TE Bvwg Erkenntnis 2019/10/23 L504 2210573-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.10.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

23.10.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

L504 2210570-1/21E

L504 2210572-1/23E

L504 2210571-1/14E

L504 2210573-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. R. ENGEL als Einzelrichter über die Beschwerde von

1. XXXX , XXXX geb., StA. Irak, vertreten durch RA Mag. REICHENVATER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.10.2018, Zl.1098076702-151935019,

2. XXXX , XXXX geb., StA. Irak, vertreten durch RA Mag. REICHENVATER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.10.2018, Zl. 1098075705-151935043,

3. XXXX , XXXX geb., StA. Irak, vertreten durch XXXX , diese vertreten durch RA Mag. REICHENVATER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.10.2018, Zl. 1098076201-151935027,

4. XXXX , XXXX geb., StA. Irak, vertreten durch XXXX , diese vertreten durch RA Mag. REICHENVATER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.10.2018, Zl. 1098075901-151935035,

nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrenshergang

Die beschwerdeführenden Parteien [bP1-4] stellten am 04.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei den bP1 und bP2 handelt es sich um Ehegatten, die bP3 und bP4 sind deren zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjährige Kinder.

Ihren Angaben nach sind sie Staatsangehörige des Irak mit schiitischem Glaubensbekenntnis, der Volksgruppe der Araber angehörig und aus dem Gouvernement XXXX stammend.

Zu ihrer ausreisekausalen Problemlage brachten sie im Wesentlichen Folgendes vor (Auszug aus der Einvernahme der bP1 beim Bundesamt):

"[...]

Der Grund, weshalb ich gemeinsam mit meiner Familie den Irak verlassen habe ist jener, dass unser Leben im Irak in Gefahr war. Wir wurden wegen meines Vaters von mehreren Seiten bedroht wie beispielsweise vom irakischen Staat und seitens der Familie meiner Frau. Mein Vater war ein großer Geschäftsmann und hatte viele Geschäftspartner, unter anderem auch die Familie meiner Frau. Mein Vater hatte durch einen Betrug alles verloren und die Familie meiner Frau hat dadurch einen finanziellen Schaden in der Höhe von umgerechnet rund US-Dollar 280.000,- erlitten. Am 15.09.2015 hat mich mein Vater angerufen und bat mich zu ihm nach Hause zu kommen, damit er mit mir etwas besprechen kann. Er teilte mir in diesem Gespräch mit, dass er ein großes Problem hat und sagte mir auch, dass ich mich und meine Familie schnell in Sicherheit bringen soll.

Während des Gesprächs mit meinem Vater bei ihm zu Hause ist die Familie meiner Frau aufgetaucht und hat von meinem Vater die Schadenssumme von umgerechnet US-Dollar 280.000,- von meinem Vater innerhalb von 24 Stunden verlangt. Zuerst gab es nur einen verbalen Streit zwischen der Familie meiner Frau und meinem Vater, im Laufe dieses Streits eskalierte die Lage aber und der älteste Bruder meiner Frau verletzte meinen Vater mit einem Messer. Mein Vater hat im Zuge dieser Eskalation meinen Schwager mit einem Rohr am Kopf verletzt, so dass dieser in das Krankenhaus eingeliefert musste. Ich habe im Zuge dieser Auseinandersetzung das Nasenbein meines Schwiegervaters gebrochen und er musste auch ins Krankenhaus eingeliefert werden.

Am Ende des Streites sind mein Vater und ich mit dem Taxi nach Bagdad zum Cousin meines Vaters gefahren, wo wir zwei Tage geblieben sind. Dort wurde mir auch der Grund des Streites von meinem Vater mitgeteilt. Meine Frau und meine Kinder sind in der Zwischenzeit bei meiner Schwiegerfamilie untergebracht worden.

Es gab dann auch einen Streit zwischen mir und meinem Vater, weil ich durch meinen Vater alles verloren hatte. Ich wurde nach diesem Streit mit meinem Vater bei einem Freund mit dem Namen Bassam in Bagdad untergebracht.

Anfang Oktober 2015 hat mich meine Frau angerufen und hat mir mitgeteilt, dass sie gezwungen wurde, sich in Abwesenheit von mir scheiden zu lassen. Die Familie meiner Frau hat diese Scheidung eingefädelt und mich als schlechten Menschen hingestellt. Mein Freund hat mir empfohlen einen Anwalt einzuschalten, sonst wäre die Scheidung rechtskräftig entschieden. Dieser Anwalt konnte dann die auch Scheidung abwenden, die Familie meiner Frau erachtet aber die Scheidung als durchgeführt. Meine Frau hat damit auf ihre Familie Schande gebracht.

Meine Frau hat dann vorgeschlagen, dass wir gemeinsam den Irak verlassen müssen,

da wir sonst von ihrer Familie keine Ruhe haben.

Meine Frau hat dann US-Dollar 17.000,- von ihrer Familie genommen und gemeinsam mit ihrer Schwester die Reisedokumente für die Ausreise aus dem Irak organisiert.

Ein gemeinsamer Freund von uns mit dem Namen XXXX hat dann unsere Ausreise aus dem Irak in die Türkei organisiert.

Dies sind meine Flucht- und Asylgründe.

LA: Gibt es sonst noch irgendwelche Flucht- und Asylgründe, die Sie geltend machen wollen?

VP: Nein, sonst habe ich keine Flucht- und Asylgründe.

LA: Was war nun das fluchtauslösende Moment, weshalb Sie gemeinsam mit Ihrer Familie den Irak verlassen haben?

VP: Die Familie meiner Frau.

[...]"

Die Ehegattin (bP2) brachte keine anderslautende Ausreisemotivation vor, auch die beiden Kinder hätten keine anderen Ausreisegründe (AS 81)

Die Anträge der Familie auf internationalen Schutz wurden folglich im Rahmen eines Familienverfahrens vom Bundesamt gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt.

Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak nicht zugesprochen.

Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt.

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die bP gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei.

Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

Das Bundesamt gelangte im Wesentlichen zur Erkenntnis, dass hinsichtlich der Gründe für die Zuerkennung des Status eines asyl- oder subsidiär Schutzberechtigten eine aktuelle und entscheidungsrelevante Bedrohungssituation nicht glaubhaft gemacht worden sei. Zum einen sei das Vorbringen nicht asylrelevant, zum anderen sei die Fluchtgeschichte auf Grund von Unplausibiliäten auch nicht glaubhaft. So sei etwa behauptet worden, dass die Familie der Ehegattin große Beziehungen zum irakischen Staat habe. Es sei sodann aber nicht plausibel, dass sich die Familie dessen ungeachtet entschied auf legale Weise über den Flughafen in Bagdad, somit unter Kontrolle durch Sicherheitskräfte, auszureisen. Die bP habe auch nicht schlüssig darlegen können, weshalb ausgerechnet die bP1 diese Probleme mit der Familie der Gattin haben sollte, wo doch ihr Vater alles zu verantworten gehabt hätte und dieser aber noch Jahre in Basra im Land verblieben sei. Den in Kopie vorgelegten Schriftstücken des Höchstgerichtes, Präsidium des Bundesberufungsgerichts, fehle schon von Anschein her ein offizieller Charakter, zumal darauf das offizielle Wappen fehle. Resümierend ging die Behörde davon aus, dass keine asylrelevante Verfolgung glaubhaft gemacht worden sei.

Ebenso ergebe sich aus allgemeinen Lage im Herkunftsstaat keine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende bzw. reale Gefährdung der bP. Abschiebungshindernisse lägen demnach nicht vor. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen seien nicht gegeben. Ein die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung übersteigendes Privat- und Familienleben würde nicht vorliegen und wurde daher eine Rückkehrentscheidung verfügt.

Gegen diesen Bescheid wurde innerhalb offener Frist durch die gewillkürte Vertretung Diakonie Flüchtlingsdienst Beschwerde erhoben. Im Wesentlichen wird nach Wiederholung des bisherigen Vorbringens moniert, dass

* die Behörde ihre eigenen Länderberichte nur selektiv ausgewertet habe, aufgrund des schlechten Sicherheitslage sei den bP zumindest subsidiärer Schutz zu zuerkennen gewesen; allgemeine Berichte zur Sicherheitslage im Irak aus dem Jahr 2016 und 2017 werden auszugsweise zitiert;

* die Behörde anhand der von ihr verwendeten Länderberichte nicht die Glaubhaftmachung bzw. Plausibilität des Fluchtvorbringens habe beurteilen können;

* das Vorbringen der beschwerdeführenden Parteien plausibel, stringenten und glaubhaft sei; sie hätten übereinstimmende Angaben und ein schlüssiges Vorbringen erstattet;

* die Behörde das Vorbringen zur zwangsweisen Scheidung nicht hinreichend würdigte und nicht nachvollziehbar sei, wie die Behörde zum Schluss komme, dass der Rückhalt der Familie der bP2 als gegeben beurteilt werde; sie habe die Ehre ihrer Familie verletzt und würde sich deshalb vor dieser fürchten; sie gelte daher als von der Familie verstoßen und laufe Gefahr einem Ehrenmord zum Opfer zu fallen;

* die bP2 gegen den Willen ihrer Familie mit ihrem Ehegatten verheiratet geblieben sei, obwohl diese versucht hätten die Scheidung durchzuführen bzw. in ihren Augen auch durchgeführt hätten; die belangte Behörde i Bezug auf die minderjährigen Kinder keine eigenen Feststellungen zum Fluchtvorbringen getroffen habe.

Im Folgenden machten die bP Beschwerdeausführungen zur rechtlichen Beurteilung des angefochtenen Bescheides.

Am 13.02.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit der bP sowie im Beisein ihres neu bevollmächtigten Rechtsfreundes eine Verhandlung durch. Das BFA blieb entschuldigt fern. Die bP1 und die bP2 wurden dabei einvernommen. Die bP 1 u.2 vertraten ihre Kinder. Auf Grund der Unmündigkeit der Kinder, geb. 2012 bzw. 2014, wurden diese nicht selbst befragt.

Mit der Ladung wurden die beschwerdeführenden Parteien auch umfassend auf ihre Mitwirkungsverpflichtung im Beschwerdeverfahren hingewiesen und sie zudem auch konkret aufgefordert, insbesondere ihre persönliche Ausreisemotivation und sonstigen Rückkehrbefürchtungen soweit als möglich spätestens in der Verhandlung durch geeignete Unterlagen bzw. Bescheinigungsmittel glaubhaft zu machen, wobei eine umfassende, jedoch demonstrative Aufzählung von grds. als geeignet erscheinenden Unterlagen erfolgte.

Zugleich mit der Ladung wurden den beschwerdeführenden Parteien ergänzend das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 20.11.2018 übermittelt und zur Stellungnahme aufgefordert. Im Rahmen einer solchen wurde auf die Richtigkeit der bisherigen Angaben hingewiesen und Zitate hinsichtlich der Themen Ehrverbrechen angeführt und hingewiesen, dass insbesondere die bP2 einer solchen Gefahr ausgesetzt wäre.

Bei der Verhandlung brachten die bP zu der von ihnen aus aktueller Sicht erwarteten Probleme im Falle einer Rückkehr Folgendes vor:

bP1:

"Seit Ihrer Ausreise aus Ihrem Heimatland ist nun schon einige Zeit vergangen. Würden Sie aus heutiger Sicht bei einer Rückkehr an Ihren früheren Wohn- bzw. Aufenthaltsort in XXXX oder in Bagdad noch Probleme erwarten? Wenn ja, geben Sie bitte konkret und vollständig alle Probleme an, die sie persönlich für sich bei einer Rückkehr erwarten würden!

Ich werde umgebracht wie mein Vater und mein Cousin.

Meine Frau wird sicher auch von ihrer Familie umgebracht werden, weil sie als Abtrünnige oder abweichende Person von der Familientradition gilt.

Die Leute, die das Problem mit meinem Vater hatten, sind im Staat mächtig, sie haben einen großen Einfluss und sie würden mich umbringen. Sie könnten meine Kinder entführen, was kann ich erwarten, wenn der Schwager sogar verhaftet wurde. (Ende der freien Rede)"

bP2:

"Seit Ihrer Ausreise aus Ihrem Heimatland ist nun schon einige Zeit vergangen. Würden Sie aus heutiger Sicht bei einer Rückkehr an Ihren früheren Wohnort in XXXX oder in Bagdad noch Probleme erwarten? Wenn ja, geben Sie bitte konkret und vollständig alle Probleme an, die sie persönlich für sich bei einer Rückkehr erwarten würden.

Für meine Familie gelte ich ausgeschieden, bin ich religiös nicht mehr konform. (Ende der freien Rede)".

Da das BVwG in der Verhandlung weitere Berichte in das Verfahren miteinbezog, wurde dem Rechtsfreund die Möglichkeit eingeräumt - abgesehen von der mündlichen Erörterung und Überreichung der Unterlagen in der Verhandlung - dazu bis zum 04.03.2019 zusätzlich zur mündlichen Stellungnahme der bP schriftlich Stellung zu beziehen.

Mit der am 8. März 2019 eingelangten Stellungnahme durch den Rechtsfreund wurde darauf hingewiesen, dass die Sicherheitslage im Irak prekär wäre, unfaire Gerichtsverhandlungen, Menschenrechtsverletzungen und Misshandlungen in Gefängnissen seien an der Tagesordnung. Die Beschwerdeführer könnten keinesfalls staatlichen Schutz in Anspruch nehmen. Fest stehe, dass bereits die Antragstellung im Bundesgebiet der Republik Österreich ausreiche, um die Beschwerdeführer bei zwangsweiser Rückkehr in den Irak einer unmenschlichen Behandlung auszusetzen, sofern auch die irakischen Behörden zum Schluss kommen würden, dass durch die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz der irakische Staat in Misskredit gebracht werde. Den Beschwerdeführern würden zudem im Irak jegliche existenzielle Grundlage entzogen sein. Das Geschäft in XXXX sei nach den nachvollziehbaren Angaben der Beschwerdeführer im Brand gesteckt worden.

Faktum sei, dass die Beschwerdeführer sozial integriert seien.

Vorgelegt wurde weiters ein Schreiben der XXXX Immobiliengesellschaft samt Mietvertrag, ein psychiatrischer Befund vom 27. Februar 2019, Bestätigung der Caritas vom 25. Februar 2019 hinsichtlich des Prüfungstermins auf Niveau A2 am 27. März 2019 betreffend der beschwerdeführenden Partei 1 sowie eine Anmeldebestätigung betreffend der bP2 über einen Prüfungstermin am 26. April 2019.

Seit dieser Stellungnahme wurden seitens der beschwerdeführenden Parteien im Rahmen ihrer bestehenden Mitwirkungs- und Verfahrensförderungspflicht keine Änderungen von Umständen mitgeteilt, die in ihrer persönlichen Sphäre liegen. Das Bundesverwaltungsgericht geht daher davon aus, dass diesbezüglich seither keine Änderungen eingetreten sind.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Das BVwG hat durch den Inhalt des übermittelten Verwaltungsaktes der belangten Behörde, einschließlich der Beschwerde sowie durch die Ergebnisse des ergänzenden Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben.

1. Feststellungen (Sachverhalt)

1.1. Identität und Herkunftsstaat:

Name und Geburtsdatum (wie im Einleitungssatz des Spruches angeführt) stehen (lt. Bundesamt) fest. Da dem BVwG selbst keine irakischen, mit Lichtbild versehenen Identitätsdokumente im Original vorlagen, kann mangels Überprüfbarkeit und unter Berücksichtigung der notorisch hohen Fälschungsrate von derartigen Identitätsdokumenten aus dem Irak, seitens des BVwG dazu keine eigene Feststellung getroffen werden.

Die bP bezeichnet sich der Volksgruppe der Araber und dem schiitischen Glauben zugehörig.

Ihre Staatsangehörigkeit und der hier der Prüfung zugrundeliegende Herkunftsstaat ist Irak.

1.2. Regionale Herkunft und persönliche Lebensverhältnisse vor der Ausreise:

Die bP1-4 sind im Irak im irakischen Gouvernement XXXX geboren und haben dort gelebt. Die bP1-2 absolvierten in XXXX ihre Schulbildung. Die bP1 verfügt über 9-jährige Schulbildung, die bP2 über 7-jährige Schulbildung.

Sie wohnten vor ihrer Ausreise in XXXX in eigener Unterkunft.

Die bP1 betrieb in XXXX einen eigenen Frisörsalon. Weiters ist er in Bagdad 50% Teilhaber an einem weiteren Frisörgeschäft. Dass dies aktuell nicht mehr der Fall wäre, wurde weder behauptet noch nachgewiesen. Die bP1 arbeitete in Bagdad regelmäßig am Freitag und Samstag und nächtigte dabei idR in Bagdad bei Freunden bzw. Bekannten.

Die bP2 hat ihren Angaben nach auch Erfahrung als Frisörin.

Ihren Lebensunterhalt bestritt die Familie durch die Erwerbstätigkeit der bP1.

1.3. Familiäres/verwandtschaftliches bzw. soziales Netzwerk im Herkunftsstaat

Die bP haben vor allem in der Region XXXX zahlreiche familiäre und verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte, ebenso aber in Bagdad. Die bP1 hat auch Freunde in Bagdad und Kerbela.

Dass das Verhältnis zu den Familienangehörigen und Verwandten der bP1 zerrüttet wäre wurde nicht behauptet. Das BVwG geht davon aus, dass die wahren Verhältnisse bzw Bindungen zur Familie der bP2 aus asyltaktischen Gründen verschleiert bzw. schlechter dargestellt werden als sie in der Realität sind. Dass das Verhältnis derart zerrüttet ist, wie sie im Verfahren dargestellt haben, wurde durch die in der Beweiswürdigung aufgezeigten Widersprüche und Unplausibilitäten nicht glaubhaft gemacht.

Beide gehören den namentlich von ihnen bezeichneten Stämmen an, deren Mitglieder in diesen Regionen auch leben. Dass sie vom Stamm ausgeschlossen worden wären, wurde von ihnen weder konkret noch glaubhaft dargelegt oder gar bescheinigt.

1.4. Ausreisemodalitäten

Sie reisten nachweislich per Flugzeug vom Flughafen in Bagdad am 15.11.2015 legal unter Verwendung ihrer eigenen Reispässe nach Istanbul und sodann auf dem Land und Wasserweg über Europa bis nach Österreich.

Sie durchreisten auf ihrem Weg nach Österreich mehrere als sicher geltende Staaten. In diesen suchte sie nicht Schutz vor Verfolgung. Es kam nicht hervor, dass ihnen dort die Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz nicht auch möglich gewesen wäre oder dass Flüchtlinge dort keinen Schutz erlangen könnten.

1.5. Gesundheitszustand

Die bP1 hat im Verfahren keine aktuell behandlungsbedürftige Erkrankung dargelegt.

Die bP2 bezeichnete sich am 24.10.2018 noch als gesund und dass sie auch nicht in ärztlicher Behandlung steht. In der Verhandlung wurde ein psychiatrischer Befund vom 28.11.2018 vorgelegt. Die bP2 hat dort angegeben, dass ihr Vater und die Familie des Ehegatten wegen finanzieller Angelegenheiten in einen schweren Konflikt geraten seien wobei dadurch der Schwiegervater ums Leben gekommen sei. Ihre Familie habe sie zur Scheidung gezwungen. Sie fühle sich in Österreich sicher aber wenn sie an die Erlebnisse im Irak denke, müsse sie weinen und werde öfter ohnmächtig. Bisherige fachärztliche Untersuchungen hätten keine Hinweise auf körperliche Ursachen ergeben. Meist könne sie gut schlafen, zuweilen habe sie Albträume. Sie sei oft müde, gereizt und nervös.

Psychisch wurde ausgeführt, dass sie ruhig, Stimmung schwankend zwischen heiter und gedrückt, gut schwingungsfähig ist. Antrieb ausgeglichen, etwas zittrig und nervös. Nachhallerinnerungen in Form von konkreten Albträumen, Narben nach Selbstverletzung, Lebensüberdrussgedanken.

Diagnose: Posttraumatische Belastungsstörung

Verordnet wurde die Einnahme von Trittico abends bei Unruhe, Massage der Schläfen mit Lavendelöl.

Aus einem psychiatrischen Befund vom 27.02.2019 ergibt sich im Wesentlichen der gleiche Inhalt. Behandlung medikamentös mit Trittico 0-0-1 sowie Massage der Schläfen mit Lavendelöl

Hinsichtlich der bP3 und bP4 wurden keine aktuell behandlungsbedürftigen Erkrankungen dargelegt.

Die bP haben in der Verhandlung nicht vorgebracht, dass sie betreffend der gesundheitlichen Beeinträchtigung der bP2 im Falle der Rückkehr Probleme erwarten würden. Es wurde nicht dargelegt, dass für die bP2 eine Behandlung nicht auch im Irak möglich bzw. zugänglich wäre.

1.6. Privatleben / Familienleben in Österreich

Art, Dauer, Rechtmäßigkeit des bisherigen Aufenthaltes:

Die bP begaben sich mit Unterstützung einer kriminellen Schlepperorganisation und ohne Vorhandensein eines Einreise- bzw. Aufenthaltstitels, nach Durchreise mehrerer europäischer Staaten, am 05.12.2015 in das Bundesgebiet und stellten diesen Antrag.

Mit der erfolgten Stellung des Antrages auf internationalen Schutz erlangten die bP eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung gem. AsylG, die nach Antragsabweisung durch die Beschwerdeerhebung am 28.11.2018 verlängert wurde.

Da ihnen in diesem Verfahren weder der Status eines Asylberechtigten noch jener eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen war, erweist sich die Einreise als rechtswidrig und stellt für die strafmündigen bP1 und bP2 grds. gem. § 120 Abs 1 u. Abs 7 FPG eine Verwaltungsübertretung dar.

Familiäre Anknüpfungspunkte in Österreich:

Abgesehen von den bP1-4 sind darüber hinaus keine anderweitigen familiären Anknüpfungspunkte in Österreich gegeben. Durch das Familienverfahren hat die gesamt Familie aufenthaltsrechtlich das gleiche Schicksal.

Schutzwürdigkeit des Privatlebens / Die Frage, ob das Privatleben / Familienleben zu einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstaates bewusst waren / Grad der Integration:

Deutschkenntnisse: trotz Anwesenheit in Österreich seit Dezember 2015 haben die bP1 und bP2 bis zur Verhandlung keine Deutschprüfung gem. dem GER für Sprachen positiv abgelegt, Kursbesuche wurden bescheinigt. Die in der Verhandlung feststellbaren Sprachkenntnisse in Deutsch liegen nach oa. Kritieren bei der bP1 in etwa zw. A1 und A2. Bei der bP2 in etwa auf A1 Niveau. Die Kinder sprechen Arabisch und Deutsch.

Sonstige Ausbildungen: Die bP1 und bP2 haben in Österreich keine Ausbildungen abgeschlossen. Die Kinder besuchen den Kindergarten bzw. die Volksschule.

Teilweise oder gänzliche wirtschaftliche Selbsterhaltung während des Verfahrens bzw. Teilnahme an möglicher und erlaubter Erwerbstätigkeit für Asylwerber (https://www.ams.at/unternehmen/service-zur-personalsuche/beschaeftigung-auslaendischer-arbeitskraefte/beschaeftigung-von-asylwerberinnen-und-asylwerbern#wieknnenasylwerberinnenundasylwerberbeschftigtwerden): Die bP1 betreibt mit einem Partner bzw. Geschäftsführer in Österreich seit September 2018 einen Frisörsalon für Männer und Frauen. Den unbescheinigt gebliebenen Angaben nach hat die bP1 diesen aus eigenen Ersparnissen und privaten Darlehen (ohne schriftlichen Vertrag und ohne Zinsen) durch in Österreich lebende irakische Freunde finanziert. Einem Auszug aus der Datenbank der Sozialversicherung vom 03.01.2019 ist zu entnehmen, dass die bP1 seit 07.09.2018 bei der SVA der gewerblichen Wirtschaft aber seit Antragstellung auch noch bei der Gebietskrankenkasse als Asylwerber (laufend) versichert war. Die Familie wurde per 31.03.2019 mangels wirtschaftlicher Hilfsbedürftigkeit aus der staatlichen Grundversorgung entlassen.

Gemeinnützige Tätigkeiten: Der bP1 wurde von einem Pflegezentrum in XXXX mit Bestätigung vom 16.10.2018 bescheinigt, dass sie im September 2016 bis Juli 2017 jeweils am Vormittag, zwei Mal die Woche, ehrenamtlich tätig war und sie sich in dieser Zeit sehr einfühlsam um die Bewohner kümmerte. Aktuell ist die bP1 nicht mehr karitativ tätig.

Für die bP2 wurden im Verfahren beim Bundesamt und auch nicht in der Verhandlung keine ehrenamtlichen Tätigkeiten bescheinigt.

In der Verhandlung wurde für die bP2 ein "Arbeitsvorvertrag" vom 04.02.2019 vorgelegt, wonach sie im Falle der Erteilung eines Aufenthaltstitels in einem namentlich genannten Frisörsalon in XXXX einen Dienstvertrag im Ausmaß von 40 Wochenstunden erhalten würde.

Sonstiges: Unterstützungserklärungen seitens Privater, überwiegend für die bP1 und ihre handwerklichen Fertigkeiten als Frisör und das Benehmen lobend, vorgelegt.

Zeitpunkt der Begründung familiärer Anknüpfungspunkte: die familiären Anknüpfungspunkte in Österreich wurden im Irak begründet.

Die privaten Anknüpfungspunkte entstanden in Österreich während des Asylverfahrens, also in einem Zeitraum als der Aufenthaltsstatus stets prekär war.

Bindungen zum Herkunftsstaat:

Die beschwerdeführenden Parteien1 u. 2 sind im Herkunftsstaat geboren. Die bP1 und bP2 absolvierten dort ihre Schulzeit, können sich im Herkunftsstaat - im Gegensatz zu Österreich - problemlos verständigen und haben ihr überwiegendes Leben in diesem Staat verbracht. Sie kennen die dortigen Regeln des Zusammenlebens und waren vor der Ausreise wirtschaftlich und sozial verankert. Familienangehörige und Verwandte leben nach wie vor im Irak, dies sowohl in XXXX als auch in Bagdad.

Die Kinder wurden 2012 bzw. 2014 im Irak geboren, haben also unterschiedlich lange dort gelebt. Sie können jedoch Arabisch, die im Irak vorherrschende Sprache und wachsen bei den im Irak sozialisierten Eltern auf, die das maßgebliche soziale Umfeld in diesem Alter darstellen. Die Eltern sprechen zu Hause mit den Kindern überwiegend Arabisch.

Strafrechtliche/verwaltungsstrafrechtliche Vormerkungen:

In der Datenbank des österreichischen Strafregisters scheinen bei den bP1 und bP2 keine Vormerkungen wegen rk. gerichtlicher Verurteilungen auf.

In der Verwaltungsstrafevidenz der vom BVwG angefragten Behörden scheinen ebenso keine Vormerkungen auf.

Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts:

Da den bP1 u. bP2 weder der Status einer Asylberechtigten noch der einer subsidiär schutzberechtigten Person zukommt, stellt die rechtswidrige Einreise (bei strafmündigen Personen) gegenständlich auch grds. eine Verwaltungsübertretung dar (vgl. § 120 Abs 1 u. Abs 7 FPG).

Die beschwerdeführenden Parteien1 u. 2 verletzten - trotz diesbezüglicher mehrfacher Belehrung - durch die nichtwahrheitsgemäße Begründung ihres Antrages auf internationalen Schutz in wesentlichen Punkte ihre Mitwirkungs- und Verfahrensförderungsverpflichtung im Asylverfahren.

Die mitgereisten minderjährigen bP3 und bP4 müssen sich das Verhalten der Eltern zurechnen lassen.

Verfahrensdauer:

Die bP kamen Ende 2015 im Zuge des Massenzustromes nach Österreich. Der VwGH hat anerkannt, dass auf Grund des Massenzustromes das österreichische Asylsystem überlastet war und erst durch massive Aufstockung des Personales samt einhergehender Einschulung eine Verzögerung stattfand. Dies konnte auch für die bP nicht wirklich überraschend sein. Das Beschwerdeverfahren - samt beantragter Verhandlung - wurde innerhalb kurzer Zeit abgeschlossen.

1.7. Zu den behaupteten ausreisekausalen Geschehnissen / Erlebnissen im Zusammenhang mit staatlichen bzw. nichtstaatlichen Akteuren und der zu erwartenden Rückkehrsituation:

Die bP1 und bP2 vermochten die als ausreisekausal behaupteten, persönlichen Erlebnisse in Bezug auf die Auseinandersetzung der beiden Familien, die daraus resultierende Verfolgungsgefahr durch die Familie der bP2 bzw. auch staatliche Organe, so wie von ihnen im Verfahren dargelegt, aus den in der Beweiswürdigung angeführten Gründen nicht glaubhaft machen.

Es kann somit nicht festgestellt werden, dass die bP im Zusammenhang mit ihrer als nicht glaubhaft erachteten ausreisekausalen Bedrohungslage im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat, konkret nach XXXX oder auch Bagdad, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer asylrelevanten Verfolgungsgefahr oder einer entscheidungsrelevanten realen Gefahr von Leib und/oder Leben ausgesetzt wären.

Die bP legen selbst nicht dar, dass im Herkunftsstaat, unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Verhältnisse, eine Situation herrschen würde, wonach im Falle der Rückkehr eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts bestünde. Dies ergibt sich auch nicht aus der amtswegigen Einschätzung der Lage im Herkunftsstaat

Die bP waren im Hinblick auf Unterkunft und Versorgung mit Lebensmitteln bislang in der Lage im Herkunftsstaat ihre Existenz zu sichern. Es wurden von ihnen weder beim Bundesamt noch in der Verhandlung konkret dargelegt, dass sie im Falle der Rückkehr nicht mehr zumindest ihre Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz decken könnten. Die bP1 verfügt zumindest in Bagdad bei einem Frisörsalon noch über eine Teilhaberschaft.

Sie legten weder beim Bundesamt noch in der Verhandlung persönlich dar, dass im Falle der Rückkehr auf Grund der allgemeinen Versorgungslage eine persönliche, relevante Gefährdung von Leib und/oder Leben gegeben wäre. Dies kann auch amtswegig auf Grund der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat nicht festgestellt werden.

1.8. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat:

Quellen:

? BVwG, vorläufige allg. Lageeinschätzung

? Interview mit deutscher Journalistin B. S. zu Bagdad vom 04.10.2018

? Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu sicherheitsrelevanten Vorfällen bei denen Sunniten Opfer wurden, vom 31.01.2019

? Vorfallsrecherche zu Bagdad Dezember 2018-Februar 2019, Abfrage v. 11.02.2019 via Google News, Schlagwort "Baghdad", "Bagdad" Suche auf Deutsch u. Englisch sowie zur Provinz Babil, Schlagwort "Babil", Suche auf Englisch

? Baghdads Green Zone reopens, vom 11.01.2019, Aljazeera

? IOM Return Index Jänner 2019

? ACLED 3. Quartal 2018

Zusammengefasst ergibt sich aus den berücksichtigten Quellen folgendes Lagebild bzw. ergeben sich folgende Schlussfolgerungen:

Politik / Zusammensetzung der Bevölkerung

Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert. Gemäß der Verfassung ist der Irak ein demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat, der aus 18 Provinzen besteht. Die Autonome Region Kurdistan ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Provinzen Dohuk, Erbil und Sulaymaniya. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung, verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte.

Die konfessionell/ethnische Verteilung der politischen Spitzenposten ist nicht in der irakischen Verfassung festgeschrieben, aber seit 2005 üblich. So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnit, der Premierminister ist ein Schiit und der Präsident der Republik ein Kurde. Die meisten religiös-ethnischen Gruppen sind im Parlament vertreten.

Der Irak hat ca. 38 Millionen Einwohner. Etwa 75-80 % der heute im Irak lebenden Bevölkerung sind Araber, 15-20 % sind Kurden und 5 % sind Turkomanen, rund 600.000 Assyrer/Aramäer, etwa 10.000 Armenier oder Angehörige anderer ethnischer Gruppen. Weiterhin sollen im Südosten 20.000 bis 50.000 Marsch-Araber leben. Von turkomanischen Quellen wird der Anteil der eigenen ethnischen Gruppe auf etwa 10 % geschätzt.

Etwa 97 % der Bevölkerung sind muslimisch. Über 60 % sind Schiiten und zwischen 32 und 37 % Sunniten; die große Mehrheit der muslimischen Kurden ist sunnitisch. Ca. 17-22 %, also ca. 6,5 bis 8,4 Millionen der Gesamtbevölkerung sind arabische Sunniten (vorwiegend im Zentral- und Westirak), ca. 15-20 % der Gesamtbevölkerung sind kurdische Sunniten. So wie Schiiten sind auch (arabische) Sunniten in hohen politischen (zB Parlamentspräsident) und öffentlichen Ämtern vertreten. Ebenso als Beschäftigte bei Polizei, Militär und Gerichten. Sunniten nehmen ebenso am sonstigen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben teil. Christen, Jesiden und andere Religionen bilden mit ca. 3 % eine Minderheit. Die Christen zählen überwiegend zu den orientalisch-christlichen Gemeinschaften: Chaldäisch-katholische Kirche, Assyrische Kirche des Ostens, Alte Kirche des Ostens, Armenische Apostolische Kirche, Römisch-katholische Kirche, Syrisch-katholische Kirche, Syrisch-Orthodoxe Kirche von Antiochien, Assyrisch-evangelische Kirche und andere.

Sicherheitskräfte - Milizen - Rechtschutz

Die irakischen Sicherheitskräfte ISF:

Im ganzen Land sind zahlreiche innerstaatliche Sicherheitskräfte tätig. Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF, Iraqi Security Forces) bestehen aus Sicherheitskräften, die vom Innenministerium verwaltet werden, Sicherheitskräften, die vom Verteidigungsministerien verwaltet werden, den Volksmobilisierungseinheiten (PMF, Popular Mobilization Forces), und dem Counter-Terrorism Service (CTS). Das Innenministerium ist für die innerstaatliche Strafverfolgung und die Aufrechterhaltung der Ordnung zuständig; es beaufsichtigt die Bundespolizei, die Provinzpolizei, den Dienst für den Objektschutz, den Zivilschutz und das Ministerium für den Grenzschutz. Die Energiepolizei, die dem Ölministerium unterstellt ist, ist für den Schutz von kritischer Infrastruktur in diesem Bereich verantwortlich. Konventionelle Streitkräfte, die dem Verteidigungsministerium unterstehen, sind für die Verteidigung des Landes zuständig, führen aber in Zusammenarbeit mit Einheiten des Innenministeriums auch Einsätze zur Terrorismusbekämpfung sowie interne Sicherheitseinsätze durch. Der Counter-Terrorism Service (CTS) ist direkt dem Premierminister unterstellt und überwacht das Counter-Terrorism Command (CTC), eine Organisation, zu der drei Brigaden von Spezialeinsatzkräften gehören. Die irakischen Streit- und Sicherheitskräfte dürften mittlerweile wieder ca. 100.000 Armee-Angehörige (ohne PMF und Peshmerga) und über 100.000 Polizisten umfassen.

Volksmobilsierungseinheiten (PMF):

Der Name bezeichnet eine Dachorganisation für etwa vierzig bis siebzig Milizen und demzufolge ein loses Bündnis paramilitärischer Formationen. Die PMF werden vom Staat unterstützt und sind landesweit tätig. Die Mehrheit der PMF-Einheiten ist schiitisch, was die Demografie des Landes widerspiegelt. Sunnitische, jesidische, christliche und andere "Minderheiten-Einheiten" der PMF sind in ihren Heimatregionen tätig. Es gibt große, gut ausgerüstete Milizen, quasi militärische Verbände, wie die Badr-Organisation, mit eigenen Vertretern im Parlament, aber auch kleine improvisierte Einheiten mit wenigen Hundert Mitgliedern, wie die Miliz der Schabak. Viele Milizen werden von Nachbarstaaten wie dem Iran oder Saudi-Arabien unterstützt. Die Türkei unterhält in Baschika nördlich von Mosul ein eigenes Ausbildungslager für sunnitische Milizen. Die Milizen haben eine ambivalente Rolle. Einerseits wäre die irakische Armee ohne sie nicht in der Lage gewesen, den IS zu besiegen und Großveranstaltungen wie die Pilgerfahrten nach Kerbala mit jährlich bis zu 20 Millionen Pilgern zu schützen. Andererseits stellen die Milizen einen enormen Machtfaktor mit Eigeninteressen dar, was sich in der gesamten Gesellschaft, der Verwaltung und in der Politik widerspiegelt und zu einem allgemeinen Klima der Korruption und des Nepotismus beiträgt. Die PMF unterstehen seit 2017 formal dem Oberbefehl des irakischen Ministerpräsidenten. Alle PMF-Einheiten sind offiziell dem Nationalen Sicherheitsberater unterstellt. Die Bemühungen der Regierung, die PMF als staatliche Sicherheitsbehörde zu formalisieren, werden fortgesetzt, aber Teile der PMF bleiben "iranisch" ausgerichtet. Das Handeln dieser unterschiedlichen Einheiten stellt zeitweise eine zusätzliche Herausforderung in Bezug auf die Sicherheitslage dar, insbesondere - aber nicht nur - in ethnisch und religiös gemischten Gebieten des Landes.

Rechtschutz

Das reguläre Strafjustizsystem besteht aus Ermittlungsgerichten, Gerichten der ersten Instanz, Berufungsgerichten, dem Kassationsgerichtshof und der Staatsanwaltschaft. Das Oberste Bundesgericht erfüllt die Funktion eines Verfassungsgerichts. Die Verfassung garantiert die Unabhängigkeit der Justiz. Jedoch schränken bestimmte gesetzliche Bestimmungen und Einflussnahmen die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz ein. Personal- und Kompetenzmangel wird zuweilen beklagt.

Die Verfassung gibt allen Bürgern das Recht auf einen fairen und öffentlichen Prozess. Dennoch verabsäumen es Beamte vereinzelt, Angeklagte unverzüglich oder detailliert über die gegen sie erhobenen Vorwürfe zu informieren. Beobachter berichteten, dass Verfahren nicht den internationalen Standards entsprechen. Obwohl Ermittlungs-, Prozess- und Berufungsrichter im Allgemeinen versuchen, das Recht auf ein faires Verfahren durchzusetzen, gibt es diesbezüglich Mängel im Verfahren. Urteile ergehen vereinzelt mit überschießend hohen Strafen.

Aufgrund von Misstrauen gegenüber Gerichten oder fehlendem Zugang wenden sich Iraker vereinzelt auch an Stammesinstitutionen, um Streitigkeiten beizulegen, selbst wenn es sich um schwere Verbrechen handelt.

Die Rechtsprechung ist in der Praxis von einem Mangel an kompetenten Richtern, Staatsanwälten sowie Justizbeamten gekennzeichnet. Eine Reihe von Urteilen lassen auf politische Einflussnahme schließen. Hohe Richter werden oftmals auch unter politischen Gesichtspunkten ausgewählt.

Sunniten

Ca. 17-22 %, also ca. 6,5 bis 8,4 Millionen der Gesamtbevölkerung sind arabische Sunniten (vorwiegend im Zentral- und Westirak), ca. 15-20 % der Gesamtbevölkerung sind kurdische Sunniten. So wie Schiiten sind auch arabische Sunniten in hohen politischen (zB Parlamentspräsident) und öffentlichen Ämtern vertreten. Ebenso als Beschäftigte bei Polizei, Militär und Gerichten. Sunniten nehmen ebenso am sonstigen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben teil. Es gibt Berichte über vereinzelte Menschenrechtsverletzungen an Sunniten, va. durch schiitische Milizen oder unbekannte Täter. Vor allem Personen die Angehörige der terroristischen Gruppierung IS sind oder im Verdacht stehen solche zu sein oder diese unterstützen, können derart gefährdet sein. Auf Grund der Berichtslage lässt sich nicht schließen, dass dies Teil eines systematischen, quasi jeden Sunniten gleichermaßen treffenden Risikos ist. Sunniten, die in schiitisch dominierten Regionen leben, können gesellschaftliche Diskriminierung in einem moderaten Level erfahren, vor allem in den südlichen Gouvernements. Es handelt sich vorwiegend um Diskriminierung am Arbeitsmarkt bzw. um gesellschaftliche Diskriminierung aufgrund von Nepotismus. Schiitische Arbeitgeber würden eher Schiiten einstellen. Generell ist die Zahl von registrierten, sicherheitsrelevanten Vorfällen jedoch seit dem Zeitpunkt als der IS als "vertrieben" gilt, stark rückläufig.

Sicherheitslage

Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen Sieg über den Islamischen Staat. Die Sicherheitslage hat sich, seitdem die territoriale Kontrolle des IS gebrochen wurde, verbessert. Vereinzelte, untergetauchte IS-Kämpfer sind jedoch weiterhin in manchen Gebieten für Verbrechen verantwortlich. Ebenso werden vereinzelt Übergriffe seitens schiitischer Milizen verzeichnet. Die allgemeine Kriminalitätsrate ist hoch. Eine systematische Diskriminierung oder Verfolgung religiöser oder ethnischer Minderheiten durch staatliche Behörden findet grds. nicht statt. In der Autonomen Region Kurdistan sind Minderheiten weitgehend vor Gewalt und Verfolgung geschützt.

Wenngleich es zum Teil erhebliche Mängel im Sicherheits- und Rechtschutzsystem gibt, kann nicht davon gesprochen werden, dass für die Bevölkerung generell keine wirksamen Schutzmechanismen vorhanden wären oder, dass dazu kein Zugang möglich wäre. Ansätze zur Abhilfe und zur Professionalisierung entstehen durch internationale Unterstützung: Die Sicherheitssektorreform wird aktiv und umfassend von der internationalen Gemeinschaft unterstützt.

Es ergibt sich auf Grund der aktuellen Berichtslage nicht, dass in der Herkunftsregion der beschwerdeführenden Parteien, Gouvernement XXXX bzw. Bagdad oder im gesamten Irak aktuell eine Lage herrschen würde, die für eine Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit (infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes) mit sich bringen würde.

Es kann auf Grund der aktuellen Berichtslage nicht festgestellt werden, dass derzeit quasi jede Person mit dem Persönlichkeitsprofil der beschwerdeführenden Parteien (insbes. ethnische, konfessionelle Zugehörigkeit) im Irak bzw. in der Herkunftsregion einer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohenden Verfolgung aus asylrelevanten Motiven unterliegen würde.

Es kann ebenso nicht festgestellt werden, dass für diese Personen im Irak bzw. in der Herkunftsregion eine allgemeine Sicherheitslage herrschen würde, wonach sie per se einer realen Gefahr einer Gefährdung der persönlichen Unversehrtheit ausgesetzt wären

Sicherheitslage in Babil

Babil ist ein Gouvernement im Irak, das bis 1971 noch Hilla hieß. Es hat eine Fläche von 6468 km²; die Größe des Gebietes hat sich mehrmals geändert. Die Einwohnerzahl beträgt 1.856.064. Die Hauptstadt des Gouvernements ist Hilla.

Die sicherheitsrelevanten Vorfälle liegen auf niedrigem Niveau. Die Region steht nominell unter der Kontrolle der irakischen Regierung, wenngleich die Stämme keine unwesentliche Rolle einnehmen. Die sicherheitsrelevanten Probleme liegen im Wesentlichen im Bereich von Stammeskonflikten und allgemeine Kriminalität. Regierungsnahe Milizen sind in unterschiedlichem Maße präsent. Terrorismus wird bekämpft. Demonstrationen gegen Korruption, Arbeitslosigkeit und für bessere Infrastruktur finden gelegentlich statt und können vereinzelt eskalieren.

Aktuelle Sicherheitslage in Bagdad

Die Provinz Bagdad ist die kleinste und am dichtesten bevölkerte Provinz des Irak, mit einer Bevölkerung von mehr als sieben Millionen Menschen. Die Mehrheit der Einwohner Bagdads sind Schiiten. In der Vergangenheit umfasste die Hauptstadt viele gemischte schiitische, sunnitische und christliche Viertel, der Bürgerkrieg von 2006-2007 veränderte jedoch die demografische Verteilung in der Stadt und führte zu einer Verringerung der sozialen Durchmischung sowie zum Entstehen von zunehmend homogenen Vierteln. Die Sicherheit der Provinz wird sowohl vom "Baghdad Operations Command" kontrolliert, der seine Mitglieder aus der Armee, der Polizei und dem Geheimdienst zieht, als auch von den schiitischen Milizen, die als stärker werdend beschrieben werden.

Die Sicherheitslage verbesserte sich in Bagdad als die Schlacht um Mosul begann. Seit 2016 ist das Ausmaß der Gewalt in Bagdad allmählich zurückgegangen.

Laut Joel Wing kam es im Januar 2018 noch zu durchschnittlich 3,3 sicherheitsrelevanten Vorfällen in Bagdad pro Tag, eine Zahl die bis Juni 2018 auf durchschnittlich 1,1 Vorfälle pro Tag sank (Joel Wing 3.7.2018). Seit Juni 2018 ist die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle in Bagdad langsam wieder auf 1,5 Vorfälle pro Tag im Juli, 1,8 Vorfälle pro Tag im August und 2,1 Vorfälle pro Tag im September gestiegen. Zuletzt kam es in den ersten 3 Wochen des September 2019 in der gesamten Provinz Baghdad im Schnitt tgl. auf weniger als 1 sicherheitsrelevanten Vorfall (http://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/security-in-iraq-sep-15-21-2019.html#more). Wenn man vor allem die hohe Bevölkerungszahl der Stadt bzw. Provinz bedenkt, sind Angriffe selten.

Aktuelle Versorgungslage

Auf Grund klimatischer Verhältnisse (Wasserknappheit) und zum Teil veralteter Infrastruktur kann die Versorgung mit sauberem Wasser nicht überall gleich gut gewährleistet sein. Berichte, dass das Mindestmaß an lebensnotwendiger Versorgung mit Trinkwasser (zB auch durch Kauf von Trinkwasserflaschen in Geschäften) im Irak nicht möglich oder zugänglich wäre, liegen nicht vor.

Schätzungen des Welternährungsprogramms zufolge benötigen ca. 700.000 Iraker Nahrungsmittelhilfe. Das Sozialsystem wird vom sog. "Public Distribution System" (PDS) dominiert, einem Programm, bei dem die Regierung importierte Lebensmittel kauft, um sie an die Öffentlichkeit zu verteilen. Das PDS ist das wichtigste Sozialhilfeprogramm im Irak, in Bezug auf Flächendeckung und Armutsbekämpfung. Es ist das wichtigste Sicherheitsnetz für Arme. Es sind alle Bürger berechtigt, Lebensmittel im Rahmen von PDS zu erhalten. An der Umsetzung kann es zu Mängeln kommen.

Es kann auf Grund der Berichtslage nicht festgestellt werden, dass aktuell im Irak bzw. in der Herkunftsregion eine derart schlechte Versorgungslage herrschen würde, dass nicht das zur Existenz unbedingt Notwendige erlangbar wäre.

Medizinische Versorgung

Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor. Ein staatliches Krankenversicherungssystem existiert nicht. Alle irakischen Staatsbürger, die sich als solche ausweisen können, haben Zugang zum Gesundheitssystem. Fast alle Iraker leben etwa eine Stunde vom nächstliegenden Krankenhaus bzw. Gesundheitszentrum entfernt. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert.

Bewegungsfreiheit

Die irakische Verfassung und andere nationale Rechtsinstrumente erkennen das Recht aller Bürger auf Freizügigkeit, Reise- und Aufenthaltsfreiheit im ganzen Land an. Die Bewegungsfreiheit verbesserte sich, nachdem die vom IS kontrollierten Gebiete wieder unter staatliche Kontrolle gebracht wurden.

In einigen Fällen beschränken die Behörden die Bewegungsfreiheit von Vertriebenen und verbieten Bewohnern von IDP-Lagern, ohne eine Genehmigung das Lager zu verlassen. Das Gesetz erlaubt es den Sicherheitskräften aus Sicherheitsgründen die Bewegungsfreiheit im Land einzuschränken, Ausgangssperren zu verhängen, Gebiete abzuriegeln und zu durchsuchen. Es gab Berichte, dass Sicherheitskräfte (ISF, Peshmerga, PMF) Bestimmungen, die Aufenthaltsgenehmigungen vorschreiben, um die Einreise von Personen in befreite Gebiete unter ihrer Kontrolle zu beschränken, in der Vergangenheit selektiv umgesetzt haben.

Eine Kontrolle der eigenen Staatsangehörigen findet bei der Ausreise statt. Iraker mit gültigem Reisepass genießen Reisefreiheit und können die Landesgrenzen problemlos passieren.

Die kurdische Autonomieregierung schränkt die Bewegungsfreiheit in den von ihr verwalteten Gebieten ein. Innerirakische Migration aus dem Zentralirak in die Autonome Region Kurdistan ist grundsätzlich möglich. Durch ein Registrierungsverfahren wird der Zuzug jedoch kontrolliert. Wer dauerhaft bleiben möchte, muss sich bei der Asayish-Behörde des jeweiligen Bezirks anmelden. Informationen über die Anzahl der Anträge und Ablehnungen werden nicht veröffentlicht. Die Behörden verlangen von Nicht-Ortsansässigen, Genehmigungen einzuholen, die einen befristeten Aufenthalt in der Autonomieregion erlauben. Diese Genehmigungen waren in der Regel erneuerbar. Bürger, die eine Aufenthaltserlaubnis für die Autonome Region Kurdistan bzw. die von ihr kontrollierten Gebiete einholen wollen, benötigen idR einen in der Region ansässigen Bürgen. Bürger, die aus dem Zentral- oder Südirak in die Autonome Region Kurdistan einreisen (egal welcher ethno-religiösen Gruppe sie angehörten, auch Kurden) müssen aus Sicherheitsgründen Checkpoints passieren und Personen- und Fahrzeugkontrollen werden idR durchgeführt. Die Behörden der Autonomen Region Kurdistan wenden Beschränkungen zuweilen unterschiedlich streng an. Die Wiedereinreise von IDPs und Flüchtlingen wird - je nach ethno-religiösem Hintergrund und Rückkehrgebiet - mehr oder weniger restriktiv gehandhabt. Beamte hindern Personen, die ihrer Meinung nach ein Sicherheitsrisiko darstellen könnten, an der Einreise in die Region. Die Einreise kann für Männer oft schwieriger, insbesondere für arabische Männer, die ohne Familie reisen.

IDPs und Flüchtlinge

Die Zahl der Vertriebenen sinkt stetig; die Zahl der Rückkehrer ist mittlerweile auf 4 Millionen gestiegen. Die Regierung und internationale Organisationen, einschließlich UN-Einrichtungen und NGOs, versuchen, IDPs Schutz und andere Hilfe zu gewähren.

Rückkehr

Die freiwillige Rückkehrbewegung irakischer Flüchtlinge aus anderen Staaten, befindet sich im Vergleich zum Umfang der Rückkehr der Binnenflüchtlinge auf einem deutlich niedrigeren, im Vergleich zu anderen Herkunftsstaaten aber auf einem relativ hohen Niveau. Bei jenen Irakern, welche in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz stellten, Verfolgung behaupteten und während des Beschwerdeverfahrens freiwillig wieder zurückkehrten, handelt es sich überwiegend um arabische Sunniten und Schiiten. Neben Österreich führen auch andere Staaten der EU abgelehnte irakische Staatsangehörige in den Irak zurück.

Dokumente

Identitätsbescheinigende Dokumente die im Irak ausgestellt wurden sind wenig zuverlässig, zumal sie häufig auch auf Grund mangelnder Dokumentation ausgestellt werden.

Jedes irakische Dokument, ob als Totalfälschung oder als echte Urkunde mit unrichtigem Inhalt, ist im Irak gegen Bezahlung zu beschaffen

2. Beweiswürdigung

Einleitend ist anzuführen, dass die im Verfahren aufgenommenen Niederschriften mit den Aussagen der bP, also jene aus der Erstbefragung, der Einvernahme vor dem Bundesamt als auch die Verhandlungsschrift beim BVwG vollen Beweis iSd § 15 AVG über den Verlauf und Gegenstand der Amtshandlung bilden und mit diesem Inhalt als zentrales Beweismittel der Beweiswürdigung unterzogen werden können.

Zwar machen die bP erstmals in der Verhandlung, und hier nur über ausdrückliche Nachfrage durch den Richter, partielle Einwendungen gegen die Niederschrift beim Bundesamt. Diese Einwendungen konnten de facto aber nicht konkretisiert werden bzw. betrafen tatsachenwidrige Umstände, wie etwa die Behauptung der bP1, dass das Bundesamt nicht protokolliert hätte, dass ihr Vater umgebracht worden wäre. Dies befindet sich jedoch sehr wohl in besagter Niederschrift (AS 195). Die bP vermochten somit nicht den vollen Beweis der Niederschriften iSd § 15 AVG zu entkräften.

Ad 1.1.1 Identität und Herkunftsstaat:

Die Feststellungen ergeben sich aus den beim Bundesamt vorgelegten Dokumenten sowie den diesbezüglich gleichbleibenden Angaben und den im Verfahren dargelegten Sprach- und Ortskenntnissen.

Ad 1.1.2. Regionale Herkunft und persönliche Lebensverhältnissen vor der Ausreise:

Die Feststellungen ergeben sich stimmig aus den in diesem Punkt lebensnahen, gleichbleibenden persönlichen Angaben im Zuge der Einvernahmen, ihren im Verfahren dargelegten Sprach- und Ortskenntnissen und den seitens der bP vorgelegten Bescheinigungsmittel.

Ad 1.1.3. Familiäres/verwandtschaftliches bzw. soziales Netzwerk im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen ergeben sich aus den in diesem Punkt gleichbleibenden, lebensnahen persönlichen Angaben der bP. Hinsichtlich des Verhältnisses zur Familie der bP2 wird auf Ad 1.1.7. verwiesen.

Ad 1.1.4. Ausreisemodalitäten:

Diese Feststellungen ergeben sich aus ihren persönlichen Angaben im Verfahren und den dazu stimmigen Reisepasskopien mit den Ausreisestempeln.

Ad 1.1.5. Gesundheitszustand:

Diese Feststellung ergibt sich unstreitig aus ihren persönlichen Angaben und den vorgelegten österr. medizinischen Bescheinigungsmitteln.

Ad 1.1.6. Privatleben / Familienleben in Österreich

Diese Feststellungen ergeben sich aus ihren persönlichen Angaben, den dazu von ihnen vorgelegten Bescheinigungsmitteln sowie amtswegigen Ermittlungen des Bundesamtes / Bundesverwaltungsgerichtes.

Ad 1.1.7. Behauptete ausreisekausale Geschehnisse / Erlebnisse im Zusammenhang mit staatlichen bzw. nichtstaatlichen Akteuren und der zu erwartenden Rückkehrsituation:

Gerade beim Antrag auf internationalen Schutz kommt der persönlichen Aussage zur eigenen Gefährdungssituation im Herkunftsstaat als Beweismittel und zentralem Punkt in diesem Verfahren besondere Bedeutung zu, handelt es sich doch behauptetermaßen um persönliche Erlebnisse bzw. eigene sinnliche Wahrnehmungen des Antragstellers / der Antragstellerin über die berichtet wird. Diese entziehen sich zumeist - insbesondere auf Grund der faktischen und rechtlichen Ermittlungsschranken der Asylinstanzen - weitgehend einer Überprüfbarkeit und liegen diese idR alleine in der persönlichen Sphäre der bP.

Im Wesentlichen geht es für die Entscheider darum, zu beurteilen, ob es im konkreten Fall glaubhaft ist, dass die diesbezüglichen Aussagen der bP auf einem tatsächlichen persönlichen Erleben beruhen oder ob sich die Partei dabei der Lüge bedient bzw. die Aussagen nicht erlebnisbegründet sind.

Im Allgemeinen erfolgt eine (vorsätzliche) Falschaussage nicht ohne Motiv (vgl. Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 4. Auflage, Rz 246ff). Im Verfahren über einen Antrag auf internationalen Schutz kann eine derartige Motivationslage, die den Wahrheitswillen eines Antragstellers/einer Antragstellerin zu beeinflussen geeignet ist, darin liegen, dass sie ihrer Überzeugung nach - uU auch durch Suggestion Dritter beeinflusst - dadurch gesteigerte Erfolgsaussichten erwarten, um den beantragten Status als Asylberechtigter oder als subsidiär Schutzberechtigter und damit einen Aufenthaltstitel samt Zugang zum Arbeitsmarkt und/oder staatlicher Versorgung zu erlangen (sog. "Folgenberücksichtigung", siehe oben zitierte Quelle).

Als Beurteilungskritierien für die Glaubhaftmachung nennt der Verwaltungsgerichtshof beispielsweise:

Bloßes Leugnen oder eine allgemeine Behauptung reicht für eine Glaubhaftmachung nicht aus (VwGH 24.2.1993, 92/03/0011; 1.10.1997, 96/09/0007). Aus dem Wesen der Glaubhaftmachung ergibt sich auch, dass die Ermittlungspflicht der Behörde durch die vorgebrachten Tatsachen und angebotenen Beweise eingeschränkt ist (VwGH 29.3.1990, 89/17/0136; 25.4.1990, 90/08/0067). Ohne entsprechendes Vorbringen des Asylwerbers oder ohne sich aus den Angaben konkret ergebende Anhaltspunkte ist die Behörde / das Bundesverwaltungsgericht nicht verpflichtet jegliche nur denkbaren Lebenssachverhalte ergründen zu müssen (vgl. VwGH 10.8.2018, Ra 2018/20/0314, mwN).

Es ist Aufgabe des Asylwerbers, durch ein in sich stimmiges und widerspruchsfreies Vorbringen, allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauert, einen asylrelevanten Sachverhalt glaubhaft zu machen. (VwGH 30. 11. 2000, 2000/01/0356).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Behörde einen Sachverhalt grundsätzlich nur dann als glaubhaft anerkennen, wenn der Asylwerber während des Verfahrens im Wesentlichen gleichbleibende Angaben macht, wenn diese Angaben wahrscheinlich und damit einleuchtend erscheinen und wenn erst sehr spät gemachte Angaben nicht den Schluss aufdrängten, dass sie nur der Asylerlangung um jeden Preis dienen sollten, der Wirklichkeit aber nicht entsprechen. Als glaubhaft könnten Fluchtgründe im Allgemeinen nicht angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt (vgl. zB. VwGH 6.3.1996, 95/20/0650).

Auch auf die Mitwirkung des Asylwerbers im Verfahren ist bei der Beurteilung der Glaubhaftmachung Bedacht zu nehmen. Wenn es sich um einen der persönlichen Sphäre der Partei zugehörigen Umstand handelt (zB ihre familiäre [VwGH 14.2.2002, 99/18/0199 ua], gesundheitliche [VwSlg 9721 A/1978; VwGH 17.10.2002, 2001/20/0601; 14.6.2005, 2005/02/0043], oder finanzielle [vgl VwGH 15.11.1994, 94/07/0099] Situation), von dem sich die Behörde nicht amtswegig Kenntnis verschaffen kann (vgl auch VwGH 24.10.1980, 1230/78), besteht eine erhöhte Mitwirkungspflicht und Darlegungslast des Asylwerbers (VwGH 18.12.2002, 2002/18/0279).

Wenn Sachverhaltselemente im Ausland ihre Wurzeln haben, ist die Mitwirkungspflicht und Offenlegungspflicht der Partei in dem Maße höher, als die Pflicht der Behörde zur amtswegigen Erforschung des Sachverhaltes wegen des Fehlens der ihr sonst zu Gebote stehenden Ermittlungsmöglichkeiten geringer wird. Tritt in solchen Fällen die Mitwirkungspflicht der Partei in den Vordergrund, so liegt es vornehmlich an ihr, Beweise für die Aufhellung auslandsbezogener Sachverhalte beizuschaffen (VwGH 12.07.1990, Zahl 89/16/0069).

Diese amtswegige Ermittlungspflicht bedeutet aber nicht, ohne entsprechendes Vorbringen des Asylwerbers oder ohne sich aus den Angaben konkret ergebende Anhaltspunkte jegliche nur denkbaren Lebenssachverhalte ergründen zu müssen (vgl. VwGH 10.8.2018, Ra 2018/20/0314, mwN).

Fallbezogen ergibt sich daraus Folgendes:

Das BVwG geht auf Grund des Ermittlungsverfahrens davon aus, dass die bP1 und bP2 in zentralen Bereichen, wo es um die Ausreise bzw. ausreisekausale Probleme und Rückkehrbefürchtungen geht, keine bzw. geringe Bereitschaft zeigten wahrheitsgemäße Angaben zu machen. Offensichtlich hielten sie es selbst für einen positiven Ausgang des beantragten internationalen Schutzes für abträglich hier den Tatsachen entsprechende Angaben zu machen.

Im Kern des geschilderten ausreisekausalen Vorbringens steht eine Auseinandersetzung zwischen dem Vater der bP1 und der Familie der Ehegattin bP2. Tatsächliche oder unterstellte betrügerische Handlungen des Vaters der bP1 stehen behauptetermaßen im Raum, die zur Vermögensschädigung bei der Familie der bP2 geführt haben sollen. Die bP1 schilderte als Folge dessen eine verbale und tätliche Auseinandersetzung zwischen den Familien, bei der sie behauptetermaßen selbst anwesend und aktiv gewesen sein soll und folglich zur Verfolgung durch die Familie der bP2 und dem irakischen Staat geführt habe.

Demnach habe der Vater der bP1 diese am 15. September 2015 angerufen und sie gebeten zum ihm nach Hause zu kommen, da dieser mit ihr etwas zu besprechen hätte. In weiterer Folge sei es zu einer tätlichen Auseinandersetzung mit Familienangehörigen der Ehegattin der bP2 gekommen, bei der es Verletzte gegeben haben soll.

Grob widersprüchlich war diesbezüglich das Vorbringen über die eigene Wahrnehmung zur Anwesenheit der Familie der Ehegattin bzw. zum Zusammentreffen mit dieser, was an einem derartigen Realereignis der bP1 erheblich zweifeln lässt.

In der Erstbefragung beim Bundesamt gab die bP1 an, dass bei ihrem Eintreffen beim Vater die Familie der Ehegattin "noch nicht anwesend" gewesen sei: Auszug aus der Erstbefragungen:

"Ich fuhr zu meinem Vater, kurz darauf traf die Familie meiner Frau auch bei meinem Vater ein. Ich ging vor die Türe, um sie zu begrüßen, diese haben meinen Gruß jedoch nicht erwidert" (AS 17).

Auszug aus der nachfolgenden Einvernahme beim Bundesamt:

"Am 15. September 2015 hat mich mein Vater angerufen und bat mich zu ihm nach Hause zu kommen, damit er mit mir etwas besprechen kann. Er teilte mir in diesem Gespräch mit, dass er ein großes Problem hat und sagte mir auch, dass ich mic

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten