TE Bvwg Erkenntnis 2019/7/30 L507 2219447-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.07.2019
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Entscheidungsdatum

30.07.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1a

Spruch

L507 2219447-3/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Habersack über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Libanon, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.06.2019, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1.1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Libanon, versuchte am 07.05.2019 am Flughafen Wien-Schwechat nach Österreich einzureisen. Im Zuge einer Identitätsfeststellung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes stellte der Beschwerdeführer einen (ersten) Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 08.05.2019 führte der Beschwerdeführer aus, er sei libanesischer Staatsangehöriger und habe zuletzt in der Stadt Saida (auch Sidon) gelebt. Er sei geschieden und habe eine zweieinhalb jährige Tochter. Die Eltern und Geschwister sowie die geschiedene Ehegattin und die Tochter des Beschwerdeführers würden nach wie vor im Libanon leben. Der Beschwerdeführer habe als Bauarbeiter gearbeitet. Er habe seine Ex-Gattin vor vier Jahren ohne die Zustimmung ihrer Eltern geheiratet, weshalb er immer wieder Probleme mit der Familie seiner Ex-Gattin gehabt habe. Der Beschwerdeführer und seine damalige Gattin sowie seine Tochter seien deswegen gezwungen gewesen, ständig an verschiedenen Orten zu wohnen und sich versteckt zu halten. Die Familie der Ex-Gattin des Beschwerdeführers habe dem Beschwerdeführer ständig nach dem Leben getrachtet. Die Ex-Gattin des Beschwerdeführers habe dieses Leben nicht mehr ausgehalten und sei schließlich zu ihren Eltern zurückgekehrt. Die Familie der Ex-Gatten des Beschwerdeführers habe den Beschwerdeführer töten wollen und zwar aus Blutrache. Aus Angst um sein Leben habe der Beschwerdeführer schließlich den Libanon verlassen. Ansonsten habe er keine Gründe für eine Asylantragstellung.

Am 15.05.2019 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) niederschriftlich einvernommen, wobei er im Wesentlichen vorbrachte, dass er libanesischer Staatsangehöriger sei und seine Eltern, seine Geschwister sowie seine Tochter und seine Ex-Gattin nach wie vor im Libanon leben würden. Der Beschwerdeführer habe im Dorf XXXX in der Nähe der Stadt Sidon gelebt und als selbstständiger Maurer gearbeitet. Den Libanon habe der Beschwerdeführer verlassen, weil er von seinen Ex-Schwiegereltern getötet werden hätte sollen. Der Beschwerdeführer habe nämlich seine Ex-Gattin ohne die Zustimmung ihrer Eltern vor ungefähr drei oder vier Jahren geheiratet, indem er seine Ex-Gattin entführt habe. Ungefähr vor drei oder vier Monaten sei die Ex-Gattin des Beschwerdeführers mit der gemeinsamen zweieinhalb jährigen Tochter zu ihren Eltern, die in einem benachbarten Dorf leben, geflüchtet. Danach sei die Scheidung von einem geistlichen Vertreter vollzogen worden. Der Beschwerdeführer sei von der Familie seiner Ex-Gattin immer wieder bedroht worden, weil er diese ohne das Einverständnis ihrer Familie geheiratet habe. Die Familie der Ex-Gattin des Beschwerdeführers sei sehr einflussreich, weshalb eine Verständigung oder eine Anzeige bei den Behörden nichts gebracht hätte. Aus diesem Grund habe der Beschwerdeführer den Libanon verlassen.

1.2. Mit Schreiben vom 20.05.2019 teilte UNHCR mit, dass die Zustimmung gemäß

§ 33 Abs. 2 AsylG 2005 erteilt werde, da das Vorbringen in Einklang mit Beschluss Nr. 30 des UNHCR-Exekutivkomitees als offensichtlich unbegründet eingestuft werden könne.

1.3. Mit Bescheid des BFA vom 20.05.2019, Zl. 1228860507 - 190467750, wurde der erste Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 33 Abs. 1 Z 1 und 2 iVm § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt.

Das BFA traf in diesem Bescheid die Feststellungen, dass die Identität des Beschwerdeführers nicht feststehe. Der Beschwerdeführer sei Staatsangehöriger des Libanon, gehöre der arabischen Volksgruppe an und sei schiitischer Moslem. Er habe im Libanon als Maurer selbstständig gearbeitet, sei geschieden und habe eine zweieinhalb jährige Tochter. Die Angehörigen des Beschwerdeführers, seine Eltern und seine Geschwister würden nach wie vor im Libanon in XXXX leben. Der Beschwerdeführer sei gesund und arbeitsfähig.

Die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Begründung für das Verlassen seines Herkunftsstaates - Blutrache und Probleme mit den Schwiegereltern - seien nicht glaubhaft.

Es könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer einer asylrelevanten Gefährdung oder Verfolgung ausgesetzt gewesen sei bzw. sei.

Der Beschwerdeführer verfüge im Libanon über familiäre Anknüpfungspunkte. Er sei arbeitsfähig und verfüge über Berufserfahrung und die elementare Grundversorgung im Libanon sei gewährleistet.

Es könne unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation [gemeint: Libanon] dort einer realen Gefahr der Verletzung von Art. 2, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention ausgesetzt wäre oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen könnte.

Der Beschwerdeführer verfüge im Herkunftsstaat über soziale und familiäre Bezugspunkte - seine Angehörigen, seine Eltern und seine Geschwister würden dort leben.

Der Beschwerdeführer sei ein gesunder und junger 26-jähriger Mann, habe einen Schulabschluss, sei arbeitsfähig und habe seinen Lebensunterhalt bisher aus eigenem als selbständiger Maurer bestritten. Dies könne er auch weiterhin tun.

Der Beschwerdeführer sei von seiner Familie (insbesondere durch seinen Vater) finanziell unterstützt worden und würde deshalb auch Unterstützungs- und Unterkunftsmöglichkeit im Libanon vorfinden. Aufgrund seiner Berufsausbildung und Arbeitsfähigkeit sei der Lebensunterhalt gewährleistet.

In Österreich habe der Beschwerdeführer keine Familienangehörigen oder Verwandte.

Der Beschwerdeführer sei bisher noch nie in Österreich gewesen und habe daher keine Anknüpfungspunkte zu Österreich. Der Beschwerdeführer spreche nicht Deutsch.

1.4. Die gegen diesen Bescheid fristgerecht erhobene Beschwerde wurde mit hg. Erkenntnis vom 03.06.2019, Zl. L507 2219447-1/2E, mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, sodass Spruchpunkte II. wie folgt zu lauten hatte:

"II. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wird Ihr Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Ihren Herkunftsstaat Libanon abgewiesen."

Zur Person des Beschwerdeführers wurden im hg. Erkenntnis folgende Feststellungen getroffen:

"Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger des Libanon und hat im gesamten Verfahren keine Identitätsdokumente in Vorlage gebracht. Die Identität des Beschwerdeführers steht nicht fest.

Der Beschwerdeführer versuchte am 07.05.2019 am Flughafen Wien-Schwechat in das österreichische Bundesgebiet einzureisen. Seither ist der Beschwerdeführer im Sondertransit auf dem Flughafen Wien-Schwechat aufhältig.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich keine familiären Anknüpfungspunkte. Er ist seit der versuchten Einreise in das österreichische Bundesgebiet in einem Quartier des Sondertransits am Flughafen Wien-Schwechat untergebracht und bezieht dort Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer den Herkunftsstaat aufgrund individueller Verfolgung verlassen hat oder im Falle einer Rückkehr dorthin der Gefahr einer solchen ausgesetzt wäre.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in den Libanon aus sonstigen individuellen Gründen oder aufgrund der allgemeinen Lage vor Ort einer maßgeblichen Gefährdung ausgesetzt wäre oder dort keine hinreichende Existenzgrundlage vorfinden würde. Es konnten auch keine schwerwiegenden Erkrankungen des Beschwerdeführers festgestellt werden. Der Beschwerdeführer ist gesund."

Beweiswürdigend wurde vom Bundesverwaltungsgericht unter anderem Folgendes ausgeführt:

"Die belangte Behörde ist zu Recht davon ausgegangen, dass dem Beschwerdeführer weder der Status eines Asylberechtigten noch der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen waren.

Beweiswürdigend wurde vom BFA schlüssig und nachvollziehbar ausgeführt, dass es die behauptete Bedrohung aufgrund des näher dargestellten allgemein gehaltenen und unschlüssigen Vorbringens des Beschwerdeführers für nicht glaubwürdig befinde.

Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich einerseits den diesbezüglichen Ausführungen des BFA im angefochtenen Bescheid vollinhaltlich an und tritt dem Verfahrensergebnis vollinhaltlich bei.

Die Beschwerde vermochte die Beweiswürdigung im angefochtenen Bescheid nicht in Zweifel zu ziehen.

Einerseits wurde in der Beschwerde das Vorbringen des Beschwerdeführers wiederholt und andererseits wurde mehrfach behauptet, dass das Ermittlungsverfahren und die Beweiswürdigung im angefochtenen Bescheid mangelhaft seien, weil der Beschwerdeführer nicht näher zu den Verbindungen seines Schwiegervaters und seiner Schwager zur libanesischen Hisbollah befragt worden sei.

Diesbezüglich muss ausgeführt werden, dass der Beschwerdeführer nur am Rande seines Vorbringens erwähnt hat, dass die Familie seiner Ex-Gattin einflussreich sei, weshalb es aus seiner Sicht keinen Sinn ergeben hätte, die Bedrohungen durch die Familie seiner Ex-Gattin bei den Sicherheitsbehörden anzuzeigen. Des Weiteren habe er wiederum nur am Rande im Zusammenhang mit der Frage, wann er seine Tochter zum letzten Mal gesehen habe, allgemein gehalten erwähnt, dass die Eltern seiner Ex-Gattin bei der Hisbollah seien und nicht einmal Gott ihnen etwas anhaben können.

Aus diesen allgemein gehaltenen und rudimentären Vorbringensteilen wird nun in gegenständlicher Beschwerde - losgelöst von den Kerninhalten des Vorbringens des Beschwerdeführers - versucht, eine Verfolgung des Beschwerdeführers durch einen mächtigen libanesischen Familienclan, der sehr eng mit der schiitischen Hisbollah im Libanon vernetzt und verbunden sei, zu konstruieren und dem vom Beschwerdeführer in den Raum gestellten Sachverhalt - er sei von der Familie seiner Ex-Gattin bedroht worden, weil er vor drei oder vier Jahren seine Ex-Gattin ohne die Zustimmung ihrer Familie geheiratet habe - mehr Gewicht zu verleihen. Diesbezüglich wird auch von der Vertretung des Beschwerdeführers ein Zusammenhang mit einer politischen Verfolgung des Beschwerdeführers oder einer Verfolgung aufgrund einer unterstellten politischen Gesinnung auszubauen versucht, indem mehrfach auf die Gefährlichkeit und den Einfluss der schiitischen Hisbollah im Libanon hingewiesen wird.

Mit der apodiktischen Behauptung, dass das BFA notwendige Ermittlungen unterlassen hat, weil es den Beschwerdeführer nicht zu den Verbindungen seines Ex-Schwiegervaters und dessen Familie zur libanesischen Hisbollah befragt hätte, gelingt es der Vertretung des Beschwerdeführers nicht, eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens aufzuzeigen, zumal nur behauptet wird, dass der Beschwerdeführer weitere konkretere Angaben gemacht hätte, sofern man ihn gefragt hätte, ohne diesbezüglich in der Beschwerde näher auszuführen, was der Beschwerdeführer vorbringen hätte wollen bzw. welche Angaben der Beschwerdeführer machen hätte können.

Diesbezüglich ist auch auszuführen, dass das BFA lediglich die Pflicht trifft, den Sachverhalt von sich aus so weit zu ermitteln, als ihm dies möglich ist. Die Verpflichtung der Behörde, den Sachverhalt von Amts wegen vollständig und umfassend zu ermitteln, bezieht sich grundsätzlich nur auf solche asylrechtlich relevanten Umstände, die vom Asylwerber auch in "konkreter Weise" vorgetragen werden. Die Aussage des Asylwerbers ist das zentrale Bescheinigungsmittel und Ausgangspunkt für die die Behörde treffende Ermittlungspflicht. Finden sich in den Aussagen eines Asylwerbers keine "ausreichenden Anhaltspunkte" für das Vorliegen eines Asylgrundes, so bedarf es in der Regel keiner weitergehenden amtswegigen Ermittlungen. Es besteht keine Verpflichtung der Behörde, Asylgründe zu ermitteln, die der Asylwerber gar nicht behauptet hat (VwGH 21. 11.1995, Zl 95/20/0329, mwN; VwGH 23.01.1997, 95/20/0303, 95/20/0304; vgl auch VwGH 02.03.1988, 86/01/0187; B 30.11.2000, 2000/20/0445). Das Bundesverwaltungsgericht ist weiters der Ansicht, dass nur im Fall hinreichender deutlicher Hinweise im Vorbringen eines Asylwerbers auf einen Sachverhalt, der für die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung iSd Flüchtlingskonvention sowie zur Beurteilung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Herkunftsstaat in Betracht kommt, die Behörde in geeigneter Weise auf eine Konkretisierung der Angaben zu dringen hätte. Die Pflicht geht aber nicht so weit, dass sie Asyl- oder Non-Refoulementgründe, die der Asylwerber gar nicht behauptet hat, ermitteln müsste (VwGH 20.1.1993, 92/01/0950; 17.1.1994, 94/19/0886).

Dem BFA ist somit vollinhaltlich zuzustimmen, wenn es beweiswürdigend ausführt, dass der Beschwerdeführer lediglich einen rudimentären Sachverhalt in den Raum gestellt hat, ohne dazu weitere oder tiefergehende Angaben zu machen, weshalb von der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers auszugehen war. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes sind die beweiswürdigenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid schlüssig und nachvollziehbar und hat es die Vertretung des Beschwerdeführers mit den in den Raum gestellten Behauptungen in gegenständlicher Beschwerde - ohne diese näher auszuführen oder zu konkretisieren - nicht vermocht, eine Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens oder eine mangelhafte Beweiswürdigung zu begründen.

Zudem geht aus dem Protokoll des BFA auch nicht hervor, dass dem Beschwerdeführer zu wenig Zeit zur Schilderung oder Begründung seines Asylantrages geboten oder sein freier Redefluss behindert worden sei. Aus dem Protokoll ist gegenteilig ersichtlich, dass die belangte Behörde bemüht war, eine vollständige Befragung des Beschwerdeführers durchzuführen bzw. ihm die Möglichkeit zu geben, ausführlich seine Fluchtgeschichte darzulegen.

Diesbezüglich war auch dem Einwand in gegenständlicher Beschwerde, der Beschwerdeführer habe sich zum Zeitpunkt der Einvernahme vor dem BFA erst seit einigen Tagen in Österreich aufgehalten, weshalb von ihm nicht verlangt werden könne, dass er von sich aus darauf bestanden hätte, seine Fluchtgeschichte genauer und umfangreicher darzulegen, nicht zu folgen, zumal dem Einvernahmeprotokoll vom 15.05.2019 nicht entnommen werden kann, dass dem Beschwerdeführer keine Zeit gelassen worden sei, seine Fluchtgeschichte zu erzählen, oder dass der Redefluss des Beschwerdeführers unterbrochen worden sei bzw. dass man den Beschwerdeführer nicht ausreden habe lassen. Gegenteilig zu diesem Vorbringen in der Beschwerde bestätigte der Beschwerdeführer während der Einvernahme, dass er nach Rückübersetzung keine Einwände gegen die Niederschrift selbst habe und alles richtig und vollständig protokolliert worden sei.

Zusammenfassend gelangt das erkennende Gericht - wie auch das BFA - zur Ansicht, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht glaubwürdig ist, weshalb es der Beschwerdeführer nicht vermocht hat, seinem Antrag auf internationalen Schutz in Österreich eine plausible und glaubhafte Begründung zu geben.

Nicht zuletzt trat auch das Büro von UNHCR Wien im Hinblick auf dieses Vorbringen des Beschwerdeführers der von der belangten Behörde beabsichtigten Abweisung seines Schutzbegehrens nicht entgegen und bewertete dieses als offensichtlich unbegründet.

Dass es aktuell im Libanon keinen landesweiten bewaffneten Konflikt gibt, unter dem die Zivilbevölkerung in einer Weise zu leiden hätte, dass ein Aufenthalt ebendort jeden, sohin auch den Beschwerdeführer, in eine maßgebliche Gefahrenlage bringen würde, war ebenso als notorisch anzusehen wie dies aus den von der belangten Behörde getroffenen Feststellungen zu gewinnen war.

Die Annahme, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr auch insoweit keiner maßgeblichen Gefährdung ausgesetzt wäre, als er etwa in wirtschaftlicher Hinsicht in eine existenzbedrohende Notlage geraten würde, stützte schon die belangte Behörde zu Recht darauf, dass er im Herkunftsstaat über familiäre Anknüpfungspunkte verfügt, deren Hilfe er nötigenfalls in Anspruch nehmen kann. Abgesehen davon handelt es sich bei ihm um einen arbeitsfähigen und -willigen Mann, der mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit im Herkunftsstaat für seinen Unterhalt sorgen wird können. Dass er unter allfälligen gravierenden Erkrankungen leiden würde, konnte nicht festgestellt werden und ist auch sonst nicht hervorgekommen.

Die vom BFA getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Libanon stellten sich in den für die Entscheidung wesentlichen Aspekten als ausreichend und tragfähig dar und stehen mit dem Amtswissen des Gerichts hierzu im Einklang. In der Beschwerde fand sich kein entgegenstehendes substantielles Vorbringen."

2.1. Nach dem negativen Abschluss des Asylverfahrens verweigerte der Beschwerdeführer die Zurückweisung nach Larnaka bzw. Zypern.

In der Folge wurde mit Bescheid des BFA vom 06.06.2019, Zl. 1228860507/190570275, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG in den Libanon zulässig sei. Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 6 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Gemäß § 18 Abs. 2 Z 1

BFA-VG wurde einer Beschwerde gegen diesen Bescheid die aufschiebende Wirkung aberkannt.

2.2. Der fristgerecht eingebrachten Beschwerde gegen diesen Bescheid wurde mit hg. Erkenntnis vom 16.07.2019, Zl. L502 2219447-2/3E, stattgegeben und der Bescheid des BFA vom 06.06.2019 ersatzlos behoben, zumal der Beschwerdeführer am 10.06.2019 neuerlich aus dem Stand der Schubhaft einen (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat.

3.1. Infolge der zweiten verfahrensgegenständlichen Asylantragsstellung wurde der Beschwerdeführer am 10.06.2019 von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt, wobei er im Wesentlichen zur Änderung seiner Situation bzw. zu seinen Fluchtgründen befragt vorbrachte, dass es keine neuen Gründe gebe.

Bei der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 26.06.2019 brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, dass die Fluchtgründe aus dem Erstverfahren noch bestehen würden und noch aufrecht seien. Neue Fluchtgründe habe der Beschwerdeführer nicht. Die Fluchtgründe des Beschwerdeführers seien gleich geblieben und könne er aus diesen Gründen nicht in seine Heimat zurückkehren. Der Beschwerdeführer werde niemals in den die Libanon zurückkehren. Er befinde sich seit seiner Einreise in Österreich in Schubhaft. Ein Freund von ihm, der die gleichen Fluchtgründe und den gleichen Reiseweg gehabt habe, sei aus der Schubhaft entlassen worden und befinde sich nunmehr in einer Asylwerberunterkunft. Dessen Asylverfahren laufe weiter, weshalb sich der Beschwerdeführer die Frage stelle, weshalb ausgerechnet er abgeschoben werde.

3.2. Der zweite verfahrensgegenständliche Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers wurde mit Bescheid des BFA vom 30.06.2019, Zl. 1228860507 / 190580378 EAST-Ost, hinsichtlich des Status des Asylberichtigten und des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I. und II.) Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß

§ 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß

§ 46 FPG in den Libanon zulässig sei (Spruchpunkt V.). Festgestellt wurde, dass gemäß

§ 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VI.).

In diesem Bescheid wurde vom BFA festgestellt, dass der Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers vom 07.05.2019 unter der Zl. IFA 1228860507/190467750 mit Bescheid des Bundesamtes vom 20.05.2019 gemäß § 33 Abs. 1 Z 1 und Z 2 iVm 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen wurde. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Libanon abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG nicht erteilt.

Die gegen diese Entscheidung eingebrachte Beschwerde wurde mit Erkenntnis des BVwG abgewiesen, und erwuchs am 03.06.2019 in Rechtskraft.

Zur Person des Beschwerdeführers wurde festgestellt, dass seine Identität nicht feststehe und er im gegenständlichen Verfahren mit dem Namen XXXX , geb. am XXXX , StA. Libanon, geführt werde. Der Beschwerdeführer sei gesund und arbeitsfähig und in Österreich nicht erwerbstätig. Die Einreise des Beschwerdeführers in Österreich sei illegal erfolgt und befinde sich der Beschwerdeführer derzeit in Schubhaft. Er sei in Österreich strafrechtlich unbescholten. Bis zur Bescheiderlassung hätten sich weder eine schwere körperliche oder ansteckende Krankheit, noch eine schwere psychische Störung ergeben, die bei einer Überstellung/Abschiebung nach Afghanistan [gemeint wohl: in den Libanon] eine zumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers bewirken würde. Des Weiteren würden unter Berücksichtigung aller bekannten Tatsachen keine Umstände existieren, die einer Ausweisung aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich entgegenstünden.

Weiters wurde vom BFA festgestellt, dass der Beschwerdeführer im Erstverfahren keinen asylrelevanten Sachverhalt vorgebracht habe und bei der niederschriftlichen Einvernahme zum zweiten Antrag auf internationalen Schutz angegeben habe, dass die Fluchtgründe aus dem Erstverfahren aufrecht seien und der Beschwerdeführer keine neuen Fluchtgründe habe, weshalb für das BFA kein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt feststellbar sei und das BFA daher verpflichtet sei, den Folgeantrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

Das BFA traf sodann im angefochtenen Bescheid nachfolgend auszugsweise wiedergegebene Feststellungen zur Lage im Libanon:

"Politische Lage

Libanon ist eine parlamentarische Demokratie nach konfessionellem Proporzsystem. Politische Parteien sind zugelassen; sie sind jedoch in der Praxis meist Zweckbündnisse, die vor allem auf der Zugehörigkeit zu einer religiösen Gruppe basieren. Die Verfassung des Landes schreibt eine Trennung der Gewalten vor. Parlamentswahlen sollen alle vier Jahre abgehalten werden; der Staatspräsident wird von den Abgeordneten für sechs Jahre gewählt. Das libanesische System wird von der Zusammenarbeit der verschiedenen religiösen Gruppen getragen; daneben spielen Familien- und regionale Interessen eine große Rolle (AA 1.3.2018).

Das politische System basiert auf der Verfassung von 1926, dem ungeschriebenen Nationalpakt von 1943 und dem im Gefolge der Taif-Verhandlungen am 30. September 1989 verabschiedeten "Dokument der Nationalen Versöhnung" (AA 1.3.2018). In diesem sogenannten Taif-Abkommen wurde festgelegt, dass die drei wichtigsten Ämter im Land auf die drei größten Konfessionen verteilt werden:

? Das Staatsoberhaupt muss maronitischer Christ sein

? Der Parlamentspräsident muss schiitischer Muslim sein

? Der Regierungschef muss sunnitischer Muslim sein

Dieser Proporz bestimmt die gesamte Verwaltung und macht auch vor der Legislative nicht halt. Das Parlament mit seinen 128 Mitgliedern setzt sich nach dem Grundsatz der konfessionellen Parität wie folgt zusammen:

34 Maroniten, 27 Schiiten, 27 Sunniten, 14 griechisch-orthodoxe Christen, 8 Drusen, 8 melikitische/griechisch-katholische Christen, 5orthodoxe Armeniern, 2 Alewiten, 1 armenischer Katholik, 1 Protestant und 1 weitere Minderheit (GIZ 6/2018, vgl. USDOS 20.4.2018).

Bei der im Abkommen von Taif vorgesehenen allmählichen Entkonfessionalisierung des politischen Systems gibt es bisher keine Fortschritte (AA 1.3.2018).

Das Parlament des Libanon ist konfessionsübergreifend in zwei politische Blöcke gespalten, die einander im Libanon unversöhnlich gegenüberstehen:

? die von der schiitisch geprägten und vom Iran beeinflussten Hisbollah angeführte 8.März-Koalition und

? die eher westlich orientierte, sunnitisch geprägte und von Saad Hariri (Future Movement; arab.: (al-)Mustaqbal) angeführte 14. März-Bewegung (BBC 4.11.2014; vgl. GIZ 6/2018).

Die traditionelle Feindschaft zwischen diesen beiden Blöcken wurde durch den Konflikt im benachbarten Syrien zusätzlich vertieft, als schiitische Hisbollah-Kämpfer sich auf die Seite der syrischen Regierung stellten, während die 14. März-Bewegung die syrischen Rebellen unterstützte (BBC 4.11.2014; vgl. GIZ 6/2018).

Diese Polarisierung lähmt das Land politisch und ökonomisch, verstärkt konfessionelle Spannungen zwischen Schiiten und Sunniten und erschwert bzw. verhindert außerdem die Erarbeitung notwendiger Lösungen für die ökonomischen, sozialen und politischen Herausforderungen (GIZ 6/2018).

Aufgrund schwer erzielbarer Mehrheiten war es auch jahrelang nicht möglich, ein Wahlgesetz zu verabschieden. Dies führte dazu, dass die Parlamentswahl 2013 ausgesetzt und das Mandat der Abgeordneten mehrfach verlängert wurde (GIZ 6/2018, vgl. USDOS 20.4.2018).

Am 31. Oktober 2016 wurde nach zweieinhalb Jahren und 45 gescheiterten Versuchen ein neuer Präsident gewählt. Mit der Wahl des maronitischen Christen Michel Aoun kam Bewegung in die stark polarisierte libanesische Politik. Da Aoun als Kandidat der schiitischen Hisbollah für das Amt des Präsidenten galt, wurde er zunächst von Premierminister Saad Hariri abgelehnt. Seine Wahl wurde schließlich erst durch eine überraschende Kehrtwende Hariris ermöglicht. Im Gegenzug beauftragte Aoun Hariri, eine neue Regierung der nationalen Einheit zu bilden. Zwei Monate nach der Präsidentschaftswahl wurde am 19. Dezember 2016 eine neue Regierung vereidigt (GIZ 6/2018).

Im Juni 2017 konnte sich das politische Establishment schließlich auf ein neues Wahlrecht einigen. Dieses sieht unter anderem vor, das Mehrheitswahlrecht durch das Verhältniswahlrecht abzulösen. Hierdurch sollten kleinere Parteien und Wählergruppen gestärkt werden, doch das von den Regierungsparteien außerhalb des Parlaments verhandelte Wahlgesetz enthält zahlreiche Einschränkungen der Verhältniswahl wie beispielsweise eine sehr hohe Einzugshürde bei zehn Prozent.

Positiv ist jedoch, dass die Parteien faktisch gezwungen werden, konfessionsübergreifende Listen zu bilden. Wenn es in einem Wahlkreis die Festlegung gibt, dass hier zwei Sitze für Christen und drei Sitze für Muslime vergeben werden, müssen hier die Parteien eine gemeinsame Liste bilden, um antreten zu dürfen.

Im neuen Wahlgesetz werden Jugendliche unter 21 ausgeschlossen. Auch wurde keine Quote für weibliche Parlamentsabgeordnete eingeführt, obwohl der Libanon eines der Länder mit der niedrigsten Zahl an weiblichen Abgeordneten ist. Der christlich-muslimische Proporz des Parlaments wird durch das Gesetz nicht berührt (GIZ 6/2018).

Am 6. Mai 2018 fanden nach jahrelanger Pattstellung schließlich erstmals seit 2009 erneut Parlamentswahlen statt.

77 Listen mit insgesamt 597 Kandidaten waren für die Wahl um 128 Parlamentssitze in 26 Distrikten registriert. Die Anzahl der weiblichen Kandidaten nahm gegenüber der letzten Wahl auf 86 zu und betrug somit nun 14,4 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag insgesamt bei 49,2 Prozent, nach 53,37 Prozent im Jahr 2009. Die offiziellen Ergebnisse weisen die Sitze wie folgt zu: Future Movement [Anm.: arab. - (al-)Mustaqbal], 21; Free Patriotic Movement, 20; Amal, 17; Libanese Forces, 15; Hisbollah, 12; Progressive Socialist Party, 8; die "Determination (Azem)" Bewegung des ehemaligen Premierministers Mikati, 4; Marada, die Syrian Social Nationalist Party, Kataeb und Tashnaq, jeweils 3 Sitze. Zum ersten Mal gewann ein Kandidat der Zivilgesellschaft einen Sitz durch die Wahlliste "Koulouna Watani" in Beirut. Die Zahl der gewählten Frauen im Parlament stieg von vier auf sechs (UN 13.7.2018; vgl. USDOS 29.5.2018).

Die Hisbollah und ihre politischen Verbündeten (darunter auch das Free Patriotic Movement FPM, eine christliche Partei unter der Führung von Präsident Michel Aoun, die wie 2009 knapp zwanzig Sitze erringen konnte), gewannen somit mit 65 knapp die Hälfte der 128 Sitze im Parlament, während der vom Westen unterstützte sunnitische Premierminister Saad al-Hariri zwar mehr als ein Drittel seiner Sitze verlor, aber mit 21 Parlamentsmitgliedern immer noch Führer des größten politischen Blocks ist. Zu diesem Block gehört auch die christliche, gegen die Hisbollah auftretende anti-syrische Partei "Libanese Forces", die als zweiter großer Sieger bei dieser Wahl ihre Mandate gegenüber der Wahl 2009 beinahe verdoppelte.

Insgesamt betrachtet haben somit die vom Iran unterstützte Hisbollah und ihre politischen Verbündeten bei den Parlamentswahlen etwas an Einfluss gewonnen (RFE 7.5.2018, vgl. ICG 9.6.2018), wenngleich sich an der grundsätzlichen Machtstruktur nichts geändert hat. Der bisherige Premier Hariri wurde trotz der Wahlverluste neuerlich damit beauftragt, eine Regierung zu bilden (GIZ 6/2018, vgl. USDOS 29.5.2018).

Im Libanon leben schätzungsweise zwischen 4,5 und 6,2 Millionen Menschen, je nachdem, inwieweit die große Zahl von Flüchtlingen mitberücksichtigt wird oder nicht (CIA 14.8.2018, vgl. GIZ 6/2018). Neben etwa 450.000 [Anm.: bei der UNRWA registrierten] palästinensischen Flüchtlingen - die Zahl der derzeit tatsächlich im Libanon aufhältigen palästinensischen Flüchtlinge beläuft sich laut einer aktuellen Volkszählung auf 174.422 Personen (Daily Star 21.12.2017) - sind im Libanon laut UNHCR etwa eine Million syrische Flüchtlinge registriert, was mehr als 25% der Wohnbevölkerung des Landes entspricht. Der Libanon beherbergt somit mehr syrische Flüchtlinge als jedes andere Land der Region. Der Krieg in Syrien hat nicht nur durch die große Flüchtlingswelle enorme Auswirkungen auf den Libanon, vielmehr droht der Konflikt das sensible Gefüge der libanesischen Gesellschaft zu zerreißen. Während die Hisbollah und ihre Anhänger den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad unterstützen, sympathisieren die Anhänger des Lagers 14. März mit den syrischen Rebellen, die Assad bekämpfen. Seit Beginn des militärischen Engagements der Hisbollah in Syrien zugunsten des Assad-Regimes hat sich die politische Spaltung des Libanon vertieft und führt zunehmend zu einem gewalttätigen konfessionellen Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten. Gleichzeitig - und obwohl die Hisbollah das Hariri-Bündnis beschuldigt, die radikalen Sunniten zu decken und im Gegenzug das Hariri-Bündnis wiederum die Hisbollah beschuldigt, den Libanon in den Krieg in Syrien hineinzuziehen - bilden beide Kontrahenten derzeit mit anderen politischen Kräften eine zwar konfliktreiche, aber durchaus funktionierende Regierung der nationalen Einheit, die es tatsächlich geschafft hat, ein Überschwappen des Bürgerkrieges aus Syrien zu verhindern (GIZ 6/2018, vgl. AA 1.3.2018).

Geschwächt durch die sich vertiefenden Gräben zwischen und innerhalb der Gemeinschaften [Anm.: Konfessionen] hat der libanesische Staat schrittweise seine Hauptaufgabe der Regierung und als Manager repräsentativer Politik aufgegeben und stützt sich vermehrt auf Sicherheitsmaßnahmen zur Aufrechterhaltung der Stabilität und des Status Quo (ICG 23.2.2016).

Der Libanon ist kein funktionierender Staat, deshalb haben sich die Menschen im Libanon immer mehr auf Klientelismus, anstatt auf den Staat verlassen. Politiker benutzen Geld, Ressourcen und Dienstleistungen, um sich eine Basis in der Bevölkerung zu schaffen. Diese Entwicklung in Kombination mit den konfessionellen Spannungen sowie den Auswirkungen von der Syrienkrise steht ernstzunehmenden Entwicklungsprozessen entgegen (Daily Star 30.12.2014).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (1.3.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon, Stand: Dezember 2017, Berlin

- BBC-News (4.11.2014): Lebanon Profile, http://www.bbc.com/news/world-middle-east-14648681, Zugriff 24.8.2018

- CIA (14.8.2018): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/le.html, Zugriff 17,8,2018

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3/2018): Libanon - Gesellschaft, https://www.liportal.de/libanon/gesellschaft/; Zugriff 8.8.2018

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6/2018): Libanon - Überblick: https://www.liportal.de/libanon/ueberblick/, Zugriff 8.8.2018

- ICG - International Crisis Group (23.2.2016): Arsal in the Crosshairs: The Predicament of a Small Lebanese Border Town: http://www.ecoi.net/file_upload/1002_1456410095_b046-arsal-in-the-crosshairs-the-predicament-of-a-small-lebanese-border-town.pdf; Zugriff am 24.8.2018

- ICG - International Crisis Group (9.6.2018): In Lebanon's Elections, More of the Same is Mostly Good News,

https://www.ecoi.net/de/dokument/1432128.html, Zugriff 24.8.2018

- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (7.5.2018): Iran-Backed Hizballah And Allies Make Big Gains In Lebanese Election, https://www.ecoi.net/de/dokument/1431871.html Zugriff 30.8.2018

- The Daily Star (21.12.2017): Census finds 174,422 Palestinian refugees in Lebanon, https://www.dailystar.com.lb/News/Lebanon-News/2017/Dec-21/431109-census-finds-174422-palestinian-refugees-in-lebanon.ashx, Zugriff 10.9.2018

- The Daily Star (30.12.2014): Understanding the drive to extremism, http://www.dailystar.com.lb/News/Lebanon-News/2014/Dec-30/282595-understanding-the-drive-to-extremism.ashx, Zugriff 24.8.2018

- UN Security Council (13.7.2018): Implementation of Security Council resolution 1701 (2006); Report of the Secretary-General; Reporting period from 1 March 2018 to 20 June 2018 [S/2018/703], https://www.ecoi.net/en/file/local/1439147/1226_1532506886_n1822402.pdf Zugriff 7.8.2018)

- USDOS - US Department of State (29.5.2018): 2017 Report on International Religious Freedom - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/1436862.html, Zugriff 22.8.2018

- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430165.html, Zugriff 7.8 2018

Sicherheitslage

Im folgenden Abschnitt finden sich allgemeine Informationen zur Sicherheitslage. Es wird ausdrücklich festgehalten, dass diese auch kurzfristig Änderungen unterworfen sein kann. Der besseren Übersichtlichkeit wegen ist die Darstellung der Sicherheitslage in den palästinensischen Flüchtlingslagern im Abschnitt über palästinensische Flüchtlinge zu finden.

Die wichtigsten religiösen Hauptgruppen im Libanon sind Schiiten, Sunniten, Christen und Drusen. Die sich daraus ergebenden Spannungen sind die Ursache für die meisten der internen Konflikte im Libanon, und andere Staaten der Region haben diese internen Konflikte regelmäßig als Vorwand genutzt, um in dem Land einzugreifen. Darüber hinaus hat insbesondere die Präsenz der palästinensischen und syrischen Flüchtlinge immer wieder zu Konflikten Anlass gegeben. Von 1975 bis 1990 herrschte im Libanon Bürgerkrieg, in dem die regionalen Mächte, insbesondere Israel, Syrien und die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) das Land als Schlachtfeld für ihre eigenen Konflikte benutzten (BBC 4.11.2014).

Anschließend kam es von 1992 bis 2004 zu einer Phase der Entspannung. Im Februar 2005 fiel der damalige Premierminister Rafik Hariri einem Attentat zum Opfer. Als Folge brach die sogenannte Zedernrevolution aus, die als Hauptforderung den Abzug der syrischen Truppen aus dem Libanon postulierte. Die sogenannte 14. März-Bewegung machte Syrien direkt für die Ermordung Hariris verantwortlich, zumal dieser zuvor die Stationierung syrischer Truppen im Libanon kritisiert und die Umsetzung der UN-Resolution 1559 gefordert hatte. Diese sieht den Rückzug aller ausländischen Truppen aus dem Libanon und die Entwaffnung und Auflösung der im Libanon aktiven Milizen vor, womit insbesondere die Hisbollah gemeint ist. Tatsächlich zog Syrien noch im April 2005 seine Truppen aus dem Libanon ab.

Die zivilen Behörden übten zwar weiterhin die Kontrolle über die Streitkräfte und andere Sicherheitskräfte aus, gleichzeitig operierten aber palästinensische Sicherheits- und Milizkräfte, die Hisbollah und andere extremistische Elemente außerhalb der Leitung oder Kontrolle der Regierung (USDOS 20.4.2018). Im Jahr 2013 hatte die EU die Hisbollah auf die Terrorliste gesetzt; im Gegensatz zu den USA allerdings nur deren militärischen Arm und nicht den im Parlament vertretenen politischen Arm (SpiegelOnline 22.7.2013).

Trotz aller Spannungen konnte ein Übergreifen des Syrienkonflikts, in dem sich die libanesische Hisbollah-Miliz seit Frühjahr 2013 auf Seiten des syrischen Regimes beteiligt, auf libanesisches Territorium in den vergangenen Jahren weitgehend verhindert werden. Allerdings befanden sich bis August 2017 in der Gegend um den Grenzort Arsal aus Syrien eingedrungene Kämpfer auf libanesischem Staatsgebiet. Nach länger andauernden Kämpfen, in die auf libanesischer Seite neben den Streitkräften auch die Hisbollah-Miliz verwickelt war, verließen die eingekesselten IS-Kämpfer mit ihren Familien im Rahmen einer Waffenstillstandsvereinbarung mit Bussen die umkämpfte Gegend (AA 1.3.2018; vgl. AI 23.5.2018). Bei einem Antiterroreinsatz der libanesischen Armee in der Gegend von Arsal am 30.06.2017 wurden 350 Personen vorübergehend festgenommen, mindestens vier starben im Gewahrsam der Armee, nach Armeeangaben in Folge bereits bestehender gesundheitlicher Probleme. Menschenrechtsgruppen fordern eine unabhängige Untersuchung der Vorgänge. Der Fall soll militärgerichtlich aufgearbeitet werden (AA 1.3.2018; vgl. AI 23.5.2018).

Grundsätzlich ist es im Libanon so, dass die staatlichen Institutionen in Teilen des Landes keinen uneingeschränkten Zugriff haben. Dies gilt insbesondere für die meisten palästinensischen Flüchtlingslager. Die Sicherheitslage dort blieb im Allgemeinen stabil. Im Lager Ein El Helweh bei Sidon kam es allerdings zu einigen gewalttätigen Zwischenfällen und Schießereien. Bei Zusammenstößen im März und April 2018 zwischen extremistischen Gruppen und palästinensischen Streitkräften wurden vier Menschen getötet und elf verletzt (UN 13.7.2018). Detaillierte Informationen zur Lage in den Palästinenserlagern finden sich in Abschnitt 19.

Weiters sind die Zugriffsmöglichkeiten der libanesischen Staatsorgane insbesondere auch in den südlichen Vororten Beiruts und in den schiitischen Siedlungsgebieten im Süden des Landes eingeschränkt (AA 1.3.2018, vgl. USDOS 29.5.2018). Diese werden weitgehend von der Hisbollah kontrolliert, die der Bevölkerung auch grundlegende Dienstleistungen in den Bereichen Gesundheitsvorsorge, Bildung, Lebensmittelhilfe, innere Sicherheit und Erhaltung der Infrastruktur zur Verfügung stellt (USDOS 29.5.2018).

Bei der von der UN geforderten Abrüstung aller bewaffneten Gruppen einschließlich der palästinensischen Milizen und dem militärischen Flügel der Hisbollah konnten bislang keine Fortschritte erzielt werden. Die Hisbollah bestätigte weiterhin öffentlich, über entsprechende militärische Kapazitäten zu verfügen. Somit ist die libanesische Regierung weiterhin nicht in der Lage, die volle Souveränität und Autorität über ihr Territorium auszuüben (UN 13.7.2018).

Am 5. und 23. April 2018 inhaftierten die libanesischen Streitkräfte 15 der Zugehörigkeit zu einer terroristischen Gruppe verdächtigte syrische Staatsangehörige, und beschlagnahmten während einer Razzia in einer informellen syrischen Flüchtlingssiedlung in Arsal Waffen und Munition. Am 14. Mai verhaftete die libanesische General Security in Al-Hirmil zwei syrische Staatsangehörige wegen ihrer Zugehörigkeit zu terroristischen Vereinigungen. Am 17. Mai 2018 wurde ein angeblicher Waffenhändler in Akkar im Nordlibanon von den Streitkräften der Internen Sicherheit verhaftet (UN 13.7.2018).

Das österreichische Außenministerium hat für das gesamte syrische Grenzgebiet, die Bekaa-Ebene nördlich von Baalbek und für die Palästinenserlager und deren Umgebung, insbesondere Ein Al-Hilweh und Mieh Mieh bei Saida (Sidon) und Nahr al Bared und Beddawi bei Tripoli Reisewarnungen ausgesprochen. Ein hohes Sicherheitsrisiko wird allgemein für die Provinzen Tripoli und Akkar, die südlichen Vororte Beiruts (Dahiye), die südlichen Stadtränder von Sidon/Saida (Ein El-Hilweh), das israelische Grenzgebiet und die restliche Bekaa-Ebene, einschließlich Baalbek ausgewiesen (BMeiA 11.7.2018).

Das Schweizer Außenministerium warnt vor zahlreichen nicht explodierten Bomben und Minen in der Bekaa-Ebene. Es sind bewaffnete Gruppierungen aktiv, und Grenzüberschreitungen durch Kämpfer sind häufig. In und um die Stadt Arsal (Anmerkung: auch Ersal, Irsal, Aarsal geschrieben) sowie um Ras Baalbek und Qaa kommt es regelmäßig zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen der Armee und militanten Gruppierungen. Spannungen zwischen einzelnen Bevölkerungsgruppen, aber auch innerhalb einzelner Gemeinschaften, können sich in bewaffnete Konfrontationen oder Anschlägen entladen. Im Juni 2016 forderten Selbstmordanschläge in Qaa mehrere Todesopfer und Verletzte. Im März 2011 wurde in der Nähe von Zahlé in der südlichen Bekaa-Ebene eine Gruppe ausländischer Touristen entführt und mehrere Monate lang festgehalten. Seither sind mehrere Entführungen bekannt geworden. Besonders die Zahl von Entführungen mit hohen Lösegeldforderungen hat zugenommen (EDA 5.12.2017).

Die Spannungen in den Flüchtlingslagern sind groß und können sich auch aus geringen Anlässen in Gewalttaten entladen. In Saïda (Sidon) kommt es vereinzelt zu Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Im Südlibanon finden laufend Truppenverschiebungen statt. Insbesondere im libanesisch-israelischen Grenzgebiet und nochmal verstärkt südlich des Litani-Flusses bis zur israelischen Grenze sind die Spannungen sehr hoch (EDA 5.12.2017). Auch das Britische Außenministerium betont die permanente Gefahr von Terroranschlägen (gov.uk o.D.).

Ende März 2018 verabschiedete das libanesische Kabinett eine nationale Strategie zur Verhinderung von gewalttätigem Extremismus - eine Initiative, die der inzwischen geschäftsführende Ministerpräsident Saad Hariri im Rahmen eines globalen Aktionsplans der Vereinten Nationen vorangetrieben hat. Es wird geschätzt, dass der Prozess weitere acht Monate [Anm: bis Anfang 2019] dauern wird, bis die Bürger ihn in ihren Gemeinden umsetzen werden. Neben Tunesien und Marokko ist der Libanon einer der Pioniere in der Region, der eine solche Strategie umsetzt (Daily Star 27.6.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (1.3.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon, Stand: Dezember 2017, Berlin

- AI - Amesty International (23.5.2018): Libanon 2017/2018, https://www.amnesty.de/jahresbericht/2018/libanon, Zugriff 10.9.2018

- BBC-News (4.11.2014): Lebanon Profile, http://www.bbc.com/news/world-middle-east-14648681, Zugriff 30.1.2015

- BMeiA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (Stand 3.9.2018, unverändert gültig seit: 11.07.2018): Reiseinformation Libanon, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/libanon/, Zugriff 3.9.2018

- Daily Star (27.6.2018): Strategizing prevention of violent extremism, https://www.dailystar.com.lb/News/Lebanon-News/2018/Jun-27/454477-strategizing-prevention-of-violent-extremism.ashx, Zugriff 5.9.2018

- Spiegel Online (22.7.2013): EU setzt Hisbollah-Miliz auf Terrorliste, http://www.spiegel.de/politik/ausland/eu-setzt-hisbollah-miliz-auf-die-eu-terrorliste-a-912397.html, Zugriff 10.9.2018

- EDA - Eidgenössisches Department für auswärtige Angelegenheiten (5.12.2017): Reisehinweise für den Libanon Spezifische regionale Risiken, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/laender-reise-information/libanon/reisehinweise-libanon.html, Zugriff 29.8.2018

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6/2018): Libanon - Überblick: https://www.liportal.de/libanon/ueberblick/; Zugriff 8.8.2018

- Gov.uk (o.D.): Foreign Travel Advice; Lebanon; Safety and Security, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/lebanon/safety-and-security, Zugriff 29.8.2018

- UN Security Council (13.7.2018): Bericht des UNO-Generalsekretärs zu Entwicklungen vom 1. März bis 20. Juni 2018 (Sicherheitslage; Entwaffnung bewaffneter Gruppen; politische Stabilität; weitere Themen) https://www.ecoi.net/en/file/local/1439147/1226_1532506886_n1822402.pdf, Zugriff 21.8.2018)

- USDOS - US Department of State (29.5.2018): 2017 Report on International Religious Freedom - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/1436862.html, Zugriff 22.8.2018

Rechtsschutz / Justizwesen

Die Verfassungsinstitutionen, insbesondere Parlament, Regierung und Justizwesen, funktionieren im Prinzip nach rechtsstaatlichen Grundsätzen, sind aber in ihrer tatsächlichen Arbeit politischen Einflussnahmen ausgesetzt. Die Gewaltenteilung ist in der Verfassung zwar festgeschrieben, wird in der Praxis aber nur eingeschränkt respektiert; insbesondere in politisch brisanten Ermittlungsverfahren kommt es zu Versuchen der Einflussnahme auf die Justiz, z.B. bei der Ernennung von Staatsanwälten und Ermittlungsrichtern oder zum Schutz politischer Parteigänger vor Strafverfolgung. Personen, die an zivil- und strafrechtlichen Routineverfahren beteiligt waren, baten manchmal um die Unterstützung prominenter Personen, um den Ausgang ihrer Verfahren zu beeinflussen. Die Einhaltung der in der Verfassung garantierten richterlichen Unabhängigkeit ist in der praktischen Durchführung durch verbreitete Korruption, chronischen Mangel an qualifizierten Richtern und zum Teil auch politische Einflussnahme eingeschränkt (AA 1.3.2018; vgl. USDOS 20.4.2018).

Angeklagte gelten als unschuldig, bis ihre Schuld bewiesen ist. Gerichtsverhandlungen sind in der Regel öffentlich, die Richter können aber geschlossene Gerichtsverhandlungen anordnen. Angeklagte haben das Recht, bei der Verhandlung anwesend zu sein, sich rechtzeitig mit einem Anwalt zu beraten, Zeugen zu befragen, Beweise vorzulegen und in Berufung zu gehen (USDOS 20.4.2018).

Eine Strafverfolgungs- und Strafbemessungspraxis, die nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität diskriminiert, ist im Libanon nicht gegeben. Allgemeine kriminelle Delikte werden im Rahmen feststehender straf- bzw. strafprozessrechtlicher Vorschriften nach insgesamt weitgehend rechtsstaatlichen Prinzipien verfolgt und geahndet. Die Strafprozessordnung stattet die Ermittlungsbehörden mit weitreichenden Vollmachten aus, schreibt aber auch Rechte des Beschuldigten fest, z. B. das Recht auf unverzügliche Kontaktaufnahme zu Rechtsanwälten, Ärzten und Familienangehörigen. Angeklagte haben weiters das Recht auf rechtlichen Beistand; allerdings existiert kein staatlich finanziertes System der Pflichtverteidigung. Die Anwaltskammer stellt bei Bedarf Pflichtverteidiger zur Verfügung. Dolmetscher müssen in der Regel durch den Angeklagten selbst gestellt werden (AA 1.3.2018).

Neben den in mehrere Instanzen gegliederten Zivilgerichten existieren im Libanon konfessionelle Gerichtsbarkeiten, in deren Zuständigkeit die familien- und erbrechtlichen Verfahren fallen (USDOS 20.4.2018; vgl.: AA 1.3.2018). Der Libanon verfügt über 15 separate Personenstandsgesetze für seine offiziell anerkannten Religionen, es gibt jedoch kein bürgerliches Gesetzbuch, das Themen wie Scheidung, Eigentumsrecht oder Kindersorgerecht behandelt. Darüber hinaus werden die religiösen Gerichte kaum vom Staat kontrolliert; die Rechte von Frauen sind in den genannten Personenstandsgesetzen oftmals stark eingeschränkt (Daily Star 19.1.2015, vgl. HRW 18.1.2018. Nähere Ausführungen hierzu sind dem Abschnitt 17, Kapitel "Frauen" zu entnehmen).

Das Rechtssystem unterscheidet im Strafrecht zwischen Zivil- und dem Verteidigungsministerium unterstellten Militärgerichten. Letztere haben die Rechtsprechung inne über Fälle, die das Militär betreffen, bzw. in welchen Militärs oder Zivilisten der Spionage, des Hochverrats, des Waffenbesitzes, der Wehrdienstverweigerung und Delikten gegen die Staatssicherheit, gegen das Militär oder deren Angehörige bezichtigt werden. Dabei werden die Zuständigkeiten der Militärgerichtsbarkeit vor allem beim Vorwurf des Terrorismus bzw. bei terroristischen Delikten mit islamistischem Hintergrund oftmals sehr extensiv ausgelegt. Militärgerichte verhandeln sicherheitsrelevante Straftaten auch dann, wenn sie von Zivilisten begangen wurden, oftmals in Schnellverfahren und ohne ausreichenden Rechtsbeistand (AA 1.3.2018; vgl. USDOS 20.4.2018).

Menschenrechtsorganisationen zeigten sich besorgt über die Praxis, Zivilisten vor Militärgerichten anzuklagen, über das Maß an Prozessrechten für Angeklagte sowie die fehlende Überprüfung der Urteilssprüche durch reguläre Gerichte (USDOS 20.4.2018).

Seit Jahren wird - wenn bislang auch ohne greifbare Fortschritte - erwogen, alle Militärverfahren ordentlichen Gerichten zu übertragen (AA 1.3.2018).

In den palästinensischen Flüchtlingslagern betreiben palästinensische Gruppen nach eigenem Ermessen eine autonome Rechtsprechung abseits der Kontrolle des Staates (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (1.3.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon, Stand: Dezember 2017, Berlin

- HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/1422490.html, Zugriff 20.8.2018

- The Daily Star (19.1.2015): Lebanon religious laws discriminate against women: rights group, http://www.dailystar.com.lb/News/Lebanon-News/2015/Jan-19/284576-lebanon-religious-laws-discriminate-against-women-rights-group.ashx, Zugriff 30.8.2018

- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430165.html, Zugriff 7.8. 2018

Sicherheitsbehörden

Die führenden Positionen in den Sicherheitsbehörden werden u.a. nach konfessionellem Proporz vergeben. Die Forces de Sécurité Intérieure (FSI) [auch "Internal Security Force" - ISF] ist die allgemein zuständige Polizei des Staates und gleichzeitig Hilfsorgan der Justiz (z.B. zum Führen des Kriminalregisters). Sie wird durch einen sunnitischen General geleitet und steht dem ebenfalls sunnitischen Innenminister nahe. Die demgegenüber schiitisch geprägte Sûreté Générale (SG) hat neben Fragen der Ein- und Ausreisekontrollen auch eine nachrichtendienstliche Funktion inne. Ihr Leiter wird der AMAL-Partei von Parlamentspräsident Berri zugeordnet. Ein Polizeigesetz im engeren Sinne gibt es nicht (AA 1.3.2018).

Die LAF [Lebanese Armed Forces] unter der Führung des Verteidigungsministeriums sind für die externe Sicherheit verantwortlich, haben aber aus Gründen der Staatssicherheit auch die Befugnis, Verdächtige zu verhaften (USDOS 20.4.2018). Im Gegensatz zu den anderen Sicherheitskräften gilt die Armee trotz eines stets christlichen Oberbefehlshabers und zahlreicher christlicher Generäle als parteipolitisch und konfessionell weitgehend neutral und genießt grundsätzlich hohes Ansehen in allen Bevölkerungsteilen. Sie nimmt - beispielsweise durch die weit verbreiteten Kontrollpunkte - auch Aufgaben der inneren Sicherheit wahr (AA 1.3.2018).

Daneben gibt es noch mehrere vorwiegend nachrichtendienstlich tätige Sicherheitsbehörden (Amn ad-Daula - Staatssicherheit; Amn al-Dschaisch - militärische Sicherheit; Sicherheitsdienst der Quwat al-Amn ad-Dakhili - Polizeikräfte; Nachrichtendienstliche Abteilung der Sûreté Générale). Alle genannten Institutionen und Dienste arbeiten seit Frühjahr 2014 zwar verstärkt zusammen, auch wenn nicht immer eine klare Abgrenzung ihrer Kompetenzen gegeben ist. Ihre Professionalisierung wird auch deutlich dahingehend beschränkt, dass bestimmte Institutionen einer bestimmten Konfession und somit dem entsprechenden politischen Lager zuzuordnen sind. Die daraus resultierenden Loyalitäten beeinflussen teilweise spürbar deren Arbeit (AA 1.3.2018).

Das General Directorate for State Security, das an den Premierminister berichtet, und das Directorate of General Security - DGS [auch "Sûreté Générale - SG] unter der Führung des Innenministeriums sind verantwortlich für die Grenzsicherung (USDOS 20.4.2018).

Sowohl das General Directorate for State Security als auch das DGS sammeln Informationen über potentiell die Staatssicherheit gefährdende Gruppen. Jeder Sicherheitsapparat hat seine eigenen internen Mechanismen, um Fälle von Missbrauch und Fehlverhalten zu untersuchen.

Verhaltensvorschriften der ISF definieren die Pflichten der ISF-Mitglieder sowie die verpflichtenden gesetzlichen und ethischen Standards. Verschiedene Sicherheitskräfte erhielten Training zur Umsetzung des Verhaltenskodex. Trotz effektiver Kontrolle ziviler Behörden über die Sicherheitskräfte genießen letztere Berichten zufolge ein gewisses Maß an Straflosigkeit, nicht zuletzt weil es an öffentlich zur Verfügung stehenden Informationen über den Ausgang von Verfahren fehlt. Außerdem fehlen Mechanismen zur Untersuchung und Bestrafung von Misshandlungen und Korruption (USDOS 20.4.2018).

Zudem haben die staatlichen Institutionen in Teilen des Landes keinen uneingeschränkten Zugriff. Die Hisbollah bildet zumindest in ihren Hochburgen, d.h. in Teilen der Bekaa-Ebene, in südlichen Beiruter Vororten und Teilgebieten des Südens weiterhin eine Art Staat im Staate und übernimmt dort neben sozialen und politischen faktisch auch Aufgaben der Sicherheitsbehörden. Parallel bestehen kleinere bewaffnete Milizen der AMAL-Partei des Parlamentspräsidenten Nabih Berri, drusische Bürgerwehren sowie christliche Milizen (etwa in Nähe zur Kataeb-Partei oder zur griechisch-orthodoxen Kirche), die sich zuletzt im Spätsommer 2015 auch an Kampfhandlungen gegen aus Syrien einsickernde sunnitische Extremisten beteiligt haben (AA 1.3.2018).

Trotz der Anwesenheit von libanesischen Sicherheitskräften und UNO-Einheiten behielt die Hisbollah signifikanten Einfluss über Teile des Landes und die Regierung machte keinen konkreten Fortschritt, um die bewaffneten Milizen aufzulösen und zu entwaffnen.

Palästinensische Flüchtlingslager stellen [Anm.: mit Ausnahme des Lagers Nahr el-Bared] weiterhin sich selbst regierende Einheiten dar und betreiben Sicherheits- und Militärkräfte, die nicht unter der Kontrolle von Regierungsbeamten stehen (USDOS 20.4.2018; siehe hierzu auch den Abschnitt 19).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (1.3.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon, Stand: Dezember 2017, Berlin

- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430165.html, Zugriff 7.8 2018

Folter und unmenschliche Behandlung

Das Strafgesetzbuch verbietet die Anwendung von Gewalt, um ein Geständnis oder Informationen über eine Straftat oder andere Personen zu erhalten. Trotzdem verweisen einige Nichtregierungsorganisationen (NGOs) auf Berichte über misshandelte Häftlinge. Die Justiz hat solche Vorwürfe nur selten untersucht oder verfolgt. Die Regierung leugnete die systematische Anwendung von Folter, obwohl die Behörden bestätigten, dass es bei Voruntersuchungen auf Polizeistationen, in militärischen Einrichtungen bzw. in Untersuchungshaft, wo Beamte Verdächtige ohne Anwalt verhört haben, manchmal zu gewaltsamen Übergriffen kam. Solche Missbräuche fanden angeblich in mehreren Einheiten statt, obwohl die nationalen Gesetze es den Richtern verbieten, unter Zwang gewonnene Geständnisse anzunehmen. Es gab Berichte, dass die ISF (Internal Security Force) Drogenkonsumenten, an der Prostitution beteiligte Personen und LGBTI-Personen in ihrem Gewahrsam bedroht und misshandelt hat; gleichzeitig haben Menschenrechtsorganisationen und Rechtsexperten allerdings auch auf Verbesserungen bei der Behandlung von Häftlingen im Laufe des Jahres hingewiesen. Ehemalige Gefangene, Häftlinge und lokale Menschenrechtsgruppen berichteten unter anderem von physischen und psychischen Druck, erzwungenen HIV-Tests und Drohungen mit längerer Haft (USDOS 20.04.2018).

Am 4. Juli 2017 gab die libanesische Armee eine Erklärung heraus, dass vier Syrer in Arsal, einem Sperrgebiet im Nordosten des Libanon, in dem viele syrische Flüchtlinge leben, in deren Gewahrsam gestorben waren. HRW zur Verfügung gestellte Fotos der Opfer belegen laut HRW die Vorwürfe des Missbrauchs und der Folter (HWR 7.8.2018; vgl. AA 1.3.2018).

HRW verweist weiters auf den Fall des Schauspielers Ziad Itani, der laut detaillierten Berichten unter Verhör gefoltert worden ist. Dies zeigt, dass trotz des neu verabschiedeten Anti-Folter-Gesetzes anhaltende Probleme hinsichtlich der Behandlung von Gefangenen bestehen (Daily Star 17.7.2018).

Im Mai 2017 trat der Libanon erstmals vor dem UN-Ausschuss gegen Folter auf, nachdem das UN-Übereinkommen gegen Folter und sein Fakultativprotokoll im Jahr 2000 bzw. 2008 ratifiziert worden waren (AI 22.2.2018). Zu deren Umsetzung wurde im Oktober 2017 das oben bereits erwähnte neue Anti-Folter-Gesetz ratifiziert, womit das libanesische Strafgesetzbuch nun erstmals eine Definition von Folter vorsieht und diese Folter sowie andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen unter Strafe stellt (AI 26.6.2018, vgl. HRW 18.1.2018; USDOS 20.4.2018).

Ermittlungs- oder Strafverfahren wegen Foltervorwürfen sind dennoch bisher nur in drei Einzelfällen bekannt geworden (drei Mitarbeiter der Sicherheitskräfte des Gefängnisses Roumieh wurden diesbezüglich angeklagt). Jedwede Form "systematischer Folter" streitet die Regierung aber ab. Es handle sich um Exzesse Einzelner, gegen die man auf strafrechtlicher Grundlage vorgehen werde. Menschenrechtsorganisationen haben (anders als das IKRK seit 2007) keinen Zutritt zu den Militärgefängnissen und zum Verhörzentrum im Verteidigungsministerium (AA 1.3.2018).

Neben der Kriminalisierung der Folter legt das neue Gesetz die Unzulässigkeit von Folteraussagen fest, fordert die Staatsanwaltschaft auf, innerhalb von 48 Stunden auf Beschwerden oder Folterbescheide zu reagieren, begründet das Recht auf Rehabilitation und erklärt Folter als Verbrechen, das nicht durch Notwendigkeit oder nationale Sicherheitsanforderungen gerechtfertigt ist (AI 26.6.2018).

Trotz aller positiven Aspekte weist das Gesetz eine Reihe von Mängeln auf. So hat si

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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