TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/13 W173 2175840-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.02.2020
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Entscheidungsdatum

13.02.2020

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W173 2175840-1/8E

W173 2175829-1/8E

W173 2175833-1/8E

W173 2175834-1/8E

W173 2175836-1/8E

W173 2175838-1/8E

W173 2175736-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Margit MÖSLINGER-GEHMAYR als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1) XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, 2) XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, 3) XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, 4) XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, 5) XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, 6) XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan und 7) XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, alle vertreten durch die ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 27.9.2017, zu den Zahlen 1) XXXX , 2) XXXX , 3) XXXX , 4) XXXX , 5) XXXX , 6) XXXX und 7) XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 8.10.2019 zu Recht:

A)

Den Beschwerden wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 sowie XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status von Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. XXXX (in der Folge 1.BF), XXXX (7.BF), XXXX (2.BF), XXXX (3.BF), XXXX (4.BF), XXXX (5.BF) und XXXX (6.BF) reisten im Juli 2016 in Österreich ein und stellten am 5.7.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Für die minderjährigen Beschwerdeführer und Beschwerdeführerinnen (2.BF, 3.BF, 4.BF, 5.BF, und 6.BF) stellte die 1.BF als deren gesetzliche Vertreterin die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

2. Bei ihrer Erstbefragung durch die Landespolizeidirektion Salzburg am 6.7.2016 gab die 1.BF an, in Kabul geboren, verheiratet mit dem 7.BF und sunnitischen Glaubens zu sein. Zu ihren Fluchtgründen befragt, gab die 1.BF an, dass sie nach Österreich geflüchtet seien, weil es in Kabul unsicher gewesen sei. Ihr Sohn habe die Schule nicht mehr besuchen können. Das letzte Mal sei ein Anschlag in seiner Schule gewesen. Beim ihrem Aufenthalt in Kandahar bei der Schwiegermutter sei eine Mine neben der Tür versteckt worden. Ihre Schwägerin habe dabei ein Bein verloren. Auch die Schwiegermutter sei verletzt worden. In Kabul gebe es Anschläge. Es sei unsicher. Ob ihr Ehemann (7.BF7) von der Arbeit wieder nach Hause komme, wisse man nicht.

Der 7.BF gab im Zuge seiner Erstbefragung am 6.7.2016 an, in Kabul geboren, verheiratet mit der 1.BF und sunnitischen Glaubens zu sein. Zu seinen Fluchtgründen führte er aus, dass es in Kabul unsicher gewesen sei und er seine Mutter in Kandahar nicht habe besuchen können. Er befürchte bei einer Rückkehr Anschläge und seine Kinder könnten nicht die Schule besuchen.

3. In der Einvernahme durch Organe des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Regionaldirektion Niederösterreich, am 18.9.2017, führte die 1.BF aus, sie habe am XXXX im Iran geheiratet. Sie sei im Iran aufgewachsen und sei ein Kleinkind gewesen, als sie mit ihren Eltern in den Iran gegangen sei. Am 14.8.2013 seien sie alle gemeinsam abgeschoben worden und hätten ca. eineinhalb Jahre in Kabul verbracht. Sie sei Tadschikin und sunnitisch muslimischen Glaubens. Sie habe keine Schule besucht. Beruflich habe ihr Mann genug verdient. Ihr Mutter und Tante würden noch in Kabul und ihre Schwiegermutter in Kandahar leben. Über ihren Fluchtgrund befragt, gab die 1.BF im Wesentlichen an, dass ihr Mann wegen Grundstücksstreitigkeiten eine Anzeige bei der Polizei erstattet habe, was ihren Cousin sehr verärgert habe. Dieser Cousin habe in Begleitung von vier Männern ihren Mann verprügelt und die 1.BF gefesselt. Die vier Männer hätten sich an ihr vergangen. Ihr Mann sei dann zur Polizei gegangen und ins Krankenhaus gebracht worden. Er habe sich umbringen wollen. Sie hätten daher beschlossen, Afghanistan zu verlassen. Der Cousin habe ihrem Mann mit der Tötung gedroht, wenn er ihn wieder anzeige. Auf den Vorhalt, warum weder sie noch ihr Mann diese Grundstücksstreitigkeiten bei der Erstbefragung erwähnt hätten, gab die 1.BF an, dass sie das aus Schamgefühl nicht getan habe. Bei einer Rückkehr ins Heimatland befürchte sie, dass der Verlobte ihrer Schwester, Allah Mohammad, ihr Probleme mache. Er sei ein Paschtune, wohne in Kabul und habe einen Autohandel in Herat. Sie habe den Mann zwei Mal gesehen. Ihr Onkel habe ihrer Mutter vorgehalten, dass Allah Mohammad seinen Ruf verloren habe, weil die Schwester der 1.BF ausgereist sei. Dieser Verlobte hätte die 1.BF sogar im Iran gefunden. In Österreich hätten Kinder und Frauen Freiheiten. Sie könne alleine das Haus verlassen. Das sei in Afghanistan nicht möglich. In Österreich sei sie alleine nach Wien gefahren und habe Kleidung gekauft. Der Vater (7.BF) habe auf die Kinder aufgepasst. Sie wolle in Österreich entweder Köchin werden oder einen Frisörladen besitzen. Ihr Mann (7.BF) habe nichts dagegen. Er habe auch nichts dagegen, dass sie kein Kopftuch trage. Sie habe in Österreich nach Arbeit gesucht und man habe ihr gesagt, dass sie mit Kopftuch keine Arbeit bekommen. Deswegen habe sie es abgelegt. Ihre Tochter würde ihnen weggenommen, da sie ihre Schwägerin mitgenommen hätten.

4. Der 7.BF gab in seiner Einvernahme durch das BFA am 18.9.2017 an, er sei ein kleines Kind gewesen, als er Afghanistan verlassen habe. Er sei insgesamt vier Mal in Afghanistan gewesen. Einmal freiwillig und die drei weiteren Male sei er vom Iran nach Afghanistan abgeschoben worden. Beim letzten Mal sei die ganze Familie abgeschoben worden. Er sei Tadschike und sunnitischer Moslem. Er habe in der iranischen Stadt XXXX 2001/02 geheiratet. Bis zur Ausreise habe die Familie 1,5 Jahre in Kabul gelebt. Er habe davon gelebt, ein Haus zu kaufen, es zu renovieren und mit Gewinn weiter zu verkaufen. Über seinen Fluchtgrund befragt, gab der 7.BF an, dass ein Cousin namens Bahar sein Haus und sein Grundstück nicht an den 7.BF zurückgegeben habe. Der Cousin vertrat die Meinung, der 7.BF habe keinen Anspruch auf das Erbe. Dies habe der 7.BF angezeigt. Danach sei der Cousin sehr böse auf ihn gewesen und sei zu ihm nach Hause gekommen. Er habe ihn gefesselt und geschlagen und vor seinen Augen die 1. BF vergewaltigt. Das habe sich ca. 10 Tage vor ihrer Ausreise in Afghanistan ereignet. Nach diesem Vorfall habe er sich oder seinen Cousin umbringen wollen. Es sei aber dann der Entschluss zur Ausreise gefasst worden. Er habe auch die verlobte Schwester seiner Frau mitgenommen. Diese sei in Griechenland. Nachdem sie einen Verlobten gehabt habe, sei auch dieser Verlobte sehr böse auf den 7.BF. Dieser Verlobte habe seine Schwiegermutter bedroht.

Auf den Vorhalt, diese Fluchtgründe bei der Erstbefragung nicht erwähnt zu haben, gab der 7.BF an, bei der Ersteinvernahme nicht gewusst zu haben, zu den Fluchtgründen befragt worden zu sein. Zum Hinweis, dass sowohl er als auch die 1.BF angegeben hätten, aufgrund der Sicherheitslage in Kabul Afghanistan verlassen zu haben, führte der 7.BF aus, dass sehr müde gewesen zu seien. Ihnen sei nicht bewusst die Bedeutung der Einvernahme bewusst gewesen. Weiter über den Vorfall befragt, gab er an, dass sein Cousin gegen 22 Uhr mit vier bewaffneten Personen geklopft habe und ihn gefragt habe, warum er eine Anzeige gegen ihn aufgegeben und seine Ehre verletzt habe. Sie hätten ihn zu fünft zusammengeschlagen gefesselt und dann hätten die vier Männer seine Frau vergewaltigt. Im Fall seiner Anzeige bei der Polizei habe der Cousin mit dem Umbringen gedroht. Er habe von einer Anzeige abgesehen, als er zur Polizei gebracht worden sei. Zu seinem Krankenhausaufenthalt gebe es keine Befunde. Bei einer Rückkehr in sein Heimatland habe er auch Angst vor dem Verlobten seiner Schwägerin, weil er die verlobte Schwägerin außer Land gebracht habe. In Österreich besuche er einen Deutschkurs und spiele Fußball. Im Rahmen der Einvernahme wurde eine schwer leserliche Kopie einer Tazkira sowie Kursbestätigungen vorgelegt.

5. Die belangte Behörde hat mit den oben im Spruch angeführten Bescheiden vom 27.9.2017 die gegenständlichen Anträge der Beschwerdeführer und Beschwerdeführerinnen (1.BF bis 7.BF) auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) abgewiesen und gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Den BF (1.BF bis 7.BF) wurden gemäß § 57 AsylG 2005 Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurden gegen sie Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebungen jeweils gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig seien (Spruchpunkt III.). Weiters wurde die Fristen für die freiwilligen Ausreisen gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit jeweils 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

Begründend wurde zu Spruchpunkt I. ausgeführt, dass nicht festgestellt werden hätten können, dass die BF in Afghanistan bedroht oder verfolgt werden würden. Das Vorbringen, wonach sie aus Furcht vor Verfolgung von Privatpersonen ausgereist seien, sei nicht glaubhaft gewesen. In der Erstbefragung sei von ihnen lediglich die Sicherheitslage in Afghanistan als Fluchtgrund vorgebracht worden und mit keinem Wort eine persönliche Verfolgung erwähnt worden. Da Fluchtvorbringen sei auch vage gewesen. Es würden Widersprüche zu den Aussagen über die Rückkehr nach Afghanistan und der anschließenden Ausreise vorliegen. Auch bei der Rückkehrbefragung sei mit keinem Wort der Cousin oder der Verlobte der Schwester erwähnt worden. Die Mutter der 1.BF könne jedoch ohne Probleme in Kabul leben. Die Ausführungen der 1.BF zur nunmehrigen westlichen Orientierung im Hinblick auf ihren Lebensstil hätten nicht überzeugt. Eine Rückkehr nach Afghanistan, insbesondere nach Kabul, wo die BF gelebt hätten und über familiäre Bande verfügen würden, sei den BF zumutbar. Dies gelte auch für Städte wie Mazar-e-Sharif und Herat. Dort seien die BF nicht gefährdet (1.BF bis 7.BF). Angesichts des offensichtlich unbegründeten Antrags auf internationalen Schutz, des kurzen Aufenthaltes im Bundesgebiet und das Nichtvorliegen von Integrationsaspekten überwiege das öffentliche Interesse an einer Effektuierung des Asyl- und Fremdenrechts den privaten Interessen der 1.BF. Der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung komme ein höherer Stellenwert zu. Die minderjährigen BF seien in einem anpassungsfähigen Alter und könne der Schulbesuch allein keinen Aufenthalt rechtfertigen. Die Durchsetzbarkeit der Rückkehrentscheidung sowie bei Vorliegen der in § 46 Abs.1 Z 1 bis 4 FPG genannten Voraussetzungen sei die Abschiebung der BF (1.BF bis 7.BF) zulässig. Die Rückkehrentscheidung sei zugleich mit einer Frist für die freiwillige Ausreise zu verbinden.

6. Gegen die im Spruch angeführten Bescheide vom 27.9.2017 wurde mit Schriftsatz vom 9.10.2017 von den BF (1.BF bis 7.BF), zu diesem Zeitpunkt alle vertreten durch den Rechtsanwalt Dr. Helmut Blum, jeweils fristgerecht eine gleichlautende, sämtliche Spruchpunkte bekämpfende Beschwerde unter Anschluss von Unterlagen erhoben.

Begründend wurde vorgebracht, dass die BF familieninterne Konflikte mit dem Cousin des 7.BF hätten. Dieser habe den 7.BF Informiert, auf Grund der Wiederverheiratung der Mutter nicht zu erben. Der Konflikt habe in einer Anzeige des 7.BF geendet, die in eine Verhaftung des Cousins gemündet habe. Dieser sei eines Tages mit drei anderen Männern vermummt zu den BF (1.BF bis 7.BF) nach Hause gekommen und hätten den 7.BF geschlagen und gefesselt sowie die 1.BF vor den Augen des 7.BF vergewaltigt. Der 7.BF sei vom ältesten Sohn entfesselt und in ein Krankenhaus gebracht worden, wobei er bereit gewesen sei, sich umzubringen. Nach einem Verbleib vom 23.5.1392 bis 11.10.1394 in Afghanistan seien die BF (1.BF bis 7.BF) dann ausgereist und die Schwester der 1.BF mitgenommen, da diese nicht einmal 15 Jahre alt gewesen und bereits einem alten Paschtunen versprochen worden sei. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan seien sie mit dem Cousin, sondern auch mit dem Verlobten ihrer Schwester konfrontiert und hätten Probleme. Die Schwester befinde sich derzeit in Griechenland. Widersprüche der Aussagen bei der Erstbefragung seien auf die Scham der BF damals zurückzuführen, über diese Vorfälle zu reden. Zudem hätten sie auch Angst gehabt. Aufgrund der Traumatisierung und Angst dürfe der Erstbefragung kein entscheidendes Gewicht beigemessen werden. Im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan sei die 1.BF der Gefahr ausgesetzt, aufgrund ihrer in Österreich angelernten westlichen Lebensweise, in ihren Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK verletzt zu werden. In Afghanistan könne sie sich nicht frei bewegen und müsse eine Nijab tragen. Selbst dies sei ein Problem in Afghanistan gewesen, zumal die 1.BF dort belästigt worden sei, die Kinder alleine in den Kindergarten zu begleiten und keine Burkha zu tragen. In Österreich könne sie ihre Freiheiten umfassend ausleben. Sie könne sich nicht mehr vorstellen, nach Afghanistan zurückzukehren und sich dort überwiegend nur im Haus zu bewegen. Die beiliegenden Integrationsunterlagen würden eine westliche Lebensweise belegten. Verwiesen wurde weiteres auf die Länderinformationen, aus denen zu entnehmen sei, dass Afghanistan für Frauen ein gefährliches Land sei, in dem Gewalt gegen Frauen weitverbreitet sei. Auch UNHCR bestätige, dass vor allem gegen die gesellschaftlichen Sitten verstoßende Frauen Schutz zu gewähren sei. Zum Beweis der westlichen Lebensweise der 1.BF sei eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Der Beschwerde waren diverse Schulfotos der minderjährigen BF, Empfehlungsschreiben und Schulnachrichten angeschlossen.

7. Die gegenständliche Beschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 8.11.2017 von der belangten Behörde vorgelegt.

8. Mit Schreiben vom 9.5.2019 wurde die Vollmachtsauflösung von Rechtsanwalt Dr. Helmut Blum mitgeteilt.

9. Nach der Anberaumung der mündlichen Verhandlung für den 8.10.2019 wurde mit Schreiben vom 9.7.2019 von den BF eine Stellungnahme übermittelt. Vorgebracht wurde, dass Grundstücksstreitigkeiten immer wieder zu Blutfehden führen würden. Das Vorbringen der Familie decke sich mit dem Gefährdungsprofil, das mehrere Länderberichte wiedergeben würden. Dem Rückkehrer werde der Erbanspruch auf sein Grundstück verwehrt, welches er mit gerichtlicher Unterstützung einfordern wolle. Dagegen werde mit gezielter Gewalt vorgegangen, gegen die die Familie keine Hilfe vom afghanischen Staat bekommen könne. Die Familie des 7.BF habe bereits bewiesen, dass diese bereit seien den Anspruch auf das Grundstück mittels Gewalt durchzusetzen. Der landesweite Charakter dieser drohenden Verfolgung ergebe sich auch ganz klar aus dem Länderinformationsblatt, wonach man überall in Afghanistan nur schwer unbemerkt bleibe, weil es, obwohl Afghanistan kein zentrales Bevölkerungsregister habe, "Mittel und Wege gibt" um Personen ausfindig zu machen. Ferner sei die Schwester der 1.BF einem Mann versprochen, bei dem es sich um einen Paschtunen handle, welcher nach den eigenen, im Pashtunwali niedergelegten, Rechtsanschauungen lebe. Mit der Mitnahme der Schwester und mit dem damit einhergehenden Bruch des Heiratsversprechens zwischen dem Onkel der 1.BF und des zukünftigen Ehemannes, sei dessen Ehre verletzt worden. Dieser Ehrverlust müsse mittels Vergeltungsmaßnahmen durch Blutrache wiederhergestellt werden. Die 1.BF würde im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan mit den dort vorherrschenden gesellschaftlichen Sitten in Konflikt kommen, da sie diese ablehne und nicht nach ihnen lebe. Ihr Selbstverständnis als selbstbestimmte Frau, die ihr Leben nach eigenen Vorstellungen und Wünschen gestalte, stehe dem traditionellen afghanischen Gesellschaftsbild entgegen. Das drücke die 1.BF besonders dadurch aus, dass sie faktisch die Leitung der Familie in dieser schwierigen Situation übernommen habe. Sie nehme das Ruder selbst in die Hand und kümmere sich selbstständig um Unterstützung im Verfahren, nehme Termine auch alleine wahr, verpflege währenddessen ihre Familie, lerne Deutsch und helfe freiwillig u.a. in einer katholischen Kirche mit. In ihrer Freizeit besuche sie mit Freunden und Familie ein öffentliches Schwimmbad und erlerne auch gerade das schwimmen. Dabei trage sie völlig selbstverständlich einen Badeanzug. Die 1.BF lehne die traditionelle Frauenrolle in Afghanistan klar ab und habe für ihr Leben ganz andere Vorstellungen. Dem Selbstverständnis der 1.BF liege eine Selbständigkeit zugrunde, wegen derer sie mit der afghanischen Gesellschaftsordnung bei einer hypothetischen Rückkehr jedenfalls in Konflikt geraten würde. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan wäre sie aufgrund ihres Frauenbildes und der von ihr angestrebten Selbstständigkeit massiven Anfeindungen ausgesetzt. Im Falle einer hypothetischen Rückkehr nach Afghanistan würde die 1.BF massive Probleme mit der traditionalistischen, patriarchalischen Gesellschaft bekommen, vor denen sie auch Ihr Ehemann nicht schützen könnte. Die 1.BF sei im ganzen Staatsgebiet dieser Verfolgung ausgesetzt.

Hinsichtlich der Rückkehrgefährdung wurde weiters ausgeführt, dass die Familie mit fünf minderjährigen Kindern in Afghanistan über kein soziales Netz verfüge, welches fähig oder willens wäre, sie zu unterstützen. So habe die Familie in den Städten Herat und Mazar-e Sharif gar keine Familienangehörigen und sei damit der realen Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt. Eine Rückkehr nach Kabul wäre schon auf Grundlage der sich immer weiter verschlechternden Sicherheitslage ausgeschlossen. Hinzu trete hier auch noch die asylrelevante Gefährdung durch die Familie der selbst. Laut aktuellem EASO-Bericht seien Kinder Zielscheibe von Anschlägen auf Schulen.

Die Familie lebe seit 2016 in Österreich und arbeite seitdem Intensiv an ihrer Integration in die österreichische Gesellschaft. Wie aus den vielen Unterstützungsschreiben hervorgehe, handle es sich hier um eine Familie die bereits einen großen Freundeskreis in Österreich habe. Wo sie auch wohnen, würden die BF für ihre besondere Offenheit und Integrationswilligkeit gelobt. Das Leben der Kinder sei besonders verfestigt. Diesbezüglich sei das Leben der Kinder in Österreich besonders schutzwürdig. Die Rückführung der Familie nach Afghanistan würde dem Wohl der Kinder entgegenstehen. Eine besondere Bindung zu Afghanistan bestehe für die Familie nicht. Dies vor allem dadurch, dass sie die meiste Zeit im Iran verbracht hätten. Zum Beweis, dass das Leben der Familie In Österreich verfestigt sei und die Familie bereits besonders integriert sei, wurden der Stellungnahme zahlreiche Unterstützungs- und Empfehlungsschreiben, Deutschkursbestätigungen, ÖSD Zertifikate, Schulzeugnisse und Schreiben von Sportvereinen angehängt. Angeschlossen war auch ein mit 26.2.2018 datiertes Zertifikat über die bestandene Prüfung-A1 für die deutsche Sprache durch die 1.BF.

10. Am 8.10.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari und der Rechtsvertretung der BF (1.BF bis 7.BF) eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde die getrennt einvernommene 1.BF umfassend zu ihren persönlichen Umständen, ihrem Fluchtgrund, wie auch zu ihren Werten und gesellschaftlichen Vorstellungen befragt. Die 1.BF bestätigte, im Allgemeinem seien die bisherigen Einvernahmen in Ordnung gewesen. Da sie Analphabetin sei, habe sie manche Begriffe nicht verstanden. Im Iran sei sie sehr jung gewesen, als sie geheiratet habe und habe daher nicht die Schule besuchen können. Sie sei afghanische Staatsbürgerin und am XXXX in Kabul geboren, Tadschikin und sunnitische Muslimin. Sie habe im Alter von sechs Jahren mit ihren Eltern Afghanistan verlassen und sei in den Iran in die Stadt XXXX gezogen. Nach der Eheschließung 2005 hätten sie zwei Monate in Afghanistan verbracht und seien dann zurück in den Iran. Sie sei mit dem 7.BF verheiratet. Der 2.BF, 3.BF, 4.BF, 5.BF bis 6.BF seien ihre gemeinsamen Kinder. Ihr Mann (7.BF) habe im Baubereich gearbeitet. In Österreich habe er lesen und schreiben gelernt. Ihr Mann habe den Lebensunterhalt der Familie finanziert und sie hätten ein mittelmäßiges Leben gehabt. Er habe in den eineinhalb Jahren in Kabul alte Häuser gekauft, saniert und verkauft. Ihr Mann sei nett zu ihr. Bei der Zwangsheirat mit ihm sei sie nicht gefragt worden und habe das so nehmen müssen, wie es sei. Seit sie in Österreich sei, wisse sie, wie man als Frau das Leben genießen könne. Im Iran sei sie jung gewesen und habe von der Welt nichts mitbekommen. Ihr Sorge im Iran sei gewesen, dass ihr Kinder - wie sie selbst - nicht die Schule besuchen dürften. Bildung sei für sie wichtig. Sie hätte auch zur Schule gehen wollen, aber ihr konservativer Vater sei gegen eine Schulbesuche von Frauen gewesen. Sie liebe es, sich weiterbilden zu können. Seit sie in Österreich sei, sei sie die ganze Zeit gesessen und habe schreiben geübt. Ehrenamtliche Lehrer hätten ihr geholfen die Sprache zu lernen. Für eine Frau sei die Bildung sehr wichtig. Wenn eine Frau die Schule besucht habe und schreiben und lesen könne, könne sie die Kinder beim Lernen unterstützen. Man könne natürlich als Frau auf eigenen Beinen stehen und die Kinder motivieren. Für ihre Familie sei das in Afghanistan unmöglich gewesen, weil ihre Familie sehr konservativ und religiös gewesen sei. Sie wolle, dass ihre Tochter die Schule besuche, weiter studiere und selbst Entscheidungen treffe und nicht wie sie selbst, gegen ihre Wünsche zu leben. Die 1.BF wolle selbstständig sein, auf eigenen Beinen stehen, nicht nur auf jemand anderen warten. In einer gemeinsamen Familie müsse man gemeinsam die Last tragen. Sie wolle selbst gerne arbeiten gehen. Ihr gehe es um Selbstständigkeit, dass sie jemanden unterstütze, wenn jemand Geld oder Unterstützung brauche und dass man zu einem Geschäft gehen und kaufen könne, was man wolle. Sie wolle eine gemeinsame Familienkassa haben, damit alle etwas davon hätten. Frauen müssten mit Männern gleichberechtigt sein. Eine Frau müsse ausgebildet sein. Eine Frau könne Lehrerin oder Ingenieurin werden.

In ihrer Familie in Afghanistan habe die Frau keinen Wert gehabt. Die Frau habe Kinder gebären müssen und den männlichen Familienmitgliedern dienen und gegen nichts opponieren dürfen, sondern nur zustimmen. Das, was sie in Österreich gesehen habe, erlebt habe und noch weiter erleben werden, wolle sie nicht verlieren. Beispielswiese ihre Freiheit, dass sie selbst Entscheidungen treffen könne. Zum Beispiel, ob sie in der Nacht das Haus verlasse oder unter Tag. Ihr Mann unterstütze sie beim Haushalt, sie würden die Hausarbeit gemeinsam erledigen. Entscheidungen würden sie gemeinsam treffen. Das sei in Afghanistan nicht möglich gewesen. In Afghanistan würden nur die Männer die Entscheidungen treffen. Sie sei aus Afghanistan geflohen, weil sie diskriminiert werde.

Weiters sei sie sexuell und auch psychisch von einem väterlichen Cousin ihres Mannes missbraucht worden. Er sei die rechte Hand des Kommandanten namens XXXX gewesen und habe sie immer wieder diskriminiert, sogar, als sie ihre Kinder in den Kindergarten gebracht habe, sei er dagegen gewesen. Sie seien zwei Brüder gewesen (Qasim und Bahar). Meistens habe Qasim sie sexuell missbraucht, als sie zurück nach Afghanistan gekommen seien. Er habe begonnen, sie sexuell zu missbrauchen, sie gewarnt und bedroht, dass sie über diese Sache nicht mit ihrem Mann sprechen und ihm Bescheid sagen solle, ansonsten würde er ihn umbringen. Ihr Hauptfluchtgrund sei der sexuelle Missbrauch durch Qasim und Bahar gewesen. Zusätzlich hätten die beiden Probleme mit ihrem Mann gehabt, wegen einen Grundstücksstreit. Sie hätten auch eine Anzeige bei der Polizei gemacht, weil sie seinen Mann geschlagen hätten. Bahar sei ins Gefängnis gebracht worden. Sie hätten eine Anzeige bei der Polizei gemacht, weil ihr Mann von seinem Vater Grundstücke geerbt habe. Die Cousins ihres Ehemanns hätten gesagt, dass ihr Mann kein Recht auf dieses Erbe gehabt habe, weil ihre Schwiegermutter einen anderen Mann geheiratet habe. Als ihr Mann zur Polizei gegangen sei und die Anzeige erstattet habe, dass er auch einen Anspruch auf das Erbe habe, sei die Polizei gekommen und habe Bahar festgenommen und ins Gefängnis gebracht. Kurz danach sei Bahar wieder freigelassen worden, weil die Cousins ihres Mannes sehr mächtig seien. Sie hätten mit Kommandanten usw. zu tun. Bahar sei freigelassen worden, weil sie mächtig seien und Bekannte in der Regierung hätten. Kurz danach sei Bahar, gemeinsam mit vier unbekannten Personen, zu ihnen gekommen. Diese Leute hätten sie von den Kindern getrennt. Sie hätten ihren Mann geschlagen bis er das Bewusstsein verloren habe und danach hätten sie sie zu viert vergewaltigt. Die Nachbarn hätten ihren Mann zur Polizei gebracht. Aber ihr Mann habe der Polizei nicht die Wahrheit gesagt und es der Polizei verheimlicht, weil es um die Ehre seiner Frau gegangen sei. Er habe gesagt, dass "Diebe" im Haus gewesen seien. Rund eine Woche oder acht Tage seien sie noch in Afghanistan geblieben. Danach seien sie zu ihrer Mutter nach Kabul gegangen. Die Mutter habe gesagt: "Ich bin machtlos, ich kann euch nicht helfen. Nimm deine Schwester und deinen Bruder auch mit und verlasse Afghanistan." Nach einer Woche in Kabul seien sie mit Hilfe eines Schleppers in den Iran gefahren und seien ca. einen Monat in XXXX geblieben.

Auf den Vorhalt, wann sich der Überfall des Cousins ereignet habe, gab die 1.BF an, dass es in der Nacht gewesen sei, das Jahr habe sie vergessen. Aktuell lerne sie für die A2-Deutschprüfung. Sie hätten keine Deutschkurse gehabt, weil sie in einem Dorf in XXXX , in der Nähe der tschechischen Grenze, bei Gmünd gewesen seien. Sie hätten alles selber organisieren müssen. Sie habe zwei Monate einen Kurs besucht und danach selbstständig die Sprache gelernt. Derzeit helfe sie einmal im Monat ehrenamtlich im Seniorenheim in Groß-Siegharts, das sei ein Projekt von der Caritas. In XXXX helfe sie ehrenamtlich auch einer Ärztin. Die Kleidung, die sie trage (enge Hose, Palettentop), gefalle ihr und ihrem Mann. Sie fühle sich ohne Kopftuch besser. Man schwitze darunter und es störe bei der Arbeit. Der Tschador sei keine afghanische Tradition. Sie fühle sich jetzt nicht mehr beengt. Sie wolle nach Afghanistan nie zurückkehren, da sie Angst habe, diese Vorfälle, die sie erlebt habe, noch einmal zu erleben. Nachgefragt, wolle sie nie wieder ein Kopftuch tragen und nicht von ihrer Familie unterdrückt werden. Die Kinder hätten keine eigenen Fluchtgründe, sie hätten ihre Fluchtgründe.

Der 7.BF gab an, er stamme aus Kabul, sei Tadschike und sunnitischer Muslim. Als Kleinkind habe er Afghanistan verlassen müssen. Er habe im Iran im Baubereich gearbeitet. Er sei am XXXX geboren und habe keine Schule besucht. Er gab an, dass er im Jahr 2004 und abweichend auch im Jahr 2005 nach Afghanistan zurückgekehrt sei und dass er ab 2004 in Afghanistan verblieben und nur mehr in Kabul gewesen sei. Ebenso gab er im Rahmen der Verhandlung an, dass nach 2005 wieder in den Iran gegangen sei.

Das Hauptproblem seiner Frau bzw. ihr Fluchtgrund sei gewesen, dass er mit seinem Cousin Grundstücksstreitigkeiten gehabt habe. Sie hätten ihn brutal geschlagen und zusätzlich seine Frau vergewaltigt. Befragt, wann er aus Afghanistan geflohen sei, gab der 7.BF an, dass er seinen Cousin angezeigt habe, als er in Afghanistan gewesen sei. Die Polizei habe ihn festgenommen. Er habe Verbindungen über Bekannte, Verwandte und Freunde bei der Regierung gehabt und sei nicht ins Gefängnis gebracht, sondern freigelassen worden. Er habe ihn angezeigt, damit der Cousin ins Gefängnis komme. Der 7.BF habe verlangt, was ihnen gehört haben, nämlich das Grundstück und ein Teil des Hauses. Auch seine Brüder hätten ihm gesagt, er solle kämpfen, um zu seinem Recht zu kommen. Auf den Vorhalt, ob man in Afghanistan wegen Grundstücksstreitigkeiten ins Gefängnis komme, gab der 7.BF an, dass seine Rechte vom Cousin verneint worden seien, sodass er ins Kommissariat aber nicht ins Gefängnis gebracht worden sei. Danach sei auf ihn losgegangen worden. Er habe einen ganzen Monat gebraucht, um vor eine andere Polizeistation bzw. Behörde oder Kommissariat zu gehen, damit der Cousin festgenommen würde. Nach seiner Festnahme sei er endlich, ins Kommissariat gebracht worden. Aber wegen guter Bekannte und Verbindungen sei sein Cousin (Bahar) wieder freigelassen worden. Danach sei Bahar mit vier weiteren Personen zu ihm gekommen. Bahar habe geklopft und gefragt, warum der 7.BF ihn angezeigt habe. Er habe ihm auf das Erbe verwiesen. Sie seien auf ihn losgegangen und hätten ihn geschlagen. Da die 1.BF geschrien habe, hätten sie sie vergewaltigt. Wegen der Vergewaltigung seiner Frau habe er darüber nie reden wollen. Nach dem Vorfall seien die Männer gegangen und sein ältester Sohn habe sie entfesselt. Dann sei der 7.BF zur Polizei gegangen und habe damals bei der Niederschrift bei der Polizei Einbrecher angegeben. Als vermutliche Täter habe seine Cousins und die Leute von Kommandant XXXX angegeben. Die Polizei habe ihn persönlich ins Krankenhaus gebracht, denn er habe Verletzungen an der rechten Augenbraue gehabt und sei am Kopf, am Rücken und am Fuß genäht worden. Nach seiner Rückkehr nach hätten sie nicht gewusst, was sie tun sollen. Als der Entschluss zum Verlassen von Afghanistan gefallen sei, habe ihn seine Schwiegermutter um Mitnahme ihrer verlobten Tochter und ihres Sohnes ersucht. Er habe die beiden natürlich mitgenommen. Dadurch habe er einen weiteren Feind, nämlich den Verlobten seiner Schwägerin, der nunmehr auch hinter ihm her sei. Sie hätten schon ca. fünf oder sechs Monate vor ihrer Ausreise aus Afghanistan überlegt, Afghanistan zu verlassen. Er habe gewusst, seine Cousins seien stärker gewesen. Aber nach dem letzten Vorfall, hätten sie sich entschlossen, Afghanistan zu verlassen.

Im Haushalt helfe er seiner Frau in verschiedenen Bereichen, wie z.B. im Geschirrwaschen, Kochen und Staubsaugen. Wenn seine Frau nicht zu Hause sei, betreue er die Kinder. Sie würden Entscheidungen gemeinsam treffen. Seine Frau trage, was ihr gefalle und er habe nichts dagegen. Seine Frau sei sehr fleißig und habe bessere Deutschkenntnisse als er. Er habe bisher keine Deutschprüfung geschafft. Im Fall der Rückkehr nach Afghanistan habe er zwei Feinde. Er müsste seine Tochter als Vergleich seinen Feinden geben, wogegen er sei.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurde eine Vollmacht für die ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe, Integrationsnachweise sowie zwei Einstellungszusagen für die 1.BF und dem 7.BF vorgelegt. Diese stammten vom XXXX vom 27.6.2019 für die 1.BF und von der XXXX Nordwald vom 2.10.2019 für den 7.BF.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1 Zu den Beschwerdeführern:

Die BF (1.BF bis 7.BF) sind afghanische Staatsangehörige, gehören der Volksgruppe der Tadschiken an, und sind sunnitischen Glaubens. Ihre Muttersprache ist Dari. Die 1.BF und der 7.BF haben im Iran geheiratet und sind die Eltern der übrigen minderjährigen BF (2.BF bis 6.BF).

Die 1.BF und der 7.BF haben Afghanistan bereits im Kindesalter verlassen und lebten mit ihrer jeweiligen Familie im Iran. Die 1.BF hat während ihres Aufenthaltes im Iran und Afghanistan keine Schule besucht.

Vor ihrer Ausreise lebten die BF (1.BF bis 7.BF) für eineinhalb Jahre in Kabul. Sie reisten im Juli 2016 in Österreich ein und stellten am 5.7.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Die BF sind in Österreich strafrechtlich unbescholten.

Während ihres mehrjährigen Aufenthalts in Österreich hat die 1.BF eine Lebensweise angenommen, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellt. Ihre persönliche Haltung über die grundsätzliche Stellung der Frau in der Familie und Gesellschaft steht in Widerspruch zu den in Afghanistan bislang vorherrschenden gesellschaftlich-religiösen Zwängen, denen Frauen dort mehrheitlich unterworfen sind. Die 1.BF hat eine Lebensweise angenommen, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt. Eine solche Lebensführung ist wesentlicher Bestandteil ihrer Identität geworden. Die 1.BF hat eine Deutschprüfung auf dem Niveau A1 abgelegt und plant, einer Beschäftigung nachzugehen. Sie hat bereits eine Beschäftigungszusage vom XXXX als Küchenhilfe oder Stubenmädchen.

1.2 Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan (Gesamtaktualisierung 13.11.2019)

Politische Lage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.4.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.5.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).

Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).

In Folge der Präsidentschaftswahlen 2014 wurde am 29.09.2014 Mohammad Ashraf Ghani als Nachfolger von Hamid Karzai in das Präsidentenamt eingeführt. Gleichzeitig trat sein Gegenkandidat Abdullah Abdullah das Amt des Regierungsvorsitzenden (CEO) an - eine per Präsidialdekret eingeführte Position, die Ähnlichkeiten mit der Position eines Premierministers aufweist. Ghani und Abdullah stehen an der Spitze einer Regierung der nationalen Einheit (National Unity Government, NUG), auf deren Bildung sich beide Seiten in Folge der Präsidentschaftswahlen verständigten (AA 15.4.2019; vgl. AM 2015, DW 30.9.2014). Bei der Präsidentenwahl 2014 gab es Vorwürfe von Wahlbetrug in großem Stil (RFE/RL 29.5.2019). Die ursprünglich für den 20. April 2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.9.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus zwei Kammern: dem Unterhaus oder Volksvertretung (Wolesi Jirga) mit 250 Abgeordneten (für 5 Jahre gewählt), sowie dem Oberhaus oder Ältestenrat (Meschrano Jirga) mit 102 Abgeordneten (AA 15.4.2019).

Das Oberhaus setzt sich laut Verfassung zu je einem Drittel aus Vertretern der Provinz- und Distrikträte zusammen. Das letzte Drittel der Senatoren wird durch den Präsidenten bestimmt (AA 15.4.2019). Die Hälfte der vom Präsidenten entsandten Senatoren müssen Frauen sein. Weiters vergibt der Präsident zwei Sitze für die nomadischen Kutschi und zwei weitere an behinderte Personen. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 13.3.2019).

Die Sitze im Unterhaus verteilen sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 13.3.2019, Casolino 2011).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Ob das neue Parlament, das sich nach den Wahlen vom Oktober 2018 erst mit erheblicher Verzögerung im April 2019 konstituierte, eine andere Rolle einnehmen kann, muss sich zunächst noch erweisen. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist, doch nutzt das Parlament auch seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die Regierung der Nationalen Einheit als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 2.9.2019).

Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt (USIP 11.2013). Mit dreijähriger Verzögerung fanden zuletzt am 20. und 21. Oktober 2018 - mit Ausnahme der Provinz Ghazni - Parlamentswahlen statt (AA 15.4.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28. September 2019 statt; ein vorläufiges Ergebnis wird laut der unabhängigen Wahlkommission (IEC) für den 14. November 2019 erwartet (RFE/RL 20.10.2019).

Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 20. und 21.10.2018 gaben etwa vier Millionen der registrierten 8,8 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. In der Provinz Kandahar musste die Stimmabgabe wegen eines Attentats auf den Provinzpolizeichef um eine Woche verschoben werden und in der Provinz Ghazni wurde die Wahl wegen politischer Proteste, welche die Wählerregistrierung beeinträchtigten, nicht durchgeführt (s.o.). Die Wahl war durch Unregelmäßigkeiten geprägt, darunter Betrug bei der Wählerregistrierung und Stimmabgabe, Einschüchterung der Wähler, und einige Wahllokale mussten wegen Bedrohungen durch örtliche Machthaber schließen. Die Taliban und andere Gruppierungen behinderten die Stimmabgabe durch Drohungen und Belästigungen. Durch Wahl bezogene Gewalt kamen 56 Personen ums Leben und 379 wurden verletzt. Mindestens zehn Kandidaten kamen im Vorfeld der Wahl bei Angriffen ums Leben, wobei die jeweiligen Motive der Angreifer unklar waren (USDOS 13.3.2019).

Wegen Vorwürfen des Betruges und des Missmanagements erklärte Anfang Dezember 2018 die afghanische Wahlbeschwerdekommission (ECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Die beiden Wahlkommissionen einigten sich in Folge auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen (TN 12.12.2018). Die Provinzergebnisse von Kabul wurden schließlich am 14.5.2019, fast sieben Monate nach dem Wahltag, veröffentlicht. In einer Ansprache bezeichnete Präsident Ghani die Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).

Politische Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 29.5.2018). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004, USDOS 29.5.2018). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (MPI 27.1.2004).

Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 2.9.2019). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.3.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 2.9.2019; vgl. AAN 6.5.2018, DOA 17.3.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 2.9.2019).

Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein partimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.3.2019).

Die Hezb-e Islami wird von Gulbuddin Hekmatyar, einem ehemaligen Warlord, der zahlreicher Kriegsverbrechen beschuldigt wird, geleitet. Im Jahr 2016 kam es zu einem Friedensschluss und Präsident Ghani sicherte den Mitgliedern der Hezb-e Islami Immunität zu. Hekmatyar kehrte 2016 aus dem Exil nach Afghanistan zurück und kündigte im Jänner 2019 seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2019 an (CNA 19.1.2019).

Im Februar 2018 hat Präsident Ghani in einem Plan für Friedensgespräche mit den Taliban diesen die Anerkennung als politische Partei in Aussicht gestellt (DP 16.6.2018). Bedingung dafür ist, dass die Taliban Afghanistans Verfassung und einen Waffenstillstand akzeptieren (NZZ 27.1.2019). Die Taliban reagierten nicht offiziell auf den Vorschlag (DP 16.6.2018; s. folgender Abschnitt, Anm.).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Hochrangige Vertreter der Taliban sprachen zwischen Juli 2018 (DZ 12.8.2019) - bis zum plötzlichen Abbruch durch den US-amerikanischen Präsidenten im September 2019 (DZ 8.9.2019) - mit US-Unterhändlern über eine politische Lösung des nun schon fast 18 Jahre währenden Konflikts. Dabei ging es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan nicht zu einem sicheren Hafen für Terroristen wird. Die Gespräche sollen zudem in offizielle Friedensgespräche zwischen der Regierung in Kabul und den Taliban münden. Die Taliban hatten es bisher abgelehnt, mit der afghanischen Regierung zu sprechen, die sie als "Marionette" des Westens betrachten - auch ein Waffenstillstand war Thema (DZ 12.8.2019; vgl. NZZ 12.8.2019; DZ 8.9.2019).

Präsident Ghani hatte die Taliban mehrmals aufgefordert, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln und zeigte sich über den Ausschluss der afghanischen Regierung von den Friedensgesprächen besorgt (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, MS 28.1.2019). Bereits im Februar 2018 hatte Präsident Ghani die Taliban als gleichberechtigten Partner zu Friedensgesprächen eingeladen und ihnen eine Amnestie angeboten (CR 2018). Ein für Mitte April 2019 in Katar geplantes Dialogtreffen, bei dem die afghanische Regierung erstmals an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen wäre, kam nicht zustande (HE 16.5.2019). Im Februar und Mai 2019 fanden in Moskau Gespräche zwischen Taliban und bekannten afghanischen Oppositionspolitikern, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehreren Warlords, statt (Qantara 12.2.2019; vgl. TN 31.5.2019). Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha, noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (REU 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019).

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den innerafghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil (HE 16.5.2019).

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 3.9.2019).

Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5. bis 8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).

Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit 29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).

Folgender Tabelle kann die Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Jahr im Zeitraum 2016-2018, sowie bis einschließlich August des Jahres 2019 entnommen werden:

Tab. 1: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan lt. INSO 2016-8.2019, monatlicher Überblick (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO-Daten (INSO o.D.)

 

2016

2017

2018

2019

Jänner

2111

2203

2588

2118

Februar

2225

2062

2377

1809

März

2157

2533

2626

2168

April

2310

2441

2894

2326

Mai

2734

2508

2802

2394

Juni

2345

2245

2164

2386

Juli

2398

2804

2554

2794

August

2829

2850

2234

2443

September

2493

2548

2389

-

Oktober

2607

2725

2682

-

November

2348

2488

2086

-

Dezember

2281

2459

2097

-

insgesamt

28.838

29.866

29.493

18.438

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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