TE Bvwg Erkenntnis 2019/12/10 L509 2129863-1

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Veröffentlicht am 10.12.2019
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Entscheidungsdatum

10.12.2019

Norm

AVG §13 Abs3
BFA-VG §18
B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5
VwGVG §8a

Spruch

L509 2129863-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Ewald HUBER-HUBER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA: Türkei, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.06.2016, Zl. 268897209-160162285, zu Recht erkannt:

A)

A.I. Der Beschwerde wird gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG idgF sowie § 70 Abs. 3 FPG idgF, § 18 BFA-VG idgF stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.

A.II. Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

B)

B.I. Der Antrag auf Verfahrenshilfe wird mangels Erfüllung des Verbesserungsauftrages zurückgewiesen.

B.II. Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) ersuchte das Landesgericht XXXX mit Schreiben vom 18.06.2015 unter Bezugnahme auf das strafgerichtliche Verfahren mit GZ XXXX betreffend den Beschwerdeführer (BF) um Übermittlung einer Urteilsausfertigung in Kopie und leitete damit ein Verfahren zur Erlassung einer Maßnahme gemäß FPG ein. Mit weiterem Schreiben vom 04.01.2016 ersuchte das BFA das Landesgericht Wels erneut um Übermittlung einer Kopie eines weiteren Urteils, ergangen im strafgerichtlichen Verfahren mit GZ XXXX .

Am 01.06.2016 wurde dem BF vom BFA schriftlich mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, aufgrund der - im Schreiben genannten - gerichtlichen Verurteilungen ein befristetes Aufenthaltsverbot zu erlassen und wurde er aufgefordert, dazu Stellung zu nehmen.

Am 08.06.2016 erstattete der BF dazu eine schriftliche Stellungnahme und führte aus, er sei seit 2004 in Österreich, habe hier seine Tochter Ö., seine Tante O. sowie seine Ex-Gattin, mit der er die gemeinsame Tochter habe. Er habe in Österreich 10 Jahre gearbeitet und möchte nach seiner (Haft-)Entlassung sofort wieder Arbeit finden. Seine Tochter sei 10 Jahre alt und er möchte in ihrer Nähe sein, um seine Ex-Frau bei der Erziehung und Betreuung zu unterstützen. Eine vom BG XXXX verhängte Geldstrafe von 160 Euro werde er bezahlen, damit er in diesem Fall keine Zusatzstrafe bekäme. Schließlich ersuchte er, von der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes Abstand zu nehmen, da er zukünftig keine Straftaten mehr begehen werde.

2. Mit Bescheid des BFA vom 17.06.2016 wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein für die Dauer von 7 Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 70 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt II.).

Die Entscheidung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der BF 4 Mal strafgerichtlich verurteilt wurde. Die rechtskräftigen Urteile wurden im Einzelnen ausgeführt. Es wurde festgestellt, dass der BF den Großteil der in Österreich verbrachten Zeit in verschiedenen Beschäftigungsverhältnissen war und unter das Assoziationsabkommen Österreich - Türkei fällt. Die belangte Behörde ging von einem geschiedenen Familienstand und einer Sorgepflicht für eine minderjährige Tochter aus. Das Verhalten des BF wertete die belangte Behörde als erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und maß dem durch die wiederkehrende Begehung Nachhaltigkeit bei. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes in der angegebenen Dauer erachtete die belangte Behörde nach Abwägung der öffentlichen und privaten Interessen als gerechtfertigt und notwendig. Der Durchsetzungsaufschub von einem Monat (Spruchpunkt II.) wurde von Amts wegen gewährt, da die belangte Behörde nicht davon ausging, dass der BF in diesem kurzen Zeitraum ein Verhalten setzen wird, welches die sofortige Umsetzung der Maßnahme im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erfordern würde.

Der Bescheid wurde am 21.06.2016 dem BF zu eigenen Handen zugestellt.

3. Mit Schreiben vom 30.06.2016 wurde rechtzeitig Beschwerde eingebracht und gleichzeitig um Verfahrenshilfe ersucht. Begründet wurde die Beschwerde damit, dass der BF seit 12 Jahren in Österreich sei, dass er bereue, straffällig geworden zu sein und dass er nach seiner Entlassung ein straffreies Leben führen und sich um seine Tochter kümmern möchte. Eine Rückkehr in die Türkei wäre für ihn schwierig, da er keinen guten Kontakt zu seinen Eltern, keine Wohnmöglichkeit und auch keine sonstige Beziehung hätte. In Österreich habe er Schulden, die seine Ex-Gattin übernehmen müsste. Er verwies weiters auf seine Bereitschaft, sofort nach seiner Entlassung wider arbeiten gehen zu wollen.

4. Die Beschwerde wurde samt Akt am 12.07.2016 beim Bundesverwaltungsgericht vorgelegt und zunächst der Gerichtsabteilung (GA) L520 zugewiesen. Nach Auflassung dieser GA wurde das Verfahren der GA W268 zugewiesen, dieser nach Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses (GVA) vom 20.10.2017 abgenommen und der GA L513 zugewiesen. Mit weiterer Verfügung des GVA vom 07.08.2018 wurde die Rechtssache schließlich der GA L509 zugewiesen.

5. Zum Verfahrenshilfeantrag wurde der BF aufgefordert - zugestellt gemäß § 8 ZustG (Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch) - binnen Wochenfrist ein aktuelles Vermögensbekenntnis vorzulegen. Ein Vermögensbekenntnis ist nicht eingelangt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den erstinstanzlichen Verwaltungsakt, durch Einschau in das ZMR und in das Strafregister.

1. Feststellungen:

Es wurde festgestellt, dass der BF bereits seit 02.10.2017 über keine aufrechte polizeiliche Anmeldung in Österreich verfügt. Seine Identität steht fest. Er ist Staatsangehöriger der Türkei, geschieden und Vater einer minderjährigen Tochter. Sowohl die Tochter als auch seine geschiedene Ehegattin sind österreichische Staatsangehörige und in B. H. wohnhaft bzw. aufrecht gemeldet. Der derzeitige Aufenthalt des BF ist unbekannt.

Der BF reiste im Jahr 2004 nach Österreich ein und ist seit Oktober 2009 aufenthaltsberechtigt gemäß Art. 6 Abs. 1, Strich 3 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19.09.1980 über die Entwicklung der Assoziation zwischen der EG und der Türkei. Er ging nahezu durchgehend - unterbrochen durch Aufenthalte in Haftanstalten - einer Beschäftigung bei verschiedenen Arbeitgebern nach.

Der BF wurde von österreichischen Gerichten 4 Mal wegen Verbrechens gegen fremdes Vermögen rechtskräftig zu Freiheitsstrafen von insgesamt 37 Monaten und zu Geldstrafen verurteilt. Er wurde am 06.05.2017 unter Festsetzung einer Probezeit von 3 Jahren aus der Freiheitsstrafe entlassen.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich im Wesentlichen unstreitig auf Grund der Aktenlage des Bundesamtes, aus den Eintragungen im zentralen Melderegister sowie aus dem aktuellen Strafregisterauszug.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zu Spruchpunkt A.I.:

Mit jüngster Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 04.04.2019, Ra 2019/21/0009, hat dieser klargestellt, dass auch in Bezug auf türkische Staatsangehörige, welche in den Anwendungsbereich des ARB 1/80 fallen bzw. daraus ein Aufenthaltsrecht innehaben, als "sonstige Drittstaatsangehörige" gelten und für eine Aufenthaltsbeendigung nur eine Rückkehrentscheidung und gegebenenfalls ein Einreiseverbot in Frage kommen und nicht eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot.

So führt der Verwaltungsgerichtshof in der zitierten Entscheidung aus:

"[...] Türkische Staatsangehörige - auch solche mit einer Aufenthaltsberechtigung nach dem ARB 1/80 - sind "sonstige" Drittstaatsangehörige. Sie unterfallen daher dem Wortlaut nach § 52 FPG. Vor allem aber ist zu bedenken, dass türkische Staatsangehörige, gegen die in Einklang mit Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 eine aufenthaltsbeendende Maßnahme erlassen wird, zu illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen werden, denen daher nach der Rückführungs-RL im Wege einer Rückkehrentscheidung eine Rückkehrverpflichtung in ihr Herkunftsland, ein Transitland gemäß gemeinschaftlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder in ein anderes Drittland, in das sie freiwillig zurückkehren wollen und in dem sie aufgenommen werden, aufzuerlegen ist (Art. 6 Abs. 1 und 6 iVm Art. 3 Z 3 und 4 Rückführungs-RL).

Das wird im österreichischen Rechtsbereich (seit 1. Jänner 2014 zur Gänze) nur mehr durch die Rückkehrentscheidung nach § 52 FPG umgesetzt, die nach dem 8. Absatz dieser Bestimmung den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland gemäß unionsrechtlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde, verpflichtet. Demgegenüber verpflichten Ausweisungen nach § 66 FPG und Aufenthaltsverbote nach § 67 FPG nur zur Ausreise aus Österreich (siehe § 70 Abs. 1 FPG).

Vor diesem Hintergrund ist nunmehr auch gegen türkische Staatsangehörige, die über eine Aufenthaltsberechtigung nach dem ARB 1/80 verfügen und deren Aufenthalt in Übereinstimmung mit Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 beendet werden soll, anders als nach der bis 31. Dezember 2013 geltenden Rechtslage nicht mehr ein Aufenthaltsverbot, sondern eine Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot zu erlassen.

Freilich hat es dabei zu bleiben, dass diese Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot eine Gefährdung voraussetzt, die jener gleichkommt, die die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger rechtfertigt oder, wie sich aus EuGH 8.12.2011, Ziebell, C-371/08, ergibt, im Fall eines türkischen Staatsangehörigen, der sich seit mehr als zehn Jahren ununterbrochen rechtmäßig in Österreich aufhält, Art. 12 der Daueraufenthalts-RL - umgesetzt durch § 52 Abs. 5 FPG - entspricht. [...]"

Für den vorliegenden Fall bedeutet das:

Gegenständlich hat das Bundesamt gegen einen rechtmäßig aufhältigen türkischen Staatsangehörigen, der seiner Prüfung nach unter den Anwendungsbereich des ARB 1/80 fällt, ein Aufenthaltsverbot gem. § 67 FPG erlassen.

Wie sich aus der oa. jüngsten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ergibt, wurde damit die Rechtslage verkannt und wäre zur Aufenthaltsbeendigung der bP als "sonstige Drittstaatsangehörige" hier allenfalls eine Rückkehrentscheidung mit oder ohne Einreiseverbot zu prüfen.

Diese Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot setzt selbstverständlich eine Gefährdung voraus, die jener gleichkommt, die die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger rechtfertigt oder, wie sich aus EuGH 8.12.2011, Ziebell, C-371/08, ergibt, im Fall eines türkischen Staatsangehörigen, der sich seit mehr als zehn Jahren ununterbrochen rechtmäßig in Österreich aufhält, Art. 12 der Daueraufenthalts-RL - umgesetzt durch § 52 Abs. 5 FPG - entspricht. [...], so der Verwaltungsgerichtshof in der zitierten Entscheidung.

Dass es sich beim BF um einen begünstigten Drittstaatsangehörigen iSd § 2 Abs 4 Z 11 FPG handeln würde und somit doch die §§ 66 ff FPG zur Anwendung gelangen, hat das Bundesamt hier nicht aufgezeigt.

Es war daher der Beschwerde stattzugeben und der Bescheid zur Gänze zu beheben.

3.2. Zu Spruchpunkt B.I.:

Gemäß § 8a Abs. 1 VwGVG ist einer Partei Verfahrenshilfe zu bewilligen, soweit dies auf Grund des Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte (EMRK) und Grundfreiheiten oder des Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC), geboten ist, und die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten, und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint.

Im gegenständlichen Fall wurde vom Beschwerdeführer im Zuge seiner Beschwerde vom 30.06.2016 gegen den Bescheid des BFA vom 17.06.2016 ein Antrag auf Verfahrenshilfe gestellt, der nicht den im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden Vorgaben entsprach. Der eingebrachte Antrag war mangelhaft. Es fehlte ein Vermögensbekenntnis.

Das Bundesverwaltungsgericht hat dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 21.10.2019 einen Verbesserungsauftrag erteilt und ihn aufgefordert, das Formular mit den für die Bewilligung einer Verfahrenshilfe erforderlichen Angaben vollständig ausgefüllt, gegebenenfalls nachgewiesen mit Beilagen, binnen einer Frist von einer Woche dem Bundesverwaltungsgericht zu übermitteln.

Der Beschwerdeführer hat dem Verbesserungsauftrag nicht entsprochen.

Der Antrag auf Verfahrenshilfe war daher mangels Erfüllung des Verbesserungsauftrages zurückzuweisen.

4. Eine Verhandlung konnte gem. § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG entfallen.

Zu A.II. und B.II.) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Assoziationsabkommen Aufenthaltsverbot Aufenthaltsverbot aufgehoben Durchsetzungsaufschub Einreiseverbot Frist Mängelbehebung Rechtsgrundlage Rückkehrentscheidung Straffälligkeit strafgerichtliche Verurteilung Strafhaft Verbesserungsauftrag Verfahrenshilfeantrag Vermögensbekenntnis Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:L509.2129863.1.00

Im RIS seit

22.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

22.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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