TE Vfgh Beschluss 1996/2/26 B1175/95

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Veröffentlicht am 26.02.1996
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Index

10 Verfassungsrecht
10/07 Verfassungsgerichtshof, Verwaltungsgerichtshof

Norm

VfGG §33

Leitsatz

Stattgabe eines Wiedereinsetzungsantrags; Aufhebung des Beschlusses des Verfassungsgerichtshofs über die Zurückweisung der Beschwerde als verspätet; Ablehnung der Beschwerdebehandlung

Spruch

I. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird Folge gegeben.

II. Der Beschluß des Verfassungsgerichtshofs vom 16. März 1995, GZ B475/95-4, wird aufgehoben.

III. Die Behandlung der bisher zu AZ B475/95 protokollierten, nunmehr unter AZ B1175/95 geführten Beschwerde wird abgelehnt.

IV. Die Beschwerde wird dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

Begründung

Begründung:

1.1. Der Verfassungsgerichtshof wies mit Beschluß vom 16. März 1995, B475/95-4, die vom Antragsteller gemäß Art144 B-VG erhobene Beschwerde gegen den im Instanzenzug ergangenen, einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung abweisenden Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 26. November 1994, Z102.002/2-III/11/94, wegen Versäumung der sechswöchigen Beschwerdefrist zurück. Nach der Begründung dieses Beschlusses wurde der Ministerialbescheid dem Adressaten nicht, wie in der Beschwerdeschrift behauptet, erst am 13. Jänner 1995, sondern schon am 11. Jänner 1995 zugestellt, sodaß die Beschwerdefrist am 22. Februar 1995 ablief; die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof wurde jedoch nach diesem Zeitpunkt, nämlich am 23. Februar 1995, zur Post gegeben.

Der Beschluß des Verfassungsgerichtshofs wurde den Rechtsvertretern des Antragstellers am 10. April 1995 zugestellt.

1.2. Mit einem beim Verfassungsgerichtshof am 24. April 1995 eingelangten, zu B1175/95 protokollierten Schriftsatz beantragt S S ua. die "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung (der) Beschwerdefrist nach §33 VerfGG 1953 iVm §146 (Abs1) ZPO". Er führt darin mit näherer Begründung im wesentlichen aus, daß einem juristischen Mitarbeiter in der Kanzlei seines Rechtsvertreters bei der Ermittlung des Datums der Zustellung des angefochtenen Bescheids infolge einer "Verkettung unglücklicher Umstände" ein entschuldbarer Irrtum unterlaufen sei.

2. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist ist begründet.

2.1. Gemäß §33 VerfGG 1953 kann in Fällen des Art144 B-VG wegen Versäumung einer Frist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stattfinden.

Da das VerfGG 1953 in seinem §33 die Voraussetzungen für diese Wiedereinsetzung nicht selbst regelt, sind nach §35 (Abs1) VerfGG 1953 die entsprechenden Bestimmungen des §146 Abs1 ZPO sinngemäß anzuwenden: Danach ist einer Partei, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein "unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis" an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozeßhandlung verhindert wurde und die dadurch verursachte Versäumung für sie den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozeßhandlung zur Folge hatte. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Unter "minderem Grad des Versehens" ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs leichte Fahrlässigkeit zu verstehen, die dann vorliegt, wenn ein Fehler unterläuft, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begeht (vgl. zB VfSlg. 11186/1986). Der Verfassungsgerichtshof sieht keinen Anlaß, das Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag in Zweifel zu ziehen, daß es nach den besonderen Umständen dieses Falls zu einem Irrtum des juristischen Mitarbeiters der Rechtsanwaltskanzlei über den Zeitpunkt der Zustellung des angefochtenen Bescheids (durch Hinterlegung) kam, der sich nicht ohne weiteres hätte vermeiden lassen. Auch wenn dieser Irrtum einem Bevollmächtigten des Beschwerdeführers zur Last fällt (vgl. §39 ZPO iVm §35 Abs1 VerfGG 1953), kann unter den gegebenen Umständen jedenfalls nicht von einer groben Fahrlässigkeit gesprochen werden.

2.2. Der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist war daher - gemäß §33 zweiter Satz VerfGG 1953 in nichtöffentlicher Sitzung - Folge zu geben.

2.3. Der Beschluß des Verfassungsgerichtshofs vom 16. März 1995, GZ B475/95-4 (s. Pkt. 1.1.), war infolgedessen gemäß §150 Abs1 letzter Satz ZPO iVm §35 Abs1 VerfGG 1953 aufzuheben (vgl. zB VfSlg. 13649/1993).

3. Der Verfassungsgerichtshof lehnt jedoch unter einem die Behandlung der Beschwerde aus folgenden Erwägungen ab:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde in einer - nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofs ausgeschlossenen - Angelegenheit ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die Beschwerde rügt die Verletzung näher bezeichneter, verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte sowie - allerdings unsubstantiiert - in Rechten wegen Anwendung rechtswidriger genereller Normen. Die gerügte Rechtsverletzung wäre nach Lage des Falls aber nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes (vgl. im übrigen zB zu §6 Abs2 und §13 Abs1 AufG VfGH 16.6.1995

B 1611-1614/94). Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen verlangt die Beantwortung der aufgeworfenen Fragen hingegen nicht.

Die Sache ist auch nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofs ausgeschlossen.

4. Es wird daher beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde abzusehen (§19 Abs3 Z1 VerfGG 1953) und sie gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten.

Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung.

Schlagworte

VfGH / Wiedereinsetzung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1996:B1175.1995

Dokumentnummer

JFT_10039774_95B01175_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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