TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/24 W182 2167126-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.04.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

24.04.2020

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W182 2167126-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. PFEILER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , alias XXXX , geb. XXXX , StA. Republik Jemen, vertreten durch: Verein Menschenrechte Österreich, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.07.2017, Zl. 15-1073504200/150671722, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBI. I. Nr. 33/2013 idgF, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930 idgF, nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger des Jemen, gehört der arabischen Volksgruppe an, ist sunnitischer Moslem, reiste illegal ins Bundesgebiet ein und stellte hier am 15.06.2015 unter der an zweiter Stelle im Spruch genannten Alias-Identität einen Antrag auf internationalen Schutz.

In einer Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 16.06.2015 gab der BF zu seinen Fluchtgründen befragt an, aus Angst vor der terroristischen Houthi - Bewegung sein Heimatland verlassen zu haben. Deren Mitglieder würden den Staat angreifen, weshalb es generell unsicher wäre, in diesem zu leben. Er wolle in Österreich eine neue Zukunft für seinen Sohn und seine Frau schaffen. Sonst habe er keine Fluchtgründe. Er habe vor zwei Monaten den Herkunftsstaat verlassen und sei in die Türkei und von dort weiter nach Österreich gereist.

Am 28.06.2017 fand vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) eine niederschriftliche Einvernahme des BF statt. Im Zuge dessen legte der BF eine auf die an erster Stelle im Spruch genannte Identität ausgestellte Kopie eines jemenitischen Reisepasses vor. Auf den Vorhalt, dass die Personaldaten im Reisepass von seinen ursprünglichen Angaben zu seiner Identität in der Erstbefragung abweichen würden, gab der BF zu verstehen, dass er anlässlich der Antragstellung seinen Vor- und Vatersnamen genannt habe.

Vollkommen gesund, sei der BF uneingeschränkt einvernahmefähig. Neben seinem Vater würden aktuell auch noch jeweils zwei Brüder und Schwestern im Jemen leben; ein weiterer Bruder sowie seine Mutter seien mittlerweile nicht mehr am Leben. Er selbst sei mit einer ebenfalls im Bundesgebiet im Asylverfahren befindlichen somalischen Staatsangehörigen seit 12.07.2014 auf traditionelle Weise verheiratet, welche er Ende 2013 in der Türkei kennengelernt habe. Aus dieser Verbindung seien bislang auch zwei minderjährige Söhne hervorgegangen. In der Türkei habe das Paar auch schon in einem gemeinsamen Haushalt gelebt, wobei der BF dort am Markt als "Träger" gearbeitet habe. Er sei von Anfang 2013 bis Mitte 2015 legal in der Türkei gewesen. Mangels wirtschaftlicher Perspektiven ("Man hat dort keine Arbeit. Ich hatte dort nichts. Man lebt in der Türkei wie ein Tier.") sei der BF illegal weiter nach Österreich gereist.

Der BF habe die Grundschule absolviert. Er habe im Jemen bis Anfang 2013 im gemeinsamen Familienhaus im Bezirk XXXX in der Provinz XXXX gelebt. Er habe ein für die Mittelschicht übliches Durchschnittseinkommen bezogen. Seine Brüder seien alle in diversen Sparten berufstätig, sein Vater sei nunmehr Pensionist. Kontakt zu seiner im Herkunftsland verbliebenen Familie bestehe seit seiner Einreise in Österreich keiner, wobei er diesen derzeit bewusst vermeide, da seine Familie finanzielle Unterstützung von ihm erwarte, er jedoch selbst nicht genügend Mittel habe. Im Falle seiner Rückkehr in den Jemen könnte er wieder unter der alten Wohnadresse im Haus der Familie leben.

Seine nunmehrige Gattin habe über zwölf Jahre hindurch in XXXX gelebt, bevor sie dann in weiterer Folge in die Türkei geflohen wäre. Der BF selbst habe seit seiner Geburt bis zu seiner Ausreise Anfang 2013 stets in seinem Heimatland zugebracht. Der Wunsch, ins Ausland zu gehen, sei aber schon 2011 entstanden.

Nie in irgendeiner Form politisch aktiv, habe der BF auch noch nie Probleme mit den heimischen Behörden gehabt; ebensowenig sei er jemals aufgrund Rasse, Religion oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe verfolgt worden.

Zu seinen Fluchtgründen brachte er vor, dass nach dem Rücktritt des Präsidenten im Jahre 2011 der bisherige Rechtsstaat im Jemen zusammengebrochen sei. In weiterer Folge habe dann die Al-Qaida offensiv versucht, Mitglieder für ihre Organisation zu gewinnen, indem deren Angehörige von Haus zu Haus gegangen seien und die männlichen Bewohner dazu aufgefordert hätten, sich ihnen anzuschließen. Einige der Männer seien einer Gehirnwäsche unterzogen worden und haben selbst Anschläge verübt. Sein Vater habe Sorge um den BF gehabt. Der BF wolle niemanden umbringen und in Normalität leben. Der Vater des BF habe ihm gesagt, dass man der Al-Qaida nicht vertrauen könne, ihre Mitglieder seien Verbrecher. Viele Männer aus dem Wohnviertel des BF seien zwangsrekrutiert worden. Der Bruder des BF sei deshalb auch umgebracht worden, er habe sich der Al-Qaida nicht anschließen wollen. Der BF sei in eine andere Provinz geflüchtet und erst nach fünf Monaten - nachdem es ruhiger geworden sei - an seine bisherige Wohnadresse zurückgekehrt. Wann dies genau gewesen sei, wisse er nicht mehr, es sei aber im Jahr 2011 gewesen. Später habe er dann den Jemen verlassen. Im April 2015 habe dann die die Al-Qaida auch die Region XXXX unter ihre Kontrolle gebracht. Im Falle einer Rückkehr befürchte der BF von Angehörigen der Extremistengruppe ermordet zu werden. Eine innerstaatliche Fluchtalternative bestehe aus seiner Sicht nicht, zumal jeweils regionale Umstände dagegen sprächen, angefangen von lokalen Kämpfen zwischen Schiiten und Sunniten im Norden des Landes über örtlich begrenzte Epidemien bis hin zu fehlenden Wohnmöglichkeiten. Die Al-Qaida würde mit Sicherheit versuchen, den BF zu rekrutieren und wären seine Brüder im Heimatland nur deshalb weiterhin sicher, da sie nicht gänzlich gesund seien.

3. In weiterer Folge wies das Bundesamt mit dem bekämpften Bescheid den Antrag des BF bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erkannte diesem aber den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 zu (Spruchpunkt II.) und sprach unter einem eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 leg. cit bis zum 10.07.2018 aus (Spruchpunkt III.).

Begründend führte die Behörde im Rahmen der Beweiswürdigung zu Spruchpunkt I. zunächst aus, dass der BF seine Identität mangels Vorlage unbedenklicher Personaldokumente nicht zweifelsfrei nachweisen habe können. Hinsichtlich des im gegenständlichen Verfahren ins Treffen geführten Fluchtvorbringens wurde ausgeführt, dass der BF zwar aufgrund der aktuellen fragilen Sicherheitslage sein Heimatland verlassen habe, nicht jedoch aufgrund einer individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung; eine solche wäre seinerseits auch nie behauptet worden. Basierend auf den Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention sei somit das gesamte diesbezügliche Vorbringen als nicht asylrelevant zu qualifizieren. Die reine Bürgerkriegssituation in einem Staat reiche ohne Hinzutreten weiterer Faktoren nicht dazu hin, einen Flüchtlingsstatus zu begründen. Darüber hinaus werde die ins Treffen geführte Fluchtgeschichte als absolut unglaubwürdig gewertet, weshalb auch schon allein aus diesem Grund eine positive Finalisierung hinsichtlich Spruchpunkt I. ausgeschlossen werden müsse.

Mit Verfahrensanordnung des Bundesamtes vom 11.07.2017 wurde dem BF eine namentlich genannte Organisation als Rechtsberatung amtswegig zur Seite gestellt.

4. Gegen Spruchpunkt I. des Bescheides erhob der BF über seine rechtsfreundliche Vertretung innerhalb offener Frist Beschwerde. Darin wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass der BF glaubhaft dargebracht habe, aus Furcht vor einer Zwangsrekrutierung durch die Al-Qaida das Herkunftsland verlassen zu haben. Im Falle der Weigerung werde er als politischer bzw. gleichbedeutend religiöser Gegner qualifiziert, weshalb dem Vorbringen eine Asylrelevanz aus politisch-religiösen Gründen nicht von Vornherein abzusprechen sei. Zu Zwangsrekrutierungen durch die Kriegsparteien (insbesondere der Houthi) im Jemen wurde auf eine ACCORD-Anfragebeantwortung [a-10177] vom 17.05.2017 sowie eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 16.01.2017 verwiesen. Dazu wurde weiters ausgeführt, das die Möglichkeit, staatlichen Schutz in Anspruch zu nehmen, aufgrund der chaotischen durch Bürgerkrieg geprägten Situation im Jemen sehr eingeschränkt sei. Aufgrund der generellen Kriegssituation und humanitären Notlage im Herkunftsstaat bestehe auch keine interne Fluchtalternative. Es wurde um die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung ersucht.

5. Anlässlich der vom Bundesverwaltungsgericht anberaumten öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung am 22.01.2020, wurde Beweis erhoben durch Einvernahme des BF unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch und Einsichtnahme in den Verwaltungsakt der Behörde sowie des Bundesverwaltungsgerichts.

Dabei brachte der BF zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen vor, dass die Al-Qaida ein besonderes Interesse an der Rekrutierung von jungen Männern unter 30 Jahren gehabt habe, weil diese in ihren Camps besser zu überzeugen gewesen wären. Die Al-Qaida habe versucht, Personen, die ihnen nicht gefolgt seien, zu überzeugen. Wenn ihnen dies nicht gelungen sei, hätten sie behauptet, dass diese Leute "nicht zum Islam gehören", hätten sie in der Öffentlichkeit kritisiert, verschleppt und dann gefoltert oder getötet. Etwa 2012 sei eine Gruppe von etwa acht bewaffneten Personen der Al-Qaida zum Familienhaus des BF gekommen, um den BF, der damals XXXX oder XXXX Jahre alt gewesen sei, zu entführen. Dabei sei es zu einem Schusswechsel gekommen, bei dem der Bruder des BF, der dies verhindern habe wollen, getötet worden sei. Aufgrund des Lärms seien dann Leute aus der Stadt - darunter die Cousins des BF - gekommen, worauf die Al-Qaida-Männer geflüchtet seien. Dabei hätten sie allerdings angekündigt, wiederzukommen, um den BF zu holen. Seine Cousins haben den BF wegbringen können. Dies sei das letzte Mal gewesen, dass er tatsächlich zu Hause gewesen sei. Er habe bis zu diesem Zeitpunkt selbst nie direkten Kontakt mit Leuten der Al-Qaida gehabt. Letztere hätten allerdings über einen Spion davon erfahren, dass der BF ihre Organisation ablehne. So habe er einen ihrer Sympathisanten, der sie überzeugen habe wollen, vor Freunden als Lügner bezeichnet. Was mit seinen Freunden passiert sei, wisse er nicht, habe aber von ihren Eltern gehört, dass sie entführt worden seien bzw. manche aus Angst freiwillig mitgegangen seien. Was die Leute der Al-Qaida konkret von ihm gewollt hätten, wisse der BF nicht, vielleicht hätten sie ihn in irgendein Land geschickt, um dort als Märtyrer zu sterben. In den Norden des Landes habe der BF nicht versucht, sich dem Zugriff der Al-Qaida zu entziehen, zumal es dort keine Hilfsorganisationen geben würde. Den Vorhalt, dass die Al-Qaida XXXX von der Arabischen Koalition aus XXXX erfolgreich vertrieben worden sei, bestätigte der BF, gab dazu aber an, dass deren Sympathisanten weiterhin vor Ort leben und es dort nach wie vor zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Koalitionskräften und ehemaligen Al-Qaida Befürwortern komme. So wären bei einem solchen Vorfall vor kurzem 110 Personen getötet und 80 verletzt worden. Es habe sich bei den Opfern um Koalitions- bzw. Regierungstruppen gehandelt. Der BF habe nach wie vor keinen Kontakt zu seinen Familienangehörigen im Herkunftsland.

Dem BF wurden im Anschluss aktuelle Länderinformationen zu seinem Herkunftsland dargetan und ihm dazu für eine schriftliche Stellungnahme eine Frist von 14 Tagen eingeräumt.

In einer schriftlichen Stellungnahme der Rechtsvertretung des BF vom 11.02.2020 wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der BF gleichbleibend und glaubhaft vorgebracht habe, den Jemen aufgrund der Furcht vor einer Zwangsrekrutierung durch die Al-Qaida verlassen zu haben. Er habe deren Ideologie nicht vertreten und wolle daher auch nicht für sie kämpfen. Weiters wurde darauf hingewiesen, dass laut der dargetanen Länderinformationen die Al-Qaida trotz Vertreibung aus XXXX in der Provinz des BF immer noch aktiv sei. Auch gebe es immer noch Al-Qaida Sympathisanten in XXXX . Hinzu komme, dass bei der Bevölkerung in XXXX aufgrund der miserablen wirtschaftlichen Verhältnisse Unmut herrsche und sohin die Gefahr bestehe, dass sich diese in Hoffnung auf bessere Lebensbedingungen wieder der Al-Qaida, die während ihrer Herrschaft einen nicht unbeträchtlichen Anteil ihrer Einnahmen in die Infrastruktur und pünktlich bezahlte Löhne investiert habe, anschließe. Durch die Weigerung des BF in der Vergangenheit, sich der Al-Qaida anzuschließen, befürchte er bei einer Rückkehr nach XXXX , dass die Al-Qaida dort wieder an der Macht sei und er als deren Gegner angesehen und getötet werde. Weiters wurde aus einem am 14.01.2020 veröffentlichten Jahresbericht von Human Rights Watch zum Jemen zitiert, wonach seit September 2014 alle Konfliktparteien Kindersoldaten, einige sogar unter 15 Jahren, einsetzen würden. Da ein Ende des Krieges nicht absehbar sei und dieser schon lange andauere, bestehe die Gefahr, dass die Söhne des BF von einer der Konfliktparteien als Kindersoldaten herangezogen werden könnten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1. Der BF ist Staatsangehöriger der Republik Jemen, gehört der arabischen Volksgruppe an und ist Sunnit. Seine Identität kann nicht festgestellt werden.

Das Vorbringen des BF, aufgrund einer Verfolgung durch lokale Al-Qaida Kämpfer das Herkunftsland verlassen zu haben, hat sich als nicht glaubhaft erwiesen.

Es ist davon auszugehen, dass der BF aufgrund der allgemeinen Kriegssituation das Herkunftsland verlassen hat.

Den minderjährigen Kindern des BF kommt in Österreich kein Status von Asylberechtigten zu.

1.2. Zur entscheidungsrelevanten Situation in der Republik Jemen

Politische Lage

Die Republik Jemen bezeichnet sich in ihrer am 15./16. Mai 1991 in einer Volksabstimmung angenommenen Verfassung (geändert am 28. September 1994) als unabhängigen, arabischen, islamischen und republikanischen Staat. Staatsreligion ist der Islam (GIZ 10.2019). Die innere Lage des Landes wird immer noch durch die geteilten historischen Erfahrungen geprägt: einerseits britische Kolonialherrschaft und danach sozialistische Einflüsse im Süden, andererseits konservative muslimische Herrschaft und Stammesgesellschaft im Norden. 1990 vereinigten sich beide Staaten; der Nordjemen war die dominierende Kraft (DW 30.1.2018). Die gravierenden ökonomischen, sozialen und politischen Differenzen zwischen beiden Landesteilen sind jedoch nicht überwunden (GIZ 10.2019).

Die politischen Herausforderungen für Jemen bestanden bereits vor Ausbruch des andauernden bewaffneten Konflikts im Jahr 2014. 2004 begann in der nordjemenitischen Provinz Saada der Houthi-Aufstand, ab 2007 erstarkte die sezessionistische Bewegung im Süden des Landes. Beide Gruppen begehren gegen die Marginalisierung ihrer jeweiligen Region auf. Zusätzlich bereitete sich spätestens seit 2009 das internationale islamistische Terrornetzwerk Al-Qaida im Jemen immer weiter aus. 2011 kam es landesweit zu Massenprotesten, in denen die Demonstranten das Ende des Saleh-Regimes und einen demokratischen Wandel forderten. Gleichzeitig traten jedoch Kämpfe innerhalb der Machtelite zutage (BPB 18.10.2011). (Ex-)Präsident Ali Abdullah Saleh bekämpfte während seiner Amtszeit den mutmaßlich durch den Iran unterstützten Houthi-Aufstand. 2011 trat er nach langen Verhandlungen und unter Zugeständnissen zu seinen Gunsten wie dem Erlangen von strafrechtlicher Immunität für seine Rolle bei der gewaltsamen Niederschlagung von Protesten gegen die Regierung zugunsten seines damaligen Vizepräsidenten Abd Rabbo Mansur Hadi zurück, der 2012 von den Wählern interimistisch im Amt bestätigt wurde. Ein Konsens für die Neuordnung des politischen Systems wurde zwar begonnen, dann aber vom Houthi-Aufstand und dem bewaffneten Konflikt zum Erliegen gebracht. Hadis Regierung ist zwar international anerkannt, sie kontrolliert jedoch nicht das ganze Territorium und hat kein klares Mandat (FH 4.2.2019; vgl. Der Standard 4.12.2017).

Es gibt im Jemen keine funktionierende Zentralregierung, und staatliche Institutionen, die noch funktionieren, werden durch nicht-gewählte Beamte oder bewaffnete Gruppierungen kontrolliert(FH 4.2.2019). Das gewählte (und somit legitime) Parlament besteht laut derzeitiger Verfassung aus einer Kammer mit 301 Abgeordneten, die für sechs Jahre gewählt werden (GIZ 10.2019). Am 13. April 2019 wurde Sultan al-Barakani zum Parlamentspräsidenten gewählt, nachdem das Parlament erstmals seit Ausbruch des Konflikts 2015 wieder zusammengetreten war. Zahlreiche Abgeordnete halten sich derzeit im Ausland auf (AA 12.8.2019). Parlaments- und Präsidentschaftswahlen sind viele Jahre überfällig, und keiner Seite gelang es während des Krieges, genug Territorium zu kontrollieren, um etwaige Wahlen abzuhalten. Parlamentswahlen wurden zuletzt am 27. April 2003 abgehalten, und hätten eigentlich 2009 wieder durchgeführt werden sollen. Bei der letzten Präsidentschaftswahl 2012 gab es nur einen Kandidaten. Im Kontext des Bürgerkriegs wird die politische Opposition unterdrückt. Normale politische Aktivität wird durch die Präsenz mehrerer bewaffneter Gruppen im Jemen verhindert, darunter Houthi-Rebellen, sunnitische Extremisten, südjemenitische Separatisten, ausländische Truppen der von Saudi-Arabien angeführten Koalition, Truppen der Hadi-Regierung und lokale Milizen(FH 4.2.2019).

Quellen:

* AA - Auswärtiges Amt (12.8.2019): Jemen: Überblick,https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/jemen-node/jemen/202270

* Al Jazeera (27.10.2019): Draft Saudi-brokered deal aims to end south Yemen power struggle,https://www.aljazeera.com/news/2019/10/draft-saudi-brokered-deal-aims-south-yemen-power-struggle-191026164026978.html

* Bundeszentrale für Politische Bildung (18.10.2011): Pro-demokratische Proteste imJemen, https://www.bpb.de/internationales/afrika/arabischer-fruehling/52404/jemen?p=all

* CH - Chatham House (9.2019): Between Order and ChaosA New Approach to Stalled State Transformations in Iraq and Yemen, https://www.chathamhouse.org/sites/default/files/2019-09-05-StateTransformationsIraqYemen.pdf

* DW - Deutsche Welle (30.1.2018): Separatisten erobern Regierungssitz des Jemen,https://www.dw.com/de/separatisten-erobern-regierungssitz-des-jemen/a-42363242

* DW - Deutsche Welle (6.11.2019): Einigung im Südjemen: Auftakt zur Befriedung des ganzenLandes?,https://www.dw.com/de/einigung-im-s%C3%Bcdjemen-auftakt-zur-befriedung-des-ganzen-landes/a-51142448

* FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Yemen, 4. Februar 2019https://www.ecoi.net/de/dokument/2016065.html

* GIZ - Länderinformationsportal (10.2019): Jemen, Geschichte & Staat,https://www.liportal.de/jemen/geschichte-staat/

* The Guardian (5.11.2019): Yemen government signs power-sharing deal with separatists, https://www.theguardian.com/world/2019/nov/05/yemen-government-signs-power-sharing-deal-with-separatists

* HRW - Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 - Yemen,https://www.hrw.org/world-report/2019/country-chapters/yemen

* ICG - International Crisis Group (5.11.2019): The Beginning of the End of Yemen's Civil War?,https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-and-arabian-peninsula/yemen/beginning-end-yemens-civil-war

* Der Standard (23.8.2016): Krieg im Jemen wird zur Sackgasse für die Saudis,https://derstandard.at/2000043199757/Krieg-in-Jemen-wird-zur-Sackgasse-fuer-die-Saudis?ref=rec

* Der Standard (4.12.2017): Jemens Expräsident tot: Seitenwechsel wurden Saleh zum Verhängnis, https://www.derstandard.at/story/2000069031715/jemen-ein-seitenwechsel-zu-viel-wurde-expraesident-saleh-zum-verhaengnis

* Der Standard (25.10.2019): Einigung zwischen Regierung des Jemen und Unabhängigkeitskämpfern, https://www.derstandard.at/story/2000110324214/einigung-zwischen-regierung-des-jemen-und-unabhaengigkeitskaempfern

* Der Standard (28.1.2018): Separatisten erobern Sitz der jemenitischen Regierung in Aden,https://www.derstandard.at/story/2000073167701/separatisten-erobern-sitz-der-jemenitischen-regierung-in-aden

* Der Standard (12.11.2019): Warum im Jemen und am Golf nun ein Friedenslüftchen weht, https://www.derstandard.at/story/2000110940654/warum-im-jemen-und-am-golf-friedenslueftchen

* USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018- Yemen, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004222.html

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage ist im ganzen Land ausgesprochen volatil. Die Sicherheit kann durchstaatliche Behörden nicht gewährleistet werden. Der bewaffnete Konflikt zwischen Houthi-Rebellen aus dem Nordwesten des Landes und der Regierung und ihren Unterstützern, darunter die von Saudi-Arabien angeführte Militärkoalition, dauert weiter an (AA 28.8.2019). Daneben ist auch der südjemenitische, von den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) unterstützte Southern Transitional Council (STC) ein zentraler bewaffneter Akteur. Sowohl STC als auch die Kräfte, die hinter der Regierung stehen, kämpfen gegen die Houthi. Sie bekämpfen sich jedoch auch untereinander, was die Spannungen zwischen Abu Dhabi und Riyadh verdeutlicht (ICG16.10.2019). Im Chaos des Krieges zwischen Hadi-Regierung und Houthi erstarkten außerdem Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel, der "Islamische Staat" und andere bewaffnete Gruppierungen(Al Jazeera 2.8.2019; vgl. The Guardian 1.10.2019).

Die fortdauernden Kampfhandlungen stellen für die Zivilbevölkerung weiterhin eine erhebliche Gefährdung dar. Die staatlichen Institutionen sind landesweit nur noch sehr eingeschränkt funktionsfähig. Bereits im September 2014 hatten Houthi-Milizen die Kontrolle über weite Landesteile, darunter auch die Hauptstadt Sanaa, übernommen und auch Teile der Sicherheitskräfte unter ihre Kontrolle gebracht. Die staatlichen Sicherheitsorgane sind nur bedingt funktionsfähig und können im Einzelfall keinen ausreichenden Schutz garantieren. Die Spannungen zwischen Nord- und Südjemen und die zunehmende Fragmentierung des Landes tragen zur Instabilität des Landes bei (AA 28.8.2019). ACLED berichtet von mehr als 12,000 zivilen Todesfällen im Konflikt seit 2015. Insgesamt wurden seit 2015 mehr als 100,000 (militärische und zivile) Opfer gezählt. Bis Ende Oktober wurden 2019 circa 1,100 getötete Zivilisten verzeichnet. Die Gewalt konzentrierte sich 2019 auf die Gouvernements Taiz, Hodeidah und Al Jawf (ACLED 31.10.2019). Die Luftschläge der saudisch-geführten Koalition und die Angriffe der Houthis unterscheiden nicht zwischen Zivilisten und Militärpersonen. Bei einem saudischen Luftangriff im August 2018 wurde beispielsweise ein Schulbus in Saada getroffen und 40 Kinder getötet (FH 4.2.2019). Ab Juni 2018 war die Hafenstadt Hodeidah von starken Kämpfen betroffen. Im Dezember 2018 vermittelte die UN ein Abkommen ("Stockholm-Abkommen"), das die Demilitarisierung Hodeidahs vorsah. Die Umsetzung gestaltete sich jedoch schwierig. So brachen dort z.B. gleich nach Unterzeichnung des Abkommens, so wie auch im Mai 2019 erneut Kämpfe aus. Gleichzeitig intensivierten die Houthi ihre Angriffe auf saudisches Territorium, und auch die saudischen. Luftangriffe verstärkten sich in den letzten Monaten [Mai bis Juli 2019] (ICG 18.7.2019; vgl. The Guardian 15.5.2019; vgl. FH 4.2.2019). Anfang August 2019 kam es in der Hafenstadt Aden zu schweren Gefechten zwischen südjemenitischen Separatisten und gegenüber der Hadi-Regierung loyalen Truppen. Weite Teile des Landes sind von täglichen Bombardierungen, Raketenangriffen und Kampfhandlungen am Boden betroffen (AA 28.8.2019). Im August nahmen die Separatisten Aden ein (BBC 11.8.2019). Im September 2019 erklärten die Houthis einen unilateralen Waffenstillstand; die saudischen Luftangriffe haben seitdem zumindest abgenommen (Al Jazeera 24.9.2019; vgl. ICG 10.2019). Im Oktober 2019 kam es Berichten zufolge in den Gouvernements Abyan und Shebwa zu sporadischen Kämpfen zwischen Regierungstruppen und Separatisten des STC. Saudische Kräfte übernahmen schrittweise die Kontrolle über Aden, und die Kräfte der VAE zogen sich zurück (ICG 10.2019; vgl. ACLED 5.11.2019). Am 5. November 2019 wurde das "Riyad-Abkommen" unterzeichnet, nachdem die Unterzeichnung wegen Eskalation der Kämpfe in Abyan am 31. Oktober verschoben worden war. Das Abkommen zwischen den Separatisten im Südjemen und der Hadi-Regierung soll eine Machtteilung bringen. Die Kämpfe im Gouvernement Abyan gehen weiter. Luftangriffe der saudisch-geführten Militärkoalition in den Gouvernements Hajjah und Sadah, sowie in geringerem Maße in Sanaa, halten an (ACLED 5.11.2019). Die politische Instabilität im Jemen führt dazu, dass der Fluss an Waffen und Munition in die Region nicht kontrolliert werden kann (USDOS 1.11.2019).

Im ganzen Land leiden Zivilisten an einem Mangel an grundlegenden Dienstleistungen, an der sich verschlimmernden Wirtschaftskrise, sowie am Nicht-Funktionieren der Verwaltung, des Gesundheits-, Bildungs- und Justizsystems(HRW 17.1.2019). In Jemen herrscht laut UN die größte humanitäre Krise weltweit. Sie hat sich seit Beginn des Konflikts im März 2015 immer weiter zugespitzt. Von den 30 Millionen Einwohnern Jemens sind 24 Millionen auf humanitäre Hilfe angewiesen. 20 Millionen Menschen haben keinen Zugang zu grundlegender Gesundheitsversorgung. Viele sind ohne Zugang zu sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen. Die Zahl der Binnenvertriebenen liegt bei über 3 Millionen Menschen(AA 12.8.2019).

Quellen:

* AA - Auswärtiges Amt (28.8.2019): Jemen: Reisewarnung,https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/jemen-node/jemensicherheit/202260

* AA - Auswärtiges Amt (12.8.2019): Jemen: Überblick,https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/jemen-node/jemen/202270

* ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project (31.10.2019): PRESS RELEASE: Over100,000 Reported Killed in Yemen War, https://www.acleddata.com/2019/10/31/press-release-over-100000-reported-killed-in-yemen-war/

* ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project (5.11.2019): Regional Overview: MiddleEast, 27 October - 2 November 2019, https://www.acleddata.com/2019/11/05/regional-overview-middleeast-27-october-2-november-2019/

* Al Jazeera (2.8.2019): Al-Qaeda launches deadly attack on army base in southern Yemen, https://www.aljazeera.com/news/2019/08/al-qaeda-launches-deadly-attack-army-base-southern-yemen-190802081549242.html

* Al Jazeera (24.9.2019): Seven children among 16 dead in Yemen air strikes,https://www.aljazeera.com/news/2019/09/7-children-16-dead-yemen-air-strikes-190924122950086.html

* BBC News (11.8.2019): Yemen conflict: Southern separatists seize control of Aden,https://www.bbc.com/news/world-middle-east-49308199

* FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Yemen, 4. Februar 2019https://www.ecoi.net/de/dokument/2016065.html

* The Guardian (15.5.2019): Yemen: ceasefire broken as fresh fighting breaks out in Hodeidah,https://www.theguardian.com/world/2019/may/15/yemen-ceasefire-broken-as-fresh-fighting-breaks-out-in-hodeidah

* The Guardian (1.10.2019): Yemen: Aden's changing alliances erupt into four-year conflict's newest front, https://www.theguardian.com/world/2019/oct/01/yemen-adens-changing-alliances-erupt-into-four-year-conflicts-newest-front

* HRW - Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 - Yemen,https://www.hrw.org/world-report/2019/country-chapters/yemen

* ICG - International Crisis Group (18.7.2019): Saving the Stockholm Agreement and Averting aRegional Conflagration in Yemen, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-and-arabian-peninsula/yemen/203-saving-stockholm-agreement-and-averting-regional-conflagration-yemen

* ICG - International Crisis Group (16.10.2019): Yemen's Multiplying Conflicts,https://www.ecoi.net/en/document/2018614.html

* ICG - International Crisis Group (10.2019): CrisisWatch, Tracking Conflict Worldwide, Yemen,https://www.crisisgroup.org/crisiswatch/november-alerts-october-trends-2019#yemen

* ICG - International Crisis Group (5.11.2019): The Beginning of the End of Yemen's Civil War?,https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-and-arabian-peninsula/yemen/beginning-end-yemens-civil-war

* USDOS - US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 4 -Terrorist Safe Havens - Yemen, https://www.ecoi.net/en/document/2019263.html

Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAP) und der Islamische Staat im Jemen (IS-Y)

Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (eng. abk.: AQAP) ist ein Zusammenschluss von Al-Qaida-Kämpfern in Saudi-Arabien und der früheren Al-Qaida im Jemen (CISAC 7.2015). AQAP ist im gesamten Jemen vor allem in den südlichen und zentralen Regionen des Landes tätig. In vielen dieser Provinzen regiert AQAP über kleinere Gebiete mit Sharia-Gerichten und einer schwerbewaffneten Miliz. AQAP versucht die jemenitische Bevölkerung anzusprechen, indem sie die Grundbedürfnisse der Bevölkerung befriedigt, sich in die lokale Bevölkerung integriert, auch durch die Anpassung an lokale Regierungsstrukturen. Als formaler Bestandteil der Al-Qaida stehen die Ideologie und Praktiken der AQAP im Einklang mit den weiter gefassten Zielen der Al-Qaida, nämlich auf eine globale islamistische Herrschaft hinzuarbeiten (CEP 4.1.2017; vgl. CH 9.2019).AQAP nutzte die Wirren von 2015, um weite Teile der Provinzen Abyan, Shabwa und Hadramaut einzunehmen und zu kontrollieren. Gemeinsam mit verbündeten Stämmen eroberte sie Anfang April 2015 Mukalla - mit 300.000 Einwohnern die fünftgrößte Stadt des Landes und Hauptstadt. der südöstlichen Provinz Hadramaut - und erbeutete große Waffenarsenale und viel Geld. Außerdem übernahm AQAP dort zusammen mit ihren Alliierten die Verwaltung. Truppen der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und deren lokale Verbündete eroberten die Stadt im April 2016 zurück (SWP 7.2017; vgl. CH 9.2019). Bis 2016 kontrollierte AQAP größere Gebiete im Jemen, in den beiden darauffolgenden Jahren erlitt AQAP Gebietsverluste (HRW 17.1.2019; vgl. Jamestown 5.4.2019).Sowohl AQAP als auch der sog. Islamische Staat Yemen (IS-Y) profitieren weiterhin vom Konflikt mit den Houthi, indem sie von anderen Einheiten der Anti-Houthi-Koalition nicht als Feind betrachtet werden und das Sicherheitsvakuum in großen Teilen des Landes ausnutzen (USDOS 1.11.2019). Sowohl AQAP als auch IS-Y bekannten sich im Jahr 2018 zu Selbstmordanschlägen und anderen Angriffen (HRW 17.1.2019). 2018 wurden Operationen zur Terrorismusbekämpfung, vor allem durch von den VAE unterstützten Kräften, gegen AQAP durchgeführt, und zwar in den Gouvernements Abyan, Shabwa und Hadramaut. Der IS-Y ist bezüglich Mitgliederanzahl und Einfluss deutlich kleiner als AQAP. IS-Y ist jedoch weiterhin aktiv und führt Angriffe gegen AQAP, jemenitische Sicherheitskräfte und Houthi durch (USDOS 1.11.2019). Eine der aktivsten Gruppendes IS-Y soll es mit Stand September 2018 in Al-Bayda geben, genauso wie eine der aktivsten Gruppen von AQAP (Jamestown 5.4.2019). Im Juli 2018 kam es zu heftigeren Zusammenstößen zwischen AQAP und IS-Y, was die Rivalität zwischen Al-Qaida und IS allgemein zeigt (Jamestown 21.9.2018). Es wird berichtet, dass AQAP und IS-Y im Sommer 2019 das Machtvakuum im Süden des Landes ausnutzten und Angriffe gegen Truppen der Hadi-Regierung sowie des Southern Transitional Council (STC) in Aden, Abyan und Al-Bayda durchführten (ACAPS 8.2019).

Quellen:

* ACAPS - Yemen Analysis Hub (8.2019): Crisis InSight, Yemen Crisis Impact Overview, June -August 2019,https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/20190925_yemen_crisis_impact_overview_june_august_2019.pdf

* CEP - Counter Extremism Projekt (4.1.2017): Al-Qaeda in the Arabian Peninsula (AQAP), https://www.counterextremism.com/threat/al-qaeda-arabian-peninsula-aqap

* CH - Chatham House (9.2019): Between Order and Chaos, A New Approach to Stalled StateTransformations in Iraq and Yemen, https://www.chathamhouse.org/sites/default/files/2019-09-05-StateTransformationsIraqYemen.pdf

* CISAC - Center for International Security and Cooperation (7.2015): Al Qaeda in Yemen,https://cisac.fsi.stanford.edu/mappingmilitants/profiles/al-qaeda-yemen#text_block_17347

* HRW - Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 - Yemen,https://www.hrw.org/world-report/2019/country-chapters/yemen

* Jamestown Foundation (21.9.2018): Clashes Between Islamic State and AQAP Emblematic ofBroader Competition; Terrorism Monitor Volume: 16 Issue: 18,https://www.ecoi.net/en/document/1447309.html

* Jamestown Foundation (5.4.2019): Continued Fighting Between Islamic State and AQAPComplicates Security in al-Bayda - Jamestown, https://www.ecoi.net/en/document/2006052.html

* SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik. Steinberg, Guido (7.2017): Saudi-Arabiens Krieg im Jemen, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A51_sbg.pdf

* USDOS - US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 4 -Terrorist Safe Havens - Yemen, https://www.ecoi.net/en/document/2019263.html

Rechtsschutz / Justizwesen

Im Jemen gibt es keine funktionierende Zentralregierung, und alle staatlichen Institutionen, die noch intakt sind, werden von nicht gewählten Beamten oder bewaffneten Gruppen kontrolliert. Das Justizwesen ist nominell unabhängig, jedoch anfällig für Beeinflussung durch politische Fraktionen. Die Behörden haben eine schlechte Bilanz, was die Durchsetzung von juristischen Urteilen angeht, besonders wenn es sich um Verurteilungen von Stammesführern oder bekannten politischen Personen handelt. Durch das Fehlen eines effektiven Gerichtswesens greift die Bevölkerung häufig auf stammesrechtliche Formen von Justiz oder Gewohnheitsrecht zurück, besonders seit der Einfluss der Regierung schwächer wird (FH 4.2.2019). Unter Kontrolle der Houthi ist die Justizschwach und durch Korruption, politische Einmischung, gelegentliche Bestechung und mangelnde juristische Ausbildungen beeinträchtigt. Die mangelnde Kapazität der Regierung und die teilweisemangelnde Durchsetzungsbereitschaft der Gerichte, insbesondere außerhalb der Städte, haben die Glaubwürdigkeit der Justiz weiter untergraben. Kriminelle bedrohen und schikanieren Angehörige der Justiz, um den Ausgang von Verfahren zu beeinflussen (USDOS 13.3.2019).Willkürliche Verhaftungen sind üblich. In den letzten Jahren wurden hunderte solcher Fälle dokumentiert. In vielen Fällen kommt es zu gewaltsamem Verschwindenlassen. Gefangene. werden oft in inoffiziellen Haftanstalten untergebracht. Es gibt unzählige Berichte über politische Gefangene (FH 4.2.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Vor dem Gesetz sind Angeklagte unschuldig bis ihre Schuld bewiesen ist. Gerichtsverhandlungen sind im Allgemeinen öffentlich, aber Gerichte können aus Gründen der "öffentlichen Sicherheit oder Moral" geschlossene Verhandlungen abhalten. Richter nehmen aktiv an der Befragung der Zeugen und des Angeklagten teil und urteilen über Kriminalfälle. Angeklagte haben das Recht bei ihrer Gerichtsverhandlung anwesend zu sein und sich mit einem Anwalt zu beraten. Der Angeklagte kann Zeugen, die gegen ihn aussagen, befragen und konfrontieren und zu seiner eigenen Verteidigung Zeugen oder Beweise vorbringen. Die Regierung muss laut Gesetz in schweren Kriminalfällen einen Anwalt für mittellose Angeklagte zur Verfügung stellen, wobei dies in der Vergangenheit nicht immer geschehen ist. Grundsätzlich haben Angeklagte und deren Anwälte Zugang zu relevanten Beweisen und Anwälten wird ermöglicht, Klienten und Zeugen zu befragen sowie Beweise zu prüfen. Angeklagte haben das Recht auf Berufung. Angeklagte können weder zu einer Zeugenaussage noch zu einem Schuldgeständnis gezwungen werden. Es gibt außerdem ein spezielles Staatssicherheitsgericht, welches unter anderen Bedingungen arbeitet und Verhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchführt. Dieses Gericht garantiert den Angeklagten nicht dieselben Rechte wie die ordentlichen Gerichte. Anwälte bekommen oft nichtausreichend Zugang zu den Anklagepunkten, Beweismitteln oder Gerichtsakten. Das Fehlen von Geburtsregistern erschwert die Altersfeststellung, woraufhin die Gerichte Jugendliche wie Erwachsene verurteilen, auch zum Tode. Neben dem bestehenden Gerichtssystem gibt es ein Stammesrechtssystem für Fälle, die nichtunter das Strafrecht fallen [Anm. d.h. z.B. Familienrecht, etc.]. Stammesrichter, meist angesehene Scheichs, entscheiden jedoch auch oft in Kriminalfällen auf stammesrechtlicher Basis. Zu diesen Fällen kommt es gewöhnlich in Folge öffentlicher Beschuldigungen, nicht in Folge von formelleingereichten Anklagepunkten. Stammes-Mediation betont oft den sozialen Zusammenhalt mehr als Bestrafung. Die Öffentlichkeit respektiert die Ergebnisse von Stammesprozessen oft mehr alsdas formelle Gerichtssystem, das von vielen als korrupt und nicht unabhängig angesehen wird(USDOS 13.3.2019).

Quellen:

* FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Yemen, 4. Februar 2019https://www.ecoi.net/de/dokument/2016065.html

* USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018- Yemen, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004222.html

Sicherheitsbehörden

Die jemenitischen Sicherheitsbehörden sind in Folge des politischen und militärischen Konflikts stark fragmentiert (EASO 15.10.2019). Die jemenitischen Streitkräfte bestehen mit Stand März 2018 grundsätzlich aus Landstreitkräften, Seestreitkräften und Küstenwache, Luftstreitkräften, Grenzwache, Strategischer Reserve, sowie militärischen Nachrichtendiensten (u.a. Department of Military Intelligence, Department of Reconnaissance) (CIA 5.11.2019). Die Houthi übernahmen 2014die Kontrolle über das Verteidigungs- und Innenministerium in Sanaa. Laut eines Berichts haben bis zu 70 Prozent der Armee-, Polizei und paramilitärischen Kräfte zu Beginn des Krieges die Houthi-Saleh-Allianz unterstützt. Die staatliche Armee (Yemen National Army, YNA) wurde ab 2015von der Hadi-Regierung neu formiert, indem Saleh-treues Personal ersetzt wurde, und bis zu200.000 neue Soldaten rekrutiert wurden, darunter Stammeskämpfer(EASO 15.10.2019). Die primären staatlichen Nachrichtendienste, die Organisation für Politische Sicherheit (Political Security Organisation - PSO) und das Büro für Nationale Sicherheit (National Security Bureau -NSB) unterstehen zuerst dem Innenminister und dann dem Präsidenten. Die Zusammenarbeit dieser beiden Organisationen bleibt unklar, und es gibt keine klaren Definitionen vieler Prioritäten des NSB. Die PSO ist laut Gesetz dafür zuständig, politische Verbrechen und Sabotageakte aufzudecken und zu verhindern. PSO und NSB gerieten Ende 2014 unter die Kontrolle der Rebellen der Houthi-Saleh-Allianz. Die Hadi-Regierung behielt jedoch ihre eigenen Posten in PSO und NSB in den von der Regierung kontrollierten Gebieten bei (USDOS 13.3.2019; vgl. GS21.1.2015). Wie andere staatliche Institutionen auch, teilten sich Sicherheits- und Nachrichtendienste wie die PSO in parallele Strukturen auf; ein Teil wird von den Houthi kontrolliert, der andere Teil von der Hadi-Regierung. Die Dienste operieren jeweils in einem von ihrer Seite im Bürgerkrieg kontrollierten Gebiet (FH 4.2.2019). Auch die Abteilung für kriminaldienstliche Ermittlungen (Criminal Investigation Division) untersteht dem Innenministerium und führt die meisten Untersuchungen und Festnahmen in Kriminalfällen durch. Der Innenminister kontrolliert außerdem die paramilitärischen Spezialsicherheitskräfte (Special Security Forces SSF) - oft zur Kontrolle von Menschenansammlungen eingesetzt -, sowie die Anti-Terror-Einheit. Dem Verteidigungsminister unterstehen außerdem Einheiten zum Einsatz gegen interne Unruhen und in internen bewaffneten Konflikten (USDOS 13.3.2019). Straflosigkeit von Sicherheitsbeamten bleibt ein Problem, zum einen, weil die Hadi-Regierung nur begrenzt Macht ausübt und zum anderen, weil es keine wirksamen Mechanismen zur Untersuchung und Verfolgung von Missbrauch und Korruption gibt. Die SSF, die Sondereinsatzkräfte des Jemen, die Präsidentengarde (ehemals republikanische Garde), die NSB und andere Sicherheitsorgane sind vordergründig zivilen Behörden des Innenministeriums, des Verteidigungsministeriums und des Präsidentenbüros unterstellt. Die zivile Kontrolle über diese Einrichtungen verschlechterte sich 2018 jedoch weiter, da regionale Bemühungen zur nationalen Versöhnung ins Stocken gerieten. Durch die Verschärfung des Problems der Straflosigkeit verstärkten Interessensgruppen, darunter auch die Familie des ehemaligen Präsidenten Saleh und andere Stammes- und Parteigruppen, ihren Einfluss auf die Nachrichtendienste, oft auf inoffiziellem Wege und nicht durch die formale Befehlsstruktur (USDOS 13.3.2019). Die Southern Resistance Forces wurden ab 2016 mit Unterstützung der VAE aufgebaut. Siewerden manchmal auch als unter Kontrolle der international anerkannten jemenitischen Regierung angesehen, obwohl sie angeblich von den Vereinigten Arabischen Emiraten ferngesteuert werden(EASO 15.10.2019; vgl. MEI 31.7.2019; vgl. WP 28.8.2019).

Quellen:

* CIA Factbook (5.11.2019): Middle East, Yemen, Military and Security,https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/ym.html#People

* EASO - European Asylum Support Office (15.10.2019): COI Query, Background on the Yemeniarmedforces,https://www.ecoi.net/en/file/local/2018892/2019_10_17_EASO_COI_Query_Yemen_Conscription_Q23.pdf

* FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Yemen, 4. Februar 2019https://www.ecoi.net/de/dokument/2016065.html

* GS - Global Security (21.1.2015): Yemen Intelligence Agencies,https://www.globalsecurity.org/intell/world/yemen/index.html

* MEI - Middle East Institute (31.7.2019): Security in South Yemen,https://www.mei.edu/publications/security-south-yemen

* USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018- Yemen, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004222.html

* WP - The Washington Post (28.8.2019): The UAE is weakening its partnership with the Saudis inYemen. Here's why that matters, https://www.washingtonpost.com/politics/2019/08/28/what-saudi-arabia-uaes-changing-partnership-means-future-yemens-war/

Folter und unmenschliche Behandlung

Die Verfassung verbietet Folter und ähnliche andere Missbräuche. Es gibt Bestimmungen, dass Folter mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden kann, dem Gesetz mangelt es jedoch an einer umfassenden Definition von Folter (USDOS 13.3.2019). Houthi-Rebellen, die jemenitische Regierung, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und die von den VAE unterstützten jemenitischen Kräfteinhaftieren willkürlich Menschen, einschließlich Kinder, misshandeln Gefangene und halten sie unter schlechten Bedingungen fest, und lassen Menschen gewaltsam verschwinden, die als politische Gegner oder Sicherheitsbedrohungen wahrgenommen werden. Seit Ende 2014 wurden willkürliche und missbräuchliche Festnahmen durch Huthi-Rebellen und dem früheren Präsidenten Saleh gegenüber loyalen Kräften dokumentiert, genauso wie Fälle von Verschwindenlassen, Folter und andere unmenschliche Behandlung (HRW 17.1.2019). Im Jahr2018 erhielt OHCHR weiterhin Informationen über die Misshandlung und Folter von Gefangenen der Politischen Sicherheitsorganisation (PSO), dem Nationalen Sicherheitsbüro (NSB), bei der Kriminalpolizei und in den Gefängnissen Habrah und al-Thawra in Sanaa, sowie anderen Einrichtungen unter Houthi-Kontrolle. Laut einer Interessenvertretung, die von Familien von Häftlingen getragen wird, starben seit 2014 126 Personen an Folter in der Haft durch die Houthi (USDOS 13.3.2019). Die Houthi nahmen auch Geiseln. Im südlichen Jemen wurden willkürliche Verhaftungen, Folter und Verschwindenlassen durch die VAE, Verbündete der VAE und. jemenitische Regierungskräfte dokumentiert. 2018 kam die UN-Gruppe hochrangiger Experten für den Jemen zu dem Schluss, dass die Houthi-, jemenitischen, saudischen und VAE-Truppen glaubwürdig in den Missbrauch von Häftlingen verwickelt waren, der Kriegsverbrechen gleichkommen könnte (HRW 17.1.2019). In Gebieten, die im Einflussbereich der VAE im südlichen Jemen liegen, sollen Spezialeinheiten der VAE ein Netzwerk von Geheimgefängnissen und Haftanstalten betreiben, in denen Folter weit verbreitet sein soll (FH 4.2.2019). Die VAE gestehen aber keine Rolle im Missbrauch von Häftlingen ein und haben auch keine offensichtlichen Untersuchungen durchgeführt. Hochrangige Beamte, die in die Missbräuche verwickelt waren, haben weiterhin verantwortungsvolle Positionen im ganzen Land inne (HRW 17.1.2019; vgl.USDOS 13.3.2019; vgl. FH 4.2.2019). Human Rights Watch erhält weiterhin Informationen über die willkürliche und missbräuchliche Inhaftierung von Migranten und Asylbewerbern sowohl im Norden als auch im Süden des Landes (HRW 17.1.2019).

Quellen:

* FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Yemen, 4. Februar 2019https://www.ecoi.net/de/dokument/2016065.html

* HRW - Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 - Yemen,https://www.hrw.org/world-report/2019/country-chapters/yemen

* USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018- Yemen, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004222.html

Allgemeine Menschenrechtslage

Die Bevölkerung im Jemen leidet weiterhin unter den Auswirkungen des bewaffneten Konflikts, an Gewalt sowie schweren Menschenrechtsverletzungen und Missbräuchen. Die wichtigsten Menschenrechtsprobleme sind u.a. rechtswidrige und willkürliche Tötungen, darunter politische Morde; Verschwindenlassen; Folter; willkürliche Verhaftungen und Inhaftierungen; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; politische Gefangene; willkürliche Verletzungen der Rechte der Bürger auf Privatsphäre; erhebliche Eingriffe in die Meinungs-, Presse-, Versammlungs-,Vereinigungs- und Bewegungsfreiheit; Einschränkungen der Religionsfreiheit; die Tatsache, dass die Bürger ihre Regierung nicht durch freie und faire Wahlen wählen können; Korruption und der Einsatz von Kindersoldaten (USDOS 13.3.2019; vgl. USDOS 21.6.2019). Die Hadi-Regierung. unternimmt den Versuch, Menschenrechtsverletzungen durch Beamte zu verfolgen und bestrafen, wobei sie nicht alle Institutionen des Landes kontrolliert. Straffreiheit blieb jedoch ein weitverbreitetes Problem. Nicht-staatliche Akteure, darunter Houthis, Stammesmilizen, südjemenitische separatistische Gruppierungen, Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAP) und der IS begehen erhebliche Verstöße gegen die Menschenrechte (USDOS 13.3.2019). Houthi-Truppen nahmen Geiseln. Bewaffnete Kräfte in Aden verprügelten, vergewaltigten und folterten Migranten (HRW17.1.2019).

Der Krieg führte landesweit zu weit verbreiteter Gewalt gegen die Zivilbevölkerung. Laut OHCHR wurden seit Konfliktbeginn bis November 2018 mehr als 6,800 Zivilisten getötet und mehr als 10.700 verletzt, die meisten davon durch Luftangriffe der von Saudi Arabien angeführten Koalition. Die wahren Opferzahlen dürften weit höher liegen. Tausende wurden durch die Kämpfe vertrieben, und Millionen Menschen sind von Engpässen in Nahrungsmittelversorgung und medizinischer Versorgung betroffen (HRW 17.1.2019). ACLED berichtet von mehr als 12,000 zivilen Todesfällen seit 2015. Insgesamt wurden seit 2015 mehr als 100,000 (militärische und zivile) Opfer gezählt. Bis Ende Oktober wurden im Jahr 2019 circa 1,100 tote Zivilisten verzeichnet. Die Gewalt konzentrierte sich 2019 auf die Gouvernements Taiz, Hodeidah und Al Jawf (ACLED 31.10.2019). Die von Saudi-Arabien angeführte Militärkoalition führte zahlreiche wahllose und unverhältnismäßige Luftangriffe durch, unter anderem auf Wohnhäuser, Märkte, Schulen, Krankenhäuser und Moscheen, bei denen Tausende von Zivilisten getötet und zivile Objekte unter Verletzung des Völkerrechts beschossen bzw. zerstört wurden. Die Koalition setzte auch international verbotene Streumunition ein. Houthi-Truppen setzten verbotene Landminen ein, es kam zur Rekrutierung von Kindern, und es wurde mit Artillerie wahllos auf Städte gefeuert (HRW 17.1.2019; vgl. FH4.2.2019). Obwohl Beweise auf Völkerrechtsverletzungen durch die Konfliktparteien hindeuten, sind diese bis jetzt nicht adäquat zur Rechenschaft gezogen worden (HRW 17.1.2019). Alle Konfliktparteien verschlimmerten die humanitäre Katastrophe noch weiter, indem sie dringend benötigte Hilfslieferungen verzögerten bzw. verhinderten. Mitarbeiter von Hilfsorganisationen wurden teils mit Gewalt in ihrer Arbeit behindert (HRW 17.1.2019). Laut UN OCHA waren Anfang2019 nahezu 25 Prozent der Bevölkerung unterernährt. Alle Konfliktparteien zerstörten Einrichtungen, die für das Überleben der jemenitischen Bevölkerung notwendig sind. Luftangriffe der Koalition zerstörten z.B. Ackerland, Bewässerungsanlagen und wichtige Hafeninfrastruktur. Auch medizinische Einrichtungen wurden beschädigt oder zerstört (HRC 3.9.2019). Im Jahr 2018verschlechterte sich die humanitäre Lage aufgrund der andauernden Kämpfe weiter. 8,4 Millionen Menschen sind von einer Hungersnot bedroht, und 80 Prozent der Bevölkerung ist auf humanitäre Hilfe angewiesen (USDOS 13.3.2019). Obwohl in der Verfassung Meinungs- und Pressefreiheit vorgesehen ist, darf die Staatsführung nicht kritisiert werden. Die Houthi-Rebellen respektierten diese Rechte nicht, und die Hadi-Regierung konnte ihre Einhaltung nicht durchsetzen. Alle Konfliktparteien schränkten das Recht. auf Meinungs- und Pressefreiheit ein (USDOS 13.3.2019). Journalisten und Aktivisten sind mit gewaltsamen Angriffen und Verschwindenlassen vonseiten aller Konfliktparteien konfrontiert (FH4.2.2019; vgl. RoG 13.8.2019).

Allen Bevölkerungsgruppen mangelt es unter den gegenwärtigen Bedingungen im Jemen an politischen Rechten. Reguläre politische Aktivität wird durch die Präsenz unzähliger bewaffneter Gruppen im Land verhindert. Der Handlungsspielraum für zivilgesellschaftliche Organisationen wurde in Folge des Krieges stark reduziert. Einige NGOs sind noch im Land aktiv, ihre Funktionsfähigkeit wird jedoch in der Praxis durch Einmischung durchbewaffnete Gruppierungen eingeschränkt. Seit 2015 unterdrücken die Houthi in den von ihnen kontrollierten Gebieten politischen Widerspruch brutal. 2018 gab es sowohl Proteste gegen die Houthi-Herrschaft, als auch gegen die Hadi-Regierung (FH 4.2.2019; vgl. HRW 17.1.2019).

Quellen:

* ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project (31.10.2019): PRESS RELEASE: Over100,000 Reported Killed in Yemen War, https://www.acleddata.com/2019/10/31/press-release-over-100000-reported-killed-in-yemen-war

* FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Yemen, 4. Februar 2019https://www.ecoi.net/de/dokument/2016065.html

* HRW - Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 - Yemen,https://www.hrw.org/world-report/2019/country-chapters/yemen

* RoG - Reporter Ohne Grenzen (13.8.2019): Total of journalists abducted in Yemen in past fiveyears reaches 20, https://www.ecoi.net/en/document/2014615.html

* USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018- Yemen, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004222.html

* USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom:Yemen, https://www.ecoi.net/de/dokument/2011009.html

Wehrdienst und Rekrutierungen

2001 wurde im Jemen die zweijährige Wehrpflicht abgeschafft. Das Mindestalter für einen freiwilligen zweijährigen Wehrdienst beträgt 18 Jahre (CIA 5.11.2019). Viele junge Männer treten aus ökonomischen Gründen und aus Mangel an Alternativen am Arbeitsmarkt in den Militärdienst ein (IRB 8.12.2017). Obwohl Gesetz und Regierungspolitik die Praxis ausdrücklich verbieten, nahmen Kinder unter 18 Jahren direkt an bewaffneten Konflikten für Regierungs-, Houthi-, mit der Regierung verbündete Kräfte, Stammeskräfte und andere bewaffnete Gruppierungen teil, vor allem als Wächter und Kuriere (USDOS 13.3.2019; vgl. Global Security 2.9.2017). Im Jahr 2017 überprüften die Vereinten Nationen 842 Fälle von Rekrutierung und Einsatz von Jungen ab 11 Jahren, von denen fast zwei Drittel Houthi-Truppen zuzuschreiben waren (HRW 17.1.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). 2014 unterzeichnete die jemenitische Regierung einen Aktionsplan der Vereinten Nationen zur Beendigung des Einsatzes von Kindersoldaten. Mangels einer effektiven Regierung wurde der Aktionsplan jedoch noch nicht umgesetzt (HRW 12.1.2017). Fast ein Drittel der Kämpfer im Land waren nach einigen Schätzungen jünger als 18 Jahre. Das Fehlen eines einheitlichen Systems für die Registrierung von Geburten erschwert den Nachweis des Alters, was zuweilen zur Rekrutierung von Minderjährigen beiträgt (USDOS 13.3.2019). Laut Berichten internationaler NGOs benutzten Stämme, einschließlich einiger bewaffneter und von der Regierung finanzierter Stämme, die neben der regulären Armee kämpften, minderjährige Rekruten in Kampfzonen. Houthi-Rebellen setzten regelmäßig Kinder ein, um Kontrollpunkte zu besetzen, als menschliche Schutzschilder oder Selbstmordattentäter. Berichten zufolge wurden verheiratete Burschen zwischen 12 und 15 Jahren während bewaffneter Konflikte in den nördlichen Stammesgebieten als Kämpfer eingesetzt. Gemäß der Stammestradition werden verheiratete Burschen als Erwachsene betrachtet, die dem Stamm Loyalität schulden. Infolgedessen war laut NGOs die Hälfte der Stammeskämpfer Jugendliche unter 18 Jahren. Anderen Quellen zufolge brachten die Stämme die Burschen selten in Gefahr, und setzten sie eher als Wache und nicht als Kämpfer ein (USDOS 13.3.2019).

Die Houthi rekrutieren neue Kämpfer mit verschiedenen Methoden, unter anderem durch die Einführung von Rekrutierungsquoten für Stammesführer und lokale Vertreter, die Verbreitung von Propaganda und religiöser Indoktrination, die Freilassung von Gefangenen und die Rekrutierung an Kontrollpunkten. Dabei wenden sie jeweils einen unterschiedlichen Grad von Zwang an (EASO8.4.2019). Im Laufe des Jahres verstärkten die Houthi und andere bewaffnete Gruppen, einschließlich Stammes- und islamistischer Milizen sowie Al-Qaeda auf der Arabischen Halbinsel, die Rekrutierung von Kindern als Teilnehmer am Konflikt. Berichten zufolge betreiben Houthi-Vertreter lokale Zentren, in denen Jungen und Männer für den Kampf rekrutiert werden. Laut einer Quelleführten die Houthi Rekrutierungsquoten für lokale Vertreter ein. Laut OHCHR rekrutieren Houthi auch gewaltsam Kinder in Schulen, Krankenhäusern oder indem sie von Haus zu Haus gehen. Es wird auch mit Appellen an den Patriotismus und durch finanzielle Anreize rekrutiert (USDOS 13.2.2019).

Quellen:

* CIA Factbook (5.11.2019): Middle East, Yemen, Military and Security,https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/ym.html#People

* EASO - European Asylum Support Office (8.4.2019): Query Response, Forced recruitment ofmenbytheHouthis, https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/Plib/2019_04_08_Q10_2019_Yemen_Houthi_Recruitment.pdf

* Global Security (2.9.2017): Yemen Military, https://www.globalsecurity.org/military/world/yemen/military-intro.htm

* HRW - Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 - Yemen, https://www.hrw.org/world-report/2019/country-chapters/yemen

* HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Yemen,https://www.ecoi.net/en/document/1088201.html,

* IRB - Immigration and Refugee Board of Canada (8.12.2017): Yemen: Military service; reportedcases of forced recruitment and conscription by government authorities and armed groups,including by Al-Qaeda, in regions other than those under Houthi control, https://www.ecoi.net/en/document/1447406.html

* USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018- Yemen, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004222.html

Religionsfreiheit

99.1% der Bevölkerung des Jemen sind Muslime, ca. 65% davon Sunniten und 35% Schiiten(Zaiditen). Die restlichen 0.9% beinhalten Juden, Bahai, Hindus und Christen, von denen viele Flüchtlinge sind oder nur eine temporäre Aufenthaltsgenehmigung haben (CIA 5.11.2019). Es gibt auch einige Zwölfer-Schiiten (vor allem im Norden), Ismailis und Sufis (USDOS 21.6.2019).

Die Verfassung erklärt den Islam zur Staatsreligion und die Scharia zur Quelle aller Gesetze. Sie sieht Gedanken- und Meinungsfreiheit "innerhalb der Grenzen des Gesetzes" vor, lässt aber die Erwähnung der Religionsfreiheit aus. Das Gesetz verbietet die Herabwürdigung des Islams, die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion und Missionierungsversuche, die auf Muslime gerichtet sind, um diese zur Konversion zu einer anderen Religion zu bringen. Apostasie ist ein Kapitalverbrechen. Angeklagte haben dreimal die Möglichkeit, ihr Verhalten zu "bereuen" [Anm. der arabische Ausdruck tawba bezeichnet wörtlich die "Rückkehr zum Islam", "das sich Umdrehen"]; wenn sie dies tun, sind die von der Todesstrafe ausgenommen. Im Norden, der von den Houthis kontrolliert wird, setzen diese ihre religiösen Praktiken auch bei Nicht-Zaiditen durch. Mitglieder der kleinen jüdischen Gemeinde berichten von anhaltenden sozialen Schikanen und rückläufigen Mitgliederzahlen, die es schwierig machten, ihre religiösen Praktiken aufrechtzuerhalten. Ismailitische Muslime klagen weiterhin über Diskriminierungen (USDOS 21.6.2019). Amnesty International dokumentierte, dass religiöse Minderheiten vom Specialized Criminal Court vermehrt ins Visier genommen werden. Insbesondere Anhänger der Bahai geraten in den Fokus der Behörden. Im Jänner 2018 wurde Hamed Kamal Muhammad bin Haydara, ein Bahai, wegen Apostasie, Proselytismus und Spionage für Israel zum Tode verurteilt. Im September 2018 wurden mehr als 20 Bahai wegen Apostasie und Spionage verurteilt; auf die Anklagepunkte könnte die Todesstrafe stehen (AI 9.7.2019; vgl. USDOS 21.6.2019; vgl. AI 18.9.2018).

Das Familiengesetz verbietet die Ehe zwischen einem Muslim und einem Apostaten. Frauen, die das Sorgerecht für ein Kind beantragen, "sollen" keine Apostaten sein, und ein Mann "sollte" denselben Glauben wie das Kind haben. Muslimische Frauen dürfen keine nicht-muslimischen Männer heiraten und muslimische Männer keine Frauen, die weder muslimisch, christlich noch jüdisch sind (USDOS 21.6.2019).

Quellen:

* AI - Amnesty International (18.9.2018): Yemen: 24 Baha'i people, including a child, facingpossible death penalty, https://www.ecoi.net/en/document/1443659.html

* AI - Amnesty International (9.7.2019): Yemen: Huthi-run court sentences 30 political opposition figures to death following sham trial, https://www.ecoi.net/en/document/2012924.html

* CIA (5.11.2019): World Factbook, Middle East, Yemen, People and Society,https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/ym.html#People

* USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom:Yemen, https://www.ecoi.net/en/document/2011009.html

Ethnische Minderheiten

Jemen besteht nahezu vollständig aus arabischer und afro-arabischer Bevölkerung (MRG 1.2018).Obgleich Rassendiskriminierung illegal ist, sind einige Gruppen wie die Muhamaschin (Muhammasheen, auch bekannt als Akhdam) und die Muwaladin (Jemeniten, die von ausländischen Eltern geboren wurden) sozialen und institutionellen Diskriminierungen ausgesetzt, die auf Rasse, Ethnizität und sozialem Status beruhen. Die Muhamaschin haben ostafrikanische Wurzeln, verrichten traditionell niedrige Tätigkeiten, wie Straßenkehren, leben in der Regel in Armut und sind von schwerer anhaltender gesellschaftlicher und politischer Diskriminierung betro

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten