Entscheidungsdatum
05.11.2019Norm
AsylG 2005 §10Spruch
L504 2220108-1/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. R. ENGEL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , XXXX geb., StA. Türkei, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.05.2019, Zl. 1215275102 - 181209131, zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8, 57, 10 AsylG 2005, §§ 52, 46, 55, 53 FPG idgF, als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrenshergang
Die beschwerdeführende Partei [bP] stellte am 16.12.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Es handelt sich dabei um einen Mann, welcher seinen Angaben nach Staatsangehöriger der Türkei mit sunnitischer Religionszugehörigkeit ist, der Volksgruppe der Kurden angehört und aus XXXX stammt.
Aus dem unbestritten gebliebenen Verfahrensgang des angefochtenen Bescheides ergibt sich Folgendes:
"[...]
- Sie reisten spätestens am 16.12.2018 unter Umgehung von Grenzkontrollen ins
österreichische Bundesgebiet ein und stellten an diesem Tag einen Antrag auf
internationalen Schutz.
- Am 17.12.2018 wurden Sie von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes (SPK Wels) einer niederschriftlichen Erstbefragung nach dem AsylG unterzogen, wobei Sie im Wesentlichen folgende Angaben machten:
[...]
Frage: Warum haben Sie Ihr Land verlassen (Fluchtgrund)?
Antwort: Wir sind Kurden und haben keine Rechte und werden benachteiligt in
der Türkei. Meine Mutter wurde zum Beispiel im Krankenhaus nicht behandelt, weil
sie Kurdin ist. Ich bekam auch keinen Job vom Staat, weil ich Kurde bin. Ich weiß,
dass die Lage dort noch schlechter werden wird. Unsere Dörfer wurden vor fünf
Jahren von den türkischen Soldaten überfallen und dort wurde einiges zerstört.
Frage: Was befürchten Sie bei einer Rückkehr in Ihre Heimat?
Antwort: Ich weiß nicht, was mich in der Türkei erwarten würde, vielleicht würde
ich eingesperrt werden.
Frage: Gibt es konkrete Hinweise, dass Ihnen bei Rückkehr unmenschliche
Behandlung, unmenschliche Strafe oder die Todesstrafe drohen? Hätten Sie im Falle
Ihrer Rückkehr in Ihren Heimatstaat mit irgendwelchen Sanktionen zu rechnen?
Wenn ja, welche?
Antwort: Nein.
[...]
- Am 08.01.2019 wurden Sie von einem Organwalter des Bundesamtes für
Fremdenwesen und Asyl (i.d.F. "Bundesamt") - EASt West unter Beiziehung eines
geeigneten Dolmetschers für die kurdische Sprache einvernommen. Sie gaben
Folgendes an:
[...]
LA: Fühlen Sie sich psychisch und physisch in der Lage, die gestellten Fragen
wahrheitsgemäß zu beantworten?
VP: Ja.
LA: Wie verstehen Sie den Dolmetsch?
VP: Gut.
LA: Wie lautet Ihr Familienname?
VP: XXXX
LA: Wie lautet Ihr Vorname?
VP: XXXX
LA: Wann und wo sind Sie geboren?
VP: XXXX in XXXX .
LA: Gibt es eine Geburtsurkunde oder einen anderen Geburtsnachweis?
VP: Ich habe den Nüfüs mit und bereits vorgelegt. (Original im Akt).
LA: Führen Sie Dokumente mit sich?
VP: Meinen Nüfüs und meinen Reisepaß.
(Originale im Akt
LA: Führten Sie jemals einen anderen Familien- und/oder Vornamen? Falls ja, wie
lauten diese, wann und auf welcher Grundlage erfolgte eine behördliche
Namensänderung?
VP: Nein.
LA: Traten Sie in Österreich und/oder in einem anderen Mitgliedstaat der EU jemals
unter falschen Personalien in Erscheinung?
VP: Nein.
LA: Welche Staatsangehörigkeit(en) besitzen Sie?
VP: Türkisch.
LA: Was ist Ihre Muttersprache?
VP: Kurdisch - Kurmanji.
LA: Haben Sie weitere Sprachkenntnisse, falls ja welche und in welcher Qualität (in
Wort und Schrift / mittelmäßig / Grundkenntnisse)?
VP: Ja. Türkisch. Deutsch kann ich nur mit ein paar Wörtern.
LA: Welchem Religionsbekenntnis gehören Sie an?
VP: Muslim
LA: Welcher Volksgruppe gehören Sie an?
VP: Kurde
LA: Wie lautet Ihr Familienstand?
VP: ledig
LA: Wie lautet der Name Ihres Vaters, sein Geburtsdatum, sein Geburtsort und
Wohnort?
VP: Mein Vater ist vor ca. 20 Jahren verstorben.
LA: Wie lautet der Name Ihrer Mutter, ihr Mädchenname, ihr Geburtsdatum,
Geburtsort und Wohnort?
VP: XXXX , ca. 67 Jahre, geboren in XXXX und wh. in XXXX
LA: Wie viele Geschwister haben Sie, wie lauten deren Namen, Geburtsdaten,
Geburtsorte, Wohnorte?
VP: Zehn. Meine Schwestern heißen XXXX . Ca. 53 Jahre, wh. in XXXX ,
XXXX , ca. 50 Jahre, wh. in XXXX , XXXX , ca. 45 Jahre, wh. in
XXXX , XXXX , ca. 38 Jahre, wh. in XXXX und XXXX , ca.
35 Jahre, wh. in XXXX . Meine fünf Brüder heißen XXXX , ca. 55 Jahre,
XXXX , ca. 50 Jahre, XXXX , ca.45 Jahre, XXXX , ca. 43 Jahre, alle wh. in
XXXX und XXXX , ca. 42 Jahre, wh. in XXXX .
LA: Besitzen Sie ein Handy?
VP: Ja.
LA: Welche Tel.-Nummer hat Ihr Handy?
VP: 0534 [...]
LA: Wann hatten Sie zuletzt Kontakt mit Ihren Angehörigen im Herkunftsstaat?
VP: Vor zwei Tagen mit m einer Mutter.
LA: Nutzen Sie auch Social Media? Wenn ja, welche?
VP: Ja, ein wenig Facebook.
LA: Besitzen sie einen Account zu oben angeführter Social Media Plattform(en)?
VP: XXXX .
LA: In welcher Art und Weise haben Sie Kontakt (Telefon, Brief, Social Media etc.)?
VP: Per Telefon.
LA: Nennen Sie bitte die Tel.-Nr. Ihrer Verwandten im Herkunftsland mit welchen Sie
in Kontakt stehen:
VP: 0541[...] (meine Mutter)
LA: Wann und wo haben Sie Ihr Heimatland zuletzt verlassen?
VP: Am 05.12.2018 von Istanbul aus.
LA: War dies das erste Mal, daß Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen haben?
VP: Ja.
LA: Haben Sie jemals die Ausstellung von einem Visum beantragt bzw. waren Sie
jemals im Besitz von einem Visum?
VP: Ich habe kein Visum beantragt.
LA: In Ihrem Reisepaß ist aber ein Stempel mit Einreisestempel 07.12.2018 Zypern.
Bitte äußern Sie sich dazu?
VP: Das ist nicht Zypern, sondern Serbien. Nachgefragt gebe ich an, daß ich nie in
Zypern war.
(Anmerkung: Stempel im Reisepaß wird überprüft, Aktenvermerk wird angelegt)
LA: Wann, wo und wie reisten Sie in das Bundesgebiet der Republik Österreich ein?
Schildern Sie bitte Ihre geographische Reiseroute von ihrem Herkunftsstaat bis nach
Österreich:
VP: Ich glaube 12. oder 13.12.2018. Von der Türkei aus (Istanbul) mit einem
Flugzeug nach Serbien. Von Serbien fuhr ich in einem LKW nach Ungarn, von
Ungarn mit einem PKW bis nach Österreich.
LA: In welchen europäischen Städten sind Sie bisher schon gewesen?
VP: Ich reiste nur durch Ungarn, ich weiß nicht durch welche Orte.
LA: Schildern Sie bitte chronologisch Ihre Schulbildung:
VP: Acht Jahre Grundschule in XXXX .
LA: Schildern Sie bitte Ihren beruflichen Werdegang:
VP: Ich arbeitete als Bäcker und Pizzakoch in XXXX , in Istanbul und Antalya.
LA: Sind oder waren Sie in Ihrem Herkunftsstaat Mitglied in einem Verein?
VP: Ich war Mitglied der kurdischen Partei HDP. Ich habe eine Bestätigung gehabt,
aber diese habe ich unterwegs nach Österreich verloren.
LA: Können Sie Autofahren?
VP: Nein.
LA: Haben Sie einen Führerschein? Wenn ja: Zeitpunkt, Behörde und Ort der
Ausstellung?
VP: Nein.
LA: Wie lautet Ihre letzte exakte Wohnadresse im Heimatland (inkl.
Gebiet/Region/Provinz)? VP: In XXXX
LA: Beschreiben Sie Ihre letzte Wohnadresse bzw. in welchem Zeitraum waren Sie
dort wohnhaft?
VP: Das ist eine Wohnung im 2. Stock, Bestand von fünf Zimmern incl. Küche.
Nachgefragt gebe ich an, daß rundherum viele Gebäude sind.
LA: Haben Sie Militärdienst geleistet? Falls ja, in welcher Einheit, unter welchem
Kommandanten, an welchem Ort usw.
VP: Ja, zwischen 1999 und 2001 bei einer Flugeinheit in XXXX und dort habe ich nur
als Bäcker meinen Dienst geleistet.
LA: Haben Sie besondere Kennzeichen, wie z. B. Tätowierungen, Narben, etc.
(exakte Beschreibung erforderlich):
VP: Nein.
LA: Wie groß sind Sie?
VP: 165 cm.
LA: Hatten Sie in Ihrem Herkunftsland jemals eine Operation in einem Krankenhaus?
Falls ja, wann, in welchem Krankenhaus, welche Operation?
VP: Nein.
LA: Verbüßten Sie bereits in einem Mitgliedstaat der EU oder in einem Drittstaat eine
Haftstrafe?
VP: Nein, ich wurde nur zwei bis drei Tage in XXXX angehalten wegen meiner
Parteizugehörigkeit.
LA: Bitte schreiben Sie leserlich Ihren eigenen Namen und gewöhnlichen Aufenthalt
in Ihrem Herkunftsstaat in ihrer Landes-Schrift auf!
VP:
LA: Haben Sie in Ihrem Herkunftsland oder in einem anderen Land Verwandte
und/oder Bekannte, welche Ihre Angaben in Bezug auf Ihre tatsächliche Identität bestätigen können?
VP: Meine Mutter und meine zehn Geschwister.
LA: Haben Sie in Österreich oder in einem anderen EU-Land Verwandte und/oder
Bekannte, welche Ihre Angaben in Bezug auf Ihre tatsächliche Identität bestätigen können ?
VP: Nein.
LA: Haben Sie familiäre Beziehungen in Österreich bzw. in einem anderen EU-Land ?
VP: Nein.
LA: Möchten Sie noch etwas anführen, das für die Prüfung Ihrer Identität maßgeblich
Und hilfreich sein könnte?
VP: Nein.
LA: Entsprechen alle Ihre Angaben der Wahrheit oder möchten Sie Korrekturen
vornehmen? (Wenn ja) Welche Angaben sollten korrigiert werden?
VP: Ja.
Frage an den Dolmetscher: Gibt es begründete Zweifel an der Staatsangehörigkeit /
Region?
Dolmetscher: Nein
LA: Warum haben Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen bzw. warum stellen Sie den gegenständlichen Antrag auf int. Schutz? Bitte um prägnante und kurze Zusammenfassung!
(Anmerkung: Sie werden zu Ihrem Fluchtgrund in einer Außenstelle des BFA
nochmals einer konkreten und detaillierten Befragung unterzogen werden);
VP: In der Türkei herrscht keine Gerechtigkeit und Solidarität. Die Türken werden
anders behandelt als die Kurden. Ab 22:00 Uhr werden wir auf der Straße dort
aufgehalten, nur weil wir Kurden sind. Wir können nicht bei unseren Parteimeetings
teilnehmen, weil die Behörden das uns nicht erlauben. Meine Mutter wird im
Krankenhaus nicht behandelt, weil sie Kurdin ist, und nicht türkisch sprechen kann.
Hier in Österreich herrscht Gerechtigkeit und freie Meinungsäußerung, ich will nicht in
die Türkei zurück, da ich dort inhaftiert oder getötet werden würde.
LA: Woran erkennt man, daß man Kurde ist?
VP: Weil die meisten Bewohner in unserem Ort Kurden sind.
LA: Haben Sie alles verstanden bzw. möchten Sie Ergänzungen vornehmen?
VP: Ich habe alles verstanden und nichts mehr hinzuzufügen.
[...]
- Am 18.03.2019 wurden Sie vom zur Entscheidung berufenen Organwalter des
Bundesamtes - Regionaldirektion Salzburg unter Beiziehung einer geeigneten
Dolmetscherin für die türkische Sprache einvernommen. Sie gaben Folgendes an:
[...]
Anmerkung: Die anwesenden Personen werden dem Antragsteller vorgestellt und
deren Funktion/ Aufgabe im Verfahren dargestellt. Identitätsdaten werden auf der
Aufenthaltsberechtigungskarte überprüft und vom AW bestätigt. Die anwesenden
Personen werden ersucht, ihre Mobiltelefone auszuschalten.
LA: Haben Sie gegen die hier anwesenden Personen irgendwelche Vorbehalte
oder fühlen Sie sich durch eine anwesende Person befangen bzw. eingeschränkt in
Ihrer Schilderung?
VP: Nein.
LA: Die anwesende Dolmetscherin ist vom Leiter der Amtshandlung als
Dolmetscher für die Sprache Türkisch bestellt worden. Sind Sie dieser
Sprache mächtig und damit einverstanden in dieser Sprache einvernommen zu
werden?
VP: Für mich ist es kein Problem. Ich kann Türkisch und Kurdisch.
LA: Welche Sprachen sprechen Sie? Welche ist Ihre Muttersprache?
VP: Meine Muttersprache ist Kurdisch/Türkisch.
[...]
LA: Wie stellt sich Ihr aktueller Gesundheitszustand dar?
VP: Ich bin gesund.
LA: Nehmen Sie Drogen oder Drogenersatzstoffe?
VP: Nein.
LA: Stimmen die Angaben, die Sie bisher im Verfahren getätigt haben?
VP: Ja.
LA: Nennen Sie bitte Ihre Daten zu Familienstand, Geburtsdatum, Geburtsort,
Staatsbürgerschaft, Volksgruppe, Religionszugehörigkeit!
VP: ledig, XXXX , türkischer StA, Kurde, Moslem - Sunnit
LA: Haben Sie Kinder?
VP: Nein.
LA: Welche Angehörigen haben Sie in der Türkei?
VP: Meine Mutter und meine Geschwister. Mein Vater lebt nicht mehr.
LA: Wie heißt Ihre Mutter und wie alt ist sie?
VP: Hanim, ca. 65-67 J.
LA: Wie viele Geschwister haben Sie?
VP: Wir sind insgesamt elf Geschwister.
LA: Bitte zählen Sie Ihre Geschwister auf und nennen Sie das Alter.
.).
LA: Haben Ihre Geschwister Kinder?
VP: Ja.
LA: Gibt es noch Onkeln, Tanten, Cousins, Cousinen in der Türkei?
VP: Tante und Onkel.
LA: Haben Sie Kontakt zu Ihren Verwandten in der Türkei?
VP: Mit meiner Mutter, ja. Nachgefragt gebe ich an, dass ich alle 2-3 Tage Kontakt
habe. Nachgefragt gebe ich an, dass ich auch zu meinen Geschwistern Kontakt
habe.
LA: Wo leben Ihre Angehörigen in der Türkei?
VP: In XXXX.
LA: Wie geht es Ihren Angehörigen?
VP: Ich weiß es nicht.
LA: Wovon bestreiten Ihre in der Türkei aufhältigen Angehörigen ihren
Lebensunterhalt?
VP: Die Mutter ist in Pension. Nachgefragt gebe ich an, dass meine Geschwister
arbeiten. Manche sind selbstständig, manche sind in Pension, manche arbeiten.
LA: Nennen Sie mir bitte Ihre Wohnadresse in der Türkei!
VP: XXXX
LA: Mit wem haben Sie zusammengewohnt?
VP: Mit meiner Mutter.
LA: Sie haben heute Gelegenheit, die Gründe für Ihren Antrag auf internationalen
Schutz ausführlich darzulegen. Versuchen Sie nach Möglichkeit, Ihre Gründe so
detailliert zu schildern, dass diese auch für eine unbeteiligte Person nachvollziehbar
sind. Schildern Sie bitte, warum Sie Ihr Heimatland verlassen haben?
VP: In letzter Zeit in der Türkei ist es ein großes Thema, Türken und Kurden
haben Probleme. Es gibt auch in der Türkei eine kurdische Partei. Wir können nicht
bei den Meetings dabei sein oder Mitglieder sein, sonst bekommen wir sofort
Probleme - warum und wieso wir die Terroristen unterstützen. Wir haben keine
Freiheit. Wir wissen nicht, was morgen mit uns passieren könnte. Das sind die
Gründe, ich weiß nicht, was morgen mit meiner Mama und meinen Geschwistern
passiert. Wenn wir telefonieren sagen sie zwar, "uns geht es gut", ich glaube aber
nicht, dass sie mir die Wahrheit sagen. Ich mache mir die ganze Zeit Sorgen um
meine Familie.
LA: Haben Sie noch weitere Fluchtgründe?
VP: Wenn die Regierung sich irgendwann ändert, wenn ein anderer Führer
kommt...ich liebe mein Land. Ich will dann irgendwann zurückgehen, wenn alles für
uns gut wird. Warum ich nach Österreich kam, weil Österreich ein demokratisches
Land ist. Und ich habe das Gefühl, dass ich hier unterstützt werde. Und in Österreich
gibt es keinen Glaubensunterschied, jeder wird gleich behandelt. Auch wo die
Menschen herkommen ist egal, jeder wird gleich behandelt. Sonst habe ich in der
Türkei keine finanziellen Probleme, mir ging es gut, aber die Regierung hat alles
kaputt gemacht. Es gibt keine Ruhe für uns. zB wenn wir uns irgendwo vorstellen
gehen als Bewerber, wenn sie draufkommen, dass wir Kurden sind, bekommen wir
keinen Job. Von unserer Partei können wir nicht einmal bei den Meetings dabei sein,
wir bekommen sofort Probleme. Es ist eine kurdische Partei, sie sehen in ihr aber
eine Terroristenpartei. Wie ich gesagt habe, wenn die Regierung in der Türkei anders
geführt wird, wenn ein anderer Führer kommt, werde ich in meine Heimat
zurückgehen, aber derzeit habe ich wirklich das Gefühl, es schaut für uns nicht gut
aus, das sind meine Gründe.
LA: Haben Sie noch weitere Fluchtgründe?
VP: Sonst habe ich keine Gründe. Und was Sie für mich entscheiden muss ich
auch respektieren. Ich habe sonst keine anderen Gründe.
LA: Welche Partei unterstützen Sie?
VP: Die HDP.
LA: Sind Sie nur Wähler oder Parteimitglied?
VP: Ich bin auch Parteimitglied.
LA: Haben Sie einen Mitgliedsausweis?
VP: Den haben sie mitgenommen.
LA: Wer hat ihn mitgenommen?
VP: Wie ich am Flughafen war, außer meinem Reisepass haben sie meine ganzen
Dokumente weggenommen.
LA: Meinen Sie damit, die österreichische Polizei hat Ihren HDP Ausweis
sichergestellt?
VP: Die türkische Polizei am Flughafen.
LA: Wann und warum stellte die türkische Polizei Ihren HDP Ausweis sicher?
VP: Als ich nach Serbien ausreiste. Die Polizei hat mir alle Dokumente außer
Reisepass und Nüfus weggenommen. Wahrscheinlich wussten sie, dass ich abhaue
und wollten ihn mir deshalb nicht mitgeben. Sie sahen eben, dass ich HDP-Mitglied
bin, deshalb haben sie mir alles weggenommen glaube ich.
LA: Wann traten Sie in die Partei ein?
VP: Vor vier bis fünf Jahren. Ich habe die Partei aber schon davor unterstützt.
LA: Haben Sie sich in irgendeiner Form öffentlich wahrnehmbar für die Partei
engagiert?
VP: Ich war bei Meetings usw. dabei.
LA: Wie kann ich mir diese Meetings vorstellen?
VP: Wo die kurdische Partei sich getroffen hat und über die Partei und die Kurden
gesprochen hat.
LA: War da an öffentlichen Plätzen oder in geschlossenen Räumen?
VP: Draußen.
LA: Wie wurden Sie politisiert?
VP: Das hat mit der Politik nichts zu tun, die HDP unterstützt uns nur.
LA: Hatten Sie eine offizielle Funktion bei der Partei oder waren Sie in einem
parlamentarischen Vertretungskörper aktiv?
VP: Nein.
LA: Bei welcher Unterorganisation oder Ortsgruppe der HDP waren Sie Mitglied?
VP: Ich bin nur Mitglied, weil ich Anhänger bin. Wenn es Wahlen gab, stand ich bei
dem Wahlkasten dabei.
LA: Meinen Sie damit, dass Sie Wahlwerbung gemacht haben oder dass Sie
Wahlbeobachter waren?
VP: Ich stand an der Wahlurne.
LA: Wie oft nahmen Sie an solchen Meetings teil?
VP: In letzter Zeit war ich nicht so oft dabei, weil sie in letzter Zeit sehr streng
waren. Im Gefängnis sitzen auch Abgeordnete unserer Partei. Das sind gewählte
Volksvertreter. Ich kann auch die Namen nennen falls erforderlich.
LA: Brauchen Sie nicht, dem BFA sind die inhaftierten HDP-Abgeordneten
bekannt.
VP: Wenn sich irgendwann die Führung ändert und es keine Unterschiede
zwischen Kurden und Türken gibt kehre ich zurück.
LA: Können Sie Ihre Parteimitgliedschaft sonst irgendwie beweisen?
VP: Wie soll ich es machen? Ich habe nichts mit.
LA: Hatten Sie aufgrund Ihrer HDP-Mitgliedschaft konkrete Probleme?
VP: Außer der HDP weil ich Kurde bin.
LA: Aber hatten Sie wegen der HDP-Mitgliedschaft Probleme, die Sie nicht gehabt
hätten, wenn Sie nur Kurde, aber kein Parteimitglied gewesen wären?
VP: Es wird sich nichts ändern. Die HDP ist keine Terroristenpartei, sondern
unterstützt die Kurden.
LA: (Frage wird wiederholt)
VP: Meine Mama war krank, wir waren im Krankenhaus, sie kann aber kein
Türkisch, man schaut sie deshalb anders an. Und wenn wir dolmetschen für die
Mama sagen sie, "warum lernt sie nicht selbst Türkisch?". Wie soll eine 70jährige
Frau noch Türkisch lernen.
LA: Ich halte fest, Sie beantworten meine Frage nicht.
LA: Wurden Sie bedroht oder körperlich angegriffen, weil Sie HDP-Mitglied sind?
VP: Nein. Aber ich weiß nicht, was noch passieren kann. Sie haben uns ab einer
späteren Uhrzeit gesagt, wir sollen nicht rausgehen.
LA: Welche Probleme hatten Sie aufgrund Ihrer kurdischen Herkunft?
VP: Wir haben mit dem türkischen Volk ansich keine Probleme. Wir verstehen uns
sehr gut. Nur mit der Regierung haben wir Probleme.
LA: Wie konkret äußern sich diese Probleme?
VP: Weil wir Kurden sind, werden wir anders behandelt. Ich weiß nicht, warum das
so ist. zB wegen der Arbeit. Wir bekommen bei den Behörden keine Arbeit. Wir
haben das sehr oft probiert, sie haben uns aber abgelehnt, weil wir Kurden sind.
LA: Sie stört also, dass Sie kein Beamter werden?
VP: Es gibt auch viel Gemeindearbeit. Das gehört dem Staat. Nicht einmal dort
bekommen wir einen Job, zB Müllabfuhr.
LA: Also Sie stört, dass Sie nicht in ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis
kommen?
VP: Nein, das hat damit nichts zu tun.
LA: Sie erzählen mir aber jetzt die ganze Zeit, dass Sie nicht bei der Behörde oder
der Müllabfuhr arbeiten können. Das sind alles öffentliche Dienstgeber. Also dürfte
das Ihr Problem sein.
VP: Ich möchte Ihnen ein Beispiel geben: zB einer, der im Norden lebt, wir Kurden
gehen ja alle in die Schule und studieren, aber die richtigen Türken haben mehr
Vorteile als wir Kurden. Sie möchten, dass wir die türkische Partei unterstützen.
Wenn wir das nicht tun, sondern die HDP unterstützen, bekommen wir keine Jobs.
LA: Sie haben laut EB als Koch gearbeitet, ist das richtig?
VP: Ja.
LA: Dann hatten Sie ja offenbar einen Arbeitsplatz. Also wo ist das Problem?
VP: In letzter Zeit gab es viele Probleme, ich habe mein Geschäft übergeben, und
bin abgehauen. Es war nicht mehr einfach, ein Geschäft zu machen. Warum soll ich
dann meine Mama alleine lassen und abhauen. Wie soll ich die alte Frau auch
mitnehmen?
LA: Können Sie mir jetzt noch ein konkretes Problem nennen, mit dem Sie
konfrontiert waren? Ich ersuche Sie, nicht noch einmal die Arbeit ins Treffen zu
führen, zumal Sie einen Job hatten.
VP: Auch was ich vorhin sagte mit der Regierung usw. Ich habe keine schriftlichen
Beweise. Wenn sie mich gewalttätig behandelt hätten könnte ich das auch nicht
beweisen.
LA: Waren Sie Opfer körperlicher Übergriffe oder Drohungen?
VP: Nein.
LA: Sie haben nicht das Problem, dass Sie mir nichts beweisen können, ich kann
momentan nicht einmal nachvollziehen, was konkret das Problem war. Was ist
passiert, dass Sie sagten "ich muss die Türkei verlassen"?
VP: Wie ich vorhin schon sagte, ich kann nicht sagen, wann und was passieren
kann, warum soll ich mein Geschäft und meine Mutter alleine lassen und abhauen.
Ich fühlte mich nicht sicher.
LA: Warum blieben dann Ihre Geschwister in der Türkei?
VP: Ich hatte Probleme gehabt und die anderen haben Kinder usw. Die können
nicht einfach abhauen.
LA: Hatten Sie Probleme oder hatten Sie Angst, Probleme bekommen zu können?
VP: Ich hatte Angst. Ich war sicher, dass sie uns auch irgendwann mitnehmen würden.
LA: Gibt es für Ihre Angst auch eine konkrete Erklärung bzw. Hinweise oder
aufgrund der allgemeinen Lage?
VP: Ich kann es nicht beweisen, aber es ist bekannt, dass die Kurden umgebracht
werden.
LA: Sie sagten, Sie hätten Angst, dass "sie sie irgendwann mitnehmen würden".
Wer sollte Sie warum wohin mitnehmen?
VP: Die Polizei oder das Militär.
LA: Jetzt ist das "wer" geklärt. Warum und wohin?
VP: Weil ich ein Kurde bin und HDP-Mitglied sehen sie uns als Terroristen und
bringen uns in Gefängnis, wo wir gewalttätig behandelt werden.
LA: Wodurch sind Sie als Kurde erkennbar?
VP: Wenn sie unsere Ausweise sehen, sehen sie aus welcher Ortschaft wir
kommen und schließen das daraus.
LA: Auf dem Nüfus ist keine Ortschaft eingetragen, im Reisepass stehen Geburts und
Ausstellungsort, Sie könnten sich im Inland aber rein mit dem Nüfus ausweisen.
VP: Die Muhtar wissen, wer Kurde und wer Türke ist. Die geben Bescheid.
LA: Die Stadt XXXX hat über 202.000 Einwohner. Wollen Sie mir wirklich
erzählen, der Muhtar weiß, wer davon Kurde und Türke ist?
VP: Jeder Dorfanteil hat einen eigenen Muhtar.
LA: Was hindert Sie dann daran, woanders hinzuziehen, wo der Muhtar Sie nicht
kennt?
VP: Wo soll ich hingehen, unser Stamm kommt von dort, die Wohnungen, alles ist
drüben.
LA: Jetzt sind Sie in Österreich, wo Sie gar nichts haben.
VP: Ja, was soll ich machen.
LA: Bei der Erstbefragung durch die Polizei, der Einvernahme durch die EASt
West und heute haben Sie angegeben, Ihre Mutter sei vom Krankenhaus nicht
behandelt worden, weil sie Kurdin ist und kein Türkisch spricht. Was hat das mit
Ihnen zu tun? Sie sprechen perfekt Türkisch.
VP: Ich bin nicht die Patientin, meine Mama ist Patientin. Sie sagten sie soll das
lernen.
LA: Dass Ihre Mutter die Patientin ist weiß ich, das sagte ich auch gerade. Ich will
wissen, was die von Ihnen behauptete Nichtbehandlung Ihrer Mutter mit Ihnen zu tun
hat.
VP: Das ist meine Mama. Deswegen müssen sie sie auch nicht schlecht
behandeln, wenn sie Kurdisch spricht.
LA: Noch einmal: Sie sprechen perfekt Türkisch. Was ist Ihr konkretes Problem
bei der Behandlung im Krankenhaus? Das Problem Ihrer Mutter hat mit Ihnen nichts
zu tun.
VP: Wir werden als Kurden allgemein ungerecht behandelt.
LA: Sie haben in der EB auch erzählt, dass türkische Soldaten Ihr Dorf vor fünf
Jahren zerstört haben. Ist das richtig?
VP: Daran erinnere ich mich nicht.
LA: (EB S. 6) "Unsere Dörfer wurden vor 5 Jahren von den türkischen Soldaten
überfallen und dort wurde einiges zerstört".
VP: Jetzt erinnere ich mich. Wir leben selbst in der Stadt. Im Dorf leben meine
Angehörigen, meine Onkel und Tanten usw. Das ist alles. Meine Angehörigen
wurden mitgenommen und befragt.
LA: Was hat die Zerstörung eines Dorfes im Jahr 2013, in dem Sie nicht einmal
wohnen, mit Ihrer Ausreise im Dezember 2018 zu tun?
VP: Wie gesagt: meine Familienangehörigen leben da. Wir haben alle den
gleichen Stamm.
LA: Ich erkenne zwischen der Zerstörung eines Dorfes im Jahr 2013 und einer
Ausreise fünf Jahre später keinen zeitlichen Zusammenhang. Entweder wären Sie
sofort geflohen oder gar nicht. So ist dieses Ereignis schlicht nicht ausreiserelevant.
VP: Ich hätte nicht abhauen können. Ich hätte es schon vorgehabt.
LA: Warum hätten Sie nicht abhauen können?
VP: Es war verboten und ich hatte Angst.
LA: Warum sollte es verboten gewesen sein?
VP: Was ich damit gemeint habe: ich habe Befürchtungen gehabt, dass sie mich
erwischen. Ich wusste nicht, ob sie uns weglassen oder festhalten. Ich habe nur mein
Glück probiert und es ging Gott sei Dank gut.
LA: Haben die Behörden Ihnen im Jahr 2013 die Ausreise konkret untersagt?
VP: Nein.
LA: Es ist bekannt, dass es im Südosten der Türkei vereinzelt zu
Zusammenstößen kam bzw. kommt. Auch geben Sie an - was ich mir nicht vorstellen
kann -, dass der Muhtar Ihre Volksgruppenzugehörigkeit kennt und sie deshalb
Probleme haben. Warum sind Sie nicht einfach umgezogen, um sich diesen zu
entziehen? zB nach Izmir, Diyabakir, Ankara oder Istanbul.
VP: Egal wo wir in der Türkei hinreisen, es ist überall gleicht. Im Prinzip ist es das
gleiche Land. zB wenn sie unsere Ausweise in der Hand haben, den Nüfus, wenn sie
unsere Daten ansehen, sehen sie alles, wo wir herkommen usw.
LA: Sind Sie der Ansicht, dass Kurden maßgebliche Probleme am Arbeitsplatz
haben?
VP: Nicht nur wegen Arbeit. Die Kurden werden als Menschen zweiter Klasse
behandelt. Sie werden beleidigt. Und sie werden Gewalt ausgesetzt.
LA: Fühlen Sie sich aufgrund Ihrer kurdischen Herkunft vom türkischen Staat
verfolgt?
VP: Ja. Ich fühle mich nicht wohl. Ich mache mir Sorgen.
LA: Circa 20% der türkischen Staatsbürger sind kurdischer Herkunft. Es gibt eine
eigene parlamentarische Vertretung mit einem entsprechenden Wählerpotenzial.
Eine Verfolgung der Kurden ist also illusorisch und deckt sich auch nicht mit dem
Amtswissen. Exponierte Vertreter der kurdischen Opposition sind mit Problemen
konfrontiert, Sie sind jedoch kein solcher exponierter Vertreter. Auch ist angesichts
der Masse an Kurden ein Ausschluss vom Arbeitsmarkt unglaubwürdig, zumal es -
gerade in Ihrer Heimatprovinz - genügend kurdische Arbeitgeber geben muss und
Sie auch selbst einen Job hatten. Was sagen Sie dazu?
VP: Ich weiß nicht, was ich darauf sagen soll. Wie gesagt: ich hatte mit der Arbeit
nie Probleme gehabt. Mir ging es gut. Mein wahres Problem ist, in der Politik wird
zwischen Kurden und Türken ein Unterschied gemacht. Und ich habe immer die
Befürchtung gehabt, dass irgendwann einmal irgendwas kommen wird. Ich als
Selbstständiger wurde nicht richtig vom Staat unterstützt. Mehr kann ich nicht sagen.
LA: Gab es heute noch nicht geschilderte Übergriffe oder Drohungen gegen Ihre
Person?
VP: Körperlich nicht, aber wortwörtlich haben sie uns schon irgendwie bedroht, wir
sollen die Partei nicht unterstützen, wir sollen austreten, sonst werden wir Probleme
bekommen.
LA: Auf den Seite 7 + 8 dieser Niederschrift verneinten Sie meine Frage, ob Sie
wegen Ihrer HDP-Mitgliedschaft bedroht worden seien. Warum erzählen Sie jetzt
etwas anderes?
VP: Beim Meeting wurden wir wortwörtlich beleidigt.
LA: Haben Sie irgendwelche schriftlichen Beweismittel zu Ihrem Fluchtvorbringen?
VP: Nein.
LA: Was hätten Sie im Falle der Rückkehr in Ihr Heimatland zu befürchten?
VP: Ich fürchte um mein Leben. Ich weiß, dass es unten für uns nicht gut ist und
mache mir auch Sorgen um meine Familie. Sie werden auch abhauen, wenn sie die
Gelegenheit haben. Es ist für uns nicht sicher, dort zu leben. Sie haben auch Kinder
und können nicht so einfach abhauen. Ich bin kinderlos und kann deshalb leichter
ausreisen.
LA: Wird in der Türkei gegenwärtig nach Ihnen gefahndet oder sind Sie
vorbestraft?
VP: Nein.
LA: Sind Sie in einem anderen Land als Ihrer Heimat vorbestraft?
VP: Nein.
LA: Hatten Sie Probleme aufgrund Ihrer Religion?
VP: Nein.
LA: Hatten Sie Probleme aufgrund Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit? Abgesehen
von den heute Geschilderten.
VP: Nein. Nur diese Unterschiede, dass sie die Kurden anders sehen, dass sie
die Kurden als Terroristen sehen.
LA: Hatten Sie Probleme aufgrund Ihrer politischen Ansichten? Abgesehen von
den heute Geschilderten.
VP: Nein.
LA: Hatten Sie Probleme aufgrund Ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten
sozialen Gruppe?
VP: Nein.
LA: Hatten Sie persönliche Probleme mit staatlichen Behörden, Gerichten in Ihrem
Heimatland? Abgesehen von den heute Geschilderten.
VP: Nein.
LA: Wann genau waren Sie zuletzt in der Türkei?
VP: Ungefähr vor fünf Monaten.
LA: Reisten Sie legal oder illegal aus?
VP: Bis nach Serbien legal, nach Serbien illegal.
LA: Warum reisten Sie nicht legal bis nach Österreich?
VP: Ich hatte die Möglichkeit nicht.
LA: Warum glauben Sie, dass Sie die Möglichkeit nicht hatten?
VP: Ich hatte kein Visum.
LA: Warum haben Sie keines beantragt?
VP: Es ist so teuer.
LA: Ich glaube Ihnen nicht, dass ein Visum teurer ist als ein Schlepper.
VP: Es ist nicht so einfach, in der Türkei ein Visum für Österreich zu bekommen.
Man muss dafür ein großer Geschäftsmann sein.
LA: Wenn die Behörden Sie derart verfolgten, dass Sie sogar Ihre Deportation und
Tötung befürchten, wie kam es dann, dass Sie die Türkei legal verlassen konnten?
VP: Ich habe das vor fünf Jahren schon vorgehabt. Und ich habe mein Glück
probiert. Und es ist gegangen.
LA: Auf welcher Route und mit welchen Transportmitteln reisten Sie nach
Österreich?
VP: Von der Türkei nach Serbien mit dem Flugzeug, ab Serbien mit dem LKW.
LA: Hatten Sie ein Zielland?
VP: Mein Zielland war Holland, ich habe dort einen Freund. Ich bin am Weg nach
Holland erwischt worden. Österreich hatte ich nicht vor, ich möchte jetzt aber hier
bleiben.
LA: Warum möchten Sie hier bleiben?
VP: Was soll ich denn sonst machen? Wenn sie mich gelassen hätten, wäre ich
schon in Holland. Seit ein paar Monaten bin ich in Österreich. Ich habe mich daran
gewöhnt und liebe Österreich.
LA: Gibt es Personen in Österreich, die Sie schon aus Ihrem Heimatland kennen?
VP: Nein.
LA: Haben Sie Angehörige in Österreich?
VP: Nein.
LA: Gibt es Personen in Europa, die Sie schon aus Ihrem Heimatland kennen?
VP: Nein.
LA: Bitte schildern Sie mir kurz Ihre Schullaufbahn.
VP: 8 Jahre Grundschule. Sonst nichts.
LA: Wie haben Sie Ihren Lebensunterhalt in der Türkei bestritten?
VP: Meine Mutter bezieht Pension. Und ich habe gearbeitet.
LA: Als was haben Sie gearbeitet?
VP: Ich war Bäcker.
LA: Selbstständig oder angestellt?
VP: Sowohl als auch.
LA: Wie würden Sie Ihre wirtschaftliche Lage in der Türkei einschätzen?
VP: Normal.
LA: Besteht zu einer Person in Österreich ein finanzielles oder sonstiges
Abhängigkeitsverhältnis?
VP: Nein.
LA: Können Sie Gründe namhaft machen, die für Ihre Integration in Österreich
sprechen?
VP: (auf Deutsch) Wie heißt du? Wie geht's dir? Hallo? Auf Wiedersehn. Tschüss.
Danke. Dankeschön. Spielen. Gehen. Kommen.
LA: Besuchen Sie einen Deutschkurs?
VP: Ja.
Anm.: VP legt Deutschpass vor, Niveau A1. Deutschpass wird VP nach
Einsichtnahme zurückgegeben.
LA: Haben Sie einen österreichischen Freundeskreis?
VP: Nein. Noch nicht.
LA: Sind Sie in Vereinen aktiv?
VP: Nein.
LA: Was müsste passieren, damit Sie wieder in Ihr Heimatland zurückkehren
können?
VP: Gleichbehandlung durch die Regierung. Türken und Kurden müssen gleich
behandelt werden. Und die Meinungs- und Religionsfreiheit der Menschen muss
garantiert werden. Auch müssen Frauen-, Kinder und Männerrechte gleich sein.
LA: Hatten Sie in Österreich Probleme mit Behörden, Polizei oder Gerichten?
VP: Nein.
LA: Wie möchten Sie in Österreich Ihr Leben gestalten?
VP: Wenn ich in Österreich bleiben darf möchte ich heiraten und eine Familie
gründen. Und arbeiten. Und gemütlich und glücklich leben.
LA: Besitzen Sie Bargeld, ein KFZ oder haben Sie Zugang zu Konten?
VP: Hier in Österreich habe ich ein Bankkonto, aber kein Geld drauf.
LA: Haben Sie Zugang zu Bankkonten in der Türkei?
VP: Nein.
LA: Ihnen werden landeskundliche Feststellungen zur Türkei übergeben. Ihnen wird
die Möglichkeit gegeben, hiezu binnen zwei Wochen eine schriftliche Stellungnahme
abzugeben. Diese dient zusätzlich der Entscheidungsfindung und Würdigung Ihres
Vorbringens. Zum Umstand, dass Sie in deutscher Sprache zur Abgabe einer Stellungnahme aufgefordert werden, wird auf Folgendes hingewiesen:
[...]
VP: Ich nehme das mit.
LA: Das BFA ist nach Durchführung der Einvernahme der Überzeugung, dass Sie
den Asylantrag einbrachten, um die Bestimmungen des NAG zu umgehen, sohin eine
rechtsmissbräuchliche Asylantragstellung vorliegt. Es steht daher die Erlassung eines
Einreiseverbotes für den Schengenraum von bis zu fünf Jahren im Raum. Was sagen
Sie dazu?
VP: Gilt das für die ganze EU?
LA: Ja.
VP: Was soll ich sonst machen. Ich akzeptiere die Entscheidung von Österreich.
Aber ich Österreich bzw. Europa haben entschieden, dass die Menschenrechte
vorgehen und deshalb bin ich hier.
LA: Ich beende jetzt die Befragung. Haben Sie die Dolmetscherin einwandfrei
verstanden?
VP: Ja.
LA: Hatten Sie genug Zeit, Ihre Fluchtgründe zu erörtern?
VP: Ja.
LA: Es wird Ihnen nunmehr die Niederschrift rückübersetzt und Sie haben danach
die Möglichkeit noch etwas richtig zu stellen oder Fragen zu stellen.
VP: Ja.
Anm.: Die gesamte Niederschrift wird wortwörtlich rückübersetzt.
LA: Haben Sie die Dolmetscherin bei der Rückübersetzung einwandfrei
verstanden?
VP: Ja.
LA: Haben Sie nun nach Rückübersetzung Fragen bzw. Einwendungen
vorzubringen?
VP: Auf S. 4 möchte ich anpassen, dass XXXX 53 Jahre alt ist. Auf Seite 7 will
ich ergänzen, dass sich nichts ändern wird, wenn ich nicht bei der HDP Mitglied,
sondern nur ein Kurde wäre. Auf Seite 10 will ich ergänzen, dass ich mich in
Österreich sicher fühle.
Anmerkung: Die Ergänzung wird rückübersetzt. VP wird eine Kopie der
Niederschrift ausgefolgt.
LA: Bestätigen Sie nunmehr durch Ihre Unterschrift die Richtigkeit und
Vollständigkeit der
Niederschrift und die Rückübersetzung!
[...]
- Bis dato langte keine Stellungnahme Ihrer Person zu den landeskundlichen
Feststellungen ein.
- Mit Verfahrensanordnung vom heutigen Tag wurde Ihnen ein Rechtsberater gemäß
§ 52 BFA-VG für ein allfälliges Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.
[...]"
Der Antrag auf internationalen Schutz wurde folglich vom Bundesamt gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt.
Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei nicht zugesprochen.
Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt.
Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die bP gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei.
Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.
Gemäß § 53 Absatz 1 i.V.m. Abs. 2 Z. 6 Fremdenpolizeigesetz wird ein auf die Dauer von 3 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.
Das Bundesamt gelangte im Wesentlichen zur Erkenntnis, dass hinsichtlich der Gründe für die Zuerkennung des Status eines asyl- oder subsidiär Schutzberechtigten eine aktuelle und entscheidungsrelevante Bedrohungssituation nicht glaubhaft gemacht worden sei. Ebenso ergebe sich aus allgemeinen Lage im Herkunftsstaat keine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende bzw. reale Gefährdung der bP. Abschiebungshindernisse lägen demnach nicht vor. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen seien nicht gegeben. Ein die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung übersteigendes Privat- und Familienleben würde nicht vorliegen und wurde daher eine Rückkehrentscheidung verfügt. Die bP vermochte den Besitz der notwendigen Mittel zur Bestreitung seines Unterhaltes nicht nachzuweisen, weshalb ein Einreiseverbot zu verhängen sei.
Gegen diesen Bescheid wurde innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben. Moniert wurde:
* das Bundesamt unterließ Nachforschungen hinsichtlich der politischen Aktivitäten der bP in Österreich
* obwohl die bP auf verhaftete Mitglieder der HDP verwies, wurde dazu seitens des Bundesamt nicht näher nachgefragt
* die Polizei hätte sich mehrmals bei der Mutter der bP nach dem Aufenthalt der bP erkundigt
* die Mutter der bP sei unter Druck gesetzt worden, die AKP zu wählen
* das Bundesamt habe keine Ermittlungen hinsichtlich der Arbeiten, welche der bP zur Verfügung stehen, getätigt. Die bP könne wahrscheinlich nur Schwarzarbeit finden
* die bP befürchte, dass sie durch die Asylantragstellung zusätzlichen Bedrohungen ausgesetzt wäre, diesbezüglich habe es keine Ermittlungen gegeben
* die Länderfeststellungen seien unvollständig und teilweise unrichtig
* es existiere kein Widerspruch zwischen der Erstbefragung und der Einvernahme hinsichtlich der Art des Verlustes des Parteimitgliedsausweises
* keine schlüssige und nachvollziehbare Begründung, inwiefern die bP ein derart gravierendes Fehlverhalten gesetzt hätte, dass dies das Ausmaß einer Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit erreichen würde, weshalb die Verhängung des Einreiseverbotes rechtwidrig erfolgt sei.
In der Beschwerde wurden zur Situation der Kurden, zur Menschenrechtslage (politische Opposition), zu den Haftbedingungen auszugsweise verschiedene Berichte aus den Jahren 2016 - 2019 wiedergegeben und resümierend festgestellt, dass der bP bei einer Rückkehr in die Türkei asylrelevante Verfolgung drohe. Abschließend wurde die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung beantragt. Im Rahmen der Beschwerde wurde eine Bestätigung vom 20.03.2019 vorgelegt, wonach die bP vom 23.01.2019 bis 20.03.2019 einen Deutschkurs A1/1 für Asylwerber besucht, sowie einen A1/2 Deutschkurs begonnen habe.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Das BVwG hat durch den Inhalt des übermittelten Verwaltungsaktes der belangten Behörde, einschließlich der Beschwerde Beweis erhoben.
1. Feststellungen (Sachverhalt)
Das Bundesamt traf auf Grund des Ermittlungsverfahrens folgende Feststellungen denen sich das BVwG anschließt:
"Zu Ihrer Person:
Ihre Identität steht fest. Sie führen den Namen XXXX , wurden am XXXX .1979 in XXXX , geboren, sind türkischer Staatsangehöriger und Kurde moslemisch-sunnitischen Bekenntnisses.
Sie sind ledig. Sie haben keine Kinder.
Sie leiden an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen physischer oder psychischer Natur.
Sie haben in Ihrer Heimat acht Jahre die Schule besucht. Sie haben Berufserfahrung als Bäcker, wobei Sie sowohl selbstständig als auch im Zuge eines Beschäftigungsverhältnisses tätig waren.
Sie sind nicht von der Zuerkennung internationalen Schutzes ausgeschlossen.
Zu den Gründen für das Verlassen Ihres Herkunftsstaats:
Festgestellt wird, dass Sie nicht aufgrund Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit, Ihrer politischen Überzeugungen, Ihres Glaubens oder Ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe seitens des Staates oder Dritter verfolgt wurden.
Sie verließen Ihre Heimat ausschließlich aus wirtschaftlichen Motiven.
Zu Ihrer Situation im Fall Ihrer Rückkehr:
Sie sind ein junger, gesunder Mann und in der Lage, durch Arbeit selbst für Ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Sie haben acht Jahre schulische Bildung genossen und Arbeitserfahrung.
Sie sprechen Kurdisch und Türkisch auf muttersprachlichem Niveau.
Sie sind in die türkische Gesellschaft integriert.
Ihre Mutter, Ihre zehn Geschwister sowie zahlreiche Angehörige zweiten und entfernteren Grades Ihrer Person sind in der Türkei aufhältig.
Sie drohen im Falle Ihrer Rückkehr nicht, in eine aussichtslose Lage zu geraten, oder hinsichtlich Ihres Rechts auf Leben oder körperliche Unversehrtheit verletzt zu werden. Auch droht ihnen keine Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung bzw. Bestrafung.
Sie sind keinen Verfolgungshandlungen seitens der türkischen Behörden oder Dritter ausgesetzt.
Die Wiedereinreise in die Türkei kann gefahrlos erfolgen.
Zu Ihrem Privat- und Familienleben:
Sie reisten im Dezember 2018 ins Bundesgebiet ein und stellten einen Asylantrag.
Sie verfügen über keine nennenswerten Kenntnisse der deutschen Sprache.
Sie verfügen über keine familiären Anknüpfungspunkte im österreichischen Bundesgebiet.
Sie verfügen über keinen österreichischen Freundeskreis und sind nicht Mitglied eines Vereins.
Eine Integration in die österreichische Gesellschaft liegt nicht vor.
Zu den Gründen für die Erlassung des Einreiseverbots:
Sie haben einen rechtsmissbräuchlichen Asylantrag gestellt.
Ihre rechtsmissbräuchliche Asylantragstellung stellt eine Gefahr für die öffentliche Ordnung
dar.
Weiters verfügen Sie nicht über die notwendigen Mittel für Ihren Unterhalt.
Ihr angeführtes Fehlverhalten stellt eine erhebliche, tatsächliche und gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Ordnung dar und die Erlassung eines Einreiseverbotes in der angeführten Höhe ist unbedingt notwendig.
Zur Lage in Ihrem Herkunftsstaat: [...]"
Das Bundesamt hat im Folgenden den Inhalt des Länderinformationsblattes, Stand 18.10.2018, widergegeben. Dies wurde der bP zu Gehör gebracht, diese nahm jedoch die Möglichkeit einer Stellungnahme nicht wahr. Im Wesentlichen ergibt sich für diesen Fall zusammengefasst daraus Folgendes:
Mehr als 15 Millionen türkische BürgerInnen, so wird geschätzt, haben einen kurdischen Hintergrund und sprechen einen der kurdischen Dialekte. Wenngleich es zu Diskriminierungen kommen kann, ergibt sich auf Grund der Berichtslage nicht, dass Kurden mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in der Türkei einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt wären.
Die Versorgungslage ist in der Türkei grds. gesichert und ist Kurden - so wie der übrigen Bevölkerung - auch eine Teilnahme am Erwerbsleben und Inanspruchnahme medizinischer Leistungen möglich.
Die Sicherheit ist für die Bevölkerung im Allgemeinen gewährleistet und die staatlichen Schutzmechanismen hinreichend funktionsfähig. Es kann nicht festgestellt werden, dass in der Türkei aktuell eine Lage herrschen würde, wonach diese für eine Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde."
Nebst der Verhaftung von hochrangigen Politikern, wurden auch mindestens 5.000 Mitglieder
der HDP - darunter 80 Bürgermeister - inhaftiert.
2. Beweiswürdi