. Es sei eine Lenkererhebung durchgeführt worden und sowohl die Zeugen (hier die BG) als auch der Beschuldigte einvernommen worden. Im Zuge dessen sei dem Beschuldigten am 09.07.2018 Akteneinsicht gewährt worden und das Verfahren am 17.09.2018 zur Einstellung gebracht worden. Die Daten der Anzeigerin habe Herr XXXX im Zuge seiner Akteneinsicht am 09.07.2018 erhalten. Es hätten keinerlei Hinweise darauf bestanden, dass durch die Akteneinsicht die Schädigung berechtigter Interessen einer Partei oder Dritter im Sinne des § 17 Abs. 3 AVG herbeigeführt worden wäre. Nach der Rechtsprechung des VwGH dürfe sich die Behörde bei Bedenken, dass im Falle der unbeschränkten Akteneinsicht dritte Personen Repressalien ausgesetzt werden, nicht mit allgemeinen Befürchtungen begnügen, sondern habe darzulegen, welchen Repressalien die betreffenden Personen bei Bekanntgabe ihrer Identität ausgesetzt sein könnten. Für die BF sei somit davon auszugehen gewesen, dass die gewährte Akteneinsicht an den Beschuldigten nicht nur rechtmäßig, sondern auch geboten gewesen sei. Für eine Einschränkung der Parteienrechte bei der Akteneinsicht hätten keine dem Gesetz entsprechenden Gründe bestanden.
Mitübermittelt wurden Kopien der Anzeige und der Genehmigung der Akteneinsicht.
Im Rahmen des Parteiengehörs führten die BG aus, dem Beschuldigten sei es möglich gewesen, sie per SMS einzuschüchtern und mit einer Klage zu drohen, da dieser ihre Mobilfunknummern sowie die vollständige Wohnadresse erhalten hätte. Nach Information des Datenschutzbeauftragten der Polizei seien solche Reaktionen, wie Einschüchterungen per SMS, teilweise durchaus üblich. Für die Polizei sei daher absehbar, dass eine Einsichtnahme bestimmter Aktenteile wie Mobilfunknummer, Wohnstraße und Hausnummer eine Schädigung herbeiführen könne.
Mit dem bekämpften Bescheid gab die belangte Behörde der Beschwerde mit Spruchpunkt 1. teilweise statt und stellte fest, dass die Landespolizeidirektion XXXX die Beschwerdegegner im Recht auf Geheimhaltung verletzt habe, indem sie im Rahmen der Akteneinsicht eines bei ihr anhängigen Verfahrens die Wohnadresse und Mobilfunknummern der BG offengelegt habe. Zu Spruchpunkt 2. wurde im Übrigen die Beschwerde abgewiesen.
Die belangte Behörde traf folgende Feststellungen:
"Am 19.3.2018 zeigte die Erstbeschwerdeführerin einen anderen KFZ-Lenker wegen mehrerer Verwaltungsübertretungen bei der Beschwerdegegnerin an (§ 16 Abs 1 lit b StVO; § 2 Abs 1 StLSG und § 52 lit a Z 10a StVO).
In weiterer Folge führte die Beschwerdegegnerin eine Lenkererhebung durch und wurden sowohl die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer als Privatanzeigerin bzw Zeuge als auch der Beschuldigte einvernommen. Am 9.7.2018 gewährte die Beschwerdegegnerin dem Beschuldigten Akteneinsicht. Im Rahmen der Akteneinsicht hat der Beschuldigte die Daten (insbesondere auch die vollständigen Namen, die vollständigen Wohnadressen sowie die Mobilfunknummern) der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers erhalten. Das Verfahren wurde am 17.9.2018 zur Einstellung gebracht."
Sodann stellte die belangte Behörde den - bereits eingangs wiedergegebenen - Inhalt des SMS des Angezeigten XXXX fest, ebenso die Tatsache, dass die BG dieses SMS am 24.9.2028 erhielten sowie weiters, im elektronischen Telefonbuch fände sich kein die Telefonnummern oder Wohnadressen der BF zeigender Eintrag.
Zu Spruchpunkt 1. begründete die belangte Behörde rechtlich, die belangte Behörde sei Behörde in einem Verwaltungsstrafverfahren. Sie stellte die Rechtslage zu § 17 Abs 1 und 3 AVG sowie die wesentliche Rechtsprechung zu den Ausnahmen von der Akteneinsicht dar. Das Interesse eines Zeugen am Unterbleiben von "Repressalien" sei in der Rechtsprechung anerkannt mit der Einschränkung, dass sie sich nicht nur auf allgemeine Befürchtungen stützen dürfen. Das berechtigte Interesse der BG sei nachvollziehbar. Der Beschuldigte habe im Wege der Akteneinsicht Kenntnis von den Wohnadressen und Mobilfunknummern der BG erhalten und sodann die in den Feststellungen dargestellte Nachricht, in der er die BG mit potentiellen Anzeigen bzw Verfahren betreffend Verleumdung bzw in den Raum gestellter falscher Tatsachen konfrontierte, gesandt. Die konkrete Befürchtung der BG, dass der Beschuldigte in Kenntnis der Wohnadressen und Namen der BG möglicherweise vor deren Haustür stehen könne, stelle auch keine allgemein nicht nachvollziehbare Befürchtung dar. Insgesamt erweise sich daher der Eingriff in das Grundrecht auf Datenschutz der BG als überschießend, weil er nicht in der gelindest möglichen Art vorgenommen worden sei (§ 1 Abs. 2 letzter Satz DSG). Bei verfassungskonformer Vorgangsweise hätte die Akteneinsicht auch ohne Bekanntgabe der Wohnadressen und Mobilfunknummern erteilt werden können, zumal die Bekanntgabe dieser Daten für die effektive Wahrung der Rechte des Angezeigten nicht erforderlich sei. In diesem Umfang sei der Beschwerde stattzugeben und auszusprechen, dass dies eine Verletzung im Recht auf Geheimhaltung der BG darstelle.
Zu Spruchpunkt 2. führte die belangte Behörde rechtlich aus, es sei zulässig gewesen, die vollständigen Namen der BG gegenüber dem Beschuldigten offenzulegen, weil der Beschuldigte nicht nur das Recht habe, den Inhalt einer Zeugenaussage zu erfahren, sondern auch die jeweiligen Beweisquellen offenzulegen seien.
Gegen den stattgebenden Teil des Bescheides (Spruchpunkt 1.) richtet sich die Beschwerde der Landespolizeidirektion XXXX , erkennbar wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung, mit dem Antrag, den Bescheid (gemeint: in diesem Punkt) zu beheben. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, gemäß § 17 Abs. 3 AVG sei eine Interessenabwägung vorzunehmen, wobei in einer Gesamtbetrachtung jene Umstände in Betracht zu ziehen seien, die bekannt seien. Zum damaligen Zeitpunkt hätten keine Anhaltspunkte dafür vorgelegen, dass durch die gewährte Akteneinsicht Interessensbeeinträchtigungen der Anzeiger entstehen hätten können. Insofern sei volle Akteneinsicht zu gewähren gewesen. Eine andere Rechtsauffassung entspreche nicht dem Telos des § 17 Abs. 3 AVG und hätte in der Praxis die weitreichende Folge, dass für jegliche Akteneinsicht die Wohnadressen und die Telefonnummern von Verfahrensbeteiligten unkenntlich gemacht werden müssten. Gemäß § 44 Abs. 5 DSG bedürfe es keiner Heranziehung allgemein datenschutzrechtlicher Bestimmungen. Im Anlassfall habe es auch kein Ersuchen der Anzeiger auf vertrauliche Behandlung der Anzeige geben.
Die belangte Behörde legte die Beschwerde samt elektronischem Akt mit einer Stellungnahme und dem Antrag vor, die Beschwerde abzuweisen. Beim Grundrecht auf Geheimhaltung gemäß § 1 Abs. 1 DSG handle es sich um ein eigenständiges Recht mit Horizontalwirkung. Eine Subsidiarität gegenüber anderen verfassungsgesetzlichen Bestimmungen sei nicht anzunehmen. § 17 AVG als gesetzliche Grundlage für das Handeln der BF sei verfassungskonform im Licht von § 1 DSG auszulegen gewesen. Ein Eingriff in das Recht auf Geheimhaltung im Sinne des § 1 DSG müsse verhältnismäßig sein, weshalb es nicht erforderlich gewesen sei, Wohnadressen und Mobilfunknummer zur Wahrung des rechtlichen Gehörs offenzulegen. Die Berufung auf § 44 Abs. 5 DSG scheitere daran, dass das dritte Hauptstück des DSG im vorliegenden Verfahren nicht einschlägig sei.
Die Beschwerde ist teilweise berechtigt:
Einer mündlichen Verhandlung bedurfte es auf Grund des unstrittig feststehenden maßgeblichen Sachverhalts nichts. Die wiedergegebenen Feststellungen der belangten Behörde wurden auch der Entscheidung des BVwG zu Grunde gelegt.
Gemäß § 1 Abs. 1 DSG hat jedermann, insbesondere auch im Hinblick auf die Achtung seines Privat- und Familienlebens, Anspruch auf Geheimhaltung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten, soweit ein schutzwürdiges Interesse daran besteht. Das Bestehen eines solchen Interesses ist ausgeschlossen, wenn Daten im Folge ihrer allgemeinen Verfügbarkeit oder wegen ihrer mangelnden Rückführbarkeit auf den Betroffenen einem Geheimhaltungsanspruch nicht zugänglich sind.
Gemäß Abs. 2 sind, soweit die Verwendung von personenbezogenen Daten nicht im lebenswichtigen Interesse des Betroffenen oder mit seiner Zustimmung erfolgt, Beschränkungen des Anspruchs auf Geheimhaltung nur zur Wahrung überwiegender berechtigter Interessen eines Anderen zulässig, und zwar bei Eingriffen einer staatlichen Behörde nur aufgrund von Gesetzen, die aus den in Art. 8 Abs. 2 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) genannten Gründen notwendig sind. Derartige Gesetze dürfen die Verwendung von Daten, die ihrer Art nach besonders schutzwürdig sind, nur zur Wahrung wichtiger öffentlicher Interessen vorsehen und müssen gleichzeitig angemessene Garantien für den Schutz der Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen festlegen. Auch im Fall zulässiger Beschränkung darf der Eingriff in das Grundrecht nur in der gelindesten, zum Ziel führenden Art vorgenommen werden (Verfassungsbestimmung).
Gemäß § 36 Abs 1 DSG gelten die Bestimmungen dieses (des 3.) Hauptstückes für die Verarbeitung personenbezogener Daten durch zuständige Behörde zum Zweck der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafverfolgung, einschließlich des Schutzes vor und der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit, sowie zum Zweck der nationalen Sicherheit, des Nachrichtendienstes und der militärischen Eigensicherung.
Polizeiliche Verwaltungstätigkeiten, soweit sie nicht in Zusammenhang mit Straftaten stehen, unterliegen der DSGVO. Dies betrifft etwa den Bereich Straßenpolizei. Im Lichte der Ausführungen der Europäischen Kommission ist davon auszugehen, dass Verwaltungsstrafverfahren nicht in den Anwendungsbereich des 3. Hauststückes fallen und daher die Verarbeitung personenbezogener Daten in diesem Zusammenhang der DSGVO unterliegt (Bresich/Dopplinger/Dörnhöfer/Kunnert/Riedl, DSG (2018), S 236 und 239).
Gemäß § 44 Abs 5 DSG (Teil des 3. Hauptstückes) hat die betroffene Person in dem Umfang, in dem eine Datenverarbeitung hinsichtlich der zu ihr verarbeiteten Daten von Gesetzes wegen einsehbar ist, das Recht auf Auskunft nach Maßgabe der das Einsichtsrecht vorsehenden Bestimmungen. Für das Verfahren der Einsichtnahme (einschließlich deren Verweigerung) gelten die näheren Regelungen des Gesetzes, das das Einsichtsrecht vorsieht.
Das datenschutzrechtliche Auskunftsrecht besteht subsidiär zu materiengesetzlichen Regelungen über die Akteneinsicht. Im Strafverfahren sind Informationen über verarbeitete Daten daher idR im Wege der Akteneinsicht nach den Bestimmungen der StPO einzuholen. Eine Umgehung allfälliger Beschränkungen der Akteneinsicht nach materiellrechtlichen Regelungen im Wege des Auskunftsrechts ist nach § 44 Abs 5 nicht möglich (wie oben, S 273).
Gemäß § 24 VStG gilt das AVG, soweit sich aus diesem Bundesgesetz nichts anderes ergibt, auch für das Verwaltungsstrafverfahren.
Gemäß § 17 Abs. 1 AVG können, soweit in den Verwaltungsvorschriften nichts anderes bestimmt ist, die Parteien bei der Behörde in die ihre Sache betreffenden Akten Einsicht nehmen und sich von Akten oder Aktenteilen an Ort und Stelle Abschriften selbst anfertigen oder auf ihre Kosten Kopien oder Ausdrucke erstellen lassen.
Gemäß Abs. 2 muss allen an einem Verfahren beteiligten Personen auf Verlangen Akteneinsicht im gleichen Umfang gewährt werden.
Gemäß Abs. 3 sind von der Akteneinsicht Aktenbestandteile ausgenommen, insoweit deren Einsichtnahme eine Schädigung berechtigter Interessen einer Partei oder dritter Personen oder eine Gefährdung der Aufgaben der Behörde herbeiführen oder den Zweck des Verfahrens beeinträchtigen würde.
Aktenbestandteile sind von der Akteneinsicht nur dann ausgenommen, wenn dem legitime Interessen entgegenstehen. Die Behörde hat hier eine Abwägung vorzunehmen zwischen dem Interesse einer Partei auf Akteneinsicht und dem entgegenstehenden Interesse einer anderen Partei bzw. eines Dritten - unter anderem auf Geheimhaltung von Daten § 1 DSG - (Thienel/Zeleny, Verwaltungsverfahrensgesetze, 20. Auflage, § 17 AVG, Anm 5).
Das Recht der Parteien auf Akteneinsicht erstreckt sich grundsätzlich auf alle Unterlagen, die sich auf ihre Sache beziehen. Durch Abs 3 wird kein Ermessen der Behörde begründet, sondern sie hat das Interesse der Partei an der Akteneinsicht im Hinblick auf deren Zweck gegen das Interesse der anderen Partei(en) oder Dritter im Einzelfall abzuwägen. Von § 17 Abs 3 werden etwa auch wirtschaftliche Interessen geschützt, wie zB das Interesse am Schutz von Betriebsgeheimnissen oder sonstiger berechtigte Interessen, wie das Interesse eines Zeugen oder einer Auskunftsperson am Unterbleiben von Repressalien oder ihrer körperlichen Integrität (Hengstschläger/Leeb, AVG I, (2014), § 17 Rz 8 - 10).
Im Falle der Ausnahme von Aktenteilen gemäß § 17 Abs 3 muß den Parteien die Möglichkeit effektiver Rechtsverfolgung bleiben. In diesem Zusammenhang besteht der Rechtsgrundsatz, dass ein Bescheid nicht auf Beweismittel gegründet werden darf, die der Partei nicht zugänglich (geheim) sind (wie oben, Rz 11).
Unstrittig und nicht mehr Gegenstand der Verfahrens vor dem BVwG ist, dass dem Beschuldigten jedenfalls die Namen der Anzeiger bekanntzumachen waren, dies schon als Ausfluß des Grundsatzes, dass es in einem rechtsstaatlichen Verfahren keine (verwertbaren) geheimen Beweismittel gibt (VwGH 20.2.1991 90/02/0151).
Der BF ist nicht beizupflichten, dass in Casu die Anwendung datenschutzrechtlicher Bestimmungen gemäß § 44 Abs 5 DSG von vornherein ausgeschlossen ist und § 17 AVG den "allgemeinen datenschutzrechtlichen Bestimmungen grundsätzlich" vorgeht, zumal, wie dargestellt, für die Tätigkeit der Polizei im hier zu beurteilenden Verwaltungsstrafverfahren das 3. Hauptstück des DSG, in dem § 44 enthalten ist, nicht anwendbar ist.
Allerdings stellt § 17 Abs 1 und 2 AVG ein Gesetz dar, das Beschränkungen des Anspruchs auf Geheimhaltung zur Wahrung überwiegender berechtigter Interessen eines anderen iSd § 1 Abs 2 DSG zulässig machen kann. Mit Abs 3 enthält dieses Gesetz auch eine angemessene Garantie für den Schutz der Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen, zumal danach gerade die in § 1 Abs 2 DSG geforderte Interessensabwägung - unter Berücksichtigung auch öffentlicher Interessen - vorzunehmen ist. Allerdings gilt uneingeschränkt der Grundsatz, dass der Eingriff in das Grundrecht nur in der gelindesten, zum Ziel führenden Art vorgenommen werden darf.
Strittig sind hier nur die Daten Wohnadressen und Mobiltelefonnummern. Unstrittig waren der BF ex ante keine Umstände bekannt, die auf "Repressalien" des Beschuldigten gegenüber den Anzeigern hätten schließen lassen müssen. Insoferne zog die belangte Behörde den erst ex post erfolgten Umstand des SMS des Beschuldigten an die Anzeiger in ihrer Argumentation betreffend das berechtigte Interesse der BG zu Unrecht heran.
Unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes der Möglichkeit effektiver Rechtsverfolgung - sei es auch der Ergreifung zivilrechtlicher Schritte - erachtet der entscheidende Senat ohne hier vorliegender individueller Anhaltspunkte für drohende Repressalien keine Grundlage für die BF gegeben, die Wohnadresse von der Akteneinsicht auszuschließen. Sie dient zur Individualisierung von Personen und ist insoferne in zentralen Verfahrensbestimmungen (vgl § 75 ZPO "Wohnort", nach der Judikatur mit Straße und Hausnummer zu versehen) als Voraussetzung der Einleitung eines Verfahrens vorgesehen. Der Umstand, dass die Wohnadresse in einem elektronischen Telefonbuch nicht auffindbar ist, ist kein Ausschlußgrund einer diesbezüglichen Akteneinsicht der Behörde. Es mag sein, dass einzelne Namen aufgrund ihrer Seltenheit ausreichen, mithilfe von Meldedaten eine Person zu individualisieren. In aller Regel wird dafür auch der Wohnort erforderlich sein. Insoferne teilt der entscheidende Senat nicht die Ansicht der belangten Behörde, dass die Wohnadressen für die effektive Wahrung der Rechte des Beschuldigten nicht erforderlich seien. Mangels ex ante bestehender Anhaltspunkte für eine Schädigung berechtigter Interessen der BG war die diesbezügliche Gewährung von Akteneinsicht daher rechtmäßig.
Anders sieht dies der erkennende Senat betreffend die Mobilfunknummern:
Ausgehend von der eingangs dargelegten Rechtslage, wonach auch im Verwaltungsstrafverfahren die Grundsätze des Datenschutzes - im Sinne eines Eingriffes nur im geringsten zum Ziel führenden Ausmaß - anzuwenden sind, ist nicht ersichtlich, inwieferne die Mobilfunknummern zur effektiven Wahrung von Rechten erforderlich sind. Die BF hat sich nicht auf eine konkrete Eintragung der Nummern der BG in öffentliche Verzeichnisse berufen.
Das von der BF zitierte Erkenntnis des LVG Oberösterreich (LVwG-650704/2/MZ) bezieht sich allein auf Namen und E-Mail-Adresse und moniert eine mangelnde Begründung der Einschränkung der Akteneinsicht.
Im Erkenntnis 95/12/0007 vom 19.12.2000, ebenfalls von der BF herangezogen, kommt der VwGH zur Ansicht, es sei eine unzulässige Umgehung von Parteienrechten, entscheidungswesentliche Dokumente nicht in den Akt aufzunehmen und somit das Recht auf Akteneinsicht zu umgehen. Bei einem legitimen Interesse hätten bestimmte Aktenteile von der Akteneinsicht ausgenommen werden können. Dieses - gerade nicht zu datenschutzrechtlichen Aspekten - ergangene Judikat bezieht sich jedenfalls auf "entscheidungswesentliche Dokumente", wozu die Mobiltelefonnummern der BG jedenfalls nicht zählen.
Dass die Akteneinsicht auf eine Weise erfolgt, bei der die Telefonnummer der BG dem Beschuldigten nicht bekannt wird (allenfalls durch "Schwärzen"), die Behörden vor "immense zusätzliche Aufgaben" stellen würde, ist kein rechtliches, insbesondere kein datenschutzrechtliches Argument.
Aus der vom BF zitierten Entscheidung der belangten Behörde zu DSB-D122.913/0001-DSB/2019, die sich auf einen Sachverhalt bezog, wonach der Anzeiger um eine vertrauliche Behandlung seiner Anzeige ersucht, ist nicht im Umkehrschluß abzuleiten, dass ohne ein solches Ersuchen jedenfalls die Voraussetzungen des § 17 Abs 3 bzw nach § 1 DSG nicht amtswegig zu prüfen wären.
Der BF ist auch nicht beizupflichten, dass betreffend Telefonnummern eine Güterabwägung "wohl immer" zu Gunsten des Akteneinsichtnehmenden ausfalle, weil man solche in den überwiegenden Fällen einem (elektronischen) Telefonbuch oder sozialen Netzwerken entnehmen könne. Diese Voraussetzungen sind im Einzelfall zu prüfen und ein solcher Fall diesfalls unter dem Gesichtspunkt der allgemeinen Verfügbarkeit von Daten nach § 1 Abs 1 DSG zu beurteilen. In Casu stehen dem die getroffenen gegenteiligen Feststellungen entgegen.
Zuletzt kann bei der fallgegenständlichen Ausnahme der Mobiltelefonnummern der BG von der Akteneinsicht auch keine Rede von "geheimen Beweismitteln" oder einem Verstoß gegen das Gebot des Zugänglichmachens aller Beweisquellen sein.
Eine Einschlägigkeit der von der belangten Behörde ins Treffen geführten Entscheidung 6 Ob 45/19i kann hier nicht erblickt werden, weil die grundsätzliche Berechtigung des Beschuldigten zur Akteneinsicht hier nicht zur Diskussion stand.
Der Bescheid war daher insoferne abzuändern, als die Feststellung der Verletzung der BG im Recht auf Geheimhaltung im Bezug auf die Mobilfunknummern zu entfallen hatte. Im Übrigen kommt der Beschwerde keine Berechtigung zu.
Der Ausspruch zur Zulässigkeit der Revision folgt dem Umstand, dass explizite Rechtsprechung zum Verhältnis der Bestimmungen des § 17 Abs 3 AVG und des § 1 DSG bislang nicht ersichtlich ist, ohne Anwendbarkeit des § 1 DSG aber auf Grund der Feststellungen wohl kein Aktenbestandteil von der Akteneinsicht ausgenommen werden dürfte.
Schlagworte
Akteneinsicht Beschuldigtenvernehmung Beschuldigter Datenschutzbehörde Geheimhaltung Geheimhaltungsinteresse Interessenabwägung Revision zulässig TeilstattgebungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W274.2226258.1.00Im RIS seit
24.09.2020Zuletzt aktualisiert am
24.09.2020