TE Bvwg Erkenntnis 2019/10/28 L510 2224519-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.10.2019
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Entscheidungsdatum

28.10.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §18 Abs1 Z2
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z5
FPG §55 Abs1a

Spruch

L510 2224519-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. INDERLIETH als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Türkei, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.09.2019, Zl: XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrenshergang

1. Die beschwerdeführende Partei (bP) stellte nach nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 07.08.2010 erstmals beim Bundesasylamt einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Zuge der Erstbefragung am 07.08.2010 führte die bP aus, dass sie nicht zum Bundesheer gehen wolle. Sie sei Kurde und wolle nicht gegen Kurden kämpfen. Wäre sie nicht weggegangen, wäre sie sicher eingesperrt worden. Sonst habe sie keine Fluchtgründe.

In der Einvernahme beim Bundesasylamt am 24.09.2010 brachte die bP im Wesentlichen vor, dass sie zum Militär hätte gehen sollen. Da sie das nicht gewollt hätte, habe sie sich 5 Jahre lang versteckt gehalten. Gendarmen hätten 3 Mal zu Hause nach ihr gefragt. Weitere Fluchtgründe habe sie nicht.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 24.09.2010 wurde der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 abgewiesen. Gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Abs. 1 Ziffer 13 AsylG 2005 wurde die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Ihren Herkunftsstaat Türkei abgewiesen. Gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 wurde die bP aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Türkei ausgewiesen.

Dieser Bescheid erwuchs am 14.10.2010 in Rechtskraft.

Die bP reiste anschließend nach Italien und hielt sich dort mehrere Jahre lang auf.

Mit Urteil vom XXXX (RK XXXX ) vom Landesgericht für Strafsachen XXXX wurde sie unter der Zahl XXXX rechtskräftig wegen §§ 28a Abs. 1 2. und 3. Fall, 28a Abs. 4 Z 3, 28a Abs. 1 5. Fall, 28a Abs. 4 Z 3 SMG § 15 StGB, 28 Abs. 2 SMG, § 241e Abs. 3 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 4 Jahren rechtskräftig verurteilt. Seit XXXX befindet sie sich in Österreich in Haft.

Am 15.03.2019 langte seitens der türkischen Behörden ein Auslieferungsersuchen bezüglich der bP zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren 6 Monaten und 15 Tagen aufgrund des Urteils des XXXX in XXXX vom XXXX , mit dem sie wegen des Besitzes von 3.500 g Hanfblättern zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren und einer Geldstrafe in Höhe von TRY 2.000,00 verurteilt wurde. Diese Auslieferung wurde mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX am XXXX für unzulässig erklärt.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.10.2017 wurde gegen die bP eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass ihre Abschiebung in die Türkei zulässig ist. Eine Frist zur freiwilligen Ausreise wurde ihr nicht gewährt und einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihr nicht erteilt und es wurde gegen sie ein Einreiseverbot von 10 Jahren erlassen.

Nachdem ihre Auslieferung an die türkischen Behörden durch das Landesgericht für Strafsachen XXXX als unzulässig erklärt wurde und durch ihre Vertretung Unterlagen bezüglich ihres Schutzstatus in Italien einlangten, wurde diese Entscheidung vom Bundesverwaltungsgericht behoben.

Daraufhin wurde mit 21.02.2019 ein Dublinverfahren begonnen, welches jedoch von Italien am 27.03.2019 abgelehnt wurde.

2. Am 17.02.2019 stellte die bP in der Strafhaft gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Zuge der Erstbefragung im PAZ am 05.03.2019 führte sie zum Fluchtgrund aus, dass sie in der Türkei eine 5-jährige Freiheitsstrafe wegen Suchtgift und Unterstützung einer Terrororganisation verbüßen müsste. In Bezug auf die Terrororganisation werde die Strafe noch geheim gehalten. Sie sei seit 14 Jahren Wehrdienstverweigerer und HDP Mitglied, sie besitze eine Mitgliedskarte.

Die niederschriftliche Einvernahme der bP vor dem BFA am 03.04.2019 gestaltete sich im Wesentlichen folgend:

"...

LA: Haben Sie Befangenheitsgründe oder sonstige Einwände gegen die anwesenden Personen?

VP: Nein.

...

Es wird Ihnen zur Kenntnis gebracht, dass Ihre Angaben die Grundlage für die Entscheidung im Asylverfahren sind. Sie sind verpflichtet, am Verfahren mitzuwirken, sämtliche Termine einzuhalten und Ladungen Folge zu leisten, da sonst Nachteile für Sie entstehen können.

Es ist wichtig, dass Sie die Wahrheit sagen und nichts verschweigen. Denn sollte das Bundesamt Ihrem Ersuchen um Asylgewährung nicht nachkommen und Sie gegen diese Entscheidung ein Rechtsmittel einbringen, können Sie bei der Berufungsbehörde im Allgemeinen keine neuen Tatsachen und Beweismittel mehr vorbringen. Aus diesem Grunde ersuchen wir Sie, uns jetzt alle Tatsachen im Zusammenhang mit Ihrem Asylersuchen mitzuteilen und wenn Sie im Besitz von Beweismittel sind, legen Sie diese vor.

Sie werden auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Ihre Angaben im Asylverfahren vertraulich behandelt und keinesfalls an die Behörden Ihres Heimatlandes weitergeleitet werden.

Sie wurden weiters darüber informiert, dass Sie jede Änderung der Zustelladresse unverzüglich dem Bundesamt bekannt zu geben haben. Sie haben auch die Möglichkeit einen Zustellbevollmächtigten zu beauftragen.

Sie werden darüber informiert, dass aus datenschutzrechtlichen Gründen keine telefonischen Auskünfte zu Ihrem Verfahren erteilt werden.

LA: Haben Sie das verstanden?

VP: Ja.

LA: Haben Sie eine anwaltliche Vertretung?

VP: Nein.

LA: Fühlen Sie sich körperlich und geistig gut?

VP: Ja, ich kann aussagen.

Zu Person, Familien- und Privatleben in Österreich:

LA: Leiden Sie an irgendwelchen Krankheiten oder benötigen Sie Medikamente?

VP: Nein.

LA: Sie wurden zu diesem Antrag auf int. Schutz bereits am 05.03.2019 im PAZ XXXX erstbefragt. Entsprechen die dabei von Ihnen gemachten Angaben der Wahrheit?

VP: Im Großen und Ganzen ja. Nur hatte ich nicht erwähnt, dass ich zuvor schon in Italien um Asyl angesucht habe.

LA: Entsprechen Ihre Angaben zu den Gründen der Asylantragstellung vom 05.03.2019 der Wahrheit?

VP: Ja.

LA: Haben Sie in Österreich Verwandte oder andere Personen zu denen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis bzw. eine besonders enge Beziehung besteht?

VP: Nein, nur ein paar Freunde.

LA: Warum sind Sie nach der negativen Entscheidung 2010 in Österreich nach Italien gereist?

VP: Da ich in Österreich niemanden hatte und in Italien mein Onkel mütterlicherseits lebt, fuhr ich nach Italien.

Zur Folgeantragstellung:

LA: Wissen Sie noch welche Gründe für die Flucht aus der Türkei Sie vor der Polizei und dem BFA im Jahre 2010 angegeben haben - wenn ja, fassen Sie diese noch einmal zusammen.

VP: In XXXX wurde mir mitgeteilt, dass ich aufgrund meiner Probleme in der Türkei nichts zu befürchten hätte und das Türken-Kurden-Problem nur zu 50 % bestehen würde. Es sei normal den Wehrdienst bis zum 40. Lebensjahr nicht zu besuchen. Daraufhin weigerte ich mich weitere Angaben zu machen.

LA: Warum haben Sie gegenständlichen Antrag gestellt?

VP: Ich bekam von XXXX ein Schreiben mit 19 Fragen, die ich beantwortete, dann bekam ich erneut ein Schreiben, worin stand, dass ich binnen 3 Tagen einen Asylantrag stellen sollte, deswegen habe ich angesucht.

LA: Ich möchte gerne wissen, ob Sie Gründe gegen eine Rückkehr in die Türkei haben.

VP: Ja.

LA: Dann nennen Sie diese, bitte.

VP: Ich habe noch eine 5jährige Haftstrafe offen und seit 14 Jahren bin ich Wehrdienstverweigerer. Und es gibt angeblich einen geheimen Akt über mich.

LA: Woher würden Sie von einem geheimen Akt wissen?

VP: Mein Vater hat einen Anwalt beauftragt. Die Polizei hat nach mir gefragt. Daraufhin hat mich mein Vater kontaktiert, dass nach mir gesucht wird. Ich war damals in Italien.

LA: Wann genau war das?

VP: Im Jahr 2011.

LA: Warum würde die Polizei nach Ihnen suchen - wissen Sie das?

VP: Ich weiß es nicht. Ich war zwischenzeitlich auch bei Vereinen der HDP. Ich habe auch eine Ausweiskarte.

LA: Können Sie sagen für was HDP genau steht?

Anmerkung: Die VP schreibt wortwörtlich Folgendes auf: Halklarin Demokratik Partisi.

LA: Seit wann wären Sie bei dieser Partei?

VP: Von 2007 bis 2009.

LA: Wissen Sie wann die HDP gegründet worden ist?

VP: 2009 oder 2011... Vorher hat Sie glaube ich BDP geheißen - der Name hat sich mehrmals geändert.

LA: Waren Sie auch bei der Vorgängerpartei oder nur bei der HDP?

VP: Ich glaube damals war es die BDP und danach ist sie HDP geworden. Sie hat auch einmal DTP geheißen.

LA: Waren Sie bei der BDP?

VP: Ja, damals hieß sie so. Der Verein blieb gleich, nur die Bezeichnung war eine andere.

LA: Sie waren 2 Jahre bei der Partei/Verein - wie hat sie geheißen?

VP: BDP glaube ich.

LA: Glauben Sie, dass obwohl Sie nur 2 Jahre bei der Partei gewesen sind und das schon 10 Jahre vorbei ist, nach wie vor nach Ihnen gesucht werden würde und eine geheime Akte existiert? Können Sie mir das erklären?

VP: Das weiß ich eben nicht, was genau der Grund ist - können Sie das nicht in Erfahrung bringen.

LA: Sie haben angegeben seit 14 Jahren Wehrdienstverweigerer zu sein - wissen Sie wie die Gesetzeslage zur Verjährung ist?

VP: Nein, ich weiß es nicht und so etwas gibt es auch nicht. Auch wenn ich 50 Jahre alt bin, können sie mich einziehen. Und außerdem verweigere ich den Wehrdienst aus Gewissensgründen.

LA: Die strafrechtliche Verfolgung verjährt nach 5-8 Jahren, soweit die gesetzliche Lage in der Türkei. Die genaue Information finden Sie sowohl in den Länderberichten von 2010 als auch in den aktuellen.

VP: Wenn ich in die Türkei zurückgehe, dann werden sie mich sofort zum Militärdienst einziehen.

LA: Nein, da Sie eine Haftstrafe abzusitzen haben in der Türkei.

VP: Sie gewähren dir 3 Tage für die Familie, dann muss ich einrücken.

VP: In der Praxis ist da aber anders.

LA: Können Sie das irgendwie untermauern?

VP: Ich habe Unterlagen hier. Sie hätten mich zur Familie geschickt und dann hätte ich den Militärdienst antreten müssen, aber ich ergriff vorher die Flucht.

LA: Ja, aber das war 2010.

VP: Ja, aber es stimmt nicht.

LA: Ok, Sie sind wahrscheinlich weiterhin Wehrdienstpflichtig - und das war auch der Grund Ihrer ersten Asylantragstellung. Diesbezüglich wurde schon 2010 entschieden und Sie haben keine Beschwerde eingereicht.

VP: Der Grund warum ich dagegen nicht berufen habe, es wurde sich lustig über mich gemacht und ich hatte damals den Türkisch-Dolmetscher auch verweigert. Sie haben immer untereinander gesprochen. Und ich verstand nichts - deshalb habe ich mich auch gegen einen Türkisch-Dolmetscher ausgesprochen.

Anmerkung: Die VP wird aufgeklärt, dass die Begründung zur Wehrdienstpflicht schon rechtskräftig im ersten Verfahren entschieden worden ist.

VP: Ich wurde gefragt und deshalb habe ich geantwortet. Am Freitag war ich bei der Verhandlung und am Montag bekam ich den Bescheid.

LA: Haben Sie im Vorverfahren in verschiedenen Punkten die Unwahrheit gesagt?

VP: Ich kann mich nicht genau erinnern. Ich habe nicht viele Angaben gemacht, sondern kurz und konkret auf die Fragen geantwortet. Ich wurde nach dem Reiseweg befragt.

LA: Waren Sie in der Türkei zuvor bereits in Haft?

VP: Ja, 9,5 Monate.

LA: Am 24.09.2010 vor dem BFA befragt. Sie haben dort auf die konkreten Fragen auf Haft, Probleme mit der Justiz, Polizei, Festnahme usw. allesamt mit "Nein" beantwortet.

VP: Das weiß ich nicht, kann sein.

LA: Sie haben damals also bewusst verschwiegen, dass Sie in der Türkei bereits inhaftiert worden sind, richtig?

VP: Ja.

LA: Sie haben den Antrag 2010 damit begründet, dass Sie 20 Jahren für ca. 5 Jahre untergetaucht sind um dem Wehrdienst zu entfliehen. Sie haben behauptet, sich vor den Behörden versteckt zu haben und deshalb geflohen wären - das kann ja dann nicht stimmen?

VP: Ja, das stimmt.

VP: Dann wurde ich verhaftet.

LA: Warum sind Sie verhaftet worden - das hatte ja nichts mit dem Wehrdienst zu tun?

VP: Ich wurde wegen Suchtgift verhaftet.

LA: Sie wurden wegen dem Suchtgiftdelikt zu 5 Jahren verurteilt, richtig?

VP: Ja, 5 Jahre.

LA: Sie haben laut Ihren Angaben über 9 Monate abgesessen, warum wurden Sie entlassen, bevor Sie die gesamte Strafe abgesessen haben?

VP: Wegen Mangel an Beweismittel ließ man mich frei, weil es gab keine Zeugen und keine Telefonüberwachung. Zu 95 % stellte man fest, dass ich selbst konsumiere.

LA: Warum sind noch über 2,5 Jahre Haft offen in der Türkei?

VP: Das wollte ich vorher sagen, aber Sie haben gelacht. Ich habe eine Therapie vorgeschlagen bekommen. Sie wollten, dass ich diese während des Militärdienstes mache. Das war auch der Grund, warum ich verweigerte.

LA: Die 2,5 Jahre sind noch wegen dem Drogendelikt offen?

VP: Ja. Ich weiß nicht, das Ganze hätte nach Absolvierung des Wehrdienstes abgeschlossen sein können.

LA: Warum sind Sie von Italien wieder nach Österreich gekommen? Wurden Sie erwischt?

VP: Ich bin nach Österreich gekommen um zu arbeiten. Ich bin Pizzakoch und Friseur.

LA: Sie haben aber Geld mit illegalem Drogenhandel verdient - sind Sie deswegen nach Österreich gekommen?

VP: Ich habe keine Arbeit bekommen. Ich habe konsumiert und verkauft.

LA: Haben Sie Drogen von Holland nach Österreich oder Italien geschmuggelt?

VP: Ich habe das anfangs behauptet, aber es ist nicht so. Ich hatte Angst die Wahrheit zu sagen. Als ich dann bei der Verhandlung die Wahrheit angab, glaubte man mir nicht mehr.

LA: Wie lange waren Sie in Österreich bisher in Haft?

VP: Seit XXXX .

LA: Wissen Sie wann Sie voraussichtlich entlassen werden?

VP: Ich glaube XXXX - ich habe 4 Jahre bekommen. Wenn ich die 2 Drittel bekomme, hätte ich nur noch 6 Monate.

LA: Wo haben Sie in der Türkei die Haft verbracht?

VP: Im Stadtteil XXXX .

LA: Irgendwelche Besonderheiten die dieses Gefängnis betrifft?

VP: Nein.

LA: Wurden Sie da besonders nachteilig behandelt?

VP: Natürlich, Sie kennen die türkischen Verhältnisse nicht. Wenn Sie mich dort hinschicken, würde ich das verweigern.

LA: Wie heißt der Anwalt Ihres Vaters?

VP: Ich weiß es nicht - müsste ich nachfragen.

LA: Sie haben einen Auszug aus den aktuellen Länderinformationen zur Lage in der Türkei ausgefolgt bekommen - möchten Sie dazu heute Stellung nehmen?

VP: Nein, was soll ich dazu sagen.

Zu § 57 und Integration:

LA: Sind Sie je von einer gerichtlichen Untersuchung als Zeuge oder Opfer in Österreich betroffen gewesen?

VP: Nein.

LA: Sind gegen Sie noch zivil- oder strafrechtliche Verfahren in Österreich laufend?

VP: Weder noch.

LA: Haben Sie besondere Integrationsmaßnahmen getroffen die Sie anführen möchten?

VP: Besser wäre es gewesen, wenn ich eine Arbeit gefunden hätte. Ich beabsichtigte hier zu arbeiten und nicht Suchtgiftgeschäfte zu machen. Ich musste auch einige Nächte draußen schlafen.

LA: Wie gut verstehen Sie die deutsche Sprache?

VP: Ich kann nicht Deutsch - ich verstehe zwar was Sie gesagt haben, aber ich kann nicht sprechen.

LA: Haben Sie irgendwelche Prüfungen zu Kursen abgelegt?

VP: In der Justizanstalt war ich einen Monat im Kurs.

LA: Haben Sie irgendwelche gemeinnützigen Arbeiten verrichtet - waren Sie bei Vereinen tätig?

VP: Nein.

LA: Wollen Sie noch etwas angeben, was Ihnen besonders wichtig erscheint?

VP: Nein, danke. Ich habe alles gesagt.

LA an Rechtsberatung: Ist für Sie noch etwas offen.

RB: Nein.

LA: Wurde Ihnen ausreichend Zeit eingeräumt, Ihre Angaben vollständig und so ausführlich, wie Sie es wollten, zu machen?

VP: Ja.

LA: Haben Sie die Dolmetscherin während der gesamten Befragung einwandfrei verstanden?

VP: Ja, ich habe Sie verstanden, aber ich sage es zum dritten Mal, dass ich einen Dolmetscher in meiner Muttersprache möchte. Es bekommt jeder einen Dolmetscher in seiner Muttersprache...

LA: Haben Sie irgendwas nicht vorbringen oder erklären können, wegen einer Sprachbarriere? Nennen Sie ein Beispiel.

VP: Nein, es gibt kein Problem.

Die gesamte Niederschrift wird wortwörtlich rückübersetzt.

Nach erfolgter Rückübersetzung:

LA: Sie haben am 24.09.2010 angegeben, dass Sie nie Mitglied einer politischen Gruppe oder Partei gewesen wären - das widerspricht eindeutig Ihren Angaben im gegenständlichen Verfahren - wie können Sie das erklären?

VP: Ich weiß es nicht, das kann sein.

LA: Sie haben am 05.03.2019 angegeben, dass Sie in der Türkei zwar nicht die Todesstrafe erwarten würde, aber dafür lebenslange Haft - möchten Sie diese Aussage beigehalten oder ist das nicht richtig?

VP: Ja es stimmt.

LA: Laut dem Auslieferungsantrag der türkischen Justiz haben Sie noch 2,5 Jahre Haft offen, nicht lebenslang - was sagen Sie dazu?

VP: Ok, es gibt einen geheimen Akt. Ich muss auch wegen der Wehrdienstverweigerung in Haft.

Sie werden mich als Verräter hinstellen, weil ich Kurde bin und mich quälen und außerdem lehne ich es aus Gewissensgründen ab. Der HDP-Führer Selahattin DEMIRTAS ist in Haft. Für die kurdischen Politiker zählt die Immunität nicht.

LA: Sie waren wohl nie bei der HDP, die gab es damals noch gar nicht. Sie sind laut eigenen Angaben seit 10 Jahren auch bei keiner Partei mehr und waren damals auch nur 2 Jahre dabei. Inwiefern würde Sie das persönlich betreffen?

VP: Die Mitglieder scheinen auf der Liste namentlich auf und ich weiß nicht, ob ich noch angeführt bin. Nach 10 Jahren können Sie mir viele Unterlagen von meinen Verfahren in Österreich vorlegen - in der Türkei ist das nicht anders.

LA: Sie sind wohl nicht im Focus der politischen Gegner - nachdem Sie seit 10 Jahren überhaupt nicht mehr politisch in Erscheinung getreten sind und damals auch nur 2 Jahre bei der Vorgängerpartei gewesen sind - oder sehe ich das falsch?

VP: Vor dem Parteihaus werden Kameraaufnahmen über Personen, die in diesem Verein verkehren. Bei jedem kleinen Problem werden sie zur Rechenschaft gezogen. Gefoltert und vor die Tür geworfen. Es gibt vieles zu erzählen diesbezüglich und deshalb möchte ich einen Dolmetscher in Zaza.

LA: Was Sie sagen könnte vielleicht richtig sein, aber es betrifft ja nicht Sie persönlich, oder?

VP: Das hat ja alles nicht mit mir zu tun, wenn Sie glauben, dann unterschreibe ich.

Anmerkung: Die VP ist reagiert sarkastisch. Dann legt Sie die bereits bekannten Unterlagen aus Italien vor, welche bereits im Akt sind und erklärt, dass sie wieder nach Italien zurück will.

VP: Ich verweigere die Unterschrift.

LA: Haben Sie je eine Terrororganisation unterstützt oder waren Sie Mitglied - wenn ja, welche?

VP: Ich wurde gefragt, was dieser geheime Akt bedeuten soll, daraufhin habe ich gemeint, dass es sich um Unterstützung einer Terrororganisation oder Suchtgifthandel handeln kann. Ich wurde gefragt, was ich vermuten würde.

Frage wird wiederholt:

LA: Haben Sie je eine Terrororganisation unterstützt oder waren Sie Mitglied - wenn ja, welche?

VP: Nein. Auch wenn man mit Suchtgift handelt, wirst du als Unterstützer einer Terrororganisation behandelt. Selbst mit einem Gramm.

Anmerkung: Die RB erklärt der VP die Mitteilung der italienischen Behörden.

LA: Hat Ihnen die Dolmetscherin das rückübersetzt, was Sie gesagt haben?

VP: Ja, das ist OK.

VP: Ich möchte noch einmal sagen, dass ich nichts mit einer Terrororganisation zu tun habe. Ich habe nur eine Vermutung geäußert. Den Wehrdienst verweigere ich nach wie vor. Ich möchte niemanden umbringen, schon gar nicht meine eigenen Landsleute.

LA: Wissen Sie von der Möglichkeit, sich aus der Wehrpflicht freizukaufen?

VP: Ja, ich war diesbezüglich auch in Rom auf dem Konsulat. Mir wurde dort mitgeteilt, dass gegen mich eine Fahndung in der Türkei gegen mich laufe und ich mich dort nicht mehr blicken lassen solle. Die Fahndung müsste vorher beendet sein, bevor ich mich freikaufen könnte.

LA: Haben Sie nun nach Rückübersetzung Einwendungen gegen die Niederschrift selbst?

VP: Nein.

Korrekturen:

? Seite 1: Die VP war anfangs nicht damit einverstanden die Einvernahme in türkischer Sprache durchzuführen, so wie in der Einleitung angeführt.

? Seite 6, Abs. 4: Nach "..., dass Sie" fehlt "mit"

LA: Wünschen Sie die Ausfolgung einer schriftlichen Ausfertigung?

VP: Ja.

Anmerkung: Der VP wird eine schriftliche Ausfertigung dieser Niederschrift ausgefolgt

LA: Bestätigen Sie nunmehr durch Ihre Unterschrift die Richtigkeit und Vollständigkeit der Niederschrift und die erfolgte Rückübersetzung!

VP: Ich bestätige mit meiner Unterschrift die Richtigkeit und Vollständigkeit dieser Niederschrift.

..."

Im Zuge einer Beschuldigtenvernehmung seitens des LPD wegen Verdacht der Mitgliedschaft bei einer terroristischen Vereinigung am 18.06.2019, relativierte die bP ihr Vorbringen und legte dar, dass sich ihre Freiheitsstrafe in der Türkei lediglich auf eine Verurteilung wegen Suchtgiftbesitzes im Ausmaß von 3,5 KG Marihuana beziehe. Sie sei deshalb zu 5 Jahren Freiheitsentzug verurteilt worden. Nach 9 1/2 Monaten habe sie die Möglichkeit erhalten ihre Familie zu besuchen. Sie habe die Auflage gehabt binnen drei Tagen zwecks Suchtgifttherapie und Ableistung des Wehrdienstes wieder zurück zu kehren. Sie habe jedoch die Türkei verlassen. Sie sei nie Mitglied einer terroristischen Organisation gewesen. Die Polizei habe ihrem Vater gegenüber angegeben, dass eine Geheimakte existiere. Sie habe bei der Einvernahme nur deshalb eine Terrororganisation erwähnt, dies sei eine unglückliche Formulierung gewesen, es könne sich genauso gut um die abgebrochene Suchtgifttherapie oder um die Wehrdienstverweigerung gehandelt haben.

Mit verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 19.09.2019 wurde der Antrag auf internationalen Schutz der bP wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 Asylgesetz 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.).

Gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG wurde ihr Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat abgewiesen (Spruchpunkt II.).

Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.).

Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen die bP eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 erlassen (Spruchpunkt IV.).

Gemäß § 52 Absatz 9 FPG wurde festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Türkei zulässig sei (Spruchpunkt V.).

Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung wurde gemäß § 18 Absatz 1 Ziffer 2 BFA-Verfahrensgesetz die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI.).

Gemäß § 55 Absatz 1a FPG bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VII.).

Gemäß § 53 Absatz 1 iVm Absatz 3 Ziffer 5 Fremdenpolizeigesetz wurde gegen sie ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VIII.).

Mit Verfahrensanordnung vom selben Tag wurde der bP ein Rechtsberater gemäß § 52 BFA-VG für ein allfälliges Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.

3. Gegen den verfahrensgegenständlichen Bescheid wurde innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben. Im Wesentlichen wurde das Ermittlungsverfahren des BFA moniert. Die Länderfeststellungen würden nur allgemeine Aussagen beinhalten und würden sich nicht mit dem konkreten Fluchtvorbringen auseinandersetzen. Die Lage habe sich nach dem Putschversuch vom Juli 2016 massiv verschlechtert. Die Kurden seien das Ziel der Machdemonstration Erdogans. Nach wie vor würden HDP-Politiker festgenommen werden. Kurden seien massiven Einschränkungen unterworfen. In der Beschwerde wurden generell ganz allgemein zahlreiche Artikel bezeichnet, z. B. über Verhaftungen in Kurdengebieten, die Überwachung von sozialen Medien, etc., ohne jedoch einen konkreten Bezug diesbezüglich zur bP darzulegen. Die bP sei mangelhaft befragt worden. Sie habe z. B. glaubhaft angegeben, dass ihr auch heute noch eine Gefängnisstrafe in der Türkei drohe. Sie wolle keine Waffe gebrauchen und auf Zivilisten schießen. Warum Italien die erneute Aufnahme verweigert habe, bleibe bis dato unerklärlich. Das Vorbringen der bP sei lebensnah gewesen. Es liege kein unglaubwürdiges Verhalten der bP vor. Die bP sei asylrelevant diskriminiert und stehe ihr keine innerstaatliche Fluchtalternative offen. Somit wäre ihr internationaler Schutz zu gewähren gewesen. Ihr drohe eine Verletzung des Rechts auf Leben. Es hätte ihr zumindest der Status des subsidiär Schutzberechtigten erteilt werden müssen. Ihre strafrechtliche Verurteilung tue ihr sehr leid. Die bP sei sich einfach der Konsequenz ihres Handelns nicht bewusst gewesen. Das unbefristete Einreiseverbot würde auch bedeuten, dass die bP nicht mehr nach Italien einreisen dürfe. Sie habe jedoch 7 Jahre lang dort gelebt und sich ein entsprechendes Umfeld aufgebaut. Es wäre nicht zwingend mit der Rückkehrentscheidung auch ein Einreiseverbot zu erlassen. Es wurde angeregt, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Es wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

4. Am 22.10.2019 lange der Verfahrensakt bei der zuständigen Gerichtsabteilung ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt)

1.1. Zur Person der beschwerdeführenden Partei:

Die Identität der bP steht lt. BFA fest. Die bP ist türkischer Staatsangehöriger, gehört der kurdischen Volksgruppe an und ist islamisch sunnitischer Glaubensrichtung. Sie ist ledig und hat keine Kinder. Sie ist gesund und arbeitsfähig. Sie befindet sich derzeit in Haft.

Sie ist in XXXX geboren und war dort bis ca. 2007 aufhältig. Anschließend lebte sie in XXXX und arbeitete dort als Lehrling und besuchte die Schule. Bis zu ihrer Ausreise war sie gemeinsam mit ihrem Vater als Obst- und Gemüsehändler tätig. Ihre Familie lebt weiterhin in der Türkei.

Mit Urteil vom XXXX (RK XXXX ) vom Landesgericht für Strafsachen XXXX wurde die bP unter der Zahl XXXX rechtskräftig wegen §§ 28a Abs. 1 2. und 3. Fall, 28a Abs. 4 Z 3, 28a Abs. 1 5. Fall, 28a Abs. 4 Z 3 SMG § 15 StGB, 28 Abs. 2 SMG, § 241e Abs. 3 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 4 Jahren rechtskräftig verurteilt. Seit XXXX befindet sie sich in Österreich in Haft.

Als Milderungsgrund wurde das reumütige Geständnis berücksichtigt, der Beitrag zur Wahrheitsfindung und dass es teilweise beim Versuch blieb. Erschwerend hingegen das Zusammentreffen mehrerer Verbrechen mit Vergehen sowie eine einschlägige Vorstrafe.

Die bP hält sich offenbar seit Februar 2017 in Österreich auf. Von XXXX bis XXXX wurde die Untersuchungshaft über sie verhängt. Seit 30.06.2017 befindet sie sich in Strafhaft.

Sie hat keine Familienangehörigen im österreichischen Bundesgebiet. Sie ist in Österreich nicht berufstätig und bezieht auch keine Grundversorgung. Sie verfügt über Freundschaften und Bekanntschaften im Bundesgebiet. Sie ist in keinem Verein aktiv und geht keiner ehrenamtlichen Tätigkeit nach. Sie spricht nicht Deutsch.

1.2. Zu den angegebenen Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates:

Es konnte nicht festgestellt werden, dass die bP im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer glaubhaften, asylrelevanten Verfolgungsgefahr oder einer realen Gefahr von Leib und/oder Leben ausgesetzt wäre.

1.3. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat:

Das BFA legte seinen Feststellungen Auszüge aus dem Länderinformationsblatt zu der Türkei mit der letzten Aktualisierung vom 21.08.2019 zu Grunde, welche zur Entscheidungsfindung im vorliegenden Fall verwendet wurden. Auszugsweise werden diese Länderfeststellungen zu den entsprechenden diesen Fall betreffenden Themen zitiert.

2. Beweiswürdigung

Beweis erhoben wurde im gegenständlichen Beschwerdeverfahren durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt des BFA unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben der bP, der von ihr vorgelegten Beweismittel, des rechtskräftig gewordenen Bescheides, des bekämpften Bescheides, des Beschwerdeschriftsatzes, durch die Einsichtnahme in die vom BFA beigeschafften länderkundlichen aktuellen Informationen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat der bP, sowie Auszügen aus dem ZMR, dem SA und dem IZF.

2.1 Zur Person der beschwerdeführenden Partei

Die personenbezogenen Feststellungen hinsichtlich der bP ergeben sich aus ihren diesbezüglich in den Verfahren getätigten Angaben, sowie aus den vorgelegten Bescheinigungsmittel. Diese Feststellungen wurden im Verfahren nicht bestritten. Auch das BVwG legt diese Feststellungen des BFA dem Verfahren zu Grunde.

2.2. Zu den angegebenen Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates

Zum Vorbringen der bP, dass sie zum Wehrdienst einberufen werden könnte, verwies das BFA auf die getroffenen Länderfeststellungen und führte dazu aus, dass zwar vereinzelte Vorfälle bei der Ableistung des Wehrdienstes nicht ausgeschlossen werden könnten, jedoch auch nicht festgestellt werden könne, dass Wehrdienstleistende während des Wehrdienstes generell relevanten Nachteilen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit ausgesetzt wären. Wenn auch Diskriminierungen von Angehörigen ethnischer Minderheiten im Einzelfall nicht ausgeschlossen werden könnten, sei ein gezieltes systematisches Vorgehen nicht erkennbar. Generell sei der Militärdienst in der Türkei für alle Wehrdienstpflichtigen an sich als Art. 3 EMRK konform anzusehen. Aus der Berichtslage ergebe sich, dass die Zuteilung des Einsatzortes grundsätzlich mittels eines Computerprogrammes nach dem Zufallsprinzip erfolge und damit an sich nicht vorausgesagt werden könne, in welcher Region eine Person tatsächlich eingesetzt werde (BVwG 24.04.2015, L507 2013564-1). Wehrpflichtige würden in der Regel außerhalb ihres Heimatgebietes eingesetzt. Eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit, dass sie als Kurde auch zum Kampf gegen Kurden eingesetzt würden, sei somit von verschiedenen Faktoren abhängig und könne somit nicht pauschalisiert werden, dass kurdisch stämmige Wehrpflichtige generell zum Dienst im Osten der Türkei eingesetzt würden. Bei Nichtantritt des Wehrdienstes gebe es auch keine straferschwerenden rechtlichen Bestimmungen für den Fall einer Flucht ins Ausland. Dass der bP aufgrund ihrer kurdischen Volksgruppenzugehörigkeit daher eine strengere Strafe als anderen Wehrdienstverweigerern drohe, könne daher nicht festgestellt werden.

Es wurden zusammenfassend folgende Länderfeststellungen zu diesem Thema getroffen:

Wehrdienstverweigerung ist strafbar und Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen ist bis dato noch nicht möglich. Derzeit besteht für Wehrdienstverweigerer aus Gewissensgründen nur die Möglichkeit, eine Haftstrafe abzusitzen; danach erfolgt normalerweise die "Befreiung". Im März 2012 wurde erstmals ein Urteil des Militärgerichts von dem Recht auf Militärdienstverweigerung aus Gewissensgründen vom EGMR beeinflusst. Der angeklagte Wehrdienstleistende war nach fünf Monaten im Militärdienst geflohen und teilte seine Dienstverweigerung aus Gewissensgründen (aus religiösen Gründen) mit. Der Wehrdienstleistende wurde aufgrund seiner Flucht und seiner Dienstverweigerung vom Militärgericht angeklagt, wurde aber nicht wegen der Militärdienstverweigerung, sondern wegen seiner Flucht zu zehn Monaten Haft verurteilt. Das Militärgericht hat in seinem Urteil, das erste Mal auf die Entscheidung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs Bezug genommen, das die Rechte von Wehrdienstverweigerern aus Gewissensgründen schützt (Art. 9 EMRK). Der EGMR hat die Türkei bereits in einigen Fällen im Zusammenhang mit der Verweigerung der Anerkennung von Militärdienstverweigerung aus Gewissensgründen verurteilt. Im Fall Savda gegen die Türkei hatte der EGMR festgehalten, dass ein System, das keinen Ersatzdienst und kein entsprechendes Verfahren vorsieht, keinen gerechten Ausgleich zwischen dem allgemeinen Interesse der Gesellschaft und jenem von Wehrdienstverweigerern treffe und hatte eine Verletzung von Art. 9 EMRK (Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit) bejaht (ÖB 10.2017).

Seit Änderung von Art. 63 tMilStGB ist nunmehr bei unentschuldigtem Nichtantritt oder Fernbleiben vom Wehrdienst statt einer Freiheitsstrafe zunächst eine Geldstrafe zu verhängen. Subsidiär bleiben aber Haftstrafen bis zu sechs Monaten möglich. Die Verjährungsfrist beträgt zwischen fünf und acht Jahren, falls die Tat mit Freiheitsstrafe bedroht ist. Suchvermerke für Wehrdienstflüchtlinge werden seit Ende 2004 nicht mehr im Personenstandsregister eingetragen (AA 3.8.2018).

Denjenigen, die nicht zum Wehrdienst erscheinen oder verspätet erscheinen, drohen je nach Dauer des Fernbleibens unterschiedliche Gefängnisstrafen. Die Bestrafung folgt zusammen mit Geldstrafen, deren Umfang sich gestaffelt an den Jahren des Fernbleibens orientiert (VB 15.2.2017).

Das türkische Gesetz zu Desertion definiert in Artikel 66 die Strafe für Desertion. Militärpersonal wird mit einer Gefängnisstrafe zwischen einem und drei Jahren belegt: wenn die betreffende Person sich von ihrer Einheit oder ihrem Einsatzort ohne Urlaub für mehr als sechs Tage entfernt hat; oder wenn die betreffende Person nach einem absolvierten Urlaub nicht innerhalb von sechs Tagen zum Dienst zurückkehrt und keine Entschuldigung dafür hat. Die Strafe beläuft sich auf mindestens zwei Jahre Gefängnis, wenn die Person Waffen, Munition oder weitere der Armee gehörende Gegenstände, Ausrüstung, Tiere oder Transportmittel entwendet; wenn die Person während des Dienstes desertiert; wenn die Person die Übertretung wiederholt. Artikel 67 definiert, dass Militärpersonal, das ins Ausland geflohen ist, mit drei bis fünf Jahren Gefängnis bestraft werden kann, und zwar nach einer Absenz von drei Tagen, falls die betreffende Person das Land ohne Erlaubnis verlässt. Die Strafe soll mindestens fünf Jahre betragen soll und auf bis zu zehn Jahre erhöht werden: wenn die ins Ausland geflohene Person Waffen, Munition oder weitere der Armee gehörende Gegenstände, Ausrüstung, Tiere oder Transportmittel entwendet; wenn sie während des Dienstes desertiert; wenn sie die Übertretung wiederholt; oder wenn sie während einer Mobilisierung (für Krieg) desertiert. Schließlich können desertierte Militärangehörige für Befehlsverweigerung angeklagt und bestraft werden. Für andauernden Ungehorsam in der Öffentlichkeit drohen bis zu fünf Jahren Gefängnisstrafe. Wer andere Soldaten zum Ungehorsam anstiftet, kann mit bis zu zehn Jahren Gefängnis bestraft werden. Das im Rahmen des Ausnahmezustands erlassene Dekret 691 vom 2.6.2017 hält unter anderem fest, dass Soldaten, die sich mehr als drei Tage ohne offizielle Erlaubnis im Ausland aufhalten, als Deserteure betrachtet und entsprechend bestraft werden. Ein ins Ausland geflohener Deserteur muss mit einer Verurteilung zu einer Gefängnisstrafe von mindestens fünf Jahren rechnen. Eine Strafe von zehn Jahren ist jedoch auch möglich (SFH 22.3.2018).

Quellen:

? AA - Auswärtiges Amt (3.8.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei

? EC - European Commission (17.4.2018): Turkey 2018 Report [SWD (2018) 153 final], https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/sites/near/files/20180417-turkey-report.pdf, Zugriff 21.8.2018

? ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2017): Asylländerbericht Türkei

? SFH - Schweizerische Flüchtlingshilfe (22.3.2018): Türkei: Desertion und Sicherheits-operationen im Südosten (August 2015 bis Mai 2016); Auskunft der SFH-Länderanalyse, https://www.ecoi.net/en/file/local/1438152/1226_1531473548_180322-tur-desertion-anonym.pdf, Zugriff am 21.8.2018

? VB - Verbindungsbeamter des BMI. in Ankara (15.2.2017): per E-Mail

Aus Sicht der Österreichischen Botschaft besteht keine Systematik in der Diskriminierung von Minderheiten im Militär, weder betreffend die kurdische- als auch die alevitische Minderheit. Es existieren aber Einzelfälle (ÖB 10.2017).

KI vom 27.6.2019, neues Wehrgesetz (relevant für den Abschnitt: 10. Wehrdienst)

Am 25.6.2019 trat ein neues Wehrgesetz in Kraft. Die Wehrpflicht wird von zwölf auf sechs Monate verkürzt. Gemäß dem neuen Gesetz müssen männliche türkische Staatsbürger im Alter von über 20 Jahren (bis 41) eine einmonatige militärische Ausbildung absolvieren. Von den restlichen fünf Monaten ihres Wehrdienstes können sie sich unter Zahlung von 31.000 Lira (ca. 4.725 ?) freikaufen. Männer, die gerade ihren Wehrdienst ableisten, haben die Chance auf eine vorzeitige Entlassung. Über 100.000 Soldaten werden nach dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes vorzeitig entlassen [da sie bereits sechs oder mehr Monate gedient haben], während etwa 460.000 Männer berechtigt sind sich frei zu kaufen.

Das Gesetz sieht überdies vor, dass Wehrpflichtige nach den sechs Monaten ihren Militärdienst freiwillig gegen ein monatliches Gehalt von 2.000 Lira verlängern können. Leisten die Betreffenden ihre zusätzlichen sechs Monate in den südöstlichen und östlichen Provinzen wie Gaziantep, Sirnak und Hakkari ab, erhalten sie zusätzlich monatlich 1.000 Lira. Der Staatspräsident ist befugt, die Dauer der Wehrpflicht zu ändern, wobei die gegebenen sechs Monate nicht unterschritten werden dürfen (HDN 25.6.2019, vgl. DS 25.6.2019, IPA News 26.6.2019).

Quellen:

? DS - Daily Sabah (25.6.2019): New military service law approved, http://www.hurriyetdailynews.com/turkish-parliament-ratifies-new-military-service-law-144475, Zugriff 27.6.2019

? HDN - Hürriyet Daily News (25.6.2019): Parliament adopts bill reducing conscription, making paid military service exemption permanent, https://www.dailysabah.com/turkey/2019/06/25/parliament-adopts-bill-reducing-conscription-making-paid-military-service-exemption-permanent, Zugriff 27.6.2019

? IPA News (26.6.2019): Parliament brings major changes for Turkey's military service law, https://ipa.news/2019/06/26/parliament-brings-major-changes-for-turkeys-military-service-law/, Zugriff 27.6.2019.

Vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen zur Wehrdienstverweigerung ist dem BFA in seinen Feststellungen nicht entgegen zu treten. Anzumerken ist, dass die bP bereits in die Verjährungsfrist fallen würde, falls die Tat mit Freiheitsstrafe bedroht ist, was seitens des BFA in der Einvernahme mit der bP auch angesprochen wurde. Auch die bP bestätigte in der Einvernahme, dass sie sich vom Wehrdienst freikaufen kann.

Zur generellen Lage als Kurde legte das BFA dar, dass sich entsprechend der Länderberichte die Situation für Kurden derart gestaltet, dass diesen nicht entnommen werden kann, dass gegenwärtig Personen kurdischer Volksgruppenzugehörigkeit in der Türkei generell mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit allein aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit einer asylrelevanten - sohin auch einer maßgeblichen Intensität erreichenden - Verfolgung ausgesetzt bzw. staatlichen Repressionen unterworfen sein würden. Vereinzelte staatliche Aktionen oder solche von Einzelpersonen richten sich gegen Institutionen und Personen, denen ein Naheverhältnis zur PKK unterstellt wird. Auch Personen in gehobener Stellung könnten Ziel dieser Aktionen werden. Gründe, warum die türkischen Behörden ein nachhaltiges Interesse gerade an der bP haben sollten, wurden von ihr nicht glaubhaft vorgebracht.

Es wurden zusammenfassend folgende Länderfeststellungen zu diesem Thema getroffen:

Die Kurden (ca. 20% der Bevölkerung) leben v.a. im Südosten des Landes sowie, bedingt durch Binnenmigration und Mischehen, in den südlich und westlich gelegenen Großstädten (Istanbul, Izmir, Antalya, Adana, XXXX , Gaziantep) (ÖB 10.2017). Mehr als 15 Millionen türkische Bürger haben einen kurdischen Hintergrund und sprechen einen der kurdischen Dialekte (USDOS 20.4.2018). Der private Gebrauch der in der Türkei gesprochenen kurdischen Sprachen Kurmandschi und des weniger verbreiteten Zaza ist in Wort und Schrift keinen Restriktionen ausgesetzt, der amtliche Gebrauch ist allerdings eingeschränkt (AA 3.8.2018). Einige Universitäten bieten Kurdisch-Kurse an, und zwei Universitäten haben Abteilungen für die Kurdische Sprache (USDOS 20.4.2018).

Die kurdischen Gemeinden waren überproportional von den Zusammenstößen zwischen der PKK und den Sicherheitskräften betroffen. In etlichen Gemeinden wurden seitens der Regierung Ausgangssperren verhängt. Kurdische und pro-kurdische NGOs sowie politische Parteien berichteten von zunehmenden Problemen bei der Ausübung der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (USDOS 20.4.2018). Hunderte von kurdischen zivilgesellschaftlichen Organisationen und kurdischsprachigen Medien wurden 2016 nach dem Putschversuch per Regierungsverordnung geschlossen (USDOS 20.4.2018; vgl. EC 17.4.2018). Durch eine sehr weite Auslegung des Kampfes gegen den Terrorismus wurden die Rechte von Journalisten und Menschenrechtsverteidigern, die sich mit der Kurdenfrage auseinandersetzen, zunehmend eingeschränkt (EC 17.4.2018). Zwei Drittel der per Notstandsdekret geschlossenen Medien sind kurdische Zeitungen, Onlineportale, Radio- und Fernsehsender. Am 16.08.16 wurde z. B. die Tageszeitung "Özgür Gündem" per Gerichtsbeschluss geschlossen. Der Zeitung wird vorgeworfen, "Sprachrohr der PKK" zu sein (AA 3.8.2018; vgl. EFJ 30.10.2016). Im Jahr 2017 wurden kurdische Journalisten wegen Verbindungen zur bewaffneten kurdischen Arbeiterpartei (PKK) wegen ihrer Berichterstattung verfolgt und inhaftiert. Dutzende von Journalisten und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die sich an einer Solidaritätskampagne mit der inzwischen geschlossenen pro-kurdischen Zeitung Özgür Gündem beteiligten, wurden wegen terroristischer Propaganda verfolgt (HRW 18.1.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Die Verschlechterung der Sicherheitslage in der Region seit dem Zusammenbruch des Friedensprozesses im Jahr 2015 setzte sich fort und betraf im Jahr 2017 die städtischen Gebiete in geringerem Maße. Stattdessen waren ländliche Gebiete zusehends betroffen. Es gab keine Entwicklungen in Richtung der Wiederaufnahme eines glaubwürdigen politischen Prozesses, der für eine friedliche und nachhaltige Lösung notwendig ist. Nach dem Putschversuch im Juli 2016 wurden zahlreiche kurdische Lokalpolitiker wegen angeblicher Verbindung zur PKK inhaftiert. Im Osten und Südosten gab es zahlreiche neue Festnahmen und Verhaftungen von gewählten Vertretern und Gemeindevertretern auf der Basis von Vorwürfen, terroristische Aktivitäten zu unterstützen. An deren Stelle wurden Regierungstreuhänder ernannt (EC 17.4.2018; vgl. AM 12.3.2018, USDOS 20.4.2018).

Mehr als 90 Bürgermeister wurden durch von der Regierung ernannte Treuhänder ersetzt. 70 von ihnen befinden sich in Haft. Insgesamt wurden mehr als 10.000 Funktionäre und Mitglieder der pro-kurdischen HDP verhaftet (AM 12.3.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). [siehe auch Kapitel 13.1. Opposition]

Die pro-kurdische HDP schaffte bei den Wahlen im Juni 2018 den Wiedereinzug ins Parlament mit einem Stimmenanteil von 11,5% und 68 Abgeordneten, dies trotz der Tatsache dass der Spitzenkandidat für die Präsidentschaft und acht weitere Abgeordnete des vormaligen Parlaments im Gefängnis saßen, und Wahlbeobachter der HDP schikaniert wurden (MME 25.6.2018). Während des Wahlkampfes bezeichnete der amtierende Präsident und Spitzenkandidat der AKP für die Präsidentschaftswahlen, Erdogan den HDP-Kandidaten Demirtas bei mehreren Wahlkampfauftritten als Terrorist (OSCE 25.6.2018). Bereits im Vorfeld des Verfassungsreferendums 2017 bezeichnete auch der damalige Regierungschef Yildirim die HDP als Terrorunterstützerin (HDN 7.2.2017).

Am 8.9.2016 suspendierte das Bildungsministerium mittels Dekret 11.285 kurdische Lehrer unter dem Vorwurf Unterstützer der PKK zu sein. Alle waren Mitglieder der linksorientierten Gewerkschaft für Bildung und Bildungswerktätige, Egitim Sen (AM 12.9.2016). Bereits öffentliche Kritik am Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte in den Kurdengebieten der Südosttürkei kann bei entsprechender Auslegung den Tatbestand der Terrorpropaganda erfüllen (AA 3.8.2018).

[für weiterführende Informationen siehe Kapitel 3 "Sicherheitslage"]

Quellen:

? AA - Auswärtiges Amt (3.8.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei

? AM - Al Monitor (12.3.2018): Some 40 million Turks ruled by appointed, not elected, mayors, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2018/03/turkey-becoming-land-of-trustees.html, Zugriff 11.7.2018

? AM - Al Monitor (12.9.2016): Kurds become new target of Ankara's post-coup purges, https://www.newcoldwar.org/kurds-become-new-target-of-ankaras-post-coup-purges/, Zugriff 10.7.2018

? CB - Covcas Bulletin (22.9.2015): The revival of Turkey's 'lynching' culture, http://www.covcasbulletin.info/?p=1730, Zugriff 11.7.2018

? EC - European Commission (17.4.2018): Turkey 2018 Report [SWD (2018) 153 final], https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/sites/near/files/20180417-turkey-report.pdf, Zugriff 11.7.2018

? EFJ - European Federation of Journalists (30.10.2016): Turkish government shuts down 15 Kurdish media outlets, http://europeanjournalists.org/blog/2016/10/30/turkish-government-shuts-down-15-kurdish-media-outlets/, Zugriff 11.7.2018

? HDN - Hürriyet Daily News (7.2.2017): Main opposition in same boat as terror-supporting HDP: PM Yildirim, http://www.hurriyetdailynews.com/main-opposition-in-same-boat-as-terror-supporting-hdp-pm-yildirim-109443, Zugriff 11.7.2018

? HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World report 2018 - Turkey, https://www.ecoi.net/en/document/1422518.html, Zugriff 11.7.2018

? MME - Middle East Eye ( 25.6.2018) Turkey election: Erdogan wins, the opposition crashes - but don't write off the HDP, http://www.middleeasteye.net/columns/turkey-election-erdogan-wins-akp-chp-opposition-crashes-dont-write-off-hdp-776290051, Zugriff 11.7.2018

? OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights; OSCE Parliamentary Assembly; PACE - Parliamentary Assembly of the Council of Europe (25.6.2018): International Election Observation Mission Republic of Turkey - Early Presidential and Parliamentary Elections - 24.6.2018, https://www.osce.org/odihr/elections/turkey/385671?download=true, Zugriff 26.6.2018

? USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430322.html, Zugriff 11.7.2018.

Seitens des BVwG wird dem nicht entgegengetreten. Selbst die bP führte nicht aus, dass sie alleine aus der Tatsache Kurde zu sein einer asylrelevanten Verfolgung oder einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt war bzw. ausgesetzt wäre.

Zu dem Umstand, dass die bP möglicherweise eine Restfreiheitsstrafe zu verbüßen hätte, führte das BFA aus, dass laut den Länderinformationsblättern sich die Situation in den türkischen Gefängnissen seit der rechtskräftigen Rückkehrentscheidung im Jahr 2012 deutlich verbessert habe. So berichte etwa der UN-Sonderberichterstatter für Folter im Dezember 2016 nach dem Putschversuch zwar von Überbelegung, aber auch davon, dass die Haftbedingungen in den Gefängnissen in Ankara, Diyarbakir, Sanliurfa und Istanbul generell befriedigend seien (DW 2.12.2016).

Es wurde auch darauf hingewiesen, dass die überwiegende Mehrzahl der Berichte, welche Defizite im Zusammenhang mit der Behandlung von Gefangenen beschreiben, sich auf die Vorfälle beziehen würden, welche sich im Rahmen des Ermittlungs- bzw. Untersuchungsverfahrens vor der Verurteilung der Beschuldigten zutrugen. Die Phase des Strafvollzuges finde in der Berichtslage in diesem Zusammenhang einen weitaus geringeren Niederschlag. Es könne daher nicht festgestellt werden, dass die bP in der Phase des Strafvollzuges mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit befürchten müsse, Opfer von Übergriffen zu werden.

Es wurden zusammenfassend folgende Länderfeststellungen zu diesem Thema getroffen:

Die materielle Ausstattung der Haftanstalten wurde in den letzten Jahren deutlich verbessert und die Schulung des Personals fortgesetzt. Dennoch gibt es - trotz Bemühungen der türkischen Behörden - Kritik an den Haftbedingungen: v.a. Hochsicherheitsgefängnisse (Typ F) weisen Mängel auf (ÖB 10.2017). In der Türkei gibt es zurzeit 386 Gefängnisse, darunter 17 sogenannte F-Typ-Gefängnisse für Häftlinge, die wegen Terrorismus oder organisiertem Verbrechen verurteilt wurden. In den vergangenen elf Jahren wurden insgesamt 207 Haftanstalten geschlossen. Bis 2018 wurden insgesamt 151 neue Gefängnisse eröffnet (AA 3.8.2018).

Überbelegung und die Verschlechterung der Haftbedingungen sind besorgniserregend. Die Zahl der Gefangenen ist auf 290 pro 100.000 Einwohner angewachsen, und die Zahl der Gefangenen liegt jetzt bei 234.673 (EC 17.4.2018). Im Juni 2017 gab es in der Türkei rund 225.000 Gefangene, die Kapazität der Haftanstalten lag bei rund 203.000. Mit Stand August 2017 befanden sich 2.767 Minderjährige zwischen zwölf und 18 Jahren in Haft (USDOS 20.4.2018). Nach Angaben des Justizministeriums waren im Sommer 2017 noch 668 Kinder mit ihren Müttern in türkischen Gefängnissen festgehalten (PPJ 18.10.2018). Der Anteil der Untersuchungshäftlinge betrug zu Jahresende 2017 43,1%. Von diesen hatten 79% noch kein laufendes Gerichtsverfahren (ICPS 2018).

In den Gefängnissen der Türkei gibt es zahlreiche Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen, darunter willkürliche Einschränkungen der Rechte von Gefangenen und die Anwendung von Folter, Misshandlung und Einzelhaft als Disziplinarmaßnahmen. Es wird behauptet, dass kranken Insassen regelmäßig der Zugang zu medizinischer Versorgung verwehrt wird. Die für die Überwachung der Haftbedingungen zuständigen staatlichen Kommissionen wurden nach dem Putschversuch 2016 aufgelöst oder bleiben weitgehend wirkungslos. Das Ergebnis ist, dass Gefängniswärter und -verwaltungen weitgehend unbeaufsichtigt arbeiten. Des weiteren wirkt sich der Mangel an Psychologen, Sozialarbeitern und Soziologen negativ auf die Rehabilitation von Häftlingen aus (EC 17.4.2018). Allerdings werden Gefängnisse auch von UN-Einrichtungen und dem "Europäischen Komitee zur Verhütung von Folter" besucht (ÖB 10.2017). So berichtet etwa der UN-Sonderberichterstatter für Folter im Dezember 2016 zwar von Überbelegung, aber auch davon, dass die Haftbedingungen in den Gefängnissen in Ankara, Diyarbakir, Sanliurfa und Istanbul generell befriedigend sind (DW 2.12.2016).

Mindestens 22.000 Verhaftete oder Verurteilte müssen in den Haftanstalten auf dem Boden oder in Schichten schlafen. Laut Regierung werden Minderjährige, so vorhanden, in getrennten Gefängnissen untergebracht, andernfalls werden diese in gesonderten Abschnitten von Gefängnissen untergebracht. Untersuchungshäftlinge werden in denselben Einrichtungen wie verurteilte Häftlinge festgehalten (USDOS 20.4.2018).

Fallweise untersuchen die Behörden glaubwürdige Vorwürfe von Missbrauch und unmenschlichen oder erniedrigenden Bedingungen in den Haftanstalten, veröffentlichen die Ergebnisse solcher Untersuchungen jedoch in der Regel nicht und ergriffen keine Maßnahmen, um die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Die Menschenrechtskommission des Parlaments und die Institution der Ombudsperson haben die Genehmigung, Gefängnisse, einschließlich Militärgefängnisse, ohne vorherige Genehmigung zu besuchen und zu inspizieren (USDOS 20.4.2018).

Am 14.10.2016 erklärte der Generaldirektor der Gefängnisse und Haftanstalten vor dem Untersuchungsausschuss des türkischen Parlaments: Häftlinge werden nackt durchsucht; Foltervorwürfe werden als diskrete Fälle behandelt; die Treffen zwischen Häftling und Anwalt werden aufgezeichnet; Häftlinge dürfen sich keine Kleidung von außen besorgen, sondern sind gezwungen, sie aus dem Laden im Gefängnis zu kaufen; Selbstmorde sind unvermeidbar (PPJ 18.10.2018).

Quellen:

? AA - Auswärtiges Amt (3.8.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei

? EC - European Commission (17.4.2018): Turkey 2018 Report [SWD (2018) 153 final], https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/sites/near/files/20180417-turkey-report.pdf, Zugriff 18.7.2018

? DW - Deutsche Welle (2.12.2016): UN expert: Torture and abuse 'widespread' in Turkey following July coup bid, http://www.dw.com/en/un-expert-torture-and-abuse-widespread-in-turkey-following-july-coup-bid/a-36623632, Zugriff 26.7.2018

? ICPS - International Centre for Prison Studies (2018): World Prison Brief http://www.prisonstudies.org/country/turkey, Zugriff 19.7.2018

? ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2017): Asylländerbericht Türkei

? PPJ - Platform for Peace and Justice (18.10.2017): In Prison 2017: A Comprehensive Report On The Prison Conditions In Turkey, http://www.platformpj.org/wp-content/uploads/IN-PRISON-2017.pdf, Zugriff 26.7.2018

? USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430322.html, Zugriff 18.7.2018

Seitens des BVwG wird der Würdigung des BFA nicht entgegengetreten. Falls die bP eine Resthaftstrafe zu verbüßen hätte, würde sie diese nicht in einem F-Typ-Gefängnis abbüßen müssen. Wie das BFA auch darlegte, führte die bP bei der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA selbst aus, dass sie einen Teil ihrer Strafe im Ausmaß von 9 Monaten im Stadtteil XXXX bereits verbüßt habe. Irgendwelche Besonderheiten in Bezug auf dieses Gefängnis gebe es nicht. Sie sei aus Mangel an Beweisen vorzeitig entlassen worden und hätte eine Drogentherapie während des Militärdienstes machen sollen. Nach Abschluss des Wehrdienstes hätte das Ganze abgeschlossen sein können. Auch diese Angaben der bP vor dem BFA bekräftigen die vorgenommene Würdigung des BFA. Zudem legte das BFA richtiger Weise dar, dass die behauptete Verfolgung wegen der Bestrafung in Wirklichkeit eine Bestrafung wegen einer strafbaren Handlung gewesen ist. Zur Verhältnismäßigkeit der Haftstrafe merkte das BFA richtigerweise an, dass der bP die Möglichkeit gegeben worden sei, den Rest ihrer Haftstrafe in Form einer Drogentherapie während des Militärdienstes abzuleisten, wodurch keine Unverhältnismäßigkeit erkennbar ist.

Das BFA führte weiter aus, dass eine behauptete persönliche Verfolgung aufgrund der angeblichen Mitgliedschaft bei der HDP nicht ersichtlich sei. Vielmehr gehe die Behörde davon aus, dass sich die bP aufgrund der begannen Straftaten vor den türkischen Behörden verantworten muss und deshalb Fahndungsmaßnahmen gegen sie bestehen. Von der Möglichkeit, den Rest ihrer Haftstrafe in Form einer Drogentherapie während des Militärdienstes abzuleisten, habe die bP keinen Gebrauch gemacht und begab sich ins Ausland. Zudem sei die bP von 2007 bis 2009 Mitglied gewesen. Eine hervorgehobene Stellung innerhalb der Partei habe nicht erkannt werden können, zumal die bP seit ca. 10 Jahren kein Mitglied dieser Partei mehr ist. Somit sei nicht ersichtlich, warum der türkische Staat gerade an ihr ein derart großes Interesse haben sollte. Das BVwG schließt sich dieser Würdigung des BFA an. Richtigerweise hielt das BFA in diesem Zusammenhang der bP auch vor, dass sie die angeblichen Probleme wegen der HDP im ersten Verfahren nicht einmal erwähnte, was richtigerweise auch in die Würdigung miteinbezogen wurde.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Behörde einen Sachverhalt grundsätzlich nur dann als glaubwürdig anerkennen, wenn der Asylwerber während des Verfahrens im Wesentlichen gleichbleibende Angaben macht, wenn diese Angaben wahrscheinlich und damit einleuchtend erscheinen und wenn erst sehr spät gemachte Angaben nicht den Schluss aufdrängten, dass sie nur der Asylerlangung um jeden Preis dienen sollten, der Wirklichkeit aber nicht entsprechen. Als glaubhaft könnten Fluchtgründe im Allgemeinen nicht angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe de

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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