TE Bvwg Erkenntnis 2019/12/19 L504 2226074-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.12.2019
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Entscheidungsdatum

19.12.2019

Norm

BFA-VG §18 Abs2 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs5
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z5
FPG §55 Abs4

Spruch

L504 2226074-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. R. ENGEL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , XXXX geb., StA. Türkei, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.10.2019, Zl. 214040802-190902669, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, indem das Einreiseverbot auf die Dauer von 10 Jahren herabgesetzt wird.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrenshergang

Das Bundesamt hat mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid entschieden:

"I. Gemäß § 52 Absatz 5 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wird gegen Sie eine Rückkehrentscheidung erlassen.

II. Es wird gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass Ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Türkei zulässig ist.

III. Gemäß § 53 Absatz 1 iVm Absatz 3 Ziffer 5 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, wird gegen Sie ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen.

IV. Gemäß § 55 Absatz 4 FPG wird eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt.

V. Gemäß § 18 Absatz 2 Ziffer 1 BFA-Verfahrensgesetz, BGBI I Nr. 87/2012 (BFA VG) idgF, wird die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung aberkannt.

Aus dem im angefochtenen Bescheid dargestellten Verfahrensgang ergibt sich Folgendes:

"[...]

Sie sind türkischer Staatsbürger und seit 16.06.1988 mit Unterbrechungen im Bundesgebiet gemeldet.

- Sie sind seit 15.11.2000 im Besitz einer unbefristeten Niederlassungsbewilligung, ausgestellt durch das Magistrat der Stadt Wien, MA 35.

- Im Strafregister der Republik Österreich - geführt von der Landespolizeidirektion Wien - scheinen folgende Verurteilungen auf:

01) BG XXXX vom 01.02.2012 RK 07.02.2012

§ 127 StGB

Datum der (letzten) Tat 02.07.2003

Geldstrafe von 60 Tags zu je 2,00 EUR (120,00 EUR) im NEF 30 Tage Ersatzfreiheitsstrafe

Junge(r) Erwachsene(r)

Vollzugsdatum 11.04.2013

02) LG XXXX vom 31.08.2015 RK 19.02.2016

§ 15 StGB § 75 StGB

Datum der (letzten) Tat 11.04.2015

Freiheitsstrafe 11 Jahre

- Zuletzt wurden Sie mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom 31.08.2015 (rk. 19.02.2016), Zahl XXXX , wegen des Verbrechens des Mordes nach den §§ 15 und 75 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 11 (elf) Jahren verurteilt.

- Am 09.10.2019 wurden Sie von dem zur Entscheidung berufenen Organwalter des BFA in der Justizanstalt XXXX niederschriftlich einvernommen. Es folgen die entscheidungsrelevanten Auszüge aus der Einvernahme:

F: Sie sprechen Deutsch. Sind Sie einverstanden, die heutige Einvernahme in Deutsch durchzuführen? Sollten Sie etwas nicht verstehen, können Sie jederzeit rückfragen.

A: Ja ich bin einverstanden.

Das BFA erwägt, aufgrund Ihrer Straffälligkeit gegen Sie eine Rückkehrentscheidung in Ihr Heimatland in Verbindung mit einem unbefristeten Einreiseverbot zu erlassen. Wir machen heute diese Einvernahme um die Zulässigkeit einer solchen Entscheidung zu prüfen.

F: Fühlen Sie sich psychisch und physisch in der Lage, die gestellten Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten?

A: Ja, seit 4 1/2 Jahren bin ich in Haft und ich frage mich die ganze Zeit, was mit mir nach der Haft passiert.

F: Sind Sie gesund? Stehen Sie in ärztlicher Behandlung oder nehmen Sie regelmäßig Medikamente?

A: Ich bin gesund.

F: Sie wurden in XXXX /Türkei geboren. Ist das korrekt?

A: Ja.

F: Wann sind Sie erstmals nach Österreich eingereist? Bitte nennen Sie den genauen Zeitpunkt.

A: ich war noch ein Kind mit 4 Jahren das war 1984.

F: Wie alt waren Sie, als Sie erstmals nach Österreich einreisten?

A: Ca. 4 Jahre alt.

F: Sie sind derzeit im Besitz eines unbefristeten Aufenthaltstitels für Österreich. Ist das korrekt?

A: Ja genau.

F: Bitte nennen Sie mir Ihren Beziehungsstatus. Sind Sie verheiratet, ledig oder leben Sie in einer ständigen Lebensgemeinschaft?

A: Ich bin verheiratet, meine Frau ist mit meiner Tochter in der Türkei, sie waren noch nie in Österreich. Wir werden uns wahrscheinlich scheiden lassen.

F: Haben Sie Kinder?

A: Ja eine Tochter.

F: Wie heißt Ihre Ehegattin und wo lebt sie?

A: XXXX , sie lebt in XXXX /Türkei.

F: Wie heißen Ihre Kinder und wann wurden Sie geboren?

A: Sie heißt XXXX , sie ist am XXXX 2009 geboren.

F: Wo lebt Ihre Tochter?

A: Bei ihrer Mutter in der Türkei.

F: Stehen Sie in Kontakt zu Ihrer Gattin und Ihren Kindern?

A: Ja telefonisch. 2 Mal in der Woche telefonieren wir.

F: Besucht Sie Ihre Familie hier in der Justizanstalt? Wenn ja, wer besucht Sie und wie häufig?

A: Derzeit nicht.

F: Wann waren Sie zuletzt hier?

A: Vor 2 Jahren ca. Ich will auch nicht dass mich jemand besucht.

F: Haben Sie Familienangehörige hier in Österreich?

A: Meine ganze Familie ist hier. Alle sind österreichische Staatsbürger, außer mir.

A: Ich habe auch noch einen Sohn hier in Österreich aber der ist beim Jugendamt, seitdem ich in Haft bin.

F: Was ist mit der Mutter Ihres Sohnes.

A: Ich habe ihr in die Hand gestochen. Sie hatte eigentlich ein Betretungsverbot zu meiner Wohnung, aber sie kam trotzdem immer wieder.

F: Warum hat die Mutter nicht das Sorgerecht für Ihren Sohn?

A: Weil sie keine Arbeit hat, keine Wohnung und Drogen nimmt.

F: Wie alt ist Ihr Sohn und wie heißt er?

A: Er ist 2008 geboren und heißt XXXX .

F: Haben Sie einen Freundeskreis in Österreich?

A: Ja sicher. Ich bin schon mein ganzes Leben in Österreich. Meine Ehefrau in der Türkei kenne ich nicht wirklich, weil das eine arrangierte Ehe ist und ich habe meine Tochter auch noch nie gesehen.

F: Haben Sie noch weitere Familienangehörige in der Türkei?

A: Mein Vater lebt in der Türkei, aber ich habe seit 12 Jahren keinen Kontakt mehr zu ihm.

F: Haben Sie Kontakt zu Ihren Familienangehörigen in der Türkei?

A: Nein, nur zu meiner Ehefrau.

F: Besitzen Sie oder Ihre Familie in der Türkei ein Haus oder sonstige Vermögenswerte (Grundstücke, ...)?

A: Nichts.

F: Wo leben Ihre Frau und Ihr Kind?

A: Im Haus ihres Bruders, der ist auch in Österreich.

F: Wo lebt Ihr Vater?

A: Er hat ein Haus mit seiner Frau und seinem Kind.

F: Wo waren Sie vor Ihrer Inhaftierung wohnhaft?

A: In XXXX .

F: Mit wem haben Sie dort zusammen gelebt?

A: Zuletzt habe ich alleine gewohnt, davor habe ich mit meiner Lebensgefährtin gelebt.

F: Sie verbüßen derzeit wegen des Verbrechens des Mordversuches eine 11-jährige Haftstrafe bis April 2026. Was sagen Sie dazu?

A: Ich bereue das sehr, ich hätte das nie machen dürfen. Ich habe mein Leben und das meines Sohnes kaputt gemacht. Ich bereue das sehr, sehr, sehr, mehr kann ich dazu nicht sagen.

F: Sind Sie ein gewalttätiger Mensch?

A: Nein, ich hatte auch vorher keine Probleme mit der Polizei oder sonst was. Das war ein Kurzschluss und den bereue ich zutiefst.

F: Machen Sie hier in der Justizanstalt eine Therapie?

A: Ja, ich hatte bereits eine Therapie abgeschlossen, wegen der Gewalt und die zweite endet Ende Februar. Ich habe auch hier keine Ordnungswidrigkeiten begangen.

F: Wann waren Sie zuletzt in Ihrem Heimatland?

A: 2008-2009 ich war 10 Monate in der Türkei.

F: Was war der Grund Ihrer Reise in die Türkei?

A: Ich habe geheiratet und gleich danach wurde meine Frau schwanger.

F: Haben Sie in Österreich jemals gearbeitet? Wenn ja, was haben Sie gearbeitet und in welchem Zeitraum?

A: Ja sicher. Ich war Verkäufer beim Billa, Spar. Ich habe auch bei Eskimo und bei ein paar Reinigungsfirmen gearbeitet. Insgesamt habe ich ca. 5 Jahre gearbeitet.

F: Wann und was war Ihre letzte Beschäftigung?

A: Eine Reinigungsfirma bis ich Inhaftiert wurde. Am 11.04.2015 wurde ich eingesperrt.

F: Damit haben Sie sich also vor Ihrer Inhaftierung in Österreich Ihren Lebensunterhalt finanziert?

A: Ja.

A: Ich habe noch vergessen zu erwähnen dass ich schon einmal in U-Haft war, aber das war nicht richtig. Man hat mir vorgeworfen, dass ich Falschgeld in Umlauf gebracht habe, aber das hat sich als falsch erwiesen. Mein Anwalt hat alles bewiesen und ich kam ohne Prozess oder sonstiges wieder aus der Haft.

F: Welche Sprachen sprechen Sie?

A: Deutsch, Türkisch, Kurdisch und gebrochen Tschechisch, Slowakisch und Serbisch.

F: Was spricht Ihrer Meinung nach dagegen, dass Sie nach Ihrer Haftentlassung in die Türkei zurückzukehren?

A: Wenn ich in die Türkei gehe, bin ich verloren, ich könnte niemals Fuß fassen. Wir Kurden haben sowieso Probleme in der Türkei. Ich wüsste nicht, ob mich das auch betreffen würde. Ich wüsste nicht, ob mir was passiert. Meine ganze Familie ist hier, ich könnte meinen Sohn nie wieder sehen. Es kam zu diesem Konflikt mit meiner Lebensgefährtin, weil ich meinen Sohn nicht sehen durfte. Ich hätte nicht mal ein Dach über dem Kopf in der Türkei.

[Anm: die bP brachte über den sozialen Dienst der JA noch vor, dass sie "zur Armee einrück und das Bundesheer machen müsste (AS 117)]

F: Wie stellen Sie sich Ihr Leben vor, wenn Sie entlassen werden?

A: Ich bringe zuerst Mal alle meine Sachen in Ordnung. Zuerst würde ich zu meiner Mutter ziehen und dann einen Job suchen und dann eine eigene Wohnung. Das dauert sicher, aber ich würde alle meine Sachen in Ordnung bringen.

F: Glauben Sie selbst ,dass die Gefahr besteht, dass Sie wieder straffällig werden?

A: Ich bin mittlerweile seit 34 Jahre in Österreich, ich war vorher nie straffällig. Ich war einfach überfordert und es war nicht geplant. Ich wollte ihr wehtun, aber ich wollte sie nicht umbringen.

F: Möchten Sie noch weitere Angaben machen? Konnten Sie zum Verfahren alles umfassend vorbringen und gibt es zur Einvernahme irgendwelche Einwände?

A: Was soll ich sagen? Ich möchte hier bei meiner Familie leben.

Anmerkung: Die Niederschrift wird von der VP gelesen.

F: Haben Sie nun nach Durchsicht Einwendungen gegen die Niederschrift selbst, wurde alles richtig und vollständig protokolliert?

A: Ja

LA: Bestätigen Sie nunmehr bitte durch Ihre Unterschrift die Richtigkeit und Vollständigkeit der Niederschrift!

F: Möchten Sie eine Kopie der Einvernahme?

A: Ja, bitte.

- Am 17.10.2019 langte über den sozialen Dienst der Justizvollzugsanstalt XXXX eine von Ihnen nachträglich und handschriftlich korrigierte Niederschrift ein.

- Sie befinden sich derzeit in der XXXX , wo Sie Ihre Strafhaft verbüßen. Ihre Entlassung ist für den 11.04.2026 in Aussicht gestellt.

- Mit Verfahrensanordnung vom heutigen Tag wurde Ihnen ein Rechtsberater gemäß § 52 BFA-VG für ein allfälliges Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.

[...]"

Gegen diesen Bescheid wurde innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben. Darin wird im Wesentlichen moniert:

Gegen die Beweiswürdigung:

Soweit das Bundesamt aus dem Faktum der Nichtmeldung im ZMR schließe, dass sich die beschwerdeführende Partei nicht in Österreich aufgehalten habe, so sei dies nicht schlüssig. Daraus könne nicht automatisch darauf geschlossen werden, dass sie sich nicht in Österreich aufgehalten habe.

Soweit das Bundesamt die Beziehung zur Familie in der Türkei ausgeprägter darstelle als jene in Österreich, so werde dem entgegengetreten. Die bP sei in Österreich aufgewachsen und das Bundesamt spiele die Beziehung zur Familie in Österreich und dem hier lebenden Sohn herunter.

Hinsichtlich der Gefährdungsprognose ziehe die belangte Behörde lediglich jene Umstände heran, die für die beschwerdeführende Partei nachträglich seien. Sie bereue die Taten, was sie auch bei der Einvernahme geäußert habe. Auch die Schlussfolgerung, dass sie über ein erhöhtes Aggressionspotenzial verfüge, weil sie eine Gewalttherapie in der Justizanstalt absolviere, sei nicht schlüssig.

Das Bundesamt habe auch nicht berücksichtigt, dass die beschwerdeführende Partei bei einem möglichen Strafrahmen zwischen 10 und 20 Jahren bzw. lebenslänglich mit elf Jahren eine Strafe nahe dem Mindestmaß bekam.

Da die beschwerdeführende Partei bereits seit 1988 in Österreich lebe, könne wegen des einmaligen Eingriffs in die körperliche Unversehrtheit nicht davon ausgegangen werden, dass sie gemeingefährlich sei. Im Hinblick auf den Lebenswandel könne davon ausgegangen werden, dass es sich um einen einmaligen Fehler handelte, den sie nicht wiederholen würde. Es lasse sich kein Persönlichkeitsbild erkennen, welches darauf hindeute, dass sie in Zukunft weitere Straftaten begehen würde.

Die Beweiswürdigung stelle sich einseitig und tendenziös dar.

Zur rechtlichen Beurteilung:

Die bP sei als Kind nach Österreich gekommen und lebe seitdem hier. Es sei daher davon auszugehen, dass sie als Kind einer "assoziierungsintegrierten" Person, dieselben Rechte aus diesem Abkommen erworben habe bzw. sie durch ihre eigene Erwerbstätigkeit in Österreich die Rechte erworben habe. Es sei daher lediglich ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz zulässig.

Zur Rückkehrentscheidung wird ausgeführt, dass die letzte Tat in krassem Gegensatz zu ihrem sonstigen Verhalten in Österreich stehe und daher nicht davon auszugehen sei, dass sie erneut straffällig werden würde.

Zum Einreiseverbot wird im Wesentlichen ausgeführt, dass durch das Einreiseverbot der beschwerdeführende Partei der tatsächliche Kontakt mit ihrem Sohn bzw. ihrer Familie verunmöglicht werde. Der persönliche Kontakt zwischen der beschwerdeführende Partei und ihrem Kind könne auch nicht durch Inanspruchnahme elektronischer Kommunikation ersetzt werden.

Zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung wird ausgeführt, dass die sofortige Ausreise nicht erforderlich sei, weil sie sich derzeit in Haft befinde.

Ein Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung werde gestellt. Der Beweiswürdigung des Bundesamtes sei substantiiert entgegengetreten worden, weshalb eine gerichtliche Überprüfung im Rahmen einer Beschwerdeverhandlung notwendig sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Das BVwG hat durch den Inhalt des übermittelten Verwaltungsaktes der belangten Behörde, einschließlich der Beschwerde Beweis erhoben.

1. Feststellungen (Sachverhalt)

1.1. Identität und Herkunftsstaat:

Die Identität steht fest. Die bP ist türkischer Staatsangehöriger und verfügt über einen im Jahr 2012 bis 2020 gültigen türkischen Reisepass. Die bP bezeichnet sich der Volksgruppe der Kurden zugehörig.

1.2. Regionale Herkunft und persönliche Lebensverhältnisse vor der Ausreise:

Die bP wurde XXXX in der Türkei geboren und scheint erstmals 1988 im österreichischen ZMR mit einem Wohnsitz auf.

1.3. Familiäres/verwandtschaftliches bzw. soziales Netzwerk im Herkunftsstaat

Die bP ist seit 2009 mit einer türkischen Staatsangehörigen verheiratet und resultiert aus dieser Ehe eine 2009 geborene Tochter. Die Ehegattin und das Kind leben durchgängig in der Türkei. Sie waren noch nie in Österreich. Es besteht zwei Mal wöchentlich telefonischer Kontakt zu diesen. Die Ehegattin lebt in der Türkei im Haus ihres Bruders, dieser lebt selbst in Österreich.

Der Vater der bP lebt in der Türkei. Zu diesem hat er jedoch seit ca. 10 Jahren keinen Kontakt mehr.

1.4. Gesundheitszustand

Die bP hat im Verfahren keine aktuell behandlungsbedürftige Erkrankung dargelegt die zu einem Rückkehrhindernis führen könnte.

1.5. Privatleben / Familienleben in Österreich

Art, Dauer, Rechtmäßigkeit des bisherigen Aufenthaltes:

Die bP scheint erstmals 1988 im zentralen Melderegister in Österreich auf. Im Informationsverbundsystem zentrales Fremdenregister ist seit 2000 eine unbefristete Niederlassungsbewilligung für jeglichen Aufenthaltszweck vermerkt.

Zu folgenden Zeiten scheint in Österreich keine Meldung im ZMR auf:

12. November 2004 bis 5. Oktober 2007

2. März 2009 bis 19. Mai 2009

10. Juni 2009 bis 27. Oktober 2009

28. April 2010 bis 27. Dezember 2010

20. April 2012 bis 11. Dezember 2012

Die beschwerdeführende Partei behauptete bei der Einvernahme, dass sie nur zwischen 2008 bis 2009 für zehn Monate in der Türkei gewesen ist. Das Bundesamt geht davon aus, dass sich die bP in den oa. Zeiträumen im Wesentlichen nicht in Österreich befunden hat.

Nachweise oder konkrete Angaben, wo sie sich in den oben angeführten Zeiträumen befunden hat, hatte die beschwerdeführende Partei im Verfahren vor dem Bundesamt und auch in der Beschwerde nicht erbracht. Die bP behauptete nicht konkret, dass sie gegen das Meldegesetz verstoßen und pflichtwidrig die Meldung von Wohnsitzen in Österreich unterlassen hat.

Familiäre Anknüpfungspunkte in Österreich:

Die bP hat aus einer Beziehung zu einer tschechischen Staatsangehörigen mit Wohnsitz in Österreich ein gemeinsames Kind, das 2011 geboren wurde und aktuell in Österreich lebt. Das Kind ist ebenfalls tschechischer Staatsangehöriger und befindet sich seit 2016 in der Obhut der Jugendwohlfahrtsbehörde in Wien. Die Mutter lebt in Österreich und hat kein Sorgerecht, da sie keine Arbeit und keine Wohnung hat. Weiters nimmt sie Drogen.

Weitere Familienangehörige leben in Österreich. Diese sind österreichische Staatsbürger. Ein besonders intensiver Kontakt zu diesen bzw. eine Abhängigkeit kam nicht hervor.

Die beschwerdeführende Partei erhält in der Justizanstalt keinen Besuch durch Familienangehörige. Zuletzt hat sie aus diesem Kreis jemand vor ca. zwei Jahren besucht. Die beschwerdeführende Partei möchte auch gar keinen Besuch durch diese erhalten.

Die beschwerdeführende Partei hat vor der Inhaftierung wegen versuchten Mordes alleine gelebt.

Schutzwürdigkeit des Privatlebens / Die Frage, ob das Privatleben / Familienleben zu einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstaates bewusst waren / Grad der Integration:

Sie verfügt über gute Deutschkenntnisse und ist in Österreich aufgewachsen. Die beschwerdeführende Partei hat in Österreich die Schule besucht, hat hier einen Freundeskreis und verfügt über Berufserfahrung in mehreren Erwerbsfeldern. Die privaten und familiären Anknüpfungspunkte in Österreich wurden in einer Zeit des legalen Aufenthaltes als Fremder erlangt.

Die beschwerdeführende Partei war während ihres Aufenthaltes in Österreich bei mehreren Firmen beruflich tätig, zumeist als (geringfügig beschäftigter) Arbeiter und überwiegend nur für wenige Monate/Tage. Seit dem Jahr 2000 wurden diese Tätigkeiten immer wieder unterbrochen durch Zeiten vom Bezug von Arbeitslosengeld, Notstandshilfe oder Überbrückungshilfe. Insgesamt war die beschwerdeführende Partei in den Jahren 2001 bis 2015 zusammen gerechnet für ca. drei Jahre erwerbstätig. Seit 4. April 2015 scheint keine Erwerbstätigkeit mehr auf.

Bindungen zum Herkunftsstaat:

Die beschwerdeführende Partei ist im Herkunftsstaat geboren und hat dort die ersten 4-5 Jahre ihres Lebens gelebt. Ihre Ehegattin und das gemeinsame Kind leben in der Türkei. Zu diesen hat sie wöchentlich regelmäßig telefonischen Kontakt. Die bP spricht neben Deutsch auch Türkisch, Kurdisch und hat Grundkenntnisse in Tschechisch, Slowakisch und Serbisch.

Auch der Vater lebt noch in der Türkei, jedoch besteht zu diesem schon länger kein Kontakt mehr.

Strafrechtliche Vormerkungen:

In der Datenbank des österreichischen Strafregisters scheinen folgende Vormerkungen wegen rk. gerichtlicher Verurteilungen auf.:

01) BG XXXX vom 01.02.2012 RK 07.02.2012

§ 127 StGB

Datum der (letzten) Tat 02.07.2003

Geldstrafe von 60 Tags zu je 2,00 EUR (120,00 EUR) im NEF 30 Tage Ersatzfreiheitsstrafe

Junge(r) Erwachsene(r)

Vollzugsdatum 11.04.2013

02) LG XXXX vom 31.08.2015 RK 19.02.2016

§ 15 StGB § 75 StGB

Datum der (letzten) Tat 11.04.2015

Freiheitsstrafe 11 Jahre

Aus dem vorliegenden Urteil ergibt sich:

Die beschwerdeführende Partei wurde vom Landesgericht für schuldig befunden, dass sie am 11. April 2015 in Wien versucht hat die L.H. zu töten, indem sie mit einem Messer in Richtung ihres Bauches einstach, wobei es lediglich deshalb beim Versuch blieb, weil sie ausweichen und das Messer mit der linken Hand abwehren konnte, wodurch sie einen Durchstich des linken Daumenballens, sohin eine an sich schwere Verletzung, erlitt.

Die beschwerdeführende Partei hat dadurch begangen das Verbrechen des Mordes nach §§ 15, 75 StGB und wird hierfür nach dieser Gesetzesstelle zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt.

Die erlittene Vorhaft vom 11. April 2015 bis 31. August 2015 wurde auf die verhängte Freiheitsstrafe angerechnet.

Als mildernd wurde insbesondere einerseits das Zugeständnis des Angeklagten, sein Opfer mit einem Messer attackiert zu haben, berücksichtigt, wenngleich es sich bei der Verantwortung des Angeklagten keinesfalls um eine (reumütige) geständige Verantwortung handelte, bestritt jedoch vehement die subjektive Tatseite und konnte selbst in der Hauptverhandlung seinen offensichtlich vorherrschenden Drang, sich selbst als Opfer darzustellen und das eigentliche Opfer dem Prostitution-und Drogenmilieu zuzuordnen, nicht widerstehen.

Auch dies spiegelt das Wesen und den Charakter des Angeklagten wieder, der subjektiv der Ansicht ist, er sei verletzt worden und die Tat sinngemäß als einen Akt der angemessenen Selbstjustiz darstellt, dachte er doch - wie er im Rahmen der Einvernahme meinte - für ein paar Monate ins Gefängnis zu müssen. Dies war ihm die Tathandlung offenbar Wert.

Die Berücksichtigung des Milderungsgrundes einer geständigen Verantwortung musste sohin jedenfalls unterbleiben. Dass es lediglich beim Versuch blieb, wurde mildernd berücksichtigt

Die Ansicht, der Schaden sei als gering anzusehen und sei dieser Umstand ebenso mildernd zu berücksichtigen, ist verfehlt. Zum einen wurde das Opfer schwer verletzt und ist der Schaden sohin bereits aus diesem Grund nicht als gering anzusehen. Der Umstand, dass das Opfer bei der Tathandlung nicht getötet wurde, fand im Milderungsgrund des Versuchs ausreichend Berücksichtigung.

Dem standen keine Erschwerungsgründe gegenüber.

Da keiner der wesentlichsten und gewichtigsten Milderungsgründe, nämlich ein reumütiges Geständnis bzw. ein bisher ordentlicher Lebenswandel (der Angeklagte ist wegen des Vergehens des Diebstahls vorbestraft) vorlagen, war die zu verhängende Freiheitsstrafe etwas über der Mindeststrafe anzusiedeln.

Einer Berufung gegen das Urteil durch die beschwerdeführende Partei hat das Oberlandesgericht nicht Folge gegeben. Das Berufungsgericht führte dabei unter anderem auch aus, dass mit Blick auf die Strafregisterauskunft, aus der sich eine Verurteilung wegen Diebstahles entnehmen lässt, es unerfindlich bleibt, weshalb dem Angeklagten der Milderungsgrund des ordentlichen Lebenswandels das zugutekommen sollte.

Das Vorliegen von rk. Verwaltungsstrafen wurde dem BVwG nicht mitgeteilt und ergibt sich auch nicht aus dem Akteninhalt.

Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts:

Abgesehen von obigen Tathandlungen, weshalb sie rechtskräftig verurteilt wurde, kamen keine Verstöße gegen die öffentliche Ordnung hervor.

Die bP brachte insbesondere auch in der Beschwerde nicht konkret vor, dass sie entgegen der Meldeverpflichtung durch das Meldegesetz sich trotz Abmeldung ihrer jeweiligen Wohnsitze dessen ungeachtet in Österreich aufgehalten hat und unterstellt ihr das Bundesverwaltungsgericht daher kein Verhalten, das nicht nur gegen das Meldegesetz verstoßen würde, sondern auch aus fremdenrechtlicher Sicht bedenklich und unerwünscht wäre.

Verfahrensdauer:

Das Verfahren wurde vor beiden Instanzen ohne größere Unterbrechungen durchgeführt.

1.6. Zu den Gründen für die Erlassung des Einreiseverbotes

Hier kann auf die oa. Feststellungen zu den Verurteilungen verwiesen werden.

1.7. Zur Lage im Herkunftsstaat Türkei:

Das Bundesamt hat im Bescheid das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation mit Stand 27.06.2019 widergegeben. Zusammengefasst ergibt sich daraus im Wesentlichen Folgendes:

In der Türkei fand in der Nacht vom 15. auf den 16.07.2016 ein Putschversuch statt. Eine Reihe von Putschisten aus dem Militär hatte v. a. in Ankara und Istanbul mit Hilfe von Kampfflugzeugen, Helikoptern und Panzern versucht, die staatliche Kontrolle zu übernehmen sowie StP Erdogan zu stürzen. Der Putschversuch konnte rasch niedergeschlagen werden und war am 16.07.2016 beendet. Die AKP-Regierung hatte viele Bürger der Türkei in der Putschnacht mit Hilfe von Aufrufen der Imame über die Lautsprecher der Moscheen mobilisieren können, sich den Putschisten auf den Straßen entgegen zu stellen. Während des Putschversuchs kamen nach offiziellen Angaben 282 Personen ums Leben.

Die türkische Regierung hat die Gülen-Bewegung als terroristische Organisation eingestuft, die sie "FETÖ" oder auch "FETÖ/PDY" nennt ("Fethullahistische Terrororganisation / Parallele Staatliche Struktur").

Türkische Staatsbürger nichttürkischer Volkszugehörigkeit sind aufgrund ihrer Abstammung grds. keinen staatlichen Repressionen unterworfen. Die Ausweispapiere enthalten keine Aussage zur ethnischen Zugehörigkeit.

Die Kurden (ca. 20% der Bevölkerung) leben v.a. im Südosten des Landes sowie, bedingt durch Binnenmigration und Mischehen, in den südlich und westlich gelegenen Großstädten

(Istanbul, Izmir, Antalya, Adana, Mersin, Gaziantep). Mehr als 15 Millionen türkische Bürger haben einen kurdischen Hintergrund und sprechen einen der kurdischen Dialekte.

Neben den offiziell anerkannten religiösen Minderheiten gibt es u.a. folgende ethnische Gruppen, wobei die Angaben zu Zahlenstärken recht unzuverlässig sind: Kurden (13 bis 15 Mio.), Roma (zwischen 2 und 5 Mio.), Tscherkessen (geschätzt rd. 2 Mio.), Bosniaken (bis zu

2 Mio.), Krimtataren (geschätzt rd. 1 Mio.), Araber (vor dem Syrienkrieg 800 000 bis 1 Mio.),

Lasen (zw. 50 000 und 500 000), Georgier (rd. 100 000), Uighuren (rd. 50 000), Armenier (mind. 40 000), Syriaken (zw. 20 000 und 30 000) und andere Gruppen in kleiner und schwer zu bestimmender Anzahl (div. zentralasiatische und kaukasische Volksgruppen, Turkomanen, Pomaken, Albaner und andere).

Der private Gebrauch der kurdischen Sprache ist in Wort und Schrift seit Anfang der 2000er Jahre keinen Restriktionen ausgesetzt, der amtliche Gebrauch ist allerdings eingeschränkt.

Unterricht in kurdischer Sprache ist an öffentlichen Schulen seit 2012 und an privaten seit 2014 möglich (Wahlpflichtfach "Lebendige Sprachen und Mundarten"). Außerdem wurde die Möglichkeit geschaffen, dass Dörfer im Südosten ihre kurdischen Namen zurückerhalten.

Die verfassungsrechtliche Festschreibung von Türkisch als einziger Nationalsprache bleibt jedoch erhalten. Seit einigen Jahren existiert im Südosten eine lebendige kurdischsprachige

Medienlandschaft (TV, Funk, Print, Online). Viele - regierungskritische - Medien wurden jedoch seit 2015 von der Regierung verboten.

Für eine Rückkehr zum politischen Verhandlungsprozess zwischen der Regierung und der

PKK gibt es aktuell keine Anzeichen.

Die Türkei erkennt Minderheiten als Gruppen mit rechtlichem Sonderstatus grundsätzlich

unter den Voraussetzungen des Lausanner Vertrags von 1923 an, der "türkischen Staatsangehörigen, die nichtmuslimischen Minderheiten angehören, (...) die gleichen gesellschaftlichen und politischen Rechte wie Muslimen" (Art. 39) garantiert. Weiterhin sichert er den nichtmuslimischen Minderheiten das Recht zur "Gründung, Verwaltung und Kontrolle (...) karitativer, religiöser und sozialer Institutionen und Schulen sowie anderer Einrichtungen zur Unterweisung und Erziehung" zu (Art. 40). Nach offizieller türkischer Lesart beschränkt sich der Schutz allerdings auf drei Religionsgemeinschaften: die griechisch-orthodoxe (ca. 2.000), die armenisch-apostolische Kirche (ca. 60.000) und die jüdische Gemeinschaft (ca. 20.000 Mitglieder). Nicht umfasst sind Gläubige diverser Ostkirchen, Katholiken, Protestanten und weitere nicht-sunnitische Religionsgruppen - einschließlich Aleviten (bis zu 25% der Bevölkerung) und Schiiten.

Mit schätzungsweise 15 - 20 Millionen bilden die türkischen, zum Teil auch kurdischen Aleviten nach den Sunniten die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft der Türkei. Seit dem Beschluss der CHP im Februar 2015, alevitische Gebetsstätten "Cem-Haus" (Cem Evi) mit

Glaubensstätten anderer Religionen beispielsweise der Moscheen gleichzustellen, wurde der Beschluss in den CHP-Stadtverwaltungen umgesetzt. 2015 entschied der Kassationsgerichtshof (Az: 2015/9711 K.), dass Cem-Häuser wie Gebetshäuser zu behandeln sind. Der 13. Senat des Verwaltungsgerichtshofes bestätigte 2017 ein Urteil, dass die Stromkosten einer alevitischen Stiftung in Istanbul von der staatlichen (sunnitischen) Religionsbehörde Diyanet getragen werden müssen. Die anderen Hauptforderungen der Aleviten wurden bislang jedoch nicht erfüllt. Diese Forderungen sind v. a.: Gleichstellung von Cem-Häusern mit Moscheen, inkl. staatliche Unterstützung analog zu Sunniten, Freiwilligkeit der Teilnahme am staatlichen "Religions- und Gewissenskunde"-Unterricht im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Die Möglichkeit der Abwahl des Religionsunterrichts wurde ausgeweitet. Das Erziehungsministerium hat mit Ratsbeschluss die Freistellung von christlichen und jüdischen Schülern offiziell eingeräumt, wenn die Religionszugehörigkeit nachgewiesen wird. Darüber hinaus soll diese Option in der Praxis grundsätzlich auch für alevitische Schüler gelten.

Dem Auswärtigen Amt und türkischen Menschenrechtsorganisationen ist in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden, in dem ein aus Deutschland in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten - dies gilt auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen - gefoltert oder misshandelt worden ist. Zu demselben Ergebnis kommen andere EU-Staaten und die USA.

Wenngleich es Mängel im Sicherheits-und Rechtschutzsystem gibt, kann nicht davon gesprochen werden, dass für die Bevölkerung generell keine wirksamen Schutzmechanismen vorhanden wären oder, dass dazu kein Zugang möglich wäre.

Das Recht auf sofortigen Zugang zu einem Rechtsanwalt innerhalb von 24 Stunden ist

grundsätzlich gewährleistet. Das Recht auf kostenlose Rechtsberatung gilt bei nachgewiesener Mittellosigkeit und ist an die Antragstellung gebunden. Ausgenommen von der Antragstellung sind Minderjährige, Taubstumme und Behinderte.

Dem Auswärtigen Amt sind in den letzten Jahren keine Gerichtsurteile auf Grundlage von -

durch die Strafprozessordnung verbotenen - erpressten Geständnissen bekannt geworden.

Anwälte berichten, dass Festgenommene in einigen Fällen durch psychischen Druck verleitet

werden, Aussagen zu machen. Bekannt ist auch, dass Erkenntnisse aus unzulässigen Telefonüberwachungen in Strafverfahren Eingang finden. Human Rights Watch weist in diesem Zusammenhang auf den nachlässigen Umgang mit Beweismitteln hin.

Das türkische Recht sichert die grundsätzlichen Verfahrensgarantien im Strafverfahren.

Mängel gibt es beim Umgang mit vertraulich zu behandelnden Informationen, insbesondere

persönlichen Daten, beim Zugang zu den erhobenen Beweisen für Beschuldigte und Rechtsanwälte und - jedenfalls in Terrorprozessen - bei den Verteidigungsmöglichkeiten.

Fälle mit Bezug zur angeblichen Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung, der PKK oder deren

zivilem Arm KCK werden häufig als geheim eingestuft mit der Folge, dass Rechtsanwälte bis

zur Anklageerhebung keine Akteneinsicht nehmen können. Geheime Zeugen können im Prozess nicht direkt befragt werden. Gerichtsprotokolle werden mit wochenlanger Verzögerung erstellt. Anwälte werden vereinzelt daran gehindert, bei Befragungen ihrer Mandanten anwesend zu sein. Dies gilt insbesondere in Fällen mit dem Verdacht auf terroristische Aktivitäten. Beweisanträge der Verteidigung und die Befragung von Belastungszeugen durch die Verteidiger werden im Rahmen der Verhandlungsführung des Gerichts eingeschränkt. Der subjektive Tatbestand wird nicht erörtert, sondern als gegeben unterstellt. Beweisanträge dazu werden zurückgewiesen. Insgesamt kann - jedenfalls in den Gülenisten -Prozessen - nicht von einem unvoreingenommenen Gericht und einem fairen Prozess ausgegangen werden.

Der Wehrpflicht unterliegt jeder männliche türkische Staatsangehörige zwischen dem 19.

und dem 41. Lebensjahr (). Diejenigen, die innerhalb dieser Zeit den Wehrdienst nicht abgeleistet haben, werden von der Wehrpflicht nicht befreit. Auslandstürken können sich gegen Entgelt von der Wehrpflicht freikaufen. Mit Änderung im Wehrgesetz vom 26.07.2018 (Art. 1 ÄG Nr. 7146) wurde das Entgelt von 1.000 Euro auf 2.000 Euro erhöht. 2018 wurde erstmals eine zeitlich befristete Freikaufoption für im Inland lebende Wehrpflichtige geschaffen, die vor dem 01.01.1994 geboren wurden. Die Befreiung erfolgte durch die Bezahlung eines Pauschalbetrags i.H.v. 15.000 TL (umgerechnet derzeit etwa 2.680 EUR) und Ableistung des Grundwehrdienstes von 21 Tagen.

Das Verteidigungsministerium plant laut Ankündigung des Staatspräsidenten vom März 2019 neben der Verkürzung des Wehrdienstes auf sechs Monate die Einführung einer (auf 145 000 pro Jahr kontingentierten) Freikaufoption für alle im Inland lebenden Wehrpflichtigen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) spielt im Land eine besonders

wichtige Rolle. Mit der Einführung der Individualbeschwerde seit September 2012 beruft sich das Verfassungsgericht noch häufiger auf die EMRK. Im Zuge des massenhaften strafrechtlichen Vorgehens gegen mutmaßliche Anhänger der Gülen-Bewegung kam es zu einer deutlichen Zunahme der Individualbeschwerden beim EGMR, die jedoch idR am Erfordernis der innerstaatlichen Rechtswegerschöpfung scheitern.

Des Weiteren ist die Türkei den wichtigsten Übereinkommen der Vereinten Nationen beigetreten.

Es ergibt sich auf Grund der Berichtslage und dem aktuellen Amtswissen (www.ecoi.net) nicht, dass in der Türkei aktuell eine Lage herrschen würde, die für eine Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit (infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes) mit sich bringen würde.

Es kann nicht festgestellt werden, dass aktuell in der Türkei eine derart schlechte Versorgungslage herrschen würde, dass nicht das zur Existenz unbedingt Notwendige erlangbar wäre. Die Gesundheitsversorgung ist grds. gewährleistet und zugänglich.

Dem Auswärtigen Amt und türkischen Menschenrechtsorganisationen ist in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden, in dem ein aus Deutschland in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten - dies gilt auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen - gefoltert oder misshandelt worden ist. Zu demselben Ergebnis kommen andere EU-Staaten und die USA.

2. Beweiswürdigung

Einleitend ist anzuführen, dass die im Verfahren aufgenommene Niederschrift mit den Aussagen der bP vollen Beweis iSd § 15 AVG über den Verlauf und Gegenstand der Amtshandlung bilden und mit diesem Inhalt als Beweismittel der Beweiswürdigung unterzogen werden kann. Die von der bP nach Ausfolgung der Niederschrift getätigten Ergänzungen wurden berücksichtigt.

Die bP trat den Gegenbeweis der Unrichtigkeit des darin bezeugten Vorganges nicht an.

Ad 1.1.1 Identität und Herkunftsstaat:

Die Feststellungen ergeben sich unstreitig aus den in diesem Punkt gleichbleibenden persönlichen Angaben sowie dem vorliegenden Reisepass.

Ad 1.1.2. Regionale Herkunft und persönliche Lebensverhältnissen vor der Ausreise:

Die Feststellungen ergeben sich unstreitig aus den persönlichen Angaben der bP.

Ad 1.1.3. Familiäres/verwandtschaftliches bzw. soziales Netzwerk im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen ergeben sich unstreitig aus den persönlichen Angaben der bP.

Ad 1.1.4. Gesundheitszustand:

Diese Feststellung ergibt sich unstreitig aus ihren persönlichen Angaben.

Ad 1.1.5. Privatleben / Familienleben in Österreich

Diese Feststellungen ergeben sich unstreitig aus dem Akteninhalt des Bundesamtes und ihren Beschwerdeangaben.

Ad 1.1.6.

Diese Feststellungen ergeben sich unstreitig aus dem Akteninhalt (rk Gerichtsurteil) des Bundesamtes.

Ad 1.1.7. Zur Lage in der Türkei

Diese Feststellungen ergeben sich unstreitig geblieben aus den zitierten Quellen. Die bP ist diesen in der Beschwerde nicht entgegen getreten.

3. Rechtliche Beurteilung

Rückkehrentscheidung

Gemäß § 52 Abs. 5 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt EU" verfügt, ein Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine "gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit" darstellen würde.

§ 53 Abs. 3 FPG regelt die Erlassung eines Einreiseverbotes für die Dauer von höchstens 10 Jahren, in bestimmten Fällen auch die unbefristete Erlassung. Ein solches ist zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen, die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat insbesondere zu gelten, wenn

1. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist;

2. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht wegen einer innerhalb von drei Monaten nach der Einreise begangenen Vorsatztat rechtskräftig verurteilt worden ist;

3. ein Drittstaatsangehöriger wegen Zuhälterei verurteilt worden ist;

4. ein Drittstaatsangehöriger wegen einer Wiederholungstat oder einer gerichtlich strafbaren Handlung im Sinne dieses Bundesgesetzes oder des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtskräftig bestraft oder verurteilt worden ist;

5. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als 3 Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;

6. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278 StGB, Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB) oder eine Person zur Begehung einer terroristischen Straftat anleitet oder angeleitet hat (§ 278f StGB);

7. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet;

8. ein Drittstaatsangehöriger öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt, oder

9. der Drittstaatsangehörige ein Naheverhältnis zu einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung hat und im Hinblick auf deren bestehende Strukturen oder auf zu gewärtigende Entwicklungen in deren Umfeld extremistische oder terroristische Aktivitäten derselben nicht ausgeschlossen werden können, oder auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass er durch Verbreitung in Wort, Bild oder Schrift andere Personen oder Organisationen von seiner gegen die Wertvorstellungen eines europäischen demokratischen Staates und seiner Gesellschaft gerichteten Einstellung zu überzeugen versucht oder versucht hat oder auf andere Weise eine Person oder Organisation unterstützt, die die Verbreitung solchen Gedankengutes fördert oder gutheißt.

Einer Verurteilung nach Abs. 3 Z 1, 2 und 5 ist eine von einem Gericht veranlasste Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gleichzuhalten, wenn die Tat unter Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes begangen wurde, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht.

Im konkreten Fall hat das Bundesamt eine gegenwärtige und hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu Recht angenommen, weil die bP mit Urteil des Landesgerichtes, wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach den §§ 75 und 15 StGB schuldig gesprochen und zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 11 (elf) Jahren verurteilt wurde (zum konkreten Sachverhalt wird auf die Feststellungen verwiesen). Die bP verstieß damit gegen ganz wesentliche Interessen für ein gedeihliches Zusammenleben der Gesellschaft, nämlich die körperliche Unversehrtheit von Menschen. Aus dem rk. Urteil geht deutlich hervor, dass die bP damit zeigte, dass sie von ihrem "Wesen und Charakter" zur "Selbstjustiz" neigt und dafür auch durchaus Gefängnisstrafen in Kauf nimmt, was ein besonders hohes Gefährdungspotential für die Gesellschaft darstellt.

Zitat aus dem Urteil: "Auch dies spiegelt das Wesen und den Charakter des Angeklagten wieder, der subjektiv der Ansicht ist, er sei verletzt worden und die Tat sinngemäß als einen Akt der angemessenen Selbstjustiz darstellt, dachte er doch - wie er im Rahmen der Einvernahme meinte - für ein paar Monate ins Gefängnis zu müssen. Dies war ihm die Tathandlung offenbar Wert." Die bP zeigte sich im Strafverfahren beim Landesgericht auch nicht reumütig. Das Landesgericht verneinte auch einen bisher ordentlichen Lebenswandel, in dem es auf die bereits erfolgte Verurteilung gem. § 127 StGB hinwies.

Die bP befindet sich seit etwas mehr als 4 Jahren in Haft und wurde insgesamt zu einer 11jährigen Haftstrafe verurteilt.

Der Behörde kann nicht entgegen getreten werden, wenn sie davon ausgeht, dass diese von der bP ausgehende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit auch noch gegenwärtig vorliegt, das heißt, nach wie vor aktuell ist.

Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 52 Abs. 5 FPG für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung liegen daher vor.

Die bP gibt erstmals in der Beschwerde an, dass sie als "Kind einer assoziierungsintegrierten Person" nach Österreich gekommen sei, bzw. dass sie "aus ihrer eigenen Erwerbstätigkeit in Österreich die Rechte aus dem Assoziierungsabkommen erworben" habe. Es seien deshalb die Regelungen für begünstigte Drittstaatsangehörige anzuwenden und die Behörde hätte allenfalls nur ein Aufenthaltsverbot erlassen dürfen.

Die bP macht weder m Verfahren noch in der Beschwerde konkrete, in ihrer persönlichen Sphäre liegenden nachvollziehbaren Angaben, woraus sie erachtet, dass sie ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen erlangt haben könnte und ergibt sich dies auch nicht dergestalt nachvollziehbar aus dem Akteninhalt.

Der Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19.09.1980 über die Entwicklung der Assoziation regelt im Wesentlichen welche Rechte türkischen Staatsangehörigen im Aufnahmemitgliedstaat auf dem Gebiet der Beschäftigung zustehen. Die Artikel 6 und 7 ARB 1/80 sind dabei die zentralen Vorschriften aus denen türkische Staatsangehörige, sofern die Voraussetzungen vorliegen, unmittelbar Ansprüche für rechtmäßigen Aufenthalt und Arbeitserlaubnis herleiten können.

Die Art 6 und 7 enthalten ihrem Wortlaut nach in erster Linie beschäftigungsrechtliche Regelungen. Der EuGH geht jedoch in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die beschäftigungsrechtlichen Vergünstigungen, die türkischen Staatsangehörigen verliehen werden, zwangsläufig auch ein Aufenthaltsrecht dieser Personen im jeweiligen EU-Mitgliedstaat beinhalten, weil sonst die in diesen Bestimmungen eingeräumten Arbeitsmarktzugangsrechte wirkungslos wären.

Artikel 6 ARB 1/80

(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, in diesem Mitgliedstaat

- nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt;

- nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung - vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs - das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaates eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben;

- nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis.

(2) Der Jahresurlaub und die Abwesenheit wegen Mutterschaft, Arbeitsunfall oder kurzer Krankheit werden den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt. Die Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit, die von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind, sowie die Abwesenheit wegen langer Krankheit werden zwar nicht den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt, berühren jedoch nicht die aufgrund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche.

(3) Die Einzelheiten der Durchführung der Absätze 1 und 2 werden durch einzelstaatliche Vorschriften festgelegt.

Artikel 7 ARB 1/80

Die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen,

- haben vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben;

- haben freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben.

Die Kinder türkischer Arbeitnehmer, die im Aufnahmeland eine Berufsausbildung abgeschlossen haben, können sich unabhängig von der Dauer ihres Aufenthalts in dem betreffenden Mitgliedstaat dort auf jedes Stellenangebot bewerben, sofern ein Elternteil in dem betreffenden Mitgliedstaat seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war.

Artikel 13 ARB 1/80

Die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei dürfen für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen.

Die Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 schließt die Anwendbarkeit neu eingeführter Bestimmungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt nur dann aus, wenn eine restriktivere (verschärfte) Regelung getroffen wird, als sie eine frühere Rechtslage vorsah (vgl. VwGH 23.11.2017, Ra 2016/22/0099, 19.1.2012, 2011/22/0313).(VwGH 16.01.2018, Ra 2017/22/0209)

Die Stillhalteklausel nach Art. 13 des ARB 1/80 ist nicht nur auf die schon in den Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats integrierten türkischen Staatsangehörigen anzuwenden (vgl. Urteile EuGH 21. Oktober 2003, C 317/01 - Abatay ua; und C-369/01 - N. Sahin; sowie Urteil EuGH 9. Dezember 2010, C-300/09 - Toprak; und C-301/09 - Oguz); allerdings muss die Absicht vorhanden sein, sich in den Arbeitsmarkt des betreffenden Mitgliedstaates zu integrieren (vgl. Urteil EuGH Abatay; sowie Urteil EuGH 29. April 2010, C-92/07 - Kommission gegen Niederlande; wonach Art. 13 ARB 1/80 der Einführung neuer Beschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit einschließlich solchen entgegensteht, die die materiell- und/oder verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für die erstmalige Aufnahme jener türkischen Staatsangehörigen im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats betreffen, die dort von dieser Freiheit Gebrauch machen wollen). Ferner kann sich auf die Stillhalteklausel nur berufen, wer die Vorschriften des Aufnahmemitgliedstaats auf dem Gebiet der Einreise, des Aufenthalts und gegebenenfalls der Beschäftigung beachtet hat. Sie steht hingegen nicht einer Verstärkung der Maßnahmen entgegen, die gegenüber türkischen Staatsangehörigen getroffen werden können, die sich in einer nicht ordnungsgemäßen Situation befinden (vgl. Urteil EuGH Abatay).(VwGH 18.04.2018, Ra 2018/22/0004)

Artikel 14 ARB 1/80. (1) Dieser Abschnitt gilt vorbehaltlich der Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind.

(2) Er berührt nicht die Rechte und Pflichten, die sich aus den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder zweiseitigen Abkommen zwischen der Türkei und den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ergeben, soweit sie für ihre Staatsangehörigen eine günstigere Regelung vorsehen.

Selbst wenn man hyp. annehmen würde, die bP würde unter das zitierte Abkommen fallen, erfolgt der Einwand, dass gegenständlich nur ein Aufenthatlsverbot verhängt werden dürfte aus nachfolgenden Gründen nicht zu Recht:

Die Judikatur des VwGH (vgl. VwGH 27.6.2006, 2006/18/0138; VwGH 26.9.2007, 2007/21/0215), wonach die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegen ARB 1/80-berechtigte türkische Staatsangehörige nur nach Maßgabe jener Norm in Frage kommt, die Aufenthaltsverbote gegen EWR-Bürger regelt (seit Inkrafttreten des FrÄG 2011 mit 1. Juli 2011 ist das § 67 FrPolG 2005), kann nämlich jedenfalls nicht mehr uneingeschränkt aufrecht erhalten werden (Hinweis EuGH 8.12.2001, Ziebell, C-371/08).

Mit dem FNG 2014 wurde mit Wirksamkeit vom 1. Jänner 2014 das System verändert. Seither gibt es Ausweisung und Aufenthaltsverbot (§§ 66 und 67 FrPolG 2005) nur mehr gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige, während gegen alle sonstigen Drittstaatsangehörigen nur mehr eine Rückkehrentscheidung (§ 52 FrPolG 2005; entweder alleine oder in Verbindung mit einem Einreiseverbot nach § 53 FrPolG 2005) in Betracht kommt.

Türkische Staatsangehörige - auch solche mit einer Aufenthaltsberechtigung nach dem ARB 1/80 - sind "sonstige" Drittstaatsangehörige. Sie unterfallen daher dem Wortlaut nach § 52 FrPolG 2005.

Auch gegen türkische Staatsangehörige, die über eine Aufenthaltsberechtigung nach dem ARB 1/80 verfügen und deren Aufenthalt in Übereinstimmung mit Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 beendet werden soll, ist nunmehr - seit dem FNG 2014, anders als nach der bis 31. Dezember 2013 geltenden Rechtslage, nicht mehr ein Aufenthaltsverbot, sondern eine Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot zu erlassen.

Freilich hat es dabei zu bleiben, dass diese Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot eine Gefährdung voraussetzt, die jener gleichkommt, die die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger rechtfertigt oder, wie sich aus EuGH 8.12.2011, Ziebell, C-371/08, ergibt, im Fall eines türkischen Staatsangehörigen, der sich seit mehr als zehn Jahren ununterbrochen rechtmäßig in Österreich aufhält, Art. 12 der Daueraufenthalts-RL - umgesetzt durch § 52 Abs. 5 FrPolG 2005 - entspricht.

Bei der Frage nach dem auf die bP anzuwendenden Gefährdungsmaßstab wird allerdings das zu Art. 28 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 2004/38/EG (Freizügigkeitsrichtlinie) ergangene Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) vom 16. Jänner 2014, Rs C-400/12, zu berücksichtigen sein, weil § 67 Abs. 1 FPG insgesamt der Umsetzung von Art. 27 und 28 dieser Richtlinie - § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG im Speziellen der Umsetzung ihres Art. 28 Abs. 3 lit. a - dient. Der zum erhöhten Gefährdungsmaßstab nach Art. 28 Abs. 3 lit. a der genannten Richtlinie bzw. dem fünften Satz des § 67 Abs. 1 FPG führende zehnjährige Aufenthalt im Bundesgebiet muss demnach grundsätzlich "ununterbrochen" sein. Es können einzelne Abwesenheiten des Fremden unter Berücksichtigung von Gesamtdauer, Häufigkeit und der Gründe, die ihn dazu veranlasst haben, Österreich zu verlassen, auf eine Verlagerung seiner persönlichen, familiären oder beruflichen Interessen schließen lassen. Auch der Zeitraum der Verbüßung einer Freiheitsstrafe durch den Betroffenen ist grundsätzlich geeignet, die Kontinuität des Aufenthaltes iSd Art. 28 Abs. 3 lit. a der Freizügigkeitsrichtlinie zu unterbrechen und sich damit auf die Gewährung des dort vorgesehenen verstärkten Schutzes auch in dem Fall auszuwirken, dass sich der Fremde vor dem Freiheitsentzug mehrere Jahre lang (kontinuierlich) im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat. Dies ist - bei einer umfassenden Beurteilung - im Rahmen der Prüfung zu berücksichtigen, ob die zuvor mit dem Aufnahmemitgliedstaat geknüpften Integrationsverbindungen abgerissen sind (vgl. insbesondere Rn. 25 sowie 31 bis 36 des zitierten Urteils des EuGH vom 16. Jänner 2004 und - daran anknüpfend - das hg. Erkenntnis vom 19. Februar 2014, Zl. 2013/22/0309).

Bei der Beurteilung des Gefährdungsmaßstabs ist in einem Verfahren betreffend Aufenthaltsverbot das Urteil des EuGH vom 16. Jänner 2014, Rs C-400/12, zu berücksichtigen, wonach (der im § 67 Abs. 1 fünfter Satz FrPolG 2005 umgesetzte) Art. 28 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 2004/38/EG (Freizügigkeitsrichtlinie) dahin auszulegen ist, dass ein Zeitraum der Verbüßung einer Freiheitsstrafe durch den Betroffenen grundsätzlich geeignet ist, die Kontinuität des Aufenthalts im Sinne dieser Bestimmung zu unterbrechen und sich damit auf die Gewährung des dort vorgesehenen verstärkten Schutzes auch in dem Fall auszuwirken, dass sich diese Person vor dem Freiheitsentzug zehn Jahre lang im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat. Dieser Umstand kann jedoch bei der umfassenden Beurteilung berücksichtigt werden, die für die Feststellung, ob die zuvor mit dem Aufnahmemitgliedstaat geknüpften Integrationsverbindungen abgerissen sind, vorzunehmen ist.

Das Bundesamt stellte - mit Verweis auf das ZMR - zu Recht fest, dass sich die bP seit ihrer Einreise nicht durchgängig in Österreich aufgehalten hat:

12. November 2004 bis 5. Oktober 2007

2. März 2009 bis 19. Mai 2009

10. Juni 2009 bis 27. Oktober 2009

28. April 2010 bis 27. Dezember 2010

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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