TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/2 W168 2227044-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.03.2020
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Entscheidungsdatum

02.03.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z4
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1 Z2
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z3
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs5

Spruch

W168 2227044-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Dr. MACALKA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den Diakonie Flüchtlingsdienst GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.11.2019, Zl. 13-811423509/190691951 zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1 Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste unberechtigt in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 25.11.2011 einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.1. Zu seinen Fluchtgründen brachte der BF im Zuge seiner Erstbefragung im Wesentlichen vor, dass er zwei Jahre eine Koranschule besucht habe und sich viele seiner Schulkollegen einige Zeit später den Taliban angeschlossen hätten. Im Rahmen seiner Tätigkeit als Kraftfahrer hätten Mitglieder der Taliban ihn selbst sowie in weiterer Folge seinen Bruder angesprochen und zu einer Zusammenarbeit aufgefordert. Da sein Bruder abgelehnt und deshalb auch umgebracht worden sei, habe der BF das Land verlassen.

1.2. Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme durch das BAA (Bundesasylamt) am 10.01.2012 führte der BF zu seinem Fluchtgrund befragt aus, dass die Taliban seinen Bruder im Elternhaus aufgegriffen und getötet hätten. Am 11.09.2010, als der BF gerade seine Schwägerin in ein Krankenhaus gebracht habe, sei ein Selbstmordanschlag verübt worden. Am Rückweg habe der BF zwei Schulkollegen begegnet, die ihn um eine Mitfahrgelegenheit gebeten hätten. Nachdem er diese bei einer Frauenschule aussteigen habe lassen, habe der BF beobachtet, dass seine Schulkollegen zu einem Fahrzeug gegangen seien, in dem ein Mann mit einer Bombe gesessen sei. In weiterer Folge habe der BF eine weitere Mitnahme der Männer verweigert und am selben Tag habe sich ein weiteres Selbstmordattentat ereignet. Bei einem Angriff der Amerikaner sei die Schwiegertochter eines bekannten Kalifen getötet worden. Auf der erneuten Autofahrt zum Krankenhaus sei der BF angehalten und zum Polizeipräsidium gebracht worden. Im Zuge der Einvernahme sei dem BF ein Naheverhältnis zu den Taliban unterstellt worden, da man gesehen habe, dass er seinen Schulkollegen eine Mitfahrgelegenheit geboten habe. Da der BF jegliche Verbindung zu den Taliban abgestritten habe und sein Vater zusammen mit einem Stammesältesten die Polizeibehörde aufgesucht habe, sei der BF nach zwei Tagen freigelassen worden. Am 19.09.2010 hätten 10 oder 12 Taliban an die Tür seines Elternhauses geklopft, woraufhin der BF über das Fenster zum Nachbar sowie in weiterer Folge zu seinem Onkel geflohen sei. Am nächsten Tag habe er in Erfahrung gebracht, dass sein Vater von den Taliban verprügelt und sein Bruder entführt worden sei. Da sein Schulkollege verhaftet worden sei und der andere Mann getötet worden sei, seien die Taliban davon ausgegangen, dass der BF diese bei seinem Verhör verraten habe. Der Bruder des BF sei deswegen ermordet und sein Leichnam vor einer Schule platziert worden. Nach dessen Beerdigung habe sein Vater die schlepperunterstütze Ausreise für den BF organisiert.

1.3. Mit Bescheid des BAA vom 10.01.2012, Zl. 11 14.235-BAW, wurde der Antrag gem. § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 idgF abgewiesen (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 idgF wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II). Der BF wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt III).

Begründend wurde ausgeführt, dass sich der BF auf das Aufstellen von abstrakten, unplausiblen und von Vermutungen geprägten sowie widersprüchlichen Behauptungen beschränkt habe. Zunächst sei zu seiner höchstpersönlichen Glaubwürdigkeit festzuhalten, dass er sich als vorgeblicher Analphabet vor dem Bundesasylamt präsentiert habe, jedoch gleichzeitig in der Lage gewesen sei, sämtliche Eckdaten seines Vorbringens konkret anzugeben. Zum fluchtbegründeten Vorbringen seien dazu weiters auch widersprüchliche Angaben festzustellen gewesen. So habe er in der Erstbefragung behauptet, dass die Taliban seinen Bruder getötet hätten, weil er die Zusammenarbeit mit diesen verweigert habe, währenddessen er in der Einvernahme vor dem Bundesasylamt erklärt habe, dass man seinen Bruder getötet habe, da der BF bei einer Polizeibehörde Aussagen zu Talibanangehörigen gemacht habe. Darüber hinaus habe der BF in der Einvernahme vor dem Bundesasylamt behauptet, niemals Probleme mit Sicherheitsbehörden, Gerichten oder Staatsanwaltschaften in Afghanistan gehabt zu haben. Im völligen Widerspruch dazu habe er bei der Präsentation seines Vorbringens in der genannten Einvernahme eine Anhaltung und Befragung in der Dauer von zwei Tagen auf einer Polizeiinspektion zwecks von ihm beförderter Talibanangehörigen behauptet. Es sei dem BF nicht möglich gewesen, eine gleichlautende, widerspruchsfreie und nachvollziehbare Abfolge der erlebten Ereignisse zu schildern. Der BF habe sein Vorbringen ausschließlich auf unglaubhafte Behauptungen hinsichtlich Probleme im Falle einer Rückkehr aufgrund einer allfälligen Verfolgung durch die Taliban, von welchen er eine Bedrohung befürchte.

1.4. Gegen den Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. Hierin wurde im Wesentlichen zusammenfassend ausgeführt, dass es im Zuge des Verfahrens keinesfalls zu Widersprüchen gekommen sei, welche geeignet hätten sein können, die Glaubwürdigkeit des BF infrage zu stellen. Der BF wäre aufgrund der gegen ihn gerichteten Verfolgungshandlungen nicht in der Lage, in seiner Heimatregion, wo sich auch das gesamte soziales Netzwerk des BF aufhalte, weiter zu leben.

1.5. Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 14.02.2012, Zl. C7 424262-1/2012/2E, wurde der bekämpfte Bescheid in Erledigung der Beschwerde behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Begründend wurde ausgeführt, dass selbst bei angenommener Unglaubwürdigkeit des BF zu der von ihm behaupteten Verfolgung durch die Taliban nicht nachvollziehbar sei, warum die Identität und die Herkunftsregion nicht festgestellt werden könnten, wenn andererseits davon ausgegangen werde, dass die vom BF angegebenen Familienangehörigen in Afghanistan leben würden und dem BF ein soziales Netz bieten könnten. Zudem finde sich keine Auseinandersetzung mit der Frage, inwieweit die selbst festgestellte jüngste Verschlechterung der Sicherheitslage Auswirkungen auf die Qualifikation von "Kabul" als generell sicher habe. Hinzu trete eine grob mangelhafte Beweiswürdigung zur angenommen Unglaubwürdigkeit des BF. Der Aktenlage nach könne auch in einer Gesamtschau des relativ detailreichen und in der Einvernahme kaum kritisch hinterfragten Vorbringens des BF nicht von "abstrakten" Angaben gesprochen werden. Aufgrund des augenscheinlich mangelhaften Ermittlungsverfahrens der Verwaltungsbehörde habe diese jedenfalls eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens nicht vorgenommen, da das Bundesasylamt dieses offensichtlich nicht anhand der konkret entscheidungsrelevanten aktuellen Situation gewürdigt habe. Im gegenständlichen Fall sei der angefochtene Bescheid des Bundesasylamtes und das dem zugrundeliegende Verfahren im Ergebnis so mangelhaft, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheine. Weder erweise sich der Sachverhalt in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt, noch ergebe sich aus den bisherigen Ermittlungen sonst zweifelsfrei, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspreche. Das Bundesasylamt werde im fortzusetzenden Verfahren die dargestellten Mängel zu verbessern haben.

1.6. Am 07.01.2015 wurde der BF erneut vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) einvernommen. Dabei gab der BF zu seinem Fluchtgrund befragt an, dass er in seiner Heimat als Taxifahrer beschäftigt gewesen sei. Eines Tages sei seine Schwägerin krank gewesen und der BF habe sie in die Stadt zum Krankenhaus gebracht. Auf dem Weg zu einem Bekannten habe er einen Freund aus der Koranschule getroffen, der ihn um eine Mitfahrmöglichkeit gebeten habe. In weiterer Folge sei der besagte Freund bei einer Mädchenschule ausgestiegen und in ein weiteres Auto eingestiegen. Der Fahrer dieses Wagens sei mit Bomben ausgerüstet gewesen. Auf die Bitte seines Freundes sei der BF mit den beiden Männern zu einem von ihnen bestimmten Ort gefahren. Der besagte Mann sei ein Selbstmordattentäter gewesen und habe die Schwiegertochter eines bekannten Kalifen im Zuge eines Anschlages, der gegen die Amerikaner gerichtet gewesen sei, ermordet. Auf dem Weg ins Krankenhaus, um seine Schwägerin abzuholen, sei der BF von der Polizei angehalten worden und zwei Tage vernommen worden. Erst durch eine Intervention seines Vaters sei der BF freigelassen worden. Da einige Tage später der Bruder des erwähnten Schulfreundes sowie ein weiterer Talib bei einem Anschlag getötet worden sei, hätten 10 bis 12 Personen das Elternhaus des BF belagert und sich nach seinem Verbleib erkundigt. Anschließend hätten sie den Bruder des BF als Geisel genommen und in weiterer Folge umgebracht. Nach der Beerdigung des Bruders habe sein Vater ihn zur Ausreise aufgefordert.

2.1. Mit Bescheid vom 13.01.2015, Zl. 13-811423509/1431760, wurde dem Antrag auf internationalen Schutz stattgegeben und dem BF der Status eines Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wurde festgestellt, dass dem BF kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Hierzu wurde insbesondere ausgeführt, dass es dem BF im vorliegenden Fall gelungen sei, glaubhaft zu machen, dass seine Furcht vor Verfolgung durch die Taliban aufgrund der von ihm erstatteten Angaben vor der Polizei wohlbegründet sei. In einer Gesamtbetrachtung sei im gegenständlichen Fall davon auszugehen, dass dem BF im Falle seiner Rückkehr in den Heimatstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung drohe. Diese asylrelevante Verfolgung ergebe sich insbesondere aufgrund der Angaben des BF vor der Polizei hinsichtlich seines damaligen Freundes mit Namen XXXX , dem daraufhin eine Mitgliedschaft bei den Taliban angelastet worden ist. Der Antragsteller sei als "Helfer" der Polizei in seiner Heimat von der genannten terroristischen Gruppierung verfolgt worden, womit er einer individuell konkreten Bedrohung ausgesetzt ist.

2.2. Aus einem Schreiben des Bundesministeriums für Inneres vom 24.04.2019 geht hervor, dass der BF am 18.10.2018 bei einer Ausreise nach Pakistan Am Flughafen Wien-Schwechat kontrolliert worden sei und während seiner Reise vom 01.10.2018 bis 20.12.2018 Arbeitslosengeldbezug erhalten habe.

In der Folge wurde vom BFA gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ein Aberkennungsverfahren eingeleitet.

2.3. Im Zuge einer Einvernahme vor dem BFA am 05.09.2019 brachte der BF vor, dass er Medikamente gegen psychische Probleme einnehme. Die Fragen, ob er Personaldokumente vorlegen könne, die er noch nicht vorgelegt habe, wurden vom BF verneint. Er habe nunmehr in Pakistan eine afghanische Staatsangehörige geheiratet. Sowohl sein Bruder als auch seine nunmehrige Ehefrau seien in Peschawar wohnhaft. Zur Frage, wie lange er sich schon durchgehend im Bundesgebiet aufhalte, antwortete der BF, dass er seit 25.11.2011 in Österreich aufhältig sei und lediglich vom 18.10.2018-10.12.2018 in Pakistan gewesen sei. Die Fragen, ob er in Österreich Kinder habe oder sich in einer familienähnlichen Lebensgemeinschaft befinde, wurden vom BF verneint. Befragt, wie sein Alltag in Österreich aussehe, brachte der BF vor, dass er immer gearbeitet habe und derzeit eine Arbeitsstelle in Wien suche. Seit 2015 habe er durchgehend in diversen Restaurants gearbeitet. Auf Vorhalt, dass die Zeiten seiner Erwerbstätigkeit immer unterbrochen worden seien und eine Integration in den Arbeitsmarkt somit nicht vorliege, gab der BF an, dass es in Tirol hauptsächlich Saisonarbeit gebe und er daher zwischendurch immer Arbeitslosengeld bezogen habe. Derzeit erhalte er etwa 370,- Euro vom AMS. Auf die Frage, ob er einen abgeschlossenen Deutschkurs auf dem Niveau A2 abgeschlossen habe, replizierte der BF, dass er gut Deutsch sprechen könne und einen Deutschkurs auf dem Niveau A2 bereits abgeschlossen habe. Die Fragen, ob er eine Schule, Kurse oder sonstige Ausbildungen absolviert habe oder Mitglied in einem Verein oder einer Organisation sei, wurden vom BF verneint. Er sei in Österreich auch noch nicht strafrechtlich verurteilt worden, sei nicht mit einem Aufenthaltsverbot oder einer Ausweisung belegt worden und kein Zeuge oder Opfer von Menschenhandel oder Prostitution gewesen.

Zu seinen Lebensumständen im Herkunftsstaat befragt, gab der BF zu Protokoll, dass er in Afghanistan als LKW-Fahrer sowie als Taxilenker und in einem Steinbruch tätig gewesen sei. Seine Eltern, seine Schwestern und zwei Brüder seien nach wie vor in der Provinz Maidan Wardak aufhältig und der BF stehe mit diesen in regelmäßigen telefonischen Kontakt. Auf Aufforderung, seinen Aufenthalt in Pakistan zu beschreiben, erklärte der BF, dass sein Bruder in einem Camp in Pakistan wohnhaft sei und sich dort die Situation für Afghanen verändert habe. Befragt, wie seine Familie in Maidan Wardak den Lebensunterhalt bestreite, brachte der BF vor, dass seine Angehörigen eine kleine Landwirtschaft hätten und sein Vater sowie sein Bruder den Lebensunterhalt für die Familie verdienen würden. Der BF schicke seiner Familie ebenfalls gelegentlich Geld. Zur Frage, wo er in Afghanistan zuletzt gelebt habe, entgegnete der BF, dass er mit seiner Familie an der zuvor genannten Adresse gelebt habe. Auf Nachfrage, wo er in Pakistan gewohnt habe und was er dort genau unternommen habe, führte der BF aus, dass er geheiratet habe und sein Bruder ihm bei den Hochzeitsvorbereitungen geholfen habe. Am 10.12.2018 sei er wieder in Österreich eingereist.

Nachgefragt, was der Grund gewesen sei, weswegen ihm im Jahr 2015 Asyl zuerkannt worden sei, brachte der BF vor, dass er ein Taxiunternehmen gehabt habe und ihn die Taliban um Unterstützung gebeten hätten. Sein Freund XXXX habe ihn ersucht, zu einem Garten zu bringen, um dort in ein weiteres Auto mit montierten Bomben einzusteigen. Anschließend sei der BF nach Hause gefahren und eine Explosion vernommen, die gegen amerikanische Soldaten gerichtet gewesen sei. Am nächsten Tag sei er bei seiner Taxi-Haltestelle von der örtlichen Polizei festgenommen worden, die ihm eine Beteiligung an dem erwähnten Anschlag unterstellt habe. Aufgrund der Intervention seines Vaters und eines weiteren Mannes sei der BF freigelassen worden, sein Freund XXXX sei jedoch inhaftiert worden. Am nächsten Abend hätten die Taliban sein Elternhaus aufgesucht und sich nach dem Verbleib des BF erkundigt. Der BF sei aufgrund der drohenden Gefahr zum Haus seines Onkels geflüchtet. Da sein Bruder entführt und ermordet worden sei, habe sich der BF zur Ausreise entschlossen. Nachgefragt, was seiner Meinung nach gegen eine Rückkehr nach Afghanistan spreche, erklärte der BF, dass die Taliban seinen Eltern zufolge nach wie vor sein Heimatdorf kontrollieren würden. Zum Vorhalt, dass ihm der Status des Asylberechtigten im Jahr 2015 zugesprochen worden sei und sich die Lage seit damals erheblich verändert habe, da in Maidan Wardak nicht mehr Krieg vorherrsche, entgegnete der BF, dass das gesamte Gebiet unsicher sei.

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme wurden vom BF ein Dienstzeugnis vom 31.03.2019 sowie eine Lohn-/Gehaltsabrechnung vom März 2019 in Vorlage gebracht.

2.4. In einem Abschlussbericht der Landespolizeidirektion Tirol wurde ausgeführt, dass der BF verdächtig sei, einen Übergenuss aus Leistungen des Arbeitslosengeldes erschlichen zu haben, indem er während des Bezuges dieser Leistungen einen Auslandsaufenthalt in Pakistan verbracht habe.

2.5. In einer Stellungnahme vom 27.09.2019 wurde ausgeführt, dass sich bei einem Vergleich der Länderberichte zum aktuellen Zeitpunkt und zum Zeitpunkt der Zuerkennung des Asylstatus ein unverändertes Bild ergebe. Die Sicherheitslage in der Heimatprovinz sei unverändert, da die Taliban nach wie vor viele Gebiete beherrschen würden. Überdies würden keine wesentlichen Änderungen der Umstände vorliegen, welche die Behörde dazu berechtigen würden, ihn den Status des Asylberechtigten abzuerkennen.

2.6. Mit Bescheid des BFA vom 27.11.2019, Zl. 13-811423509/190691951, wurde dem Beschwerdeführer der mit Bescheid vom 13.01.2015, Zl. 1431760, zuerkannte Status der Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aberkannt und gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 4 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 3 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), und es wurde gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Schließlich wurde festgestellt, dass gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).

Die Aberkennung des Status des Asylberechtigten begründete das BFA im Wesentlichen damit, dass es seit der Flucht des BF zu gravierenden Änderungen der Lage in seinem Heimatstaat gekommen sei, weshalb die Voraussetzungen, welche zur Zuerkennung geführt hätten, nicht mehr vorliegen würden. Da es der Regierung in der Zwischenzeit gelungen sei, die Vorherrschaft in bestimmten Provinzen zurückzugewinnen, sei davon auszugehen, dass dem BF dort keine Verfolgung mehr drohe. Da seine Asylgewährung hauptsächlich damit begründet worden sei, dass dem BF zum damaligen Zeitpunkt keine innerstaatliche Fluchtalternative habe zugemutet werden können, habe nunmehr festgestellt werden können, dass die Umstände für die Zuerkennung des Asylstatus aufgrund der verbesserten Sicherheitslage nicht mehr vorliegen würden, sodass es der BF nicht mehr ablehnen könne, sich unter den Schutz seines Heimatlandes zu stellen. Als innerstaatliche Fluchtalternative würden sowohl Kabul, Herat als auch Mazar e-Sharif in Frage kommen. Jede dieser Provinzen sei als relativ sicher zu bewerten und werde nicht von den Taliban beherrscht, weshalb davon ausgegangen werden könne, dass dort ausreichender Schutz gewährleistet sei. Zudem sei die gesamte Familie des BF in Maidan Wardak ansässig, ohne dass es zu Repressalien gekommen wäre.

2.7. Gegen diesen Bescheid des BFA richtet sich die am 21.12.2019 erhobene Beschwerde, welche fristgerecht beim BFA einlangte.

In dieser Beschwerde wird u.a. ausgeführt, dass der Behörde vorzuwerfen sei, dass sie sich nicht ausreichend mit dem Fluchtvorbringen des BF auseinandergesetzt habe und entscheidungswesentliche Berichte betreffend der Verfolgungsreichweite der Taliban in den Provinzhauptstädten und der Sicherheitslage in Kabul, Herat und Mazar e-Sharif außer Acht gelassen habe. Die Verfolgungsreichweite der Taliban erstrecke sich angeführten Länderberichten zufolge auf das gesamte Staatsgebiet. Zudem sei der BF den Taliban bekannt, habe diese verraten und seien wegen ihm ein Mitglied der Taliban getötet und ein weiteres inhaftiert worden. Er habe seinen Verfolgern gegenüber eine exponierte Stellung inne. Der BF sei Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, da ihm in ganz Afghanistan aufgrund der ihm unterstellten politischen Gesinnung seitens der Taliban aktuell Verfolgung drohe. Aus den aktuellen UNHCR Richtlinien ergebe sich, dass der BF in eine von UNHCR angeführte Risikogruppe falle. Festzuhalten sei, dass der BF seine Wertehaltung durch den Verrat an den Taliban klar zum Ausdruck gebracht habe. Es bestehe für den BF aufgrund seiner exponierten Stellung und der Verfolgungsreichweite der Taliban keine innerstaatliche Fluchtalternative, weshalb er im gesamten Staatsgebiet eine Verfolgung zu befürchten habe. Der angefochtene Bescheid sei inhaltlich rechtswidrig, weil die belangte Behörde verkannt habe, dass der BF durch eine Rückkehrentscheidung in seinen Rechten nach Art. 8 EMRK verletzt werde. Der BF habe nach Zuerkennung des Status des Asylberechtigten 2015 fast durchgehend in Hotelbetrieben und Restaurants gearbeitet. Wie bereits dargelegt, sei der entscheidungswesentliche Sachverhalt nicht erhoben worden und fehle eine Plausibilitätskontrolle des Vorbringens des BF vor dem Hintergrund aktueller und ausgewogener Länderberichte. Beantragt wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.1 Feststellungen (Sachverhalt):

1.1.1 Zur Person des Beschwerdeführers und den Beschwerdepunkten:

Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Paschtunen und der sunnitischen Glaubensrichtung an. Der Beschwerdeführer spricht Dari, Farsi und Deutsch. Beim Beschwerdeführer handelt es sich um einen arbeitsfähigen jungen Mann, der an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung leidet. Er ist verheiratet und hat keine Kinder.

Der Beschwerdeführer hat im Herkunftsstaat als Taxilenker gearbeitet. Seine Eltern, seine beiden Schwestern, seine beiden Brüder sowie die Schwägerin des BF leben nach wie vor in seiner Heimatprovinz Maidan Wardak.

Dem Beschwerdeführer wurde mit Bescheid des BFA vom 13.01.2015, Zl. 13-811423509/1431760, der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Im Jahr 2018 reiste der Beschwerdeführer nach Pakistan, um seinen Bruder, welche in Peshawar lebt, zu besuchen und seine nunmehrige Ehefrau zu heiraten. Anschließend kehrte der Beschwerdeführer nach Österreich zurück.

Es kann nicht festgestellt werden, dass sich der Beschwerdeführer seit der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten in Afghanistan aufgehalten hat.

Der Beschwerdeführer hat sich nicht freiwillig wieder unter den Schutz Afghanistans gestellt und hat sich nicht wieder freiwillig in Afghanistan niedergelassen. Der Beschwerdeführer hat seinen Lebensmittelpunkt in Österreich.

Das nunmehrige Vorliegen von wesentlichen Veränderungen hinsichtlich der zuvor als insgesamt glaubwürdig anerkannten und damit konkret für den Beschwerdeführer asylrelevant in sämtlichen Teilen Afghanistans für diesen bestehenden Bedrohungssituation seit dem 20.05.2014 wurde seitens des BFA ausreichend begründet nicht dargelegt.

Das BFA hat insgesamt ausreichend begründet nicht dargelegt, dass dem Beschwerdeführer, nun insgesamt nicht mehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine asylrelevante Gefährdung durch die Taliban drohe oder diesen aufgrund seines zuvor als glaubwürdig anerkannten Fluchtvorbringens im konkreten Einzelfall nunmehr eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in Herat oder Mazar - e Sharif zur Verfügung steht.

Die Aberkennung des Status des Asylberechtigten erfolgt im gegenständlichen Einzelfall zu Unrecht. Der Beschwerde war daher stattzugeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos zu beheben.

2.1.2 Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:

2.1.2.1 Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Stand September 2019: (gekürzt und zusammengefasst durch das BVwG)

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 3.9.2019).

Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).

Rechtsschutz / Justizwesen

Gemäß Artikel 116 der Verfassung ist die Justiz ein unabhängiges Organ der Islamischen Republik Afghanistan. Die Judikative besteht aus dem Obersten Gerichtshof (Stera Mahkama, Anm.), den Berufungsgerichten und den Hauptgerichten, deren Gewalten gesetzlich geregelt sind (Casolino 2011). In islamischen Rechtsfragen lässt sich der Präsident von hochrangigen Rechtsgelehrten des Ulema-Rates (Afghan Ulama Council - AUC) beraten (USDOS 29.5.2018). Dieser Ulema-Rat ist eine von der Regierung unabhängige Körperschaft, die aus rund 2.500 sunnitischen und schiitischen Rechtsgelehrten besteht (REU 24.11.2018; vgl. USDOS 29.5.2018).

Das afghanische Justizwesen beruht sowohl auf dem islamischen [Anm.: Scharia] als auch auf dem nationalen Recht; letzteres wurzelt in den deutschen und ägyptischen Systemen (APE 3.2017). Die rechtliche Praxis in Afghanistan ist komplex: Einerseits sieht die Verfassung das Gesetzlichkeitsprinzip und die Wahrung der völkerrechtlichen Abkommen - einschließlich Menschenrechtsverträge - vor, andererseits formuliert sie einen unwiderruflichen Scharia-Vorbehalt. Ein Beispiel dieser Komplexität ist das neue Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist (APE 3.2017; vgl. UNAMA 22.2.2018). Die Organe der afghanischen Rechtsprechung sind durch die Verfassung dazu ermächtigt, sowohl das formelle, als auch das islamische Recht anzuwenden (APE 3.2017).

Obwohl das islamische Gesetz in Afghanistan üblicherweise akzeptiert wird, stehen traditionelle Praktiken nicht immer mit diesem in Einklang; oft werden die Bestimmungen des islamischen Rechts zugunsten des Gewohnheitsrechts missachtet, welches den Konsens innerhalb der Gemeinschaft aufrechterhalten soll. Unter den religiösen Führern in Afghanistan bestehen weiterhin tief greifende Auffassungsunterschiede darüber, wie das islamische Recht tatsächlich zu einer Reihe von rechtlichen Angelegenheiten steht (USIP 3.2015).

Gemäß dem allgemeinen Scharia-Vorbehalt in der Verfassung darf kein Gesetz im Widerspruch zum Islam stehen. Eine Hierarchie der Normen ist nicht gegeben, sodass nicht festgelegt ist, welches Gesetz in Fällen des Konflikts zwischen traditionellem, islamischem Recht und seinen verschiedenen Ausprägungen einerseits und der Verfassung und dem internationalen Recht andererseits, zur Anwendung kommt. Diese Unklarheit und das Fehlen einer Autoritätsinstanz zur einheitlichen Interpretation der Verfassung führen nicht nur zur willkürlichen Anwendung eines Rechts, sondern auch immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen und stehen Fortschritten im Menschenrechtsbereich entgegen.(AA 2.9.2019). Wenn keine klar definierte Rechtssetzung angewendet werden kann, setzen Richter und lokale Schuras das Gewohnheitsrecht durch. Es gibt einen Mangel an qualifiziertem Justizpersonal und manche lokale und Provinzbehörden, darunter auch Richter, haben nur geringe Ausbildung und fundieren ihre Urteile auf ihrer persönlichen Interpretation der Scharia, ohne das staatliche Recht, Stammesrecht oder örtliche Gepflogenheiten zu respektieren. Diese Praktiken führen oft zu Entscheidungen, die Frauen diskriminieren (USDOS 13.3.2019).

Trotz erheblicher Fortschritte in der formellen Justiz Afghanistans, bemüht sich das Land auch weiterhin für die Bereitstellung zugänglicher und gesamtheitlicher Leistungen; weit verbreitete Korruption sowie Versäumnisse vor allem in den ländlichen Gebieten gehören zu den größten Herausforderungen (CR 11.2018). Auch ist das Justizsystem weitgehend ineffektiv und wird durch Drohungen, Befangenheit, politischer Einflussnahme und weit verbreiteter Korruption beeinflusst (USDOS 13.3.2019; vgl. AA 2.9.2019, FH 4.2.2019). Das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren ist in der Verfassung verankert, wird aber in der Praxis selten durchgesetzt (USDOS 13.3.2019). Rechtsstaatliche (Verfahrens-)Prinzipien werden nicht konsequent (AA 2.9.2019) und innerhalb des Landes uneinheitlich angewandt (USDOS 13.3.2019).

Dem Gesetz nach gilt für alle Bürgerinnen und Bürger die Unschuldsvermutung und Angeklagte haben das Recht, beim Prozess anwesend zu sein und Rechtsmittel einzulegen; jedoch werden diese Rechte nicht immer respektiert. Beschuldigte werden von der Staatsanwaltschaft selten über die gegen sie erhobenen Anklagen genau informiert. Die Beschuldigten sind dazu berechtigt, sich von einem Pflichtverteidiger vertreten und beraten zu lassen; jedoch wird dieses Recht aufgrund eines Mangels an Strafverteidigern uneinheitlich umgesetzt. Dem Justizsystem fehlen die Kapazitäten, um die große Zahl an neuen oder veränderten Gesetzen zu absorbieren. Der Zugang zu Gesetzestexten wurde verbessert, jedoch werden durch die schlechte Zugänglichkeit immer noch einige Richter und Staatsanwälte in ihrer Arbeit behindert (USDOS 13.3.2019).

Richterinnen und Richter:

Das Justizsystem leidet unter mangelhafter Finanzierung und insbesondere in unsicheren Gebieten einem Mangel an Richtern (USDOS 13.3.2019). Die Unsicherheit im ländlichen Raum behindert eine Justizreform, jedoch ist die Unfähigkeit des Staates, eine effektive und transparente Gerichtsbarkeit herzustellen, ein wichtiger Grund für die Unsicherheit im Land (CR 11.8.2018).

Die Rechtsprechung durch unzureichend ausgebildete Richter (FH 4.2.2019; vgl. USDOS 13.3.2019) basiert in vielen Regionen auf einer Mischung aus verschiedenen Gesetzen (FH 4.2.2019). Ein Mangel an Richterinnen - insbesondere außerhalb von Kabul - schränkt den Zugang von Frauen zum Justizsystem ein, da kulturelle Normen es Frauen verbieten, mit männlichen Beamten zu tun zu haben (USDOS 13.3.2019; vgl. AA 2.9.2019). Nichtsdestotrotz, gibt es in Afghanistan zwischen 250 und 300 Richterinnen (FMF 18.4.2019; vgl. UNWOMEN 7.11.2018). Der Großteil von ihnen arbeitet in Kabul; aber auch in anderen Provinzen wie in Herat, Balkh, Takhar und Baghlan (FMF 18.4.2019).

Der Zugriff der Anwälte auf Verfahrensdokumente ist oft beschränkt (USDOS 13.3.2019). Richter und Anwälte erhalten oft Drohungen oder Bestechungen von örtlichen Machthabern oder bewaffneten Gruppen (FH 4.2.2019). Berichten zufolge zeigt sich die Richterschaft respektvoller und toleranter gegenüber Strafverteidigern, jedoch kommt es immer wieder zu Übergriffen auf und Bedrohung von Strafverteidigern durch die Staatsanwaltschaft oder andere Dienststellen der Exekutive (USDOS 13.3.2019). Anklage und Verhandlungen basieren vorwiegend auf unverifizierten Zeugenaussagen, einem Mangel an zuverlässigen forensischen Beweisen und willkürlichen Entscheidungen, die oft nicht veröffentlicht werden (FH 4.2.2019).

Einflussnahme durch Verfahrensbeteiligte oder Unbeteiligte sowie Zahlung von Bestechungsgeldern verhindern Entscheidungen nach rechtsstaatlichen Grundsätzen in weiten Teilen des Justizsystems (AA 2.9.2019). Es gibt eine tief verwurzelte Kultur der Straflosigkeit in der politischen und militärischen Elite des Landes (FH 4.2.2019; vgl. AA 2.9.2019). Im Juni 2016 wurde auf Grundlage eines Präsidialdekrets das "Anti-Corruption Justice Center" (ACJC) eingerichtet, um gegen korrupte Minister, Richter und Gouverneure vorzugehen (AJO 10.10.2017). Der afghanische Generalprokurator Farid Hamidi engagiert sich landesweit für den Aufbau des gesellschaftlichen Vertrauens in das öffentliche Justizwesen (ATL 9.3.2017; vgl. TN 22.4.2019). Das ACJC, zu dessen Aufgaben auch die Verantwortung für große Korruptionsfälle gehört, verhängte Strafen gegen mindestens 67 hochrangige Beamte, davon 16 Generäle der Armee oder Polizei sowie sieben Stellvertreter unterschiedlicher Organisationen, aufgrund der Beteiligung an korrupten Praktiken (TN 22.4.2019). Alleine von 1.12.2018-1.3.2019 wurden mehr als 30 hochrangige Personen der Korruption beschuldigt und bei einer Verurteilungsrate von 94% strafverfolgt. Unter diesen Verurteilten befanden sich vier Oberste, ein stellvertretender Finanzminister, ein Bürgermeister, mehrere Polizeichefs und ein Mitglied des Provinzialrates (USDOD 6.2019).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (2.9.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2015806/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Afghanistan_%28Stand_Juli_2019%29%2C_02.09.2019.pdf, Zugriff 11.9.2019

AJO - Afghanistan Justice Organization (10.10.2017): Anti-Corruption Justice Center (ACJC) Coordination Meeting with Civil Society Organizations, https://www.afghanjustice.org/article/articledetail/anticorruption-justice-center-acjc-coordination-meeting-with-civil-society-organizations, Zugriff 21.5.2019

APE - Archivio Penale (3.2017): Dalla Comunità internazionale, F. Romoli, Il nuovo codice penale afghano tra speranze della comunità internazionale e resistenze interne, http://www.archiviopenale.it/File/Download?codice=ee07681d-820f-4ab2-a953-d41228bf7fd8, Zugriff 21.5.2019

ATL - Atlantic, the (9.3.2017): The Impossible Job of Afghanistan's Attorney General, https://www.theatlantic.com/international/archive/2017/03/afghanistan-justice-attorney-general/517014/, Zugriff 21.5.2019

Casolino, Ugo Timoteo (2011): "Post-war constitutions" in Afghanistan ed Iraq, Ricerca elaborata e discussa nell'ambito del Dottorato di ricerca in Sistema Giuridico Romanistico, Università degli studi di Tor Vergata, Facoltà di Giurisprudenza - Roma, http://eprints.bice.rm.cnr.it/3858/1/TESI-TIM_Definitiva.x.SOLAR._2011.pdf, Zugriff 21.5.2019, ua.

Vergleichende Länderkundliche Analyse (VLA) i.S. § 3 Abs. 4a AsylG

Erläuterung

Bei der Erstellung des vorliegenden LIB wurde die im §3 Abs 4a AsylG festgeschriebene Aufgabe der Staatendokumentation zur Analyse "wesentlicher, dauerhafter Veränderungen der spezifischen, insbesondere politischen Verhältnisse, die für die Furcht vor Verfolgung maßgeblich sind", berücksichtigt. Hierbei wurden die im vorliegenden LIB Verwendeten Informationen mit jenen im vorhergehenden LIB abgeglichen und auf relevante, im o.g. Gesetz definierte Verbesserungen hin untersucht.

Als den oben definierten Spezifikationen genügend eingeschätzte Verbesserungen wurden einer durch Qualitätssicherung abgesicherten Methode zur Feststellung eines tatsächlichen Vorliegens einer maßgeblichen Verbesserung zugeführt (siehe Methodologie der Staatendokumentation, Abschnitt II). Wurde hernach ein tatsächliches Vorliegen einer Verbesserung i.S. des Gesetzes festgestellt, erfolgte zusätzlich die Erstellung einer entsprechenden Analyse der Staatendokumentation (siehe Methodologie der Staatendokumentation, Abschnitt IV) zur betroffenen Thematik.

Verbesserung i.S. §3 Abs 4a AsylG

Ein Vergleich der Informationen zu asylrelevanten Themengebieten im vorliegenden LIB mit jenen des vormals aktuellen LIB hat ergeben, dass es zu keinem wie im §3 Abs 4a AsylG beschriebenen Verbesserungen in Afghanistan gekommen ist.

[...]"

2.1.2.2 Auszug aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018:

"[...]

Im Licht der oben beschriebenen Umstände ist UNHCR der Ansicht, dass für Männer im wehrfähigen Alter und für Kinder, die in Gebieten leben, die sich unter der tatsächlichen Kontrolle regierungsfeindlicher Kräfte befinden oder in denen regierungsnahe und regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) und/oder mit dem Islamischen Staat verbundene bewaffnete Gruppen um die Kontrolle kämpfen, - abhängig von den jeweiligen Umständen des Falles - ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund einer begründeten Furcht vor Verfolgung durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure wegen ihrer (ihnen zugeschriebenen) Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aus anderen relevanten Konventionsgründen, in Verbindung mit der allgemeinen Unfähigkeit des Staates, Schutz vor dieser von AGEs ausgehenden Verfolgung zu bieten, bestehen kann. Abhängig von den besonderen Umständen des Falles können Männer im wehrfähigen Alter und Kinder, die in Gebieten leben, in denen ALP-Kommandeure eine so mächtige Position innehaben, dass sie Mitglieder der Gemeinschaft in die ALP zwangsrekrutieren können, ebenfalls internationalen Flüchtlingsschutz aufgrund einer begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aus anderen relevanten Gründen benötigen. Auch für Männer im wehrfähigen Alter und Kinder, die sich der Zwangsrekrutierung entweder durch einen staatlichen oder einen nichtstaatlichen Akteur widersetzen, kann aufgrund einer begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer (ihnen zugeschriebenen) politischen Überzeugung oder aus anderen relevanten Gründen Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz gegeben sein. Abhängig von den jeweiligen Umständen des Falles können Angehörige von Männern oder Kindern mit diesem Profil aufgrund ihrer Verbindung mit gefährdeten Personen internationalen Schutz benötigen.

2.2 Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich insbesondere aus dem vom BFA übermittelten Behördenakt.

Die Feststellungen zur Identität, Religion, und Volksgruppenzugehörigkeit stützen sich auf die Angaben des Beschwerdeführers im Asylverfahren. Der Beschwerdeführer machte diesbezüglich durchgehend gleichbleibende und glaubhafte Angaben. Die Feststellungen gelten ausschließlich für die Identifizierung der Person im Asylverfahren.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer im Jahr 2018 nach Pakistan gereist ist, ergibt sich aus einer E-Mail des Bundesministeriums für Inneres an das AMS XXXX vom 24.04.2019, im Akt aufliegenden Flugtickets und aus den Aussagen des Beschwerdeführers in seiner Einvernahme vor dem BFA am 05.09.2019. Der Beschwerdeführer gab dabei an, dass er in Pakistan seinen in Peshawar lebenden Bruder besucht und seine nunmehrige Ehefrau geehelicht habe.

Die Feststellung, dass nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer sich seit der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten in Afghanistan aufgehalten hat, ergibt sich daraus, dass im gesamten Verfahren keine diesbezüglichen Hinweise zutage getreten sind.

Zu den Aberkennungsgründen:

Dass sich der Beschwerdeführer wieder unter den Schutz seines Heimatlandes gestellt hätte (Art. 1 Abschnitt C Z 1 der Genfer Flüchtlingskonvention bzw. Art. 11 Abs. 1 lit. a der Status-RL), wird vom BFA im angefochtenen Bescheid nicht behauptet, und es liegen auch keine diesbezüglichen Indizien vor.

Zu den Feststellungen, dass wesentliche Veränderungen, bzw. Verbesserungen hinsichtlich der für den Beschwerdeführer konkret asylrelevanten Bedrohungssituation in Afghanistan seit 20.05.2014 seitens des BFA begründet nicht aufgezeigt werden konnten, bzw. das BFA insgesamt ausreichend begründet, auch unter Zugrundelegung der neuersten Länderberichte durch das im angefochtenen Bescheid herangezogene Länderinformationsblatt (Stand September 2019) ebenso nicht ausreichend begründet dargelegt hat, dass dem Beschwerdeführer nunmehr nicht mehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine asylrelevante Gefährdung durch die Taliban drohe oder diesem nunmehr eine zumutbare IFA in Herat oder Mazar - e Sharif offenstehe, ist folgendes auszuführen:

Dem Beschwerdeführer wurde mit Bescheid des BFA vom 13.01.2015, Zl. 13-811423509/1431760, der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Dies, da ihm unterstellt worden wäre, dass dieser als "Helfer" der Polizei fungiert hätte und dadurch einer glaubhaften individuellen Bedrohung durch die Taliban ausgesetzt gewesen ist. Hierzu wurde konkret durch das BFA ausgeführt, dass im vorliegenden Fall das Bundesamt davon ausgeht, dass der Antragsteller zu einer besonders gefährdeten Personengruppe gehöre und daher bei einer Rückkehr nach Afghanistan "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert wäre". Daher wäre auch das Vorliegen einer IFA auszuschließen. (VwGH 9.11.2004, 2003/01(0534, 17.03.2009, 2007/19/0459, 16.12.20110, 2007/20/0913). Es würde sich aufgrund der vorliegenden Länderberichte im Entscheidungszeitpunkt ergeben, dass für den Antragsteller auch kein ausreichender Schutz gewährleistet war, bzw. ist. Weiters wurde zusammenfassend festgehalten, dass in einer Gesamtbetrachtung im gegenständlichen Fall davon auszugehen sei, dass dem BF im Falle seiner Rückkehr in den Heimatstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aufgrund dessen glaubwürdigen Angaben eine asylrelevante Verfolgung drohe. Diese asylrelevante Verfolgung ergebe sich insbesondere etwa aufgrund der Angaben vor der Polizei zu dem Taliban XXXX . Der Antragsteller sei als "Helfer" der Polizei in seiner Heimat von einer namentlich genannten terroristischen Gruppierung verfolgt worden, womit er bereits einer individuell konkreten Bedrohung ausgesetzt gewesen sei.

Zu prüfen ist im gegebenen Zusammenhang somit zunächst, ob der Beschwerdeführer nach einem allfälligen Wegfall der Umstände, aufgrund derer er als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt (Art. 1 Abschnitt C Z 5 der Genfer Flüchtlingskonvention bzw. Art. 11 Abs. 1 lit. e der Status-RL).

Das BFA führt in casu zur Begründung der Aberkennung insbesondere nur aus, dass aufgrund der verbesserten Sicherheitslage festgestellt hätte werden können, dass die Umstände für die Zuerkennung des Asylstatus nicht mehr vorliegen würden und es der BF nicht mehr ablehnen könne, sich unter den Schutz seines Heimatlandes zu stellen.

Warum nunmehr von einem Wegfall der Umstände, die zur Zuerkennung des Asylstatus geführt haben, auszugehen ist, kann den Ausführungen des gegenständlich angefochtenen Bescheides jedoch ausreichend insgesamt begründet nicht entnommen werden.

Worin allfällige wesentliche und nachhaltige Veränderungen in Bezug auf die zuvor als glaubhaft anerkannte asylrelevante Gefährdung im Vergleich zum Zeitpunkt der Zuerkennung liegen sollen, ist dem gegenständlich angefochtenen Bescheid ausreichend begründet insgesamt nicht entnehmen, bzw. wird ausschließlich auf die aktuellen Länderfeststellungen verwiesen.

Dass nunmehr die Umstände warum der BF als Flüchtling anerkannt worden ist weggefallen sind, kann aufgrund der Ausführungen im gegenständlich angefochtenen Bescheid nicht angenommen werden, bzw. wurde insgesamt ausreichend begründet nicht dargelegt, warum es der BF nunmehr nicht mehr ablehnen könne, den Schutz seines Landes in Anspruch zu nehmen. Warum es dem BF trotz der als glaubhaft anerkannten individuellen Bedrohung nunmehr möglich sein soll, dies im Unterschied zum Zeitpunkt der Zuerkennung, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit der BF hat, ist aus den Ausführungen des BFA abschließend nicht zu entnehmen, sondern wird nur allgemein auf das nunmehrige Vorliegen einer IFA in Mazar - e Sharif oder Herat für den BF verwiesen.

Es ist dem BFA zuzustimmen, wenn dieses ausführt, dass es der afghanischen Regierung insbesondere seit dem Zeitpunkt der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten für den BF gelungen ist in manchen Provinzen die Vorherrschaft zurückgewinnen, bzw. auch noch weiter zu sichern, und daher allgemein von Vorliegen einer IFA in Mazar - e Sharif oder Herat ausgegangen werden kann.

Ist eine Person jedoch glaubhaft, wie in casu, besonders in den Fokus der Taliban geraten so kann nicht ohne Weiteres, bzw. ohne die Vornahme von hierzu ergänzenden individuellen Abwägungen davon ausgegangen werden, dass diese Person nicht auch an diesen genannten Orten einer asylrelevanten Bedrohung unterliegen kann.

Diesbezüglich bedarf es jedenfalls, insbesondere dann, wenn wie in casu ein Aberkennungsverfahren durchgeführt wird und damit eine andere Einschätzung einer zuvor als glaubhaft und asylrelevant angenommenen Bedrohungssituation vorgenommen wird, einer konkret auf den Einzelfall bezogenen, ausführlichen und schlüssigen Erörterung der relevanten Umstände und einer konkreten Darlegung der in einem solchen Fall als notwendig wesentlich als substantiell geändert festzustellen asylrelevanten individuellen Gefährdungseinschätzung.

Dem Beschwerdeführer wurde der Status des Asylberechtigten insbesondere zuerkannt, da das BFA in seinem Bescheid vom 13.01.2015, Zl. 13-811423509/1431760, davon ausging, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Afghanistan der Gefahr einer glaubhaften, ihn konkret betreffenden individuellen Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt sei. Eine ausreichende Begründung dafür, dass der Beschwerdeführer nun nicht mehr von dieser Gefahr betroffen sein soll, lässt der angefochtene Bescheid somit vermissen.

Wenn das BFA allgemein ausführt, dass die zuvor erfolgte Asylgewährung hauptsächlich auch damit begründet worden sei, dass dem BF zum damaligen Zeitpunkt keine innerstaatliche Fluchtalternative zugemutet werden habe können und es dem BF nunmehr jedoch zumutbar sei, in einer anderen Provinz als seiner Heimatprovinz Fuß zu fassen, so reicht dieserart allgemeine Argumentation im konkreten Einzelfall nicht aus, um nunmehr tatsächlich das Vorliegen einer zuvor als glaubhaft und asylrelevant anerkannten individuellen Gefährdung des BF im gesamten Staatsgebiet von Afghanistan nunmehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausschließen zu können. Dies insbesondere, da im konkreten Verfahren des BF im Asyl zuerkennenden Bescheid explizit ausgeführt wurde, dass der BF zu einer besonders gefährdeten Personengruppe gehöre und daher bei einer Rückkehr nach Afghanistan "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert wäre".

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 01.03.2007, 2003/20/0111, mit Art. 1 Abschnitt C Z 5 der Genfer Flüchtlingskonvention auseinandergesetzt. Er vertritt darin die Auffassung, dass die Annahme einer grundlegenden politischen Veränderung im Herkunftsstaat (aus der sich der Verlust der zunächst gegebenen Flüchtlingseigenschaft ergeben soll) eine gewisse Konsolidierung der Verhältnisse voraussetzt (ebenso schon VwGH 19.10.2006, 2006/19/0372; 27.04.2006, 2002/20/0170; 16.02.2006, 2006/19/0030; 16.02.2006, 2006/19/0032). Eine solche ist in Afghanistan in der Zeit seit der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten an den Beschwerdeführer nicht ersichtlich (vgl. dazu insbesondere das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Stand: September 2019, aber auch die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018).

Aus einem Vergleich der Länderinformationen zum Zeitpunkt der Zuerkennung mit den aktuell vorliegenden Länderinformationen (vgl. etwa das vom BFA im angefochtenen Bescheid herangezogene Länderinformationsblatt Stand September 2019 der Staatendokumentation, aber auch die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018) kann eine solcherart wesentliche positive Veränderung einer asylrelevanten Bedrohungssituation von Personen, die konkret in den Fokus der Taliban geraten sind, ohne Weiteres nicht abgeleitet werden.

Dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation wurden zwar nach der Erlassung des angefochtenen Bescheides noch weitere Kurzinformationen eingefügt, doch ergibt sich daraus hinsichtlich der allgemeinen Lage in Afghanistan keine für das gegenständliche Verfahren wesentliche und bedeutsame Änderung oder auch grundlegende Verbesserung.

Führt das BFA aus, dass nunmehr insbesondere mit Mazar - e Sharif oder Herat Orte für eine IFA offenstehen, so begründet das BFA nicht ausreichend, dass eine Rückkehr dorthin selbst für Personen möglich ist, die glaubhaft darlegen, dass sie konkret in den besonderen Fokus der Taliban geraten sind. Auch an dieser Stelle ist festzuhalten, dass das BFA zum Zeitpunkt der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten im vorliegenden Verfahren insgesamt nicht möglich erachtet hat und damit auch nicht etwa vom Vorliegen einer möglichen IFA in Kabul ausgegangen ist. Warum das BFA nunmehr, trotz der zum Zeitpunkt der Zuerkennung als glaubwürdig angenommenen landesweiten Bedrohung des BF, nunmehr vom Vorliegen einer IFA in Form von Mazar - e Sharif oder Herat ausgeht, ist den Ausführungen des angefochtenen Bescheides abschließend nicht zu entnehmen.

So wird lediglich in der Beweiswürdigung allgemein ausgeführt, dass die Städte Kabul, Mazar e-Sharif oder Herat nicht von den Taliban beherrscht werden würden. Das BFA hat diesbezüglich - soweit ersichtlich - jedoch weder weitergehende oder konkret auf den BF bezogene Erhebungen angestellt, noch im angefochtenen Bescheid auf den Einzelfall bezogene Feststellungen dazu getroffen.

Die in Bezug auf die damalige Zuerkennung des Status des Asylberechtigten nicht weiter begründete Feststellung, dass "die Gründe für die Zuerkennung des Asylstatus nicht mehr vorliegen" seien, vermag eine auf die konkreten Asylgründe bezogene Begründung nicht zu ersetzen. Aus den Länderfeststellungen ist jedenfalls ersichtlich, dass im gesamten Staatsgebiet weiterhin bewaffnete Konflikte zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung möglich sind.

Es handelt sich bei den Taliban zwar um nicht staatliche Akteure, doch kann angesichts der angeführten Berichtslage, entgegen den Ausführungen der belangten Behörde, nicht davon ausgegangen werden, dass die staatlichen Sicherheitsbehörden ausreichend schutzfähig wären, um im gegenständlichen Verfahren eine wie von den Taliban zuvor als glaubhaft erachtet ausgehende Verfolgungsgefahr nunmehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit genügend zu unterbinden. Aus den Länderberichten lässt sich ableiten, dass in Afghanistan derzeit - insbesondere außerhalb der Städte - kein funktionierender Sicherheits- oder Justizapparat besteht. Fallbezogen ist daher mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die staatlichen Einrichtungen Afghanistans nicht in der Lage und auch nicht gewillt wären, den BF angesichts des ihn treffenden Verfolgungsrisikos in ausreichendem Maß zu schützen.

Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH kommt einer von privaten Personen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einen Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat den Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 28.01.2015, Ra2014/18/0112, VwGH 16.11.2016, Ra 2016/18/0233). Im gegenständlichen Fall hat die afghanische Regierung dem BF unterstellt, ein Mitglied der Taliban zu sein, weshalb nicht von einer Schutzwilligkeit auszugehen ist.

Es ist davon auszugehen, dass es den Taliban auf Grund des bestehenden internen Netzwerkes, insbesondere auch wegen deren Spionen bei der Grenzpolizei am Flughafen Kabul und in den Provinzen, durchaus mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit möglich wäre, den BF, dem zunächst durch das BFA aufgrund dessen als glaubhaft erkannten Bedrohung durch die Taliban Asyl gewährt worden ist, auch nunmehr aufzuspüren, sodass er in ganz Afghanistan auch weiterhin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr einer Verfolgung ausgesetzt wäre.

Gründe, aus denen die Verwirklichung eines Tatbestandes anzunehmen wäre, der einen Endigungsgrund iSd Art. 1 Abschnitt C Z 5 der Genfer Flüchtlingskonvention darstellen könnte, sind im Verfahren insgesamt nicht hervorgekommen, sodass insoweit die Voraussetzungen für die Aberkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 nicht vorliegen.

Im Ergebnis ist daher der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid stattzugeben und ist Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG ersatzlos zu beheben, da dieser ohne Rechtsgrundlage ergangen ist. Da die Spruchpunkte II. bis VI. des im Spruch bezeichneten Bescheides denklogisch eine Aberkennung des Status der Asylberechtigen voraussetzen, sind diese ebenso zu beheben.

Durch sämtliche Ausführungen im gegenständlich angefochtenen Bescheid hat das BFA somit ausreichend begründet nicht dargelegt, worin die wesentlichen und nachhaltigen Veränderungen zur Situation zum Zeitpunkt der Zuerkennung zu erkennen sind, bzw. hat ausreichend begründet auch nicht aufgezeigt, dass der BF im Unterschied zum Zeitpunkt der Zuerkennung nunmehr nicht mehr eine zuvor als glaubwürdig erkannte asylrelevante Bedrohung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hätte und damit keines Schutzes mehr bedarf.

Aus diesen Gründen war der gegenständlichen Beschwerde statt zu geben und der Bescheid des BFA ersatzlos zu beheben.

2.3 Rechtliche Beurteilung:

2.3.1 Zu A) Stattgabe der Beschwerde:

Dem Beschwerdeführer kommt seit Rechtskraft des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.01.2015, 13-811423509/1431760, der Status des Asylberechtigen zu.

Der mit "Aberkennung des Status des Asylberechtigten" betitelte § 7 AsylG 2005 lautet:

"Aberkennung des Status des Asylberechtigten

§ 7. (1) Der Status des Asylberechtigten ist einem Fremden von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn

1. ein Asylausschlussgrund nach § 6 vorliegt;

2. einer der in Art. 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Endigungsgründe eingetreten ist oder

3. der Asylberechtigte den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat.

(2) In den Fällen des § 27 Abs. 3 Z 1 bis 4 und bei Vorliegen konkreter Hinweise, dass ein in Art. 1 Abschnitt C Z 1, 2 oder 4 der Genfer Flüchtlingskonvention angeführter Endigungsgrund eingetreten ist, ist ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten jedenfalls einzuleiten, sofern das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß Abs. 1 wahrscheinlich ist. Ein Verfahren gemäß Satz 1 ist, wenn es auf Grund des § 27 Abs. 3 Z 1 eingeleitet wurde, längstens binnen einem Monat nach Einlangen der Verständigung über den Eintritt der Rechtskraft der strafgerichtlichen Verurteilung gemäß § 30 Abs. 5 BFA-VG, in den übrigen Fällen schnellstmöglich, längstens jedoch binnen einem Monat ab seiner Einleitung zu entscheiden, sofern bis zum Ablauf dieser Frist jeweils der entscheidungsrelevante Sachverhalt feststeht. Eine Überschreitung der Frist gemäß Satz 2 steht einer späteren Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht entgegen. Als Hinweise gemäß Satz 1 gelten insbesondere die Einreise des Asylberechtigten in seinen Herkunftsstaat oder die Beantragung und Ausfolgung eines Reisepasses seines Herkunftsstaates.

(2a) Ungeachtet der in § 3 Abs. 4 genannten Gültigkeitsdauer der Aufenthaltsberechtigung ist ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten jedenfalls einzuleiten, wenn sich aus der Analyse gemäß § 3 Abs. 4a ergibt, dass es im Herkunftsstaat des Asylberechtigten zu einer wesentlichen, dauerhaften Veränderung der spezifischen, insbesondere politischen, Verhältnisse, die für die Furcht vor Verfolgung maßgeblich sind, gekommen ist. Das Bundesamt hat von Amts wegen dem Asylberechtigten die Einleitung des Verfahrens zur Aberkennung des Status des A

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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