Entscheidungsdatum
02.04.2020Norm
AsylG 2005 §11Spruch
W187 2188504-1/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Hubert REISNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs 1 Asylgesetz 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs 5 Asylgesetz 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
I. Verfahrensgang
1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste unter Umgehung der Einreisebestimmungen in das österreichische Bundesgebiet ein, wo er am XXXX seinen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
2. Im Rahmen seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag wurde der Beschwerdeführer im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari zu seiner Identität, seiner Reiseroute und seinen Fluchtgründen einvernommen. Hier gab er an, ledig zu sein und keine Kinder zu haben. Der Beschwerdeführer sei am XXXX in der afghanischen Provinz Daikundi geboren, gehöre der Volksgruppe der Hazara an und sei schiitischer Moslem. Seine Eltern, vier Brüder und drei Schwestern würden sich nach wie vor im Herkunftsstaat aufhalten. Als Beweggrund für seine Ausreise führte der Beschwerdeführer an, er sei seit drei Jahren für das Militär tätig gewesen. Die Taliban hätten davon erfahren und gedroht, ihn umzubringen. Sollte der Beschwerdeführer die Arbeit nicht niederlegen, würden sie seine Familie töten. Der Beschwerdeführer habe Angst gehabt, da er auch schriftlich bedroht worden sei und die Taliban sogar in seinem Elternhaus nach ihm gesucht hätten. Aus Angst um sein Leben habe der Beschwerdeführer Afghanistan verlassen.
3. Am XXXX langte eine Dokumentenvorlage des Beschwerdeführers bei der belangten Behörde ein.
4. Am XXXX wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari und einer Vertrauensperson niederschriftlich zu seinem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen. Zu seinen Fluchtgründen führte der Beschwerdeführer hier auf das Wesentliche zusammengefasst aus, er habe beim Militär, nämlich bei der afghanischen Nationalarmee (ANA) gearbeitet. Er sei Unteroffizier in der Artillerie gewesen. Als solcher habe er Ermittlungen in Zivilkleidung durchgeführt, die Taliban ausspioniert, 30 Soldaten kommandiert und eine Batterie geleitet. Im zweiten und dritten Jahr seines Dienstes hätten die Probleme begonnen. Er sei mehrfach durch die Taliban bedroht worden. Diese hätten etwa den Funk manipuliert und ihm über diesen mitgeteilt, sie würden ihn und seine Familie auslöschen. Der Beschwerdeführer habe auch einen Drohbrief erhalten. Einige seiner Freunde seien am Heimweg geköpft worden. Im dritten Jahr seines Dienstes sei der Beschwerdeführer von XXXX mit einem Van auf dem Weg nach Hause gewesen, als die Taliban den Wagen im Gebiet XXXX aufgehalten und alle Passagiere aufgefordert hätten, auszusteigen. Der Beschwerdeführer und ein weiterer Bursche seien festgenommen und entführt worden. In Gefangenschaft der Taliban sei der Beschwerdeführer häufig geschlagen und misshandelt worden. Er habe auch zur Belustigung der Taliban tanzen müssen. Am dritten Tag hätten die Taliban ihn gezwungen, einen Schacht zu graben. Am vierten Tag habe er einen Brunnen graben müssen. Die Taliban hätten ihn immer wieder aufgefordert, seinen Stützpunkt anzurufen und zu fragen, wohin sich sein Kommandant bewege. Nachts sei die Tür stets versperrt worden. In der vierten Nacht hätten die Taliban einen Holzstock im Zimmer, in dem der Beschwerdeführer eingesperrt gewesen sei, vergessen. Mit Hilfe dieses Holzstocks sei es dem Beschwerdeführer gelungen, ein Fenster zu öffnen und über dieses zu fliehen. Er sei geflohen und durch den Wald gelaufen, ehe er bewusstlos geworden sei. Am nächsten Tag sei der Beschwerdeführer in einem fremden Haus aufgewacht. Mehrere fremde Personen hätten sich um den Beschwerdeführer gesammelt und ihm frische Kleidung gegeben. Der Beschwerdeführer habe beschlossen, nach XXXX zu gehen und die Personen um Hilfe gebeten. In XXXX habe er ein Krankenhaus aufgesucht und dort von dem Vorfall erzählt. Anschließend sei der Beschwerdeführer zu seinem Stützpunkt gegangen und habe dort ebenfalls von dem Vorfall berichtet. Der Beschwerdeführer sei jedoch nicht in der Lage gewesen, die Taliban zu identifizieren, weshalb man ihm mitgeteilt habe, man könne nichts unternehmen. Der Beschwerdeführer habe mit seiner Mutter telefoniert, die ihm mitgeteilt habe, dass die Taliban in der Nacht bei der Familie gewesen seien. Sie hätten die Eltern gefesselt und ein Schaf der Familie getötet. Den Eltern sei aufgetragen worden, den Beschwerdeführer ausfindig zu machen und ihn den Taliban auszuliefern. Der Beschwerdeführer habe sich daraufhin freigenommen und beschlossen, seine Familie zu besuchen. Seine Eltern hätten gemeint, der Beschwerdeführer stelle für die Familie eine Gefahr dar. Er solle ausreisen. Daraufhin habe der Beschwerdeführer sich zur Flucht entschlossen. Nach seiner Ausreise hätten die Taliban die Familie des Beschwerdeführers nochmals aufgesucht und Militärausweise und Urkunden des Beschwerdeführers mitgenommen. Der Beschwerdeführer habe Angst um sein Leben.
5. Mit dem gegenständlichen angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers sodann sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gegen den Beschwerdeführer wurde gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Unter Spruchpunkt VI. wurde die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG mit zwei Wochen [gemeint: 14 Tage] ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.
Für ein allfälliges Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde dem Beschwerdeführer amtswegig ein Rechtsberater, die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, zur Seite gestellt.
6. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch den amtswegig beigegebenen Rechtsberater, mit Schreiben vom XXXX fristgerecht vollumfängliche Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften, bei deren Einhaltung ein für den Beschwerdeführer günstigerer Bescheid erzielt worden wäre.
7. Die Beschwerde und der dazugehörige Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Entscheidung vorgelegt. In einem verzichtete die belangte Behörde auf die Durchführung und Teilnahme an einer mündlichen Beschwerdeverhandlung und beantragte die Abweisung der Beschwerde.
8. Am XXXX übermittelte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht eine Mitteilung eines Lehrverhältnisses bei einem Asylwerber gemäß §§ 55a iVm 125 Abs 31 bis 34 FPG betreffend den Beschwerdeführer vom XXXX .
9. Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurden den Parteien einschlägige Länderinformationen zu Afghanistan übermittelt.
10. Mit Schreiben vom XXXX teilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit, dass die Teilnahme eines informierten Vertreters an der mündlichen Beschwerdeverhandlung aus dienstlichen und personellen Gründen nicht möglich sei. Es werde die Abweisung der gegenständlichen Beschwerde beantragt und um Übersendung des am XXXX aufgenommenen Verhandlungsprotokolls ersucht.
11. Am XXXX langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers zu den in das Verfahren eingebrachten Länderberichten beim Bundesverwaltungsgericht ein.
12. Am XXXX fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, im Zuge derer der Beschwerdeführer im Beisein seiner ausgewiesenen Rechtsvertreterin und einer Dolmetscherin für die Sprache Dari vom erkennenden Richter zu seinem Antrag auf internationalen Schutz und seinen Beschwerdegründen einvernommen wurde. Die belangte Behörde blieb der mündlichen Verhandlung fern.
Die Verhandlungsschrift lautet auszugsweise:
"[...]
Richter: Verstehen Sie die Dolmetscherin gut?
Beschwerdeführer: Ja.
Richter: Sind Sie psychisch und physisch in der Lage, der heute stattfindenden mündlichen Verhandlung zu folgen? Liegen Gründe vor, die Sie daran hindern?
Beschwerdeführer: Ja.
Richter: Nehmen Sie regelmäßig Medikamente, befinden Sie sich in medizinischer Behandlung?
Beschwerdeführer: Nein.
[...]
Richter: Können Sie sich an Ihre Aussage vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erinnern? Waren diese richtig, vollständig und wahrheitsgetreu?
Beschwerdeführer: Ja.
Richter: Geben Sie Ihr Geburtsdatum an. Wo sind Sie auf die Welt gekommen?
Beschwerdeführer: Geboren wurde ich in der Provinz Daikundi, im Distrikt XXXX , in der Ortschaft XXXX , im Dorf XXXX . In Afghanistan ist es unüblich, dass man sein genaues Geburtsdatum kennt, auch ich weiß mein genaues Geburtsdatum nicht. Ich bin ungefähr XXXX Jahre alt.
Richter: Welche Sprachen sprechen Sie? Können Sie diese lesen und schreiben?
Beschwerdeführer: Deutsch habe ich hier gelernt, Englisch, Tadschikisch kann ich sprechen, aber nicht so gut lesen. Dari, Farsi, Paschtu.
Richter: Geben Sie Ihre Volksgruppe, Religion und Ihren Familienstand an.
Beschwerdeführer: Ich bin Hazara, ich bin nicht religiös, aber ich wähle die Menschlichkeit. Ich akzeptiere alle Religionen, aber ich übe keine aus. Ich bin ledig.
Richter: Haben Sie Kinder? Beschwerdeführer: Nein, ich bin ledig.
Richter: Können Sie bitte soweit wie möglich chronologisch angeben, wann und wo Sie sich in Afghanistan aufgehalten haben.
Beschwerdeführer: Bis zu meinem XXXX . Lebensjahr habe ich in meinem Heimatdorf gelebt. Danach habe ich meine militärische Ausbildung angefangen, diese habe ich in den arabischen Emiraten, und zwar in XXXX , für einen Zeitraum von sechs Monaten, absolviert. Nach dieser Ausbildung bin ich nach Afghanistan zurückgekehrt und habe an verschiedenen Orten und Provinzen, unter anderem in XXXX , XXXX , in XXXX und XXXX , in der Provinz Daikundi und zwar im Distrikt XXXX und in XXXX , meinen Militärdienst absolviert. Im Alter von ungefähr XXXX Jahren habe ich Afghanistan verlassen.
Richter: Wie haben Sie in Afghanistan gewohnt?
Beschwerdeführer: Wir haben ein Eigentumshaus besessen, mit einem Grundstück. Mit sieben Jahren habe ich mit der Schule angefangen, ich bin ungefähr zehn Jahre in die Schule gegangen, ich habe die zehnte Klasse nicht abgeschlossen.
Richter: Was haben Sie in Afghanistan gemacht, gearbeitet, gelernt oder etwas Anderes?
Beschwerdeführer: Ich bin in die Schule gegangen und habe beim Militär gearbeitet.
Richter: Wo und wie leben Ihre Verwandten?
Beschwerdeführer: Meine Schwester lebt im Iran. Seit ungefähr drei Monaten hält sich meine restliche Familie, bestehend aus meinem Vater, meiner Mutter, zwei Schwestern und vier Brüdern, in Tadschikistan auf. Die älteste Schwester lebt im Iran.
Richter: Haben Sie Kontakt zu Ihrer Familie (Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Onkel)?
Beschwerdeführer: Nicht oft.
Richter: Haben Sie in Afghanistan Verwandte oder sonstige wichtige Kontaktpersonen und wie heißen sie? Wo leben sie? Haben Sie zu ihnen Kontakt?
Beschwerdeführer: In der Heimat leben zwei Tanten väterlicherseits und zwar in der Heimatprovinz Daikundi. Ich habe auch eine Tante mütterlicherseits und sie lebt im Iran.
Richter: Wie ist Ihr Leben derzeit in Österreich? Was machen Sie in Österreich?
Beschwerdeführer: (Der Beschwerdeführer auf Deutsch) Seit ich nach Österreich gekommen bin, habe ich am Anfang mit dem Deutschkurs angefangen, Freunde zu finden, mit den Österreichern und Österreicherinnen Kontakt zu halten, das war sehr wichtig für mich. Wenn man alleine lebt in einem Land, ist es schwierig alleine zu sein. Ich bin gerade in einer Lehre. Ich mache Restaurantfachmann. Ich habe ein paar Deutschkurse gemacht, ich habe Bestätigungen. Manchmal spiele ich Fußball mit meinen Freunden, in meiner Freizeit, ich treffe meine Freunde. Im Moment habe ich jede Woche zwei Tage frei. Es gibt einen Kurs in XXXX , ich gehe jeden Freitag dorthin, er besteht aus mehreren Abschnitten wie Computerkenntnis, Deutsch, Politik in Österreich.
Richter: Sind Sie Mitglied in einem Verein?
Beschwerdeführer: Ich habe eine Vereinsmitgliedschaft, ich zahle keinen Beitrag, aber ich bin dort Mitglied. Der Verein heißt " XXXX ". Ich habe zwar keine offizielle Mitgliedschaft, aber ich habe immer an den Veranstaltungen teilgenommen.
Richter: Hatten Sie Probleme mit der Polizei oder einem Gericht?
Beschwerdeführer: Nein.
Richter: Schildern Sie den Vorfall, der zu Ihrer Flucht geführt hat!
Beschwerdeführer: Das ist sehr schwierig. Ich habe ungefähr im Alter von XXXX Jahren die Schule verlassen und bin dem Militär beigetreten. Es ist eigentlich nicht möglich in dem Alter beitreten zu können. Über einen Freund habe ich es dennoch geschafft. Angemeldet habe ich mich in XXXX , dort hat die Einschreibung stattgefunden. Ich wurde dann nach XXXX verlegt/gebracht. In XXXX hat die Grundausbildung angefangen, um genauer zu sein, am Stützpunkt " XXXX ". Ich habe Prüfungen absolviert, bei guten Ergebnissen hat man auch ein Stipendium erhalten. Ich habe die Prüfungen hervorragend bestanden und habe somit ein Stipendium erhalten. Ich durfte die Ausbildung im Ausland absolvieren. Die Ausbildung in XXXX hat ungefähr sechs Monate gedauert. Nach meiner Ausbildung im Ausland bin ich nach XXXX zurückgekehrt. Das erste Jahr hatte ich keine Probleme. Alle sechs Monate hatte ich zwei Wochen frei und durfte sogar auch nachhause fahren. Wenn ich frei hatte, bin ich ohne Angst in XXXX auch am Bazar einkaufen gewesen, es gab keine Hindernisse. Natürlich war ich vorsichtig. Die Angst begleitet einen. In Afghanistan sind die Verhältnisse doch anders. Sogar zivil gekleidet wird man von der Angst begleitet. Ende des zweiten Jahres haben die Probleme angefangen. Im Militär gibt es Diskriminierungen und Ausgrenzungen. Ich habe die Vorurteile nicht ernst genommen, versucht nicht wahrzunehmen. Ich war darauf aus, meine Arbeit richtig zu verrichten. Ich habe korrekt gearbeitet, mit dem Ziel, dass die Mannschaft oder die Kollegen zu mir Vertrauen fassen. Wir haben auch mit der NATO, ich spreche von den Amerikanern, zusammengearbeitet. Ich habe versucht Vertrauen zu gewinnen. Es war mir bewusst, dass ich mich für einen schwierigen Beruf entschieden hatte. Ich wollte im Militär aufsteigen, eine höhere Position erlangen, um Besseres bewirken zu können. Wir haben versucht unsichere Gegenden sicher zu machen und terroristische Aktivitäten zu unterbinden. Ich habe Tags und Nachtsüber im Dienst mich bemüht, Kinder, die sich auf Straßen aufhalten, und in unsicheren Gegenden sich befinden, ihnen zumindest Sicherheit zu verschaffen, damit sie sich in dieser Richtung besser entwickeln können. In Afghanistan hat es mich gestört bzw. beschäftigt, warum unsere Kinder zuhause bleiben müssen, während andere Kinder in fremden Ländern beruhigt die Schule besuchen können, warum es keine Gleichberechtigung bei uns gibt. Es gab natürlich andere Soldaten aus der Truppe, die neidisch waren. Auch mit diesen Personen habe ich versucht freundschaftlich umzugehen. Wir hatten natürlich eine planmäßige Vorgehensweise, bedauerlicherweise wurden auch Spione eingeschleust. Wenn wir operiert haben, wurden kurzfristig die Uhrzeiten geändert, wegen den Spionen beispielsweise, wenn vorher gesagt wurde, eine Operation findet um 11 Uhr in der Nacht statt, dann haben wir bereits um 10 Uhr in der Nacht operiert. Ich hatte keinen hohen Rang. Bedauerlicherweise ist es in Afghanistan so, dass nur wenige eine richtige Ausbildung genießen können. Aufgrund der Vorurteile konnte ich keinen Rang oder höheren Rang erreichen, dennoch habe ich es geschafft in der Truppe so etwas wie ein Vertrauen aufzubauen. Wenn wir Einsätze hatten, hat mich auch während des Einsatzes die Angst begleitet, ich spreche von den Personen, die uns begleitet haben. Es ist auch vorgekommen, dass bei Operationen Personen, die offensichtlich miteinander befreundet waren, sich gegenseitig angeschossen haben. Zuletzt, ich spreche vom zweiten Jahr, habe ich auch Anrufe von den Taliban erhalten. Es wurde über Funk vermittelt. Ich wurde mit dem Tod bedroht. Sie haben mir verboten an Operationen teilzunehmen. Es war mir bewusst, dass Spione unter uns waren, weil man mir bei den Drohanrufen vorgeworfen hat und gesagt hat: wenn du ein ehrenvoller Mann bist, dann komm um diese Uhrzeit. Das war genau diese Uhrzeit, die offiziell für die Operation bestimmt war. Wenn ich die Verantwortung hatte, dann sind wir nie zu der angekündigten Uhrzeit operieren gegangen. Andere Personen haben so entschieden, wie sie es für richtig gehalten haben. Ich habe meinen Dienst in verschiedenen Bereichen verrichtet/absolviert. Angefangen von Waffenzuteilung bis hin zu Logistik, Aufdeckung von Spionen, nächtliche und tägliche Operationen, habe ich durchgeführt. Darüber hinaus haben wir uns auch in Gegenden, wo die Polizei keinen Zugriff mehr hatte, begeben, um aushelfen zu können. Es war mir bewusst, dass die Taliban mich bedrohen, weil ich beim Militär bin. Während des Dienstes, aber auch zur Erledigung von logistischen Aufgaben, das heißt von Einkäufen und so weiter, habe ich mich von Kollegen begleiten lassen, ich bin nicht alleine unterwegs gewesen. Ich wurde ständig bedroht und es war mir auch bewusst, dass meine Telefonnummer aus dem Stützpunkt weitergegeben wurde. Es wurde auch gezielt auf mich geschossen. Erfreulicherweise wurde ich nicht getroffen. Natürlich habe ich Kameraden verloren, sie sind gefallen. Es gab auch einen Raketenangriff, ein Fahrzeug wurde zerstört. Es ist dann so weit gegangen, dass sie mir gesagt haben, wenn wir dich nicht erwischen, dann nehmen wir uns deine Familie vor, traust du es dir nach wie vor zu beim Militär zu bleiben. Sie haben mich bedroht und gesagt, zwing uns nicht, uns deine Familie vorzunehmen. Es kam auch die Anforderung, dass ich meine Kameraden davon überzeugen soll, uns ihnen anzuschließen, samt unseren Waffen, das heißt, diese ihnen zu übergeben. Ich hätte das niemals gemacht, mich niemals dazu bereit erklärt. Als sie mich bedroht haben, habe ich dann auch zurückgeredet und gesagt, lasst uns am Schlachtfeld gegenübertreten. Ich habe auch gesagt, um genauer zu sein, beim Funk zurückgesprochen und gesagt, ist es ehrenvoll bei einem Anschlag 100 von Menschen Schaden zuzufügen, Kinder zu töten, Frauen und Männer zu verwitwen und Kinder ohne Eltern zurückzulassen. Wenn wir eine Ortschaft eingenommen haben, dann haben wir auch in der Moschee gesprochen. Genau diese Aussagen haben wir getätigt, um den Menschen bewusst zu machen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Es ist unser Wille, dass die kleinen Kinder die Schulen besuchen, dass die Frauen für sich sorgen können und dass es zu einer Gleichberechtigung vor Ort kommt. Afghanistan braucht junge Menschen, Menschen, die bereit sind dort eine Ausbildung zu machen. Einem achtjährigen Kind wird als allererstes eine Waffe in die Hand gegeben, in dem Alter lernt man, wie man eine Kalaschnikow bedienen kann, anstatt zu vermitteln, dass Bücher eine Lösungsmöglichkeit sind. Ich habe all das gesagt, es gab aber unter den Zuhörern Personen, die nicht meine Meinung geteilt haben. Solche Personen waren natürlich darauf aus, jemanden wie mich zu vernichten. Dazu kann ich ein Beispiel nennen: in XXXX haben wir Weißbärtige versammelt, im Zuge unserer Aufklärung durch Gespräche wurden wir angegriffen, bei dem Angriff sind einige Kameraden gefallen. Im dritten Dienstjahr ist es auch vorgekommen, dass ich von Mullahs und anderen Personen bedroht wurde. Ich habe dennoch versucht diese Drohungen zu ignorieren. Während des Dienstes hatte ich mehr Vertrauen zu den Amerikanern als zu den eigenen Landsleuten. Die Taliban haben dann meine Familie aufgesucht, sie ausgeforscht. Sie haben ihnen dann einen Drohbrief gegeben. Drinnen stand eine Aufforderung, gib deine Tätigkeit auf und gefährde deine Familie nicht. Auch das habe ich nicht beachtet. Ich habe unter schwierigen Bedingungen meinen Dienst verrichtet. Ich wollte meine Arbeit nicht aufgeben. Ich habe viel Aufwand betrieben, um diese Arbeit machen zu dürfen. Dann habe ich einen Anruf erhalten, man sagte mir: wir machen dir einen Vorschlag, indem wir wissen wollen, was für dich wichtiger ist, deine Arbeit, deine Familie. Ich habe ihnen angeboten, dass sie mit mir alles besprechen sollen, wenn sie sich trauen, das Gespräch auch mit mir suchen. Meine Familie ist unschuldig, sie soll nicht in diese Angelegenheit hineingezogen werden. Sie haben mich bedroht und gesagt, ich hätte deren Leute an den Staat verraten. Sie haben meine Familie wieder aufgesucht. Ich hatte ein ungutes Gefühl, weil sie meine Familie ausgeforscht haben. Es war mir bewusst, dass ich einer Gefahr ausgesetzt bin, durch die Tätigkeit die ich mache. Ich wollte es aber nicht meinen Angehörigen zumuten. Ich wollte weiterhin meine Arbeit verrichten, wollte aber auch nicht meine Angehörigen gefährden, deswegen habe ich das Gespräch mit meinem Vorgesetzten/Kommandanten gesucht. Ich habe um Hilfe angesucht, damit meine Familie in Sicherheit gebracht wird. Mir wurde gesagt: Wie sollen wir deine Familie vor Terroristen, die tagtäglich Afghanistan angreifen, schützen, sie töten willkürlich, auch Unschuldige, sie kennen das Wort Erbarmen nicht und es steht auch nicht in unserer Macht, jeden zu schützen. Zuletzt als ich nachhause unterwegs war und zwar über XXXX , in der Provinz Maidan Wardak, in Richtung Daikundi, haben sie unser Fahrzeug angehalten, ich war in Zivil, die Taliban haben Uniformen der Nationalarmee angehabt. Sie haben verschiedene Namen ausgerufen, auf die ich nicht reagiert habe. Sogar mein Name ist gefallen. Sie haben dann gesagt: all die Personen, die eine Verbrennung an der Schuhsohle haben, müssen hervortreten. Sie haben das selbst angeschaut. Ich hatte keine, allerdings haben sie selbst die Personen kontrolliert. Zwei Personen mussten mit ihnen mitgehen, ein junger Mann der seine Tazkira dabei hatte und ich. Zu diesem Zeitpunkt habe ich noch geglaubt, dass es sich um Soldaten handelt, es standen auch Ranger-Fahrzeuge dort. Die Art und Weise wie sie vorgegangen sind, hat mich stutzig gemacht und dann habe ich realisiert, dass es sich um die Taliban handelt, die die Uniform der Nationalarmee trugen. Uns wurde eine Augenbinde angelegt. Mit einem Fahrzeug wurden wir weggebracht. Ich weiß nicht, wie lange wir unterwegs waren, bis wir in eine Ortschaft gebracht worden sind. Wir wurden beide in einen Raum, er sah mehr wie ein Stall aus, gebracht. Es war sehr herabgekommen. Sie haben zuerst zu mir gesagt: wir brauchen einige Informationen von dir, gib uns diese, wenn du uns die ganzen Informationen gibst, kommst du auch frei. Es ist eine Grundaussage beim Militär und zwar, wenn man die Information von einer Person hat, dann ist diese Person unbrauchbar, man tötet sie dann. Ich habe mir überlegt, dass ich falsche Informationen geben werde und irgendwie versuchen werde zu flüchten. Die erste Information die ich ihnen gegeben habe und zwar, wann die Kolonne der Amerikaner losfährt, war nicht richtig. Sie haben diese Information überprüft, ich weiß nicht genau, ob sie angerufen haben oder wie sie das festgestellt haben. Danach sind sie zurückgekommen und haben angefangen, mich zu schlagen. Sie haben mir vorgeworfen, warum ich ihnen falsche Informationen erteile. Sie haben damit gedroht, meine Kehle zu durchtrennen, meine Finger einzeln abzutrennen. Es war eine ernsthafte Situation und ich hatte große Angst. Beim Militär habe ich gelernt, bis zur letzten Sekunde standhaft zu bleiben und Widerstand zu leisten. Sie haben durch Schläge versucht, an das heranzukommen, was sie wissen wollten. Sie wollten den Zugangscode zu den Waffen wissen, auch das war mein Verantwortungsbereich. Sie haben mir auch Fragen gestellt, wie man diesen Code eingibt. Darüber hinaus über den logistischen Bereich, wie viel Geld für die Essensausteilung bezahlt wird. Sie wollten wissen, ob das über die Bank überwiesen wird, oder ob eine direkte Übermittlung stattfindet. Ich habe festgestellt, dass ihnen der Zugangscode zu den Waffen am allerwichtigsten war. Die Schläge waren heftig. Immer wieder wurde ich aufgefordert, ihnen den Code preiszugeben. Am vierten Tag haben sie den anderen Jungen weggebracht, ich weiß allerdings nicht wohin. Tagsüber haben sie mir zuerst eine Augenbinde angebracht, mich weggebracht und danach musste ich mein eigenes Grab schaufeln. Einige von ihnen waren drogenabhängig, sie haben Marihuana geraucht. Sie haben auch Musik eingeschaltet und mich dazu aufgefordert, für sie zu tanzen. Sie haben mich auch geschlagen, zum Tanzen aufgefordert und gedemütigt. Sie haben mich geschlagen, dann habe ich ihnen einen Code genannt. Sie haben dann angerufen und diesen überprüft. Danach kamen wieder Schläge. Das war ein Dauerzustand, Schläge, Musik, zu der ich tanzen musste, ich konnte mich nicht dazu bewegen, sie haben mich dann ausgelacht. Am letzten Tag, in der vierten Nacht, sind sie rausgegangen. Ich habe in dem Moment überlegt, dass ich so rasch wie möglich von hier wegmuss. Die Türe hatte einen festen Aufbau, von dort aus konnte ich nicht weg. Ich habe herumgeschaut und die einzige Option war ein Fenster. Das Fenster war aber sehr klein. Es hatte eine Scheibe und in der Mitte befand sich eine Metallstange. Die Scheibe einzuschlagen war nicht schwierig, aber die Metallstange in der Mitte wegzubekommen war sehr schwierig. Ich habe ungefähr zwei Stunden gebraucht. Ich habe mich nicht getraut, sehr laut zu sein, alles sofort einzuschlagen. Ich habe nach einem Holzbalken gegriffen und mit voller Kraft die Eisenstange umgebogen. Ich habe mich dann durch das Fenster durchgezwängt. Ich hatte Schmerzen, aber meine Angst hat überwogen. Ich habe nicht daran gedacht, dass ich Schmerzen habe. Ich bin eine sehr lange Strecke gelaufen, bis ich dann gestürzt bin und nichts mehr wahrgenommen habe. Ich bin dann aufgewacht, ungefähr um 10 Uhr vormittags und habe mich in einem Haus befunden. Als ich zu mir gekommen bin, habe ich wahrgenommen, dass meine Kleidung voller Blut war. Es standen Personen um mich herum. Sie haben mich gefragt, was mir zugestoßen ist. Ich hatte Angst vor diesen Leuten, Angst davor, dass sie Taliban sind oder für sie arbeiten. Ich habe dann mitbekommen, wie diese Leute für mich Medikamente gebracht haben. Sie haben auf Dari gesprochen. Ich habe etwas Vertrauen gefasst. Ich habe ihnen dann erzählt, was mir zugestoßen ist. Sie haben mich gefragt, wie ich es überlebt habe oder wie ich von diesen Leuten überhaupt weggekommen bin. Ich habe ihnen erklärt, wie alles vorgefallen ist. Sie haben mir gesagt, dass sie auch in Gefahr sind, ihre Kinder können keine Schule besuchen, dass es ein Glücksfall ist, dass ich am Leben bin. Sie sagten, dass ihre Kinder diese Ortschaft, vor der ich geflüchtet bin, überqueren müssen, um die Schule zu besuchen, die Kinder hätten Angst. Ich konnte von dort alleine nicht wegkommen. Ich habe diese Leute darum gebeten, mich nach XXXX zu bringen. In XXXX wurde ich in ein Krankenhaus gebracht. Dort wurde ich auch behandelt. Danach bin ich wieder arbeiten gegangen. Ich habe dann auch gesagt, was mir zugestoßen ist und wie man mir helfen kann. Sie haben gesagt, ob ich die Personen wiedererkennen kann, sie beschreiben kann, in welche Ortschaft sie mich genau gebracht haben. Ich habe gesagt, dass ich die ungefähre Ortschaft nennen kann, aber nicht, wo ich tatsächlich festgehalten wurde. Sie haben mich abgelehnt und gesagt, dass sie nichts für mich tun können. Ich habe zuhause angerufen. Ich habe mit meiner Mutter gesprochen. Als ich mit ihr gesprochen habe, hat sie geweint. Sie hat mir erzählt, dass sie nachhause gekommen sind, dass sie angegriffen wurden. Sie haben unser Haus überfallen. Ein Schaf erschossen, geschlachtet und gegrillt. Sie haben meine Eltern geschlagen. Sogar meine Mutter, obwohl sie für gewöhnlich mit Frauen nichts zu tun haben. Nachdem mir meine Mutter diese Information mitgeteilt hat, hatte ich nicht mehr die Kraft, weiterhin im Dienst zu bleiben. Man hätte mit mir alleine abrechnen sollen und nicht mit meinen Angehörigen. Sie haben meine Angehörigen bedroht und gesagt: wenn sie wiederkommen und ich meine Arbeit nicht aufgegeben habe, werden sie meine Angehörigen dafür bestrafen, sie werden sie zerstören, vernichten. Ich habe meinen Dienst verlassen und bin nachhause gefahren. Ich war in einer sehr schlechten Verfassung, hatte Verletzungen und Beulen am Kopf. Ich habe aus dem Mund geblutet. Auch auf der Flucht, als ich in der Türkei angekommen bin, war ich in einer sehr schlechten Verfassung. Durch die Schläge höre ich an einem Ohr nicht so gut, die Auswirkungen sind nach wie vor geblieben. Zuhause angekommen, habe ich meine weinende Mutter und Geschwister vorgefunden. Sie haben mir vorgeworfen, dass meine Tätigkeit diesen Zustand verursacht hat. Ich habe wahrgenommen, dass an den Wänden Blutspuren waren. Das Leben war nur noch eine Zumutung. Wir haben dann entschieden, dass entweder sie oder ich weggehen. Sie haben mir gesagt, es wäre besser, wenn ich irgendwohin weggehe. Sie haben angenommen, dass sie weiterhin dort leben können. Jedes Mal, wenn ich meinen Dienst verlassen habe und nach Hause gefahren bin, bin ich in der Nacht zuhause angekommen und habe das Haus auch in der Nacht wieder verlassen. Ich habe dann entschieden wegzugehen, ich wusste auch nicht wohin, ich wollte nur in Sicherheit sein. Ich kannte weder Österreich, noch andere europäische Länder. In der Nacht habe ich das Haus verlassen und bin mit anderen Reisenden nach XXXX und von dort aus weiter nach XXXX . Auf der Flucht wurden wir von den Taliban kontrolliert. Ich weiß nicht, ob das ein Zufall war. Dort sind alle ausgestiegen, um das Gebet zu verrichten. Von XXXX ging die Reise nach Pakistan weiter in den Iran. Die Flucht war voller Gefahr. Man spielt noch einmal mit seinem Leben, auf der Flucht. Gefährliche und unsichere Routen sind das. Im Iran werden in einem Kleinfahrzeug acht/neun Personen hineingezwängt, es ersticken viele, andere erfrieren.
Richter: War Ihnen beim Eintritt in die Armee bewusst, dass Sie sich damit zum Gegner der Taliban machen?
Beschwerdeführer: Ja, zu 100%, weil wir gegen Terroristen sind.
Richter: Haben die Taliban auch andere Soldaten bedroht?
Beschwerdeführer: Ja, einige Freunde von mir, die auch von Zuhause flüchten müssten. Andere sind auch getötet worden, das erfährt man nicht.
Richter: Über welchen Zeitraum haben sich die Drohungen gegen Sie erstreckt?
Beschwerdeführer: Die Drohungen haben ca. XXXX angefangen, ich bin nach wie vor bedroht ( XXXX ).
Richter: Wie können die Taliban im Funknetz der Armee sprechen?
Beschwerdeführer: Es ist sehr einfach Zugang zum Kanal zu bekommen, wenn man Personen hat, die ihnen mitteilen, wie dieser Funk funktioniert.
Richter: Verwendet die Armee keinen verschlüsselten Funk?
Beschwerdeführer: Ja, richtig.
Richter: Warum hat Ihre Familie dann später Afghanistan verlassen?
Beschwerdeführer: Weil ihr Leben dann in Gefahr war. Zuerst musste meine Schwester die Heimat verlassen. Sie war Schülerin und hat die Schule besucht. Der Schulweg war weiter weg. Mein Vater hat ihr ein Moped gekauft, damit sie hin- und zurückfahren kann. Die Taliban haben ihr das Moped weggenommen und ihr verboten weiterhin die Schule zu besuchen. Die Dorfbewohner und der Mullah von der Moschee haben ein Verbot erteilt. Die Dorfbewohner haben meinen Angehörigen vorgeworfen, dass sie mich geschickt haben, um den Ungläubigen zu dienen. Das Leben meiner Familie war in Gefahr. Deswegen sind sie weggegangen.
Richter: Schildern Sie bitte nochmals die Gründe Ihrer Beschwerde!
Beschwerdeführer: Weil ich nicht in Afghanistan leben kann, es ist kein Ort für mich zum Leben. Niemand möchte die eigene Heimat verlassen. Wenn man keiner Drohung ausgesetzt ist, nicht bedroht wird, hat man auch kein Problem.
Richter: Was würde passieren, wenn Sie jetzt nach Afghanistan zurückkehren müssten?
Beschwerdeführer: Das wissen Sie vermutlich. Ich bin überzeugt davon, dass ich nicht länger als zwei Tage dort am Leben bleiben werde oder eine Woche. Wenn ich am Flughafen aussteige, dann bin ich überzeugt davon, dass ich auf der Schwarzen Liste stehe. Ich bin nicht der einzige, der davon betroffen ist, es sind zahlreiche Personen. Dort wo die Fingerabdrücke abgenommen werden, haben sie ihre Leute eingeschleust. Ich bin überzeugt davon, dass sie überall in Afghanistan ihre Leute sitzen haben. Die Mullahs haben eine Fatwah ausgesprochen, in der sie meine Tötung für erlaubt und gerecht halten, weil ich für die Amerikaner gearbeitet habe. Darüber hinaus bin ich ins Ausland gegangen. Sie glauben, dass ich ungläubig geworden bin. Für mich zählt die Menschlichkeit, nicht die Hautfarbe, ob weiß oder schwarz. Im Falle einer Rückkehr werde ich dort getötet.
[...]
Als Zeuge vernommen wird Herr XXXX , geboren am XXXX ausgewiesen durch Personalausweis Nr. XXXX , ausgestellt von der XXXX , Wohnadresse: XXXX .
Richter: Wie stehen Sie zum Beschwerdeführer?
Zeuge: Der Beschwerdeführer ist Mitarbeiter unseres Unternehmens, unseres Hotelbetriebes. Er ist voll integriert, macht eine Lehre als Restaurantfachmann, inklusive Schule. Er ist bei uns untergebracht und wird bei uns verpflegt. Wir möchten den Beschwerdeführer auch nach Ablauf seiner Lehre weiter in unserem Betrieb beschäftigen.
Richter: Können Sie mir auch etwas über sein Verhalten, seine Beschäftigungen in seiner Freizeit sagen?
Zeuge: Er ist voll im Unternehmen integriert, auch mit seinen Kollegen. Der Lehrlingsbeauftragte, der ihn betreut, und der Betriebsrat, freuen sich, wenn der Beschwerdeführer weiter in unserem Familienunternehmen tätig ist. Er hat Freunde im Norden von XXXX . Der zweite Freundeskreis ist der Freundeskreis der Mitarbeiter im Unternehmen. Ein positives Beispiel von Integration.
Der Beschwerdeführer bringt nichts mehr vor.
Richter: Haben Sie die Dolmetscherin gut verstanden?
Beschwerdeführer: Ja."
Die Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers legte im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung Unterlagen über das Lehrverhältnis des Beschwerdeführers, seinen Schulbesuch sowie Unterstützungsschreiben vor, die in Kopie zum Akt genommen wurden. Weiter verwies sie auf den Bericht von Landinfo "Afghanistan: Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne".
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen
Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl und den Verfahrensakt des Bundesverwaltungsgerichts betreffend den Beschwerdeführer, insbesondere durch Einsicht in die vorgelegten Dokumente und Integrationsunterlagen, sowie durch Durchführung einer mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die ins Verfahren eingeführten Länderberichte.
1. Feststellungen
1.1 Zur Personen des Beschwerdeführers und seinem Leben in Afghanistan
Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, ist im Entscheidungszeitpunkt volljährig und Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan. Er gehört der Volksgruppe der Hazara an und ist der schiitischen Glaubensgemeinschaft zugehörig. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari. Er kann diese Sprache sowohl lesen als auch schreiben. Weiter spricht der Beschwerdeführer Paschtu, ein wenig Englisch und Tadschikisch sowie bereits gut Deutsch. Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder.
Der Beschwerdeführer wurde in Afghanistan in der Provinz Daikundi im Distrikt XXXX im Dorf XXXX geboren und wuchs im afghanischen Familienverband mit seinen Eltern, vier Brüdern und drei Schwestern im familieneigenen Haus auf. Im Alter von ungefähr XXXX bzw. XXXX Jahren übersiedelte der Beschwerdeführer für seine militärische Grundausbildung nach XXXX . Anschließend absolvierte der Beschwerdeführer seinen Militärdienst in unterschiedlichen Provinzen bis zu seiner Ausreise Richtung Europa.
Der Beschwerdeführer besuchte in seinem Heimatdorf ungefähr zehn Jahre die Schule, hat jedoch keinen Abschluss. Während seiner Schulzeit half der Beschwerdeführer seinen Eltern in der familieneigenen Landwirtschaft. Anschließend trat der Beschwerdeführer im Alter von ungefähr XXXX bzw. XXXX Jahren der afghanischen Nationalarmee (ANA) bei, wo er zuletzt den Rang eines Unteroffiziers innehatte und eine Batterie bestehend aus 30 Soldaten kommandierte.
Die Eltern des Beschwerdeführers, seine vier Brüder und zwei Schwestern halten sich derzeit in Tadschikistan auf. Die älteste Schwester des Beschwerdeführers und eine Tante mütterlicherseits leben im Iran. In Afghanistan leben lediglich zwei Tanten väterlicherseits des Beschwerdeführers in der Heimatprovinz Daikundi. Sonstige (allenfalls entfernte) Verwandten des Beschwerdeführers leben nicht in seinem Herkunftsstaat. Der Beschwerdeführer steht in Kontakt mit seiner Familie.
1.2 Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich
Der Beschwerdeführer gelangte im XXXX in das österreichische Bundesgebiet und stellte am XXXX gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Er hält sich seit seiner Einreise durchgehend im Bundesgebiet auf.
Der Beschwerdeführer besuchte seit seiner Einreise mehrere Deutsch-, Basisbildungs- und Integrationskurse, darunter einen Wertekurs des ÖIF und einen Erste-Hilfe-Kurs des Roten Kreuzes. Im XXXX legte der Beschwerdeführer erfolgreich eine Prüfung zu seinen Deutschkenntnissen auf Niveau A1 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen ab. Von XXXX bis XXXX besuchte der Beschwerdeführer den Lehrgang Übergangsstufe an BMHS für Jugendliche mit geringen Kenntnissen der Unterrichtssprache Deutsch an den Tourismusschulen XXXX , den er am XXXX abschloss. Mit Unterstützung des Vereins " XXXX " erhielt der Beschwerdeführer eine Lehrstelle und absolviert seit XXXX eine Lehre zum Restaurantfachmann bei der XXXX . Der Beschwerdeführer lebt in einer eigenen Wohnung bei seinem Dienstgeber in XXXX . Er ist erwerbstätig und bezieht keine Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung. Der Beschwerdeführer erfüllt seine Aufgaben zur vollsten Zufriedenheit seines Dienstgebers, der ihn auch nach seinem Lehrabschluss weiterhin beschäftigen möchte. Er besucht derzeit im Rahmen seiner Lehre die Berufsschule XXXX , wo er auch das Zusatzangebot "Deutsch als Zweitsprache" in Anspruch nimmt. Durch seinen Schulbesuch und seine Lehrstelle spricht der Beschwerdeführer bereits sehr gut Deutsch.
Vor Beginn seiner Lehre betätigte sich der Beschwerdeführer in Österreich mehrfach ehrenamtlich: Im Jahr XXXX nahm er an der öffentlichen Flurreinigungsaktion der XXXX teil, verrichtete gemeinnützige Tätigkeiten wie Reinigungs- und Säuberungsarbeiten und half beim Aufbau des Gesundheitstages XXXX mit. Im Jahr XXXX nahm er am Kooperations-Projekt der XXXX " XXXX " teil, wo er für die Pflege der Pflanzen verantwortlich war. Weiter engagierte er sich ehrenamtlich beim gemeinnützigen Verein " XXXX ", wo er etwa bei der Errichtung einer Bühne und beim Tragen von Instrumenten mithalf. Der Beschwerdeführer nahm seit seiner Einreise am sozialen Leben teil. Im XXXX unternahm er zahlreiche Aktivitäten mit der Plattform " XXXX ", darunter Museumsbesuche, eine Waldführung und mehrere Feste. Der Beschwerdeführer ist in Österreich bereits gut integriert, er hat zahlreiche soziale Kontakte - auch zu österreichischen Staatsbürgern - geknüpft. Er ist bei seinen Arbeitskollegen sehr beliebt. In seiner Freizeit spielt der Beschwerdeführer gerne Fußball und trifft sich mit Freunden.
In Österreich leben keine Verwandten oder sonstige wichtige Bezugspersonen des Beschwerdeführers. Es besteht weder eine Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers in Österreich, noch gibt es in Österreich geborene Kinder des Beschwerdeführers.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten. Er ist gesund und arbeitsfähig.
1.3 Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer reiste im XXXX aus seinem Herkunftsstaat Afghanistan aus und stellte am XXXX gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Er begründete seinen Antrag auf internationalen Schutz bereits in der Erstbefragung mit Verfolgung durch die Taliban wegen seiner Tätigkeit beim Militär. Diesen Fluchtgrund hielt der Beschwerdeführer im Lauf des Verfahrens aufrecht.
Der Beschwerdeführer trat der afghanischen Nationalarmee (ANA) im Alter von ungefähr XXXX bzw. XXXX Jahren bei. Er war der XXXX zugeordnet, welche von einem Major namens XXXX geführt wurde. Zuletzt hatte der Beschwerdeführer den Rang eines Unteroffiziers, Assistent Hauptfeldwebel, inne und kommandierte eine Batterie bestehend aus 30 Soldaten. Im Rahmen seiner Tätigkeit als Unteroffizier führte der Beschwerdeführer unter anderem Ermittlungen in Zivilkleidung durch, spionierte die Taliban aus, arbeitete mit der NATO zusammen, führte Operationen durch und war für verschiedene Bereiche wie die Waffenzuteilung, die Logistik und die Aufdeckung von Spionen zuständig.
Ab seinem zweiten Dienstjahr geriet der Beschwerdeführer in das Visier der Taliban, die den Funk manipulierten und den Beschwerdeführer über diesen bedrohten. Den Taliban war sowohl der Name des Beschwerdeführers als auch sein Rang bei der ANA bekannt. Die Taliban forschten die Familie des Beschwerdeführers aus und suchten diese auf. Bei dieser Gelegenheit übergaben sie dem Vater des Beschwerdeführers einen Drohbrief für den Beschwerdeführer mit der Aufforderung, seine Tätigkeit einzustellen. Der Beschwerdeführer hat auch Drohanrufe erhalten. Als der Beschwerdeführer im Jahr XXXX Urlaub hatte und sich auf dem Weg in sein Heimatdorf zu seiner Familie befand, wurde der Wagen des Beschwerdeführers im XXXX in der Provinz Maidan Wardak von den Taliban angehalten. Die Taliban nahmen den Beschwerdeführer gefangen und hielten ihn vier Tage lang fest. Sie forderten den Beschwerdeführer auf, ihnen Informationen über die ANA, insbesondere über die Bewegungen seines Kommandanten und der Kolonne der Amerikaner, und den Zugangscode zu den Waffen zu geben. Der Beschwerdeführer gab den Taliban falsche Informationen. Der Beschwerdeführer wurde immer wieder geschlagen und misshandelt. Sie drohten ihm mit dem Tod und damit, seine Finger einzeln abzutrennen. Der Beschwerdeführer wurde gedemütigt und gezwungen, zur Belustigung der Taliban zu tanzen. Weiter zogen die Taliban den Beschwerdeführer für Arbeiten wie das Graben eines Schachts oder eines Brunnens heran. In der vierten Nacht vergaßen die Taliban einen Holzstock im Zimmer, in dem der Beschwerdeführer festgehalten wurde. Mit Hilfe dieses Stocks gelang es dem Beschwerdeführer, eine Fensterscheibe einzuschlagen und eine metallene Fenstersprosse auszuhebeln. Über dieses Fenster konnte der Beschwerdeführer fliehen. Nach diesem Vorfall begab sich der Beschwerdeführer zur medizinischen Versorgung ins Krankenhaus in XXXX .
Anschließend kehrte der Beschwerdeführer zu seinem Stützpunkt zurück und berichtete von dem Vorfall. Da er jedoch nicht in der Lage war, die Taliban zu identifizieren, teilte man dem Beschwerdeführer mit, man könne nichts unternehmen. Der Beschwerdeführer telefonierte daraufhin mit seiner Mutter, die ihm mitteilte, dass die Taliban in der Nacht bei der Familie waren. Die Taliban fesselten seine Eltern, schlachteten ein Schaf und forderten seine Eltern auf, den Beschwerdeführer ausfindig zu machen und an die Taliban auszuliefern. Daraufhin verließ der Beschwerdeführer seinen Dienst und fuhr nach Hause in sein Heimatdorf. Seine Familie warf dem Beschwerdeführer vor, er stelle eine Gefahr dar. Der Beschwerdeführer verließ daher Afghanistan und reiste Richtung Europa.
Nach seiner Flucht suchten die Taliban die Familie des Beschwerdeführers nochmals auf und nahmen Militärausweise und Urkunden des Beschwerdeführers mit. Auch die Familie des Beschwerdeführers war daher gezwungen, die Heimat zu verlassen.
Es muss davon ausgegangen werden, dass dem Beschwerdeführer aufgrund seiner Tätigkeit für die ANA eine politische Gesinnung gegen die Zielsetzungen der Taliban zugeschrieben wird, zumal er nach seiner Entführung zunächst zu seinem Stückpunkt zurückkehrte. Dem Beschwerdeführer droht daher im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan asylrelevante Verfolgung aus Gründen seiner politischen Gesinnung durch die Taliban. Er läuft bei einer Rückkehr nach Afghanistan Gefahr, Gewalthandlungen, erheblichen Eingriffen in seine Unversehrtheit und/oder gravierenden Bedrohungen durch die Taliban ausgesetzt zu sein. Von einer solchen Verfolgung ist im gesamten Staatsgebiet von Afghanistan auszugehen. Der afghanische Staat ist derzeit nicht in der Lage, den Beschwerdeführer in seinem Heimatland hinreichend vor diesen Bedrohungen durch die Taliban zu schützen.
Zu den Angaben des Beschwerdeführers über die (weiteren) Gründe, aus denen er sein Herkunftsland verlassen hat, werden keine Feststellungen getroffen.
1.4 Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers
Es werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat der Beschwerdeführer getroffen:
1.4.1 Staatendokumentation (Stand 13.11.2019, außer wenn anders angegeben)
1.4.1.1 Politische Lage
Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.4.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.5.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).
Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).
Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).
In Folge der Präsidentschaftswahlen 2014 wurde am 29.09.2014 Mohammad Ashraf Ghani als Nachfolger von Hamid Karzai in das Präsidentenamt eingeführt. Gleichzeitig trat sein Gegenkandidat Abdullah Abdullah das Amt des Regierungsvorsitzenden (CEO) an - eine per Präsidialdekret eingeführte Position, die Ähnlichkeiten mit der Position eines Premierministers aufweist. Ghani und Abdullah stehen an der Spitze einer Regierung der nationalen Einheit (National Unity Government, NUG), auf deren Bildung sich beide Seiten in Folge der Präsidentschaftswahlen verständigten (AA 15.4.2019; vgl. AM 2015, DW 30.9.2014). Bei der Präsidentenwahl 2014 gab es Vorwürfe von Wahlbetrug in großem Stil (RFE/RL 29.5.2019). Die ursprünglich für den 20. April 2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.9.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019).
Parlament und Parlamentswahlen
Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus zwei Kammern: dem Unterhaus oder Volksvertretung (Wolesi Jirga) mit 250 Abgeordneten (für 5 Jahre gewählt), sowie dem Oberhaus oder Ältestenrat (Meschrano Jirga) mit 102 Abgeordneten (AA 15.4.2019).
Das Oberhaus setzt sich laut Verfassung zu je einem Drittel aus Vertretern der Provinz- und Distrikträte zusammen. Das letzte Drittel der Senatoren wird durch den Präsidenten bestimmt (AA 15.4.2019). Die Hälfte der vom Präsidenten entsandten Senatoren müssen Frauen sein. Weiters vergibt der Präsident zwei Sitze für die nomadischen Kutschi und zwei weitere an behinderte Personen. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 13.3.2019).
Die Sitze im Unterhaus verteilen sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 13.3.2019, Casolino 2011).
Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Ob das neue Parlament, das sich nach den Wahlen vom Oktober 2018 erst mit erheblicher Verzögerung im April 2019 konstituierte, eine andere Rolle einnehmen kann, muss sich zunächst noch erweisen. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist, doch nutzt das Parlament auch seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die Regierung der Nationalen Einheit als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 2.9.2019).
Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt (USIP 11.2013). Mit dreijähriger Verzögerung fanden zuletzt am 20. und 21. Oktober 2018 - mit Ausnahme der Provinz Ghazni - Parlamentswahlen statt (AA 15.4.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28. September 2019 statt; ein vorläufiges Ergebnis wird laut der unabhängigen Wahlkommission (IEC) für den 14. November 2019 erwartet (RFE/RL 20.10.2019).
Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 20. und 21.10.2018 gaben etwa vier Millionen der registrierten 8,8 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. In der Provinz Kandahar musste die Stimmabgabe wegen eines Attentats auf den Provinzpolizeichef um eine Woche verschoben werden und in der Provinz Ghazni wurde die Wahl wegen politischer Proteste, welche die Wählerregistrierung beeinträchtigten, nicht durchgeführt (s.o.). Die Wahl war durch Unregelmäßigkeiten geprägt, darunter Betrug bei der Wählerregistrierung und Stimmabgabe, Einschüchterung der Wähler, und einige Wahllokale mussten wegen Bedrohungen durch örtliche Machthaber schließen. Die Taliban und andere Gruppierungen behinderten die Stimmabgabe durch Drohungen und Belästigungen. Durch Wahl bezogene Gewalt kamen 56 Personen ums Leben und 379 wurden verletzt. Mindestens zehn Kandidaten kamen im Vorfeld der Wahl bei Angriffen ums Leben, wobei die jeweiligen Motive der Angreifer unklar waren (USDOS 13.3.2019).
Wegen Vorwürfen des Betruges und des Missmanagements erklärte Anfang Dezember 2018 die afghanische Wahlbeschwerdekommission (ECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Die beiden Wahlkommissionen einigten sich in Folge auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen (TN 12.12.2018). Die Provinzergebnisse von Kabul wurden schließlich am 14.5.2019, fast sieben Monate nach dem Wahltag, veröffentlicht. In einer Ansprache bezeichnete Präsident Ghani die Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).
Politische Parteien
Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 29.5.2018). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004, USDOS 29.5.2018). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (MPI 27.1.2004).
Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 2.9.2019). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.3.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 2.9.2019; vgl. AAN 6.5.2018, DOA 17.3.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 2.9.2019).
Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein partimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.3.2019).
Die Hezb-e Islami wird von Gulbuddin Hekmatyar, einem ehemaligen Warlord, der zahlreicher Kriegsverbrechen beschuldigt wird, geleitet. Im Jahr 2016 kam es zu einem Friedensschluss und Präsident Ghani sicherte den Mitgliedern der Hezb-e Islami Immunität zu. Hekmatyar kehrte 2016 aus dem Exil nach Afghanistan zurück und kündigte im Jänner 2019 seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2019 an (CNA 19.1.2019).
Im Februar 2018 hat Präsident Ghani in einem Plan für Friedensgespräche mit den Taliban diesen die Anerkennung als politische Partei in Aussicht gestellt (DP 16.6.2018). Bedingung dafür ist, dass die Taliban Afghanistans Verfassung und einen Waffenstillstand akzeptieren (NZZ 27.1.2019). Die Taliban reagierten nicht offiziell auf den Vorschlag (DP 16.6.2018; s. folgender Abschnitt, Anm.).
Friedens- und Versöhnungsprozess
Hochrangige Vertreter der Taliban sprachen zwischen Juli 2018 (DZ 12.8.2019) - bis zum plötzlichen Abbruch durch den US-amerikanischen Präsidenten im September 2019 (DZ 8.9.2019) - mit US-Unterhändlern über eine politische Lösung des nun schon fast 18 Jahre währenden Konflikts. Dabei ging es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan nicht zu einem sicheren Hafen für Terroristen wird. Die Gespräche sollen zudem in offizielle Friedensgespräche zwischen der Regierung in Kabul und den Taliban münden. Die Taliban hatten es bisher abgelehnt, mit der afghanischen Regierung zu sprechen, die sie als "Marionette" des Westens betrachten - auch ein Waffenstillstand war Thema (DZ 12.8.2019; vgl. NZZ 12.8.2019; DZ 8.9.2019).
Präsident Ghani hatte die Taliban mehrmals aufgefordert, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln und zeigte sich über den Ausschluss der afghanischen Regierung von den Friedensgesprächen besorgt (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, MS 28.1.2019). Bereits im Februar 2018 hatte Präsident Ghani die Taliban als gleichberechtigten Partner zu Friedensgesprächen eingeladen und ihnen eine Amnestie angeboten (CR 2018). Ein für Mitte April 2019 in Katar geplantes Dialogtreffen, bei dem die afghanische Regierung erstmals an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen wäre, kam nicht zustande (HE 16.5.2019). Im Februar und Mai 2019 fanden in Moskau Gespräche zwischen Taliban und bekannten afghanischen Oppositionspolitikern, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehreren Warlords, statt (Qantara 12.2.2019; vgl. TN 31.5.2019). Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha, noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (REU 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019).
Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den innerafghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil (HE 16.5.2019).
1.4.1.2 Sicherheitslage
Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierungen und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).
Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als so