TE Bvwg Erkenntnis 2019/10/10 L516 2118248-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.10.2019
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Entscheidungsdatum

10.10.2019

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §55 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55 Abs2
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §31 Abs1

Spruch

L516 2118248-1/19E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Pakistan, vertreten durch Michael GENNER, Asyl in Not, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.10.2015, 821127107-1534950, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 01.10.2019 zu Recht erkannt:

A)

I. Das Beschwerdeverfahren wird hinsichtlich der Spruchpunkte I und II des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs 1 iVm § 31 Abs 1 VwGVG eingestellt.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt III des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG stattgegeben und es wird festgestellt, dass gemäß § 9 BFA-VG die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer auf Dauer unzulässig ist.

Gemäß § 55 Abs 1 Z 1 iVm Abs 2 AsylG wird XXXX der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

III. Spruchpunkt IV des angefochtenen Bescheides wird ersatzlos aufgehoben.

B)

Die ordentliche Revision ist gemäß Art. 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Der Beschwerdeführer ist pakistanischer Staatsangehöriger und stellte am 24.08.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies mit Bescheid vom 30.10.2015 den Antrag (I.) gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und (II.) gemäß § 8 Abs 1 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab. Das BFA erteilte unter einem (III.) keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß "§§ 57 und 55 AsylG", erließ gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG, stellte gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass die Abschiebung nach Pakistan gemäß § 46 FPG zulässig sei und sprach (IV.) aus, dass gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Gegenstand der vorliegenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes bildet die Beschwerde gegen die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides, nachdem in der mündlichen Verhandlung am 01.10.2019 die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. zurückgezogen worden war.

Verfahrensablauf

Nach der Antragstellung am 24.08.2012 erfolgten eine Erstbefragung des Beschwerdeführers am 25.08.2012, Einvernahmen vor dem Bundesasylamt am 19.09.2012 und 04.07.2013 sowie eine Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 09.09.2015.

Das BFA richtete am 05.03.2013 Anfragen an die Staatendokumentation, die am 26.04.2013 und 06.08.2013 beantwortet wurden.

Der Beschwerdeführer gab mit Schriftsatz vom 24.07.2013 eine Stellungnahme ab und legte Dokumente vor.

Der gegenständlich angefochtene Bescheid vom 30.10.2015 wurde dem Beschwerdeführer am 16.11.2015 zugestellt. Dem Beschwerdeführer wurde für das Beschwerdeverfahren eine juristische Person als Rechtsberater zur Seite gestellt (§ 52 Abs 1 BFA-VG).

Am 30.11.2015 erhob der Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid Beschwerde.

Das BFA übermittelte dem Bundesverwaltungsgericht am 11.05.2016 eine Nachreichung zur Beschwerdevorlage.

Das Bundesverwaltungsgericht übermittelte dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 17.09.2019 Länderinformationen zu Pakistan und forderte diesen gleichzeitig auf, seine bisherigen Angaben zu aktualisieren. Der Beschwerdeführer äußerte sich dazu mit Schriftsatz vom 30.09.2019 und legte weitere Dokumente vor.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 01.10.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer im Beisein seines Vertreters teilnahm; die belangte Behörde erschien dazu nicht. In der Verhandlung zog der Beschwerdeführer die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides zurück und hielt jene zu den Spruchpunkten III. und IV. ausdrücklich aufrecht.

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Sachverhaltsfeststellungen:

1.1 Der Beschwerdeführer führt in Österreich die im Spruch angeführten Namen und sowie das ebenso dort angeführte Geburtsdatum. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Pakistan und gehört der Volksgruppe der Warraich sowie der sunnitischen Glaubensgemeinschaft an. Seine Identität steht fest. Er stammt aus XXXX im Distrikt Gujrat in der Provinz Punjab, besuchte in Pakistan zehn Jahre die Grundschule, studierte anschließend und reiste 2011 aus Pakistan aus. Sein Vater ist verstorben, seine Mutter und seine beiden Schwestern leben nach wie vor im Heimatort des Beschwerdeführers. Er steht mit seiner Mutter und seinen Geschwistern in Pakistan in telefonischem Kontakt.

1.2 Der Beschwerdeführer reiste im August 2012 in das Bundesgebiet ein und hält sich seither ununterbrochen in Österreich auf. Gegenständlich handelt es sich um den einzigen Antrag auf internationalen Schutz, sein Aufenthalt ist seither rechtmäßig. Er hat von Beginn seines Verfahrens an sämtlichen Ladungen Folge geleistet und an seinen Verfahren mitgewirkt.

1.3 Der Beschwerdeführer lebt seit über sieben Jahren rechtmäßig in Österreich. Der Beschwerdeführer kann sich inzwischen spontan und verständlich in zusammenhängenden Sätzen in der deutschen Sprache verständigen, auch ohne bisher eine zertifizierte Deutschprüfung abgelegt zu haben. Er ist gesund, bezieht aktuell Leistungen aus der Grundversorgung für hilfsbedürftige Fremde, war jedoch bereits in der Vergangenheit in Österreich temporär erwerbstätig und ist auch für die Zukunft arbeitsfähig und -willig und damit selbsterhaltungsfähig. Er verfügt bereits über eine aktuelle Einstellungszusage eines in XXXX ansässigen Gastronomiebetriebes. Er hat sich auch bereits bei der Caritas um eine ehrenamtliche Tätigkeit bemüht, diese jedoch bisher lediglich aufgrund der dafür begrenzten freien Plätze nicht erhalten; er steht jedoch auf der Warteliste. Er hat in Österreich auch nach Absolvierung eines Führerscheinkurses die Prüfung für den Führerschein positiv abgelegt. Er lebt seit Jänner 2017 in einer Wohngemeinschaft mit einer österreichischen Staatsangehörigen, mit der er, wie auch mit einigen weiteren österreichischen Staatsangehörigen, sehr gut befreundet ist. Er hat mittlerweile seinen Lebensmittelpunkt, seine Freunde, seine Bekannte und sein soziales Netz in Österreich, was die zahlreichen sehr persönlich gehaltenen Unterstützungsschreiben von österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger unterschiedlichen Alters und Herkunft belegen, in denen überwiegend mehrjährig bestehende intensive Freundschaften zum Beschwerdeführer, dessen Vorzügen und seine bereits gelungene Integration in die österreichische Gesellschaft bezeugt werden.

1.4. Der Beschwerdeführer wurde für eine am XXXX begangene Tat von einem österreichischen Landesgericht mit seit XXXX rechtskräftigem Urteil vom XXXX gemäß §§ 223 (2), 224 StGB bei einem Strafrahmen von bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe tatsächlich zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten bedingt bei einer Probezeit von 3 Jahren verurteilt.

Der Beschwerdeführer wurde für eine am XXXX begangene Tat von einem österreichischen Landesgericht mit seit XXXX rechtskräftigem Urteil vom XXXX gemäß §§ 114 (1), 114 (3) Z 1, 114 (3) Z 2, 114 (4) 1. Fall FPG bei einem Strafrahmen von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe tatsächlich zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten, davon 15 Monate bedingt bei einer Probezeit von 3 Jahren verurteilt (Zusatzstrafe gemäß § 31 und 40 StGB unter Bedachtnahme auf die Verurteilung vom XXXX ). Den unbedingten Teil der Haftstrafe hat er im Zeitraum vom XXXX verbüßt.

Seit seiner letzten Tat im hat sich der Beschwerdeführer nichts mehr zu Schulden kommen lassen.

1.5. Der Beschwerdeführer zog mit seinem Vertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 01.10.2019 die Beschwerde gegen Spruchpunkte I. und II. (Antrag auf Zuerkennung des Status des Status des Asylberechtigten bzw des subsidiär Schutzberechtigten) des angefochtenen Bescheides zurück. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt III. und IV. (Rückkehrentscheidung) wurde ausdrücklich aufrecht gehalten.

2. Die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen:

2.1 Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und Identität des Beschwerdeführers (oben II.1.1) ergeben sich im Einklang mit seinen Angaben im Verfahren, welche insofern stringent waren und an denen auf Grund der Sprachkenntnisse auch nicht zu zweifeln war. Seine Identität steht aufgrund des im Verfahren vor dem Verkehrsamt XXXX vorgelegten pakistanischen Reisepasses fest (OZ 10). Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, zu den Lebensverhältnissen in Pakistan, seiner Ausreise aus Pakistan und zu seinen Familienangehörigen beruhen auf seinen Angaben im ersten Verfahren vor dem BFA und in der mündlichen Beschwerdeverhandlung (Niederschrift BFA 09.09.2015, Aktenseiten (AS) 337; Verhandlungsschrift 01.10.2019 (VHS), S 7) sowie auf den Eintragungen im Zentralen Melderegister (ZMR) und Zentralen Fremdenregister (IZR), welche insofern stringent waren und keine Anhaltspunkte für die Annahme boten, dass der Beschwerdeführer diesbezüglich falsche Angaben gemacht hätte.

2.2 Die Feststellungen zur Einreise und zur Aufenthaltsdauer in Österreich sowie zum gestellten Antrag auf internationalen Schutz (oben 1.2) ergeben sich aus dem Inhalt des vom BFA vorgelegten Verwaltungsverfahrensaktes und dem Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes im Einklang mit den Eintragungen im Zentralen Fremdenregister.

2.3 Die Feststellung zu den Lebensverhältnissen des Beschwerdeführers und seinen Privat- und Familienleben in Österreich (oben 1.3), ergeben sich aus seinen diesbezüglichen Angaben im Zuge der mündlichen Verhandlung am 01.10.2019, die insoweit konsistent und widerspruchsfrei waren und mit den dazu vorgelegten Unterlagen und vorhandenen Auszügen aus österreichischen Datenbanken stehen und daher von ihm glaubhaft gemacht werden konnten (Einvernahme 09.09.2015, Aktenseite 337; Verhandlungsschrift 01.10.2019 (VHS), S 4-6; Eintragung im elektronischen Betreuungsinformationssystem über die Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich (GVS); Eintragung im Zentralen Melderegister (ZMR) und im Zentralen Fremdenregister (IZR); Einstellungszusage; Schriftliche Bestätigungen und Beschreibung österreichischer Staatsangehöriger (OZ 15)). Die Feststellungen zu den vorhandenen Deutschkenntnissen beruhen auf dem in der mündlichen Verhandlung ohne Dolmetscher in deutscher Sprache geführten Gesprächsabschnitt. Der Beschwerdeführer verstand alle ihm in der Verhandlung in deutscher Sprache gestellten Fragen sofort. Er konnte sich spontan und verständlich in zusammenhängenden Sätzen in der deutschen Sprache verständigen. (VHS, S 6). Der Beschwerdeführer verstand sichtlich auch sonst die in der Verhandlung auf Deutsch gestellten Fragen, wurde jedoch aus Gründen der Vorsicht vom Bundesverwaltungsgericht dazu angehalten, auf die Übersetzungen der Dolmetscherin zu warten und auch in seiner Muttersprache darauf zu antworten. Der Beschwerdeführer konnte in der mündlichen Verhandlung auch spontan über die gemeinsamen Beziehungen, beispielsweise über das Kennenlernen, die gemeinsamen Aktivitäten und den Alltag mit seinen österreichischen Freundinnen und Freunden Auskunft geben (VHS S 5, 6). Diese Angaben erwiesen sich als konsistent, kohärent und widerspruchsfrei und im Einklang mit den Beschreibungen in den vorgelegten Referenzschreiben stehend, wobei drei seiner Freunde und Freundinnen auch bei der Verhandlung als Zuhörer und Zuhörerinnen anwesend waren und sich auch als Zeugen und Zeuginnen anboten. Auf diese zeugenschaftliche Befragung konnte letztlich verzichtet werden, da das Bundesverwaltungsgericht aufgrund der eigenen Angaben des Beschwerdeführers in der Verhandlung, der sich damit deckenden vorgelegten Referenzschreiben und des in der Verhandlung verschafften persönlichen Eindruckes zu der Überzeugung gelangte, dass der Beschwerdeführer mittlerweile seinen Lebensmittelpunkt, seine Freunde, seine Bekannte und sein soziales Netz in Österreich hat und sich bereits in die österreichische Gesellschaft integriert hat.

2.4. Die Feststellungen zur strafrechtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers, sowie dazu, dass er sich seit seiner letzten Tag nichts mehr zu Schulden kommen hat lassen (oben 1.4) beruhen auf dem aktuellen Auszug aus dem Strafregister der Republik Österreich (OZ 17).

2.5 Die festgestellte Erklärung hinsichtlich der Zurückziehung der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I und II des angefochtenen Bescheides (oben 1.5) beruht auf den gemeinsamen Angaben des Beschwerdeführers und seines Vertreters in der mündlichen Verhandlung (VHS, S 9).

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Spruchpunkt I

Zur Einstellung des Verfahrens zu den Spruchpunkten I und II des angefochtenen Bescheides

3.1 Der Beschwerdeführer hat mit seinem ausgewiesenen Vertreter in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich und unmissverständlich erklärt, die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I und II des angefochtenen Bescheides des BFA zurückzuziehen (OZ 18). Diese Erklärung weist auch keine Hinweise auf das Vorliegen von Willensmängeln auf (vgl VwGH 17.10.2013, 2011/21/0140; 17.04.2009, 2007/03/0040; 31.05.2006, 2006/10/0075; 11.07.2003, 2000/06/0173).

3.2 Die Zurückziehung der Beschwerde zu den Spruchpunkten I und II bewirkt, dass Spruchpunkte I und II des gegenständlich angefochtenen Bescheides des BFA in Rechtskraft erwachsen sind, weshalb das Beschwerdeverfahren hinsichtlich Spruchpunkte I und II des Bescheides des BFA spruchgemäß einzustellen war (vgl VwGH 29.04.2015, Fr 2014/20/0047).

Spruchpunkt II

Stattgabe der Beschwerde gegen Spruchpunkt III des angefochtenen Bescheides, Feststellung, dass gemäß § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist, Erteilung des Aufenthaltstitels "Aufenthaltsberechtigung" für die Dauer von zwölf Monaten.

Rechtsgrundlagen

3.3 Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird.

3.4 Gemäß § 52 Abs 9 FPG ist mit der Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

3.5 Gemäß § 55 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. (Abs 1) Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird. (Abs 1a) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen. (Abs 2) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt. (Abs 3) Das Bundesamt hat von der Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise abzusehen, wenn die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 2 BFA-VG aberkannt wurde. (Abs 4)

3.6 Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist gemäß § 9 Abs 1 BFA-VG idgF die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

3.7 Gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen: 1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war; 2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens; 3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens; 4. der Grad der Integration; 5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden; 6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit; 7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts; 8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren; 9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

3.8 Gemäß § 9 Abs 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl I Nr 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

3.9 Gemäß § 55 Abs 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn 1.) dies gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist und 2.) der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl I Nr 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl Nr 189/1955) erreicht wird. Gemäß Abs 2 ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Abs 1 Z 1 vorliegt.

3.10 Gemäß § 81 Abs 36 NAG gilt das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG als erfüllt, wenn Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl I Nr 68/2017 vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesgesetzes BGBl I Nr 68/2017 erfüllt haben oder von der Erfüllung ausgenommen waren. Die §§ 7 bis 16 Integrationsgesetz, BGBl I Nr 68/2017, mit Ausnahme von § 13 Abs. 2 traten mit 1. Oktober 2017 in Kraft.

Zum gegenständlichen Verfahren

3.11 Wird durch eine Rückkehrentscheidung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung dieser Maßnahme gemäß § 9 Abs 1 BFA-VG 2014 (nur) zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 MRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei Beurteilung dieser Frage ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs 2 BFA-VG 2014 genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs 3 BFA-VG 2014 ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (VwGH 16.11.2016, Ra 2016/18/0041).

3.12 Folgende Umstände - zumeist in Verbindung mit anderen Aspekten - stellen Anhaltspunkte dafür dar, dass der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit zumindest in gewissem Ausmaß genützt hat, um sich zu integrieren: Erwerbstätigkeit des Fremden (vgl. E 26. Februar 2015, Ra 2014/22/0025; E 18. Oktober 2012, 2010/22/0136; E 20. Jänner 2011, 2010/22/0158), das Vorhandensein einer Beschäftigungsbewilligung (vgl. E 4. August 2016, Ra 2015/21/0249 bis 0253), eine Einstellungszusage (vgl. E 30. Juni 2016, Ra 2016/21/0165; E 26. März 2015, Ra 2014/22/0078 bis 0082), das Vorhandensein ausreichender Deutschkenntnisse (vgl. E 4. August 2016, Ra 2015/21/0249 bis 0253; E 14. April 2016, Ra 2016/21/0029 bis 0032), familiäre Bindungen zu in Österreich lebenden, aufenthaltsberechtigten Familienangehörigen (vgl. E 23. Mai 2012, 2010/22/0128; (betreffend nicht zur Kernfamilie zählende Angehörige) E 9. September 2014, 2013/22/0247), ein Freundes- und Bekanntenkreis in Österreich bzw. die Vorlage von Empfehlungsschreiben (vgl. E 18. März 2014, 2013/22/0129; E 31. Jänner 2013, 2011/23/0365), eine aktive Teilnahme an einem Vereinsleben (vgl. E 10. Dezember 2013, 2012/22/0151), freiwillige Hilfstätigkeiten (vgl. E 4. August 2016, Ra 2015/21/0249 bis 0253), ein Schulabschluss (vgl. E 16. Oktober 2012, 2012/18/0062) bzw. eine gute schulische Integration in Österreich (vgl. E, 4. August 2016, Ra 2015/21/0249 bis 0253; E 26. März 2015, Ra 2014/22/0078 bis 0082) oder der Erwerb des Führerscheins (vgl. E 31. Jänner 2013, 2011/23/0365) (VwGH 17.10.2016, Ro 2016/22/0005).

3.13. Fallbezogen sprechen zunächst gegen den weiteren Verbleib des Beschwerdeführers in Österreich und für die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung die Umstände, dass der Beschwerdeführer im August 2012 unrechtmäßig in Österreich eingereist ist und sein Aufenthaltsstatus grundsätzlich ein unsicherer war sowie die beiden Verurteilungen des Beschwerdeführers wegen Schlepperei und des Gebrauchs einer falschen oder verfälschten Urkunde im Rechtsverkehr. Für den Verbleib des Beschwerdeführers in Österreich spricht demgegenüber nach dem festgestellten Sachverhalt zunächst, dass sich der Beschwerdeführer seit über sieben Jahren ununterbrochen in Österreich aufhält, zudem durchgehend rechtmäßig. Der Beschwerdeführer hat auch von Beginn seines Verfahrens an sämtlichen Ladungen Folge geleistet und an seinen Verfahren mitgewirkt, weshalb ihm die bisherige Verfahrensdauer nicht anzulasten ist. Gegenständlich handelt es sich auch um seinen einzigen Antrag auf internationalen Schutz. Der Beschwerdeführer kann sich inzwischen spontan und verständlich in zusammenhängenden Sätzen in der deutschen Sprache verständigen, auch ohne bisher eine zertifizierte Deutschprüfung abgelegt zu haben. Er ist gesund, bezieht aktuell Leistungen aus der Grundversorgung für hilfsbedürftige Fremde, war jedoch bereits in der Vergangenheit in Österreich temporär erwerbstätig und ist auch für die Zukunft arbeitsfähig und -willig und damit selbsterhaltungsfähig. Er verfügt bereits über eine aktuelle Einstellungszusage eines in XXXX ansässigen Gastronomiebetriebes. Er hat sich auch bereits bei der Caritas um eine ehrenamtliche Tätigkeit bemüht, diese jedoch bisher lediglich aufgrund der dafür begrenzten freien Plätze nicht erhalten; er steht jedoch auf der Warteliste. Er hat in Österreich auch nach Absolvierung eines Führerscheinkurses die Prüfung für den Führerschein der Gruppe B positiv abgelegt. Er lebt seit Jänner 2017 in einer Wohngemeinschaft mit einer österreichischen Staatsangehörigen, mit der er, wie auch mit einigen anderen österreichischen Staatsangehörigen, sehr gut befreundet ist. Er hat mittlerweile seinen Lebensmittelpunkt, seine Freunde, seine Bekannte und sein soziales Netz in Österreich, was die zahlreichen sehr persönlich gehaltenen Unterstützungsschreiben von österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger unterschiedlichen Alters und Herkunft belegen, in denen überwiegend mehrjährig bestehende Freundschaften zum Beschwerdeführer, dessen Vorzügen und seine bereits gelungene Integration in die österreichische Gesellschaft bezeugt werden. Zu seiner Mutter und seinen beiden Schwestern in Pakistan hat er hingegen seit nunmehr über sieben Jahren nur noch telefonischen Kontakt. In Zusammenhang mit der vorliegenden Verurteilung ist - ohne die verurteilten Handlungen des Beschwerdeführers zu verharmlosen - zu berücksichtigen, dass die jeweils verhängte Strafe des Beschwerdeführers jeweils im unteren Bereich blieb und es sich dabei auch weder um Gewalt- noch Suchtmitteldelikte handelte. Die Tatbegehung in Zusammenhang mit der Schlepperei liegt zudem mehr als sechs Jahre zurück, das Urkundendelikt ebenso bereits seit über drei Jahren und neun Monaten. Seither hat der Beschwerdeführer einen untadeligen Lebenswandel geführt hat und sich nichts mehr zu Schulden kommen lassen, sodass das Bundesverwaltungsgericht insgesamt und auch nach dem zusätzlich in der mündlichen Verhandlung am 01.10.2019 verschafften persönlichen Eindrucks im Falle des Beschwerdeführers zu einer positiven Zukunftsprognose sowie zu der Überzeugung gelangt, dass der Beschwerdeführer mittlerweile seinen Lebensmittelpunkt, seine Freunde, seine Bekannte und sein soziales Netz in Österreich hat und sich bereits in die österreichische Gesellschaft integriert hat.

In Anbetracht aller gegenständlichen Umstände überwiegt das private Interesse des Beschwerdeführers an der Fortführung seines Privatlebens in Österreich das öffentliche Interesse an einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme. Es ist auch keine ausreichende Rechtfertigung zu erkennen, warum öffentliche Interessen es zwingend erfordern würden, dass der Beschwerdeführer Österreich nach nunmehr über sieben Jahren verlassen müsste.

3.14 Im Ergebnis ergibt sich daraus, dass unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des vorliegenden Falles den privaten Interessen des Beschwerdeführers ein so großes Gewicht zukommt, dass die Auswirkungen der aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung. Es erweist sich daher die im angefochtenen Bescheid angeordnete aufenthaltsbeendende Maßnahme als unzulässig und eine Rückkehrentscheidung daher auf Dauer unzulässig.

3.15 Es ist daher im Ergebnis spruchgemäß der Beschwerde gegen Spruchpunkt III des angefochtenen Bescheides stattzugeben, festzustellen, dass gemäß § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist, sowie dem Beschwerdeführer gemäß § 55 Abs 1 Z 1 iVm Abs 2 AsylG den Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" für die Dauer von zwölf Monaten zu erteilen.

Spruchpunkt III

Zur ersatzlosen Behebung der Spruchpunkte IV des angefochtenen Bescheides

3.16 Nach dem zuvor dargestellten Ergebnis liegen die gesetzlichen Voraussetzungen für die Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 FPG nicht mehr vor, weshalb gleichzeitig der betreffende Spruchpunkt ersatzlos zu beheben war.

Zu B)

Revision

3.17 Da die für den vorliegenden Fall relevante Rechtslage klar bzw durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt ist, ist die Revision nicht zulässig.

3.18 Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung Behebung der Entscheidung Berufsausübung Deutschkenntnisse Empfehlungsschreiben Integration Interessenabwägung öffentliche Interessen Privat- und Familienleben Rückkehrentscheidung Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig Selbsterhaltungsfähigkeit soziale Verhältnisse Sprachkenntnisse strafgerichtliche Verurteilung Verfahrenseinstellung Zurückziehung Zurückziehung der Beschwerde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:L516.2118248.1.00

Im RIS seit

23.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

23.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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