TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/5 W132 2169540-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.05.2020
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Entscheidungsdatum

05.05.2020

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W132 2169540-1/36E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ursula GREBENICEK als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den Rechtsanwalt XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.08.2017, Zl. 1089853806/ 151484432, nach Durchführung mündlicher Verhandlungen am 03.06.2019, 09.09.2019 und 14.11.2019 zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerden wird stattgegeben und es wird XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 des Status der Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzvorschriften in das Bundesgebiet ein und stellte am 04.10.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der Erstbefragung am selben Tag vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen Folgendes an: "Ich wurde im Iran geboren und dort wurde als Afghane diskriminiert. Aus diesem Grund bin ich aus dem Iran geflüchtet." Befragt zur Rückkehr gab er an: "Ich habe niemanden in Afghanistan, meine ganze Familie lebt im Iran." Gedolmetscht wurde in der Sprache Farsi.

2. Am 20.10.2016 wurde nach Durchführung eines medizinischen Altersfeststellungsverfahrens per Verfahrensanordnung die Volljährigkeit des Beschwerdeführers festgestellt, und dessen Geburtsdatum für das Mindestalter mit XXXX festgesetzt.

3. Am 16.05.2017 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge ?belangte Behörde' bzw. BFA genannt) im Beisein einer Vertrauensperson. Der Beschwerdeführer brachte zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen zusammengefasst vor, dass die Ersteinvernahme nur 15 Minuten gedauert hätte, weswegen es ihm nicht möglich gewesen sei, seine Fluchtgründe ausführlich darzulegen. Er sei im Iran geboren und aufgewachsen, er sei nie in Afghanistan gewesen. Seine Eltern seien vor seiner Geburt wegen der unsicheren Lage und des Krieges in Afghanistan ausgereist. Er sei moslemischen Glaubens, Schiit, und gehöre der Volksgruppe der Hazara an. Fluchtgründe bezüglich Afghanistan bestünden nicht. Im Iran herrsche Rassismus. Der iranische Staat setze die Einheimischen unter Druck, welche dann Druck auf Geflüchtete ausüben würden. Weder sein Vater noch sein Bruder hätten im Iran zum Familieneinkommen beigetragen. Der ältere Bruder habe zwar gearbeitet, mit dem Geld aber seinen Drogenkonsum finanziert. Der Beschwerdeführer und seine Mutter hätten für den Lebensunterhalt der Familie sorgen müssen.

Den Iran habe er wegen seines Vaters verlassen. Dieser habe den Beschwerdeführer regelmäßig geschlagen und ihm vorgeworfen, dass er musiziere und nicht bete. Der Beschwerdeführer spiele seit dem zehnten bzw. elften Lebensjahr Gitarre und Piano. Er habe sich eine Gitarre gekauft, sein Vater habe diese zerstört, weil er nicht wollte, dass der Beschwerdeführer musiziert.

Gedolmetscht wurde in der Sprache Farsi.

Im Rahmen des verwaltungsbehördlichen Ermittlungsverfahrens wurden Unterstützungsschreiben, Deutschkursbestätigung, Bestätigung über gemeinnützige Arbeit und Abrechnungsbogen der gemeinnützigen Arbeit vorgelegt.

4. Mit dem im Spruch angeführten Bescheid der belangten Behörde wurde über den Antrag des Beschwerdeführers wie folgt abgesprochen:

"I. Ihr Antrag auf internationalen Schutz vom 04.10.2015 wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, abgewiesen.

II. Gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG wird Ihr Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Ihren Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen.

III. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird Ihnen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt.

Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wird gegen Sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr 100/2005 (FPG) idgF, erlassen.

Es wird gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass Ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist.

IV. Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für Ihre freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung."

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe nicht habe glaubhaft machen können. Es drohe dem Beschwerdeführer auch keine Gefahr, die die Zuerkennung eines subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Der Beschwerdeführer sei ein junger, arbeitsfähiger Mann, der von seiner Familie unterstützt werden könne. Er würde bei einer Rückkehr nach Afghanistan somit nicht in eine ausweglose Situation geraten. Der Beschwerdeführer verfüge in Österreich zudem über kein schützenswertes Privat- und Familienleben, das einer Rückkehrentscheidung entgegenstünde.

5. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde in vollem Umfang.

6. Mit dem Schriftsatz vom 30.03.2018 wurde von der nunmehr bevollmächtigten Vertretung vorgebracht, dass beim Beschwerdeführer ein Nachfluchtgrund vorliege, weil ihm in Afghanistan als Atheist und Apostat asylrelevante Verfolgung drohe. Er sei in seiner Unterkunft in Österreich von Mitbewohnern mit muslimischem Hintergrund deswegen auch bedroht worden. Aufgrund der getätigten Übergriffe sei auch ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Ferne zeige sich seine Überzeugung darin, dass er diese in sozialen Medien verbreite, was Hass und Ablehnung bei islamistischen Fundamentalisten erzeuge.

In der Beilage wurden exemplarisch Ausschnitte islamkritischer Postings des Beschwerdeführers vorgelegt. Diesen sei zu entnehmen, dass diese teilweise bereits vor Erhalt des abwesenden Bescheides erschienen seien.

Als Beleg für die Vorfälle in der Unterkunft wurden Protokolle der diesbezüglichen Zeugeneinvernehmung des Beschwerdeführers und ein Unterstützungsschreiben vorgelegt.

Aufgrund der Drohungen sei der Beschwerdeführer mittlerweile in eine neue Unterkunft verzogen.

Betreffend die atheistische und islamkritische Überzeugung des Beschwerdeführers wurden das Austrittschreiben aus der islamischen Glaubensgemeinschaft, und Unterlagen zum Kontakt des Beschwerdeführers mit Personen, welche sich als Atheisten verstehen, vorgelegt.

Unter Zitierung der UNHCR-Richtlinien, eines aktuellen Berichtes von EASO, und mit Hinweis auf Judikatur des Bundesverwaltungsgerichtes, erfolgten Ausführung zur zu erwartenden asylrelevanten Verfolgung des Beschwerdeführers in Afghanistan, aufgrund seines Abfalles vom Glauben.

Es wurden die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung und die Zeugeneinvernahme einer namentlich genannten Vertrauensperson des Beschwerdeführers beantragt.

7. Mit dem Schriftsatz vom 27.05.2019 hat die bevollmächtigte Vertretung des Beschwerdeführers unter Vorlage eines Taufscheines und eines Schreibens des Pastors J.A.H. ergänzend vorgebracht, dass der Beschwerdeführer mittlerweile getauft worden sei. Unter Zitierung von UNHCR, EASO und Judikatur, wird ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer aufgrund des Abfalles vom Islam und der Konversion in Afghanistan asylrelevante Verfolgung drohe. Als Beweis wurde die zeugenschaftliche Einvernahme des taufspendenden Pastors beantragt.

8. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 03.06.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Der Beschwerdeführer wurde im Beisein seiner bevollmächtigten Vertretung und eines Dolmetschers für die Sprache Farsi eingehend zu seiner Person, den Lebensumständen in Afghanistan und im Iran, den Fluchtgründen sowie zum Privat- und Familienleben in Österreich befragt.

Die belangte Behörde nahm an der Verhandlung teil.

Zur Untermauerung des Vorbringens wurden Kopien von Postings vorgelegt.

Die Verhandlung wurde zur Einvernahme von Zeugen vertagt.

9. Mit Schriftsatz vom 07.05.2019 hat die belangte Behörde die nachstehend angeführten Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation vorgelegt, und eine ergänzende Stellungnahme erstattet. Bezugnehmend auf die Unterlagen wurde vorgebracht, aus Sicht der belangten Behörde sei in der Beschwerdeverhandlung eindeutig hervorgekommen, dass keine Konversion aus innerer Überzeugung vorliege. Dies äußere sich in dem mangelhaften Wissen über christliche Themen, sowie der vagen Begründung für die Konversion. Dies stünde im Widerspruch zum Schreiben des Pastors J.A.H., welcher ausführe, dass der Taufe ein mehrere Monate dauernder Prozess der Wissensaneignung und der Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben vorangehe, wobei auch geprüft werde, ob sich das Leben, die Worte, und die Taten des Taufwerbers, tatsächlich nach Jesus Christus richten. Seitens der belangten Behörde wurde auch angemerkt, dass die katholische Kirche einen einjährigen Taufvorbereitungskurs vorschreibe, und auch die Freikirchen eine Vorbereitung von zumindest sechs Monaten als sinnvoll erachten würden, bzw. dies mittlerweile auch schon auf ein Jahr erhöhen würden. Daher erscheine die Taufe des Beschwerdeführers mit gravierenden Wissensmängeln nach bereits vier Monaten fragwürdig. Bezüglich das Austrittsschreiben der islamischen Glaubensgemeinschaft, werde auf die beigelegten Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation verwiesen.

­ Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 04.10.2016 "Afghanistan, Austrittsbestätigungen der islamischen Religionsgemeinschaft"

­ Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 02.12.2016 "Afghanistan, Austrittsbestätigungen der islamischen Religionsgemeinschaft in Österreich - Ergänzung"

10. Mit Schriftsatz vom 06.09.2019 hat die bevollmächtigte Vertretung des Beschwerdeführers in Vorbereitung auf die mündliche Beschwerdeverhandlung den klinisch-psychologischen Befundbericht von Frau Dr.in M. A.-B. vom 07.08.2019 vorgelegt, und eine ergänzende Stellungnahme erstattet. Dem beigelegten Befund sei zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer an einer posttraumatischen Belastungsstörung (nach ICD-10: F43.1), sowie einer schweren depressiven Störung (nach ICD-10: F33.2) mit suizidalen Gedanken leide, und eine eventuelle Intelligenzminderung (nach ICD-10: F79.1) beobachtet hätte werden können. Dr.in M. A.-B. weise auch auf Probleme des Beschwerdeführers mit seiner Umgebung hin, wobei er sich bedrängt fühle, und Angst vor anderen Männern habe. Dies stehe im Einklang damit, dass der Beschwerdeführer von seinen Mitbewohnern bedroht worden sei. Die psychische Erkrankung stelle für sich bereits ein reales Risiko im Falle der Rückkehr dar.

Der Schriftsatz wurde von der bevollmächtigten Vertretung auch der belangten Behörde übermittelt.

11. Am 09.09.2019 legte die belangte Behörde eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 29.06.2018 und vom 17.01.2019, zur Frage der Verfügbarkeit von Psychopharmaka und Psychotherapie in den Städten Kabul, Mazar-e Sharif und Herat, vor.

12. Das Bundesverwaltungsgericht setze am 09.09.2019 die öffentliche mündliche Verhandlung fort. Der Beschwerdeführer wurde im Beisein seiner bevollmächtigten Vertretung und einer Dolmetscherin für die Sprache Farsi weiter zu seinen Fluchtgründen befragt. Als Zeugen wurden die befreundete, ehemalige Englischlehrerin des Beschwerdeführers Dr. V.C.M. sowie der Pastor J.A.H. einvernommen.

Die belangte Behörde nahm an der Verhandlung teil.

Zur Untermauerung des Vorbringens wurden Kopien von Postings vorgelegt.

Die Verhandlung wurde zur weiteren Befragung und zur Rückübersetzung vertagt.

13. Mit dem Schriftsatz vom 18.09.2019 hat die belangte Behörde zum bisherigen Ergebnis des Ermittlungsverfahrens dahin Stellung genommen, dass aus ihrer Sicht, keine Konversion aus innerer Überzeugung vorliege, was sich insbesondere im mangelhaften Wissen des Beschwerdeführers über christliche Themen, sowie in der vagen Begründung für die Konversion äußere. Auch seien die Zeugenaussagen substanzlos. Vielmehr werde vermutet, dass der Beschwerdeführer die Konversion aus asyltaktischen Gründen vorbringe. Der Vorteil einer Konversion sei in der afghanischen Community bekannt. Die Nichtausübung, bzw. weniger strenge Ausübung des Islam, lasse keine asylrelevante Verfolgung befürchten. Diesbezüglich werde auf die ACCORD Anfragebeantwortung a-10159 vom 01.06.2017 verwiesen. Auch sei ihm innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif zumutbar.

Zum Vorbringen, es lägen ein psychisches Leiden und Intelligenzminderung vor, werde die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens beantragt.

14. Mit Schriftsatz vom 07.11.2019 hat sich die bevollmächtigte Vertretung des Beschwerdeführers dazu geäußert. Mit Hinweis auf UNHCR, EASO und Judikatur wird ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer aufgrund seiner Hinwendung zum christlichen Glauben und dem damit einhergehenden Abfall vom Islam asylrelevante Verfolgung drohe. Dies auch, weil er seine Werthaltungen in sozialen Medien gepostet habe, weshalb er in Österreich bereits ernsthaften Bedrohungen und massivem "Mobbing" ausgesetzt gewesen sei. Zum Nachweis der psychischen Einschränkungen des Beschwerdeführers, wurde der Ambulanzbericht des Landesklinikums Hollabrunn vom 14.08.2019 vorgelegt. Aufgrund der persönlichen Umstände des Beschwerdeführers, in Verbindung mit der aktuellen Sicherheits- und Versorgungslage, sei er im Falle der Rückkehr nach Afghanistan der realen Gefahr einer unmenschlichen bzw. erniedrigenden Behandlung ausgesetzt.

Dieser Schriftsatz wurde der belangten Behörde zur Kenntnis gebracht.

15. Das Bundesverwaltungsgericht setze am 14.11.2019 die öffentliche mündliche Verhandlung fort. Der Beschwerdeführer wurde im Beisein seiner bevollmächtigten Vertretung und einer Dolmetscherin für die Sprache Farsi weiter zu seinen Fluchtgründen befragt.

Die belangte Behörde nahm an der Verhandlung teil.

Den Verfahrensparteien wurde eine vierwöchige Stellungnahmefrist zum zwischenzeitlich neu erstellten Länderinformationsblatt vom 13.11.2019 eingeräumt.

16. Mit Schriftsatz vom 12.12.2019 hat die bevollmächtigte Vertretung des Beschwerdeführers zum aktuellen Länderinformationsblatt Stellung genommen.

Der Schriftsatz wurde von der bevollmächtigten Vertretung auch der belangten Behörde übermittelt.

Die belangte Behörde hat sich dazu nicht geäußert.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person und den Lebensumständen in Afghanistan bzw. im Iran

Der Beschwerdeführer führt den im Spruch genannten Namen, ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan und gehört der Volksgruppe der Hazara an. Er spricht Farsi und beherrscht die Sprache in Wort und Schrift.

Als Geburtsdatum wird der XXXX , angenommen.

Er verfügt über kein Reisedokument und hat auch nie eines besessen.

Die Eltern des Beschwerdeführers stammen aus XXXX , und sind vor ca. 30 Jahren in den Iran übersiedelt. Der Beschwerdeführer ist im Iran geboren und hat dort bis zu seiner Ausreise nach Europa im September 2015 gelebt. Der Beschwerdeführer war noch nie in Afghanistan.

Die Eltern und Geschwister des Beschwerdeführers sind nach wie vor im Iran aufhältig. Er steht mit seiner Mutter in seltenem Kontakt. Er hat keine Verwandten oder Bekannten in Afghanistan.

Der Beschwerdeführer hat fünf Jahre die Schule besucht und verfügt über Arbeitserfahrung. Er hat gemeinsam mit seiner Mutter für den Unterhalt der Familie gesorgt.

Er reiste im September 2015 aus dem Iran aus und gelangte unter Umgehung der Einreisevorschriften nach Österreich, wo er am 04.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Der Beschwerdeführer ist durch seine psychischen Probleme in seiner Fähigkeit, sich in belastenden Situationen adäquat zu verhalten, eingeschränkt. Er ist aber in der Lage, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.

Er gelangte unter Umgehung der Einreisevorschriften nach Österreich und stellte am 04.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Er befindet sich auf Grund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2005 durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet.

1.2. Zum Leben in Österreich

Der Beschwerdeführer hat in Österreich soziale Kontakte geknüpft, ist jedoch in Österreich nicht verheiratet, führt keine Lebensgemeinschaft, hat in Österreich keine Kinder und auch sonst keine nahen Verwandten oder Verwandte, die vom Beschwerdeführer finanziell abhängig sind, oder Verwandte, von denen der Beschwerdeführer finanziell abhängig ist.

Der Beschwerdeführer bestreitet seinen Lebensunterhalt in Österreich aus staatlicher Unterstützung (Grundversorgung).

Er hat gemeinnützige Arbeit für die Marktgemeinde Langenzersdorf verrichtet.

Dokumentiert sind Deutschkenntnisse auf dem Niveau A1, sowie der Besuch von weiteren Deutschkursen. Er kann sich in gebrochenem Deutsch verständigen.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich zum Zeitpunkt dieser Entscheidung strafgerichtlich unbescholten.

1.3. Zum Fluchtvorbringen

Der Beschwerdeführer wurde zwar im islamischen Glauben erzogen, hat sich aber bereits im Iran vom Islam abgewandt. Sein Vater hat ihn unter Druck gesetzt und geschlagen, weil er nicht gebetet hat. Der Vater wollte auch nicht, dass der Beschwerdeführer musiziert.

Der Beschwerdeführer hat sich aus innerer Überzeugung vom Islam abgewandt.

In Österreich hat sich der Beschwerdeführer zuerst der atheistischen Religionsgemeinschaft angeschlossen. In der Folge ist er jedoch der freikirchlichen Gemeinde "Donau Gemeinde", welche der protestantischen Glaubenslehre "Gemeinde Christi" angehört, beigetreten.

Das Interesse am Christentum wurde durch die Missionierung des Pastors J.A.H. geweckt. Der Beschwerdeführer hat dann an Gottesdiensten und Bibelstunden teilgenommen. Er hat sich mit den Inhalten des Christentums auseinandergesetzt. Auslösend für die Konversion war, dass er das Christentum als eine Religion von Liebe, Freundschaft und Menschlichkeit für sich erkannt hat, und sich die Menschen der "Gemeinde Christi" in diesem Sinne verhalten haben.

Der Beschwerdeführer wurde am 31. März 2019 getauft.

Der Beschwerdeführer hat seine Kritik am Islam, sowie sein Bekenntnis zum Christentum, insbesondere seine Taufe, in sozialen Medien öffentlich gemacht. Wegen islamkritischer Äußerungen und Postings wurde er in der Flüchtlingsunterkunft in Österreich von Mitbewohnern gemobbt.

Die vom Beschwerdeführer angenommene Lebensweise ist zu einem wesentlichen Bestandteil seiner Identität geworden, er kann sich nicht vorstellen, nach der konservativ-afghanischen Tradition zu leben.

Es kann daher nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass dem Beschwerdeführer aufgrund seiner Wertehaltung, und seiner Abwendung vom islamischen Glauben, bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat, Verfolgung aus religiösen und/oder politischen Gründen, in Form physischer und/oder psychischer Gewalt, droht.

Eine innerstaatliche Fluchtalternative kommt nicht in Betracht, da der Beschwerdeführer im gesamten Staatsgebiet von Afghanistan im Wesentlichen der gleichen Situation ausgesetzt wäre.

1.5. Zur Lage im Herkunftsstaat

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Gesamtaktualisierung vom 13.11.2019:

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 6.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 6.2019):

Taliban

Die USA sprechen seit rund einem Jahr mit hochrangigen Vertretern der Taliban über eine politische Lösung des langjährigen Afghanistan-Konflikts. Dabei geht es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan kein sicherer Hafen für Terroristen wird. Beide Seiten hatten sich jüngst optimistisch gezeigt, bald zu einer Einigung zu kommen (FAZ 21.8.2019). Während dieser Verhandlungen haben die Taliban Forderungen eines Waffenstillstandes abgewiesen und täglich Operationen ausgeführt, die hauptsächlich die afghanischen Sicherheitskräfte zum Ziel haben. (TG 30.7.2019). Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zu Ziel. Das wird als Versuch gewertet, in den Friedensverhandlungen ein Druckmittel zu haben (USDOD 6.2019).

Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. FA 3.1.2018) - Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub - Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar - und Serajuddin Haqqani (CTC 1.2018; vgl. TN 26.5.2016) Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (TN 13.1.2017). Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o.D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban, definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018).

Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017). Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt (LI 23.8.2017). Im Jänner 2018 schätzte ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums die Gesamtstärke der Taliban in Afghanistan auf 60.000 (NBC 30.1.2018). Laut dem oben genannten Experten werden die Kämpfe hauptsächlich von den Vollzeitkämpfern der mobilen Einheiten ausgetragen (LI 23.8.2017; vgl. AAN 3.1.2017; AAN 17.3.2017).

Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll12 Ableger, in acht Provinzen betreibt (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LWJ 14.8.2019).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt (LI 23.8.2017). In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LI 23.8.2017).

Haqqani-Netzwerk

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida (CRS 12.2.2019). Benannt nach dessen Begründer, Jalaluddin Haqqani (AAN 1.7.2010; vgl. USDOS 19.9.2018; vgl. CRS 12.2.2019), einem führenden Mitglied des antisowjetischen Jihad (1979-1989) und einer wichtigen Taliban-Figur; sein Tod wurde von den Taliban im September 2018 verlautbart. Der derzeitige Leiter ist dessen Sohn Serajuddin Haqqani, der seit 2015, als stellvertretender Leiter galt (CTC 1.2018).

Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk, seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt (NYT 20.8.2019) und wird für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich gemacht (CRS 12.2.2019).

Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP)

Erste Berichte über den Islamischen Staat (IS, auch ISIS, ISIL oder Daesh genannt) in Afghanistan gehen auf den Sommer 2014 zurück (AAN 17.11.2014; vgl. LWJ 5.3.2015). Zu den Kommandanten gehörten zunächst oft unzufriedene afghanische und pakistanische Taliban (AAN 1.8.2017; vgl. LWJ 4.12.2017). Schätzungen zur Stärke des ISKP variieren zwischen 1.500 und 3.000 (USDOS 18.9.2018), bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern (UNSC 13.6.2019). Nach US-Angaben vom Frühjahr 2019 ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Auch soll der Islamische Staat vom zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan sowie von aus Syrien geflohenen Kämpfern profitieren (BAMF 3.6.2019; vgl. VOA 21.5.2019).

Berichten zufolge, besteht der ISKP in Pakistan hauptsächlich aus ehemaligen Teherik-e Taliban Mitgliedern, die vor der pakistanischen Armee und ihrer militärischen Operationen in der FATA geflohen sind (CRS 12.2.2019; vgl. CTC 12.2018). Dem Islamischen Staat ist es gelungen, seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan dadurch zu stärken, dass er Partnerschaften mit regionalen militanten Gruppen einging. Seit 2014 haben sich dem Islamischen Staat mehrere Gruppen in Afghanistan angeschlossen, z.B. Teherik-e Taliban Pakistan (TTP)-Fraktionen oder das Islamic Movement of Uzbekistan (IMU), während andere ohne formelle Zugehörigkeitserklärung mit IS-Gruppierungen zusammengearbeitet haben, z.B. die Jundullah-Fraktion von TTP oder Lashkar-e Islam (CTC 12.2018).

Der islamische Staat hat eine Präsenz im Osten des Landes, insbesondere in der Provinz Nangarhar, die an Pakistan angrenzt (CRS 12.2.2019; vgl. CTC 12.2018). In dieser sind vor allem bestimmte südliche Distrikte von Nangarhar betroffen (AAN 27.9.2016; vgl. REU 23.11.2017; AAN 23.9.2017; AAN 19.2.2019), wo sie mit den Taliban um die Kontrolle kämpfen (RFE/RL 30.10.2017; vgl. AAN 19.2.2019). Im Jahr 2018 erlitt der ISKP militärische Rückschläge sowie Gebietsverluste und einen weiteren Abgang von Führungspersönlichkeiten. Einerseits konnten die Regierungskräfte die Kontrolle über ehemalige IS-Gebiete erlangen, andererseits schwächten auch die Taliban die Kontrolle des ISKP in Gebieten in Nangarhar (UNSC 13.6.2019; vgl. CSR 12.2.2019). Aufgrund der militärischen Niederlagen war der ISKP dazu gezwungen, die Anzahl seiner Angriffe zu reduzieren. Die Gruppierung versuchte die Provinzen Paktia und Logar im Südosten einzunehmen, war aber schlussendlich erfolglos (UNSC 31.7.2019). Im Norden Afghanistans versuchten sie ebenfalls Fuß zu fassen. Im August 2018 erfuhr diese Gruppierung Niederlagen, wenngleich sie dennoch als Bedrohung in dieser Region wahrgenommen wird (CSR 12.2.2019). Berichte über die Präsenz des ISKP könnten jedoch übertrieben sein, da Warnungen vor dem Islamischen Staat laut einem Afghanistan-Experten "ein nützliches Fundraising-Tool" sind: so kann die afghanische Regierung dafür sorgen, dass Afghanistan im Bewusstsein des Westens bleibt und die Auslandshilfe nicht völlig versiegt (NAT 12.1.2017). Die Präsenz des ISKP konzentrierte sich auf die Provinzen Kunar und Nangarhar. Außerhalb von Ostafghanistan ist es dem ISKP nicht möglich, eine organisierte oder offene Präsenz aufrechtzuerhalten (UNSC 13.6.2019).

Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele, verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit (CSR 12.2.2019; vgl. UNAMA 24.2.2019; AAN 24.2.2019; CTC 12.2018; UNGASC 7.12.2018; UNAMA 10.2018). Im Jahr 2018 war der ISKP für ein Fünftel aller zivilen Opfer verantwortlich, obwohl er über eine kleinere Kampftruppe als die Taliban verfügt (AAN 24.2.2019). Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt (UNAMA 24.2.2019), nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab (UNAMA 30.7.2019).

Der ISKP verurteilt die Taliban als "Abtrünnige", die nur ethnische und/oder nationale Interessen verfolgen (CRS 12.2.2019). Die Taliban und der Islamische Staat sind verfeindet. In Afghanistan kämpfen die Taliban seit Jahren gegen den IS, dessen Ideologien und Taktiken weitaus extremer sind als jene der Taliban (WP 19.8.2019; vgl. AP 19.8.2019). Während die Taliban ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte beschränken (AP 19.8.2019), zielt der ISKP darauf ab, konfessionelle Gewalt in Afghanistan zu fördern, indem sich Angriffe gegen Schiiten richten (WP 19.8.2019).

Al-Qaida und ihr verbundene Gruppierungen

Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Beide Gruppierungen haben immer wieder öffentlich die Bedeutung ihres Bündnisses betont (UNSC 15.1.2019). Unter der Schirmherrschaft der Taliban ist al-Qaida in den letzten Jahren stärker geworden; dabei wird die Zahl der Mitglieder auf 240 geschätzt, wobei sich die meisten in den Provinzen Badakhshan, Kunar und Zabul befinden. Mentoren und al-Qaida-Kadettenführer sind oftmals in den Provinzen Helmand und Kandahar aktiv (UNSC 13.6.2019).

Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen. Des Weiteren fungieren al-Qaida-Mitglieder als Ausbilder und Religionslehrer der Taliban und ihrer Familienmitglieder (UNSC 13.6.2019).

Im Rahmen der Friedensgespräche mit US-Vertretern haben die Taliban angeblich im Jänner 2019 zugestimmt, internationale Terrorgruppen wie Al-Qaida aus Afghanistan zu verbannen (TEL 24.1.2019).

Daikundi

Daikundi liegt in der Zentralregion Hazarajat und grenzt an Ghor im Norden und Westen, Bamyan im Osten, Ghazni im Südosten, Uruzgan im Süden und Helmand im Südwesten (UNOCHA 4.2014). Daikundi gehörte früher zur Provinz Uruzgan und ist mittlerweile eine eigenständige Provinz (PAJ 1.2.2014; vgl. UNDP 5.2.2017). Neben der Provinzhauptstadt Nili besteht Daikundi aus den folgenden Distrikten: Ishterlai, Pato, Kejran, Khedir, Kiti, Miramor, Sang-e-Takht und Shahristan (CSO 2019; vgl. IEC 2018). Der Distrikt Gizab/Pato wechselte in der Vergangenheit zwischen Uruzgan und Daikundi (AAN 31.10.2011). Im Juni 2018 wurde Pato ein eigenständiger Distrikt (AAN 27.1.2019). Die afghanische zentrale Statistikorganisation (CSO) führte Pato 2019 als "temporären" Distrikt von Daikundi (CSO 2019). "Temporäre" Distrikte sind Distrikte, die nach Inkrafttreten der Verfassung im Jahr 2004 vom Präsidenten aus Sicherheits- oder anderen Gründen genehmigt, jedoch (noch) nicht vom Parlament bestätigt wurden (AAN 16.8.2018). Der von Hazara dominierte Distrikt Nawamish wurde auf Anordnung des Präsidenten im März 2016 vom mehrheitlich paschtunischen Distrikt Baghran in der Provinz Helmand abgespalten. Im Juni 2017 wurden die administrativen Angelegenheiten von Nawamish Daikundi zugeordnet (AAN 16.8.2018), bzw. beschloss die Regierung 2018, dass Nawamish Teil von Daikundi werden würde (Mobasher 2019). Zeitungsberichte vom Mai und Juli 2019 zählten Nawamish wieder zu Daikundi (RY 11.7.2019; vgl. PAJ 10.5.2019). Eine Quelle berichtet, dass es sich hierbei um einen Konflikt entlang ethnischer Grenzen handelt: Während Paschtunen fordern, dass Nawamish Teil von Daikundi sein soll, sprechen sich Hazara für eine Zugehörigkeit zu Helmand aus (Mobasher 2019).

Im November 2018 erkannte Präsident Ashraf Ghani die Beförderung von Daikundi zu einer Provinz zweiter Klasse an, was eine höhere Mittelvergabe an die Provinz ermöglicht (MENA FN 10.11.2018).

Nach Schätzungen der CSO für den Zeitraum 2019-20 leben 507.610 Menschen in Daikundi (CSO 2019). Als Teil des Hazarajats (UNOCHA 4.2014) wird Daikundi mehrheitlich von Hazara bewohnt, wobei es eine Minderheit an Paschtunen, Belutschen und Sayeds/Sadats gibt (NPS o.D.).

In Daikundi gibt es nur eine gepflasterte Straße, einen Flughafen, der jedoch nach Angaben des Provinzgouverneurs keine Standards erfüllt und nur von kleinen Flugzeugen angeflogen werden kann (TN 6.4.2018). Von und nach Daikundi gibt es keinen Linienflugbetrieb (BFA Staatendokumentation 25.3.2019).

Laut dem Opium Survey 2018 des UNODC gehörte Daikundi 2018 nicht zu den zehn wichtigsten Anbauprovinzen von Schlafmohn. 2018 wurden weniger als 1.000 Hektar angebaut. Im Vergleich zu 2017 sank der Mohnanbau 2018 um die Hälfte. Damit gehört Daikundi gemäß UNODC zu den Provinzen mit einem "starken Rückgang" an Anbauflächen (UNODC/MCN 11.2018).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Daikundi wird als eine relativ sichere Provinz erachtet (AAN 27.1.2019; vgl. KP 29.7.2018; TN 6.4.2018), wobei der Mangel an Infrastruktur ein großes Problem für die Bevölkerung darstellt (TN 6.4.2018; vgl. TN 15.11.2016). Im Juli 2018 wurde von einer Zunahme an Fällen von Gewalt gegen Frauen berichtet (KP 29.7.2018).

Die Taliban waren 2018 und im ersten Halbjahr 2019 in der Provinz aktiv, wobei ACLED in diesem Zeitraum insgesamt 21 bewaffnete Zusammenstöße zwischen den Aufständischen und regierungsfreundlichen Kräften zählte. Die Vorfälle fanden hauptsächlich in den Distrikten Kejran, Gizab bzw. Pato und Nili statt (ACLED 12.7.2019). Gemäß einem Bericht vom März 2019 werden manche Gegenden in Pato von den Taliban kontrolliert (PAJ 30.3.2019).

Bewohner von Daikundi machten im April 2019 politische Parteien, bzw. "ungesunden" Wettbewerb zwischen diesen größtenteils für die Unsicherheit in der Provinz verantwortlich. Politische Gruppierungen, welche Teil von Jihadistengruppen seien, versuchten demnach, schwächere Rivalen zu unterdrücken (PAJ 14.4.2019).

Ghani ordnete im Herbst 2018 die Errichtung eines militärischen Bataillons in Daikundi an (MENA FN 10.11.2018). Daikundi liegt im Verantwortungsbereich des 205. ANA Atal Corps (USDOD 6.2019; KP 3.8.2019), das der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - South (TAAC-S) untersteht, welches von US-amerikanischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 41 zivile Opfer (19 Tote und 22 Verletzte) in Daikundi. Dies entspricht einem Rückgang von 5% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Kämpfe, gefolgt von Entführungen und improvisierten Bomben (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge) (UNAMA 24.2.2019).

Die Regierungskräfte führten 2018 und 2019 Operationen in Daikundi durch (z.B. KP 3.8.2019; MOD 29.6.2019; PAJ 27.12.2018). Die Taliban griffen beispielsweise Kontrollposten der Regierung im Distrikt Kejran an (AAN 27.1.2019; XI 28.6.2019; vgl. PAJ 28.6.2019).

Im Oktober 2018 kam es zu sicherheitsrelevanten Vorfällen; unter anderem interpretierten Beamte Taliban-Angriffe auf Kontrollposten im Distrikt Kejran und den Bombenanschlag Mitte Oktober 2018 als Versuch, die Anwohner von einer Beteiligung an der Parlamentswahl abzuhalten. Größere Angriffe dürften nach diesen Vorfällen nicht zustande gekommen sein, da die Taliban in Kejran erhebliche Verluste erlitten hatten (AAN 27.1.2019). Bei den Parlamentswahlen im Oktober 2018 blieben Wahllokale in den Distrikten Kejran und Pato, die an Helmand und Uruzgan grenzen, angeblich aufgrund von Sicherheitsrisiken und einer möglichen Talibanpräsenz geschlossen (AAN 27.1.2019).

IDPs - Binnenvertriebene

UNOCHA meldete für den Zeitraum 1.1.-31.12.2018 558 konfliktbedingt aus der Provinz Daikundi vertriebene Personen, die hauptsächlich in der Provinz selbst Zuflucht fanden (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 51 aus Daikundi vertriebene Personen, die in der Provinz verblieben (UNOCHA 18.8.2019). Im Zeitraum1.1.-31.12.2018 meldete UNOCHA 2.756 Vertriebene in die Provinz Daikundi, darunter 2.229 Personen aus der Provinz Ghazni (UNOCHA 28.1.2019). Abseits der 51 innerhalb von Daikundi vertriebenen Personen meldete UNOCHA im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 keine weiteren konfliktbedingt Binnenvertriebenen in die Provinz (18.8.2019).

Religionsfreiheit

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt (CIA 30.4.2019; vgl. AA 2.9.2019). Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen weniger als ein Prozent der Bevölkerung aus (AA 2.9.2019; vgl. CIA 30.4.2019, USDOS 21.6.2019); in Kabul lebt auch weiterhin der einzige jüdische Mann in Afghanistan (UP 16.8.2019; vgl. BBC 11.4.2019). Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 21.6.2019; vgl. FH 4.2.2019, MPI 2004). Die Abkehr vom Islam gilt als Apostasie, die nach der Scharia strafbewehrt ist (USODS 21.6.2019; vgl. AA 9.11.2016). Im Laufe des Untersuchungsjahres 2018 gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen aufgrund von Blasphemie oder Apostasie (USDOS 21.6.2019). Auch im Berichtszeitraum davor gab es keine Berichte zur staatlichen Strafverfolgung von Apostasie und Blasphemie (USDOS 29.5.2018).

Konvertiten vom Islam zu anderen Religionen berichteten, dass sie weiterhin vor Bestrafung durch Regierung sowie Repressalien durch Familie und Gesellschaft fürchteten. Das Gesetz verbietet die Produktion und Veröffentlichung von Werken, die gegen die Prinzipien des Islam oder gegen andere Religionen verstoßen (USDOS 21.6.2019). Das neue Strafgesetzbuch 2017, welches im Februar 2018 in Kraft getreten ist (USDOS 21.6.2019; vgl. ICRC o.D.), sieht Strafen für verbale und körperliche Angriffe auf Anhänger jedweder Religion und Strafen für Beleidigungen oder Verzerrungen gegen den Islam vor (USDOS 21.6.2019).

Das Zivil- und Strafrecht basiert auf der Verfassung; laut dieser müssen Gerichte die verfassungsrechtlichen Bestimmungen sowie das Gesetz bei ihren Entscheidungen berücksichtigen. In Fällen, in denen weder die Verfassung noch das Straf- oder Zivilgesetzbuch einen bestimmten Rahmen vorgeben, können Gerichte laut Verfassung die sunnitische Rechtsprechung der hanafitischen Rechtsschule innerhalb des durch die Verfassung vorgegeben Rahmens anwenden, um Gerechtigkeit zu erlangen. Die Verfassung erlaubt es den Gerichten auch, das schiitische Recht in jenen Fällen anzuwenden, in denen schiitische Personen beteiligt sind. Nicht-Muslime dürfen in Angelegenheiten, die die Scharia-Rechtsprechung erfordern, nicht aussagen. Die Verfassung erwähnt keine eigenen Gesetze für Nicht-Muslime (USDOS 21.6.2019).

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsalierung gegenüber religiösen Minderheiten und reformerischen Muslimen behindert (FH 4.2.2019; vgl. USDOS 21.6.2019).

Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (FH 4.2.2019). Mitglieder der Taliban und des Islamischen Staates (IS) töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 21.6.2019; vgl. FH 4.2.2019). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 21.6.2019).

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten. Konvertiten vom Islam riskieren die Annullierung ihrer Ehe (USDOS 21.6.2019). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind gültig (USE o.D.). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über das Religionsbekenntnis. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt. Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 21.6.2019).

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 21.6.2019).

Christentum und Konversion zum Christentum

Nichtmuslimische Gruppierungen wie Sikhs, Baha'i, Hindus und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. Genaue Angaben zur Größe der christlichen Gemeinschaft sind nicht vorhanden (USDOS 21.6.2019). USDOS schätzte im Jahresbericht zur Religionsfreiheit 2009 die Größe der geheimen christlichen Gemeinschaft auf 500 bis 8.000 Personen (USDOS 26.10.2009). Religiöse Freiheit für Christen in Afghanistan existiert; gemäß der afghanischen Verfassung ist es Gläubigen erlaubt, ihre Religion in Afghanistan im Rahmen der Gesetze frei auszuüben. Dennoch gibt es unterschiedliche Interpretationen zu religiöser Freiheit, da konvertierte Christen im Gegensatz zu originären Christen vielen Einschränkungen ausgesetzt sind. Religiöse Freiheit beinhaltet nicht die Konversion (RA KBL 1.6.2017).

Tausende ausländische Christen und einige wenige Afghanen, die originäre Christen und nicht vom Islam konvertiert sind, werden normal und fair behandelt. Es gibt kleine Unterschiede zwischen Stadt und Land. In den ländlichen Gesellschaften ist man tendenziell feindseliger (RA KBL 1.6.2017).

Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert. Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen (AA 2.9.2019). Bei der Konversion vom Islam zum Christentum wird in erster Linie nicht das Christentum als problematisch gesehen, sondern die Abkehr vom und der Austritt aus dem Islam (LIFOS 21.12.2017). Laut islamischer Rechtsprechung soll jeder Konvertit drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken (USDOS 21.6.2019).

Konvertiten vom Islam zum Christentum werden von der Gesellschaft nicht gut behandelt, weswegen sie sich meist nicht öffentlich bekennen. Zur Zahl der Konvertiten gibt es keine Statistik. In den meisten Fällen versuchen die Behörden Konvertiten gegen die schlechte Behandlung durch die Gesellschaft zu unterstützen, zumindest um potenzielles Chaos und Misshandlung zu vermeiden (RA KBL 1.6.2019).

Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens (AA 2.9.2019; vgl. USCIRF 4.2018, USDOS 21.6.2019), da es keine öffentlich zugänglichen Kirchen im Land gibt (USDOS 21.6.2019; vgl. AA 2.9.2019). Einzelne christliche Andachtsstätten befinden sich in ausländischen Militärbasen. Die einzige legale christliche Kirche im Land befindet sich am Gelände der italienischen Botschaft in Kabul (WA 11.12.2018; vgl. AA 2.9.2019). Die afghanischen Behörden erlaubten die Errichtung dieser katholischen Kapelle unter der Bedingung, dass sie ausschließlich ausländischen Christen diene und jegliche Missionierung vermieden werde (KatM KBL 8.11.2017).

Gemäß hanafitischer Rechtsprechung ist Missionierung illegal; Christen berichten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber. Es gibt keine Berichte zu staatlicher Verfolgung aufgrund von Apostasie oder Blasphemie (USDOS 21.6.2019).

Beobachtern zufolge hegen muslimische Ortsansässige den Verdacht, Entwicklungsprojekte würden das Christentum verbreiten und missionieren (USDOS 21.6.2019). Ein christliches Krankenhaus ist seit 2005 in Kabul aktiv (CURE 8.2018); bei einem Angriff durch einen Mitarbeiter des eigenen Wachdienstes wurden im Jahr 2014 drei ausländische Ärzte dieses Krankenhauses getötet (NYP 24.4.2014). Auch gibt es in Kabul den Verein "Pro Bambini di Kabul", der aus Mitgliedern verschiedener christlicher Orden besteht. Dieser betreibt eine Schule für Kinder mit Behinderung (PBdK o.D.; vgl. AF 4.1.2019).

Apostasie, Blasphemie, Konversion

Glaubensfreiheit, die auch eine freie Religionswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan de facto nur eingeschränkt. Die Abkehr vom Islam (Apostasie) wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe steht (AA 2.9.2019).

Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtsprechung Missionierung illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtsprechung unter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 21.6.2019) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung "religionsbeleidigende Verbrechen" verboten ist (MoJ 15.5.2017: Art. 323).

Es gibt keine Berichte über die Verhängung der Todesstrafe aufgrund von Apostasie (AA 2.9.2019); auch auf höchster Ebene scheint die afghanische Regierung kein Interesse zu haben, negative Reaktionen oder Druck hervorzurufen - weder vom konservativen Teil der afghanischen Gesellschaft, noch von den liberalen internationalen Kräften, die solche Fälle verfolgt haben (LIFOS 21.12.2017; vgl. USDOS 21.6.2019) und auch zur Strafverfolgung von Blasphemie existieren keine Berichte (USDOS 21.6.2019).

Es kann jedoch einzelne Lokalpolitiker geben, die streng gegen mutmaßliche Apostaten vorgehen und es kann auch im Interesse einzelner Politiker sein, Fälle von Konversion oder Blasphemie für ihre eigenen Ziele auszunutzen (LIFOS 21.12.2017).

Gefahr bis hin zur Ermordung droht Konvertiten hingegen oft aus dem familiären oder nachbarschaftlichen Umfeld (AA 2.9.2019). Die afghanische Gesellschaft hat generell eine sehr geringe Toleranz gegenüber Menschen, die als den Islam beleidigend oder zurückweisend wahrgenommen werden (LIFOS 21.12.2017; vgl. FH 4.2.2019). Obwohl es auch säkulare Bevölkerungsgruppen gibt, sind Personen, die der Apostasie beschuldigt werden, Reaktionen von Familie, Gemeinschaften oder in einzelnen Gebieten von Aufständischen ausgesetzt, aber eher nicht von staatlichen Akteuren (LIFOS 21.12.2017). Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (FH 4.2.2019).

Abtrünnige haben Zugang zu staatlichen Leistungen; es existiert kein Gesetz, Präzedenzfall oder Gewohnheiten, die Leistungen für Abtrünnige durch den Staat aufheben oder einschränken. Sofern sie nicht verurteilt und frei sind, können sie Leistungen der Behörden in Anspruch nehmen (RA KBL 1.6.2017).

Relevante ethnische Minderheiten

In Afghanistan leben laut Schätzungen zwischen 32 und 35 Millionen Menschen (CIA 30.4.2019; vgl. CSO 2019). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (BFA 7.2016 ; vgl. CIA 30.4.2019). Schätzungen zufolge, sind: 40 bis 42% Pashtunen, 27 bis 30% Tadschiken, 9 bis 10% Hazara, 9% Usbeken, ca. 4% Aimaken, 3% Turkmenen und 2% Belutschen. Weiters leben in Afghanistan eine große Zahl an kleinen und kleinsten Völkern und Stämmen, die Sprachen aus unterschiedlichsten Sprachfamilien sprechen (GIZ 4.2019; vgl. CIA 2012, AA 2.9.2019).

Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ?Afghane' wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet" (BFA 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnischen Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Artikel 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht: Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 2.9.2019). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen zu haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 13.3.2019).

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag besteht fort und wird nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert (AA 2.9.2019). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 13.3.2019).

Hazara

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 9 bis 10% der Bevölkerung aus (GIZ 4.2019; vgl. CIA 2012). Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt; der Hazaradjat [zentrales Hochland] umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz (Maidan) Wardak sowie Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul. Jahrzehntelange Kriege und schwierige Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben (BFA 7.2016). Hazara leben hauptsächlich in den zentralen und westlichen Provinzen sowie in Kabul (USDOS 21.6.2019).

Die Stadt Kabul ist in den letzten Jahrzehnten rasant gewachsen und ethnisch gesehen vielfältig. Neuankömmlinge aus den Provinzen tendieren dazu, sich in Gegenden niederzulassen, wo sie ein gewisses Maß an Unterstützung ihrer Gemeinschaft erwarten können (sofern sie solche Kontakte haben) oder sich in jenem Stadtteil niederzulassen, der für sie am praktischen sie ist, da viele von ihnen - zumindest anfangs - regelmäßig zurück in ihre Heimatprovinzen pendeln. Die Auswirkungen neuer Bewohner auf die Stadt sind schwer zu evaluieren. Bewohner der zentralen Stadtbereiche neigen zu öfteren Wohnortwechseln, um näher bei ihrer Arbeitsstätte zu wohnen oder um wirtschaftlichen Möglichkeiten und sicherheitsrelevanten Trends zu folgen. Diese ständigen Wohnortwechsel haben einen störenden Effekt auf soziale Netzwerke, was sich oftmals in der Beschwerde bemerkbar macht "man kenne seine Nachbarn nicht mehr" (AAN 19.3.2019). Viele Hazara leben unter anderem in Stadtvierteln im Westen der Stadt, insbesondere in Kart-e Se, Dasht-e Barchi sowie in den Stadtteilen Kart-e Chahar, Deh Buri, Afshar und Kart-e Mamurin (AAN 19.3.2019).

Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild (BFA 7.2016). Ethnische Hazara sind mehrheitlich Zwölfer-Schiiten (BFA 7.2016; vgl. MRG o.D.c), auch bekannt als Jafari Schiiten (USDOS 21.6.2019). Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradjat lebt, ist ismailitisch (BFA 7.2016). Ismailische Muslime, die vor allem, aber nicht ausschließlich, Hazara sind (GS 21.8.2012), leben hauptsächlich in Kabul sowie den zentralen und nördlichen Provinzen Afghanistans (USDOS 21.6.2019).

Die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, hat sich grundsätzlich verbessert (AA 2.9.2019; vgl. FH 4.2.2019) und Hazara bekleiden inzwischen auch prominente Stellen in der Regierung und im öffentlichen Leben, sind jedoch in der öffentlichen Verwaltung nach wie vor unterrepräsentiert (AA 2.9.2019). Hazara werden am Arbeitsmarkt diskriminiert. Soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara, basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten, finden ihre Fortsetzung in Erpressung (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Inhaftierung (USDOS 13.3.2019). Nichtsdestotrotz, genießt die traditionell marginalisierte schiitische muslimische Minderheit, zu der die meisten ethnischen Hazara gehören, seit 2001 eine zunehmende politische Repräsentation und Beteiligung an nationalen Institutionen (FH 4.2.2019; vgl. WP 21.3.2018).

Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Kernfamilie bzw. dem Klan (BFA 7.2016; vgl. MRG o.D.c). Sollte der haushaltsvorstehende Mann versterben, wird die Witwe Haushaltsvorständin, bis der älteste Sohn volljährig ist (MRG o.D.c). Es bestehen keine sozialen und politischen Stammesstrukturen (BFA 7.2016).

Hazara neigen sowohl in ihren sozialen, als auch politischen Ansichten dazu, liberal zu sein, was im Gegensatz zu den Ansichten sunnitischer Militanter steht (WP 21.3.2018). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen führen weiterhin zu Konflikten und Tötungen (USDOS 13.3.2019). Berichten zufolge halten Angriffe durch den ISKP und andere aufständische Gruppierungen auf spezifische religiöse und ethno-religiöse Gruppen - inklusive der schiitischen Hazara - an (USDOS 21.6.2019).

Während des Jahres 2018 intensivierte der IS Angriffe gegen die Hazara. Angriffe gegen Schiiten, davon vorwiegend gegen Hazara, forderten im Zeitraum 1.1.2018 bis 30.9.2018 211 Todesopfer (USDOS 13.3.2019). Das von schiitischen Hazara bewohnte Gebiet Dasht-e Barchi in Westkabul ist immer wieder Ziel von Angriffen. Die Regierung hat Pläne zur Verstärkung der Präsenz der afghanischen Sicherheitskräfte verlautbart (USDOS 21.6.2019). Angriffe werden auch als Vergeltung gegen mutmaßliche schiitische Unterstützung der iranischen Aktivitäten in Syrien durchgeführt (MEI 10.2018; vgl. WP 21.3.2018).

In Randgebieten des Hazaradjat kommt es immer wieder zu Spannungen und teilweise gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Nomaden und sesshaften Landwirten, oftmals Hazara (AREU 1.2018).

Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (BI 29.9.2017). NGOs berichten, dass Polizeibeamte, die der Hazara-Gemeinschaft angehören, öfter als andere Ethnien in unsicheren Gebieten eingesetzt werden oder im Innenministerium an symbolische Positionen ohne Kompetenzen befördert werden (USDOS 13.3.2019).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen zur Person und den Lebensumständen des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Herkunft, ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, sowie zur Herkunftsprovinz seiner Eltern, Sprachkenntnissen, der Schulbildung und Berufserfahrung des Beschwerdeführers, beruhen auf dessen plausiblen, im Wesentlichen gleichbleibenden Angaben im Laufe des Asylverfahrens, sowie auf seiner Kenntnis und Verwendung der Sprache Farsi. Es haben sich keine Anhaltspunkte ergeben, diese in Zweifel zu ziehen.

Dies gilt ebenfalls für die Feststellung hinsichtlich des Aufenthaltsortes der Familienangehörigen.

Die Identität konnte - mangels Vorlage unbedenklicher Identitätsdokumente oder anderer relevanter Bescheinigungsmittel - nicht abschließend geklärt werden.

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers getroffen wurden, gelten diese ausschließlich für die Identifizierung der Person im Asylverfahren.

Die Feststellungen zum psychischen Beschwerdebild des Beschwerdeführers gründet sich auf die vorgelegten Beweismittel und sein Verhalten im Rahmen der Beschwerdeverhandlungen. Der Beschwerdeführer hat im Rahmen der Beschwerdeverhandlungen einen zurückgezogenen Eindruck gemacht, und sich eher kindlich verhalten (AS 507). Dieser Eindruck wird durch den vorgelegten Klinisch-psychologischen Befundbericht von Frau Dr.in M. A.-B. vom 07.08.2019, bekräftigt (".. ist am Interview und Gesprächsverlauf sehr interessiert, wirkt aber eher wie ein großes Kind und hat immer wieder Unklarheiten über die Bedeutung der Fragen. Außerdem gibt er naive und fast zu ehrliche Antworten und beharrt auf diesen. Gleichzeitig ist seine Verzweiflung und Traurigkeit stark spürbar und auch offensichtlich, da er extrem abgemagert, fast verhungert wirkt." (AS 472).

Diese Einschätzung wird auch durch die Beurteilung von Dipl. Psych H.H., Koordinator Sprache und Lernen der Initiative Langenzersdorf, vom 12.05.2017 bekräftigt, womit dem Beschwerdeführer zwar Fleiß und Engagement beim Lernen sowie freiwilliger Gemeindearbeit bestätigt, jedoch die Wahrnehmung beschrieben wird, dass die Konzentrationsfähigkeit und Sprechbereitschaft des Beschwerdeführers unter Stress evident abfällt, und er sehr introvertiert sowie sensibel für die neuen kulturellen Rahmenbedingungen wirkt (AS 177). Im Ambulanzbericht des Landesklinikum Hollabrunn vom 14.08.2019 wird im klinischen psychiatrischen Status u.a. zwar festgestellt, dass der Beschwerdeführer kognitiv-mnestisch grob unauffällig, jedoch der Affekt verarmt, und der Antrieb reduziert war (AS 542).

Hinsichtlich der Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers beruhen die Feststellungen auf der eigenen Wahrnehmung der erkennenden Richterin im Rahmen der mündlichen Verhandlung in Verbindung mit dem vorgelegten Zertifikat A1.

Betreffend das Privatleben und insbesondere die Integration des Beschwerdeführers in Österreich, wurden dessen Angaben in der Beschwerdeverhandlung, sowie die vorgelegten

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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