TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/5 W173 2192565-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.03.2020
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Entscheidungsdatum

05.03.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W173 2192565-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Margit Möslinger-Gehmayr als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich (VMÖ), gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.3.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 22.10.2019 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer XXXX (in der Folge BF) reiste illegal in Österreich ein und stellte am 19.10.2015 einen Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz.

2. Bei der am 19.10.2015 durchgeführten Erstbefragung durch ein Organ der Landespolizeidirektion Niederösterreich gab der BF an, er sei am 16.10.1999 geboren, gehöre der Volksgruppe der Paschtunen an und sei Muslim sunnitischen Glaubens. Über seinen Fluchtgrund befragt, führte der BF aus, dass sein Vater und Bruder mit Amerikanern zusammengearbeitet häten und verschwunden seien. In Kandahar seien die Taliban sehr aktiv. Unbekannt sei, ob sein Vater oder sein Bruder von den Taliban oder von den Daesh entführt worden seien. Die Sicherheitslage sei extrem schlecht. Seine Mutter habe Angst um ihn gehabt und habe versucht einen Weg zu finden, um ihn in Sicherheit zu bringen. Er habe dort keinen Schutz bekommen können.

3. Mit Verfahrensanordnung vom 21.4.2016 wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) der XXXX als Geburtsdatum des BF basierend auf dem eingeholten medizinischen Fachgutachten vom 8.4.2016 festgesetzt.

4. Am 22.11.2017 wurde der BF vom BFA niederschriftlich einvernommen. Im Zuge der Einvernahme wurden vom BF Schulbesuchsbestätigungen, Empfehlungsschreiben, Bestätigungen von Übersetzungstätigkeiten, eine Tazkira und Deutschkursbesuchsbestätigungen vorgelegt. Der BF gab an, in Afghanistan keinen Beruf gelernt und für einige Monate Schuhe verkauft zu haben. Er habe zu einer Tante mütterlicherseits, die in Australien lebe, Kontakt. Der BF führte im Rahmen der Einvernahme weiter aus, konvertieren zu wollen und in zwei Monaten getauft zu werden. Weiters gab er über seinen Fluchtgrund befragt im Wesentlichen an, dass der Chef der Moschee erfahren habe, dass sein Vater und sein Bruder dolmetschen würden, und das dadurch verdiente Geld schmutzig ("haram") sei. Dieser Chef der Moschee habe dem Vater gesagt, dass er seine Arbeit einstellen solle, da er nicht am Leben bleiben würde, wenn andere Bewohner von der Tätigkeit erfahren würden. Die meisten Paschtunen in Kandahar seien bei den Taliban. Sein Vater und Bruder hätten weiter als Dolmetscher gearbeitet und seien nach einem Einsatz in Shindan mehr nicht zurückgekehrt. Sein Onkel habe behauptet, über die Dolmetschtätigkeit des BF zu wissen. Er habe ihn mitnehmen wollen. Seine Mutter habe den BF als neues Familienoberhaupt bezeichnet, das bei ihr bleiben müsse. Zwei oder drei Tage darauf sei der Sohn des Onkels mit noch zwei Personen zu ihrem Haus gekommen und hätten ihn mitnehmen wollen. Aber seine Mutter habe ihn im Keller versteckt. Als XXXX vom Verschwinden seines Vaters und seines Bruders und dem wiederholten Auftreten von Leute im Haus des BF erfahren habe, erging sein Angebot zur Mitnahme des BF bei Zustimmung seiner Mutter. Der Wille seines Onkels sei gewesen, dass der BF zu den Taliban gehe. Da sein Vater und Bruder eine andere Richtung eingeschlagen hätten, hätte er auf jeden Fall die Richtung des Onkels nehmen müssen. Der BF hätte sich vor seinem Onkel nirgendwo in Afghanistan verstecken können.

In Österreich habe der BF sehr viele Freunde. Ein paar Personen seien vom bmi und auch in der Diakonie habe er viele Freunde. Er nehme an einem Taufvorbereitungskurs teil. Nach und nach habe ihm sein Herz gesagt, dass er seine Religion wechseln solle. In Afghanistan werde man geschlagen, wenn man nicht schnell genug lerne, in Österreich werde es einem liebevoll beigebracht. In Griechenland hätten die Menschen den Flüchtlingen auch bei schlechtem Wetter Medikamente, Essen und zu trinken gebracht. Das habe er wundervoll gefunden. In Afghanistan sei ihr ganzes Leben nur wegen eines Mannes aus der Moschee zerstört worden. Er habe schon das Gebet "Vater unser" gelernt. Den Glauben habe er auch gelernt, aber er könne noch nicht alles.

5. Am 28.2.2018 wurde der BF ein weiteres Mal vor dem BFA einvernommen. Der BF gab an, sich seit etwa sieben Monaten in einem Taufvorbereitungskurs zu befinden, jedoch noch nicht getauft zu sein. Die Taufe sei für September vorgesehen. Er habe sich über die Religion informiert, gelernt und sei dann von tiefstem Herzen überzeugt gewesen. Daher habe er sich für diese Religion entschieden. Anfangs sei er nur zur Kirche gegangen und habe sich hingesetzt. Es sei vom Herzen gekommen. Er könne es nicht beschreiben, aber er sei überzeugt gewesen. Er habe sich in Österreich freiwillig entschieden, in die Kirche zu gehen und sich über die Religion zu informieren. In Afghanistan werde man zum Islam gezwungen. Im weiteren Verlauf der Einvernahme wurden dem BF durch das BFA diverse inhaltliche Fragen zur christlichen Glaubenslehre gestellt.

6. Mit Bescheid vom 15.3.2018, Zl. XXXX , wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Dem BF wurde gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkte III., IV. und V.). Es wurde die Frist für die freiwillige Ausreise des BF gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.).

Im Bescheid traf die Behörde Feststellungen zur Person des BF und zur Lage in Afghanistan. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der BF in seinem Herkunftsstaat einer staatlichen Bedrohung oder Verfolgung ausgesetzt gewesen sei. Sein Fluchtvorbringen sei nicht glaubhaft und weise keine Asylrelevanz auf. Es hätten keine Fluchtgründe, welche in der GFK taxativ aufgezählt seien, ermittelt werden können. Eine Rückkehr in die Stadt Mazar-e-Sharif sei dem BF, der über Schulbildung und Berufserfahrung verfüge, zumutbar. Ein schützenswertes Privat- oder Familienleben des BF sei in Österreich nicht entstanden. Beweiswürdigend führte die Behörde aus, dass das Vorbringen zur Rekrutierung für die Taliban durch den Onkel in höchstem Maße auf unwahrscheinlichen Umständen beruhe. Die Mutter und die Geschwister des BF wären hingegen geblieben. Hinsichtlich der Konversion habe der BF seine innere Überzeugung zu seinem christlichen Glauben nicht glaubhaft machen können. Es handle sich um eine Schutzbehauptung des BF.

7. Gegen den Bescheid vom 15.3.2018 wurde mit Schreiben vom 10.4.2018 vom BF, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, in vollem Umfang Beschwerde erhoben. Begründend wurde ausgeführt, dass der BF seine Heimat wegen den Taliban und der schlechten Sicherheitslage verlassen habe. Sein Vater und Bruder hätten mit Amerikanern als Dolmetscher gearbeitet und der BF sei selbst als Angehöriger verfolgt worden. Ihm sei auch durch die Taliban vorgeworfen worden, dass er auch als Dolmetscher bei den Amerikanern gearbeitet habe. Er sei durch seine Flucht einer Hinrichtung entgangen und werde von regierungsfeindlichen Gruppen politisch verfolgt. Zumindest hätte dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zugesprochen werden müssen, da er im Falle einer Rückkehr einem Klima ständiger Bedrohung, struktureller Gewalt und unmittelbaren Einschränkungen sowie einer Reihe von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt wäre. Auch bemühe sich der BF, Deutsch zu lernen und sich zu integrieren. Es werde daher auch die Aufhebung des Spruchpunktes III. beantragt.

8. Die gegenständliche Beschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 16.4.2018 von der belangten Behörde vorgelegt.

9. Mit Schreiben vom 20.9.2018 und Schreiben vom 5.7.2019 übermittelte der BF Beschwerdeergänzungen und weitere Unterlagen, die unter anderem einen Taufschein vom 13.6.2019 sowie eine Kathechumenatsbestätigung vom 26.6.2018 umfassten. Im Taufschein war als Datum für die Taufe des BF der XXXX in der Pfarrgemeinde XXXX , Erzdiözese XXXX festgehalten. Als Taufpate schien Herr Mag. XXXX auf. Ergänzend wurde im Schreiben vom 5.7.2019 vorgebracht, dass der BF am XXXX getauft worden sei und nunmehr der christlichen Glaubensgemeinschaft angehöre. Der BF sei aufgrund seiner Apostasie und der Konversion zum Christentum bei einer Rückkehr nach Afghanistan einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt. Entsprechende Auszüge der Länderberichte lagen dem Schreiben bei.

10. Am 22.10.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu, des Rechtsvertreters des BF und der Zeugen Mag. XXXX (in der Folge Z1) und Dipl.- XXXX (in der Folge Z2) eine mündliche Verhandlung durch.

Der BF gab an, er stamme aus der Provinz Kandahar, Stadt Kandahar. Er sei am XXXX geboren. Seine Tazkira enthalte kein genaues Geburtsdatum, sodass er mit der Festlegung des Geburtsdatums im medizinischen Sachverständigengutachten einverstanden sei. Als afghanischer Staatsangehöriger sei er in der Nähe der XXXX in der Straße XXXX aufgewachsen und habe nur in Kandahar gelebt. Seine Muttersprache sei Paschtu. Er sei Paschtune und gehöre zum Stamm namens XXXX . Er habe acht Jahre die Schule besucht und zwei bis drei Mal als Helfer in einem Schuhgeschäft mitgearbeitet. Er sei ein sehr frommer und gläubiger Moslem gewesen. Derzeit habe er keinen Kontakt mit seiner Familie.

Er habe Afghanistan verlassen, weil er sporadisch gemeinsam mit seinem Vater und seinem Bruder an deren Arbeitsstelle war, und auch vorgehabt habe, in Zukunft als Dolmetscher zu arbeiten. Nachdem Verschwinden seines Vaters und seines Bruders habe sie sein Onkel mehrmals aufgesucht und den BF mitnehmen wollen. Sein Onkel habe das Geld, das ein Dolmetscher bei den Amerikanern verdiene, als "haram" gewertet. Beim zweiten Mal sei sein Cousin (Sohn vom Onkel mütterlicherseits) mit mehreren Personen mit dem Motorrad gekommen, um ihn mitzunehmen. Seine Mutter habe ihn im Keller versteckt, geweint und geschrien, bis sein Cousin das Haus verlassen habe. Den Nachbar XXXX , der in die Türkei habe flüchten wollen, habe seine Mutter um die Mitnahme des BF gebeten.

Über sein Religionsbekenntnis befragt, gab der BF an, dass er katholischer Christ sei. Anfangs sei er Moslem gewesen. Als er verstanden habe, was der richtige Weg sei, habe er sich für das Christentum entschieden. Das sei ca. Ende 2017 in XXXX gewesen. Während seines Aufenthaltes im Asylwerberheim in XXXX habe er einen Zimmermitbewohner namens Asgar gehabt, der jeden Sonntag die Kirche besucht habe. Er habe bei Asgar Zettel gesehen, welche dieser ihm vorgelesen habe. Das habe ihm gut gefallen. Er habe sich dafür interessiert und ihn gebeten, ihn beim nächsten Kirchenbesuch in die XXXX Kirche in die Altstadt von XXXX mitzunehmen. Asgar habe ihm auch eine Bibel gegeben. Danach habe er den BF zu den Religionskursen zu dem Herrn gebracht, der heute als Zeuge anwesend sei. Als er in der Bibel gelesen habe, seien ihm ein paar Verse aufgefallen, die ihm gefallen hätten. Deshalb habe er sich entschlossen, auch zu dem Religionskurs zu gehen. Er habe dort gesehen, dass das Verhalten der dort anwesenden Christen sehr freundlich gewesen sei. In Afghanistan seien Menschen, die nicht Muslime bzw. Christen seien, nicht "halal" und könnten getötet werden. Diese Menschen würden in Afghanistan auch als Feinde bezeichnet. Das, was er in Afghanistan über Menschen mit nicht moslemischem religiösen Bekenntnis gehören habe, habe nicht zugetroffen. In Österreich seien die Menschen sehr freundlich gewesen seien. Das habe sein Interesse weiter geweckt. Auf seinem Fluchtweg in Griechenland und Serbien hätten trotz schlechtem Wetter die Leute auf sie gewartet, sie gepflegt, ihnen ein Dach über dem Kopf gegeben, ohne Geld dafür zu verlangen. Er habe sie gefragt, warum sie das tun. Sie hätten auf die Liebe zu Gott verwiesen. Da sei ihm der Unterschied zwischen dem, was er gehört habe und was diese Leute machen würden, bewusstgeworden. Eine unentgeltliche Hilfe habe er bei Muslimen in Afghanistan nicht erlebt. Dort würde für alles etwas verlangt. In seiner Familie sei sogar sein Onkel mütterlicherseits ein Feind innerhalb der Familie gewesen.

Der BF gab mehrere Gründe an, warum er seine Religion gewechselt habe. Der heute genannte Grund sei einer davon. Er glaube fest an das Christentum. Es sei die Religion der Liebe. Im Islam gebe es immer Krieg, Mord, Blut. Das habe er in Afghanistan erlebt. Der Imam habe immer vor jedem Gebet vom Umbringen der "Kafer" gesprochen. Im Christentum habe er nur von Liebe und Respekt gehört. Im Islam könne man bei der Wegnahme deines Auges durch jemanden, mit ihm dasselbe machen. Im Christentum hingegen gelt, wenn jemand dir eine Ohrfeige auf die rechte Wange gebe, sollst du ihm auch die linke Wange hinhalten. Es gehe im Christentum nicht um Rache. Von Rache habe er im Christentum nichts gehört.

Der heute anwesenden Zeugen Z1 sei dem BF seit zwei Jahren bekannt. Der BF führte dazu aus, ihn zwei bis drei Mal in der Woche bei sich zu Hause zu besuchen. Der Z1 habe zwei Töchter und eine Frau. Sie seien für ihn wie eine Familie und würde ihm jederzeit Liebe geben. Das habe er nicht einmal von seiner Kernfamilie erhalten. Diese Leute habe er nicht gekannt und hätten ihn aufgenommen wie ihr eigenem Kind. Sie würden Ausflüge in die Stadt XXXX machen und gemeinsam essen. Da denke er sich, warum würden diese Leute das für ihn machen. Sie hätten sogar seinen B1- und B2-Kurs bezahlt. Als er die Schule besucht habe, hätten sie ihm geholfen und alles bezahlt. Sie würden alles umsonst - aus Liebe zum Christentum - machen. Er habe von der Geschichte Jesus Christus gehört. Er habe meistens über Jesus Christus gehört, über sein Leben zum Beispiel. Dass er einmal viele Leute mit wenig Brot und Fisch ernährt habe und noch viel mehr. Befragt, ob er von den Kreuzzügen, als die Christen in Jerusalem Rache an der muslimischen Bevölkerung geübt hätten, gehört habe, gab der BF an, dass Jesus Christus mehrere Wunder vollbracht habe. Von den Konflikten zwischen den Christen und Muslimen habe er nicht gehört. Als Jesus Christus gekreuzigt worden sei, habe er trotz des Unrechts an ihm für diese Menschen gebetet und ihnen verziehen. Aktuell mache er den BFI-Pflichtschulabschluss. Der Geschichtsunterricht konzentriere sich auf Österreich. Von der Türkenbelagerung habe er bis jetzt noch nichts gehört.

Zum Thema, dass Jesus auch ein Prophet im Islam sei und was dies für ihn bedeute, gab der BF an, dass dem Koran zu entnehmen sei, Jesus Christus sei der Sohn von Maria und durch ein Wunder auf die Welt gekommen. Der Heiligen Geist fehle im Koran. Dem Islam zu Folge gebe es kein Wunder des Heiligen Geistes. Die Muslime würden auch glauben, dass Jesus Christus noch am Leben und im Himmel sei und irgendwann auf die Welt zurückkomme. Ihnen sei unbekannt, dass Jesus Christus nach drei Tagen nach seinem Tod wieder auferstanden sei. Richtig sei jedoch der Glaube der Katholiken an die Auferstehung von Jesus Christus, was ihm sehr viel bedeute. Jesus Christus habe sich wegen ihrer Sünden für sie geopfert. Er habe auch viel gelitten. Der BF glaube auch fest an die Wunder des Heiligen Geistes. Das gebe es nicht im Islam. Muslime würden auch nicht an Jesus Christus als Sohn Gottes glauben.

Der BF glaube nicht an den Prophet XXXX , der den Islam mit Gewalt verbreite. Er habe gehört, dass der Imam Ali das Schwert Gottes gewesen sei. Mit dem Schwert seien die Menschen gezwungen worden, sich dem Islam anzuschließen. Die Christen hingegen würden mit Liebe sagen, dass die Religion die eigene Entscheidung sei. Der Islam erlaube, jeder darf die Christen umbringen. Er wisse nicht so viel darüber, was der Prophet XXXX falsch gemacht habe. Er sei gezwungen worden, eine Madrassa zu besuchen und habe unter Schlägen, den Koran gelernt. In jeder Madrassa würden die Kinder mit Wasserschläuchen geschlagen, um den Koran zu lernen. Er habe es persönlich erlebt und mit eigenen Augen gesehen. Man könne das auch im Internet sehen.

Auf die Frage, warum der BF noch den Namen XXXX trage, wenn er den Propheten XXXX nicht schätze, gab der BF seinen katholischen Name XXXX an. Seinen früheren Namen habe er von seinen Eltern erhalten. Bei Gelegenheit werde er seinen Namen ändern. Zur Frage, ob er Verwandten und Freunden in Afghanistan seinen Religionswechsel bekannt gegeben habe, führte der BF aus, zu seiner Kernfamilie keinen Kontakt zu haben. Nur mit seiner Tante in Australien stehe er in Kontakt, die ihn aber nicht danach gefragt habe. Wenn er heute wieder Kontakt mit seiner Kernfamilie haben könnte, würde er ihnen mit Stolz sagen, dass er Katholik sei. Bei der Frage nach seiner Religionszugehörigkeit würde er nicht lügen, sondern angeben, Katholik zu sein. Zu seiner Ansicht als Christ gegenüber den Prophet Mohammed gab der BF an, dass er Respekt vor allen Religionen habe. XXXX sei ein Prophet im Islam gewesen. Aber er glaube nicht mehr an ihn und es gebe ihn nicht mehr für ihn. Zu seiner Taufe führte der BF aus, in den letzten ca. zwei Jahren Religionskurse im Haus XXXX besucht zu haben. Sie hätten über alles gelernt. Danach habe er getauft werden können. Dieser Religionskurs heiße Kathechumenat. Glaubenskurse hätten sie auch gehabt. Als Getaufter besuche er jeden Sonntag die Messe in verschiedenen Kirchen, zum Beispiel in der Altstadt von XXXX die XXXX oder die XXXX . In XXXX in der XXXX gebe es eine Kirche namens " XXXX ". Wenn die Familie auf Urlaub sei, dann besuche er in XXXX bei XXXX die XXXX . Seine Taufe sei am XXXX gewesen. Im genannten Haus habe er auch den zweiten Zeugen, Herrn XXXX , kennengelernt. Er habe sich als seine Bezugsperson auf seinem Bildungsweg und sonstigen Wegen deklariert. Der Z1 sei sein Taufpate geworden. Man müsse unbedingt getauft sein.

Im weiteren Verlauf der Verhandlung wurden dem BF mehrere inhaltliche Fragen zum christlichen Glauben gestellt, welcher dieser allesamt beantworten konnte. Befragt, wie der BF den neuen Glauben praktiziere, gab dieser an, dass er jeden Sonntag die Kirche besuche und zur Messe gehe. Er nehme an allen großen Festen teil. Jeden Sonntagnachmittag um 16:00 Uhr besuche er einen Religionskurs. Sie würden lernen, was man nach der Taufe tun solle. Ein weiteres Sakrament sei die Beichte. Man müsse mindestens einmal im Jahr beichten gehen. Eigentlich seien drei Monate besser, aber einmal im Jahr sei notwendig. Nach der Beichte fühle man sich erleichtert. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan befürchte er, dass sein Leben in Gefahr sei. Er würde getötet. Er sei jetzt ein Christ und bleibe auch ein Christ. Wenn er zurückkehre, würde er nicht in die Moschee gehen und beten. In Österreich besuche er am Vormittag einen Pflichtschulabschlusskurs und helfe am Nachmittag den Bedürftigen beim Dolmetschen. Er wolle eine Lehre als Einzelhandelskaufmann machen. Er mache Bodybuilding und habe österreichische Freunde, mit denen er das Fitnessstudio besuche.

Der Z1 gab an, den BF durch den Z2 kennengelernt zu haben. Der Z2 habe den BF geistlich betreut. Er hat ihn gefragt, ob er vielleicht auch als Taufpate für den BF tätig werden könnte. Er habe dies unter der Bedingung angenommen, dass es dem BF tatsächlich ernst sei, ins Christentum zu konvertieren. 2017 habe er den BF dann regelmäßig getroffen und auch nach Hause mitgenommen. Sie seien eine den christlichen Glauben praktizierende Familie. Der BF sei auch bei ihnen zu Gast gewesen. Der BF habe den Katechismus-Kurs besucht, den der Z2 betreut habe. Der BF brauche grundsätzlich Unterstützung in allen Richtungen. Der Z1 zeige ihm, wie das Leben in Österreich funktioniere. Sie hätten ihn bei der Glaubensfindung unterstützt, indem sie beispielsweise gemeinsam die Kirche besucht hätten. Der Z1 gab an, grundsätzlich ein kritischer Mensch zu sein, der sich auch ein Bild darübermache, ob tatsächlich ein Wille zum Konvertieren in den christlichen Glauben bestehe. Er habe deshalb Gespräche mit dem BF geführt und den Eindruck gewonnen, dass beim BF tatsächlich der Wille und die Überzeugung bestehe, ins Christentum zu wechseln und dort auch sein Leben zu finden. Als Beispiel dafür, dass es dem BF tatsächlich ernst sei, den christlichen Glauben beizubehalten, nannte der Z1, dass der BF von seinem Quartier in XXXX bei XXXX , das 20 km von der Stadt XXXX entfernt sei, einen langen Anfahrtsweg zur Kirche in der Stadt XXXX habe. Dazu müsse er bereits sehr früh aufstehen, um rechtzeitig zum Messbesuch zu kommen. Er schätze, dass der BF einen ca. eineinhalbstündigen Anfahrtsweg dorthin habe. Weiters habe der BF die Taufe und die Firmung in einem Akt empfangen, jedoch an diesem Tag nicht zugleich mit diesen Sakramenten, sondern erst am Abend die Erstkommunion empfangen können. Der BF habe jedoch großen Wert auf den Empfang der Hl. Kommunion an diesem Tag gelegt. Der BF habe er sogar darauf bestanden, am Abend die Erstkommunion zu empfangen. Er habe den Wert der Erstkommunion sehr hoch geschätzt und diesen Akt spüren wollen. Der BF sei vom Z2 unterrichtet worden. Im Zuge dieser Gespräche habe der BF auch kritische Fragen gestellt und die Religion hinterfragt. Es habe sich teilweise eine lebhafte Diskussion entwickelt, die für beide Kulturkreise bereichernd gewesen sei. Der BF nehme nicht nur den Glauben unkritisch hin, sondern interessiere sich von Herzen für seine neue Religion. Er stelle auch gesellschaftliche Zusammenhänge her. Der BF habe ein sehr eingeschränktes historisches Wissen und das Thema des historischen Hintergrundes von Verbrechen der Christen, die in der Vergangenheit begangen worden seien, sei bisher nicht eingehend erläutert worden. Der christliche Glaube sei sicherlich für den BF eine wesentliche Richtschnur und Stütze für sein weiteres Leben. Der BF sei mindestens einmal in der Woche beim Z 1 zum Essen zu Gast. Es werde viel diskutiert. Der Z1 achte auch auf die Kleidung und den Umgang des BF. Es würden auch gemeinsame Ausflüge unternommen. Soweit es gehe, werde auch gemeinsam die Sonntagsmesse besucht. Der Z1 wohne in der Stadt XXXX . Außer dem BF betreue er keine weiteren Asylwerber. Er sei nur der Taufpate des BF. Er sei überzeugt, dass der BF seinen Glauben beibehalte und habe ein gutes Gefühl, dass er sein weiteres Leben nach dem christlichen Glauben ausrichten werde.

Der ebenfalls als Zeuge einvernommene Z2 gab an, den BF vor zweieinhalb Jahren im Juni 2017 beim seinem erstmaligen Besuch der Katechese kennengelernt zu haben. Der BF sei einige Male erschienen. Der Z2 habe dann abgewartet und einige Monate später ein Vieraugengespräch mit dem BF geführt, um über ihn näher Bescheid zu wissen. Der BF habe darüber erzählt, bisher von den Christen ein böses Feindbild vermittelt bekommen zu haben. Dies würde allerdings nicht der Tatsache entsprechen, da er von den Christen bisher gut behandelt worden sei. Der BF habe weiterhin Interesse am katholischen Glauben gezeigt und die Katechese besucht. Auf die Frage, ob er sich taufen lassen wolle, habe der BF mit Überzeugung mit ja geantwortet. Der BF habe offiziell zum katholischen Glauben wechseln wollen und der Eintritt ins Katechumenat sei die Stufe, um offiziell Taufwerber zu werden. Er habe mit dem BF Vieraugengespräche geführt, um ein gewisses Feedback über den BF vermittelt zu bekommen. Er habe in Erfahrung bringen wollen, ob der BF auch die Theorie in die Praxis umsetze und er habe dem BF eine gewisse Unterstützung bieten wollen. Als Vorbereitung für die Taufe sei dem BF auch ein Gespräch mit dem Priester angeboten worden. Der BF habe zwei bis drei Mal Gespräche mit dem Priester zur Unterstützung geführt. Außerdem sei der Z1 gefragt worden, ob er Taufpate des BF werden wolle. Es sei eine unmittelbare Vorbereitung zur Taufe erfolgt und die Bildung sei intensiviert worden. Der BF habe eine innere Disposition erhalten sollen, um die Gewohnheiten der Christen zu übernehmen und auch die praktischen Übungen des Christentums (z.B. Messbesuch, Bibel lesen) zu verinnerlichen. Mit der Taufe würden die Sünden vergeben. Der BF habe auch eine innere Haltung der Reue erwerben sollen. Nach intensiven Vorbereitungen sei die Taufe mit der Kommunion erfolgt. Nach dem Akt der Taufe und der Firmung habe der BF noch am selben Abend zur Erstkommunion gehen wollen. Dem BF habe auch vermittelt werden sollen, das Christentum zu leben, wozu auch die Beichte gehöre, bei der die Sünden vergeben würden. Dazu sei er auch im Vorfeld vom Priester aufgeklärt worden. Nach der Taufe sei vom Z2 ein weiteres Vieraugengespräch geführt worden. Dem BF sei Unterstützung bei der Vertiefung des Glaubens angeboten worden, die er gerne angenommen habe. Der BF besuche seit der im Juni 2019 stattgefundenen Taufe weiterhin, die in der Stadt XXXX im XXXX stattfindenden, einstündigen Glaubenskurse, in denen das Tagesevangelium kommentiert werde, Vorträge stattfinden und zur Gewissenserforschung aufgefordert würde. Dies beweise, dass der BF tatsächlich das Christentum weiterverfolge und offen auch für kritische Fragen sei. Im Zuge eines Vieraugengespräches habe sich der BF sehr offen gezeigt und nehme selbst Rügen das alltägliche Leben betreffend (Schulbesuch) dankend hin. Wichtig sei, dass er nun das Christentum in der Praxis umsetze, worin der BF konsequent sei. Der BF sei in deutscher Sprache unterrichtet worden und er bemühe sich, die Gebote des Christentums einzuhalten. Aus zeitlichen Gründen sei eine über den einstündigen Kurs hinausgehende Betreuung des BF für ihn nicht möglich. Der Taufpate betreue deshalb den BF in seinem weiteren Leben. Es bestehe ein intensiver Kontakt zum Z1, sodass auch ein entsprechendes Feedback den BF betreffend stattfinde. Der Z2 sei überzeugt, dass der BF den christlichen Glauben in seinem Leben weiterverfolge. Der BF habe den Glauben nicht in Hinblick auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gewechselt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1 Zum Beschwerdeführer:

Der BF stammt aus der Stadt Kandahar in der Provinz Kandahar und ist am XXXX geboren.

Der BF ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Paschtunen an und war vor seiner Ausreise aus Afghanistan sunnitisch muslimischen Glaubens.

Der BF spricht Paschtu, hat acht Jahre lang die Schule besucht und gelegentlich in einem Schuhgeschäft gearbeitet.

Der BF ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

Der BF war ursprünglich sunnitischer Moslem, hat sich jedoch vom Islam abgewandt und in Österreich den römisch-katholischen Glauben angenommen. Der BF wurde am XXXX in der Pfarrgemeinde XXXX , Erzdiözese XXXX getauft. Der christliche Glaube des BF fußt auf einer inneren Überzeugung des BF und der BF praktiziert seinen Glauben aktiv in Österreich. Dem BF droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seiner Abkehr vom sunnitisch muslimischen Glauben und seiner Hinwendung zum römisch-katholischen Christentum eine Verfolgung aus religiösen Gründen.

1.2.Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan (Gesamtaktualisierung 13.11.2019)

Politische Lage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.4.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.5.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).

Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).

In Folge der Präsidentschaftswahlen 2014 wurde am 29.09.2014 Mohammad Ashraf Ghani als Nachfolger von Hamid Karzai in das Präsidentenamt eingeführt. Gleichzeitig trat sein Gegenkandidat Abdullah Abdullah das Amt des Regierungsvorsitzenden (CEO) an - eine per Präsidialdekret eingeführte Position, die Ähnlichkeiten mit der Position eines Premierministers aufweist. Ghani und Abdullah stehen an der Spitze einer Regierung der nationalen Einheit (National Unity Government, NUG), auf deren Bildung sich beide Seiten in Folge der Präsidentschaftswahlen verständigten (AA 15.4.2019; vgl. AM 2015, DW 30.9.2014). Bei der Präsidentenwahl 2014 gab es Vorwürfe von Wahlbetrug in großem Stil (RFE/RL 29.5.2019). Die ursprünglich für den 20. April 2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.9.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus zwei Kammern: dem Unterhaus oder Volksvertretung (Wolesi Jirga) mit 250 Abgeordneten (für 5 Jahre gewählt), sowie dem Oberhaus oder Ältestenrat (Meschrano Jirga) mit 102 Abgeordneten (AA 15.4.2019).

Das Oberhaus setzt sich laut Verfassung zu je einem Drittel aus Vertretern der Provinz- und Distrikträte zusammen. Das letzte Drittel der Senatoren wird durch den Präsidenten bestimmt (AA 15.4.2019). Die Hälfte der vom Präsidenten entsandten Senatoren müssen Frauen sein. Weiters vergibt der Präsident zwei Sitze für die nomadischen Kutschi und zwei weitere an behinderte Personen. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 13.3.2019).

Die Sitze im Unterhaus verteilen sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 13.3.2019, Casolino 2011).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Ob das neue Parlament, das sich nach den Wahlen vom Oktober 2018 erst mit erheblicher Verzögerung im April 2019 konstituierte, eine andere Rolle einnehmen kann, muss sich zunächst noch erweisen. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist, doch nutzt das Parlament auch seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die Regierung der Nationalen Einheit als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 2.9.2019).

Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt (USIP 11.2013). Mit dreijähriger Verzögerung fanden zuletzt am 20. und 21. Oktober 2018 - mit Ausnahme der Provinz Ghazni - Parlamentswahlen statt (AA 15.4.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28. September 2019 statt; ein vorläufiges Ergebnis wird laut der unabhängigen Wahlkommission (IEC) für den 14. November 2019 erwartet (RFE/RL 20.10.2019).

Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 20. und 21.10.2018 gaben etwa vier Millionen der registrierten 8,8 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. In der Provinz Kandahar musste die Stimmabgabe wegen eines Attentats auf den Provinzpolizeichef um eine Woche verschoben werden und in der Provinz Ghazni wurde die Wahl wegen politischer Proteste, welche die Wählerregistrierung beeinträchtigten, nicht durchgeführt (s.o.). Die Wahl war durch Unregelmäßigkeiten geprägt, darunter Betrug bei der Wählerregistrierung und Stimmabgabe, Einschüchterung der Wähler, und einige Wahllokale mussten wegen Bedrohungen durch örtliche Machthaber schließen. Die Taliban und andere Gruppierungen behinderten die Stimmabgabe durch Drohungen und Belästigungen. Durch Wahl bezogene Gewalt kamen 56 Personen ums Leben und 379 wurden verletzt. Mindestens zehn Kandidaten kamen im Vorfeld der Wahl bei Angriffen ums Leben, wobei die jeweiligen Motive der Angreifer unklar waren (USDOS 13.3.2019).

Wegen Vorwürfen des Betruges und des Missmanagements erklärte Anfang Dezember 2018 die afghanische Wahlbeschwerdekommission (ECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Die beiden Wahlkommissionen einigten sich in Folge auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen (TN 12.12.2018). Die Provinzergebnisse von Kabul wurden schließlich am 14.5.2019, fast sieben Monate nach dem Wahltag, veröffentlicht. In einer Ansprache bezeichnete Präsident Ghani die Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).

Politische Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 29.5.2018). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004, USDOS 29.5.2018). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (MPI 27.1.2004).

Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 2.9.2019). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.3.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 2.9.2019; vgl. AAN 6.5.2018, DOA 17.3.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 2.9.2019).

Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein partimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.3.2019).

Die Hezb-e Islami wird von Gulbuddin Hekmatyar, einem ehemaligen Warlord, der zahlreicher Kriegsverbrechen beschuldigt wird, geleitet. Im Jahr 2016 kam es zu einem Friedensschluss und Präsident Ghani sicherte den Mitgliedern der Hezb-e Islami Immunität zu. Hekmatyar kehrte 2016 aus dem Exil nach Afghanistan zurück und kündigte im Jänner 2019 seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2019 an (CNA 19.1.2019).

Im Februar 2018 hat Präsident Ghani in einem Plan für Friedensgespräche mit den Taliban diesen die Anerkennung als politische Partei in Aussicht gestellt (DP 16.6.2018). Bedingung dafür ist, dass die Taliban Afghanistans Verfassung und einen Waffenstillstand akzeptieren (NZZ 27.1.2019). Die Taliban reagierten nicht offiziell auf den Vorschlag (DP 16.6.2018; s. folgender Abschnitt, Anm.).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Hochrangige Vertreter der Taliban sprachen zwischen Juli 2018 (DZ 12.8.2019) - bis zum plötzlichen Abbruch durch den US-amerikanischen Präsidenten im September 2019 (DZ 8.9.2019) - mit US-Unterhändlern über eine politische Lösung des nun schon fast 18 Jahre währenden Konflikts. Dabei ging es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan nicht zu einem sicheren Hafen für Terroristen wird. Die Gespräche sollen zudem in offizielle Friedensgespräche zwischen der Regierung in Kabul und den Taliban münden. Die Taliban hatten es bisher abgelehnt, mit der afghanischen Regierung zu sprechen, die sie als "Marionette" des Westens betrachten - auch ein Waffenstillstand war Thema (DZ 12.8.2019; vgl. NZZ 12.8.2019; DZ 8.9.2019).

Präsident Ghani hatte die Taliban mehrmals aufgefordert, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln und zeigte sich über den Ausschluss der afghanischen Regierung von den Friedensgesprächen besorgt (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, MS 28.1.2019). Bereits im Februar 2018 hatte Präsident Ghani die Taliban als gleichberechtigten Partner zu Friedensgesprächen eingeladen und ihnen eine Amnestie angeboten (CR 2018). Ein für Mitte April 2019 in Katar geplantes Dialogtreffen, bei dem die afghanische Regierung erstmals an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen wäre, kam nicht zustande (HE 16.5.2019). Im Februar und Mai 2019 fanden in Moskau Gespräche zwischen Taliban und bekannten afghanischen Oppositionspolitikern, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehreren Warlords, statt (Qantara 12.2.2019; vgl. TN 31.5.2019). Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha, noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (REU 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019).

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den innerafghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil (HE 16.5.2019).

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 3.9.2019).

Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5. bis 8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).

Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit 29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).

Folgender Tabelle kann die Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Jahr im Zeitraum 2016-2018, sowie bis einschließlich August des Jahres 2019 entnommen werden:

Tab. 1: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan lt. INSO 2016-8.2019, monatlicher Überblick (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO-Daten (INSO o.D.)

2016 2017 2018 2019

Jänner 2111 2203 2588 2118

Februar 2225 2062 2377 1809

März 2157 2533 2626 2168

April 2310 2441 2894 2326

Mai 2734 2508 2802 2394

Juni 2345 2245 2164 2386

Juli 2398 2804 2554 2794

August 2829 2850 2234 2443

September 2493 2548 2389 -

Oktober 2607 2725 2682 -

November 2348 2488 2086 -

Dezember 2281 2459 2097 -

insgesamt 28.838 29.866 29.493 18.438

Global Incident Map (GIM) verzeichnete in den ersten drei Quartalen des Jahres 2019 3.540 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahr 2018 waren es 4.433. Die folgende Grafik der Staatendokumentation schlüsselt die sicherheitsrelevanten Vorfälle anhand ihrer Vorfallarten und nach Quartalen auf (BFA Staatendokumentation 4.11.2019):

Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.1.2019).

Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.4.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019).

Zivile Opfer

Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 1.1.-30.9.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) - dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 17.10.2019).

Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.4.2019) berichtet bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge, entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw. 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl - Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) - 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.2.2019; vgl. SIGAR 30.4.2019). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24% gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe, Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt (UNAMA 24.2.2019).

Tab. 2: Zivile Opfer im Zeitverlauf 1.1.2009-30.9.2019 nach UNAMA (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UNAMA-Daten (UNAMA 24.2.2019; UNAMA 17.10.2019)

Jahr Tote Verletzte Insgesamt

2009 2.412 3.557 5.969

2010 2.794 4.368 7.162

2011 3.133 4.709 7.842

2012 2.769 4.821 7.590

2013 2.969 5.669 8.638

2014 3.701 6.834 10.535

2015 3.565 7.470 11.035

2016 3.527 7.925 11.452

2017 3.440 7.019 10.459

2018 3.804 7.189 10.993

2019* 2.563* 5.676* 8.239*

Insgesamt 32114 59561 91675

* 2019: Erste drei Quartale 2019 (1.1.-30.9.2019)

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl im gesamten Jahr 2018 (USDOD 12.2018), als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018). Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen (USDOD 6.2019). Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 73) (USDOD 12.2018), zwischen 1.12.2018 und15.5.2019 waren es 6 HPAs (Vorjahreswert: 17) (USDOD 6.2019).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

Die Zahl der Angriffe auf Gläubige, religiöse Exponenten und Kultstätten war 2018 auf einem ähnlich hohen Niveau wie 2017: bei 22 Angriffen durch regierungsfeindliche Kräfte, meist des ISKP, wurden 453 zivile Opfer registriert (156 Tote, 297 Verletzte), ein Großteil verursacht durch Selbstmordanschläge (136 Tote, 266 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Für das Jahr 2018 wurden insgesamt 19 Vorfälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten dokumentiert, bei denen es insgesamt zu 747 zivilen Opfern kam (223 Tote, 524 Verletzte). Dies ist eine Zunahme von 34% verglichen mit dem Jahr 2017. Während die Mehrheit konfessionell motivierter Angriffe gegen Schiiten im Jahr 2017 auf Kultstätten verübt wurden, gab es im Jahr 2018 nur zwei derartige Angriffe. Die meisten Anschläge auf Schiiten fanden im Jahr 2018 in anderen zivilen Lebensräumen statt, einschließlich in mehrheitlich von Schiiten oder Hazara bewohnten Gegenden. Gezielte Attentate und Selbstmordangriffe auf religiöse Führer und Gläubige führten, zu 35 zivilen Opfern (15 Tote, 20 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Angriffe im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen im Oktober 2018

Die afghanische Regierung bemühte sich Wahllokale zu sichern, was mehr als 4 Millionen afghanischen Bürgern ermöglichte zu wählen (UNAMA 11.2018). Und auch die Vorkehrungen der ANDSF zur Sicherung der Wahllokale ermöglichten eine Wahl, die weniger gewalttätig war als jede andere Wahl der letzten zehn Jahre (USDOS 12.2018). Die Taliban hatten im Vorfeld öffentlich verkündet, die für Oktober 2018 geplanten Parlamentswahlen stören zu wollen. Ähnlich wie bei der Präsidentschaftswahl 2014 warnten sie Bürger davor, sich für die Wahl zu registrieren, verhängten "Geldbußen" und/oder beschlagnahmten Tazkiras und bedrohten Personen, die an der Durchführung der Wahl beteiligt waren (UNAMA 11.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Von Beginn der Wählerregistrierung (14.4.2018) bis Ende des Jahres 2018, wurden 1.007 Opfer (226 Tote, 781 Verletzte) sowie 310 Entführungen aufgrund der Wahl verzeichnet (UNAMA 24.2.2019). Am Wahltag (20.10.2018) verifizierte UNAMA 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) durch Wahl bedingte Gewalt. Die höchste Anzahl an zivilen Opfern an einem Wahltag seit Beginn der Aufzeichnungen durch UNAMA im Jahr 2009 (UNAMA 11.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 6.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 6.2019):

Taliban

Die USA sprechen seit rund einem Jahr mit hochrangigen Vertretern der Taliban über eine politische Lösung des langjährigen Afghanistan-Konflikts. Dabei geht es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan kein sicherer Hafen für Terroristen wird. Beide Seiten hatten sich jüngst optimistisch gezeigt, bald zu einer Einigung zu kommen (FAZ 21.8.2019). Während dieser Verhandlungen haben die Taliban Forderungen eines Waffenstillstandes abgewiesen und täglich Operationen ausgeführt, die hauptsächlich die afghanischen Sicherheitskräfte zum Ziel haben. (TG 30.7.2019). Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zu Ziel. Das wird als Versuch gewertet, in den Friedensverhandlungen ein Druckmittel zu haben (USDOD 6.2019).

Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. FA 3.1.2018) - Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub - Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar - und Serajuddin Haqqani (CTC 1.2018; vgl. TN 26.5.2016) Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (TN 13.1.2017). Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o.D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban, definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018).

Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017). Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt (LI 23.8.2017). Im Jänner 2018 schätzte ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums die Gesamtstärke der Taliban in Afghanistan auf 60.000 (NBC 30.1.2018). Laut dem oben genannten Experten werden die Kämpfe hauptsächlich von den Vollzeitkämpfern der mobilen Einheiten ausgetragen (LI 23.8.2017; vgl. AAN 3.1.2017; AAN 17.3.2017).

Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll12 Ableger, in acht Provinzen betreibt (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LWJ 14.8.2019).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt (LI 23.8.2017). In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LI 23.8.2017).

Haqqani-Netzwerk

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida (CRS 12.2.2019). Benannt nach dessen Begründer, Jalaluddin Haqqani (AAN 1.7.2010; vgl. USDOS 19.9.2018; vgl. CRS 12.2.2019), einem führenden Mitglied des antisowjetischen Jihad (1979-1989) und einer wichtigen Taliban-Figur; sein Tod wurde von den Taliban im September 2018 verlautbart. Der derzeitige Leiter ist dessen Sohn Serajuddin Haqqani, der seit 2015, als stellvertretender Leiter galt (CTC 1.2018).

Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk, seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt (NYT 20.8.2019) und wird für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich gemacht (CRS 12.2.2019).

Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP)

Erste Berichte über den Islamischen Staat (IS, auch ISIS, ISIL oder Daesh genannt) in Afghanistan gehen auf den Sommer 2014 zurück (

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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