Entscheidungsdatum
04.10.2019Norm
AsylG 2005 §10Spruch
L507 2154622-1/17E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Habersack über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. staatenlos, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.04.2017, Zl. 15-1066521904 / 150431691, beschlossen:
A)
In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang
1. Der Beschwerdeführer reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 28.04.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Bei der Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 29.04.2015 und bei der niederschriftlichen Einvernahme am 16.02.2017 brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, dass er staatenloser Palästinenser sei und im Irak gelebt habe. Der Beschwerdeführer sei in Bagdad geboren, dort aufgewachsen und habe bis zu seiner Ausreise aus dem Irak am 25.10.2014 in Bagdad gemeinsam mit seinen Eltern und Geschwistern gelebt. Den Irak habe der Beschwerdeführer verlassen, weil er und seine Familie von schiitischen Milizen diskriminiert und belästigt worden seien. Iraker würden die Palästinenser nicht mögen. Sie sagen, die Palästinenser hätten den Irak ruiniert. Außerdem würden sie sagen, dass Palästinenser unter Saddam Hussein sehr gut behandelt worden seien. Aufgrund dessen und wegen der schlechten Sicherheitslage habe der Beschwerdeführer den Irak verlassen.
1. Dem Antrag auf internationalen Schutz des Bruders des Beschwerdeführers, XXXX , geboren am XXXX , wurde mit Bescheid des BFA, Regionaldirektion Steiermark, vom 20.08.2015, Zl. XXXX , gemäß § 3 AsylG stattgegeben und ihm der Status des Asylberichtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wurde festgestellt, dass dem Bruder des Beschwerdeführers kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
2. Mit Bescheid des BFA, Regionaldirektion Tirol, vom 04.04.2017, Zl. 15-1066521904 / 150431691, wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in den Irak gemäß
§ 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.
Das BFA traf im angefochtenen Bescheid unter anderem die Feststellungen, dass die Identität des Beschwerdeführers feststehe und er aus der Stadt Bagdad stamme. Nicht festgestellt werden könne, wann und wie der Beschwerdeführer auf das österreichische Bundesgebiet gelangt sei bzw. wie lange er sich schon in Österreich aufhalte. Fest stehe, dass der Beschwerdeführer am 29.04.2015 in Österreich einen Asylantrag gestellt habe. Fest stehe, dass der Beschwerdeführer an keinen lebensbedrohlichen psychischen oder physischen Beeinträchtigungen seines Gesundheitszustandes leide. Es könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer sich zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung in medizinischer Behandlung befunden habe oder dass er medikamentöser Behandlung bedurft hätte.
Fest stehe, dass der Beschwerdeführer in der Heimat nicht vorbestraft sei und von keiner Behörde gesucht werde. Fest stehe, dass er in seiner Heimat niemals aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung von staatlicher Seite verfolgt worden sei. In diesem Zusammenhang könne festgestellt werden, dass von Seiten der Behörden des Heimatstaates des Beschwerdeführers keinerlei Interesse an seiner Person bestehe. Auch könne keine Verfolgung aufgrund der Volksgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers festgestellt werden. Es könne somit nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aufgrund einer persönlichen Verfolgung seinen Heimatstaat verlassen habe. Fest stehe, dass er sein Heimatland aufgrund der allgemeinen schlechten Lage verlassen habe. Der vom Beschwerdeführer zur Begründung des Asylantrages vorgebrachte Fluchtgrund könne nicht als asylrelevanter Sachverhalt festgestellt werden und mangels GFK-Relevanz nicht unter die taxativ aufgeführten Gründe subsummiert werden.
Unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände könne nicht festgestellt werden, dass bei einer Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung in den Irak für den Beschwerdeführer eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 und Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für den Beschwerdeführer als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Es könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr in seinem Recht auf Leben gefährdet wäre, der realen Gefahr von Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder der Gefahr der Vollstreckung der Todesstrafe ausgesetzt wäre. Es könne zudem nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Herkunftsland die Lebensgrundlage gänzlich entzogen gewesen wäre oder dass er bei einer Rückkehr in eine die Existenz bedrohende (oder medizinische) Notlage gedrängt werden würde. Fest stehe, dass der Beschwerdeführer in der Heimat über familiäre Anknüpfungspunkte verfüge. Fest stehe, dass er über eine langjährige Schulausbildung verfüge und zwei Jahre die Berufsschule für Automechaniker absolviert habe. Fest stehe, dass er in seiner Heimat als Koch und in einer Werbeagentur tätig gewesen sei und damit für seinen Unterhalt aufkommen habe können. Fest stehe, dass er jung und gesund sei. Er sei in einem erwerbsfähigen Alter. Es sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer in seinem Heimatland in der Lage sein werde, sich notfalls mit Hilfstätigkeiten ein ausreichendes auskommen zu sichern und daher nicht in eine hoffnungslose Lage kommen würde.
Der Beschwerdeführer sei illegal nach Österreich eingereist und habe am 28.04.2015 einen Asylantrag gestellt. Er lebe in einer Flüchtlingsunterkunft und sei selbst mittellos und von staatlicher Unterstützung abhängig. Fest stehe, dass der Bruder des Beschwerdeführers [] sowie sein Cousin [] ebenfalls in Österreich leben würden. Der Beschwerdeführer habe mit jenen Personen jedoch nie in einem gemeinsamen Haushalt gelebt. Festgestellt werde, dass im Fall des Beschwerdeführers somit ein Familienbezug vorliege. Fest stehe, dass der Beschwerdeführer einen Deutschkurs besucht habe. Feststehe, dass er gemeinnützige Tätigkeiten für die [] verrichtet habe. Feststehe, dass er am 01.03.2017 eine Lehre als Installation- und Gebäudetechniker bei der Firma [] begonnen habe. Feststehe, dass er kein Mitglied einer bestimmten Organisation oder in einem Verein sei. Sonstige soziale Bindungen und/oder sonstige wirtschaftliche Anknüpfungspunkte hätten nicht festgestellt werden können. Es hätten jedoch keine Umstände festgestellt werden können, die auf ein schützenswertes Privatleben in Österreich hinweisen würden. Es würden keine Umstände vorliegen, die einer Rückkehrentscheidung aus dem österreichischen Bundesgebiet in den Irak entgegenstehen würden.
Das BFA traf im angefochtenen Bescheid sodann umfangreiche Feststellungen zur Lage im Irak im Ausmaß von 46 Seiten.
Beweiswürdigend wurde zur Person des Beschwerdeführers ausgeführt, dass er hinsichtlich seiner Person aufgrund der vorgelegten Dokumente als glaubwürdig anzusehen sei. Die Feststellungen hinsichtlich seiner Sprachkenntnisse, seiner Volksgruppenzugehörigkeit und seines Religionsbekenntnisses sowie seines Familienstandes würden sich auf die gleichbleibenden und daher glaubwürdigen Angaben des Beschwerdeführers während des gesamten Asylverfahrens gründen. Glaubhaft seien die Angaben, dass der Beschwerdeführer weder an einer lebensbedrohlichen psychischen noch physischen Krankheit leide. Seine diesbezüglichen Angaben würden auch durch sein Verhalten während der Einvernahme vor dem BFA, Regionaldirektion Tirol, wo er zeitlich und örtlich orientiert gewesen sei, einen völlig normalen Eindruck macht gemacht habe, auf die Fragen klar und spontan geantwortet habe und sich keinerlei Anzeichen ergeben hätten, dass er psychisch beeinträchtigt wäre, bestätigt werden.
Betreffend die Feststellungen zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates wurde beweiswürdigend im Wesentlichen ausgeführt, dass die Angaben des Beschwerdeführers nicht glaubhaft seien, weshalb das BFA keine Verfolgung, die unter die Gründe der Genfer Flüchtlingskonvention zu subsumieren sei, erkennen könne.
Betreffend die Feststellungen zur Situation des Beschwerdeführers im Falle seiner Rückkehr wurde beweiswürdigend im Wesentlichen ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer eine Rückkehr in den Irak zumutbar sei, zumal er über soziale und familiäre Anknüpfungspunkte sowie eine langjährige Schulausbildung im Irak verfüge, die dortige Landessprache spreche und gesund und arbeitsfähig sei. Der Beschwerdeführer würde auch nach seiner Rückkehr in den Irak in der Lage sein, sich seinen Lebensunterhalt zu sichern. Seine Heimatstadt Bagdad sei ohne Hindernisse über den dortigen internationalen Flughafen zu erreichen. Dem BFA würden auch keine Informationen über eine gezielte Verfolgung von abgewiesenen Asylbewerbern vorliegen, sodass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr von staatlicher Seite nichts zu befürchten habe.
In der rechtlichen Begründung des angefochtenen Bescheides wurde vom BFA im Wesentlichen ausgeführt, dass besondere Umstände, aus denen hervorgehe, dass Vertreter staatlicher Gewalt individuelle Verfolgungshandlungen gegen den Beschwerdeführer persönlich aus Gründen, die in der GFK festgelegt sein, gerichtet hätten, nicht festgestellt werden hätten können. Im vorliegenden Fall habe daher kein asylrechtlich relevanter Sachverhalt festgestellt werden können. Es hätten auch keine Umstände ermittelt werden können, dass der Beschwerdeführer aufgrund persönlicher Eigenschaften oder seiner beruflichen oder sozialen Stellung einer erhöhten Gefährdung ausgesetzt sei bzw. im Falle einer Rückkehr ausgesetzt wäre. Das BFA gelange nach eingehender rechtlicher Würdigung zur Ansicht, dass es nicht glaubhaft sei, dass dem Beschwerdeführer im Herkunftsstaat zielgerichtete staatliche Verfolgung drohe, weshalb der Asylantrag abzuweisen sei.
Der Beschwerdeführer habe nicht glaubhaft darzulegen vermocht, dass ihm bei einem Verbleib im Irak die Lebensgrundlage entzogen und ihm somit ein weiterer Verbleib dort nicht zumutbar wäre. Der Beschwerdeführer sei bereits in der Heimat in der Lage gewesen, für seine eigenen Lebensbedürfnisse zu sorgen. Es könne daher festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer dies im Falle einer Rückkehr in die Heimat auch möglich bzw. zugänglich wäre. Es stünde dem Beschwerdeführer frei, in der Heimat wieder eine Arbeit anzunehmen, um seine Grundbedürfnisse zu sichern. Außerdem sei der Beschwerdeführer in der Lage mithilfe seines Vaters die Schlepperkosten für die Reise nach Österreich aufzubringen. Weiters habe der Beschwerdeführer noch seine Eltern und zwei Schwestern in Bagdad, sodass familiäre Anknüpfungspunkte bestünden und nicht angenommen werden könne, dass er in eine ausweglose Situation zurückkehre. Der Beschwerdeführer habe auch nie behauptet, dass er schon allein aufgrund der allgemeinen Lage keine ausreichende Existenzgrundlage haben würde. Hinweise auf das sonstige Vorliegen einer allgemeinen existenzbedrohenden Notlage (allgemeine Hungersnot, Seuchen, flächendeckende Naturkatastrophen, sonstige Elementarereignisse) würden ebenfalls nicht vorliegen. Der Beschwerdeführer habe schließlich auch weder eine lebensbedrohende Erkrankung noch einen sonstigen, auf seine Person bezogenen, außergewöhnlichen Umstand behauptet oder bescheinigt, der ein Abschiebungshindernis im Sinne von Art. 3 EMRK iVm § 8 Abs. 1 AsylG darstellen könnte. Das BFA vertrete die Auffassung, dass sich für den Beschwerdeführer gegenwärtig kein Abschiebungshindernis in den Irak ergebe, weil eine landesweite allgemeine, extreme Gefährdungslage, in der jeder Antragsteller im Falle seiner Abschiebung einer Gefahr für Leib und Leben in einem Maße ausgesetzt wäre, dass die Abschiebung im Lichte der Art. 2 und 3 EMRK unzulässig erscheine, nicht gegeben sei. Es ergebe sich somit, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak mangels substantiierter, glaubhafter und für das BFA nachvollziehbar Angaben zur individuellen Situation, im Hinblick auf die behauptete Verfolgungsgefahr zum Zeitpunkt gegenständliche Entscheidung zulässig sei. Aus den angeführten Gründen werde der Antrag auf internationalen Schutz auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG abgewiesen.
3. Gegen diesen dem Beschwerdeführer am 12.04.2017 durch Hinterlegung zugestellten Bescheid wurde am 21.04.2017 Beschwerde erhoben und die Durchführung einer Beschwerdeverhandlung beantragt.
Begründend wurde unter anderem ausgeführt, dass die Befragung des Beschwerdeführers durch das BFA im Hinblick auf den Umstand, dass es sich bei seiner Person um einen staatenlosen Palästinenser, der im Irak lebt, mangelhaft erfolgt sei. Ebenso seien Ermittlungen im Hinblick auf das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative mangelhaft erfolgt.
Zu dem im angefochtenen Bescheid getroffenen Länder Feststellungen wurde begründend wie folgt ausgeführt:
"1.3 Mangelhafte Länderfeststellungen
Die im angefochtenen Bescheid getroffenen Länderfeststellungen sind unvollständig und teilweise unrichtig. Sie beinhalten zwar allgemeine Aussagen über Irak, befassen sich jedoch nicht mit dem konkreten Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers und sind dadurch als Begründung zur Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz unzureichend. Zwar gibt es allgemeine Berichte über die schlechte Sicherheitslage im Irak und die Situation von intern Vertriebenen, allerdings keine spezifischen Berichte über die Situation von staatenlosen Palästinensern im Irak. Der Beschwerdeführer brachte im Rahmen seiner Einvernahme vor, dass ständig die schiitische Miliz in das Flüchtlingslager kam und Gewalt angewendet hat. Zudem war er ständigen Diskriminierungen ausgesetzt, weil er ein staatenloser Palästinenser ist. Die Behörde hat keine diesbezüglichen Länderberichte herangezogen, die für die Ablehnung des gegenständlichen Asylantrages maßgeblich wären.
[...]
Angesichts der Verhältnisse im Irak und des brutalen Vorgehens der schiitischen Milizen gegen palästinensische Flüchtlinge ist die Furcht des Beschwerdeführers vor gravierenden Verfolgungshandlungen bzw. seine Angst um sein Leben nachvollziehbar. Hätte die belangte Behörde diese Länderberichte herangezogen, so hätte sie zu der Feststellung kommen müssen, dass dem Beschwerdeführer aufgrund dessen, dass er staatenloser Palästinenser im Irak ist, Gefahr der Verfolgung droht.
Die hier angeführten Länderberichte sind öffentlich zugänglich und einfach zu recherchieren, was zeigt wie ungenau sich die ermittelnde Behörde der ihr zugänglichen Quellen bedient hat. Die Behörde hat ihre Ermittlungspflicht also nicht voll wahrgenommen und das Verfahren damit mit groben Mängeln belastet."
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG) geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Zu Spruchteil A):
2.1. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss. Gemäß Abs. 3 sind auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes § 29 Abs. 1 zweiter Satz, Abs. 4 und § 30 sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z2).
Gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
2.2. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG ist Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung nach dieser Bestimmung das Fehlen relevanter behördlicher Sachverhaltsermittlungen. Hinsichtlich dieser Voraussetzung gleicht die Bestimmung des § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG jener des § 66 Abs. 2 AVG, der als - eine - Voraussetzung der Behebung und Zurückverweisung gleichfalls Mängel der Sachverhaltsfeststellung normiert, sodass insofern - auch wenn § 66 Abs. 2 AVG im Gegensatz zu § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG als weitere Voraussetzung der Behebung und Zurückverweisung auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraussetzt - auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Bestimmung des § 66 Abs. 2 AVG zurückgegriffen werden kann.
§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet:
Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.
Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.
Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).
3. Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt aus folgenden Gründen als mangelhaft:
Vom Beschwerdeführer wurde im Verfahren vor dem BFA vorgebracht, dass er staatenloser Palästinenser sei und im Irak bzw. in Bagdad gelebt habe.
Trotz dieses eindeutigen Vorbringens des Beschwerdeführers hat es die belangte Behörde unterlassen, Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers zutreffen.
Ebenso hat es die belangte Behörde gänzlich unterlassen Ermittlungen betreffend die Situation von im Irak lebenden staatenlosen Palästinensern zu tätigen und diesbezüglich Feststellungen im angefochtenen Bescheid zutreffen.
Zur Frage der Rückkehrmöglichkeit in den Irak von staatenlosen Palästinensern, die sich über einen längeren Zeitraum bzw. über mehrere Jahre hinweg im Ausland befunden haben, sowie zur Frage betreffend die Erlangung eines irakischen Aufenthaltstitels für solche Personen, hat die belangte Behörde keinerlei Ermittlungen durchgeführt und auch keine diesbezüglichen Feststellungen im angefochtenen Bescheid getroffen.
Obwohl ein unbedingt erforderliches Ermittlungsverfahren zur Situation von im Irak lebenden staatenlosen Palästinensern, zur Rückkehrmöglichkeit des Beschwerdeführers in den Irak und zur Möglichkeit der Erlangung eines irakischen Aufenthaltstitels von staatenlosen Palästinensern, die sich über einen längeren Zeitraum nicht mehr im Irak aufgehalten haben, gänzlich unterlassen wurde, ging die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid lapidar davon aus, dass dem Beschwerdeführer der Status eines Asylberechtigten subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen sei, eine Rückkehr des Beschwerdeführers in den Irak problemlos möglich und eine Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak zulässig sei.
Da es die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid vor dem Hintergrund der sich im Irak ständig ändernden Lage offensichtlich unterlassen hat, aktuelle, nachvollziehbare und sachverhaltsbezogene Feststellungen zur Lage von im Irak lebenden staatenlosen Palästinensern zu treffen, kann im angefochtenen Bescheid nicht schlüssig nachvollzogen werden, worauf die Würdigung der mangelnden Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers in Bezug auf den von ihm vorgebrachten Sachverhalt gestützt wurde.
Unter diesen Gesichtspunkten leidet der angefochtene Bescheid unter erheblichen Ermittlungsmängeln sowohl in Bezug auf die Frage der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einer konkret und gezielt gegen den Beschwerdeführer gerichteten Verfolgung maßgeblicher Intensität als auch in Bezug auf die Frage des Vorliegens einer realen Gefahr, inwiefern eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Irak für den Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten oder eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Irak für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, und erweist sich für das Bundesverwaltungsgericht der vorliegende Sachverhalt zur Beurteilung einer allfälligen Gefährdung des Beschwerdeführers unter dem Aspekt der Gewährung des Status des Asylberechtigten oder der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten sowie zu einer allfälligen Rückkehrmöglichkeit des Beschwerdeführers in den Irak als so mangelhaft, dass weitere notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes diesbezüglich unerlässlich erscheinen.
Damit hat die belangte Behörde im Sinne der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes Ermittlungen teils gänzlich unterlassen, wobei diese Ermittlungen nunmehr durch das Bundesverwaltungsgericht vorgenommen werden müssten.
Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen, vor allem unter Berücksichtigung des Umstandes, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation gemäß § 5 BFA-Einrichtungsgesetz für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig ist und weil eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden soll.
Da der maßgebliche Sachverhalt aufgrund der Unterlassung notwendiger Ermittlungen der belangten Behörde nicht feststeht und diese Ermittlungstätigkeit sowie die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes (erstmals) durch das Bundesverwaltungsgericht selbst vorgenommen werden müsste, war gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG mit der Aufhebung der angefochtenen Bescheide und Zurückverweisung der Angelegenheit zur Erlassung neuer Bescheide an die Behörde vorzugehen.
Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass die Verwaltungsbehörde (lediglich) an die rechtliche Beurteilung des gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG aufhebenden und zurückverweisenden Beschlusses des Verwaltungsgerichtes gebunden ist (s. § 28 Abs. 3, 3. Satz VwGVG; vgl. auch z.B. VwGH 22.12.2005, Zl. 2004/07/0010, VwGH 08.07.2004, Zl. 2003/07/0141 zu § 66 Abs. 2 AVG); durch eine Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG tritt das Verfahren aber in die Lage zurück, in der es sich vor Erlassung des aufgehobenen Bescheides befunden hatte (Wirkung der Aufhebung ex tunc, s. Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) Anm. 14 zu § 28 VwGVG; vgl. auch 22.05.1984, Zl. 84/07/0012), sodass die belangte Behörde das im Rahmen der Beschwerdeverfahren erstattete weitere Parteivorbringen zu berücksichtigen und gemäß
§ 18 Abs. 1 AsylG gegebenenfalls darauf hinzuwirken haben wird, dass dieses ergänzt bzw. vervollständigt wird.
4. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben, zumal aufgrund der Aktenlage in Verbindung mit dem Vorbringen in der Beschwerde feststeht, dass der angefochtene Bescheid zu beheben und zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen war.
Zu Spruchteil B):
Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß
Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die gegenständliche Entscheidung weicht nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063) ab. Durch das genannte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes fehlt es auch nicht an einer Rechtsprechung und die zu lösende Rechtsfrage wird in der Rechtsprechung auch nicht uneinheitlich beantwortet.
Schlagworte
Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung maßgebliche Wahrscheinlichkeit reale Gefahr Rückkehrsituation staatenlos Staatsangehörigkeit VerfolgungsgefahrEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:L507.2154622.1.00Im RIS seit
23.09.2020Zuletzt aktualisiert am
23.09.2020