TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/3 W128 1410166-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.06.2020
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Entscheidungsdatum

03.06.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs3
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z4
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z5
StGB §75
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W128 1410166-2/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Michael FUCHS-ROBETIN über die Beschwerde des afghanischen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 31.08.2018, Zl. 790585108-161011876, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 18.05.2009 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Mit Bescheid vom 06.11.2009, Zl. 09 05.851-BAT, wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 24.10.2010 (Spruchpunkt III.).

Begründend führte das BFA im Wesentlichen aus, dass der BF keine asylrelevante Verfolgung habe glaubhaft machen können. Bei einer Abschiebung nach Afghanistan drohe ihm jedoch aufgrund der allgemeinen Lage in Afghanistan die reale Gefahr einer Verletzung des Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes, weshalb ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen sei.

3. Gegen Spruchpunkt I. des Bescheides vom 06.11.2009 erhob der BF fristgerecht Beschwerde. Die Spruchpunkte II. und III. erwuchsen hingegen in Rechtskraft. Mit Erkenntnis vom 01.03.2012, Zl. C9 410166-1/2009/5E, wies der Asylgerichtshof die Beschwerde als unbegründet ab.

4. Die befristete Aufenthaltsberechtigung wurde in Folge mehrfach, zuletzt mit Bescheid vom 16.10.2014, Zl. 790585108/1146364, für eine Gültigkeitsdauer von zwei Jahren, somit bis zum 24.10.2016, verlängert.

5. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 17.07.2017, Zl. 608 Hv 2/17g - 141, rechtskräftig seit 24.04.2018, wurde der BF wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach § 15 StGB iVm 75 StGB gemäß § 75 StGB zu einer lebenslangen unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt.

6. Mit Bescheid vom 31.08.2018, Zl. 790585108-161011876, erkannte das BFA dem BF den mit Bescheid vom 06.11.2009 zuerkannten Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß

§ 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen ab (Spruchpunkt I.), erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 2 Z 4 FPG (Spruchpunkt III.), stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt IV.) und erließ gegen ihn gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 5 FPG ein unbefristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt V.)

Begründend führte das BFA im Wesentlichen aus, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr gegeben seien. Es bestehe für den BF eine innerstaatliche Fluchtalternative nach Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif, wo ihm eine Niederlassung unter anderem deshalb zumutbar sei, weil seine Familienangehörigen, insbesondere seine Mutter und Geschwister, in Kabul leben würden. Zudem sei er ein gesunder, arbeitsfähiger Mann und verfüge über mehrere Jahre an Berufserfahrung, weshalb davon auszugehen sei, dass es ihm bei einer Niederlassung in Kabul möglich sein werde, sich ein ausreichendes Einkommen zu sichern und nicht in eine hoffnungslose bzw. existenzbedrohende Lage zu verfallen. Die Sicherheitslage in Kabul sei darüber hinaus ausreichend sicher, es bestehe keine Situation ständig vorkommender genereller Gewalt gegen die Zivilbevölkerung. Anschläge würden sich überwiegend gegen hochrangige bzw. prominente Personen richten. Der BF entspreche nicht diesem Profil, weshalb für ihn kein erhöhtes Risiko bestehe, Opfer eines Anschlages zu werden.

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung sei zulässig, weil diese nicht sein Recht auf ein Privat- und Familienleben nach Art. 8 EMRK verletze. Der BF befinde sich seit ca. neun Jahren in Österreich, weshalb von der Knüpfung gewisser sozialer Kontakte bzw. Bekanntschaften auszugehen sei. Er habe jedoch keine Familienangehörigen in Österreich und stelle aufgrund seiner rechtskräftigen Verurteilung wegen des Verbrechens des versuchten Mordes eine Gefahr für die Allgemeinheit und Sicherheit Österreichs dar, weshalb das Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit seine privaten Interessen an einem Verbleib in Österreich überwiege. Eine Rückkehrentscheidung verletze somit nicht sein Recht auf ein Privat- und Familienleben nach Art. 8 EMRK, weshalb diese zulässig sei.

Eine Frist zur freiwilligen Ausreise werde dem BF nach § 55 FPG nicht gewährt, weil seine sofortige Ausreise im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich sei.

Ein unbefristetes Einreiseverbot werde gegen den BF gemäß § 53 Abs. 3 Z 5 FPG erlassen, weil die rechtskräftigte Verurteilung des BF zu einer lebenslangen unbedingten Freiheitsstrafe die Annahme rechtfertige, dass der Aufenthalt des BF eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle.

7. Am 17.10.2018 erhob der BF fristgerecht in vollem Umfang Beschwerde wegen "inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften, bei deren Einhaltung für den Beschwerdeführer ein günstigerer Bescheid erzielt worden wäre", mit dem primären Anträgen, eine mündliche Beschwerdeverhandlung anzuberaumen, den angefochtenen Bescheid hinsichtlich Spruchpunkt I. ersatzlos zu beheben, hinsichtlich Spruchpunkt II. aufzuheben und dem Beschwerdeführer eine entsprechende Aufenthaltsberechtigung zu erteilen. Die Voraussetzung für die Aberkennung des subsidiären Schutzes lägen nicht vor. Die Voraussetzungen, aufgrund derer der subsidiäre Schutz zuerkannt worden seien, seien nicht weggefallen. Für den BF bestehe keine innerstaatliche Fluchtalternative. Laut den aktuellen UNHCR-Richtlinien sei eine innerstaatliche Fluchtalternative nach Kabul aufgrund der aktuellen Sicherheitslage ausgeschlossen. Auch Herat oder Mazar-e Sharif seien nicht sicher. Er habe darüber hinaus keine sozialen Anknüpfungspunkte in Kabul oder einer anderen Großstadt Afghanistans.

Zudem bringt der BF in der Beschwerde vor, dass er von seinem in Afghanistan aufhältigen Bruder erfahren habe, dass die Familie der Frau, die er versucht hatte zu ermorden, auf Rache sinne. Seine Schwester habe entführt werden sollen. Sie habe jedoch zu seiner Tante flüchten können. Die Familie der Frau, die er versucht hatte zu ermorden, sei in Kabul aufhältig und bestehe durchwegs aus Polizisten, weshalb für den BF kein Schutz zu erwarten sei.

Des Weiterem sei die Erlassung einer Rückkehrentscheidung unzulässig, weil diese den BF in seinem Recht auf Privat- und Familienleben verletze. Der BF verfüge in Österreich über ein Privatleben im Sinne des Art. 8 EMRK. Er lebe seit einem Jahrzehnt legal in Österreich, spreche perfekt Deutsch und sei bestens integriert. In Afghanistan habe er dagegen keinerlei Verwandte oder Bekannte außerhalb seines, für ihn nicht ohne Lebensgefahr erreichbaren, Heimatortes. Das BFA habe daher eine mangelnde Interessensabwägung vorgenommen und sei zu Unrecht zu dem Schluss gelangt, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung zulässig sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1. Der BF wurde am XXXX geboren, ist Staatsangehöriger Afghanistans, gehört der Volksgruppe der Hazara an und bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islams. Seine Muttersprache ist Dari.

Er wurde im Bezirk XXXX der Provinz Ghazni geboren und lebte dort bis zu seiner Ausreise. Er besuchte zwölf Jahre lang die Schule und übte im Anschluss verschiedene berufliche Tätigkeiten aus: Er arbeitete als Bauer, in einem Restaurant und kurzfristig auch für eine NGO. Im Jahre 2008 verließ er Afghanistan und reiste schlepperunterstützt (spätestens) im Mai 2009 nach Österreich ein.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 17.07.2017, Zl. 608 Hv 2/17g - 141, rechtskräftig seit 24.04.2018, wurde der BF wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach § 15 StGB iVm § 75 StGB gemäß § 75 StGB zu einer lebenslangen unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt. Das Opfer war seine Freundin, die ebenfalls aus Afghanistan stammt.

Der BF befindet sich derzeit in Strafhaft.

Der Beschwerdeführer leidet an keinen lebensbedrohlichen physischen und psychischen Krankheiten. Er leidet auch an keiner der für COVID-19 notorischen Vorerkrankungen, weshalb er nicht zur einschlägigen Risikogruppe für COVID-19 zählt.

Der BF hat keine Familienangehörigen in Österreich. Der BF ist im erwerbsfähigen Alter und gesund. Die Schwester und der Bruder des BF leben in Afghanistan. Dem BF droht in den Städten Mazar-e Sharif und Herat keine Verfolgung von der Familie der Frau, für deren versuchten Mord er rechtskräftig verurteilt wurde.

Im Falle einer Rückkehr würde der BF in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat in keine existenzbedrohende Notlage geraten.

1.2. Zur hier relevanten Situation in Afghanistan:

1.2.1. Allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation für Afghanistan vom 13.11.2019 [im Folgenden: LIB], Kapitel 2).

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren (LIB 13.11.2019, Kapitel 3). Die Hauptlast einer unsicheren Sicherheitslage in der jeweiligen Region trägt die Zivilbevölkerung (UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs vom 30.08.2018, Kapitel II. B).

Für die Sicherheit in Afghanistan sind verschiedene Organisationseinheiten der afghanischen Regierungsbehörden verantwortlich. Die Afghan National Defense and Security Forces (ANDSF) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die Afghan National Police (ANP) und die Afghan Local Police (ALP). Die Afghan National Army (ANA) ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen. Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA. Die ALP wird durch die USA finanziert und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische (LIB 13.11.2019, Kapitel 5).

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv, welche eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität in Afghanistan darstellen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und Angriffen auf staatliche Einrichtungen und gegen Gläubige und Kultstätten bzw. religiöse Minderheiten aus (LIB 13.11.2019, Kapitel 3).

1.2.2. Zur Lage in der Herkunftsprovinz Ghazni des BF

1.2.2.1. Grundinformationen

Die Provinz Ghazni liegt im Südosten Afghanistans. In der Provinz leben rund 1.340.000 Menschen. Die Provinz wird von Paschtunen, Tadschiken und Hazara sowie von mehreren kleineren Gruppen wie Bayats, Sadats und Sikhs bewohnt. Fast die Hälfte der Bevölkerung von Ghazni sind Paschtunen, etwas weniger als die Hälfte sind Hazara und rund 5% sind Tadschiken (LIB 13.11.2019, S. 86 f).

1.2.2.2. Erreichbarkeit

Die Stadt Ghazni liegt an der Ring Road, welche die Hauptstadt Kabul mit dem großen Ballungszentrum Kandahar im Süden verbindet und auch die Straße zu Paktikas Hauptstadt Sharan zweigt in der Stadt Ghazni von der Ring Road ab, die Straße nach Paktyas Hauptstadt Gardez dagegen etwas nördlich der Stadt. Die Kontrolle über Ghazni ist daher von strategischer Bedeutung (LIB 13.11.2019, S. 86 f).

1.2.2.3. Sicherheitslage

Ghazni gehörte im Mai 2019 zu den relativ volatilen Provinzen im Südosten Afghanistans. Taliban-Kämpfer sind in einigen der unruhigen Distrikte der Provinz aktiv, wo sie oft versuchen, terroristische Aktivitäten gegen die Regierung und Sicherheitseinrichtungen durchzuführen. Gleichzeitig führen die Regierungskräfte regelmäßig Operationen in Ghazni durch, um die Aufständischen aus der Provinz zu vertreiben (LIB 13.11.2019, S. 87).

1.2.3. Zur Lage in der Provinz Balkh bzw. in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif

1.2.3.1. Grundinformationen

Balkh liegt im Norden Afghanistans. Nach Schätzung der zentralen Statistikorganisation Afghanistan (CSO) für den Zeitraum 2019-20 leben 1.475.649 Personen in der Provinz Balkh, davon geschätzte 469.247 in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif. Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird (LIB 13.11.2019, S. 60 f). Im Zeitraum 01.01.2018 bis 30.06.2019 kamen rund 30.000 Binnenvertriebe in die Provinz Balkh (LIB 13.11.2019, S. 60 f).

1.2.3.2. Erreichbarkeit

Mazar-e Sharif ist über die Autobahn sowie über einen Flughafen (mit nationalen und internationalen Anbindungen) zu erreichen (LIB 13.11.2019, S. 61 und 336).

1.2.3.3. Sicherheitslage

Balkh zählt zu den relativ stabilen und ruhigen Provinzen Nordafghanistans, in welcher die Taliban in der Vergangenheit keinen Fuß fassen konnten. In den letzten Monaten versuchten Aufständische der Taliban die Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren (LIB 13.11.2019, S. 62). Im Jahr 2018 wurden 227 zivile Opfer (85 Tote und 142 Verletzte) in Balkh dokumentiert. Dies entspricht einer Steigerung von 76% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Bomben (IEDS; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen (LIB 13.11.2019, S. 63). Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Provinz Balkh sowie in der Stadt Mazar-e Sharif so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht, von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO - Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, S. 89 und 92 f).

1.2.3.4. Versorgungslage

Während Mazar-e Sharif im Zeitraum Juni 2019 bis September 2019 noch als IPC Stufe 1 "minimal" (IPC - Integrated Phase Classification) klassifiziert wurde, ist Mazar-e Sharif im Zeitraum Oktober 2019 bis Januar 2020 in Phase 2 "stressed" eingestuft. In Phase 1 sind die Haushalte in der Lage, den Bedarf an lebensnotwendigen Nahrungsmitteln und Nicht-Nahrungsmitteln zu decken, ohne atypische und unhaltbare Strategien für den Zugang zu Nahrung und Einkommen zu verfolgen. In Phase 2 weisen Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch auf und sind nicht in der Lage, sich wesentliche, nicht nahrungsbezogene Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (ACCORD, Sicherheitslage und sozio-ökonomische Lage in Herat und Mazar-e Sharif vom 02.10.2019, 3.1.).

1.2.3.5. Wirtschaftslage

Balkh bzw. die Hauptstadt Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz sowie ein regionales Handelszentrum. In Mazar-e Sharif gibt es einen Flughafen mit Linienverkehr zu nationalen und internationalen Zielen. Mazar-e Sharif ist ein regionales Handelszentrum für Nordafghanistan, wie auch ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen, welche Kunsthandwerk und Teppiche anbieten (LIB 13.11.2019, S. 61 und 336)

1.2.3.6. Medizinische Versorgung

In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es zwischen 10 und 15 Krankenhäuser; dazu zählen sowohl private als auch öffentliche Anstalten. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer; jede Nacht ist kostenpflichtig. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken; 20% dieser Gesundheitskliniken finanzieren sich selbst, während 80% öffentlich finanziert sind. Das Regionalkrankenhaus Balkh ist die tragende Säule medizinischer Dienstleistungen in Nordafghanistan; selbst aus angrenzenden Provinzen werden Patient/innen in dieses Krankenhaus überwiesen. Für das durch einen Brand zerstörte Hauptgebäude des Regionalkrankenhauses Balkh im Zentrum von Mazar-e Sharif wurde ein neuer Gebäudekomplex mit 360 Betten, 21 Intensivpflegeplätzen, sieben Operationssälen und Einrichtungen für Notaufnahme, Röntgen- und Labordiagnostik sowie telemedizinischer Ausrüstung errichtet. Zusätzlich kommt dem Krankenhaus als akademisches Lehrkrankenhaus mit einer angeschlossenen Krankenpflege- und Hebammenschule eine Schlüsselrolle bei der Ausbildung des medizinischen und pflegerischen Nachwuchses zu. Die Universität Freiburg (Deutschland) und die Mashhad Universität (Iran) sind Ausbildungspartner dieses Krankenhauses (BFA 4.2018). Balkh gehörte bei einer Erhebung von 2016/2017 zu den Provinzen mit dem höchsten Anteil an Frauen, welche einen Zugang zu Gesundheitseinrichtungen haben. Weiters gibt es in Mazar-e Sharif ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus (LIB 13.11.2019, S. 347 und 351 f).

1.2.4. Zur Lage in der Provinz Herat bzw. in der Provinzhauptstadt Herat

1.2.4.1. Grundinformationen

Die Provinz Herat liegt im Westen Afghanistans und ist eine der größten Provinzen Afghanistans. Die Provinzhauptstadt von Herat ist Herat-Stadt (LIB 13.11.2019, S. 105). Die Provinz verfügt über 2.095.117 Einwohner, 556.205 davon in der Provinzhauptstadt. Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen. Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert, der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 durch Iran-Rückkehrer und Binnenvertriebene besonders gestiegen (LIB 13.11.2019, S. 106). Im Zeitraum 01.01.2018 bis 30.06.2019 kamen rund 11.000 Binnenvertriebe in die Provinz Balkh ((LIB 13.11.2019, S. 60 f.). Aufgrund der Dürre, vorwiegend in den Provinzen Herat und Badghis, kommen ca. 287.000 IDPs hinzu. Die meisten von ihnen kamen in Lager in den Städten Herat oder Qala-e-Naw (Badghis) ((LIB 13.11.2019, S. 329).

1.2.4.2. Erreichbarkeit

Herat ist durch die Ring-Road sowie durch einen Flughafen mit nationalen und internationalen Anbindungen erreichbar. Der Flughafen befindet sich 10 km von der Provinzhauptstadt Herat entfernt (LIB 13.11.2019, S. 106).

1.2.4.3. Sicherheitslage

Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten durchzuführen. Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als "sehr sicher" gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban. In der Stadt Herat steigt die Kriminalität und Gesetzlosigkeit (LIB 13.11.2019, S. 106). Im Jahr 2018 gab es mit 259 zivile Opfer (95 Tote und 164 Verletzte) in Herat einen Rückgang von 48% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierte Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen. Der volatilste Distrikt von Herat ist Shindand. Dort kommt es zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen rivalisierenden Taliban-Fraktionen, wie auch zwischen den Taliban und regierungsfreundlichen Kräften. Außerdem kommt es in unterschiedlichen Distrikten immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften (LIB 13.11.2019, S. 108 f). Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Herat so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht, von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO - Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, S. 89 und 99 f).

1.2.4.4. Versorgungslage

Herat ist im Zeitraum Oktober 2019 bis Januar 2020 als IPC Stufe 2 klassifiziert (IPC - Integrated Phase Classification). In Phase 2, auch "stressed" genannt, weisen Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch auf und sind nicht in der Lage, sich wesentlich, nicht nahrungsbezogenen Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (ACCORD, Sicherheitslage und sozio-ökonomische Lage in Herat und Mazar-e Sharif vom 02.10.2019, 3.1.).

1.2.4.5. Wirtschaftliche Lage

Wirtschaft in Herat bietet seit langem Arbeitsmöglichkeiten im Handel, darunter den Import und Export von Waren mit dem benachbarten Iran, wie auch Bergbau und Produktion. Die Industrie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) ist insbesondere im Handwerksbereich und in der Seiden- und Teppichproduktion gut entwickelt. Manche alten Handwerksberufe (Teppichknüpfereien, Glasbläsereien, die Herstellung von Stickereien) haben es geschafft zu überleben, während sich auch bestimmte moderne Industrien entwickelt haben (z.B. Lebensmittelverarbeitung und Verpackung). Die meisten der in KMUs Beschäftigten sind entweder Tagelöhner oder kleine Unternehmer. Die Arbeitsplätze sind allerdings von der volatilen Sicherheitslage bedroht (insbesondere Entführungen von Geschäftsleuten oder deren Angehörigen durch kriminelle Netzwerke, im stillen Einverständnis mit der Polizei). Als weitere Probleme werden Stromknappheit, bzw. -ausfälle, Schwierigkeiten, mit iranischen oder anderen ausländischen Importen zu konkurrieren und eine steigende Arbeitslosigkeit genannt. Aufgrund der sehr jungen Bevölkerung ist der Anteil der Personen im erwerbsfähigen Alter in Herat - wie auch in anderen afghanischen Städten - vergleichsweise klein. Erwerbstätige müssen also eine große Anzahl an von ihnen abhängigen Personen versorgen. Hinzu kommt, dass die Hälfte der arbeitstätigen Bevölkerung in Herat Tagelöhner sind, welche Schwankungen auf dem Arbeitsmarkt in besonderem Ausmaß ausgesetzt sind (LIB 13.11.2019, S. 336).

1.2.4.6. Medizinische Versorgung

Für die medizinische Versorgung bietet das Jebrael-Gesundheitszentrum im Nordwesten der Stadt Herat für rund 60.000 Menschen im dicht besiedelten Gebiet mit durchschnittlich 300 Besuchern pro Tag grundlegende Gesundheitsdienste an, von denen die meisten die Impf- und allgemeinen ambulanten Einheiten aufsuchen. Laut dem Provinzdirektor für Gesundheit in Herat verfügte die Stadt im April 2017 über 65 private Gesundheitskliniken. Die Anwohner von Herat beklagen jedoch, dass "viele private Gesundheitszentren die Gesundheitsversorgung in ein Unternehmen umgewandelt haben." Auch wird die geringe Qualität der Medikamente, fehlende Behandlungsmöglichkeiten und die Fähigkeit der Ärzte, Krankheiten richtig zu diagnostizieren, kritisiert. Infolgedessen entscheidet sich eine Reihe von Heratis für eine Behandlung im Ausland (LIB 13.11.2019, S. 346 f.).

1.2.5. Rückkehr

In den ersten vier Monaten des Jahres 2019 sind insgesamt 63.449 Menschen nach Afghanistan zurückgekehrt. Im Jahr 2018 kamen 775.000 aus dem Iran und 46.000 aus Pakistan zurück (LIB 13.11.2019, S. 353).

Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, können verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Wegen der hohen Fluktuation im Land und der notwendigen Zeit der Hilfsorganisationen, sich darauf einzustellen, ist Hilfe nicht immer sofort dort verfügbar, wo Rückkehrer sich niederlassen. Es befinden sich viele Rückkehrer in Gebieten, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (LIB 13.11.2019, S. 354).

Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken (Kolleg/innen, Mitstudierende etc.) sowie politische Netzwerke usw. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind manche Rückkehrer auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB 13.11.2019, S. 354).

Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Zudem können fehlende Vertrautheit mit kulturellen Besonderheiten und sozialen Normen die Integration und Existenzgründung erschweren. Das Bestehen sozialer und familiärer Netzwerke am Ankunftsort nimmt auch hierbei eine zentrale Rolle ein. Über diese können die genannten Integrationshemmnisse abgefedert werden, indem die erforderlichen Fähigkeiten etwa im Umgang mit lokalen Behörden sowie sozial erwünschtes Verhalten vermittelt werden und für die Vertrauenswürdigkeit der Rückkehrer gebürgt wird. Es gibt jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (LIB 13.11.2019, S. 355).

Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Es sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (LIB 13.11.2019, S. 355).

Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab. Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch (LIB 13.11.2019, S. 355).

Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (LIB 13.11.2019, S. 356).

Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Rückkehrer erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer. Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück (LIB 13.11.2019, S. 356).

Die "Reception Assistance" umfasst sofortige Unterstützung oder Hilfe bei der Ankunft am Flughafen: IOM trifft die freiwilligen Rückkehrer vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung, usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrer innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an. 1.279 Rückkehrer erhielten Unterstützung bei der Weiterreise in ihre Heimatprovinz. Für die Provinzen, die über einen Flughafen und Flugverbindungen verfügen, werden Flüge zur Verfügung gestellt. Der Rückkehrer erhält ein Flugticket und Unterstützung bezüglich des Flughafen-Transfers. Der Transport nach Herat findet in der Regel auf dem Luftweg statt (LIB 13.11.2019, S. 358).

Aktuelle Informationen zu Rückkehrprojekten

IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer/innen im Rahmen der freiwilligen Rückkehr. Aufgrund des stark reduzierten Flugbetriebs ist die Rückkehr seit April 2020 nur in sehr wenige Länder tatsächlich möglich. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei, wie bekannt, Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an.

IOM Österreich bietet derzeit, aufgrund der COVID-19-Lage, folgende Aktivitäten an:

? Qualitätssicherung in der Rückkehrberatung (Erarbeitung von Leitfäden und Trainings)

? Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr und Reintegration im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten (Virtuelle Beratung, Austausch mit Rückkehrberatungseinrichtungen und Behörden, Monitoring der Reisemöglichkeiten)

Das Projekt RESTART III - Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems und der Reintegration freiwilliger Rückkehrer/innen in Afghanistan" wird bereits umgesetzt. Derzeit arbeiten die österreichischen IOM-Mitarbeiter/innen vorwiegend an der ersten Komponente (Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems) und erarbeiten Leitfäden und Trainingsinhalte. Die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan ist derzeit aufgrund fehlender Flugverbindungen nicht möglich. IOM beobachtet die Situation und steht diesbezüglich in engem Austausch mit den zuständigen Rückkehrberatungseinrichtungen und den österreichischen Behörden. Mit Stand 18.5.2020, sind im laufenden Jahr bereits 19 Projektteilnehmer/innen nach Afghanistan zurückgekehrt. Mit ihnen, als auch mit potenziellen Projektteilnehmer/innen, welche sich noch in Österreich befinden, steht IOM Österreich in Kontakt und bietet Beratung/Information über virtuelle Kommunikationswege an. Informationen von IOM Kabul zufolge, sind IOM-Rückkehrprojekte mit Stand 13.5.2020 auch weiterhin in Afghanistan operativ (LIB 13.11.2019, letzte Kurzinformation vom 18.05.2020, S. 7ff).

Die internationale Organisation für Migration (IOM - International Organization for Migration) unterstützt mit diversen Projekten die freiwillige Rückkehr und Reintegration von Rückkehrer/innen nach Afghanistan. In Bezug auf die Art und Höhe der Unterstützungsleistung muss zwischen unterstützter freiwilliger und zwangsweiser Rückkehr unterschieden werden. Im Rahmen der unterstützten freiwilligen Rückkehr kann Unterstützung entweder nur für die Rückkehr (Reise) oder nach erfolgreicher Aufnahme in ein Reintegrationsprojekt auch bei der Wiedereingliederung geleistet werden (LIB 13.11.2019, letzte Kurzinformation vom 18.05.2020, S. 344f).

Mit 1.1.2020 startete das durch den AMIF der Europäischen Union und das österreichische Bundesministerium für Inneres kofinanzierten Reintegrationsprojekt, RESTART III. Im Unterschied zu den beiden Vorprojekten RESTART und RESTART II steht dieses Projekt ausschließlich RückkehrerInnen aus Afghanistan zur Verfügung. RESTART III, ist wie das Vorgängerprojekt auf drei Jahre, nämlich bis 31.12.2022 ausgerichtet und verfügt über eine Kapazität von 400 Personen. Für alle diese 400 Personen ist neben Beratung und Information - in Österreich sowie in Afghanistan - sowohl die Bargeldunterstützung in der Höhe von 500 Euro wie auch die Unterstützung durch Sachleistungen in der Höhe von 2.800 Euro geplant (LIB 13.11.2019, letzte Kurzinformation vom 18.05.2020, S. 345).

Die Teilnahme am Reintegrationsprojekt von IOM ist an einige (organisatorische) Voraussetzungen gebunden. So stellen Interessent/innen an einer unterstützen freiwilligen Rückkehr zunächst einen entsprechenden Antrag bei einer der österreichischen Rückkehrberatungseinrichtungen - dem VMÖ (Verein Menschenrechte Österreich) oder der Caritas bzw. in Kärnten auch beim Amt der Kärntner Landesregierung. Die jeweilige Rückkehrberatungsorganisation prüft dann basierend auf einem Kriterienkatalog des BMI, ob die Anforderungen für die Teilnahme durch die AntragsstellerInnen erfüllt werden. Für Reintegrationsprojekte ist durch das BMI festgelegt, dass nur Personen an dem Projekt teilnehmen können, die einen dreimonatigen Aufenthalt in Österreich vorweisen können. Es wird hier jedoch auf mögliche Ausnahmen hingewiesen, wie zum Beispiel bei Personen, die im Rahmen der Dublin-Regelung nach Österreich rücküberstellten werden (LIB 13.11.2019, letzte Kurzinformation vom 18.05.2020, S. 345).

Des Weiteren sieht die BMI Regelung vor, dass nur eine Person pro Kernfamilie die Unterstützungsleistungen erhalten kann. Im Anschluss unterstützt die jeweilige Rückkehrberatungseinrichtung den/die Interessenten/in beim Antrag auf Kostenübernahme für die freiwillige Rückkehr an das BFA. Wenn die Teilnahme an dem Reintegrationsprojekt ebenso gewünscht ist, so ist ein zusätzlicher Antrag auf Bewilligung des Reintegrationsprojektes zu stellen. Kommt es in weiterer Folge zu einer Zustimmung des Antrags seitens des BMI wird ab diesem Zeitpunkt IOM involviert (LIB 13.11.2019, letzte Kurzinformation vom 18.05.2020, S. 345).

Neben Beratung und Vorabinformationen ist IOM für die Flugbuchung verantwortlich und unterstützt die Projektteilnehmer auch bei den Abflugmodalitäten. Flüge gehen in der Regel nach Kabul, können auf Wunsch jedoch auch direkt nach Mazar-e Sharif gehen [Anm.: Unter Umgehung von Kabul und mit Zwischenlandung in Mazar-e-Sharif]. Die Weiterreise nach Herat beispielsweise findet in der Regel auf dem Luftweg über Kabul statt. Die österreichischen Mitarbeiter unterstützen die Projektteilnehmer beim Einchecken, der Security Controle, der Passkontrolle und begleiten sie bis zum Abflug-Terminal. Teilnehmer am Reintegrationsprojekt RESTART III von IOM landen in der Regel (zunächst) in der afghanischen Hauptstadt Kabul. Dort werden sie von den örtlichen IOM-MitarbeiterInnen in Empfang genommen. IOM Mitarbeiter können Rückkehrer/innen direkt nach Verlassens des Flugzeuges empfangen und sie bei den Ein- bzw. Weiterreiseformalitäten unterstützen. An den Flughäfen anderer Städten wie Mazar-e-Sharif, Kandahar oder Herat gibt es keine derartige Ausnahmeregelung (LIB 13.11.2019, letzte Kurzinformation vom 18.05.2020, S. 346).

RESTART sowie die Folgeprojekte RESTART II und RESTART III unterscheiden sich nur minimal voneiander. So ist beispielsweise die Höhe der Barzahlung und auch die Unterstützung durch Sachleistungen gleichgeblieben, wobei im ersten RESTART Projekt und in der ersten Hälfte von RESTART II nur 2.500 Euro in Sachleistung investiert wurden und die restlichen 300 Euro für Wohnbedürfnisse, Kinderbetreuung oder zusätzlich für Bildung zur Verfügung standen. Dies wurde im Verlauf von RESTART II geändert und es ist nun auch in RESTART III der Fall, sodass die gesamte Summe für eine einkommensgenerierende Tätigkeit verwendet werden kann (LIB 13.11.2019, letzte Kurzinformation 18.05.2020, S. 346).

RADA

IOM hat mit finanzieller Unterstützung der Europäischen Union das Projekt "RADA" (Reintegration Assistance and Development in Afghanistan) entwickelt. Innerhalb dieses Projektes gibt es eine kleine Komponente (PARA - Post Arrival Reception Assistance), die sich speziell an zwangsweise rückgeführte Personen wendet. Der Leistungsumfang ist stark limitiert und nicht mit einer Reintegrationsunterstützung vergleichbar. Die Unterstützung umfasst einen kurzen medical check (unmittelbare medizinische Bedürfnisse) und die Auszahlung einer Bargeldunterstützung in der Höhe von 12.500 Afghani (rund 140 EUR) zur Deckung unmittelbarer, dringender Bedürfnisse (temporäre Unterkunft, Weiterreise, etc.) (LIB 13.11.2019, letzte Kurzinformation 18.05.2020, S. 346).

Wohnungen

In Kabul und im Umland sowie in anderen Städten steht eine große Anzahl an Häusern und Wohnungen zur Verfügung. Die Kosten in Kabul-City sind jedoch höher als in den Vororten oder in den anderen Provinzen. Private Immobilienhändler in den Städten bieten Informationen zu Mietpreisen für Häuser und Wohnungen an. Die Miete für eine Wohnung liegt zwischen 300 USD und 500 USD. Die Lebenshaltungskosten pro Monat belaufen sich auf bis zu 400 USD (Stand 2018), für jemanden mit gehobenem Lebensstandard. Diese Preise gelten für den zentral gelegenen Teil der Stadt Kabul, wo Einrichtungen und Dienstleistungen wie Sicherheit, Wasserversorgung, Schulen, Kliniken und Elektrizität verfügbar sind. In ländlichen Gebieten können sowohl die Mietkosten, als auch die Lebenshaltungskosten um mehr als 50% sinken. Betriebs- und Nebenkosten wie Wasser und Strom kosten in der Regel nicht mehr als 40 USD pro Monat. Abhängig vom Verbrauch können die Kosten allerdings höher sein. Wohnungszuschüsse für sozial Benachteiligte oder Mittellose existieren in Afghanistan nicht (LIB 13.11.2019, letzte Kurzinformation 18.05.2020, S. 347).

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB 13.11.2019, S. 362).

1.2.6. COVID-19

Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wiedergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.

In 30 der 34 Provinzen Afghanistans wurden mittlerweile COVID-19-Fälle registriert. Nachbarländer von Afghanistan, wie China, Iran und Pakistan, zählen zu jenen Ländern, die von COVID-19 besonders betroffen waren bzw. nach wie vor sind. Dennoch ist die Anzahl, der mit COVID-19 infizierten Personen relativ niedrig. COVID-19 Verdachtsfälle können in Afghanistan aufgrund von Kapazitätsproblem bei Tests nicht überprüft werden - was von afghanischer Seite bestätigt wird. Auch wird die Dunkelziffer von afghanischen Beamten höher geschätzt. In Afghanistan können derzeit täglich 500 bis 700 Personen getestet werden. Diese Kapazitäten sollen in den kommenden Wochen auf 2.000 Personen täglich erhöht werden. Die Regierung bemüht sich noch weitere Testkits zu besorgen - was Angesicht der derzeitigen Nachfrage weltweit, eine Herausforderung ist.

Landesweit können - mit Hilfe der Vereinten Nationen - in acht Einrichtungen COVID-19-Testungen durchgeführt werden. Auch haben begrenzte Laborkapazitäten und -ausrüstung einige Einrichtungen dazu gezwungen Testungen vorübergehend einzustellen. Unter anderem können COVID-19-Verdachtsfälle in Einrichtungen folgender Provinzen überprüft werden: Kabul, Herat, Nangarhar und Kandahar. COVID-19 Proben aus angrenzenden Provinzen wie Helmand, Uruzgan und Zabul werden ebenso an die Einrichtung in Kandahar übermittelt.

Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krankheiten: nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) (WP 20.4.2020) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil. Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an COVID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei. Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolations- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung. Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung. 300 weitere Beatmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschultem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten. Engpässe bestehen bei den PPE, persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen.

Aufgrund der Nähe zum Iran gilt die Stadt Herat als der COVID-19-Hotspot Afghanistans; dort wurde nämlich die höchste Anzahl bestätigter COVID-19-Fälle registriert. Auch hat sich dort die Anzahl positiver Fälle unter dem Gesundheitspersonal verstärkt. Mitarbeiter/innen des Gesundheitswesens berichten von fehlender Schutzausrüstung - die Provinzdirektion bestätigte dies und erklärtes mit langwierigen Beschaffungsprozessen. Betten, Schutzausrüstungen, Beatmungsgeräte und Medikamente wurden bereits bestellt - jedoch ist unklar, wann die Krankenhäuser diese Dinge tatsächlich erhalten werden (NYT 22.4.2020). Die Provinz Herat verfügt über drei Gesundheitseinrichtungen für COVID-19-Patient/innen. Zwei davon wurden erst vor kurzem errichtet; diese sind für Patient/innen mit leichten Symptomen bzw. Verdachtsfällen des COVID-19 bestimmt. Patient/innen mit schweren Symptomen hingegen, werden in das Regionalkrankenhaus von Herat, welches einige Kilometer vom Zentrum der Provinz entfernt liegt, eingeliefert. In Hokerat wird die Anzahl der Beatmungsgeräte auf nur 10 bis 12 Stück geschätzt.

Beispiele für Maßnahmen der afghanischen Regierung

Mehr als die Hälfte der afghanischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. Aufgrund der Maßnahmen sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge, arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen. Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die International Organization for Migration (IOM) unterstützen das afghanische Ministerium für öffentliche Gesundheit (MOPH); die WHO übt eine beratende Funktion aus und unterstützt die afghanische Regierung in vier unterschiedlichen Bereichen während der COVID-19-Krise: 1. Koordination; 2. Kommunikation innerhalb der Gemeinschaften 3. Monitoring (durch eigens dafür eingerichtete Einheiten - speziell was die Situation von Rückkehrer/innen an den Grenzübergängen und deren weitere Bewegungen betrifft) und 4. Kontrollen an Einreisepunkten - an den 4 internationalen Flughäfen sowie 13 Grenzübergängen werden medizinische Kontroll- und Überwachungsaktivitäten durchgeführt.

2. Beweiswürdigung

2.1. Die Feststellungen zur Person des BF basieren auf dem Verwaltungsakt zu Zl. 09 05.851-BAT und den vom BFA im Aberkennungsbescheid getroffenen Feststellungen, denen der BF in der Beschwerde nicht entgegentrat.

Die Feststellung zur strafrechtlichen Verurteilung des BF sowie die Feststellung, dass sich dieser in Haft befindet, ergibt sich aus einer Abfrage aus dem Strafregister vom 16.03.2020 sowie aus Einsicht in das vom Landesgericht für Strafsachen Wien ergangene Urteil vom 17.07.2017, Zl. 608 Hv 2/17g - 141.

Dass der Beschwerdeführer ein junger, gesunder Mann ohne lebensbedrohlicher physischer und psychischer Erkrankung ist und er nicht zur Risikogruppe für COVID-19 zählt, ergibt sich aus der Tatsache, dass er sowohl im Verfahren zu Zl. 09 05.851-BAT als auch in der vorliegenden Beschwerde keine diesbezüglichen Angaben getätigt hat. Abgesehen davon befindet er sich nach wie vor in Strafhaft, weshalb er unter regelmäßiger ärztlicher Aufsicht steht. Entsprechende Befunde hätten dem hier anhängigen Verfahren daher vorgelegt werden müssen. Überdies ist davon auszugehen, dass die Pandemie nach der Entlassung aus der unbedingt ausgesprochenen lebenslangen Freiheitsstrafe und der (tatsächlichen) Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan beendet sein wird bzw. bis dahin geeignete Behandlungsmethoden gegen COVID-19 existieren.

Die Feststellung, dass der BF keine Familienangehörigen in Österreich hat, ergibt sich aus einer Abfrage aus dem Grundversorgungs-Betreuungsinformationssystem vom 16.03.2020. Dass die Schwester und der Bruder des BF in Afghanistan leben, beruht auf dem diesbezüglichen Vorbringen des BF in der Beschwerde. Dass dem BF in Herat und Mazar-e Sharif keine Verfolgung von der Familie der Frau, für deren versuchten Mord er rechtskräftig verurteilt wurde, droht, ergibt sich daraus, dass der BF in der Beschwerde vorbrachte, dass die Familie der Frau in Kabul aufhältig sei und seine Schwester habe entführen wollen. Seine Schwester habe jedoch zu einer Tante flüchten können. Da die Schwester offenbar in einem anderen Teil Afghanistans Schutz finden konnte, ist dasselbe auch für den BF anzunehmen. Es daher wahrscheinlich, dass dem BF außerhalb Kabuls - und somit auch in Mazar-e Sharif und Herat - keine Verfolgung durch die Familie der Frau, für deren versuchten Mord er verurteilt wurde, droht.

Dass der Beschwerdeführer bei einer möglichen Rückkehr nach Mazar-e Scharif oder Herat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht in eine existenzbedrohende Notlage geraten würde, ergibt sich aus einer Zusammenschau der oben wiedergegebenen Länderberichte und den festgestellten persönlichen Umständen des Beschwerdeführers.

2.2. Die Feststellungen zur Situation in Afghanistan beruhen auf den nun aktualisierten ge-nannten Quellen, die bereits das BFA seinem Bescheid zugrunde legte und der Beschwerde-führer nicht entkräften konnte. Angesichts der Seriosität dieser Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, an deren Richtigkeit zu zweifeln.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zur Abweisung der Beschwerde (Spruchpunkt A)

3.1.1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten)

Einem Fremden ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 abzuerkennen, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 nicht mehr vorliegen.

Im Zuge einer richtlinienkonformen Auslegung ist Art. 16 der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie) zu beachten, der in Abs. 1 normiert, dass kein Anspruch mehr auf subsidiären Schutz besteht, wenn die Umstände, die zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes geführt haben, "nicht mehr bestehen oder sich in einem Maße verändert haben, dass ein solcher Schutz nicht mehr erforderlich ist". Art. 16 Abs. 2 konkretisiert dies dahingehend, dass die Änderung der Umstände "so wesentlich und nicht nur vorübergehend" sein muss, sodass der subsidiär Schutzberechtigte "tatsächlich nicht länger Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden".

Nach Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes kommt eine Aberkennung nach § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 lediglich in Frage, wenn sich die Umstände nach der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten maßgeblich geändert haben (VfGH 24.09.2019, E 2330/2019).

Nach Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muss sich der Sachverhalt seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes bzw. der erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 - die nur im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen für die Zuerkennung erteilt werden darf - geändert haben (vgl. dazu etwa VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0353, mwN). Nicht jede Änderung des Sachverhalts rechtfertigt allerdings die Aberkennung des subsidiären Schutzes. Eine maßgebliche Änderung liegt unter Bedachtnahme auf die unionsrechtlichen Vorgaben von Art. 19 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 16 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie) vielmehr nur dann vor, wenn sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, dass ein Anspruch auf subsidiären Schutz nicht länger besteht (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0173).

In Bezug auf die Frage, ob sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, sodass Anspruch auf subsidiären Schutz nicht länger besteht, kommt es nicht allein auf den Eintritt eines einzelnen Ereignisses an. Der Wegfall der Notwendigkeit, auf den Schutz eines anderen Staates angewiesen zu sein, kann sich durchaus auch als Ergebnis unterschiedlicher Entwicklungen von Ereignissen, die sowohl in der Person des Fremden als auch in der in seinem Heimatland gegebenen Situation gelegen sind, darstellen (vgl. in diesem Zusammenhang sowohl die hg. Rechtsprechung zu den Leitlinien der Prüfung, ob ein "real risk" der Verletzung des Art. 3 MRK droht, nach der die "die konkrete Einzelsituation des Fremden in ihrer Gesamtheit" zu beurteilen ist bzw. es einer "ganzheitlichen Bewertung" der individuellen Situation des Fremden bedarf sowie VwGH 09.01.2020, Ra 2019/19/0496).

Bei einer Beurteilung nach § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 sind nicht isoliert nur jene Sachverhaltsänderungen zu berücksichtigen, die zeitlich nach der zuletzt erfolgten Bewilligung der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung eingetreten sind, sondern es dürfen im Rahmen der bei der Beurteilung vorzunehmenden umfassenden Betrachtung bei Hinzutreten neuer Umstände alle für die Entscheidung maßgeblichen Elemente einbezogen werden, selbst wenn sie sich vor der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ereignet haben (VwGH 09.01.2020, Ra 2019/19/0496).

Für den konkreten Fall bedeutet dies, dass dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuerkennen ist, wenn sich die Umstände, die zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten geführt haben, maßgeblich geändert haben. Um dies festzustellen zu können, ist ein Vergleich der Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat des BF sowie der persönlichen Umstände des BF im Zeitpunkt der Zuerkennung des subsidiären Schutzes bzw. im Zeitpunkt der letztmaligen Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung mit den nunmehrigen Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat und zu den persönlichen Umständen des BF vorzunehmen. Nur wenn sich auf diesem Sachverhaltsvergleich ergibt, dass sich der entscheidungsrelevante Sachverhalt geändert hat, ist eine Aberkennung nach § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 zulässig (vgl. VwGH 19.6.2018, Ra 2018/20/0069; Fux/Sperner, Änderung der maßgeblichen Umstände - Aberkennung des Status des*der subsidiär Schutzberechtigten nach § 9 Abs 1 Z 1 2. Fall AsylG in Jahrbuch Asyl und Fremdenrecht 2019, 191).

Im Zuerkennungsbescheid vom 06.11.2009 wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt, weil ihm aufgrund der allgemeinen Lage in Afghanistan bei einer Abschiebung nach Afghanistan eine reale Gefahr einer Verletzung des Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes drohe.

Im Bescheid vom 16.10.2014, mit dem die befristete Aufenthaltsberechtigung des BF zuletzt verlängert wurde, begründete das BFA die Verlängerung damit, dass es aufgrund der Ermittlungen zur allgemeinen Lage in Afghanistan in Verbindung mit dem Vorbringen des BF das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als glaubwürdig gewertet werden habe können.

Im Aberkennungsbescheid vom 31.08.2018 begründete das BFA die Aberkennung im Wesentlichen damit, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorliegen, weil dem BF eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 AsylG 2005 nach Kabul, Herat oder Mazar-e Scharif offenstehe.

Der BF stammt aus der Provinz Ghazni. Aus den Feststellungen zur aktuellen Lage in Afghanistan geht hervor, dass die Sicherheitslage in Ghazni (nach wie vor) relativ instabil ist. Eine Rückführung des BF in diese Provinz wäre daher (nach wie vor) mit einer ernstzunehmenden Gefahr für Leib und Leben verbunden. Eine Änderung, wonach der BF in seine Herkunftsprovinz zurückkehren könnte, liegt somit nicht.

Geändert hat sich jedoch, dass aus den nunmehrigen Feststellungen zur aktuellen Lage in Afghanistan - im Gegensatz zu den im Zuerkennungsbescheid getroffenen Feststellungen - ableitbar ist, dass für den BF eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 AsylG 2005 in die Städte Mazar-e Sharif und Herat besteht:

Das Bestehen einer innerstaatliche Fluchtalternative steht der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten entgegen (§ 8 Abs. 3 AsylG 2005). Besteht für den BF eine innerstaatliche Fluchtalternative liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vor (vgl. hierzu VwGH 29.01.2020, Ro 2019/18/0002). Das Bestehen einer innerstaatliche Fluchtalternative setzt gemäß § 11 Abs. 1 AsylG 2005 voraus, dass dem BF in einem Teil seines Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden kann, und ihm der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann. Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1 AsylG 2005) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind. Zudem muss das ins Auge gefasste Gebiet sicher und legal zu erreichen sein (VwGH vom 23.01.2018, Ra 2018/18/001; VwGH vom 08.08.2017, Ra 2017/19/0118).

Bei der Prüfung, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative gegeben ist, ist gemäß § 11 Abs. 2 AsylG 2005 auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände des BF im Entscheidungszeitpunkt abzustellen. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, wobei die zu erwartende Lage des BF in dem in Frage kommenden Gebiet zu prüfen ist (VwGH vom 08.08.2017, Ra 2017/19/0018).

Ob dem BF der Aufenthalt in einem bestimmten Gebiet des Herkunftsstaates zugemutet werden kann, hängt von mehreren Faktoren ab. Dazu müssen die persönlichen Umstände des BF, die Sicherheit, die Achtung der Menschenrechte und die Aussichten auf wirtschaftliches Überleben in diesem Gebiet beurteilt werden. Es muss möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute des BF führen können. Ein voraussichtlich niedrigerer Lebensstandard oder eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation sind keine ausreichenden Gründe, um ein vorgeschlagenes Gebiet als unzumutbar abzulehnen. Die Verhältnisse in dem Gebiet müssen aber ein für das betreffende Land relativ normales Leben ermöglichen (VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001; VwGH 30.01.2018 Ra 2018/18/0001).

Bei der vorliegenden Beurteilung sind auch Richtlinien bzw. Berichte des UNHCR von Bedeu-tung, denen nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes Indizwirkung zukommt (vgl. etwa VwGH 16.01.2008, 2006/19/0182, m.w.N.). In seinen Richtlinien "zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs Afghanischer Asylsuchender" vom 19. April 2016 geht UNHCR davon aus, dass eine interne Schutzalternative nur dann zumutbar ist, wenn die betroffene Person im Neuansiedlungsgebiet Zugang zu einem traditionellen Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder durch Mitglieder ihrer größeren ethnischen Gruppe hat und davon ausgegangen werden kann, dass diese willens und in der Lage sind, den Betroffenen auch tatsächlich zu unterstützen. Die einzigen Ausnahmen von dieser Anforderung der externen Unterstützung stellen nach Auffassung von UNHCR alleinstehende leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf dar; diese Personen können "unter bestimmten Umständen" ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semiurbanen Umgebungen leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Erwerbsmöglichkeiten zur Sicherung der Grundversorgung bieten und unter tatsächlicher staatlicher Kontrolle stehen (siehe auch VwGH 08.08.2017, Ra 2017/19/0118).

Im Zuerkennungsbescheid vom 06.11.2009 wurden keine bzw. kaum Feststellungen bezüglich der Sicherheits-, Menschenrechts-, und Versorgungslage sowie der wirtschaftlichen Situation in den Städten Mazar-e Sharif und Herat getroffen. Es wurden lediglich sehr kurz gehaltene allgemeine Feststellungen zur Lage im Norden und Westen Afghanistans getroffen (Mazar-e Sharif liegt im Norden, Herat im Westen Afghanistans). So wurde festgestellt, dass im Norden und Nordosten Afghanistans zunehmend Aktivitäten von mit Taliban sympathisierenden Gruppen sowie der Hezb-e Islami Hekmatyar (HiG) registriert worden seien und es im Nordwesten immer wieder zu interfraktionellen Kämpfen und erheblichen Spannungen komme. Feststellungen über die konkrete Lage in Mazar-e Sharif oder Herat wurden nicht getroffen. Aber auch die allgemein gehaltenen Feststellungen über die Lage im Norden und Westen Afghanistans beziehen sich nur auf die Sicherheitslage in diesen Gebieten und treffen keine Aussagen über die dortige Versorgungslage und wirtschaftliche Situation. Aus den dem Zuerkennungsbescheid zugrundeliegenden Sachverhalt wäre somit das Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative - bei welcher rechtlichen Beurteilung auch immer - nicht ableitbar gewesen.

Im vorliegenden Erkenntnis werden hingegen umfassende Feststellungen betreffend die Lage in den Städten Mazar-e Sharif und Herat getroffen, aus denen ableitbar ist und auch abgeleitet wird, dass dem BF eine innerstaatlichen Fluchtalternative offensteht:

Nunmehr ergibt sich, dass die Stadt Mazar-e Sharif für Normalbürger vergleichsweise sicher ist. Die Provinz Balkh - dessen Hauptstadt Mazar-e Sharif ist - ist eine der stabilsten Provinzen Afghanistans. Sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen Afghanistans. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskrä

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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