TE Bvwg Erkenntnis 2019/10/2 L504 2221090-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.10.2019
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Entscheidungsdatum

02.10.2019

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch

L504 2221090-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. R. ENGEL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , XXXX alias XXXX geb., StA. Libanon alias Algerien, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.06.2019, Zl. 1215272307-181206248, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß §§ 8, 57, 10 AsylG 2005 idgF, §§ 52, 46, 55 FPG idgF als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrenshergang

Die beschwerdeführende Partei [bP] stellte am 16.12.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Es handelt sich dabei um einen Mann, welcher seinen Angaben nach Staatsangehöriger des Libanon mit sunnitischem Glaubensbekenntnis ist und der Volksgruppe der Araber angehört.

Ihren Angaben nach hat sie bereits 2009 den Libanon verlassen. Nach kurzen Aufenthalten in der Türkei, Griechenland und Belgien reiste sie nach Deutschland. Von Ende 2009-2016 lebte sie in Köln. Sie habe in Deutschland einen Asylantrag gestellt, habe jedoch keine Unterstützung bekommen. Sie habe in Deutschland illegal als Möbelpacker gearbeitet. In weiterer Folge zog sie nach Frankreich und arbeitete dort in einer Bar und Pizzeria als Kellner. Im Dezember 2018 hat sie Frankreich verlassen und ist nach Österreich gereist, wo sie zum angeführten Zeitpunkt einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Zur Begründung des Antrages brachte sie bei der Erstbefragung Folgendes vor:

"Wegen dem Krieg, der Korruption und der schlechten wirtschaftlichen Lage."

Befragt, was im Falle der Rückkehr in den Libanon befürchtete, gab sie an, dass sie das nicht wisse. Sie wolle in Österreich bleiben.

Aus einem Konsultationsverfahren mit der Republik Deutschland ergab sich, dass die beschwerdeführende Partei dort keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte. Aus einer Auskunft von Interpol ergibt sich, dass die beschwerdeführende Partei bisher in Europa bei polizeilichen Aufgriffen unterschiedliche Identitäten und Herkunftsstaaten verwendete.

Im Zuge der Einvernahme beim Bundesamt schilderte die beschwerdeführende Partei ihre Problemlage im Libanon wie folgt:

"Aus welchem Grund verließen Sie ihr Heimatland? Schildern Sie dies bitte möglichst lebensnah, d. h. mit sämtlichen Details und Informationen, sodass die Behörde Ihr Vorbringen nachvollziehen kann! Nehmen Sie sich dafür ruhig Zeit!

Als ich mein Heimatland verlassen habe, war Krieg. Und es ist ein schlechtes Leben dort. Eine sehr schlechte wirtschaftliche Lage. Mit Frau und Kinder braucht man mehr Geld. Es ist schwierig. Durch den Krieg 2006 wurde es im Libanon ganz schlecht.

Wurden Sie persönlich bedroht?

Nein. Nie.

Gab es Verfolgungshandlungen die Sie direkt gegen Sie gerichtet waren?

Nein. Ich hatte nie Probleme.

Theoretisch, was würden Sie im Falle einer Rückkehr in Ihren Heimatsstadt befürchten?

Ich habe nichts zu befürchten. Ich hätte ein schwieriges Leben. Es gibt keine Gerechtigkeit dort.

Haben Sie somit alle ihre Gründe bzw. alle Details für die Asylantragsstellung genannt?

Das sind alle Gründe und Details, mehr kann ich nicht dazu angeben."

Der Antrag auf internationalen Schutz wurde folglich vom Bundesamt gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt.

Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Libanon nicht zugesprochen.

Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt.

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die bP gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in den Libanon gemäß § 46 FPG zulässig sei.

Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

Das Bundesamt gelangte im Wesentlichen zur Erkenntnis, dass hinsichtlich der Gründe für die Zuerkennung des Status eines asyl- oder subsidiär Schutzberechtigten eine aktuelle und entscheidungsrelevante Bedrohungssituation nicht vorgebracht bzw. glaubhaft gemacht worden sei. Ebenso ergebe sich aus allgemeinen Lage im Herkunftsstaat keine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende bzw. reale Gefährdung der bP. Abschiebungshindernisse lägen demnach nicht vor. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen seien nicht gegeben. Ein die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung übersteigendes Privat- und Familienleben würde nicht vorliegen und wurde daher eine Rückkehrentscheidung verfügt.

Dagegen hat die bP durch ihre gewillkürte Vertretung (Diakonie) - mit Ausnahme des Abspruches über die Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten - Beschwerde erhoben. Moniert wird,

* die Behörde habe es verabsäumt die Länderinformationen in die Beweiswürdigung einfließen zu lassen. Die beschwerdeführende Partei stamme aus Tripoli und für diese Region bestehe ein Sicherheitsrisiko. Die Partei würde im Falle der Rückkehr in eine aussichtslose Lage geraten. Sie könne am rechten Ohr nicht hören und habe Bandscheibenprobleme, es sei ihr daher nicht möglich jeder Arbeit nachzugehen. Die Brüder würden zwar ebenfalls im Libanon leben, sie könnten die beschwerdeführende Partei jedoch nicht unterstützen. Ihr würde im Falle der Rückkehr eine existenzielle Notlage drohen.

Am 5. September 2019 teilte das Bundesamt mit, dass sich die beschwerdeführende Partei seit 27. August 2019 in der Schweiz befindet und ein Verfahren gemäß Dublin-III anhängig sei.

Am 25. September 2019 wurde vom Bundesamt mitgeteilt, dass die beschwerdeführende Partei eine Zuweisung zum Verteilerquartier Niederösterreich hatte, sie jedoch unbekannten Aufenthaltes sei.

Mit E-Mail vom 1. Oktober 2019 wurde vom Bundesamt ergänzend mitgeteilt dass die beschwerdeführende Partei seit 9. September 2019 nicht mehr im ZMR mit einer aufrechten Adresse aufscheint.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Das BVwG hat durch den Inhalt des übermittelten Verwaltungsaktes der belangten Behörde, einschließlich der Beschwerde sowie der Mitteilungen des Bundesamtes über den Aufenthalt der bP Beweis erhoben.

1. Feststellungen (Sachverhalt)

Das Bundesamt traf im angefochtenen Bescheid nachfolgende Feststellungen, denen sich das BVwG anschließt:

"[...]

Zu Ihrer Person:

- Ihre Identität steht nicht fest. Sie sind jedenfalls volljährig. Soweit im Bescheid und Verfahren Ihr Name und Ihr Geburtsdatum, XXXX , XXXX , genannt werden, dient dies nur Ihrer Individualisierung und stellt Ihre Verfahrensidentität dar.

- Sie geben an seit 2001 mit XXXX , geboren XXXX , verheiratet zu sein und 2 Söhne sowie eine Tochter zu haben.

- Sie leiden an keiner lebensbedrohenden Erkrankung und geben an 03/2017 in Deutschland eine Operation an der Bandscheibe gehabt zu haben sowie auf dem rechten Ohr nicht zu hören.

- Sie sind persönlich nicht glaubwürdig.

- Sie sind in Österreich strafrechtlich bereits aktenkundig.

- Die Einreise in das österreichische Bundesgebiet erfolgte illegal.

Zu den Gründen für das Verlassen Ihres Herkunftsstaats:

- Die von Ihnen vorgebrachten Gründe für das Verlassen Libanons sind glaubhaft.

- Zum Zeitpunkt Ihrer Ausreise lag eine glaubwürdige Gefährdung Ihrer Person aufgrund des Krieges vor, welche jedoch nicht mehr existent ist.

- Eine anderswertige Gefährdung, welche einzig aufgrund personenbezogener Merkmale abzielt, wie etwa aufgrund Ihrer Volksgruppen- bzw. Religionszugehörigkeit, ist den gegenständlichen Verfahrenszusammenhängen nicht zu entnehmen.

Zu Ihrer Situation im Fall Ihrer Rückkehr:

Es konnte unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht festgestellt werden, dass Sie im Falle einer Rückkehr in den Libanon Gefahr laufen, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe, oder der Todesstrafe, unterworfen zu werden.

Ebenso konnte nicht festgestellt werden, dass Ihnen im Fall einer Rückkehr in den Libanon Verfolgung droht. Eine Rückkehr in Ihr Heimatland ist Ihnen jedenfalls zumutbar.

Es sind keine Umstände amtsbekannt, dass im Libanon eine solche extreme Gefährdungslage bestünde, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne der Art. 2 und 3 EMRK ausgesetzt wäre, oder eine derartige humanitäre Katastrophe vorherrschte, dass das Überleben sämtlicher dort lebender Personen mangels Nahrung und Wohnraum tatsächlich in Frage gestellt wäre.

Es konnte zudem nicht festgestellt werden, dass Ihnen im Herkunftsland die Lebensgrundlage gänzlich entzogen gewesen wäre oder dass Sie bei einer Rückkehr in eine die Existenz bedrohende (oder medizinische) Notlage gedrängt werden.

Sie verfügen im Libanon über familiäre und soziale Anknüpfungspunkte und ist festzustellen, dass Sie im Fall Ihrer Rückkehr Unterstützungsmöglichkeiten vorfinden.

Sie sind ein Mann und in einem arbeitsfähigen Alter bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann. Sie beherrschen die Sprache und haben Ihr gesamtes Leben im Libanon verbracht und es ist davon auszugehen, dass Sie mit der dortigen Kultur- und Lebensweise bestens vertraut sind. Es ist Ihnen durchaus zumutbar, dass Sie im Libanon in weiterer Folge einer Arbeit nachgehen und sich ein Einkommen erwirtschaften, vor allem, da Sie in jenem Land bereits Berufserfahrungen sammeln konnten.

Zu Ihrem Privat- und Familienleben:

Ihr Aufenthalt in Österreich wird auf asylrechtlicher Basis geregelt.

Der Lebensunterhalt wird aus Mitteln der Bundesbetreuung finanziert.

Ihr Aufenthalt in Österreich ist vorübergehend.

Sie befinden sich in der Grundversorgung.

Sie wohnen in XXXX .

Es bestehen keine verwandtschaftlichen Anknüpfungspunkte zu Angehörigen in Österreich.

Hinweise einer außergewöhnlichen Qualifikation der deutschen Sprache konnte dem Verfahrensverlauf nicht entnommen werden.

Zur Lage in Ihrem Herkunftsstaat: [Anm.: Quelle - Länderinformationsblatt der Staatendokumentation]

1. POLITISCHE LAGE

Libanon ist eine parlamentarische Demokratie nach konfessionellem Proporzsystem. Politische Parteien sind zugelassen; sie sind jedoch in der Praxis meist Zweckbündnisse, die vor allem auf der Zugehörigkeit zu einer religiösen Gruppe basieren. Die Verfassung des Landes schreibt eine Trennung der Gewalten vor. Parlamentswahlen sollen alle vier Jahre abgehalten werden; der Staatspräsident wird von den Abgeordneten für sechs Jahre gewählt. Das libanesische System wird von der Zusammenarbeit der verschiedenen religiösen Gruppen getragen; daneben spielen Familien- und regionale Interessen eine große Rolle (AA 1.3.2018).

Das politische System basiert auf der Verfassung von 1926, dem ungeschriebenen Nationalpakt von 1943 und dem im Gefolge der Taif-Verhandlungen am 30. September 1989 verabschiedeten "Dokument der Nationalen Versöhnung" (AA 1.3.2018). In diesem sogenannten Taif-Abkommen wurde festgelegt, dass die drei wichtigsten Ämter im Land auf die drei größten Konfessionen verteilt werden:

? Das Staatsoberhaupt muss maronitischer Christ sein

? Der Parlamentspräsident muss schiitischer Muslim sein

? Der Regierungschef muss sunnitischer Muslim sein

Dieser Proporz bestimmt die gesamte Verwaltung und macht auch vor der Legislative nicht halt. Das Parlament mit seinen 128 Mitgliedern setzt sich nach dem Grundsatz der konfessionellen Parität wie folgt zusammen:

34 Maroniten, 27 Schiiten, 27 Sunniten, 14 griechisch-orthodoxe Christen, 8 Drusen, 8 melikitische/griechisch-katholische Christen, 5orthodoxe Armeniern, 2 Alewiten, 1 armenischer Katholik, 1 Protestant und 1 weitere Minderheit (GIZ 6/2018, vgl. USDOS 20.4.2018).

Bei der im Abkommen von Taif vorgesehenen allmählichen Entkonfessionalisierung des politischen Systems gibt es bisher keine Fortschritte (AA 1.3.2018).

Das Parlament des Libanon ist konfessionsübergreifend in zwei politische Blöcke gespalten, die einander im Libanon unversöhnlich gegenüberstehen:

? die von der schiitisch geprägten und vom Iran beeinflussten Hisbollah angeführte 8.März-Koalition und

? die eher westlich orientierte, sunnitisch geprägte und von Saad Hariri (Future Movement; arab.: (al-)Mustaqbal) angeführte 14. März-Bewegung (BBC 4.11.2014; vgl. GIZ 6/2018).

Die traditionelle Feindschaft zwischen diesen beiden Blöcken wurde durch den Konflikt im benachbarten Syrien zusätzlich vertieft, als schiitische Hisbollah-Kämpfer sich auf die Seite der syrischen Regierung stellten, während die 14. März-Bewegung die syrischen Rebellen unterstützte (BBC 4.11.2014; vgl. GIZ 6/2018).

Diese Polarisierung lähmt das Land politisch und ökonomisch, verstärkt konfessionelle Spannungen zwischen Schiiten und Sunniten und erschwert bzw. verhindert außerdem die Erarbeitung notwendiger Lösungen für die ökonomischen, sozialen und politischen Herausforderungen (GIZ 6/2018).

Aufgrund schwer erzielbarer Mehrheiten war es auch jahrelang nicht möglich, ein Wahlgesetz zu verabschieden. Dies führte dazu, dass die Parlamentswahl 2013 ausgesetzt und das Mandat der Abgeordneten mehrfach verlängert wurde (GIZ 6/2018, vgl. USDOS 20.4.2018).

Am 31. Oktober 2016 wurde nach zweieinhalb Jahren und 45 gescheiterten Versuchen ein neuer Präsident gewählt. Mit der Wahl des maronitischen Christen Michel Aoun kam Bewegung in die stark polarisierte libanesische Politik. Da Aoun als Kandidat der schiitischen Hisbollah für das Amt des Präsidenten galt, wurde er zunächst von Premierminister Saad Hariri abgelehnt. Seine Wahl wurde schließlich erst durch eine überraschende Kehrtwende Hariris ermöglicht. Im Gegenzug beauftragte Aoun Hariri, eine neue Regierung der nationalen Einheit zu bilden. Zwei Monate nach der Präsidentschaftswahl wurde am 19. Dezember 2016 eine neue Regierung vereidigt (GIZ 6/2018).

Im Juni 2017 konnte sich das politische Establishment schließlich auf ein neues Wahlrecht einigen. Dieses sieht unter anderem vor, das Mehrheitswahlrecht durch das Verhältniswahlrecht abzulösen. Hierdurch sollten kleinere Parteien und Wählergruppen gestärkt werden, doch das von den Regierungsparteien außerhalb des Parlaments verhandelte Wahlgesetz enthält zahlreiche Einschränkungen der Verhältniswahl wie beispielsweise eine sehr hohe Einzugshürde bei zehn Prozent.

Positiv ist jedoch, dass die Parteien faktisch gezwungen werden, konfessionsübergreifende Listen zu bilden. Wenn es in einem Wahlkreis die Festlegung gibt, dass hier zwei Sitze für Christen und drei Sitze für Muslime vergeben werden, müssen hier die Parteien eine gemeinsame Liste bilden, um antreten zu dürfen.

Im neuen Wahlgesetz werden Jugendliche unter 21 ausgeschlossen. Auch wurde keine Quote für weibliche Parlamentsabgeordnete eingeführt, obwohl der Libanon eines der Länder mit der niedrigsten Zahl an weiblichen Abgeordneten ist. Der christlich-muslimische Proporz des Parlaments wird durch das Gesetz nicht berührt (GIZ 6/2018).

Am 6. Mai 2018 fanden nach jahrelanger Pattstellung schließlich erstmals seit 2009 erneut Parlamentswahlen statt.

77 Listen mit insgesamt 597 Kandidaten waren für die Wahl um 128 Parlamentssitze in 26 Distrikten registriert. Die Anzahl der weiblichen Kandidaten nahm gegenüber der letzten Wahl auf 86 zu und betrug somit nun 14,4 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag insgesamt bei 49,2 Prozent, nach 53,37 Prozent im Jahr 2009. Die offiziellen Ergebnisse weisen die Sitze wie folgt zu: Future Movement [Anm.: arab. - (al-)Mustaqbal], 21; Free Patriotic Movement, 20; Amal, 17; Libanese Forces, 15; Hisbollah, 12; Progressive Socialist Party, 8; die "Determination (Azem)" Bewegung des ehemaligen Premierministers Mikati, 4; Marada, die Syrian Social Nationalist Party, Kataeb und Tashnaq, jeweils 3 Sitze. Zum ersten Mal gewann ein Kandidat der Zivilgesellschaft einen Sitz durch die Wahlliste "Koulouna Watani" in Beirut. Die Zahl der gewählten Frauen im Parlament stieg von vier auf sechs (UN 13.7.2018; vgl. USDOS 29.5.2018).

Die Hisbollah und ihre politischen Verbündeten (darunter auch das Free Patriotic Movement FPM, eine christliche Partei unter der Führung von Präsident Michel Aoun, die wie 2009 knapp zwanzig Sitze erringen konnte), gewannen somit mit 65 knapp die Hälfte der 128 Sitze im Parlament, während der vom Westen unterstützte sunnitische Premierminister Saad al-Hariri zwar mehr als ein Drittel seiner Sitze verlor, aber mit 21 Parlamentsmitgliedern immer noch Führer des größten politischen Blocks ist. Zu diesem Block gehört auch die christliche, gegen die Hisbollah auftretende anti-syrische Partei "Libanese Forces", die als zweiter großer Sieger bei dieser Wahl ihre Mandate gegenüber der Wahl 2009 beinahe verdoppelte.

Insgesamt betrachtet haben somit die vom Iran unterstützte Hisbollah und ihre politischen Verbündeten bei den Parlamentswahlen etwas an Einfluss gewonnen (RFE 7.5.2018, vgl. ICG 9.6.2018), wenngleich sich an der grundsätzlichen Machtstruktur nichts geändert hat. Der bisherige Premier Hariri wurde trotz der Wahlverluste neuerlich damit beauftragt, eine Regierung zu bilden (GIZ 6/2018, vgl. USDOS 29.5.2018).

Im Libanon leben schätzungsweise zwischen 4,5 und 6,2 Millionen Menschen, je nachdem, inwieweit die große Zahl von Flüchtlingen mitberücksichtigt wird oder nicht (CIA 14.8.2018, vgl. GIZ 6/2018). Neben etwa 450.000 [Anm.: bei der UNRWA registrierten] palästinensischen Flüchtlingen - die Zahl der derzeit tatsächlich im Libanon aufhältigen palästinensischen Flüchtlinge beläuft sich laut einer aktuellen Volkszählung auf 174.422 Personen (Daily Star 21.12.2017) - sind im Libanon laut UNHCR etwa eine Million syrische Flüchtlinge registriert, was mehr als 25% der Wohnbevölkerung des Landes entspricht. Der Libanon beherbergt somit mehr syrische Flüchtlinge als jedes andere Land der Region. Der Krieg in Syrien hat nicht nur durch die große Flüchtlingswelle enorme Auswirkungen auf den Libanon, vielmehr droht der Konflikt das sensible Gefüge der libanesischen Gesellschaft zu zerreißen. Während die Hisbollah und ihre Anhänger den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad unterstützen, sympathisieren die Anhänger des Lagers 14. März mit den syrischen Rebellen, die Assad bekämpfen. Seit Beginn des militärischen Engagements der Hisbollah in Syrien zugunsten des Assad-Regimes hat sich die politische Spaltung des Libanon vertieft und führt zunehmend zu einem gewalttätigen konfessionellen Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten. Gleichzeitig - und obwohl die Hisbollah das Hariri-Bündnis beschuldigt, die radikalen Sunniten zu decken und im Gegenzug das Hariri-Bündnis wiederum die Hisbollah beschuldigt, den Libanon in den Krieg in Syrien hineinzuziehen - bilden beide Kontrahenten derzeit mit anderen politischen Kräften eine zwar konfliktreiche, aber durchaus funktionierende Regierung der nationalen Einheit, die es tatsächlich geschafft hat, ein Überschwappen des Bürgerkrieges aus Syrien zu verhindern (GIZ 6/2018, vgl. AA 1.3.2018).

Geschwächt durch die sich vertiefenden Gräben zwischen und innerhalb der Gemeinschaften [Anm.: Konfessionen] hat der libanesische Staat schrittweise seine Hauptaufgabe der Regierung und als Manager repräsentativer Politik aufgegeben und stützt sich vermehrt auf Sicherheitsmaßnahmen zur Aufrechterhaltung der Stabilität und des Status Quo (ICG 23.2.2016).

Der Libanon ist kein funktionierender Staat, deshalb haben sich die Menschen im Libanon immer mehr auf Klientelismus, anstatt auf den Staat verlassen. Politiker benutzen Geld, Ressourcen und Dienstleistungen, um sich eine Basis in der Bevölkerung zu schaffen. Diese Entwicklung in Kombination mit den konfessionellen Spannungen sowie den Auswirkungen von der Syrienkrise steht ernstzunehmenden Entwicklungsprozessen entgegen (Daily Star 30.12.2014).

Quellen: [...]

2. SICHERHEITSLAGE

Im folgenden Abschnitt finden sich allgemeine Informationen zur Sicherheitslage. Es wird ausdrücklich festgehalten, dass diese auch kurzfristig Änderungen unterworfen sein kann. Der besseren Übersichtlichkeit wegen ist die Darstellung der Sicherheitslage in den palästinensischen Flüchtlingslagern im Abschnitt über palästinensische Flüchtlinge zu finden.

Die wichtigsten religiösen Hauptgruppen im Libanon sind Schiiten, Sunniten, Christen und Drusen. Die sich daraus ergebenden Spannungen sind die Ursache für die meisten der internen Konflikte im Libanon, und andere Staaten der Region haben diese internen Konflikte regelmäßig als Vorwand genutzt, um in dem Land einzugreifen. Darüber hinaus hat insbesondere die Präsenz der palästinensischen und syrischen Flüchtlinge immer wieder zu Konflikten Anlass gegeben. Von 1975 bis 1990 herrschte im Libanon Bürgerkrieg, in dem die regionalen Mächte, insbesondere Israel, Syrien und die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) das Land als Schlachtfeld für ihre eigenen Konflikte benutzten (BBC 4.11.2014).

Anschließend kam es von 1992 bis 2004 zu einer Phase der Entspannung. Im Februar 2005 fiel der damalige Premierminister Rafik Hariri einem Attentat zum Opfer. Als Folge brach die sogenannte Zedernrevolution aus, die als Hauptforderung den Abzug der syrischen Truppen aus dem Libanon postulierte. Die sogenannte 14. März-Bewegung machte Syrien direkt für die Ermordung Hariris verantwortlich, zumal dieser zuvor die Stationierung syrischer Truppen im Libanon kritisiert und die Umsetzung der UN-Resolution 1559 gefordert hatte. Diese sieht den Rückzug aller ausländischen Truppen aus dem Libanon und die Entwaffnung und Auflösung der im Libanon aktiven Milizen vor, womit insbesondere die Hisbollah gemeint ist. Tatsächlich zog Syrien noch im April 2005 seine Truppen aus dem Libanon ab.

Die zivilen Behörden übten zwar weiterhin die Kontrolle über die Streitkräfte und andere Sicherheitskräfte aus, gleichzeitig operierten aber palästinensische Sicherheits- und Milizkräfte, die Hisbollah und andere extremistische Elemente außerhalb der Leitung oder Kontrolle der Regierung (USDOS 20.4.2018). Im Jahr 2013 hatte die EU die Hisbollah auf die Terrorliste gesetzt; im Gegensatz zu den USA allerdings nur deren militärischen Arm und nicht den im Parlament vertretenen politischen Arm (SpiegelOnline 22.7.2013).

Trotz aller Spannungen konnte ein Übergreifen des Syrienkonflikts, in dem sich die libanesische Hisbollah-Miliz seit Frühjahr 2013 auf Seiten des syrischen Regimes beteiligt, auf libanesisches Territorium in den vergangenen Jahren weitgehend verhindert werden. Allerdings befanden sich bis August 2017 in der Gegend um den Grenzort Arsal aus Syrien eingedrungene Kämpfer auf libanesischem Staatsgebiet. Nach länger andauernden Kämpfen, in die auf libanesischer Seite neben den Streitkräften auch die Hisbollah-Miliz verwickelt war, verließen die eingekesselten IS-Kämpfer mit ihren Familien im Rahmen einer Waffenstillstandsvereinbarung mit Bussen die umkämpfte Gegend (AA 1.3.2018; vgl. AI 23.5.2018). Bei einem Antiterroreinsatz der libanesischen Armee in der Gegend von Arsal am 30.06.2017 wurden 350 Personen vorübergehend festgenommen, mindestens vier starben im Gewahrsam der Armee, nach Armeeangaben in Folge bereits bestehender gesundheitlicher Probleme. Menschenrechtsgruppen fordern eine unabhängige Untersuchung der Vorgänge. Der Fall soll militärgerichtlich aufgearbeitet werden (AA 1.3.2018; vgl. AI 23.5.2018).

Grundsätzlich ist es im Libanon so, dass die staatlichen Institutionen in Teilen des Landes keinen uneingeschränkten Zugriff haben. Dies gilt insbesondere für die meisten palästinensischen Flüchtlingslager. Die Sicherheitslage dort blieb im Allgemeinen stabil. Im Lager Ein El Helweh bei Sidon kam es allerdings zu einigen gewalttätigen Zwischenfällen und Schießereien. Bei Zusammenstößen im März und April 2018 zwischen extremistischen Gruppen und palästinensischen Streitkräften wurden vier Menschen getötet und elf verletzt (UN 13.7.2018). Detaillierte Informationen zur Lage in den Palästinenserlagern finden sich in Abschnitt 19.

Weiters sind die Zugriffsmöglichkeiten der libanesischen Staatsorgane insbesondere auch in den südlichen Vororten Beiruts und in den schiitischen Siedlungsgebieten im Süden des Landes eingeschränkt (AA 1.3.2018, vgl. USDOS 29.5.2018). Diese werden weitgehend von der Hisbollah kontrolliert, die der Bevölkerung auch grundlegende Dienstleistungen in den Bereichen Gesundheitsvorsorge, Bildung, Lebensmittelhilfe, innere Sicherheit und Erhaltung der Infrastruktur zur Verfügung stellt (USDOS 29.5.2018).

Bei der von der UN geforderten Abrüstung aller bewaffneten Gruppen einschließlich der palästinensischen Milizen und dem militärischen Flügel der Hisbollah konnten bislang keine Fortschritte erzielt werden. Die Hisbollah bestätigte weiterhin öffentlich, über entsprechende militärische Kapazitäten zu verfügen. Somit ist die libanesische Regierung weiterhin nicht in der Lage, die volle Souveränität und Autorität über ihr Territorium auszuüben (UN 13.7.2018).

Am 5. und 23. April 2018 inhaftierten die libanesischen Streitkräfte 15 der Zugehörigkeit zu einer terroristischen Gruppe verdächtigte syrische Staatsangehörige, und beschlagnahmten während einer Razzia in einer informellen syrischen Flüchtlingssiedlung in Arsal Waffen und Munition. Am 14. Mai verhaftete die libanesische General Security in Al-Hirmil zwei syrische Staatsangehörige wegen ihrer Zugehörigkeit zu terroristischen Vereinigungen. Am 17. Mai 2018 wurde ein angeblicher Waffenhändler in Akkar im Nordlibanon von den Streitkräften der Internen Sicherheit verhaftet (UN 13.7.2018).

Das österreichische Außenministerium hat für das gesamte syrische Grenzgebiet, die Bekaa-Ebene nördlich von Baalbek und für die Palästinenserlager und deren Umgebung, insbesondere Ein Al-Hilweh und Mieh Mieh bei Saida (Sidon) und Nahr al Bared und Beddawi bei Tripoli Reisewarnungen ausgesprochen. Ein hohes Sicherheitsrisiko wird allgemein für die Provinzen Tripoli und Akkar, die südlichen Vororte Beiruts (Dahiye), die südlichen Stadtränder von Sidon/Saida (Ein El-Hilweh), das israelische Grenzgebiet und die restliche Bekaa-Ebene, einschließlich Baalbek ausgewiesen (BMeiA 11.7.2018).

Das Schweizer Außenministerium warnt vor zahlreichen nicht explodierten Bomben und Minen in der Bekaa-Ebene. Es sind bewaffnete Gruppierungen aktiv, und Grenzüberschreitungen durch Kämpfer sind häufig. In und um die Stadt Arsal (Anmerkung: auch Ersal, Irsal, Aarsal geschrieben) sowie um Ras Baalbek und Qaa kommt es regelmäßig zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen der Armee und militanten Gruppierungen. Spannungen zwischen einzelnen Bevölkerungsgruppen, aber auch innerhalb einzelner Gemeinschaften, können sich in bewaffnete Konfrontationen oder Anschlägen entladen. Im Juni 2016 forderten Selbstmordanschläge in Qaa mehrere Todesopfer und Verletzte. Im März 2011 wurde in der Nähe von Zahlé in der südlichen Bekaa-Ebene eine Gruppe ausländischer Touristen entführt und mehrere Monate lang festgehalten. Seither sind mehrere Entführungen bekannt geworden. Besonders die Zahl von Entführungen mit hohen Lösegeldforderungen hat zugenommen (EDA 5.12.2017).

Die Spannungen in den Flüchtlingslagern sind groß und können sich auch aus geringen Anlässen in Gewalttaten entladen. In Saïda (Sidon) kommt es vereinzelt zu Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Im Südlibanon finden laufend Truppenverschiebungen statt. Insbesondere im libanesisch-israelischen Grenzgebiet und nochmal verstärkt südlich des Litani-Flusses bis zur israelischen Grenze sind die Spannungen sehr hoch (EDA 5.12.2017). Auch das Britische Außenministerium betont die permanente Gefahr von Terroranschlägen (gov.uk o.D.).

Ende März 2018 verabschiedete das libanesische Kabinett eine nationale Strategie zur Verhinderung von gewalttätigem Extremismus - eine Initiative, die der inzwischen geschäftsführende Ministerpräsident Saad Hariri im Rahmen eines globalen Aktionsplans der Vereinten Nationen vorangetrieben hat. Es wird geschätzt, dass der Prozess weitere acht Monate [Anm: bis Anfang 2019] dauern wird, bis die Bürger ihn in ihren Gemeinden umsetzen werden. Neben Tunesien und Marokko ist der Libanon einer der Pioniere in der Region, der eine solche Strategie umsetzt (Daily Star 27.6.2018).

Quellen: [...]

3. RECHTSSCHUTZ / JUSTIZWESEN

Die Verfassungsinstitutionen, insbesondere Parlament, Regierung und Justizwesen, funktionieren im Prinzip nach rechtsstaatlichen Grundsätzen, sind aber in ihrer tatsächlichen Arbeit politischen Einflussnahmen ausgesetzt. Die Gewaltenteilung ist in der Verfassung zwar festgeschrieben, wird in der Praxis aber nur eingeschränkt respektiert; insbesondere in politisch brisanten Ermittlungsverfahren kommt es zu Versuchen der Einflussnahme auf die Justiz, z.B. bei der Ernennung von Staatsanwälten und Ermittlungsrichtern oder zum Schutz politischer Parteigänger vor Strafverfolgung. Personen, die an zivil- und strafrechtlichen Routineverfahren beteiligt waren, baten manchmal um die Unterstützung prominenter Personen, um den Ausgang ihrer Verfahren zu beeinflussen. Die Einhaltung der in der Verfassung garantierten richterlichen Unabhängigkeit ist in der praktischen Durchführung durch verbreitete Korruption, chronischen Mangel an qualifizierten Richtern und zum Teil auch politische Einflussnahme eingeschränkt (AA 1.3.2018; vgl. USDOS 20.4.2018).

Angeklagte gelten als unschuldig, bis ihre Schuld bewiesen ist. Gerichtsverhandlungen sind in der Regel öffentlich, die Richter können aber geschlossene Gerichtsverhandlungen anordnen. Angeklagte haben das Recht, bei der Verhandlung anwesend zu sein, sich rechtzeitig mit einem Anwalt zu beraten, Zeugen zu befragen, Beweise vorzulegen und in Berufung zu gehen (USDOS 20.4.2018).

Eine Strafverfolgungs- und Strafbemessungspraxis, die nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität diskriminiert, ist im Libanon nicht gegeben. Allgemeine kriminelle Delikte werden im Rahmen feststehender straf- bzw. strafprozessrechtlicher Vorschriften nach insgesamt weitgehend rechtsstaatlichen Prinzipien verfolgt und geahndet. Die Strafprozessordnung stattet die Ermittlungsbehörden mit weitreichenden Vollmachten aus, schreibt aber auch Rechte des Beschuldigten fest, z. B. das Recht auf unverzügliche Kontaktaufnahme zu Rechtsanwälten, Ärzten und Familienangehörigen. Angeklagte haben weiters das Recht auf rechtlichen Beistand; allerdings existiert kein staatlich finanziertes System der Pflichtverteidigung. Die Anwaltskammer stellt bei Bedarf Pflichtverteidiger zur Verfügung. Dolmetscher müssen in der Regel durch den Angeklagten selbst gestellt werden (AA 1.3.2018).

Neben den in mehrere Instanzen gegliederten Zivilgerichten existieren im Libanon konfessionelle Gerichtsbarkeiten, in deren Zuständigkeit die familien- und erbrechtlichen Verfahren fallen (USDOS 20.4.2018; vgl.: AA 1.3.2018). Der Libanon verfügt über 15 separate Personenstandsgesetze für seine offiziell anerkannten Religionen, es gibt jedoch kein bürgerliches Gesetzbuch, das Themen wie Scheidung, Eigentumsrecht oder Kindersorgerecht behandelt. Darüber hinaus werden die religiösen Gerichte kaum vom Staat kontrolliert; die Rechte von Frauen sind in den genannten Personenstandsgesetzen oftmals stark eingeschränkt (Daily Star 19.1.2015, vgl. HRW 18.1.2018. Nähere Ausführungen hierzu sind dem Abschnitt 17, Kapitel "Frauen" zu entnehmen).

Das Rechtssystem unterscheidet im Strafrecht zwischen Zivil- und dem Verteidigungsministerium unterstellten Militärgerichten. Letztere haben die Rechtsprechung inne über Fälle, die das Militär betreffen, bzw. in welchen Militärs oder Zivilisten der Spionage, des Hochverrats, des Waffenbesitzes, der Wehrdienstverweigerung und Delikten gegen die Staatssicherheit, gegen das Militär oder deren Angehörige bezichtigt werden. Dabei werden die Zuständigkeiten der Militärgerichtsbarkeit vor allem beim Vorwurf des Terrorismus bzw. bei terroristischen Delikten mit islamistischem Hintergrund oftmals sehr extensiv ausgelegt. Militärgerichte verhandeln sicherheitsrelevante Straftaten auch dann, wenn sie von Zivilisten begangen wurden, oftmals in Schnellverfahren und ohne ausreichenden Rechtsbeistand (AA 1.3.2018; vgl. USDOS 20.4.2018).

Menschenrechtsorganisationen zeigten sich besorgt über die Praxis, Zivilisten vor Militärgerichten anzuklagen, über das Maß an Prozessrechten für Angeklagte sowie die fehlende Überprüfung der Urteilssprüche durch reguläre Gerichte (USDOS 20.4.2018).

Seit Jahren wird - wenn bislang auch ohne greifbare Fortschritte - erwogen, alle Militärverfahren ordentlichen Gerichten zu übertragen (AA 1.3.2018).

In den palästinensischen Flüchtlingslagern betreiben palästinensische Gruppen nach eigenem Ermessen eine autonome Rechtsprechung abseits der Kontrolle des Staates (USDOS 20.4.2018).

Quellen: [...]

4. SICHERHEITSBEHÖRDEN

Die führenden Positionen in den Sicherheitsbehörden werden u.a. nach konfessionellem Proporz vergeben. Die Forces de Sécurité Intérieure (FSI) [auch "Internal Security Force" - ISF] ist die allgemein zuständige Polizei des Staates und gleichzeitig Hilfsorgan der Justiz (z.B. zum Führen des Kriminalregisters). Sie wird durch einen sunnitischen General geleitet und steht dem ebenfalls sunnitischen Innenminister nahe. Die demgegenüber schiitisch geprägte Sûreté Générale (SG) hat neben Fragen der Ein- und Ausreisekontrollen auch eine nachrichtendienstliche Funktion inne. Ihr Leiter wird der AMAL-Partei von Parlamentspräsident Berri zugeordnet. Ein Polizeigesetz im engeren Sinne gibt es nicht (AA 1.3.2018).

Die LAF [Lebanese Armed Forces] unter der Führung des Verteidigungsministeriums sind für die externe Sicherheit verantwortlich, haben aber aus Gründen der Staatssicherheit auch die Befugnis, Verdächtige zu verhaften (USDOS 20.4.2018). Im Gegensatz zu den anderen Sicherheitskräften gilt die Armee trotz eines stets christlichen Oberbefehlshabers und zahlreicher christlicher Generäle als parteipolitisch und konfessionell weitgehend neutral und genießt grundsätzlich hohes Ansehen in allen Bevölkerungsteilen. Sie nimmt - beispielsweise durch die weit verbreiteten Kontrollpunkte - auch Aufgaben der inneren Sicherheit wahr (AA 1.3.2018).

Daneben gibt es noch mehrere vorwiegend nachrichtendienstlich tätige Sicherheitsbehörden (Amn ad-Daula - Staatssicherheit; Amn al-Dschaisch - militärische Sicherheit; Sicherheitsdienst der Quwat al-Amn ad-Dakhili - Polizeikräfte; Nachrichtendienstliche Abteilung der Sûreté Générale). Alle genannten Institutionen und Dienste arbeiten seit Frühjahr 2014 zwar verstärkt zusammen, auch wenn nicht immer eine klare Abgrenzung ihrer Kompetenzen gegeben ist. Ihre Professionalisierung wird auch deutlich dahingehend beschränkt, dass bestimmte Institutionen einer bestimmten Konfession und somit dem entsprechenden politischen Lager zuzuordnen sind. Die daraus resultierenden Loyalitäten beeinflussen teilweise spürbar deren Arbeit (AA 1.3.2018).

Das General Directorate for State Security, das an den Premierminister berichtet, und das Directorate of General Security - DGS [auch "Sûreté Générale - SG] unter der Führung des Innenministeriums sind verantwortlich für die Grenzsicherung (USDOS 20.4.2018).

Sowohl das General Directorate for State Security als auch das DGS sammeln Informationen über potentiell die Staatssicherheit gefährdende Gruppen. Jeder Sicherheitsapparat hat seine eigenen internen Mechanismen, um Fälle von Missbrauch und Fehlverhalten zu untersuchen.

Verhaltensvorschriften der ISF definieren die Pflichten der ISF-Mitglieder sowie die verpflichtenden gesetzlichen und ethischen Standards. Verschiedene Sicherheitskräfte erhielten Training zur Umsetzung des Verhaltenskodex. Trotz effektiver Kontrolle ziviler Behörden über die Sicherheitskräfte genießen letztere Berichten zufolge ein gewisses Maß an Straflosigkeit, nicht zuletzt weil es an öffentlich zur Verfügung stehenden Informationen über den Ausgang von Verfahren fehlt. Außerdem fehlen Mechanismen zur Untersuchung und Bestrafung von Misshandlungen und Korruption (USDOS 20.4.2018).

Zudem haben die staatlichen Institutionen in Teilen des Landes keinen uneingeschränkten Zugriff. Die Hisbollah bildet zumindest in ihren Hochburgen, d.h. in Teilen der Bekaa-Ebene, in südlichen Beiruter Vororten und Teilgebieten des Südens weiterhin eine Art Staat im Staate und übernimmt dort neben sozialen und politischen faktisch auch Aufgaben der Sicherheitsbehörden. Parallel bestehen kleinere bewaffnete Milizen der AMAL-Partei des Parlamentspräsidenten Nabih Berri, drusische Bürgerwehren sowie christliche Milizen (etwa in Nähe zur Kataeb-Partei oder zur griechisch-orthodoxen Kirche), die sich zuletzt im Spätsommer 2015 auch an Kampfhandlungen gegen aus Syrien einsickernde sunnitische Extremisten beteiligt haben (AA 1.3.2018).

Trotz der Anwesenheit von libanesischen Sicherheitskräften und UNO-Einheiten behielt die Hisbollah signifikanten Einfluss über Teile des Landes und die Regierung machte keinen konkreten Fortschritt, um die bewaffneten Milizen aufzulösen und zu entwaffnen.

Palästinensische Flüchtlingslager stellen [Anm.: mit Ausnahme des Lagers Nahr el-Bared] weiterhin sich selbst regierende Einheiten dar und betreiben Sicherheits- und Militärkräfte, die nicht unter der Kontrolle von Regierungsbeamten stehen (USDOS 20.4.2018; siehe hierzu auch den Abschnitt 19).

Quellen: [...]

5. FOLTER UND UNMENSCHLICHE BEHANDLUNG

Das Strafgesetzbuch verbietet die Anwendung von Gewalt, um ein Geständnis oder Informationen über eine Straftat oder andere Personen zu erhalten. Trotzdem verweisen einige Nichtregierungsorganisationen (NGOs) auf Berichte über misshandelte Häftlinge. Die Justiz hat solche Vorwürfe nur selten untersucht oder verfolgt. Die Regierung leugnete die systematische Anwendung von Folter, obwohl die Behörden bestätigten, dass es bei Voruntersuchungen auf Polizeistationen, in militärischen Einrichtungen bzw. in Untersuchungshaft, wo Beamte Verdächtige ohne Anwalt verhört haben, manchmal zu gewaltsamen Übergriffen kam. Solche Missbräuche fanden angeblich in mehreren Einheiten statt, obwohl die nationalen Gesetze es den Richtern verbieten, unter Zwang gewonnene Geständnisse anzunehmen. Es gab Berichte, dass die ISF (Internal Security Force) Drogenkonsumenten, an der Prostitution beteiligte Personen und LGBTI-Personen in ihrem Gewahrsam bedroht und misshandelt hat; gleichzeitig haben Menschenrechtsorganisationen und Rechtsexperten allerdings auch auf Verbesserungen bei der Behandlung von Häftlingen im Laufe des Jahres hingewiesen. Ehemalige Gefangene, Häftlinge und lokale Menschenrechtsgruppen berichteten unter anderem von physischen und psychischen Druck, erzwungenen HIV-Tests und Drohungen mit längerer Haft (USDOS 20.04.2018).

Am 4. Juli 2017 gab die libanesische Armee eine Erklärung heraus, dass vier Syrer in Arsal, einem Sperrgebiet im Nordosten des Libanon, in dem viele syrische Flüchtlinge leben, in deren Gewahrsam gestorben waren. HRW zur Verfügung gestellte Fotos der Opfer belegen laut HRW die Vorwürfe des Missbrauchs und der Folter (HWR 7.8.2018; vgl. AA 1.3.2018).

HRW verweist weiters auf den Fall des Schauspielers Ziad Itani, der laut detaillierten Berichten unter Verhör gefoltert worden ist. Dies zeigt, dass trotz des neu verabschiedeten Anti-Folter-Gesetzes anhaltende Probleme hinsichtlich der Behandlung von Gefangenen bestehen (Daily Star 17.7.2018).

Im Mai 2017 trat der Libanon erstmals vor dem UN-Ausschuss gegen Folter auf, nachdem das UN-Übereinkommen gegen Folter und sein Fakultativprotokoll im Jahr 2000 bzw. 2008 ratifiziert worden waren (AI 22.2.2018). Zu deren Umsetzung wurde im Oktober 2017 das oben bereits erwähnte neue Anti-Folter-Gesetz ratifiziert, womit das libanesische Strafgesetzbuch nun erstmals eine Definition von Folter vorsieht und diese Folter sowie andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen unter Strafe stellt (AI 26.6.2018, vgl. HRW 18.1.2018; USDOS 20.4.2018).

Ermittlungs- oder Strafverfahren wegen Foltervorwürfen sind dennoch bisher nur in drei Einzelfällen bekannt geworden (drei Mitarbeiter der Sicherheitskräfte des Gefängnisses Roumieh wurden diesbezüglich angeklagt). Jedwede Form "systematischer Folter" streitet die Regierung aber ab. Es handle sich um Exzesse Einzelner, gegen die man auf strafrechtlicher Grundlage vorgehen werde. Menschenrechtsorganisationen haben (anders als das IKRK seit 2007) keinen Zutritt zu den Militärgefängnissen und zum Verhörzentrum im Verteidigungsministerium (AA 1.3.2018).

Neben der Kriminalisierung der Folter legt das neue Gesetz die Unzulässigkeit von Folteraussagen fest, fordert die Staatsanwaltschaft auf, innerhalb von 48 Stunden auf Beschwerden oder Folterbescheide zu reagieren, begründet das Recht auf Rehabilitation und erklärt Folter als Verbrechen, das nicht durch Notwendigkeit oder nationale Sicherheitsanforderungen gerechtfertigt ist (AI 26.6.2018).

Trotz aller positiven Aspekte weist das Gesetz eine Reihe von Mängeln auf. So hat sich der UN-Menschenrechtsausschuss besorgt gezeigt, weil das Gesetz (a) die Definition von Folter auf Ermittlungen, Verhöre, gerichtliche Ermittlungen, Gerichtsverfahren und Strafen beschränkt; (b) grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlungen oder Strafen nicht kriminalisiert; (c) eine Verjährungsfrist für die Verfolgung von Folter einschließt; (d) Strafen vorschreibt, die nicht die Schwere der Straftat widerspiegeln; und (e) keine wirksamen Rechtsmittel und Wiedergutmachung vorsieht (UN 9.5.2018, vgl. AI 26.6.2018).

Darüber hinaus enthält das Gesetz keine Bestimmungen, wonach sich der Folter beschuldigte Armeeoffiziere vor zivilen Gerichten verantworten müssen (AI 22.2.2018).

Quellen: [...]

6. KORRUPTION

[...]

7. NGOS, MENSCHENRECHTSAKTIVISTEN

Im Libanon sind zahlreiche lokale und internationale, im öffentlichen Leben deutlich wahrnehmbare Menschenrechtsorganisationen tätig, die häufig offiziell mit staatlichen Stellen, Sicherheitskräften und anderen Staatsbediensteten bei der Aus- und Fortbildung in Menschenrechtsfragen zusammenarbeiten. Die Anwaltskammer Beirut veranstaltet regelmäßig öffentliche Seminare zum Schutz der Menschenrechte.

Seit 2005 können Menschenrechtsorganisationen grundsätzlich frei arbeiten und Vertreter internationaler Organisationen wie Amnesty International (AI) und Human Rights Watch (HRW) können sich im Land frei bewegen. HRW unterhält ein Regionalbüro in Beirut und publiziert - wie lokale NGOs - regelmäßig kritische Berichte zur Menschenrechtslage im Land. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) befasst sich insbesondere mit der Situation in den Gefängnissen, wobei auf Grundlage einer Vereinbarung mit der Regierung aus dem Jahr 2007 auch Zugang zu den Gefängnissen der Armee und des Verteidigungsministeriums zugestanden wird (AA 1.3.2018).

Das bedeutet nicht, dass keine Versuche der Einschüchterung und Beeinflussung durch politische Institutionen oder nichtstaatliche Akteure zu verzeichnen wären (AA 1.3.2018).

Unabhängige NGOs waren in Gebieten, die von der Hisbollah dominiert werden, mit Schikanen und Einschüchterungen konfrontiert - einschließlich sozialem, politischem und finanziellem Druck. Die Hisbollah bezahlte Jugendliche, damit sie die Mitarbeit in "inakzeptablen" NGOs einstellten (USDOS 20.4.2018).

Laut Amnesty International wurde in letzter Zeit eine Reihe von Menschen wegen ihrer politischen Meinung oder ihres Menschenrechtsaktivismus verhaftet, verhört und eingeschüchtert; Als Bedingung für Ihre Freilassung wurden sie zur Unterzeichnung von Zusagen gedrängt, zukünftig bestimmte Handlungen zu unterlassen (AI 7.8.2018).

NGOs müssen sich grundsätzlich beim libanesischen Innenministerium registrieren. Das Ministerium kann eine NGO zwingen, sich einem Genehmigungsverfahren zu unterziehen und Informationen zu den Gründern einholen. Staatliche Repräsentanten müssen eingeladen werden, damit sie die Wahl bezüglich der Statuten und des Aufsichtsrates überwachen können (FH 1/2017).

Rechtlich erschwert bleibt die Gründung von Organisationen durch Ausländer; dies macht es palästinensischen und syrischen Flüchtlingen de facto unmöglich, unabhängig von libanesischen Partnern NGOs zur Verfolgung ihrer Interessen zu gründen. In der Praxis treten libanesische Staatsangehörige für palästinensische und syrische Flüchtlinge als Gründer und Organe auf (AA 1.3.2018).

Quellen: [...]

8. WEHRDIENST UND REKRUTIERUNGEN

Die allgemeine Wehrpflicht wurde 2006 abgeschafft und die Armee in eine Berufsarmee umgewandelt. Der Zugang zum Militärdienst ist nicht an ethnische oder religiöse Kriterien gebunden. Fahnenflüchtigen drohen nach Art. 107 ff. des Militärstrafgesetzbuches Haftstrafen. Für Offiziere bzw. in Spannungszeiten erhöht sich das Strafmaß empfindlich. Auf Fahnenflucht mit Überlaufen zum Feind steht die Todesstrafe (Art. 110 lib. MilitärStGB). Dem Deutschen Auswärtigen Amt ist allerdings kein Fall bekannt, in der diese vollstreckt wurde (AA 1.3.2018). Ab 17 bis 30 Jahren kann man im Libanon den freiwilligen Militärdienst ableisten. Für Offizierskadetten ist das Eintrittsalter 18 bis 24 Jahre (CIA 6.4.2016).

Rekrutierungen durch die Hisbollah beruhen auf Freiwilligkeit, wenngleich durchaus ein gewisser sozialer Druck innerhalb schiitischer Familien gegeben sein kann, sich der Hisbollah anzuschließen. Fälle von "Zwangsrekrutierung" sind nicht bekannt. Der Prozess der Mobilisierung und Radikalisierung der potenziellen Rekruten der Hisbollah beginnt bereits in jungen Jahren. Kinder im Alter von sechs oder sieben Jahren werden ermutigt, an der Jugendbewegung der Hisbollah teilzunehmen, allerdings werden keine Kämpfer unter achtzehn Jahren aufgenommen (IRB 17.11.2017).

Quellen: [...]

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9. ALLGEMEINE MENSCHENRECHTSLAGE

Der Libanon ist seit 1945 Gründungsmitglied der Vereinten Nationen (GIZ 6/2018).

Die Präambel der libanesischen Verfassung hält ausdrücklich fest, dass Libanon die Allgemeine Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen beachtet. Der Libanon ist Vertragsstaat folgender wichtiger internationaler Menschenrechtsabkommen [Anm.: teilweise allerdings mit wesentlichen Vorbehalten zu einzelnen Artikeln]:

- Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte,

- Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

- Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form der rassischen Diskriminierung

- Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau

- Übereinkommen über die Rechte des Kindes

- Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe; Der Libanon hat am 22. Dezember 2008 als erster Staat der Region auch das entsprechende Fakultativprotokoll ratifiziert

Weiters hat der Libanon 2007 das Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen und das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen unterzeichnet, allerdings bisher beide nicht ratifiziert. Ebenso wenig wurden die meisten der Fakultativprotokolle zu den Menschenrechtsabkommen ratifiziert, so beispielsweise auch nicht das Zweite Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zur Abschaffung der Todesstrafe (OP2-ICCPR) von 1991. Der Libanon ist bislang keinem internationalen Übereinkommen zum Status von Flüchtlingen beigetreten (AA 1.3.2018).

Deutlichstes Zeichen von struktureller und kultureller Diskriminierung von Frauen im Libanon ist die Tatsache, dass die Staatsbürgerschaft über den Vater vergeben wird. Der Schutz von Migranten und Flüchtlingen wird nicht gemäß internationaler Standards gewährt, auch häufen sich Berichte von Misshandlungen und Folter bei Verhören. Eine offene Wunde des Libanons sind die seit dem Bürgerkrieg vermissten Menschen (GIZ 6/2018).

Eine der größten Herausforderungen für die Menschenrechte im Libanon ist die Gratwanderung des libanesischen Staates zwischen der Garantie der Sicherheit und der Einhaltung der Freiheitsrechte (GIZ 6/2018).

Die Sicherheitsbehörden, insbesondere der militärische Nachrichtendienst, sollen nach Angaben von Nichtregierungsorganisationen immer wieder Festnahmen vornehmen, auch wenn kein dafür erforderlicher richterlicher Beschluss vorliegt, bzw. Personen festhalten, nachdem die gesetzlich vorgesehene Frist von 48 Stunden nach Festnahme verstrichen ist. Die Regierung gibt derartige Vorkommnisse durchaus zu, macht aber geltend, dass entsprechende richterliche Beschlüsse jeweils nachgeholt würden und längere Haftdauern im Polizeigewahrsam nur deswegen zu Stande kämen, weil die Gefängnisse überfüllt seien. Verschleppungen durch nichtstaatliche Akteure, v.a. Hisbollah, kommen vor (AA 1.3.2018).

Es gibt immer wieder Versuche, Zivilisten einschließlich Kinder vor Militärgerichten zu anzuklagen, was eine Verletzung ihrer Rechte im Rahmen eines ordnungsgemäßen Verfahrens und des Völkerrechts darstellt. Diejenigen, die vor den Militärgerichten vor Gericht standen, berichten über Isolationshaft und die Verwendung von Geständnissen, die unter Folter erzwungen wurden, weiters über Entscheidungen, die ohne nähere Begründung ergangen sind, scheinbar willkürliche Urteile und eine begrenzte Möglichkeit, Berufung einzulegen (HRW 18.1.2018).

Das libanesische Parlament hat im Oktober 2016 durch die Einrichtung eines Nationalen Menschenrechtsinstituts (NHRI) einen Schritt gesetzt, um die Menschenrechtssituation zu verbessern und die Anwendung von Folter im Land zu beenden. Das Institut soll die Menschenrechtslage im Libanon überwachen, Beschwerden über Verstöße entgegennehmen und regelmäßig Berichte und Empfehlungen abgeben. Der Ausschuss für den Schutz vor Folter, ein nationaler Präventionsmechanismus, wird befugt sein, regelmäßig unangekündigte Besuche an allen Haftorten durchzuführen, die Anwendung von Folter zu untersuchen und Empfehlungen zur Verbesserung der Behandlung von Häftlingen abzugeben (HRW 28.10.2016; vgl. UN 9.5.2018).

Quellen: [...]

10. MEINUNGS- UND PRESSEFREIHEIT

[...]

11. VERSAMMLUNGS- UND VEREINIGUNGSFREIHEIT / OPPOSITION

[...]

12. HAFTBEDINGUNGEN

[...]

13. TODESSTRAFE

Die Todesstrafe wird verhängt; es besteht aber de facto seit 2004 ein Vollstreckungsmoratorium (AI 22.2.2017). Im Jahr 2011 hat das libanesische Parlament dem Gesetzesentwurf zur Änderung des Gesetzes zur Anwendung der Todesstrafe zugestimmt, und es wurde damit ein formaler Status für diejenigen geschaffen, die zum Tode verurteilt wurden, ohne hingerichtet zu werden (Daily Star 10.10.2014).

Die Todesstrafe droht für folgende Delikte des allgemeinen Strafrechts:

a) Hochverrat und ähnliche Delikte (Art. 273, 274, 275 u. 276 lib. StGB),

b) Aufruhr und Aktionen, die den Bürgerkrieg schüren (Art. 308),

c) Terrorismus in besonders schweren Fällen (Art. 315),

d) Bildung von kriminellen Banden in besonders schweren Fällen (Art. 336),

e) Totschlag mit Vorsatz (Art. 549),

f) Verbrechen gegen die Verkehrssicherheit mit Todesfolge (Art. 599)

sowie für folgende Straftatbestände des militärischen Strafrechts:

g) Fahnenflucht und Überlaufen zum Feind (Art. 110 lib MilitärStGB),

h) Kapitulation vor dem Feind (betrifft nur regionale Militärbefehlshaber, Art. 121),

i) Hochverrat, militärischer Umsturz und Spionage (Art. 123, 124 und 130),

j) Befehlsverweigerung im Kriegsfall (Art. 152),

k) Verlassen eines sinkenden Kriegsschiffes (gilt nur für Kommandanten, Art. 168) (AA 1.3.2018)

Im Januar 2004 hatten trotz heftiger Proteste der Öffentlichkeit und der EU - nach jahrelangem Moratorium - drei Hinrichtungen stattgefunden. Derzeit sind nach NGO-Angaben 75 Personen in Haft, gegen die die Todesstrafe verhängt wurde. Bisher ist es zu keinen weiteren Vollstreckungen oder Neuverurteilungen gekommen. Bei Verfahren vor dem Sondergerichtshof für den Libanon (Special Tribunal for Lebanon, STL) ist die Verhängung der Todesstrafe explizit ausgeschlossen (AA 1.3.2018).

Laut Amnesty International wurde 2017 12 Mal die Todesstrafe verhängt, allerdings in keinem Fall exekutiert (AI 12.4.2018).

Im Libanon sind keine extralegalen Tötungen durch libanesische Staatsorgane bekannt geworden. Extralegale Hinrichtungen können aber für militärische Kampfhandlungen in Gebieten außerhalb staatlicher Kontrolle nicht ausgeschlossen werden (AA 1.3.2018).

Quellen: [...]

14. RELIGIONSFREIHEIT

[...]

15. ETHNISCHE MINDERHEITEN

[...]

16. RELEVANTE BEVÖLKERUNGSGRUPPEN

[...]

17. BEWEGUNGSFREIHEIT

Das Gesetz gewährt Bewegungsfreiheit in Bezug auf Auslandsreisen, Emigration und Wiedereinbürgerung, und die Regierung respektierte grundsätzlich diese Rechte. Einschränkungen gibt es nur für palästinensische Flüchtlinge [Anm.: Für detaillierte Informationen wird auf den entsprechenden Abschnitt "IDPs und Flüchtlinge" verwiesen].

Die Regierung unterhielt Sicherheitskontrollen und Checkpoints, insbesondere in Militärzonen und anderen eingeschränkt zugänglichen Gebieten (USDOS 20.4.2018).

Die Hisbollah betrieb Checkpoints in bestimmten schiitischen Mehrheitsgebieten (USDOS 20.4.2018, vgl. UK 06/2018). Die Regierungstruppen waren meist nicht in der Lage, das Gesetz in den überwiegend von der Hisbollah kontrollierten südlichen Vororten von Beirut durchzusetzen, und sie betraten üblicherweise keine palästinensischen Flüchtlingslager (USDOS 20.4.2018).

Quellen: [...]

18. BINNENFLÜCHTLINGE (IDPS) UND FLÜCHTLINGE

[...]

19. GRUNDVERSORGUNG/WIRTSCHAFT

Vor dem Bürgerkrieg 1975 zählte der Libanon zu den bedeutendsten Finanzzentren im Nahen Osten. Beirut war die Bankenmetropole des Orient, ein Bindeglied zwischen Europa und den Golfstaaten. Daraus entwickelte sich eine Ökonomie, die auf Vermittlungs-, Handels- und Dienstleistungswirtschaft fußte. Das während des Bürgerkriegs geflohene Kapital kam mit dem Ende des Krieges allerdings nicht zurück, womit es dem Libanon an wichtigen Investitionen für den Wiederaufbau fehlte. Dies hatte wiederum zur Folge, dass der Wiederaufbau über Staatsverschuldung refinanziert wurde. Der Libanon ist heute mit etwa 70 Milliarden US$ überschuldet. Der Schuldendienst machte 2017 annähernd 45% der Staatsausgaben aus, die Staatsverschuldung entsprach 140% des BIP. Die wichtigste Ressource und größte Einnahmequelle des Landes sind seine gut ausgebildeten Arbeitskräfte, die aus dem Ausland Devisen in den Libanon überweisen. Rund 350.000 Auslandslibanesen arbeiten in den Golfstaaten. Jedes Jahr schicken diese vier bis fünf Milliarden Dollar zurück nach Hause, das wiederum sind etwa zehn Prozent des libanesischen Bruttosozialprodukts Die Alphabetisierungsrate liegt bei 89,6 Prozent. Das BIP des Libanon wird zu 8 Prozent durch den Agrarsektor, zu 23 Prozent durch den Industriesektor und zu 69 Prozent durch den Dienstleistungssektor erwirtschaftet. Dabei erzielt das Land seit Jahren hohe Handelsbilanzdefizite. Durch die starken innenpolitischen Turbulenzen und nicht zuletzt durch den Syrienkonflikt ist davon auszugehen, dass das Handelsbilanzdefizit weiterhin massiv zunehmen wird. Im Jahr 2015 sind die Exporte in die Golfstaaten komplett eingebrochen. Aufgrund der politischen Lage und der dadurch hervorgerufenen Sicherheitsdefizite ist davon auszugehen, dass auch der Tourismussektor weiterhin in Mitleidenschaft gezogen sein wird, so dass in weiterer Folge die ohnedies bereits hohe Arbeitslosigkeit weiter steigen wird. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt Schätzungen zu Folge bei über 54 %, was die Arbeitsmigration aus dem Libanon weiter verstärkt. Insbesondere gut ausgebildete Ingenieure, Ärzte und Betriebswirte verlassen das Land. Notwendige Investitionen bleiben aus (GIZ 3/2018).

Der Libanon leidet laut libanesischem Finanzministerium an einer sehr ungleichen Einkommensverteilung, und zwar sowohl bei den Angestellten als auch bei den Selbstständigen des privaten Sektors. Die Top 2 % verdienen 17% des gesamten Einkommens, während die "unteren" 59% nur insgesamt 22 % des Einkommens erwirtschaften (MoF 2/2017).

Die Wirtschaftsprognosen für das Jahr 2018 divergieren. Während der IMF (International Monetary Fund) ein solides reales Wirtschaftswachstum von 1,5 % für 2018 und 1,8% für 2019 erwartet (IMF 05/2018), geht Economist Intelligence Unit (EIU) von 0,7% aus (GIZ 3/2018).

Der Libanon braucht für die kommenden drei Jahre umgerechnet knapp 1,9 Milliarden Euro, um die Folgen des Bürgerkriegs im Nachbarland Syrien zu bewältigen. Millionen Flüchtlinge müssen mit Nahrungsmittel, Strom und Schulbildung versorgt werden. Dazu kommt, dass durch das Übergreifen der Kämpfe auf den Libanon und der Beteiligung von Libanesen im syrischen Bürgerkrieg ein schmerzhafter Rückgang der Einnahmen aus dem Tourismus zu verzeichnen ist. Jeder dritte Libanese zwischen 15 und 34 ist arbeitslos, was das Gesundheitswesen, die Bildung und das soziale Gefüge massiv beeinträchtigt. Schon jetzt lebt eine Million Libanesen in Armut. Die Weltbank erwartet, dass durch die schlechten wirtschaftlichen Perspektiven 170.000 weitere Personen unter die Armutsgrenze rutschen könnten (GIZ 3/2018). 10 Prozent der libanesischen Bevölkerung und 68 Prozent der palästinensischen Flüchtlinge leben nach Angaben des Nationalen Armutsbekämpfungsprogramms unterhalb der nationalen Armutsgrenze von 2,40 US-Dollar pro Tag (bpb 26.5.2016, vgl. UNHCR o.D.). Besonders schwierig ist die Lage im Nord-Libanon (Akkar-Gebiet) und in der nördlichen Bekaa-Ebene (insb. Hermel-Gebiet) sowie im Süd-Libanon. Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist u.a. über Nothilfemaßnahmen des Sozialministeriums gewährleistet. Bedürftige Personen können nur sehr eingeschränkt auf staatliche Unterstützung zählen; es existieren weder eine allgemeine Arbeitslosen- noch eine Rentenversicherung (nur eine arbeitsrechtliche Austrittsprämie, die mit Blick auf die Arbeitsjahre berechnet wird). Wesentliches Element sozialer Sicherung ist die Familie, daneben karitative und religiöse Einrichtungen, stets nur für die jeweilige Religionsgruppe. Es gibt keine speziellen Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer (AA 1.3.2018).

Nachdem der [vor der aktuellen Syrienkrise stattgefundene] wirtschaftliche Boom immer mehr Bewohner der Dörfer des Umlandes in die Hauptstadt g

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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