Entscheidungsdatum
09.09.2019Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z2Spruch
L518 2178307-1/18E
L518 2178329-1/12E
L518 2178315-1/12E
L518 2178326-1/9E
L518 2178320-1/9E
L518 2178323-1/9E
SCHRIFTLICHE AUSFERTIGUNG DES AM 19.08.2019 MÜNDLICH VERKÜNDETEN ERKENNTNISSES
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Markus STEININGER als Einzelrichter über die Beschwerden von XXXX , geb. XXXX , XXXX alias XXXX , geb. XXXX , XXXX alias XXXX , geb. XXXX , XXXX , geb XXXX , XXXX , geb. XXXX , XXXX , geb. XXXX , alle StA. Armenien, die minderjährigen Viert- bis Sechstbeschwerdeführer gesetzlich vertreten durch die Kindesmutter XXXX alias XXXX , alle vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Helmut BLUM, gegen die Bescheide des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, vom 12.10.2017, Zl. XXXX , Zl. XXXX , Zl. XXXX , Zl. XXXX , Zl. XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19.08.2019 zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerden werden mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, als die Einreiseverbote behoben werden.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang
I.1. Die beschwerdeführenden Parteien (in weiterer Folge gemäß der Reihenfolge ihrer Nennung im Spruch kurz als "bP1" bis "bP6" bezeichnet), sind Staatsangehörige der Republik Armenien und brachten nach rechtswidriger Einreise in das Hoheitsgebiet der Europäischen Union und in weiterer Folge nach Österreich am 10.09.2015 bei der belangten Behörde (in weiterer Folge "bB") Anträge auf internationalen Schutz ein bzw. wurde für die in Österreich geborene bP 6 am 20.06.2016 ein Antrag eingebracht.
Die männliche bP2 und die weibliche bP3 sind kirchlich verheiratet und Eltern der minderjährigen bP 4-6. Die bP 1 ist die Mutter der bP 2.
I.2. Vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes brachte die bP 2 im Wesentlichen Folgendes vor:
Von 2007 bis 2010 arbeitete ich in einer Sportschule als Direktor. Das Bildungs- und Wissenschaftsministerium finanzierte diese Schule. Da ich vier Monate lang kein Gehalt bekommen hatte, gab es Konflikte zwischen mir und dem Präsidenten dieser Gesellschaft, XXXX (idF K). Das Ministerium hat uns beide auf Grund der Konflikte entlassen. Ich durfte aber in derselben Schule als Trainer weiter arbeiten. Ich wurde seitdem von K verfolgt. Es gab 3 Übergriffe gegen mich. Jedes Mal zeigte ich ihn bei der Polizei an, trotzdem blieben seine Taten unbestraft. Am XXXX 2015 wurden meine Lebensgefährtin und unser ältester Sohn, neben dem Eingang unseres Wohnhauses, auf der Straße von 4 Männern verprügelt. Einer von denen war K. Auch diesen Vorfall meldete ich bei der Polizei und zeigte ihn an. Auch diese Anzeige blieb erfolglos. Er behauptete, dass er nicht dabei gewesen ist. Daraufhin gingen wir von XXXX (idF G) weg und wohnten bis zur Ausreise bei verschiedenen Verwandten in Jerewan. In dieser Zeit organisierte ich unsere Ausreise und wir sind am XXXX 2015 mit meiner Familie nach Kiew geflogen und danach nach Österreich gekommen, wo wir am XXXX 2015 angekommen sind.
Am XXXX 2015 bin ich gemeinsam mit meiner Lebensgefährtin, unseren Kindern und meiner Mutter von Jerewan nach Kiew/Ukraine geflogen. Der Schlepper flog mit uns mit. In Kiew blieben wir 3 Tage lang in einem Hotel. Am 09.09.2015 holte er uns mit einem Mercedes Kleinbus im Hotel ab. Der Fahrer war vermutlich Ukrainer. Der Schlepper saß am Beifahrersitz und wir hinten. Ich habe nicht aufgepasst, über welche Länder wir gefahren sind. Ich vermute, dass wir über Ungarn nach Österreich eingereist sind. Gestern, am XXXX 2015, gegen 18:00 Uhr ließen uns der Schlepper und der Fahrer ca. 100 m vom Lager entfernt, in Traiskirchen, aussteigen. Wir gingen zu Fuß ins Lager und stellten einen Asylantrag. Die Reisepässe, die wir ihm bereits am Flughafen in Jerewan übergeben hatten, gab er uns nicht zurück.
Vor den Organen des BFA brachte die bP 2 am 12.09.2017 im Wesentlichen Folgendes vor:
Sie sei als Direktor entlassen worden, habe aber bis zur Ausreise als Trainer weiter gearbeitet. Sie habe unter Einhaltung der Kündigungsfrist gekündigt. Bis zur Ausreise hätten sie immer in G gelebt.
Konkret zum Fluchtgrund führte die bP 2 aus:
F.: Schildern Sie die Gründe, warum sie Ihr Heimatland verlassen und einen Asylantrag gestellt haben, von sich aus vollständig und wahrheitsgemäß.
Sie werden darauf hingewiesen, dass falsche Angaben die Glaubwürdigkeit Ihres Vorbringens beeinträchtigen können.
Sollten Sie zu irgendeinem Zeitpunkt vor österreichischen Behörden falsche Angaben gemacht haben oder sollte es zu sonstigen Ungereimtheiten gekommen sein, so werden Sie aufgefordert, dies jetzt bekannt zu geben.
Soweit Sie auf Ereignisse Bezug nehmen, werden Sie auch aufgefordert, den Ort und die Zeit zu nennen, wann diese stattfanden und die Personen, die daran beteiligt waren.
A.: Ich habe von 2007 bis 2010 in einer Sportschule als Direktor gearbeitet. Diese Schule wurde von einem Verein, welcher dem Bildungs- und Wissenschaftsministerium nahestand finanziert. Da ich vier Monate lang kein Gehalt bekommen hatte, gab es Konflikte zwischen mir und dem Präsidenten dieses Vereines bzw. dieser Gesellschaft. Dieser führt den Namen K.. Das Ministerium hat uns beide auf Grund des zwischen uns schwelenden Konflikts entlassen.
Er sah sich um einen anderen Job um und ich habe an der Schule, wo ich den Direktorposten innehatte, als Trainer weiter gearbeitet.
Aber K gab keine Ruhe. Er hat mich insgesamt drei Mal geschlagen. Beim dritten Mal hat er, K, drei Männer gedungen, mich, meine Lebensgefährtin und meinen ältesten Sohn zu schlagen. Das war am XXXX 2015.Er, K, war auch dabei.
Dann übersiedelten wir nach Yerevan und ich plante die Ausreise.
F.: Wer ist nun dieser K.
A.: Er ist der Präsident von " XXXX " - er hat mir im Sommer 2010 vier Monate kein Gehalt bezahlt und dieses Gehalt wurde mir dann im Dezember 2010 im Nachhinein überwiesen.
F.: Wann fanden die ersten beiden Übergriffe des K gegen Sie statt.
A.: Ein Übergriff fand am XXXX 2011 statt, die anderen beiden Übergriffe fanden am XXXX 2013 und am XXXX 2015 statt.
F.: Haben Sie K zur Anzeige gebracht.
A.: Ja, ich habe ihn am XXXX 2013 zur Anzeige gebracht, bei der Polizei in der Stadt G, aber die Behörden haben nichts vorangebracht.
F.: Warum ist nun dieser K - Präsident des Vereins " XXXX " auf Sie losgegangen.
A.: Beide wurden wir Mitte November 2010 entlassen. Er wurde als Präsident des Vereins " XXXX " entlassen und ich wurde am selben Tag als Direktor der Schule entlassen. Er übersiedelte dann Ende 2010 in die Russische Föderation. Ich habe Herrn K seit Dezember 2010 nicht mehr gesehen. Ich wollte den Kontakt mit ihm gerne aufrecht erhalten, aber es ist mir nicht gelungen.
F.: Kann man sagen K ist deswegen auf Sie losgegangen, weil er seinen Job verloren hat.
A.: Ja, so kann man das sagen, er hat mich mehrmals angelogen und einmal hat er eine Ohrfeige von mir erhalten.
F.: Und aus diesem Grunde ist er ein Jahr später, drei Jahre später und fünf Jahre später auf Sie losgegangen.
A.: Ja. Ich habe ihn zur Anzeige gebracht, aber die Polizei, welche ihn suchte, gab mir die Auskunft, er wäre in der Russischen Föderation und zwar in Moskau und die Polizei könnte nichts ausrichten.
F.: Gibt es noch andere Gründe, warum Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen haben.
A.: Nein.
F.: Haben Sie sämtliche Gründe, warum Sie die Heimat verlassen haben, vollständig geschildert.
A.: Ja.
F.: Was würde Sie konkret erwarten, wenn Sie jetzt in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren müssten.
A.: Ich würde dort vernichtet. Ich möchte darüber nicht nachdenken. Im Vordergrund steht nicht unbedingt mein Wohlergehen, sondern das Wohlergehen meiner Familie. Ich habe meine Vergangenheit in Armenien zurückgelassen.
...
Nach erfolgter Rückübersetzung gebe ich an, dass meine Angaben richtig und vollständig sind. Ich möchte meinen Ausführungen zum Fluchtgrund noch Folgendes hinzufügen:
Ich habe im Jahr 2011 in Armenien Folgendes erlebt. Wir haben den Sieg des XXXX gefeiert, das war am XXXX 2011. Wir feierten in der Schule " XXXX " in einem kleinen Zimmer, wir waren zu viert. XXXX (ein Sporttrainer) sah die Handgranate. Die Handgranate kam zur Explosion. Ich und ein Security Mitarbeiter wurden verletzt (ein Röntgenbild wird vorgelegt - ein Name steht nicht darauf - es kann nicht zugeordnet werden). Ich habe noch Splitter in meinem Körper, die operativ nicht entfernt werden konnten.
Am XXXX2011 wurde XXXX , der Sohn von K verhaftet. Ich selbst habe XXXX bis zu diesem Tag trainiert (insgesamt 11 Jahre lang). Damals, noch im Mai 2011 wurde ich von der Polizei einvernommen - ich konnte bis zum Schluss nicht glauben, dass dieser Junge (zum Zeitpunkt der Tat 17 Jahre alt) diese Tat tatsächlich begangen hatte. Er wurde zu einem Jahr unbedingter Haft verurteilt. XXXX legte aber ein Gutachten vor, dass er psychisch krank sei und er wurde aus der Haft entlassen.
Dann ging das Leben normal weiter.
Dann am XXXX 2013 im Zeitraum zwischen 20:30 und 21:00 Uhr fuhr ich nach Hause - ich parkte mein Auto in der Garage. Ich hörte einen Schuss, wurde getroffen und zwar an der linken Hand. Ich sah einen Mann mit einer Pistole stehen. Diese Person hat ein zweites Mal geschossen. Ich bin dann nach Hause gelaufen (ein weiteres Röntgenbild wird vorgelegt). Die Kugel befindet sich noch in meinem Körper, sie wurde nie entfernt.
Es kam die Rettung, die Polizei. Die Polizeibeamten haben mich noch am Tatort befragt. Ein Polizeibeamter kam mir bekannt vor und ich erkannte, dass einer der Freund von K sei. Auf Nachfrage gebe ich an, der Polizeibeamte heißt XXXX und macht Dienst in G (2. oder 4. Polizeiinspektorat). Dieser Beamte namens XXXX bot mir an mich ins Krankenhaus zu bringen. Ich ging aber nicht ins Krankenhaus.
Wer der Täter war, konnte bis heute nicht erhoben werden.
...
V ist Krankenschwester in G im allgemeinen Krankenhaus.
V hat meine Wunden versorgt, aber die Kugel nicht herausgeholt. V brachte mich dann in das Krankenhaus, in dem sie beschäftigt ist. Dort wurde mir dann gesagt, die Kugel müsse nicht entfernt werden. Wenn ich Schmerzen hätte, solle ich kommen. Wenn nicht, dann nicht.
Dann ging das Leben weiter, wir kehrten zur Normalität zurück.
Am XXXX 2015 kamen wir vom Haus meines Onkels XXXX in unser Haus zurück - wir kamen gerade von einer Feier. Wir, meine Frau, mein ältester Sohn und ich, waren gerade mit dem Auto unterwegs. Ich parkte das Auto im Hof unseres Hauses. Im Hof befinden sich Bäume. Eine mir unbekannte Person sprang hinter einem Baum hervor und schlug mich auf den Kopf. Diese Person sagte, sie würde mich töten. Ich sah, dass vier Personen beteiligt waren. Ich wurde von diesen Personen geschlagen, verprügelt. Meine Mutter kam aus dem Hause, Nachbarn kamen aus den Häusern und die vier Personen flüchteten. Ein Nachbar brachte mich dann ins Krankenhaus. Ich wurde dann im Krankenhaus ambulant behandelt und am selben Abend wieder entlassen. Ich habe aber heute noch Wunden. Damals war auch die Polizei ins Krankenhaus gekommen. Ich habe der Polizei gegenüber die Vermutung geäußert, dass K die Schuld an diesem Übergriff trüge.
Die Polizei jedoch gab auf meine Anschuldigungen hin bekannt, dass K unmöglich der Täter sein könne, denn er wäre in Moskau aufhältig.
Dann, drei Tage danach, am XXXX 2015 wurde ich wiederum von der Polizei einvernommen und wir gingen dann, nachdem ich einsah, dass ich keinen Ausweg finden würde, nach Erevan. Meine Frau ist Friseuse und sie hat in diesem Beruf gearbeitet. Meine Mutter ist Geschäftsfrau und wir hatten keine Probleme. In Yerevan lebten wir beim Onkel mütterlicherseits meiner Frau - der Onkel heißt XXXX (Familienname nicht erinnerlich) und die Adresse in Yerevan ist mir nicht bekannt. Wir lebten dann ca. eine Woche bei XXXX , dann eine Woche bei XXXX (Familienname unbekannt), sie ist meine Großcousine mütterlicherseits. Sie lebt in Yerevan an der Adresse XXXX .
In G gibt es Bekannte, die sowohl mich als auch K kennen und sie erzählten mir, dass er nach mir gefragt hätte und dass er in G gesehen worden wäre. Dann entschloss ich mich zur Ausreise.
Am 28.09.2017 langte eine Stellungnahme der bP ein, in welcher sie Berichtigungen zu den Niederschriften bekannt gaben.
Am 02.10.2017 langte eine Anfragebeantwortung ein.
Vor den Organen des BFA brachte die bP 2 am 11.10.2017 im Wesentlichen Folgendes vor:
V.: Sie stützen sich mit Ihrem Fluchtgrund auf Übergriffe des K. Sie beide wären aufgrund von Streitigkeiten und Regelwidrigkeiten entlassen worden. Sie hätten wiederum einen Arbeitsplatz als Trainer gefunden, wohingegegen Herr K keine Arbeit mehr gefunden hätte und hinfort Sie als seinen Fein auserkoren, geschlagen und drangsaliert hätte.
Sie haben der ho. Behörde u.a. folgendes Beweismittel vorgelegt:
Geburtsurkunde von bP 1 in Kopie samt beglaubigter Übersetzung
Wehrdienstbuch Original
Kopie Urteil Bezirksgericht XXXX - Urteil Nr. XXXX , vom XXXX
Kopie Bestätigung über Krankenhaus Nr. XXXX bis .... (im Original und in Kopie)
Kopie Arztbrief Bestätigung Nr. XXXX 2015 (im Original und in Kopie)
Ihr Vorbringen und die vorgelegten Dokumente wurden einer Überprüfung unterzogen.
Am 02.10.2017 langte die Anfragebeantwortung ein.
Echtheit der vorgelegten Dokumente:
1. Kopie der Geburtsurkunde - echt
2. Militärisches Buch - echt
3. Kopie des Gerichtsurteils - echt
4. Medizinische Referenz N408 - echt
5. Vier Unterstützungsschreiben und die medizinische Referenz XXXX , ausgestellt am XXXX 2015 sind gefälscht.
Der Vorfall mit XXXX :
Dieser Vorfall hat wirklich stattgefunden, am XXXX 2011. Der minderjährige XXXX , Sohn des XXXX und Schüler der Wrestling-Schule, hat eine Granate geworfen und dabei 4 Personen verletzt, darunter auch XXXX . Die Geschichte, wie sie vom Antragsteller wiedergegeben wurde, stimmt aber nicht mit den Fakten überein, die während der Ermittlungen festgestellt werden konnten.
Vor allem wurde vor Gericht bewiesen, dass XXXX und seine Freunde den XXXX , seinen Vater und andere Familienmitglieder beleidigten und den Vater der Misswirtschaft der Wrestling-Schule beschuldigten. Diese Beleidigungen sind regelmäßig passiert. Am XXXX 2011 waren der Antragsteller und seine Freunde im Rauschzustand und beleidigten den XXXX erneut, der im Affekt die obengenannte Tat beging. Bei der medizinischen Untersuchung wurde festgestellt, dass er mental und physisch gesund ist. Er war in keiner Psychiatrie, aber er war ein Jahr lang in Untersuchungshaft. Das Gericht hat ihn zu 4 Jahren Gefängnisstrafe verurteilt, aber aufgrund einer Amnestie, wurde er von der weiteren Strafe befreit und vom Gericht freigelassen.
Möchten Sie dazu eine Stellungnahme abgeben.
A.: Die medizinische Referenz XXXX , ausgestellt am XXXX 2015 kann ich auch in der echten Version vorlegen. XXXX war mit mir sehr oft zusammen. XXXX hat nicht die Granante geworfen, sondern sein Vater hat organisiert, dass die Granate geworfen wurde. XXXX war damals 17 Jahre alt und nach meiner Einschätzung kann er die Granate nicht geworfen haben.
Ich habe die die medizinische Referenz XXXX , ausgestellt am XXXX 2015 im Original vorgelegt und behaupte, dass diese medizinische Referenz XXXX echt ist. Ich kann darüber hinaus nichts mehr vorlegen.
F.: Hat sich gegenüber der letzten Einvernahme an Ihrem Privat- oder Familienleben etwas Wesentliches verändert.
A.: Nein, es hat sich nichts Wesentliches verändert, was mein Privat- oder Familienleben betrifft.
Nach erfolgter Rückübersetzung gebe ich an, dass meine Angaben richtig und vollständig sind. In Armenien gibt es in den Krankenhäusern Datenbanken, alle Arztbriefe sind dort erhältlich. Die ho. Behörde könnte auch direkt vor Ort alles kontrollieren.
bP 1, 3 - bP6 beriefen sich auf die Gründe der bP2 und auf den gemeinsamen Familienverband. Von bP 1 und 3 wurde im Wesentlichen das Vorbringen der bP 2 bestätigt.
Vorgelegt wurde von den bP:
* Kopie Bestätigung über Krankenhaus XXXX bis .... (im Original und in Kopie)
* Kopie Arztbrief Bestätigung XXXX 2015 (im Original und in Kopie)
* Kopie Urteil Bezirksgericht XXXX
* Empfehlung von XXXX (Sportorganisation) undatiert
* Empfehlung von Stadt XXXX (Magistrat, Sportabteilung) undatiert
* Empfehlung von der Sportschule XXXX vom 22.05.2012
* Empfehlung von der Sportschule - Abteilung Ringen (Freestyle) vom 29.07.2013
* Kopie des österreichischen Führerscheins bP 2
* Geburtsurkunden der bP
* Diplom von bP 1 in Kopie
* Bestätigung, dass von XXXX Profisportler ist, in Kopie
* Zeitungsausschnitt in Kopie von Weltmeisterschaften XXXX Platz
* Wehrdienstbuch Nr. XXXX Original
* Zertifikat Deutsch Niveau A1 betr. bP 1
* Teilnahmebescheinigung Deutsch A2 betr. bP 1
* Diverse armenische Auszeichnungen für die bP 2 und bP 4
* Soma Referenzschreiben bP 1 und bP 2
* Zahlreiche Unterstützungsschreiben für die gesamte Familie von Nachbarn, Lehrern, Gemeinderätinnen, Bürgermeister, Kindergartenpädagoginnen
* Unterstützungsschreiben vom Arbeitgeber der bP 2
* Unterschriftenliste für die bP von 14 Nachbarn
* Unterlagen zum Schulbesuch sowie Kindergartenbesuch der bP 4 und 5
* Dienstleistungsscheck für bP 3
* Unterlagen zu den Deutschkursen und Prüfungen der bP
* Unterlagen zur Schwangerschaft der bP 3
* Augenarztüberweisung bP 4
* Österr. Unfallbericht und Laboruntersuchung bP 1
* Diplom von bP 2 in Kopie
I.3. Die Anträge der bP auf internationalen Schutz wurden folglich mit im Spruch genannten Bescheiden der bB gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Armenien nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die bP eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Armenien gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III).
Eine Frist zur freiwilligen Ausreise von 14 Tagen wurde gewährt.
Hinsichtlich der bP 2 und 3 wurden Einreiseverbote für die Dauer von 3 Jahren gemäß § 53 FPG erlassen.
Betreffend die bP 1 wurde die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gemäß § 18 BFA-VG aberkannt.
I.3.1. Im Rahmen der Beweiswürdigung erachtete die bB das Vorbringen der bP in Bezug auf die Existenz einer aktuellen Gefahr einer Verfolgung als nicht glaubhaft und führte hierzu Folgendes aus (Wiedergabe aus dem angefochtenen Bescheid in Bezug auf bP2) :
- betreffend die Feststellungen der Gründe für das Verlassen des Herkunftslandes:
Die freie Beweiswürdigung ist ein Denkprozess, der den Regeln der Logik zu folgen hat und im Ergebnis zu einer Wahrscheinlichkeitsbeurteilung eines bestimmten historisch-empirischen Sachverhalts, also von Tatsachen, führt. Der Verwaltungsgerichtshof führt dazu präzisierend aus, dass eine Tatsache in freier Beweiswürdigung nur dann als erwiesen angenommen werden darf, wenn die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens ausreichende und sichere Anhaltspunkte für eine derartige Schlussfolgerung liefern (VwGH 28.09.1978, Zahl 1013, 1015/76). Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Auflage, §
45 AVG, E 50, Seite 305, führen beispielsweise in Zitierung des Urteils des Obersten Gerichtshofs vom 29.02.1987, Zahl 13 Os 17/87, aus: "Die aus der gewissenhaften Prüfung aller für und wider vorgebrachten Beweismittel gewonnene freie Überzeugung der Tatrichter wird durch eine hypothetisch denkbare andere Geschehensvariante nicht ausgeschlossen. Muss doch dort, wo ein Beweisobjekt der Untersuchung mit den Methoden einer Naturwissenschaft oder unmittelbar einer mathematischen Zergliederung nicht zugänglich ist, dem Richter ein empirisch-historischer Beweis genügen. Im gedanklichen Bereich der Empirie vermag daher eine höchste, ja auch eine (nur) hohe Wahrscheinlichkeit die Überzeugung von der Richtigkeit der wahrscheinlichen Tatsache zu begründen, (...)".
Sie führten zu Ihren Asylgründen befragt an, Sie hätten von 2007 bis 2010 in einer Sportschule als Direktor gearbeitet. Diese Schule wäre von einem Verein, welcher dem Bildungs- und Wissenschaftsministerium nahestand finanziert worden. Sie hätten vier Monate lang kein Gehalt bekommen - es hätte Konflikte zwischen Ihnen und dem Präsidenten dieses Vereines bzw. dieser Gesellschaft namens K gegeben. Das Ministerium hätte Sie beide auf Grund des zwischen Ihnen schwelenden Konflikts entlassen.
In der Folge hätte K gab keine Ruhe gegeben. Er hätte Sie insgesamt drei Mal geschlagen. Beim dritten Mal hat er, K, drei Männer gedungen, Sie, Ihre Lebensgefährtin und Ihren ältesten Sohn zu schlagen. Das wäre am XXXX 2015 gewesen - K wäre auch dabei gewesen.
K wäre ist der Präsident von " XXXX " - er hätte Ihnen im Sommer 2010 vier Monate lang kein Gehalt bezahlt und dieses Gehalt wäre Ihnen dann im Dezember 2010 im Nachhinein überwiesen worden.
Die ersten beiden Übergriffe des K hätten am XXXX 2011 stattgefunden, die beiden anderen Übergriffe hätten am XXXX 2013 und am XXXX 2015 stattgefunden.
Den Übergriff vom XXXX 2013 hätten Sie bei der Polizei der Stadt XXXX zur Anzeige gebracht, aber die Behörden hätten nichts vorangebracht.
Warum nun dieser K - Präsident des Vereins " XXXX " auf Sie losgegangen sei, konnten Sie nicht konkret angeben. Sie führten aus, er wäre Mitte November 2010 entlassen worden, er wäre Ende 2010 in die Russische Föderation übersiedelt - Sie hätten Herrn K seit Dezember 2010 nicht mehr gesehen. Sie hätten den Kontakt mit ihm gerne aufrecht erhalten, aber es ist wäre Ihnen nicht gelungen. Einmal hätte K eine Ohrfeige von Ihnen erhalten.
Ihr Vorbringen ist aus mehreren Gründen nicht nachvollziehbar.
Allein deswegen, weil Sie bis zur Ausreise arbeiteten und am öffentlichen Leben teilnahmen und bis zur Ausreise an ein und demselben Wohnort verblieben, ist jedwede asylrelevante Verfolgung, welche Ihnen eine Weiterverbleib im Heimatlant unmöglich gemacht hätte, nicht nachvollziehbar. Sie haben am XXXX 2015 eine Übersiedlung nach Yerevan vorgenommen (zusammen mit der Familie) und sind noch bis zur Ausreise am XXXX 2015 nach XXXX gefahren um dort Ihrer Beschäftigung als Trainer nachzugehen.
Auch die Tatsache, dass Sie im Jahr XXXX als Haupttrainer die XXXX bestritten und von XXXX wiederum freiwillig in den Heimatstaat zurückkehrten, obwohl die von Ihnen geschilderte "Verfolgung durch XXXX " damals schon bestanden haben will, lässt Ihr Vorbringen nachhaltig als unglaubhaft erscheinen.
Ihre Kinder haben bis März/April 2015 die Schule besucht. Am XXXX 2015 reisten Sie mit der Familie nach Yerevan. Am XXXX 2015 haben Sie die Heimat mit dem Flugzeug verlassen.
Ihr Vorbringen und die vorgelegten Dokumente wurden einer Überprüfung unterzogen. Am 02.10.2017 langte die Anfragebeantwortung ein. Demnach haben Sie der Behörde fünf gefälschte Dokumente vorgelegt. Vier Unterstützungsschreiben und die medizinische Referenz XXXX 2015 sind gefälscht.
Laut Anfragebeantwortung hat der von Ihnen ins Treffen gebrachte Vorfall hat wirklich stattgefunden und zwar am XXXX 2011. Der minderjährige XXXX und Schüler der Wrestling-Schule, hat eine Granate geworfen und dabei 4 Personen verletzt, darunter auch XXXX .
Die Geschichte, wie sie von Ihnen wiedergegeben wurde, stimmt aber nicht mit den Fakten überein, die während der Ermittlungen festgestellt werden konnten.
Vor allem wurde vor Gericht bewiesen, dass XXXX und seine Freunde den XXXX , seinen Vater und andere Familienmitglieder beleidigten und den Vater der Misswirtschaft der Wrestling-Schule beschuldigten. Diese Beleidigungen sind regelmäßig passiert. Am XXXX 2011 waren der Antragsteller und seine Freunde im Rauschzustand und beleidigten den XXXX erneut, der im Affekt die obengenannte Tat beging. Bei der medizinischen Untersuchung wurde festgestellt, dass er mental und physisch gesund ist. Er war in keiner Psychiatrie, aber er war ein Jahr lang in Untersuchungshaft. Das Gericht hat ihn zu 4 Jahren Gefängnisstrafe verurteilt, aber aufgrund einer Amnestie, wurde er von der weiteren Strafe befreit und vom Gericht freigelassen.
Ihre Antwort auf den entsprechenden Vorhalt - Sie würden die medizinische Referenz XXXX 2015 - auch in der echten Version vorlegen können und Sie würden persönlich davon ausgehen, dass XXXX die Granate auf Geheiß seines Vaters geworfen hätte, kann nicht als Rechtfertigung anerkannt werden.
Also auch hieraus ließ sich nicht ableiten, dass Sie in Armenien asylrelevante Probleme zu gewärtigen gehabt hätten.
Das Sie Unterlagen (vier Unterstützungsschreiben aus Armenien) fälschen, die ursächlich mit dem Asylvorbringen nichts zu tun haben, lässt Rückschlüsse auf die Glaubhaftigkeit des Asylvorbringens und Rückschlüsse auf die Glaubwürdigkeit Ihrer Person zu - mit anderen Worten - die Fälschung der vier Unterstützungsschreiben aus Armenien lässt Sie als Person vollkommen unglaubwürdig erscheinen.
Die Behörde geht vielmehr davon aus, dass allein wirtschaftliche Probleme bzw. die Suche nach wirtschaftlicher Prosperität Sie veranlassten Ihrer Heimat den Rücken zu kehren.
Im Ergebnis ist festzustellen, dass Ihren Angaben zu den behaupteten Ausreisegründen sich als nicht nachvollziehbar und daher als nicht asylrelevant erwiesen und daher den weiteren Feststellungen und Erwägungen nicht zu Grunde gelegt werden können.
- betreffend die Feststellung Ihrer Situation im Falle der Rückkehr:
Die Feststellungen zu Ihrer Situation im Fall der Rückkehr ergeben sich aus Ihren eigenen Angaben in Ihrem Asylverfahren.
Im vorliegenden Fall wird darauf hingewiesen, dass Sie im Falle Ihrer Rückkehr nach Armenien nicht um Ihr Leben fürchten müssen. Werden die Länderfeststellungen zur Ihrem Heimatland betrachtet, liegen keine Informationen über eine gezielte Verfolgung von abgewiesenen Asylwerbern vor.
Soweit Ihre Rückkehrsituation in Betracht zu ziehen ist, wird angeführt, dass Sie sich in Ihrer Heimat niederlassen könnten.
Es handelt sich bei Ihnen um einen armenischen Staatsangehörigen mit abgeschlossener Schulbildung und Universitätsbildung. Sie sind laut eigenen Angaben selbsterhaltungsfähig.
Die Feststellung, dass Sie keiner schweren oder lebensbedrohlichen Erkrankung leiden, ergibt sich aus der Aktenlage und auch aus Ihren Angaben während der niederschriftlichen Einvernahme.
Aufgrund der vorhandenen familiären Anknüpfungspunkte, aufgrund der Feststellungen zur gewährleisteten Grundversorgung in Armenien und des Umstandes, dass es sich bei Ihnen um einen selbsterhaltungsfähigen Mann handelt, welcher in Armenien über Verwandte und Freunde verfügt, die zur Lebensführung beitragen, ist davon auszugehen, dass Sie im Falle einer Rückkehr in Ihr Heimatland nicht in eine die Existenz bedrohende Notlage gelangen würden. Sie verfügen über eine Unterkunft in Armenien. Ebenso wäre Ihnen die Unterstützungsleistung aus dem Ausland zugänglich, da das Bankenwesen in Armenien funktioniert.
...
- betreffend die Verhängung des Einreiseverbots:
Die von Ihnen vorgelegten Dokumente aus Armenien wurden übersetzt und zum Akt genommen. Die von Ihnen vorgelegten Dokumente aus Armenien wurden in Armenien einer Echtheitsprüfung unterzogen. Ihr Fluchtvorbringen wurde einer Überprüfung unterzogen.
Sie stützen sich mit Ihrem Fluchtgrund auf Übergriffe des XXXX . Sie beide wären aufgrund von Streitigkeiten und Regelwidrigkeiten entlassen worden. Sie hätten wiederum einen Arbeitsplatz als Trainer gefunden, wohingegegen Herr XXXX keine Arbeit mehr gefunden hätte und hinfort Sie als seinen Fein auserkoren, geschlagen und drangsaliert hätte.
Sie haben der ho. Behörde u.a. folgendes Beweismittel vorgelegt:
...
Am 02.10.2017 langte das Erhebungsergebnis ein, wonach fünf von Ihnen vorgelegten Unterlagen aus Armenien Fälschungen und die übrigen Unterlagen echt sind. Das Erhebungsergebnis wird wie folgt wiedergegeben:
Echtheit der vorgelegten Dokumente:
1. Kopie der Geburtsurkunde - echt
2. Militärisches Buch - echt
3. Kopie des Gerichtsurteils - echt
4. Medizinische Referenz XXXX - echt
5. Vier Unterstützungsschreiben und die medizinische Referenz XXXX , ausgestellt am XXXX sind gefälscht.
Der Vorfall mit XXXX :
Dieser Vorfall hat wirklich stattgefunden, am XXXX 2011. Der minderjährige XXXX , Sohn des XXXX und Schüler der Wrestling-Schule, hat eine Granate geworfen und dabei 4 Personen verletzt, darunter auch XXXX . Die Geschichte, wie sie vom Antragsteller wiedergegeben wurde, stimmt aber nicht mit den Fakten überein, die während der Ermittlungen festgestellt werden konnten.
Vor allem wurde vor Gericht bewiesen, dass XXXX und seine Freunde den XXXX seinen Vater und andere Familienmitglieder beleidigten und den Vater der Misswirtschaft der Wrestling-Schule beschuldigten. Diese Beleidigungen sind regelmäßig passiert. Am XXXX 2011 waren der Antragsteller und seine Freunde im Rauschzustand und beleidigten den XXXX erneut, der im Affekt die obengenannte Tat beging. Bei der medizinischen Untersuchung wurde festgestellt, dass er mental und physisch gesund ist. Er war in keiner Psychiatrie, aber er war ein Jahr lang in Untersuchungshaft. Das Gericht hat ihn zu 4 Jahren Gefängnisstrafe verurteilt, aber aufgrund einer Amnestie, wurde er von der weiteren Strafe befreit und vom Gericht freigelassen.
Die Tatsache der Dokumentenfälschung und der Versuch sich mit der Vorlage gefälschter Dokumente in Österreich einen Aufenthaltstitel zu erschleichen, ist den in § 53 Abs. 2 FPG unter "insbesondere" aufgezählten Gründen für die Erlassung eines Einreiseverbotes gleichzuhalten.
Ihr gesamtes Vorbringen ist unglaubhaft, unplausibel und nicht mit der Tatsachenwelt vereinbar. Die ho. Behörde geht vielmehr davon aus, dass allein wirtschaftliche Probleme bzw. Arbeitslosigkeit Sie veranlassten Ihrer Heimat den Rücken zu kehren.
§ 53 Abs. 2 FPG ist in Ihrem Fall erfüllt. Es ist erwiesen, dass Sie das gegenständliche Asylverfahren dazu missbrauchen wollen, um sich einen Aufenthalt zu erschleichen. Hier darf im speziellen auf die falschen und irreführenden Angaben zu den Dokumenten, welche Ihr Fluchtvorbringen beweisen sollten, hingewiesen werden.
In Bezug auf die weitern bP wurde in sinngemäßer Weise argumentiert.
I.3.2. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Armenien traf die belangte Behörde ausführliche und schlüssige Feststellungen. Aus diesen geht hervor, dass in Armenien von einer unbedenklichen Sicherheitslage auszugehen und der armenische Staat gewillt und befähigt ist, auf seinem Territorium befindliche Menschen vor Repressalien Dritte wirksam zu schützen. Ebenso ist in Bezug auf die Lage der Menschenrechte davon auszugehen, dass sich hieraus in Bezug auf die bP ein im Wesentlichen unbedenkliches Bild ergibt. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass in der Republik Armenien die Grundversorgung der Bevölkerung gesichert ist, eine soziale Absicherung auf niedrigem Niveau besteht, die medizinische Grundversorgung flächendeckend gewährleistet ist, Rückkehrer mit keinen Repressalien zu rechnen haben und in die Gesellschaft integriert werden.
I.3.3. Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass weder ein unter Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GKF noch unter § 8 Abs. 1 AsylG zu subsumierender Sachverhalt hervorkam. Es hätten sich weiters keine Hinweise auf einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG ergeben und stelle die Rückkehrentscheidung auch keinen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 8 EMRK dar. Da die bP aus einem sicheren Herkunftsstaat stammen, wurde den Beschwerden die aufschiebende Wirkung aberkannt (§ 18 [1] 1 BFA-VG).
I.4. Gegen die im Spruch genannten Bescheide wurde mit im Akt ersichtlichen Schriftsatz innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben.
Im Wesentlichen wurde vorgebracht, dass die Einreiseverbote zu beheben wären und das Verfahren vor dem BFA mangelhaft geblieben wäre. An der vorzeitigen Entlassung des Sohnes des K sehe man, dass das System in Armenien nicht funktioniert. Es wurde auf die Länderfeststellungen der belangten Behörde hinsichtlich Korruption hingewiesen. Die Familie sei gut integriert in Österreich. Die angeblich gefälschten Empfehlungsschreiben wurden nochmals vorgelegt, allerdings nunmehr jeweils mit einem unterschriebenen und abgestempelten Zusatz aus 2017 (Beglaubigung), dass die Schreiben echt sind.
Vorgelegt wurde von den bP:
* ärztliche Bestätigung
* Fotos von Sportveranstaltungen
* Unterstützungsschreiben Soma bP 1
* Armenische Schreiben und Geburtsurkunden
* Auszahlungsbelege bP 2 Lohn als Forstarbeiter
I.5. Die Beschwerdevorlage langte am 30.11.2017 beim BVwG ein.
Mit Beschluss vom 04.12.2017 wurde der Beschwerde der bP 1 gegen den im Spruch genannten Bescheid die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
Mit Schreiben vom 04.01.2018 wurde mitgeteilt, dass für die bP Heimreisezertifikate erlangt werden konnten.
Am 16.10.2018 wurden die gegenständlichen Rechtssachen der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung neu zugewiesen.
I.6. Für den 19.08.2019 lud das erkennende Gericht die Verfahrensparteien zu einer mündlichen Beschwerdeverhandlung.
Gemeinsam mit der Ladung wurden Feststellungen zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat zugestellt. Ebenso wurde - in Ergänzung bzw. Wiederholung zu den bereits bei der belangten Behörde stattgefundenen Belehrungen - ua. hinsichtlich der Obliegenheit zur Mitwirkung im Verfahren manuduziert und wurden die bP aufgefordert, Bescheinigungsmittel vorzulegen.
Mit Schreiben vom 12.08.2019 wurden in Vorbereitung auf die Verhandlung vorgelegt:
Deutschzertifikate, Unterstützungsschreiben, Ferienpass Mitwirkung bP3, Schulzeugnisse, Fotos von Sportlern, Zeugnis der Stadt G sowie einer Sportvereinigung
Ausgeführt wurde in der Stellungnahme, dass im Hinblick auf die Übergriffe auf die bP 2 von einer Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit nicht ausgegangen werden könnte und die Korruption in Armenien ein erhebliches Problem darstelle.
In der Verhandlung wiederholten die bP ihre Fluchtgründe und legten einen Bescheid des AMS (Beschäftigungsbewilligung für Saisonarbeit Juni bis Oktober 2019 als Forstgehilfe) der bP 2 sowie ein armenisches Ausbildungszertifikat zur Friseurin der bP 3 vor.
Nach Durchführung der mündlichen Verhandlung wurde das Erkenntnis des BVwG vom selben Tag mündlich verkündet.
Die Beschwerden wurden als unbegründet abgewiesen. Die Revision wurde gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt. Die Einreiseverbote wurden behoben.
Die bP wurden iSd § 29 Abs. 2 a VwGVG über das Recht, binnen zwei Wochen nach Ausfolgung bzw. Zustellung der Niederschrift eine Ausfertigung gemäß § 29 Abs. 4 zu verlangen bzw. darüber, dass ein Antrag auf Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß § 29 Abs. 4 eine Voraussetzung für die Zulässigkeit der Revision beim Verwaltungsgerichtshof und der Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof darstellt, belehrt.
Nach Verkündung der Erkenntnisse wurde den bP sowie deren rechtsfreundlicher Vertretung eine Ausfertigung der Niederschrift ausgefolgt.
I.7. Mit Schreiben vom 19.08.2019 wurde die schriftliche Ausfertigung der mündlich verkündeten Erkenntnisse begehrt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
II.1.1. Die beschwerdeführenden Parteien
Bei den bP handelt es sich um im Herkunftsstaat der Mehrheits- und Titularethnie angehörige Armenier, welche aus einem überwiegend von Armeniern bewohnten Gebiet stammen und sich zum Mehrheitsglauben des Christentums bekennen.
Die bP 1-3 sind junge, gesunde, arbeitsfähige Menschen mit bestehenden familiären Anknüpfungspunkten im Herkunftsstaat und einer -wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich- gesicherten Existenzgrundlage.
Die Pflege und Obsorge der minderjährigen bP ist durch deren Eltern gesichert.
Die bP 1, 2, 3, 4 und 5 wurden in XXXX geboren. Die bP 2 hat dort die höhere Schule besucht, ein College abgeschlossen und im Anschluss als Trainer gearbeitet. Die bP 2 war Trainer seit 1998 in der Sportschule XXXX. Von 2007 bis 2010 war sie Direktor dieser Schule. Als Direktor wurde sie entlassen. Als Sporttrainer hat die bP weitergearbeitet und vor der Ausreise gekündigt - unter Einhaltung der Kündigungsfrist. Zudem hat sie als Trainer für die Stadt XXXX fungiert und wurde zeitweise von 2 Arbeitgebern bezahlt.
Die bP 2 erhielt mehrere Visa, zuletzt 2014, um an sportlichen Meisterschaften im Ringen teilzunehmen, was sie zu Erfolgen führte.
Die bP 4 hat in XXXX die Schule besucht, die bP 5 besuchte den Kindergarten. Die bP 3 wurde in XXXX geboren und hat nach der Schule als Friseurin in ihrem eigenen Salon gearbeitet. Die bP 1 hat die Schule und Universität besucht und zuletzt selbstständig als Obst- und Gemüsehändlerin gearbeitet. Die Geschäfte der bP 1 und 3 wurden mit der Ausreise stillgelegt.
Verwandte der bP, mit welchen sie in Kontakt stehen, leben nach wie vor in Armenien und gehen Beschäftigungen nach bzw. beziehen Pensionen.
Ein Bruder der bP 3 lebt als ehemaliger Asylwerber mit der Familie in Österreich und verfügen diese über ein Aufenthaltsrecht nach dem Niederlassungsgesetz. Ein gegenseitiges Pflege- und/oder Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Verwandten der Ehefrau und den bP ist nicht zu erkennen und wurde auch nicht behauptet.
Die bP möchten offensichtlich ihr künftiges Leben in Österreich gestalten und halten sich seit 4 Jahren im Bundesgebiet auf. Sie reisten rechtswidrig und mit Hilfe einer Schlepperorganisation in das Bundesgebiet ein. Sie leben teilweise von der Grundversorgung und haben Deutschkurse besucht. Die bP 2 und 3 haben die A2 Prüfung absolviert. Die bP sind strafrechtlich unbescholten. Die bP 4 besucht in Österreich die Schule und ist Mitglied in einem Sportverein, für welchen sie erfolgreich an Meisterschaften im Ringen teilnimmt. Die bP 4 wurde an einer HTL aufgenommen. Die bP 5 besucht die Volksschule und ist in einem Fußballverein. bP 6 besucht mit bP 3 eine Spielgruppe. Die bP 2 ist Mitglied in einem Sportverein und trainiert ehrenamtlich mehrmals wöchentlich Ringer.
Die bP 2 arbeitet seit Juni 2016 saisonal als Forstarbeiter und hat sich von 2015 - 2016 in einem Soma Markt ehrenamtlich betätigt. Die bP 1 hilft ehrenamtlich ca. 20-25h in einem Soma Markt. Die bP 3 unterstützt in der Schule die Aktion "Gesunde Jause" und beteiligt sich am Ferienprogramm der Gemeinde für Kinder.
Die bP leben in einem gemeinsamen Haushalt in Österreich. In Armenien verfügt die bP 3 über eine Eigentumswohnung, wo sie auch mit der bP 1, bP 2 und den Kindern vor ihrer Ausreise lebte. Die bP 2 besitzt zudem ein Haus in XXXX , welches leer steht und um das sich ein Onkel kümmert.
Alle bP sind gesund, die bP 2 hat sich im Krankenhaus untersuchen lassen, da sie Angst hatte, dass die Kugel in Richtung Herz wandert. Medizinische Behandlungen wurden als nicht notwendig angesehen. Die bP 1 leidet an Bluthochdruck und gelegentlichen Schmerzen und nimmt Tabletten ein.
Die Identität der bP steht fest.
II.1.2. Die Lage im Herkunftsstaat im Herkunftsstaat Armenien
Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass es sich bei Armenien um einen sicheren Herkunftsstaat gem. § 19 BFA-VG handelt.
Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat werden folgende Feststellungen getroffen:
Politische Lage
Armenien (arm.: Hayastan) umfasst knapp 29.800 km² und hatte im ersten Quartal 2019 eine Einwohnerzahl von 2,96 Millionen, was einen Rückgang von 0,3% zum Vergleichszeitraum des Vorjahres ausmachte (ArmStat 7.5.2019). Davon sind laut der Volkszählung von 2011 98,1% ethnische Armenier. Den Rest bilden kleinere Ethnien wie Jesiden und Russen (CIA 14.2.2019).
Armenien ist seit September 1991 eine unabhängige Republik. Die Verfassung von 2005 wurde zuletzt durch Referendum vom 6.12.2015 weitreichend geändert. Durch die Verfassungsreform wurde das semi-präsidentielle in ein parlamentarisches System umgewandelt. Das Ein-Kammer-Parlament (Nationalversammlung) hat nun 105 Mitglieder (zuvor 131) und wird alle fünf Jahre gewählt (AA 7.5.2019a).
Oppositionsführer Nikol Pashinyan wurde im Mai 2018 vom Parlament zum Premierminister gewählt, nachdem er wochenlange Massenproteste gegen die Regierungspartei angeführt und damit die politische Landschaft des Landes verändert hatte. Er hatte Druck auf die regierende Republikanische Partei durch eine beispiellose Kampagne des zivilen Ungehorsams ausgeübt, was zum schockartigen Rücktritt Serzh Sargsyans führte, der kurz zuvor das verfassungsmäßig gestärkte Amt des Premierministers übernommen hatte, nachdem er zehn Jahre lang als Präsident gedient hatte (BBC 20.12.2018).
Am 9.12.2018 fanden vorgezogene Parlamentswahlen statt, welche unter Achtung der Grundfreiheiten ein breites öffentliches Vertrauen genossen. Die offene politische Debatte, auch in den Medien, trug zu einem lebhaften Wahlkampf bei. Das generelle Fehlen von Verstößen gegen die Wahlordnung, einschließlich des Kaufs von Stimmen und des Drucks auf die Wähler, ermöglichte einen unverfälschten Wettbewerb (OSCE/ODIHR 10.12.2018). Die Allianz des amtierenden Premierministers Nikol Pashinyan unter dem Namen "Mein Schritt" erzielte einen Erdrutschsieg und erreichte 70,4% der Stimmen. Die ehemalige mit absoluter Mehrheit regierende Republikanische Partei (HHK) erreichte nur 4,7% und verpasste die 5-Prozent-Marke, um in die 101-Sitze umfassende Nationalversammlung einzuziehen. Die Partei "Blühendes Armenien" (BHK) des Geschäftsmannes Gagik Tsarukyan gewann 8,3%. An dritter Stelle lag die liberale, pro-westliche Partei "Leuchtendes Armenien" unter Führung Edmon Maruyian, des einstigen Verbündeten von Pashinyan, mit 6,4% (RFE/RL 10.12.2018; vgl. ARMENPRESS 10.12.2018).
Zu den primären Zielen der Regierung unter Premierminister Pashinyan gehören die Bekämpfung der Korruption und Wirtschaftsreformen (RFL/RL 14.1.2019) sowie die Schaffung einer unabhängigen Justiz (168hours 20.7.2018).
Quellen:
* AA - Auswärtiges Amt (7.5.2019a): Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/armenien-node/-/203090#content_0, Zugriff 7.5.2019
* ARMENPRESS - Armenian News Agency (10.12.2018): My Step - 70.44%, Prosperous Armenia - 8.27%, Bright Armenia - 6.37%: CEC approves protocol of preliminary results of snap elections, https://armenpress.am/eng/news/957626.html, Zugriff 21.3.2019
* ArmStat - Statistical Committee of the Repbulic of Armenia (7.5.2019): Economic and Financial Data for the Republic of Armenia, https://armstat.am/nsdp/, Zugriff 8.5.2019
* BBC News (20.12.2018):Armenia country profile, https://www.bbc.com/news/world-europe-17398605, Zugriff 21.3.2019
* CIA - Central Intelligence Agency (30.4.2.2019): The World Factbook, Armenia; https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/am.html, Zugriff 7.5.2019
* OSCE/ODIHR - Organization for Security and Cooperation in Europe/ Office for Democratic Institutions and Human Rights et alia (10.12.2018): Armenia, Parliamentary Elections, 2 April 2017: Statement of Preliminary Findings and Conclusions, https://www.osce.org/odihr/elections/armenia/405890?download=true, Zugriff 21.3.2019
* RFE/RL - Radio Free Europe/ Radio Liberty (10.12.2018): Monitors Hail Armenian Vote, Call For Further Electoral Reforms, https://www.rferl.org/a/monitors-hail-armenia-s-snap-polls-call-for-further-electoral-reforms/29647816.html, 21.3.2019
* RFE/RL - Radio Free Europe/ Radio Liberty (14.1.2019): Pashinian Reappointed Armenian PM After Securing Parliament Majority, https://www.rferl.org/a/pashinian-reappointed-armenian-pm-after-securing-parliament-majority/29708811.html, Zugriff 21.3.2019
* 168hours (20.7.2018): Fight against corruption and creation of independent judiciary main pillars of government's economic policy - PM Pashinyan, https://en.168.am/2018/07/20/26637.html, Zugriff 21.3.2019
Sicherheitslage
Hinsichtlich Bergkarabach - das sowohl von Armenien als auch von Aserbaidschan beansprucht wird - besteht die Gefahr erneuter Feindseligkeiten aufgrund des Scheiterns der Vermittlungsbemühungen, der zunehmenden Militarisierung und häufiger Verletzungen des Waffenstillstands. Im Oktober 2017 trafen sich die Präsidenten Armeniens und Aserbaidschans unter der Schirmherrschaft der Minsk-Gruppe, einer von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) geleiteten Vermittlungsgruppe, in Genf und begannen eine Reihe von Gesprächen über eine mögliche Lösung des Konflikts. In den letzten Jahren haben Artilleriebeschüsse und kleinere Gefechte zwischen aserbaidschanischen und armenischen Truppen Hunderte von Toten gefordert. Anfang April 2016 gab es die heftigsten Kämpfe seit 1994. (CFR 20.3.2019). Die Spannungen zwischen Armenien und Aserbaidschan um Bergkarabach dauern an. Die Grenze zwischen Armenien und Aserbaidschan ist geschlossen. Im Jahr 2018 fanden mehrere Waffenstillstandsverletzungen entlang der Kontaktlinie zwischen den gegnerischen Streitkräften und anderswo an der zwischenstaatlichen Grenze zwischen Aserbaidschan und Armenien statt, die zu einer Reihe von Todesfällen und Verlusten führten (gov.uk 21.3.2019, vgl. EDA 7.5.2019).
Der aserbaidschanische Präsident Ilham Aliyev und der armenische Premierminister Nikol Pashinyan vereinbarten bei ihrem ersten Treffen am Rande des Gipfels der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten, der am 27. und 28. September 2018 in Duschanbe stattfand, mehrere Schritte zum Abbau der Spannungen zwischen den armenischen und aserbaidschanischen Streitkräften, wie z.B. die Installierung einer direkten "operativen" Kommunikationslinie zwischen den beiden Seiten und die Fortsetzung der diplomatischen Verhandlungen über eine Lösung des Konflikts (Eurasianet 1.10.2018).
Quellen:
* CFR - Council on Foreign Relations (20.3.2018): Nagorno-Karabakh Conflict, https://www.cfr.org/interactives/global-conflict-tracker#!/conflict/nagorno-karabakh-conflict, Zugriff 21.3.2019
* EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (7.5.2019): Reisehinweise für Armenien, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/laender-reise-information/armenien/reisehinweise-armenien.html, Zugriff 7.5.2019
* Eurasianet (1.10.2018): Aliyev and Pashinyan hold first talks, agree on tension-reducing measures, https://eurasianet.org/aliyev-and-pashinyan-hold-first-talks-agree-on-tension-reducing-measures, Zugriff 21.3.2019
* UK Gov (7.5.2019): Foreign travel advice, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/armenia, Zugriff 7.5.2019
Rechtsschutz / Justizwesen
Es gibt immer wieder glaubhafte Berichte von Anwälten über die Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze durch Gerichte. Die Unschuldsvermutung werde nicht eingehalten, rechtliches Gehör nicht gewährt, Verweigerungsrechte von Zeugen nicht beachtet und Verteidiger oft ohne Rechtsgrundlage abgelehnt. Nach bisher vorliegenden Informationen hat sich die Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis seit Mitte 2018 verbessert. Die Unabhängigkeit der Gerichte und der Richter wurde bisher durch Nepotismus, finanzielle Abhängigkeiten und weit verbreitete Korruption konterkariert. Es gibt Anzeichen, dass allein der Regierungswechsel im Mai 2019 zu weniger Korruption in der Justiz geführt hat. Hinsichtlich des Zugangs zur Justiz gab es bereits Fortschritte, dass die Zahl der Pflichtverteidiger erhöht wurde und einer breiteren Bevölkerung als bisher kostenlose Rechtshilfe zuteil wird (AA 7.4.2019). Zwar muss von Gesetzes wegen Angeklagten ein Rechtsbeistand gewährt werden, doch führt der Mangel an Pflichtverteidigern außerhalb Jerewans dazu, dass dieses Recht den Betroffenen verwehrt wird (USDOS 13.3.2019).
Richter stehen unter systemischem politischem Druck und Justizbehörden werden durch Korruption untergraben. Berichten zufolge fühlen sich die Richter unter Druck gesetzt, mit Staatsanwälten zusammenzuarbeiten, um Angeklagte zu verurteilen. Der Anteil an Freisprüchen ist extrem niedrig (FH 4.2.2019). Allerdings entließen viele Richter nach der "Samtenen Revolution" im Frühjahr 2018 etliche Verdächtige in politisch sensiblen Fällen aus der Untersuchungshaft, was die Ansicht von Menschenrechtsgruppen bestätigte, dass vor den Ereignissen im April/Mai 2018 gerichtliche Entscheidungen politisch konnotiert waren, diese Verdächtigen in Haft zu halten, statt gegen Kaution freizulassen (USDOS 13.3.2019).
Trotz gegenteiliger Gesetzesbestimmungen zeigt die Gerichtsbarkeit keine umfassende Unabhängigkeit und Unparteilichkeit. Die Verwaltungsgerichte sind hingegen verglichen zu den anderen Gerichten unabhängiger. Sie leiden allerdings unter Personalmangel. Nach dem Regierungswechsel im Mai 2018 setzte sich das Misstrauen in die Unparteilichkeit der Richter fort, und einige Menschenrechtsanwälte erklärten, es gebe keine rechtlichen Garantien für die Unabhängigkeit der Justiz. Anwälte berichteten, dass das Kassationsgericht in der Vergangenheit das Ergebnis aller wichtigen Rechtssachen an niedere Richter diktiert habe. Im Februar wurde mit der Umsetzung der Verfassungsänderungen 2015 der Oberste Justizrat (HJC) gebildet. Viele Beobachter gaben dem HJC die Schuld für Machtmissbrauch und die Ernennung von Richtern, die mit der früheren Regierungspartei verbunden waren. Anwälte erklärten auch, dass die Kontrolle der HJC über die Ernennung, Beförderung und Verlegung von Richtern die Unabhängigkeit der Justiz geschwächt habe. NGOs berichten, dass Richter die Behauptungen der Angeklagten, ihre Aussage sei durch körperlichen Übergriffe erzwungen worden, routinemäßig ignorieren (USDOS 13.3.2019).
Die Verfassung und die Gesetze sehen das Recht auf einen fairen und öffentlichen Prozess vor, aber die Justiz hat dieses Recht nicht durchgesetzt. Zwar sieht das Gesetz die Unschuldsvermutung vor, Verdächtigen wird dieses Recht jedoch in der Regel nicht zugesprochen. Das Gesetz verlangt, dass die meisten Prozesse öffentlich sind, erlaubt aber Ausnahmen, auch im Interesse der "Moral", der nationalen Sicherheit und des "Schutzes des Privatlebens der Teilnehmer". Gemäß dem Gesetz können Angeklagte Zeugen konfrontieren, Beweise präsentieren und den Behördenakt vor einem Prozess einsehen. Allerdings haben Angeklagte und ihre Anwälte kaum Möglichkeiten, die Aussagen von Behördenzeugen oder der Polizei anzufechten. Die Gerichte neigen währenddessen dazu, routinemäßig Beweismaterial zur Strafverfolgung anzunehmen. Zusätzlich verbietet das Gesetz Polizeibeamten, in ihrer offiziellen Funktion auszusagen, es sei denn, sie waren Zeugen oder Opfer (USDOS 13.3.2019).
Quellen:
* AA - Auswärtiges Amt (7.4.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien
* FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Armenia, https://www.ecoi.net/en/document/2002606.html, Zugriff 11.4.2019
* USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004271.html, Zugriff 11.4.2019
Sicherheitsbehörden
Die Polizei ist für die innere Sicherheit zuständig, während der Nationale Sicherheitsdienst (NSD oder eng. NSS) für die nationale Sicherheit, die Geheimdienstaktivitäten und die Grenzkontrolle zuständig ist (USDOS 13.3.2019, vgl. AA 7.4.2019). Beide Behörden sind direkt der Regierung unterstellt. Ein eigenes Innenministerium gibt es nicht. Die Beamten des NSD dürfen auch Verhaftungen durchführen. Hin und wieder treten Kompetenzstreitigkeiten auf, z.B. wenn ein vom NSD verhafteter Verdächtiger ebenfalls von der Polizei gesucht wird (AA 7.4.2019).
Der Sonderermittlungsdienst führt Voruntersuchungen in Strafsachen durch, die sich auf Delikte von Beamten der Gesetzgebungs-, Exekutiv- und Justizorgane beziehen und von Personen, die einen staatlichen Sonderdienst ausüben. Auf Verlangen kann der Generalstaatsanwalt solche Fälle an die Ermittler des Sonderermittlungsdienstes weiterleiten (SIS o.D., vgl. USDOS 13.3.2019). Der NSD und die Polizeichefs berichten direkt an den Premierminister. NSD, SIS, die Polizei und das Untersuchungskomitee unterliegen demzufolge der Kontrolle der zivilen Behörden (USDOS 13.3.2019).
Obwohl das Gesetz von den Gesetzesvollzugsorganen die Erlangung eines Haftbefehls verlangt oder zumindest das Vorliegen eines begründeten Verdachts für die Festnahme, nahmen die Behörden gelegentlich Verdächtige fest oder sperrten diese ein, ohne dass ein Haftbefehl oder ein begründeter Verdacht vorlag. Nach 72 Stunden muss laut Gesetz die Freilassung oder ein richterlicher Haftbefehl erwirkt werden. Richter verweigern der Polizei ebenso selten einen Haftbefehl, wie sie kaum das Verhalten der Polizei während der Arrestzeit überprüfen. Angeklagte haben ab dem Zeitpunkt der Verhaftung Anspruch auf Vertretung durch einen Anwalt bzw. Pflichtverteidiger. Die Polizei vermeidet es oft, betroffene Personen über ihre Rechte aufzuklären. Statt Personen formell zu verhaften, werden diese vorgeladen und unter dem Vorwand festhalten, eher wichtige Zeugen denn Verdächtige zu sein. Hierdurch ist die Polizei in der Lage, Personen zu befragen, ohne das das Recht auf einen Anwalt eingeräumt wird (USDOS 13.3.2019).
Quellen:
* AA - Auswärtiges Amt (7.4.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien
* SIS - Special Investigation Service of Republic of Armenia (o.D.): Functions Of Special Investigation Service, http://www.ccc.am/en/1428578692, Zugriff 10.4.2019
* USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004271.html, Zugriff 10.4.2019
Folter und unmenschliche Behandlung
Das Gesetz verbietet solche Folter und andere formen von Misshandlungen. Dennoch gab es Berichte, dass Mitglieder der Sicherheitskräfte Personen in ihrer Haft gefoltert oder anderweitig missbraucht haben. Laut Menschenrechtsanwälten definiert und kriminalisiert das Strafgesetzbuch zwar Folter, aber die einschlägigen Bestimmungen kriminalisieren keine unmenschliche und erniedrigende Behandlungen (USDOS 13.3.2019). Menschenrechtsorganisationen haben bis zur "Samtenen Revolution" immer wieder glaubwürdig von Fällen berichtet, in denen es bei Verhaftungen oder Verhören zu unverhältnismäßiger Gewaltanwendung gekommen sein soll. Folteropfer können den Rechtsweg nutzen, einschließlich der Möglichkeit, sich an den Verfassungsgerichtshof bzw. den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu wenden (AA 7.4.2019).
Misshandlungen finden auf Polizeistationen statt, die im Gegensatz zu Gefängnissen und Polizeigefängnissen nicht der öffentlichen Kontrolle unterliegen. Nach Ansicht von Menschenrechtsanwälten gab es keine ausreichenden verfahrensrechtlichen Garantien gegen Misshandlungen bei polizeilichen Vernehmungen, wie z.B. den Zugang zu einem Anwalt durch die zur Polizei als Zeugen geladenen Personen sowie die Unzulässigkeit von Beweisen, die durch Gewalt- oder Verfahrensverletzungen gewonnen wurden (USDOS 13.3.2019). In einem Antwortschreiben an die Helsinki Komitee Armeniens bezifferte der Special Investigation Service (SIS) die Anzahl der strafrechtlichen Untersuchungen bezüglich des Vorwurfes von Folter im Zeitraum zwischen dem 1.1. und dem 20.12.2018 auf 49 (HCA 1.2019).
Quellen:
* AA - Auswärtiges Amt (7.4.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien
* HCA - Helsinki Committee of Armenia (1.2019): Human Rights in Armenia 2018 Report, Ditord Observer #1 (73), http://armhels.com/wp-content/uploads/2019/03/Ditord-2019Engl_Ditord-2019arm-1.pdf, Zugriff 10.4.2019
* USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004271.html, Zugriff 10.4.2019
Korruption
Armenien verfügt nicht über wirksame Schutzmaßnahmen gegen Korruption. Dem bis 2018 an der Macht befindlichen Parlament gehörten einige der wohlhabendsten Wirtschaftsführer des Landes an, die trotz Interessenkonflikten ihre privatwirtschaftlichen Aktivitäten fortsetzten. Auch die Beziehungen zwischen Politikern und anderen Oligarchen haben die Politik historisch beeinflusst und zu einer selektiven Anwendung des Gesetzes beigetragen. Die Berichte über systemische Korruption, auch in allen drei Staatsgewalten, gingen jedoch weiter. Nach der "Samtenen Revolution" im Mai 2018 leitete die neue Regierung Untersuchungen zur Bekämpfung der Korruption ein, die systemische Korruption in den meisten Bereichen d